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Geld statt Sachleistung Das Persönliche Budget wirft immer noch viele Fragen auf Der lang ersehnte Meilenstein Frankfurter Wohnprojekt für junge Erwachsene nimmt Fahrt auf Von den Erfahrungen der anderen lernen Der Borderline-Trialog im Frankfurter Markus-Krankenhaus LEBENSRÄUME Offenbach am Main Informationen Rhein-Main-Kaleidoskop, Zitat, Notizen Fragebogen Sieben Fragen an Rosemarie Heilig IMMER IM DIENST Angehörige psychisch kranker Menschen 1 / 2016 Treffpunkte Zeitschrift für Gemeindepsychiatrie in der Rhein-Main-Region Herausgegeben von der Bürgerhilfe Sozialpsychiatrie Frankfurt am Main e. V.

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Geld statt SachleistungDas Persönliche Budget wirft immer noch viele Fragen auf

Der lang ersehnte Meilenstein Frankfurter Wohnprojekt für junge Erwachsene nimmt Fahrt auf

Von den Erfahrungen der anderen lernen Der Borderline-Trialog im Frankfurter Markus-Krankenhaus

LEBENSRÄUME Offenbach am Main

InformationenRhein-Main-Kaleidoskop, Zitat, Notizen

FragebogenSieben Fragen an Rosemarie Heilig

IMMer IM DIenst

Angehörige psychisch

kranker Menschen

1/ 2016

TreffpunkteZeitschrift für Gemeindepsychiatrie in der Rhein-Main-Region

Herausgegeben von der Bürgerhilfe Sozialpsychiatrie Frankfurt am Main e. V.

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Impressum

ImpressumTreffpunkteFrankfurter Zeitschrift für GemeindepsychiatrieAusgabe 1/2016

KonzeptDie Zeitschrift ist ein Forum für alle Beteiligten in derambulanten, teilstationären und stationären Psychia-trie sowie in der Sozialpsychiatrie. Die Zeitschriftberichtet über allgemeine Entwicklungen; dasbesondere Gewicht liegt auf regionalen Aspekten derRhein-Main-Region.

GründerChristof Streidl (1939-1992)

Herausgeber Bürgerhilfe Sozialpsychiatrie Frankfurt am Main e. V.Holbeinstraße 25-27, 60596 Frankfurt am Main Telefon 069 96201869, Fax 069 627705 [email protected] www.bsf-frankfurt.de

RedaktionsteamHenning Böke, Christel Gilcher, Stephan von Nessen,Gerhard Pfannendörfer, Gerhard Seitz-Cychy, Wolfgang Zimmermann

ChefredaktionGerhard PfannendörferEichwaldstraße 45, 60385 Frankfurt am [email protected]

Druck und Vertriebdruckwerkstatt Rödelheim, Biedenkopfer Weg 40a60489 Frankfurt am MainTelefon 069 907498-0, Fax 069 [email protected]/frankfurter-verein/rwr/rwr.html

Layout, Satz und GestaltungBettina Hackenspiel / [email protected]

TitelseiteAngehörige psychisch kranker Menschen sind immer imDienst. Arbeitsgemeinschaften und Selbsthilfegruppenkönnen ihnen Entlastung bieten und Informationen vermitteln.Foto: Gerhard Pfannendörfer

ErscheinungsweiseDie Zeitschrift erscheint vierteljährlich.

Auflage1.000 Exemplare

EinzelpreisDie Zeitschrift kostet 5,- Euro einschließlichVersandpauschale.

AbonnementDas Jahresabonnement kostet 19,- Euro einschließlichVersandkosten. Das Abonnement kann bis zum 31. Dezember jedes Jahres gekündigt werden. Bestellungen bitte an den Herausgeber.

FörderabonnementMit einem Förderabonnement ab 30,- Euro jährlichkann die Zeitschrift unterstützt werden.

AnzeigenBürgerhilfe Sozialpsychiatrie Frankfurt am Main e. V.Holbeinstraße 25-27, 60596 Frankfurt am Main Telefon 069 96201869, Fax 069 [email protected]

Die Bürgerhilfe SozialpsychiatrieFrankfurt am Main e. V.hat sich seit ihrer Gründung im Jahr 1970 zur Aufgabe gemacht, die Situation psychischkranker Menschen in Frankfurt am Main zu verbessern und deren gleichberechtigteTeilnahme im städtischen Leben und das Miteinander in der Gesellschaft zu fördern.

Hierzu wurden von der Bürgerhilfe Sozialpsychiatrie Frankfurt am Main im Lauf derJahre viele Projekte initiiert sowie Dienste und Einrichtungen gegründet. Heute stellenwir im Süden der Stadt ein umfangreiches Hilfe-, Beratungs- und Unterstützungsange-bot im Rahmen der gemeindepsychiatrischen Versorgung der Großstadt Frankfurt amMain zur Verfügung.

Mit rund 50 angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie ehrenamtlichenKräften betreiben wir folgende Dienste und Einrichtungen: Betreutes Wohnen, die Psy-chosoziale Kontakt- und Beratungsstelle Süd, eine Tagesstätte, ein Wohnheim und denoffenen »Treffpunkt Süd« im traditionsreichen Teplitz-Pavillon in Frankfurt am Main-Sachsenhausen. Die Dienste und Einrichtungen bieten psychisch kranken MenschenUnterkunft, psychosoziale Betreuung und Beratung sowie die Möglichkeit, ihren Tag zustrukturieren, Zeit sinnvoll zu gestalten und mit anderen Menschen ins Gespräch undin Kontakt zu kommen.

Der Psychosoziale Krisendienst, für das gesamte Stadtgebiet organisiert von der Bür-gerhilfe Sozialpsychiatrie Frankfurt am Main, sichert außerhalb der allgemeinenDienstzeiten der Beratungsstellen und sonstigen Dienste in Notlagen psychosozialeHilfe und vermittelt bei Bedarf ärztliche Hilfe. Er wendet sich an Menschen mit psychischen Erkrankungen und seelischen Behinderungen, die an einer akuten ernst-haften Störung ihrer seelischen Gesundheit leiden, sowie deren Angehörige, Freunde,Bekannte und Nachbarn.

Von Anfang an war die Öffentlichkeitsarbeit ein wichtiges und satzungsmäßiges Anlie-gen des Vereins. So existiert seit über 30 Jahren die von der Bürgerhilfe Sozialpsychia-trie Frankfurt am Main herausgegebene Zeitschrift für Gemeindepsychiatrie »Treff-punkte«. Die Publikation sieht sich als Forum für alle Akteure der Sozialpsychiatrie. Die»Treffpunkte« bieten Berichte und Essays zu aktuellen sozialpolitischen Themen, disku-tiert allgemeine Entwicklungen, stellt Betrachtungen zu Kunst und Kultur an, ist Platt-form für Fachleute, Betroffene und Angehörige. Besonderes Gewicht liegt in derBerichterstattung auf Themen aus der Region Rhein-Main und Hessen. Dies wird unter-mauert durch die Kooperation der Zeitschrift mit der Stiftung Lebensräume in Offen-bach am Main, die in einer eigenen Rubrik ihre Themen vorstellt.

Die Arbeit der Bürgerhilfe Sozialpsychiatrie Frankfurt am Main wird finanziert durchLeistungsentgelte für die erbrachten Einzelangebote, durch Zuschüsse der Stadt Frank-furt am Main und des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen sowie durch Mitgliedsbei-träge und Spenden.

Der Vorstand der Bürgerhilfe Sozialpsychiatrie Frankfurt am Main e. V. setzt sich zusam-men aus Stephan von Nessen (1. Vorsitzender), Regina Stappelton (2. Vorsitzende) sowieden weiteren Vorstandsmitgliedern Gabriele Schlembach, Kirstin von Witzleben- Stromeyer, Wolfgang Schrank und Bernard Hennek. Geschäftsführer der Bürgerhilfe istGerhard Seitz-Cychy.

www.bsf-frankfurt.de

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Treffpunkte 1/16 1

Editorial

»Alle glücklichen Familien gleicheneinander, jede unglückliche Familie istauf ihre eigene Art unglücklich«

Liebe Leserin, lieber Leser,

Angehörige psychisch Kranker sind wir vermutlich alle, stellt Prof. Dr. Andreas

Reif von der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der

Goethe-Universität Frankfurt am Main in seinem Beitrag in diesem Heft fest.

Bei der enormen Häufigkeit dieser Erkrankungen gäbe es praktisch niemanden,

der nicht als Angehöriger eines psychisch Kranken zu betrachten sei. Dennoch

sind es natürlich die unmittelbaren Familienmitglieder, die oft lebenslang mit

Sorgen – und oft auch Vorwürfen – zu kämpfen haben. Die Profis in den Diens-

ten und Einrichtungen der Psychiatrie können irgendwann nach Hause gehen;

die Angehörigen psychisch kranker Menschen aber sind immer im Dienst, wie

ein weiterer Artikel in diesem Heft eindrücklich darlegt. Zusammenschlüsse von

betroffenen Angehörigen, wie die »Arbeitsgemeinschaft der Angehörigen psy-

chisch kranker Menschen in Frankfurt e. V.« bieten hier gegenseitige Unterstüt-

zung, helfen Familien – bei allen Unterschieden im Einzelfall - mit Beratung und

informieren Öffentlichkeit, Politik und oft auch die Experten über das, was sie

wissen sollten. Angehörige seien eben immer auch Betroffene, sie litten mindes-

tens so viel wie die Erkrankten selbst, stellt ein Beitrag der Offenbacher »Lebens-

räume« dazu fest.

Gerhard PfannendörferChefredaktion »Treffpunkte«[email protected]

Lew Tolstoi, russischer Schriftsteller (1828-1910)

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Inhalt

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Inhalt

Editorial

1 Von Gerhard Pfannendörfer

Magazin

3 Geld statt SachleistungDas Persönliche Budget wirft immer nochviele Fragen aufVon Daniela Kampmann und Nouchka Kruschke

5 Der lang ersehnte MeilensteinFrankfurter Wohnprojekt für junge Erwachsene nimmt Fahrt aufVon Petra Fettel und Torsten Neubacher

7 Von den Erfahrungen der anderen lernenDer Borderline-Trialog im Frankfurter Markus-Krankenhaus

Von Maxie Kneist und Natalie Kiehl

Thema

9 Am Rande der BelastbarkeitAngehörige psychisch kranker Menschenorganisieren sich und bieten Hilfe an

13 »Am wichtigsten sind nach wie vor dieGespräche mit Angehörigen«Vieles hat sich in den letzten Jahrzehntenzum Besseren verändert

Von Edelgard Nolting

16 Neue Spielräume eröffnen und politisch wirkenDie Arbeit eines Angehörigen-Vereins hatviele AspekteVon Gisela Petersen

18 Viele Hoffnungen, kleine Schritte, unbeirrter EinsatzDie Arbeit des Landesverbandes der Angehörigen psychisch KrankerVon Manfred Desch

20 Wer, wenn nicht wir?Die Angehörigen psychisch kranker Menschen sind gefordertVon Andreas Reif

Forum

22 Psyche? Das passiert nur anderenEin Zwischenruf von Manfred Dempf

LEBENSRÄUME Offenbach am Main

23 »Ich bin mit meinen Problemen nicht alleine«Gespräch mit Kursleiter Bernd Butzbach:Psychoedukationskurse entlasten Angehörige chronisch Erkrankter

24 Atempause vom AlltagGespräch mit Hossein Saleh vom Sozialpsy-chiatrischen Dienst Dietzenbach: Angehörigengruppe bietet Entlastung

25 Bett und Fernseher machen zufriedenEin Angehöriger berichtet

Informationen

26 Rhein-Main-Kaleidoskop, Zitat, Themenhefte, NotizenNachgefragt: Was macht eigentlich Dr. Hans-Joachim Kirschenbauer?

Fragebogen

32 Sieben Fragen an Rosemarie Heilig

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Magazin

Geld statt Sachleistung

Das Persönliche Budget wirft immer noch viele Fragen auf

Von Daniela Kampmann und Nouchka Kruschke

Mit dem Persönlichen Budget können behinderte Menschen die erforderlicheHilfe selbst organisieren. Obwohl es diese gesetzliche Möglichkeit schon langegibt, führt sie immer noch ein Schattendasein. Eine Veranstaltungen in Frank-

furt am Main wollte die Chancen dieses Instruments erkunden.

Im Rahmen der letztjährigenFrankfurter Psychiatriewoche besu-chen rund 40 Interessierte eineInformationsveranstaltung der Bür-gerhilfe Sozialpsychiatrie Frankfurtam Main e. V. zum Thema »Persönli-ches Budget«. Die Besucher warenvon Anfang an sehr aktiv, stelltenviele Fragen und äußerten auch ihreKritik.

Die Referenten vom Landeswohl-fahrtsverband Hessen und vomJugend- und Sozialamt der StadtFrankfurt am Main reagierten offenauf die Einwände des sehr gemisch-ten Publikums und beantwortetenalle Fragen. So wurde auch derAblauf des Nachmittags spontanumgeändert. Die Referenten hieltennicht, wie geplant, nacheinanderKurzvorträge zum Thema, umdanach in die offene Diskussion ein-zutreten, sondern die Thematik wur-de durch die zahlreichen Fragenerklärt. So gewann man durch dieemotionale, aber durchaus geordne-te Diskussion eine Vorstellungdavon, was die Idee des PersönlichenBudgets ist und auch welche Gren-zen sich hierbei auftun.

Das persönliche Budget existiert seitdem 1. Januar 2008 und ist gemäß

§ 17 Abs. 2 bis 4 SGB IX eine Sachleis-tung in Form von Geld. Menschenmit Behinderung oder von einerBehinderung bedrohte Menschen,ungeachtet vom Alter, Geschlechtoder der Schwere der Behinderung,haben die Möglichkeit das Persönli-che Budget zu beantragen. DerAntrag kann (auch formlos) beiRehaträgern gestellt werden, welcheauch für die Sachleistungen zustän-dig sind. Diese Träger sind beispiels-weise Krankenkassen, das Sozialamt,die Bundesagentur für Arbeit, dieRentenversicherung usw. Der Lan-deswohlfahrtsverband Hessen istsomit beispielsweise zuständig fürAnträge, die das Betreute Wohnenoder die Werkstatt für behinderteMenschen betreffen.

Ein großer Kritikpunkt war die Tat-sache, dass es keinen Katalog gibt, indem Leistungen, die in das Persönli-che Budget umgewandelt werdenkönnen, aufgelistet sind. Die Höhedes Persönlichen Budgets orientiertsich an den Sachleistungen, aberalles Weitere wird in einem persönli-chen Gespräch besprochen, in demder Bedarf ermittelt wird. Dies setztdie Klienten der »Willkürlichkeit derSachbearbeiter« aus, so einer derGäste.

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Das Ziel des Persönlichen Budgets istes, den behinderten Menschen mehrEntscheidungsfreiheit und Verant-wortung zu übergeben. Dies kannsie in eine Arbeitgeberrolle verset-zen, da sie mit dem Geld, das sieerhalten, die Dienstleister selbst aus-suchen können. Das bedeutet, dassdie vertragliche Vereinbarung nichtüber den Rehaträger läuft, sondernüber den Budgetnehmer und Dienst-leister selbst. Der Nehmer ist aberverpflichtet einen Nachweis vorzule-gen, wonach das Geld zweckentspre-chend verwendet wurde. Ein Teil-nehmer merkt hierzu an, dass »Fürweniger Geld die gleiche Leistung«erbracht wird und dass das Persönli-che Budget folglich eine Sparmaß-nahme sei.

Die Idee des Persönlichen Budgetssei zwar gut, aber nicht zu Endegedacht, war eine weitere Anmer-kung. Dies bestätigt sich dadurch,dass keine übergeordnete Bera-tungsstelle zu dem Thema genügendinformiert. Verwiesen wurde aberdarauf, dass bundesweit Berater zumPersönlichen Budget gäbe undaußerdem eine kostenlose Hotline.Diese sind aber auch an Trägergebundene Berater. Im Internet gibtes eine Handlungsempfehlung von

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Magazin

der Bundesarbeitsgemeinschaft fürRehabilitation vom Jahr 2009, wel-che weitere Informationen zum The-ma geben kann (www.bar-frank-furt.de/fileadmin/dateiliste/publkationen/arbeitsmaterialien/downloads/Persoenliches_Budget.pdf).

Als Resümee der Veranstaltung kanngesagt werden, dass das PersönlicheBudget ein Thema ist, welches vieleFragen aufwirft. Einige konnten inder Veranstaltung geklärt werden,einige nicht und einige neue Aspek-te kamen dazu. Sicherlich werdeneinige Menschen vom Persönlichem

Budget profitieren und wiederumandere stehen dem Thema nochimmer sehr kritisch gegenüber.Zusammenfassend gesagt: Es wareine gute, sehr lebendige Auseinan-dersetzung mit dem Thema, welchessowohl Sozialarbeiter als auchBetroffene und Angehörige anlockte.

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Daniela Kampmann und Nouchka Kruschke sind Mitarbeiterinnen der Bürgerhilfe Sozialpsychiatrie Frankfurt am Main e. V.www.bsf-frankfurt.de

Beispiel:

Wohnung statt Wohnheim

Eine chronisch seelisch behinderteFrau (44 Jahre) lebte nahezu 16 Jah-re in psychiatrischen Wohnheimen.Ihr Aussehen und ihre mangelhafteKörperhygiene war stets Anlass zuAuseinandersetzungen und soge-nannten »Grenzen setzenden Sank-tionen« durch das Betreuungsperso-nal. Eine dauerhafte depressiveGrundstimmung äußerte sich inkonsequentem Rückzugsverhaltenund steter Ablehnung einer jedenKooperation.

Der Intervention eines aufgeschlos-senen, über das Persönliche Budgetgut informierten Mitarbeiters ist eszu verdanken, dass diese Frau heuteseit mehr als zwei Jahren selbst-

ständig in einer eigenen Wohnunglebt und in eigener Verantwortungein Budget von 700 Euro verwaltet,mit dem sie Reinigungspersonaleines hauswirtschaftlichen Dienstes(180 Euro pro Monat), Begleitperso-nen für ihre wöchentlichen Einkäufe(60 Euro pro Monat) sowie die 14-tägige psychosoziale Beratung (90Euro pro Monat) bezahlt.

Darüber hinaus hat sie sich in dieArbeits- und Ergotherapiegruppeeines Wohnheims eingekauft. Dorthat sie die Möglichkeit, zweimal inder Woche jeweils zwei Stunden ander Gruppe teilzunehmen undbezahlt dafür monatlich einenPauschbetrag von 250 Euro an den

Wohnheimträger. Darin ist auch dasMittagessen enthalten. Der Restbe-trag wird von ihr, wie in den voran-gegangenen Beispielen, frei undnach Bedarf verwendet. Häufigdient er zu Finanzierung von Frei-zeitaktivitäten, zusätzlichen Friseur-besuchen oder einfach zur Verbesse-rung der ökonomischen Situation.

Quelle: Joachim Speicher: Geld oder Liebe. Erfahrungen mit dem Persönlichen Budget. Zeitschrift SOZIALwirtschaft 4/2006. S. 10-13.

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Endlich hat es geklappt. Die Ver-träge sind unterschrieben undinzwischen steht die FrankfurterWerkgemeinschaft (fwg) als neueEigentümerin in den Grundbüchernzweier Häuser im Frankfurter Stadt-teil Eschersheim fest.

Nachdem Team und Leitung des»Wohnverbunds Friedrich Stoltze«sich schon einige Jahre mit dem The-ma »Betreuung für junge psychischkranke Erwachsene« beschäftigt hat-ten, wurde diese Initiative bereitsvor rund zwei Jahren in ein Projektüberführt. Trotz intensiver Bemü-hungen war es im Rahmen diesesProjekts aber bisher nicht gelungen,das ambitionierte Wohnkonzept aneinem konkreten Standort umzuset-zen.

Im Frühjahr 2014 stieß die Frankfur-ter Werkgemeinschaft dann auf einäußert interessantes Angebot: EinHaus in Eschersheim, unweit derNidda, wurde angeboten, das voll-ständig in Ein-Zimmer-Apartmentsaufgeteilt war. Und – wie sich beider ersten Besichtigung der Liegen-schaft herausstellte – gleich danebengab es auch noch ein zweites Haus,mit ähnlicher Aufteilung. Nun wur-de ein Projektplan erstellt, der dieZielsetzung und deren Abarbeitungim zeitlichen Ablauf erfasst. Ziel war

es, einen neuen Standort mit neuemKonzept für junge Erwachsene zugestalten. Der Projektplan wurde inArbeitspakete aufgeteilt und vieleMitarbeiterinnen und Mitarbeiter indie Entwicklung des neuen Stand-orts eingebunden.

Die Häuser wurden sowohl baufach-lich als auch hinsichtlich ihrer Eig-nung für die beabsichtigte Nutzungbewertet und es wurden alle Sicher-heitsaspekte und natürlich auch derBrandschutz überprüft. Der Landes-wohlfahrtsverband Hessen wurde inseiner Rolle als zuständiger Haupt-kostenträger einbezogen und dieHessische Betreuungs- und Pflege-aufsicht als zuständige Aufsichtsbe-hörde. Parallel liefen die Gesprächemit dem Eigentümer und mit einemInvestor, der die Häuser kaufen undlangfristig an die Frankfurter Werk-gemeinschaft vermieten sollte. TrotzEinigkeit bezüglich des Verkaufsprei-ses und vieler weiterer Modalitätenkam diese Vertragsgestaltung aberschließlich doch nicht zum Tragen.Wieder entstand eine Situation, inder das Projekt »wackelte«. Nachentsprechender Abstimmung mitdem Landeswohlfahrtsverband Hes-sen, beschloss der Vorstand derFrankfurter Werkgemeinschaft dannaber im Dezember 2014 die beidenHäuser selbst zu kaufen.

Nun ging es an die Finanzierungund die Ausgestaltung und Verhand-lung der Kaufverträge. Parallelwaren die Mitglieder des Projekt-teams damit beschäftigt, gemein-sam mit der Leitung das bestehendeKonzept auf die konkreten räumli-chen Gegebenheiten hin anzupassenund zu überlegen, welche baulichenVeränderungen noch erforderlichseien. Letztere wurden schließlich inForm von zwei Bauanträgen auf denWeg gebracht. Inzwischen wird inden Häusern umgebaut und dieInbetriebnahme ist absehbar.

Die beiden Häuser liegen zentral imFrankfurter Stadtteil Eschersheim, inNachbarschaft zu vielfältigen Ein-kaufs- und Freizeitmöglichkeiten,einem Fußballverein, einem öffentli-chen Freibad und nahe dem Ufer derNidda. Die U- und S-Bahnanbindungan die City ist in fünf Minuten zuFuß zu erreichen.

Die beiden Häuser stehen unmittel-bar nebeneinander. In einem derHäuser sind zwölf stationäre Wohn-plätze in Einzelzimmern mit eige-nem Bad oder Tandembad geplantsowie eine große Sozialetage mitGemeinschaftsräumen. In demanderen Haus sind vier intensivbetreute Trainingswohnplätze inApartments und mehrere Apart-

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Der lang ersehnte Meilenstein

Frankfurter Wohnprojekt für junge Erwachsene nimmt Fahrt auf

Von Petra Fettel und Torsten Neubacher

Die »jungen Wilden«, als junge Erwachsene mit einer psychischenErkrankung, bereiten in manchen Einrichtungen die eine oder andere

Schwierigkeit. Die Frankfurter Werkgemeinschaft will nun durch einWohnprojekt ein spezialisiertes Angebot für diese Altersgruppe schaffen.

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ments im Rahmen des BetreutenEinzelwohnens vorgesehen. DieWohnangebote für junge Erwachse-ne sind in jeder Wohnform auf zweiJahre befristet.

Zusätzlich werden zehn Plätze fürinterne Tagesgestaltung im Hausangeboten. Während des Aufenthal-tes soll eine Wohnperspektive undberufliche Pläne erarbeitet werden.Die Betreuung wird aus einemgemeinsamen Team heraus geleis-tet. Zusätzlich wird es eine Nachtbe-reitschaft geben. Büros für Sozial-dienst und Leitung befinden sichebenfalls vor Ort.

Im Konzept verankert ist der flexibleUmgang mit den stationären und

ambulanten Angeboten, um einegrößtmögliche individuelle Unter-stützungsleistung sicherzustellenund auf Veränderungen möglichstzeitnah reagieren zu können.Das Team »Wohnverbund FriedrichStoltze« und alle Beteiligten undVerantwortlichen der Arbeitspaketeim Projekt befinden sich jetzt auf derZielgeraden. Nun müssen die Bauar-beiten abgeschlossen sowie Zimmerund Sozialetage mit Büros und Funk-tionsräumen eingerichtet werden.

Wir sind uns sicher, dass sich derEinsatz lohnen wird und wir bald zueinem großen Einweihungsfest ein-laden können. Bis dahin wünschenwir allen Beteiligten gutes Gelingenund viel Spaß bei der Arbeit.

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Das Team des »Wohnverbunds Friedrich Stoltze« der Frankfurter Werkgemeinschaft beschäftigt sich bereits seiteinigen Jahren mit der Frage, wie jungen psychisch kranke Erwachsenen am besten geholfen werden kann.

Ziel des Pro-

jekts ist der flexi-

ble Umgang mit

den verschiede-

nen Angeboten,

um eine individu-

elle Unterstüt-

zung sicherzu-

stellen

»

«

Petra Fettel ist Mitarbeiterin der Frankfurter Werkgemeinschaft e. V.Dr. Torsten Neubacher ist Vorstandsmitglied und Geschäftsführerder Frankfurter Werkgemeinschaft e. V.www.fwg-net.de

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Ein Dienstagabend in der Psychi-atrischen Tagesklinik des Markus-Krankenhauses im Frankfurter Nord-westen. Rund 25 Menschen sitzen imKreis, eine Ärztin leitet eine Acht-samkeitsübung an. Kein ungewöhn-liches Szenario für eine Tagesklinik,denkt der unbedarfte Zuschauer.Doch ungewöhnlich an dieser Grup-pe ist vor allem ihre Zusammenset-zung: Hier tauschen sich Borderline-Betroffene, Angehörige und profes-sionelle Helfer miteinander über dieKrankheit aus.

Borderline-Trialog heißt die Veran-staltung, die im Dezember 2014 vonMaxie Kneist und Anja Hellenbrecht,beide Ärztinnen der PsychiatrischenInstitutsambulanz, ins Leben geru-fen wurde. »Es gibt einen großen

Bedarf an niedrigschwelligen Ange-boten zum Thema Borderline, fürBetroffene, aber auch für Angehöri-ge«, erklärt Kneist. Sie hatte denWiesbadener Trialog besucht undwar so begeistert von der Idee, dasssie dieses Angebot kurzerhand nachFrankfurt am Main importierte.

Die ursprüngliche Trialog-Idee ent-stand Ende der 1980er Jahre miteinem Psychoseseminar an der Uni-klinik Hamburg. Hier tauschten sichdamals zum ersten Mal Betroffene,Angehörige und Helfer auf einergleichberechtigten Ebene über dieErkrankung und ihre Behandlungaus. Das Konzept hat sich seitdemim deutschsprachigen Raum verbrei-tet und wurde auch auf andereKrankheiten übertragen.

Die wichtigste Grundannahme imTrialog: Alle Teilnehmer sind gleich-berechtigt und können voneinanderlernen. »Wahrheit ist immer subjek-tiv«, hat Maxie Kneist in ihrer Arbeitgelernt. Und auch wenn es geradeam Anfang anders aussehen mag:»Jeder – Betroffener, Angehöriger,professioneller Helfer – tut immersein Bestes, um mit der Situationzurechtzukommen.«

In den monatlich stattfindendenGesprächsrunden im Markus-Kran-kenhaus ging es bisher um so unter-schiedliche Themen wie: »Der Alltagmit Borderline«, »Umgang mit hoherAnspannung« oder »Ressourcen undpositive Seiten der Erkrankung«. DerAustausch wird von allen Beteiligtenals hilfreich empfunden.

Kommunikation auf Augenhöhe, das ist die Idee des Borderline-Trialogs imMarkus-Krankenhaus in Frankfurt am Main. Zu diesem Zweck treffen sich

einmal im Monat Betroffene, Angehörige und professionelle Helfer zumAustausch über die Krankheit.

Von den Erfahrungen der anderen lernen

Der Borderline-Trialog im Frankfurter Markus-Krankenhaus

Von Maxie Kneist und Natalie Kiehl

Psychoseseminare sind Gesprächs-foren und Expertenrunden, derenKerngedanke eine gleichberechtigteVerständigung über Psychosen ist –letztlich mit dem Ziel, ein besseres,ganzheitliches Verständnis für Psy-chosen zu entwickeln und damitauch die Arbeit der Psychiatrie zuverändern. Experten sind im Sinnevon Psychoseseminaren die Men-schen, die selbst eine Psychoseerlebt haben, Psychose-Erfahrene;ihre Angehörigen, die eine Psychose

in der Regel aus nächster Nähe mit-erlebt haben; sowie Professionelle,die beruflich in der Psychiatrie mitMenschen mit Psychosen arbeiten.In Psychoseseminaren können dieseunterschiedlichen Sichtweisen undErfahrungen zur Sprache kommenund gleichberechtigt nebeneinan-der stehen. Dieser »Trialog« genann-te Erfahrungsaustausch soll vongegenseitigem Respekt geprägtsein. Die Teilnehmer erhaltendadurch neue Einblicke in das Erle-

ben anderer und lernen somit mehrüber das Phänomen Psychose. InDeutschland, Österreich und derSchweiz gibt es inzwischen überhundert derartige Seminare. Siesind organisatorisch autonom, sodass es eine große Vielfalt gibt, wasdie Art der Moderation, die internenRegeln, die Teilnehmerzahl, Zusam-mensetzung, oder den Ort desSeminars betrifft.

Quelle: www.wikipedia.org

Was versteht man eigentlich unter einem »Trialog«?

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Denn viele Verhaltensweisen vonBorderline-Erkrankten sind vonNicht-Betroffenen ohne Vorwissennicht nachvollziehbar und erschei-nen dramatisch, unangemessen oderdestruktiv. Ein Teufelskreis, denndurch das negative Feedback fühlensich Betroffene häufig unverstandenund abgelehnt. Ihr Verhalten kanndadurch weiter eskalieren. Für alleBeteiligten kann so das Bild entste-hen, der Betroffene sei an einer Bes-serung nicht interessiert.

Durch den gleichberechtigten Aus-tausch im Trialog haben alle Seiten

Magazin

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Natalie Kiehl ist freie Journalistin.Dr. Maxie Kneist ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie in der Psychiatrischen Institutsambulanz am Agaplesion Markus Kranken-haus; sie vermittelt gerne weitere Informationen zum Borderline-Trialogs im Markus-Krankenhaus ([email protected]).

Gruppenregeln-Jeder übernimmt die Verantwortung für sich selbst !- Jeder achtet auf seine eigenen Grenzen!- Alles was in der Gruppe besprochen wird, bleibt

in der Gruppe !- Gruppenmitglieder respektieren einander

“keine Beleidigungen, Diskriminierungen...“Ausreden lassen !

- Kritik wird konstruktiv, wohlwollend und hilfreich geäußert !

- Jeder versucht zu beschreiben und nicht zu bewerten- Jeder versucht bei der “Ich-Form“ zu bleiben !

Jeder darf eingreifen

“TIME OUT “

Der Trialog ermöglichtwechselseitige Lernprozessezum Nutzen aller Beteilig-ten. Um Vertrauen undOffenheit herzustellen, sindfür die Gruppengesprächeeinige Regeln hilfreich.

die Möglichkeit, die Positionen deranderen besser verstehen zu lernen.Betroffene und Angehörige könnenhilfreiche Strategien zum Umgangmit der Krankheit austauschen,während Profis ein stückweit hinterdie Kulissen des Alltags mit Borderli-ne schauen können.

So können mehr Verständnis undBereitschaft zur Meisterung desgemeinsamen Alltags bei allen Teil-nehmern entstehen. InitiatorinMaxie Kneist wünscht sich für dieZukunft des Trialogs: »Dass wir nochmehr Therapeuten, Sozialarbeiter

und Pflegepersonal für den Trialoggewinnen können und der Aus-tausch so noch intensiver wird.«

Der Borderline-Trialog findet anjedem zweiten Dienstag im Monatvon 18 Uhr bis 19.30 Uhr in derTagesklinik der Klinik für Psychia-trie, Psychotherapie und Psychoso-matik des Markus-Krankenhausesstatt. Interessierte Betroffene, Ange-hörige und Helfer sind herzlich ein-geladen!

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Thema

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Die Profis können irgendwann nach Hause gehen; die Angehörigenpsychisch kranker Menschen aber sind immer im Dienst. Ein Zusam-

menschluss in Frankfurt am Main bietet gegenseitige Unterstützungan und hilft auch anderen mit Beratung und Information.

Am Rande der Belastbarkeit

Angehörige psychisch kranker Menschen organisieren sich und bieten Hilfe an

Die »Arbeitsgemeinschaft der Angehörigen psychischkranker Menschen in Frankfurt e. V.« besteht seit 1988. Indiesem Zusammenhang ist vor allem unsere langjährigeehemalige Vorstandsvorsitzende Edelgard Nolting zunennen, die 2011 für ihre Arbeit mit der Verdienstmedail-le des Bundesverdienstkreuzes ausgezeichnet wurde.Edelgard Nolting hat sich mehr als zwei Jahrzehnte langehrenamtlich für psychisch kranke Menschen und derenAngehörige eingesetzt.

Der Verein engagierte sich von Anfang an in der Frank-furter Psychiatrielandschaft durch regelmäßige Beiträgezur Psychiatriewoche, Teilnahme an den Selbsthilfetagenim Frankfurter Römer und durch die Teilnahme an derFachgruppe Psychiatrie. So waren wir immer informiertüber neue Entwicklungen in der Stadt und konntenunsere Wünsche und Forderungen formulieren. DurchÖffentlichkeitsarbeit konnten wir zu einem besserenVerständnis für psychische Krankheiten beitragen.

Dabei war es immer unser gemeinsamer Nenner, dasseine Verbesserung der Versorgung psychisch krankerMenschen auch eine Verbesserung der Situation derAngehörigen bedeutet. In Frankfurt am Main sind in denletzten zwanzig, dreißig Jahren eine ganze Reihe vonambulanten Betreuungsangeboten (Tageskliniken, Bera-tungsstellen, Arbeitsangeboten, Wohnheimen etc.) ent-standen. Die bekannteste davon dürfte die Tagesklinikund Ambulanz »Bamberger Hof« sein. Auch für derenErhaltung hat sich unsere damalige Vorsitzende EdelgardNolting vehement eingesetzt.

Ein Hauptanliegen des Vereins war und ist die Beratungund Information für Angehörige psychisch kranker Men-schen. Wenn ein Familienmitglied eine psychischeErkrankung trifft, gerät nicht nur für die Kranken, son-dern auch für dessen Angehörigen das Leben aus denFugen: »Es fühlt sich an, als würde einem der Bodenunter den Füßen weggezogen« (Zitat einer Angehöri-gen). Der Betroffene ist mit »vernünftigen Argumenten«

nicht mehr zu erreichen. Obwohl es ihm offensichtlichgar nicht gut geht, er von massiven Ängsten geplagt ist,sich sonderbar verhält, Stimmen hört, depressiv ist, nichtmehr das Haus verlässt, meint er oftmals, er sei nichtkrank und lehnt es deshalb ab, sich in ärztliche Behand-lung zu begeben. In dieser Situation fühlt man sich alsAngehöriger ohnmächtig, hilflos, steht große Ängste umsein Familienmitglied aus, beispielsweise dass er oder siesich in Gefahr bringen, seinen Arbeitsplatz oder gar sei-ne Wohnung verlieren könnte.

Dies ist dann sehr oft der Punkt, an dem Angehörige sichan unseren Verein um Beratung wenden. Diese erfolgtzum einen im Rahmen unserer monatlichen offenenTreffen (jeden letzten Freitag im Monat von 18.00 bis20.00 Uhr), in der Ratsuchenden die Möglichkeit gege-ben wird, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Zusätzlichbieten wir eine wöchentliche Telefonberatung (freitagsvon 17.00 bis 19.00 Uhr) an, in der Angehörige (auch ano-nym) mit einem erfahrenen Mitglied unseres Vereinsreden können. Auf Wunsch bieten wir, nach vorherigerAbsprache, auch Einzelgespräche an.

Des Weiteren laden wir mehrmals im Jahr Referentenaus Einrichtungen der Psychiatrie für Vorträge ein, inderen Rahmen auch die Angehörigen ihre Fragen undAnliegen an die Professionellen weitergeben können.

Zu den regelmäßigen offenen Treffen kamen vonAnfang an Menschen, die am Rande ihrer Belastbarkeitstanden oder auch bereits selbst in ihrer Gesundheitbeeinträchtigt waren oder noch sind. Es geht hierzunächst einmal darum, einander zuzuhören, mitzufüh-len. Viele fühlen sich hier zum ersten Mal verstanden,können erzählen, was ihnen im Bekannten- und Ver-wandtschaftskreis so (sei es aus Scham, sei es, weileinem Unverständnis entgegengebracht wird) nichtmöglich ist. Durch den Austausch mit anderen Angehöri-gen können so eventuell Wege aus der schwierigenLebenssituation gefunden werden. Weiterhin geht es

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auch um den Austausch von Informationen: Wie geht esweiter, wenn der Betroffene aus der Klinik entlassenwird? Er bekommt zu viele Medikamente, ist völliglethargisch, hat keine Tagesstruktur, vereinsamt, lässtdie Wohnung verwahrlosen. Wird er seinen alten Berufweiter ausüben können, vermag er seine Ausbildungoder sein Studium fortzuführen, wie sehen die Zukunfts-perspektiven aus? Gibt es Reha-Möglichkeiten? Wie fin-det man einen geeigneten Therapeuten, Psychiater,Rechtsanwalt? Wie organisiert man eine Betreuung? Wiekommt man an einen Platz in einem Wohnheim odereiner betreuten Wohngemeinschaft?

Hierzu haben wir im Laufe der Jahre eine lange Liste vonwichtigen Adressen, Anlaufstellen, Beratungsstellen,Gruppen, Kliniken, Einrichtungen etc. zusammengetra-gen, die auch immer wieder aktualisiert und erweitertwird. Weiterhin haben wir diverse Informationsbroschü-ren und Literatur.

Bei den vielen Gesprächen mit Angehörigen, in denenFragen über die gesamte Bandbreite psychischer Erkran-kungen und der damit verbundenen Probleme gestelltwerden, wiederholt sich immer wieder eine Grundsitua-tion: »Ein Mitglied unserer Familie ist psychisch krank,

aber sie oder er will sich nicht behandeln lassen.« DieEltern, Kinder, Geschwister, Partner, Freunde sind oftsehr verzweifelt darüber. Sie möchten dem Erkranktenhelfen, aber dieser will sich nicht so ohne weiteres hel-fen lassen.

Natürlich spielen dabei – berechtigterweise – auch ganzreale Ängste der Kranken vor einer Einweisung in diePsychiatrie und die nicht absehbaren Folgen davon eineRolle. Nur leider gibt es hier in Deutschland – im Gegen-satz zu den angelsächsischen und skandinavischen Län-dern, in denen das »Home-treatement« verbreitet ist –bis auf wenige Modellprojekte wenig Alternativen. Psy-chische Krankheiten, vor allem schwere Krankheiten wiePsychosen, gehen in der Regel nicht von alleine, wie eineGrippe, wieder zurück. Im Gegenteil, meistens nehmendie Symptome ohne Behandlung vehement zu.

Lebt man mit einer psychisch kranken Person zusam-men, können die Angehörigen nicht – wie das Pflegeper-sonal oder die Ärzte – irgendwann einmal nach Hausegehen und wieder Luft holen. Die Belastung, Angst, Sor-ge um einen von einer psychischen Erkrankung betroffe-nen vertrauten Menschen, Streit, unberechenbare Hand-lungen, aber auch totaler Rückzug, permanente Ausei-

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nandersetzungen …. gehen rund um die Uhr. Es kommtauf beiden Seiten sehr schnell zur Erschöpfung. Das Ver-trauen und Mitgefühl schwindet. Stattdessen kann Rück-zug und Aggression an die Stelle treten. Im schlimmstenFall kann es zu Grenzsituationen wie Suizid und Gewaltkommen.

Und genau in dieser Situation kommen Angehörige zuuns und fragen: »Was sollen wir tun? Wir halten es nichtmehr aus mit unserem kranken Sohn, unserer Tochter,einem Elternteil, einem Partner oder mit Geschwistern,aber diese verweigern die Annahme von Hilfe oderbricht die Behandlung immer wieder ab.«

Unsere Antwort darauf ist immer wieder sehr ernüch-ternd: »Sie können erst mal so gut wie gar nichts tun, umden betroffenen Menschen gegen seinen Willen einerBehandlung zuzuführen. Die Voraussetzungen dafür sindsehr hoch. Es muss eine Fremd- oder Eigengefährdungvorliegen und ein richterlicher Beschluss.« Also kannman in vielen Fällen nur versuchen, denjenigen davonzu überzeugen, dass eine Behandlung (stationär oderambulant) hilfreich für ihn ist, was jedoch oft sehrschwierig ist.

Daher haben wir als Verein eine konkrete Forderung, diesich als Ergebnis von vielen Gesprächen mit Angehöri-gen herauskristallisiert hat: die Schaffung eines psychi-atrischen Notdienstes, der rund um die Uhr erreichbarist. So wie es einen ärztlichen Notdienst gibt (mit einerfesten Notrufnummer), der bei akuten Situationen wieHerzinfarkt oder Schlaganfall zu den Betroffenen nachHause kommt, so sollte es auch einen psychiatrischenNotdienst geben, der in Krisensituationen bei Bedarfauch Hausbesuche macht. Psychische Krisen ereignensich selten montags bis freitags von 8.00 bis 17.00 Uhr,sie passieren oft nachts und am Wochenende. Und wennes dann wirklich »brennt«, bleibt den Angehörigen oftnur die Möglichkeit, die Polizei zu rufen. Mit dem Ergeb-nis, dass die Situation meistens noch mehr eskaliert.Selbst wenn der Betroffene dann zwangsweise in die Kli-nik eingewiesen wird, ist das Vertrauen auf längere Zeitgestört. Besser wären in diesen Fällen professionelle Hel-fer, die Erfahrung mit psychisch Kranken und in Krisen-begleitung haben und eine Eskalation verhindern kön-nen. Ansätze hierzu existieren bereits in manchen Städ-ten in Bayern. Eine Einrichtung eines solchen, auch auf-suchenden, 24-Stunden-Krisendienstes ist aus unsererSicht auch in Frankfurt am Main absolut notwendig undkönnte Betroffenen und Angehörigen effektiv helfen.

Was aber ist, wenn der Kranke erstmals krisenbedingt ineine Klinik aufgenommen wurde? Hier muss leidergesagt werden, dass trotz Psychiatrie-Enquete und Psy-chiatriereform der erste Kontakt mit der Psychiatrie fürdie Angehörigen (und für die Betroffenen!) immer noch

in vielen Fällen ein Schock ist. Zitat einer Angehörigen:»Dieses (die geschlossene Abteilung einer psychiatri-schen Klinik) gesehen zu haben, war wie ein Schock. DieLeute werden mit Medikamenten ›abgeschossen‹. Manwird nicht aufgefangen und bekommt Zuwendung. Mankommt vom Regen in die Traufe.«

Auf die massiven Nebenwirkungen der Medikamenteund die Veränderungen, die sie an Körper und Psycheausüben, ist man nicht vorbereitet – und wird auch nichtaufgeklärt. Dies zu sehen, kann für Angehörige oft sehrschmerzhaft und mit großer Trauer und Schuldgefühlenverbunden sein, gerade wenn sie die Einweisung in eineKlinik selbst veranlasst haben. In dieser Phase haben die

Was wir wollen

Die »Arbeitsgemeinschaft der Angehörigen psychischkranker Menschen in Frankfurt e. V.« hat aufgrund derBetroffenheit ihrer Mitglieder und aufgrund ihrerBeratungstätigkeit einige konkrete Forderung zu derSituation in Frankfurt am Main:

■ Schaffung eines Psychiatrischen 24-Stunden Notfall-Krisendienstes

■ Angehörigen-Visiten/-Sprechstunden in Kliniken undden PIAs

■ Aktive Einbeziehung der Angehörigen als Teil derBehandlung (auch trialogisch) während des Klinikauf-enthaltes und danach

■ Bewusstere (schonendere) medikamentöse Behand-lung (so wenig wie möglich, so viel wie nötig), dafür soviel Gespräche, Zuwendung, Ruhe wie möglich (inAnlehnung an das Soteria-Modell aus der Schweiz)

■ Nach der stationären Behandlung: Vermittlung anambulante Hilfen, zu denen schon während des Klinik-aufenthalts Kontakt geknüpft bzw. vermittelt wurde

■ Vermittlung von Psychotherapeuten, die in der The-rapie von schweren psychischen Erkrankungen erfah-ren sind

■ Reha-Maßnahme als Standard im Anschluss an dieErsterkrankung (wie bei schweren körperlichen Erkran-kungen auch)

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Angehörigen viele Fragen: Sie wünschen sich Aufklä-rung über die Krankheit, die Medikamente, den Verlauf,eine eventuelle Prognose. Sie haben Fragen, wie sie sichverhalten sollen und darüber, wie es nach dem Klinik-aufenthalt weitergehen könnte. Oder sie möchten dembehandelnden Personal Informationen über den Patien-ten (z. B. über die Biographie) geben, die vielleicht wich-tig für die Behandlung wären.

Leider wird uns jedoch immer wieder berichtet, dass dieAngehörigen hier zu wenig bis gar nicht einbezogenwerden. Sie fühlen sich oft mit ihren Anliegen alleinge-lassen, abgewiesen, werden als störend empfunden, dadie Ärzte sich auf ihre Schweigepflicht berufen. Eskommt auch vor, dass sie erst kurz vorher von dem Ent-lassungstermin des Betroffenen erfahren und sich nichtgenügend darauf vorbereiten können, sich in manchenFällen durch die Vorerfahrungen auch nicht mehr vor-stellen können, mit dem Kranken weiterhin zusammenzu leben. Hier müsste dann gemeinsam nach einerLösung gesucht werden. Manchmal bleiben dann leiderauch viel Trauer und Wut zurück in dem Wissen, wasversäumt wurde, und wo Weichen in eine ungute Rich-tung gestellt wurden.

Da die Angehörigen einen wichtigen Pfeiler der langfris-tigen sozialen Unterstützung für die Patienten darstel-len, sollten sie auf jeden Fall in die Behandlung mit ein-bezogen werden. Daher ist eine weitere Forderung unse-res Vereins die nach Angehörigen-Sprechstunden oderAngehörigen-Visiten in den Kliniken. Weiterhin wün-schen wir uns geleitete Gruppen für Angehörige als fes-tes Angebot in jeder Klinik (erfreulicherweise werdendiese mittlerweile an den meisten Frankfurter Klinikenin unterschiedlichem Rahmen angeboten).

Die Entlassung aus der Klinik stellt meist einen Bruch,eine Lücke in der Behandlung dar. Die entlassenenPatienten haben große Aufgaben zu bewältigen – dieAuseinandersetzung und Aufarbeitung ihrer Krankheit,die Nebenwirkungen der Medikamente, Auswirkungender Krankheit selbst, die Frage, wie es beruflich oder mitder Ausbildung weitergeht, die Wohnsituation, Stigmati-sierung, Ausgrenzung, Einsamkeit …. Hier sind die Ange-hörigen oft die Hauptunterstützer – und stoßen hierauch oft an ihre Grenzen. Soziotherapie oder psychiatri-sche Pflege zu Hause, die psychisch kranken Menscheneigentlich als Kassenleistung zustehen sollten, findenkaum statt, ist selbst vielen Ärzten anscheinend nichtbekannt. Die Patienten selbst sind krankheitsbedingt oftnicht in der Lage, sich aktiv um beispielsweise eine Psy-chotherapie zu kümmern. So bleiben viele Patientennach der Entlassung aus der Klinik bis auf die kurzenBesuche beim Psychiater zur Verschreibung der Medika-mente sich selbst überlassen bzw. auf die Unterstützungihrer Angehörigen angewiesen.

Daher ist ein wichtiges weiteres Ziel unseres Vereins dieVerbesserung der Behandlung der psychisch krankenMenschen und damit einhergehend die Situation ihrerAngehörigen. Hier ist eine Verbesserung der finanziellenund personellen Ressourcen unabdingbar. Auch hierzuversuchen wir immer wieder in der Öffentlichkeit, aufVeranstaltungen, durch Vorträge und die Mitarbeit inGremien unsere Anliegen anzubringen.

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Was wir tun

Die »Arbeitsgemeinschaft der Angehörigen psychischkranker Menschen in Frankfurt e. V.« bietet eine offeneGruppe an:

Termin: jeden letzten Freitag im Monat von 18.00 bis20.00 Uhr statt. Eine Anmeldung ist nicht nötig.

Ort: Ostbahnhofstraße 13–15 (6. Stock)60314 Frankfurt am Main

Anregungen und eine Mitarbeit im Verein sindjederzeit willkommen.

Arbeitsgemeinschaft der Angehörigen psychisch kranker Menschen in Frankfurt e. V.Ostbahnhofstraße 13-1560314 Frankfurt am MainTelefon 069 [email protected]

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Den ersten Kontakt mit der Psychiatrie hatte meineFamilie im Oktober 1982, als unser Sohn mit 16 Jahren aneiner Psychose erkrankte und in die Kinder- und Jugend-psychiatrie Rheinhöhe eingeliefert wurde. Wir hattenkeine Ahnung von psychischen Erkrankungen und fühl-ten uns hilflos und alleingelassen.

Zu dieser Zeit war es Lehrmeinung, dass die Familie, ganzbesonders die Mütter, Schuld sind an dieser Erkrankung.Das wurde zwar nie direkt ausgesprochen, aber dieSchuldzuweisungen waren offenkundig. Das hindertejedoch niemand daran, den Kranken wieder in seine –schuldige, nicht kompetente, überversorgende oder wasauch immer – Familie zu entlassen.

Im Jahre 1985 kam unser Sohn nach einem weiteren Kli-nikaufenthalt nach Frankfurt am Main zurück. Jetzt warer volljährig und fand tagsüber Aufnahme im Philipp-Neri-Institut der Frankfurter Werkgemeinschaft. Dortgab es einen Gesprächskreis für die Angehörigen psy-chisch kranker Menschen. Auch Pfarrer Bickel und FrauMathé von der evangelischen Kirche boten einenGesprächskreis an. Endlich konnten wir über die Krank-heit mit Menschen sprechen, die dieselben Sorgen, Ängs-te und Nöte hatten wie wir. Was für eine Erleichterungdas war!

Mehrmals lud die Frankfurter Werkgemeinschaft dieAngehörigen zu einem Wochenende in den Rheingauein. Vorträge, Spaziergänge, Weinproben, Gottesdiensteund viele Gespräche halfen uns, aus unserem schwieri-gen Alltag auszubrechen. Wir lernten uns immer besserkennen und beschlossen, aktiv zu werden.

Mit Hilfe von Felix Krämer von der Frankfurter Werkge-meinschaft gründeten wir am 5. Oktober 1988 einen Ver-ein: »Arbeitsgemeinschaft der Angehörigen, Freunde

und Förderer psychisch kranker Menschen in Frankfurtam Main e. V.« Bis zum Jahresende war der Verein einge-tragen, wir erhielten eine Spende über 1.000 DM undkonnten im Selbsthilfegruppenzentrum in der Uhland-straße 50 im Frankfurter Ostend einen Büroraum mie-ten. Wir ließen Briefbogen und unseren Flyer »Rat undHilfe für Angehörige psychischer kranker Menschen«drucken.

Dann ging die Arbeit los. Wir verschafften uns einenÜberblick über die Einrichtungen in Frankfurt am Main,stellten uns vor, sprachen über unsere Ziele. Jeden Frei-tagabend boten wir eine zweistündige Telefonberatungan, am letzten Freitagabend im Monat konnte jeder Inte-ressierte zu unseren Treffen kommen. So hörten wir, woes Probleme gab - und die wollten wir angehen.

Bald war klar, dass wir einen Krisendienst für psychischkranke Menschen brauchen, der außerhalb der Bürozei-ten zu erreichen war, da sich Krisen besonders abends,an Wochenenden oder Feiertagen zuspitzen. Eine Dru-ckerei half uns bei der Gestaltung des gelben Plakates,das wir in der ganzen Stadt verteilten. Einige FrankfurterZeitungen unterstützten uns bei unserer Forderung.Aber es war ein langer Weg, bis Frau Nimsch als Gesund-heitsdezernentin bei einer Veranstaltung im BambergerHof 1992 die Mitteilung machen konnte, dass ein Krisen-dienst eingerichtet wird.

Damals gab es die sogenannten Komm-Strukturen. DieBeratungsstellen erwarteten, dass psychisch Kranke zuihnen kamen. Als Angehörige wussten wir, wie schwie-rig, oft unmöglich das war.

Für Jugendliche gab es in Frankfurt am Main keine Reha-bilitationsangebote. Für junge, in der Entwicklungbefindliche Menschen bedeutete das nach dem Klinik-

Wer die Entwicklung der Angehörigen-Selbsthilfe nachzeichnet, macht sichauf eine Zeitreise durch die Geschichte der Psychiatrie, wie die

Erinnerungen einer Zeitzeugin belegen.

»Am wichtigsten sind nach wie vor die Gesprächemit Angehörigen«

Vieles hat sich in den letzten Jahrzehnten zum Besseren verändert

Von Edelgard Nolting

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aufenthalt wieder eine Trennung von Familie undFreunden.

Die Behandlung psychisch Kranker erfolgte nur teilweisevor Ort. Auch die Kliniken in Weilmünster und Hadamarwaren für die Versorgung Frankfurter Patienten zustän-dig. Da wurden Besuche zu einem Problem. Wer auföffentliche Verkehrsmittel angewiesen war und viel-leicht noch auf den behandelnden Arzt warten musste,dem konnte es passieren, dass er nicht mehr am selbenTag nach Hause kam. Wenn Gemeindepsychiatrie keinSchlagwort bleiben sollte, musste sich einiges ändern.

Ein ausgezeichnetes Forum war die Fachgruppe Psychia-trie. Dort trafen sich Mitarbeiter aus allen Bereichen derPsychiatrie, von den Kliniken bis zu den Werkstätten.Hier wurden viele Denkanstöße gegeben und hier erfuh-ren wir, was in der Frankfurter Psychiatrieszene geschah.Nach und nach konnten wir Angehörige auf Entschei-dungen Einfluss nehmen. Hier wurde auch die jährlichePsychiatriewoche geplant, die ein Frankfurter Marken-zeichen wurde. Seit 1989 beteiligen wir uns mit Informa-tionsständen, Vorträgen und Diskussionen an der Frank-furter Psychiatriewoche.

Im Laufe der Jahre hatten wir gute Kontakte zu den Ein-richtungen aufgebaut, und bei unseren Telefonsprech-stunden konnten wir viele Ratschläge und Adressen wei-tergeben.

Vieles hat sich positiv verändert. Die Zusammenarbeitzwischen Sozial- und Gesundheitsdezernat wurde aufneue Füße gestellt. Das Markus-Krankenhaus bekameine Psychiatrie. Mit dem Krisentelefon bei der Bürger-hilfe Sozialpsychiatrie Frankfurt am Main e. V. gab esendlich Ansprechpartner außerhalb der Bürozeiten. DieKlinik Hohe Mark übernahm die Versorgung für denFrankfurter Osten. Die Kliniken konnten ihr Angebot umeine Tagesklinik und eine Institutsambulanz erweitern.

Langsam veränderten sich die Komm-Strukturen. Betreu-tes Wohnen wurde angeboten. Es gab Psychose-Semina-re. Der medizinische Dienst der Krankenkassen verän-derte seine Beurteilungen zugunsten der besonderenProbleme psychisch Kranker. Patienten aus den forensi-schen Kliniken wurden mit hoher Professionalität wie-der in Frankfurt am Main integriert. Es gab Hilfen fürKinder psychisch kranker Eltern. Die Elisabeth-Straßen-ambulanz nahm ihre Arbeit auf; seit Jahren betreuen

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Ein Foto aus der Anfangszeit der Arbeitsgemeinschaft der Angehörigen, Freunde und Förderer psychisch krankerMenschen in Frankfurt am Main e. V. im Jahre 1991 mit der langjährigen Vorsitzenden Edelgard Nolting (links).

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mit unseren Angehörigen. Viele waren an der Grenzeihrer Belastbarkeit. Der Begriff »schizophrenogene Mut-ter« war für viele eine unvorstellbare Belastung. Auchdie These, dass die Familienstruktur Schuld ist an derErkrankung, ist durch nichts zu rechtfertigen. Man solltesie eher umkehren und sagen, dass eine Familienstruk-tur durch die Erkrankung zerstört wird.

Wir sahen und sehen es als unsere wichtigste Aufgabean, die Familien, besonders aber die Mütter, zu unterstüt-zen. Die Belastungen durch die Krankheit, die Schuldzu-weisungen, die Vorwürfe aus dem Familien- und Freun-deskreis, die eigene Hilflosigkeit sind gewaltig. »Krank-heit ist Schicksal, nicht Schuld.« Dieser Satz von Evama-ria Cordes hat uns Mut gemacht. Frau Cordes arbeitetedamals am Philipp-Neri-Institut der Frankfurter Werkge-meinschaft und war uns eine gute Ratgeberin. Auch ihrBuch »Im Zweifelsfall einfach ein Mensch« war fürAngehörige wie für Therapeuten eine große Hilfe.

Immer wieder konnten wir feststellen, wie wichtig eineSelbsthilfegruppe ist. Wir haben gelernt, offen über dieErkrankung zu sprechen und sie damit aus der Tabuzonezu holen. Wir haben gelernt, die eigenen Grenzen zuerkennen und dass Liebe und Abgrenzung kein Wider-spruch ist.

Im Jahre 2009 übernahm Wolfgang Zimmermann dieLeitung der Arbeitsgemeinschaft. Im Januar 2015 konntedie Arbeitsgemeinschaft dann in die Räume der Frank-furter Werkgemeinschaft im Frankfurter Ostend um -ziehen.

nun Frau Dr. Goetzens und ihr Team auch obdachlose,psychisch kranke Menschen. Mit dem Haus Buchenrodegab es endlich eine Reha-Einrichtung für Jugendlicheund junge Erwachsene. Die Arbeitsmöglichkeiten in denWerkstätten verbesserten sich.

In den 1990er Jahren gab es die ersten Anzeichen für dieSchließung der Klinik Bamberger Hof in Niederrad. AlsGrund wurde die zu hohe Zahl von Krankenhausbettenangeführt. Für uns Angehörige war eine Schließung desBamberger Hofes nicht nachvollziehbar. Der Bamberger Hof – untergebracht in einem ehemaligen Hotel mit die-sem Namen – war in den Augen unserer Angehörigenkeine »richtige« Klinik. Da waren keine großen Hürdenzu überwinden, in den Bamberger Hof mit seinem Bil-lardtisch im Foyer ging man einfach. Diese Klinik mitihrem hervorragenden Konzept und hochmotiviertemTeam, mit der Tages- und Nachtklinik sowie der Ambu-lanz musste auf jeden Fall erhalten bleiben. Jahrelanglang schrieben wir Protestbriefe an das Ministerium inWiesbaden, die Krankenkassen, den Landeswohlfahrts-verband Hessen und andere involvierte Stellen, nahmenTeil an Demonstrationen und hatten Kontakte zu Presseund Rundfunk. Für den Leiter der Klinik Artur Diethelmund sein Team war die jahrelange Ungewissheit eineunvorstellbare Belastung.

Im Jahre 2003 kam dann die erlösende Nachricht: DerBamberger Hof bleibt erhalten und wird eine »Klinikohne Betten«. Neben der Tagesklinik und der Ambulanzübernimmt sie die »Aufsuchende psychiatrische Akutbe-handlung zu Hause«.

Aufsuchende Hilfe, die neben medizinischen auch psy-chosoziale Probleme angeht, ist ein Meilenstein in derGemeindepsychiatrie. Viele Klinikeinweisungen konntenso vermieden werden. Mit diesem Projekt wurde derBamberger Hof richtungsweisend für die Bundesrepu-blik. Aufsuchende Hilfe ist nicht nur kostengünstiger, sieist auch menschlicher. Die Therapeuten lernen dasUmfeld ihrer Patienten kennen. Und in der eigenenUmgebung ist der Kranke nicht nur Patient. Wenn er denMitarbeitern vom Team eine Tasse Kaffee anbietet, ist erGastgeber. Das schafft ein ganz anderes Selbstwertge-fühl.

Wir konnten einiges in Frankfurt am Main verändern.Aber am wichtigsten waren uns immer die Gespräche

Der Profi-Etikett ›schizophre-

nogene Eltern‹ ist für viele Angehö-

rige eine unvorstellbare Belastung»

«

Edelgard Nolting war von 1988 bis 2009 Vorsitzende der Arbeitsgemein-schaft der Angehörigen, Freunde und Förderer psychischkranker Menschen in Frankfurt am Main e. V.www.angehoerige-frankfurt.de

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Die Arbeit im Darmstädter Angehörigen-Verein hat vie-le verschiedene Aspekte. Das Kernstück der Selbsthilfesind die Gruppenabende. Angehörige kommen mit derHoffnung auf schnelle sachliche Hilfe im psychiatri-schen Dschungel, Aufklärung über Krankheitsbilder undMedikamente, Unterstützung für ihre eigene Situation,tragfähige Handlungsmuster für den Alltag und vielesmehr.

Durch einen oft regen Erfahrungsaustausch setzen sichLernprozesse in Gang. Man reflektiert über die eigeneLebenssituation sowie über die seines Angehörigen, lerntdie Realität anzuerkennen, die Erkrankung des Familien-mitglieds zu akzeptieren und die bisherigen Normen,Werte und Ambitionen zu relativieren. Dadurch könnensich neue Handlungsspielräume und Aussöhnungshal-tungen mit den Schwierigkeiten ergeben, die aus derErkrankung des nahestehenden Menschen erwachsen.Egal, ob es sich um die Beziehungen Eltern-Kind, Kind-Eltern, Geschwister oder Partner handelt, immer ist esvon besonderer Wichtigkeit, dass der oder die Kranke alsgleichberechtigt gesehen wird, was oft nicht einfach ist.

In der Darmstädter Angehörigengruppe gibt es nebenden regelmäßigen Gesprächen auch immer wieder Infor-mationsveranstaltungen – je nach Wunsch der Gruppe –wie beispielsweise einen Vortrag zum Thema »Nutzenund Grenzen der Psychotherapie« oder die Vorstellungdes Programms der Tagesklinik, der Arbeit eines Gene-sungsberaters und anderes mehr. Nahezu jedes Jahrorganisiert der Verein eine Tagung. So gab es Tagungenzur Problematik der Geschwister von Erkrankten, zurMedikation oder zu dem Krankheitsbild der Psychose.

Damit die Angehörigen auch »seelisch« auftanken kön-nen, veranstaltet der Verein jedes Jahr einen Sommer-

ausflug und eine Weihnachtsfeier, zu der auch dieBetroffenen eingeladen werden. Neben der direkten»psychologischen« Hilfe der Angehörigen untereinanderist Zielsetzung des Vereins die Verbesserung der psychi-atrischen Versorgungssituation. Es ist daher wichtig, alshilfreiche Instanz wahrgenommen zu werden. Die aktiveMitarbeit im psychosozialen Beirat ist eine wichtige Auf-gabe des Vereins.

Der psychosoziale Beirat arbeitet auf Grundlage des SGB XII mit der Zielsetzung, die gemeindepsychiatrischeVersorgung in der Stadt Darmstadt und im LandkreisDarmstadt-Dieburg zu fördern und zu entwickeln. ImPsychosozialen Beirat setzen sich alle am Prozess der Ver-

Neue Spielräume eröffnen und politisch wirken

Die Arbeit eines Angehörigen-Vereins hat viele Aspekte

Von Gisela Petersen

Eine Selbsthilfegruppe kann Angehörigen psychisch Kranker, die meist vieleSchwierigkeiten haben und vor lauter Sorgen um ihr krankes Familienmitgliedsich selbst vergessen, wertvolle Hilfe leisten, damit Eltern, Ehepaare oderGeschwister wieder zu einem eigenständigen Leben mit Zuversicht und Freudefinden, wie das Beispiel Darmstadt zeigt.

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sorgung Beteiligten zusammen: die Sozialdezernentenvon Stadt und Landkreis, Vertreter der entsprechendenSozialverwaltungen, des Gesundheitsamtes, der Koordi-nationsstelle, des Landeswohlfahrtsverbandes, der Klini-ken in Darmstadt und im Landkreis, der gemeindepsy-chiatrischen Versorgungseinrichtungen, der Werkstät-ten, der niedergelassenen Ärzte, der Betroffenen, derAngehörigen, des Kinderschutzbundes, der Krankenkas-sen. Der psychosoziale Beirat veranstaltet alle zwei Jahredie Tage der seelischen Gesundheit.

Der Verein der Angehörigen psychisch Kranker arbeitetmit im Vorstand des psychiatrischen Notdienstes. Diesertelefonische Beratungsdienst bietet professionelle Bera-tung in den Abendstunden von Freitag bis Sonntag an.Hierfür werden immer wieder Spenden gesammelt, umdie Beratungsstunden aufrecht erhalten zu können. Fallses Unannehmlichkeiten in der Betreuung psychischKranker gibt, hilft die unabhängige Beschwerde- undVermittlungsstelle. Diese wurde vom Angehörigen-Ver-ein initiiert und vom psychosozialen Beirat genehmigt,der auch für die Finanzierung sorgt. Neben dem Angehö-rigen-Verein sind Betroffene und Profis vertreten. DerVerein wirkt mit bei der Gestaltung und Durchführungdes Psychose-Seminars. Einer trialogischen Veranstal-tung, bei der Betroffene und Angehörige mit Unterstüt-zung von Professionellen an verschiedenen Themenarbeiten. Dazu gibt es im Frühjahr und im Herbst jeeinen Block mit sechs Veranstaltungen.

Letztlich geht es dem Verein der Angehörigen psychischKranker darum, Vertrauen zu gewinnen, eigene Erfah-rungen einzubringen, offen Defizite aufzuzeigen und beinotwendigen Änderungen mitzugestalten.

Ein weiterer Baustein ist die Arbeit in der Selbsthilfeor-ganisation. Bei dem jährlich stattfindenden Tag derSelbsthilfegruppen in Darmstadt ist der Verein miteinem Stand präsent und holt so die seelischen Erkran-kungen heraus aus der Zurückgezogenheit. SeelischeKrankheiten sollten wie alle anderen Krankheiten wahr-genommen werden und deshalb wird der Bevölkerungan diesem Tag ermöglicht, sich darüber zu informieren.Da psychische Krankheiten leider immer noch oft stig-matisiert werden, ist solche Antistigma Arbeit äußerstwichtig.

Der Verein der Angehörigen psychisch Kranker ist alsonicht nur für die Angehörigen psychologisch wichtig,sondern auch ein »politisches« Forum, um mitzuhelfen,dass sich im psychiatrischen »Betrieb« weiter Verände-rungen zum Guten ergeben. Dieser politische Anspruchwird durch die Mitarbeit im Landesverband und im Bun-desverband umgesetzt. Aktuell stehen dabei die Diskus-sionen um das Psychisch-Kranken-Gesetz in Hessen imFokus.

WillkommenGesprächsrunden der Ortsgruppe Darmstadtder Angehörigen psychisch Kranker e. V.:jeden zweiten Montag 17.30 bis 19.00 Uhr

Treffpunkt: Haus des Caritasverbands, Sturzstraße 964285 Darmstadt

Auch Nicht-Mitglieder sind sehr herzlich willkommen.

[email protected]

Gisela Petersen arbeitet in der Erwachsenenbildung. Sie ist seit Grün-dung des Psychiatrischen Notdienstes Darmstadt e. V.im Jahre 2002 in dessen Vorstand und seit 2004 Vorsit-zende des Vorstandes des Ortsverbandes der Angehöri-gen Psychisch Kranker Darmstadt e. V.

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»Das Allerschlimmste für einen psychisch Erkranktenist, dass man bei vollem Verstand kein Selbstwertgefühlmehr hat.« Das ist ein Zitat aus dem Landesverband derPsychiatrie-Erfahrenen. »Einmal verrückt – immer ver-rückt!« So erleben viele der Betroffenen ihren Alltag, siefühlen sich von Mitmenschen selten ernst genommen.

In Folge der Psychiatrie-Enquete wurden in den 1980erJahren viele psychiatrische Selbsthilfegruppen der Ange-hörigen und später auch der Betroffenen und aktiv. Fürdiese war es sinnvoll, sich in einem Landesverband zuorganisieren, der die politische Vertretung leistet. DiePsychiatrie-Reform zugunsten der Betroffenen hat davonwesentlich profitiert.

Prägend und unvergesslich ist es, einen geliebten Men-schen während einer monate- oder jahrelangen psychoti-schen, schwer depressiven oder manischen Phase beglei-tet zu haben – während vom Betroffenen in der Regeljedes medizinische Hilfsangebot mehr oder scharf abge-lehnt wird. Der Mensch in Psychose oder Manie erlebtsich als »über-gesund« und braucht keine Hilfe! Nichts istmehr wie gewohnt, die Eindrücke sind für alle Beteiligtenmassiv und familienerschütternd, sie wirken lange Jahrenach. Die Aufarbeitung ist auch für die Angehörigenanstrengend und gelingt selten ohne Hilfe von Selbsthil-fegruppen oder Profis.

Gut, dass es insbesondere die ehrenamtlich Selbsthilfe-gruppen der Angehörigen psychisch kranker Menschengibt. Hier erhält der Antworten suchende Angehörige Hil-fe: Orientierung! Die örtliche Selbsthilfegruppe reagiertaufnehmend und mitfühlend. Jeder Angehörige spürt es:Die kennen das! Die Leute haben Ahnung und kennenmeine Sorgen. Der Arzt muss sich ans Gesetz halten: DieAutonomie des Patienten ist zu achten. Ohne Einladungdurch den Patienten selbst darf der Arzt nichts machen.Konsequenz: Die Erkrankung schreitet über Monate und

Jahre unbehandelt fort und endet meist durch Meldungvon Fremd- oder Selbstgefährdung. Wieder ein überflüssi-ger psychiatrischer Notfall mit Klinikeinweisung undSirenengeheule und Nachbarn an den Fenstern! UnsereRechtslage ist an dieser Stelle widersprüchlich: DiePatienten-Autonomie wird über den Notfall gestellt, alswürde der Klient gezielt auf den Notfall hin arbeiten. Diegesamte Familie und deren Umfeld sind unglaublichherausfordert. Wir Angehörige sehen die Duldung dieserNotlage durch das Gesundheits- und Sozialsystem alsunterlassene Hilfeleistung an.

Was schmerzlich vermisst wird:

Krisenhilfen, an sieben Tagen in der Woche, 24 Stun-den je Tag. Deren Wirksamkeit ist vielfach belegt.

Abschaffung der Zwei-Klassen-Medizin: Eine medizini-sche Versorgung, die den Ansprüchen der somatischenMedizin entspricht.Ein Entlass-Management durch die Akut-Klinikeninnerhalb eines integrierten psychiatrischen Systems:z. B., dass dem Patienten bei Entlassung ausreichendMedikamente verordnet, aufsuchende Hilfen organi-siert und die Angehörigen informiert werden. SeitJahrzehnten fallen entlassene Patienten wegen diesesbisher lückenhaften Systems in ein Therapieloch.

Die Akut-Therapie des Erkrankten muss durch ver-pflichtende begleitende Gespräche mit Angehörigenergänzt werden. In Kliniken in Berlin und Nordrhein-Westfalen gibt es »Angehörigenvisiten« in Form vonregelmäßigen Terminen in zeitlicher Abstimmung mitden Angehörigen. Den Angehörigen bringen diegewonnenen Kenntnisse erhebliche Sicherheit imUmgang. Die Sicht der Ärzte und Pfleger ist naturge-mäß einseitig: Sie sehen nur den Patienten in seinerschweren Krise. Die Angehörigen tragen durch ihren

Viele Hoffnungen, kleine Schritte, unbeirrter Einsatz

Die Arbeit des Landesverbandes der Angehörigen psychisch Kranker

Von Manfred Desch

Die Entwicklung in der Psychiatrie darf nicht ohne die betroffenenFamilien oder gar gegen sie stattfinden. Diese Erkenntnis stand amAnfang des hessischen Landesverbands der Angehörigen, der bereits1988 in Offenbach gegründet wurde.

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Forum

Beitrag dazu bei, dass beispielsweise charakterlicheEigenheiten nicht als krankhaft eingeschätzt und the-rapiert werden. Informierte Angehörige wirken stabili-sierend und helfen, den Profis Dinge bewusst machen,die sie nicht wissen können.

Hilfe zur Wiedereingliederung ist eine wichtige Arbeitmit dem Klienten und hat auch positive Auswirkungauf dessen psychische Gesundheit. Eine Kostenbeteili-gung am Aufwand der Gemeindepsychiatrie und derWohnheime durch die Krankenkassen halten wir des-halb für erforderlich.

Langfristig begleitende Therapien zur Wiedererlan-gung der Autonomie, wie sie körperlich kranken Men-schen gewährt wird.

Psychisch beeinträchtigte Personen leben nach ihrenakuten Krisen oft in Heimen oder Wohngruppen. FürMenschen mit Vermögen oder Einkommen bedeutetdas, dass dieses Kapital für die erforderliche Betreu-ungsarbeit, Wohnen und Leben herangezogen wird.Eine Verarmung für den Betroffenen und Angehörigeist die Folge. Sollte nach Jahren eine Genesung eintre-ten, ist für einen Neustart kein Kapital mehr da.

Laut einer wissenschaftlichen Studie in Bayern aus demJahr 2014 sind dort über 70 Prozent der obdachlosen Men-schen psychisch krank. Diese Zahl lässt sich durchaus fürDeutschland hochrechnen. Die Mär vom Clochard, demLebenskünstler, ist eine Verbrämung und weit von derRealität entfernt. Diese romantische Phantasie lässt dieBevölkerung dulden, dass Menschen in Elend auf derStraße leben, bei Frost im Freien schlafen, kaum medizi-nische Leistungen in Anspruch nehmen und sehr frühzei-tig versterben. Dem Grundgesetz wird das nicht gerecht.

Die Hessische Landesregierung arbeitet intensiv daran,zügig ein hilfreicheres Psychisch-Kranken-Hilfegesetz zuentwickeln. Die bekannten Forderungen haben die Psy-chiatrie-Profis, die Betroffenen und Angehörigen auf denLippen und die Politik kennt sie auch schon lange genug.

Ziele und Formalien des Vereins

Der Landesverband Hessen der Angehörigen psychischKranker e. V. hat sich zur Herzensaufgabe gemacht, dieSituation der betroffenen Personen und deren Angehöri-gen möglichst mit ihnen zusammen zu verbessern. Esgibt trotz vieler durchgeführten Verbesserungen der ver-gangenen Jahrzehnte noch genug zu tun. So ist uns einrespektabler Umgang mit unseren psychisch beeinträch-tigten Angehörigen wichtig. Verbandsmitglieder über die

laufende Arbeit und Ziele zu informieren, geschieht zumTeil über die Website und im wesentlichen auf der Mit-gliederversammlung und zusätzlichen Angehörigen-Fachtagungen.

Begleitende Angehörige verzichten aus verschiedenenGründen auf Gespräche mit anderen betroffenen Famili-en. Der erhebliche Druck durch viele erschütternde Erleb-nisse kann durch vertraute Gespräche mit Gleich-Betrof-fenen innerhalb der Selbsthilfegruppen-Arbeit nach undnach gemildert werden. Neue Umgangsformen mit pro-blematischen Momenten können gehört und probiertwerden.

Unverzichtbar sind die von Kliniken eingerichteten unddie unabhängigen Selbsthilfegruppen. Diese werdenbesonders von Menschen in schwerer psychischer Kriseals neutraler Beratungsort für ihre Angehörigen wahrge-nommen und akzeptiert. Hilfe unter Gleich-Betroffenenist eine der wirksamsten Hilfen, die es gibt. Wer dieseerhalten hat, sollte motiviert sein, sie auch an nachfol-gende Familien in denselben Nöten weiterzugeben.

Der Landesverband der Angehörigen Hessen ist auch einAnsprechpartner für psychiatrische Einrichtungen. EinigeKliniken unterhalten oder planen offene Angehörigen-gruppen, von der besonders die Familienmitglieder derPatienten durch gewonnene Transparenz der Profi-Arbeitprofitieren sollen. Die freiwillige Angehörigen-Arbeit inHessen ist in der Politik anerkannt.

Lassen Sie mich zum Schluss persönlich werden: In eini-gen Gesprächen mit psychiatrieerfahrenen Menschenund betreuenden Profis entstand der Eindruck, dass sichdie Menschen mit seelischen Einschränkungen undAbhängigkeitserkrankungen mehr Anteilnahme durchihre Angehörigen und Freunde wünschen. Deshalb bitteich Sie als Familien und Freunde, die aus Scheu oder ausanderen Gründen den Kontakt mit ihren betroffenenFamilienmitgliedern vermeiden, diese Haltung zu über-denken. Verwechseln wir bitte niemals die geliebte Per-son mit krankheitsbedingten Ereignissen.

Manfred Desch ist Vorsitzender des Landes-verbandes der Angehörigen

psychisch Kranker Hessen e. V.www.angehoerige-hessen.de

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Bei vielen meiner öffentlichen Vorträge zum Thema»Psychiatrische Krankheiten« – insbesondere wenn es umdas Thema Stigmatisierung geht – mache ich eine Wettemit meinen Zuhörern: Wer absolut niemanden in der Ver-wandtschaft hat, der an einer psychischen Erkrankung lei-det, der bekommt von mir ein Lehrbuch der Psychiatriegeschenkt. Bislang musste ich den Buchhändler noch niebemühen. Bei der enormen Häufigkeit dieser Erkrankun-gen gibt es praktisch niemanden, der nicht Angehörigereines psychisch Kranken ist. Insofern richtet sich diesesHeft eigentlich an uns alle! Aber weder fühlen sich alleangesprochen, noch ist das vermutlich überhaupt inten-diert. Diese beiden Aspekte möchte ich im Folgendennäher beleuchten. Warum fühlen sich nicht alle angespro-chen, wenn von Angehörigen psychisch Kranker die Redeist? Zum einen ist die öffentliche Wahrnehmung psy-chischer Erkrankungen in der Öffentlichkeit sehr selektivund umfasst gerade einmal schizophrene Psychosen –zumal in ihren akuten Verlaufsbildern – und vielleichtnoch akute Manien. Das ist aber tatsächlich nur ein Teil(und noch nicht einmal der größte) der Krankheitsbilder,die wir in der Psychiatrie behandeln.

Die bei weitem größte Krankheitsgruppe in den psychi-atrischen Kliniken ist die der Stimmungserkrankungen,also der bipolaren Erkrankung und der Depression, undgerade letztere wird oft nicht richtig (oder überhaupt)diagnostiziert, so dass sie dann natürlich auch nicht alspsychiatrische Erkrankung wahrgenommen wird. Dazukommt die große Gruppe der Angststörungen, die über-wiegend im ambulanten Sektor behandelt werden und dieoft ebenfalls nicht als Krankheit im engeren Sinn wahrge-nommen werden. Noch schlimmer verhält es sich mit denSuchterkrankungen, insbesondere der Alkoholabhängig-keit (um die drei Millionen Patienten in Deutschland!), dieals Charakterfehler, Willensschwäche oder ähnliches inter-pretiert werden. Die demenziellen Erkrankungen schließ-lich werden gern der Neurologie zugeordnet oder aber alsFolgen normalen Alterns angesehen.

Wenn man nun bewusst gegen dieses Ausblenden steuertund mit irgendeinem beliebigen Frankfurter das ICD-10durchdeklinieren würde von den organischen Störungenbis zum ADHS, dann findet man mit Sicherheit auch denAngehörigen eines psychisch Kranken. Was übrigens auchfür cardiovaskuläre oder metabolische Erkrankungenzutreffen dürfte – es ist nur eben so, dass die psychischenErkrankungen hier in keiner Weise irgendwie besonderswären und dass jede Stigmatisierung geradezu albernwäre, wenn sie nicht so negative Folgen hätte.

Ist denn diese Nicht-Wahrnehmung denn schlimm? Ja, dasist sie. Denn nur wenn sich das Bewusstsein durchsetzt,dass psychische Erkrankungen alle angehen und allebetreffen, dann wird auch die Einsicht steigen, dass hierentsprechende Ressourcen bereitgestellt werden müssen.Das ist auch eine politische Botschaft, denn wenn plötzlichjedem bewusst wird, dass es sich in dieser Frage um einhöchst persönliches Problem handelt, dann wird das plötz-lich auch im Hinblick auf Wahlen ein potentielles Themaund damit relevant. Fragen Sie Ihren Wahlkreisabgeordne-ten, wie er sich für psychisch Kranke einsetzt! Denn damitsetzt er sich für Ihre Tante, Ihren Sohn oder Ihre Großmut-ter ein, und nicht für irgendwelche »Verrückten«, die mitdreihundert Katzen in einer Einzimmerwohnung hausen.

Tatsächlich aber droht seitens der Politik mit Einführungdes sogenannten PEPP-Vergütungssystem eine systemati-sche Unterversorgung mit erheblichem Abfall der Qualitätder stationären psychiatrischen Versorgung. Schon jetztwerden einem stationär-psychiatrischen Patienten nichteinmal vier Therapiestunden (mit Arzt und Psychologen)pro Woche zugesprochen, und das umfasst Visiten, Team-besprechungen, Dokumentation, Übergaben, Arztbrief-schreibungen, Telefonate, Krankenkassenanfragen (nichtwenige!): also einfach alles.

An Therapiezeit an und für sich bleibt da nur wenig übrig,und das wird nach Einführung der PEPP noch weniger. Sie

Zwischen Angehörigen und den Professionellen in der Psychiatrie mages gelegentlich Spannungen geben. Doch müssen sich beide Gruppeneinsetzen für eine bessere Versorgung psychisch

Wer, wenn nicht wir?

Die Angehörigen psychisch kranker Menschen sind gefordert

Von Andreas Reif

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Angehörigen, also Sie alle, wehren Sie sich dagegen! Nurwenig Angehörige engagieren sich leider in Interessen-gruppen, Selbsthilfegruppen oder ähnlichem – vermutlichweil die größte Angehörigengruppe in der »Rush Hour«des Lebens steckt: eigene Kinder, anstrengende Vollzeit-Arbeit, ein Angehöriger der Zuwendung und Hilfe braucht– es ist oft (leider) keine Zeit mehr da für solche Lobbyar-beit, so dringend sie auch nötig wäre. So gut ich das verste-hen kann, so schön wäre es, wenn mehr Angehörige sichorganisieren würden.

Wer ist Adressat dieses Heftes? Genau weiß ich das natür-lich nicht, aber die »üblichen Verdächtigen« sind die Ange-hörigen dementer, schizophrener und bipolarer Patienten– also (zumindest bei den letzten beiden Gruppen) diehochakuten Krankheitsgruppen, die auch meist irgend-wann einmal stationär behandelt werden. Angehörigedepressiver Patienten zum Beispiel aber fallen oft durchdas Raster, obwohl die Belastungen für diese häufiggenauso hoch ist wie für die anderen Gruppen. Einenguten Grund hierfür kann ich auch nicht angeben, mögli-cherweise ist das sogar historisch bedingt, er es wäre sehrwünschenswert, dass sich das ändert.

Im Umfeld der psychiatrischen Therapie bestehen zahlrei-che Schnittstellen zu den Angehörigen. Zunächst einmalsind sie selbst oft hilfs- und unterstützungsbedürftig,suchen nach Information und Hilfsangeboten. Das Wissenum psychische Erkrankungen ist oft schon bei nicht-psy-chiatrischen ärztlichen Kollegen sehr gering ausgeprägt,bei Laien verständlicherweise oft noch weniger - geprägtauch durch tendenziöse und fachlich nicht fundierte Dar-stellungen in den Medien, Vorurteile, tradierten Meinun-gen und ähnlichem, aber leider nicht auf Fakten (die estatsächlich auch im Bereich der Psychiatrie gibt!).

In Zusammenhang mit dem Gesagtem besteht hier eineVerpflichtung für meinen Berufsstand, Aufklärung zu leis-ten, Multiplikatoren und die Öffentlichkeit sachlich undfundiert aufzuklären. Nicht zuletzt deshalb haben wir die-ses Jahr in Frankfurt das Deutsche Zentrum für Entwick-lungspsychiatrie e. V. und das Frankfurter Bündnis gegenDepression e. V. aus der Taufe gehoben. PsychiatrischeErkrankungen interagieren natürlich mit dem familiärenUmfeld und wenn nicht häufig, aber auch nicht selten tra-gen innerfamiliäre Konflikte oder Probleme zu psy-chischen Erkrankungen bei. Dies zu erkennen und gegebe-nenfalls zu behandeln ist ebenfalls Teil des Spannungsfel-des Psychiatrie und Angehörige. Aber auch die psychiatri-sche Therapie als solche lebt davon, dass Angehörige miteinbezogen werden. Die Angehörigen »mit an Bord« zuhaben, ihnen das Krankheitsmodell darzustellen, Thera-pien zu erklären und sie mit einzubeziehen ist essentiell -ohne das geht es häufig nicht, und Angehörige zu ignorie-ren ist einer der häufigsten und vielleicht sogar fatalstenFehler der psychiatrischen Behandlung.

Fast schon trivial ist es zu erwähnen, dass Informationenvon Angehörigen über Symptomatik und Vorgeschichteoft ganz wertvolle Hinweise auf die korrekte Diagnose lie-fern. Von welcher Seite man es also betrachtet, die Ange-hörigen müssen mit einbezogen werden. Problematisch isthier nur, dass eben auch hierfür seitens des Gesetz-(=Geld-)gebers keinerlei Zeit eingeplant wurde. Der Behandlermuss das also de facto mehr oder weniger in seiner Frei-zeit machen; nur so können Angebote wie beispielsweisedie offene Angehörigen-Sprechstunde in der Psychiatri-schen Universitätsklinik aufrechterhalten werden.

Nicht zuletzt aufgrund dieser Ressourcenknappheit brau-chen wir hier intelligente Ideen, wie wir Abhilfe leistenkönnen – gerade im eher allgemeinen Informationsbe-reich lässt sich beispielsweise viel webbasiert erreichen.Im Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft fürBipolare Störungen e. V. (www.dgbs.de) erstellen wir sobeispielsweise gerade in der Klinik einen Info-Flyer fürAngehörige, der ganz allgemein einen Ratgeber darstellensoll, was psychiatrische stationäre Behandlung beinhaltet(und was nicht).

Darüber hinaus sind diagnose-spezifische Psychoedukati-onsgruppen, wie es sie in der Frankfurter Universitätspsy-chiatrie für Depression, Bipolare Störung und Schizophre-nie gibt, sehr ökonomisch und auch effizient, wenn es umWissensvermittlung über Krankheiten geht. Insgesamtwird es jedoch ohne ehrenamtliche Peer-to-Peer-Beratung,also die Beratung von Angehörigen durch Angehörige,nicht gehen und dies muss in den nächsten Jahren unter-stützt und ausgeweitet werden. Als Vorbild kann hier dieBeratung durch die Frankfurter Alzheimer-Gesellschaftgenannt werden (www.frankfurt-alzheimer.de).

Letztlich kann dieser kurze Text nur einige Aspekte desThemenkomplexes »Angehörige Psychisch Kranker« anrei-ßen; um so besser, dass sich hier eine ganze Ausgabe der»Treffpunkte« dieses enorm wichtigen Themas widmetund so hoffentlich weiter dazu beiträgt, die Situation derAngehörigen zu verbessern.

Prof. Dr. Andreas Reif ist Direktor der Klinik für Psychia-

trie, Psychosomatik und Psycho-therapie der Goethe-Universität

Frankfurt am Main.www.psychiatrie.uni-frankfurt.de

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Vor weit über hundert Jahren entdeckten Sigmund Freudund andere, dass der Mensch eine Psyche hat. Dass also dasmenschliche Handeln nicht nur vom Verstand bestimmtwird, vom bewussten Planen, Denken, Fühlen, sondern dassdas Denken und Handeln des Menschen ganz wesentlich voninneren Abläufen bestimmt wird, von denen der Mensch selber wenig bis gar nichts mitbekommt. Psyche eben.

Wie gesagt, seit über einem Jahrhundert ist das bekannt.Dieses Wissen hat sich seither auch weit verbreitet. Aberimmer noch leben viele Menschen nach dem Motto: »Psy-che? Hab ich nicht. Das passiert nur anderen.« Wobei mit»andere« Menschen gemeint sind, die irgendwie mit ihremLeben nicht klar kommen. Was mehr oder weniger unausge-sprochen bedeuten soll: Psyche ist nur was für Versager; wersein Leben im Griff hat, braucht sowas nicht. Was natürlichkompletter Blödsinn ist. Jeder Mensch hat eine Psyche. Undbei jedem Menschen unterstützt sie ihn, behindert ihnmanchmal und macht ihn überhaupt erst lebensfähig. Dennstellen Sie sich mal vor, Sie müssten jede kleinste Entschei-dung in jeder Sekunde Ihres Lebens bewusst abwägen unddann bewusst diese Entscheidung treffen. – Sie wären schonlang verhungert, weil Sie vor dem vollen Kühlschrank ent-kräftet zusammengebrochen wären über der Frage, welchenJoghurt Sie jetzt herausnehmen. Wobei Sie schon gar nichtbis zum Kühlschrank gekommen wären, weil Sie immernoch überlegen würden, welches Bein Sie jetzt in welchemWinkel nach vorne bewegen sollen. Weil der Mensch aberim Leben was erreichen will, beispielsweise einen Joghurtessen oder den richtigen Partner auswählen, hat er dengrößten Teil seines Denkens und Fühlens in einen Arbeits-speicher ausgelagert, wo alles im Hintergrund abläuft undder Festplatte erst den schnellen und effektiven Betriebermöglicht.

Gelegentlich aber schleicht sich im Arbeitsspeicher ein Bugein, oder er ist einfach voll oder von Microsoft program-miert, und dann produziert die Psyche seltsame Dinge, diesich in der Außenwelt als Psychose oder Depression oderbipolare Störung oder Persönlichkeitsstörung oder sonsteine unangenehme Weise zeigen. Und dann kommen Ange-hörige oder Nachbarn, die selbstverständlich über keinePsyche verfügen (siehe oben) und sagen: »Depression? Dersoll sich einfach nicht so gehen lassen, dann ist das gleichvorbei.« Nicht selten fallen in diesem Zusammenhang Wor-te wie »Faulpelz«.

Ein paar Beispiele für das fehlende Verständnis von psy-chischen Vorgängen, die ich in letzter Zeit erlebt habe: EinMann lebt zwanzig Jahre mit einer Frau zusammen. In die-sen zwei Jahrzehnten sagt er ihr kein einziges Mal, dass ersie liebt. Liebe ist schließlich auch nur so Psychozeug.Schließlich heiratet er sie. Nur aus steuerlichen Gründen,wie er auch dem Standesbeamten während der Hochzeitmehrmals sagt.

Ein Klient von mir ist über Jahre hinweg immer passivergeworden, bis er nur noch in seiner Wohnung sitzt und alseinzige Beschäftigung das gelegentliche Essen von Nudelnpflegt. Sonst tut er nichts. Er kam nach massivem monate-langem Zureden in eine Therapeutische WG. Dort wurde esals Erfolg gefeiert, dass er sich nach einem halben Jahr malwieder gewaschen hat. Der Klient hat eine extrem domi-nante Schwester, die schon immer genau gewusst hat, wasfür ihn richtig ist. Die fiel einmal im Jahr in die WG ein undmischte dort alle gründlich auf. Die Zusammenhänge zwi-schen dem Verhalten der Schwester und der Passivität ihresBruders waren offensichtlich. Nichts zu tun war seine einzi-ge Möglichkeit, ein eigenständiges Leben zu führen. Als ichbei einem Krisengespräch mal einwarf: »Es geht doch hiernicht ums Duschen, sondern um den lebenslangen Konfliktzwischen Ihnen und Ihrem Bruder«, da schrie mich dieSchwester an: »KONFLIKT??? Wir haben keinen Konflikt!«

Ein Mensch arbeitet ständig bis zur völligen Erschöpfung.Wenn man den Gedanken ausspricht, dass das vielleichtdamit zu tun haben könnte, dass er ohne Arbeit einsam zuHause sitzen müsste, dann dementiert das dieser Menschheftigst. Er arbeitet nur ja nur deshalb so viel, weil er dieArbeit gut machen will. Ein Mensch bringt sich um. Vielefallen über ihn her: »Was ist das für ein Egoist? Denkt derdenn nicht an seine Kinder? Und den armen Lokführer?« Esist schon seltsam. Wenn jemand Krebs bekommt, sagt auchniemand: »Der soll sich nicht so anstellen, dann geht dasauch schnell weg.« Oder: »Dieser Egoist! Einfach zu ster-ben! Denkt der nicht an seine Kinder?«

Wenn der Körper nicht so tut, wie er soll, dann ist dasschlimm, aber akzeptabel. Wenn die Psyche streikt, dann istdas persönliches Versagen des Betroffenen. Weil er ja garkeine Psyche hat.

Es ist seltsam. Immer noch, nach über hundert Jahren.

Psyche? Das passiert nur anderen

Ein Zwischenruf von Manfred Dempf

Manfred Dempf ist seit zwei Jahrzehnten als freiberuflicher Betreuer in einer Bürogemeinschaft im Allgäu tätig. Im Internetberichtet er regelmäßig in unterhaltsamer Art über seine Tätigkeit, um das Betreuungsrecht unter die Leute zu bringen.www.manfredjosef.wordpress.com

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Psychoedukationskurse sind heute wichtiger Bestandteileiner modernen psychiatrischen Behandlung. »Wissen istMacht! Und die Voraussetzung für eine umfassende Teilha-be an den Errungenschaften unseres Wohlfahrtssystemsganz allgemein und der modernen Medizin im Speziellen!«,schreiben die Autoren J. Bäuml, S. Lüscher und G. Pitschel-Walz unter dem Titel »Was ich nicht weiß, macht michnicht ›weise‹ …« (Psychiatrische Praxis, 6/2015, S. 293 ff.).

Dennoch sind sich die Fachleute über die Wirksamkeit vonPsychoedukation uneins: Kurse verbesserten nur das Wis-sen über die Erkrankung, das Vulnerabilitäts-Stress-Modellmanifestiere das biologisch-genetische Krankheitsmodellund überhaupt sei sie nur eine Erziehungsmaßnahme zurMedikamenteneinnahme. Einig sind sie sich aber darüber,dass die Nachhaltigkeit von Psychoedukation wesentlichvom Einbezug der Angehörigen abhängt (Debatte Pro &Kontra, ebd. S. 296 f.).

Die Fachzeitschrift liegt auf dem Tisch. Bernd Butzbachkennt die Debatte und greift das Thema Nachhaltigkeitauf. Für ihn überwiegen nach über zwanzig Jahren Berufs-erfahrung in der Sozialpsychiatrie die Vorteile der Psychoe-dukation: »Psychose-Patienten haben mehr Lebensqualität,eine kürzere Behandlungsdauer in der Klinik und damitmehr Lebenszeit für sich, die sie nicht im Krankenhaus ver-bringen müssen.«

Diese Fakten haben ihn zur Zusatzausbildung »Psychoedu-kation bei Schizophrenie für Angehörige und Betroffene«bei Dr. Matthias Bender, ärztlicher Direktor Vitos Hadamarund Hans Gunia, Psychologe in Darmstadt, motiviert. InTheorieeinheiten mit Rollenspielen hat er für sich»gedankliches Handwerkszeug« für die Alltagsarbeit mit-genommen und dabei »das ganze Spektrum der Erkran-

kung erfahren – wie entsteht sie, was kann man im Alltagmachen, was trägt zur Verbesserung, was zur Verschlechte-rung bei. Eine »kompakte Zusammenfassung von Fachwis-sen und Berufsalltag«, umschreibt er die Kursinhalte underläutert nebenbei das Synapsen-Modell der modernenNeurowissenschaft: »Eine verstärkte Ausschüttung vonDopamin führt zur erhöhten Informationsübertragung undReizüberflutung im Gehirn. Das Psychose-Risiko nimmt zu.Medikamente dagegen steuern den Durchfluss im ›synap-tischen Spalt‹ und tragen dazu bei, das Rückfallrisiko zusenken.«

Neben Kursthemen wie »Symptomatik und Diagnostik«,das »Vulnerabilitäts-Stress-Bewältigungsmodel«, »Psycho-therapie« und »Psychosoziale Maßnahmen« sind bei Ange-hörigen »Schuld und Scham« wichtige Themen, erzähltButzbach, auch das Erleben der Krankheit als Schicksal. Fra-gen wie »Was habe ich falsch gemacht, was versäumt?«oder »Wie sage ich es meinem Nachbarn?« quälten dieKursteilnehmer.

Wesentliche Aufgabe als Kursleiter ist für Butzbach, »einKlima zu schaffen, in dem sich die Teilnehmer äußern unddabei erleben können, dass es anderen auch so geht«. Wirdbeispielsweise das Thema Schuld erstmals ausgesprochen,wird schnell klar, dass es keine Schuldfrage ist, so Butzbachund fügt hinzu: »Das entlastet Angehörige ungemein.«

Die Kurse bieten keine Lösungen, helfen aber Angehörigen,Klarheit über ihr Verhalten zu erlangen und selbstbewuss-ter zu werden. Auch dabei, ihre Rolle als Eltern, Partneroder Nachbar zu definieren: »Ich kann alles immerschlimm sehen oder entspannt damit umgehen. Ich kannder liebe Nachbar sein oder mich öffnen, wenn es für michbesser passt.«

»Ich bin mit meinen Problemen nicht alleine«

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Bernd Butzbach, 55, Diplom-Pädagoge, arbeitet seit 1995bei der Stiftung Lebensräu-me Offenbach im BetreutenWohnen und in der Wohn-heimbetreuung. In Koope-ration mit dem Sana Klini-kum bietet er Psychoeduka-tionskurse für Betroffeneund Angehörige in Koope-ration mit Fachärzten an.

Gespräch mit Kursleiter Bernd Butzbach: Psychoedukationskurse

Lebensräume

entlasten Angehörige chronisch ErkrankterErkrankter

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Wir sind im Obertshausener Rathaus im Sitzungssaal 4verabredet. An der Tür hängt ein foliiertes Schild »Sprech-stunde SpDi – Hossein Saleh«. Meine fünf Fragen sindmit der Pressestelle des Landkreisamtes Dietzenbachabgestimmt. Wir können mit Interview loslegen. Die Fra-gen liegen auf dem Tisch: Welche Themen brennen denAngehörigen unter den Nägeln? Welche Unterstützungerfahren sie in der Gruppe? Was können Angehörige fürsich selbst und im Umgang mit ihren erkrankten Ange-hörigen lernen? Warum sollten sie die Gruppe aufsuchenund welche Kompetenzen muss der Leiter mitbringen?

»Angehörige sind immer auch Betroffene, sie leiden min-destens so viel wie die Erkrankten selbst«, schildert derDiplom-Soziologe und systemischer Familientherapeut.Vor rund achtzehn Jahren hat er eine bestehende Ange-hörigengruppe in Seligenstadt übernommen. Erbeschreibt sie als »Atempause vom Alltag«.

Die Menschen finden in der Gruppe vor allem »Gehörund Verständnis« und können spüren, dass sie mit ihrerProblematik nicht alleine sind, erzählt Saleh. Am meistenmacht nach seiner Erfahrung den Menschen das Allein-sein mit ihren Sorgen und Nöten zu schaffen: »DasGefühl, von anderen nicht verstanden zu werden undVorbehalten gegenüberzustehen, bringt Angehörige häu-fig in die Isolation.« Als weitere Themen werdengenannt: Angst und Schuldgefühle, Unsicherheit, Ratlo-sigkeit, Verzweiflung und fehlendes Wissen über dieErkrankung und Hilfsangebote.

Hossein Saleh sieht seine Gruppenleiteraufgabe mehr»als Begleitung«. Die Frage nach den notwendigen Kom-petenzen fasst er folgendermaßen: »Der Begleiter mussfür ein offenes und vertrauensvolles Klima sorgen unddarauf achten, dass die Schweigepflicht eingehalten wird.Wissen über die Krankheitsbilder muss er mitbringen,

medizinische und therapeutische Behandlungsmöglich-keiten kennen und gut über die regionalen Hilfsangebotefür Angehörige und Erkrankte Bescheid wissen.«Häufige Erfahrung des Soziologen ist, dass die Angehöri-gen sich von Ärzten und Therapeuten »außen vor gelas-sen« und als »Experten« nicht zurate gezogen und ausrei-chend informiert fühlten. Sie wünschten sich mehrGehör und Information und möchten ernst genommen

Atempause vom AlltagGespräch mit Hossein Saleh vom Sozialpsychiatrischen Dienst Dietzenbach:

Lebensräume

Der Pädagoge erlebt, dass Psychoedukationskurse beiBetroffenen wie Angehörigen sehr begehrt sind. Rund zweiMonate dauert ein Kurs, der aus acht Doppelstundenbesteht. Jeweils drei hat Butzbach gemeinsam mit einerÄrztin im Sana Klinikum Offenbach erfolgreich durchge-führt. Acht bis zwanzig Personen saßen in den Gruppen.Nach Butzbach wissen die Teilnehmer die kompakte Wis-sensvermittlung über die Erkrankung und deren Behand-lungsmöglichkeiten – medizinisch, psychotherapeutischund psychosozial– sehr zu schätzen. Als besonders hilfreichwird aber die emotionale Entlastung erlebt. »Die Angehöri-

gen äußern große Dankbarkeit und erzählen, durch denKurs mehr Wissen über die Erkrankung zu haben, vielesbesser einordnen zu können und über HilfsangeboteBescheid zu wissen.«

Johann Kneißl I www.allemunde.de

Kontakt: Stiftung Lebensräume Offenbach am MainBernd Butzbach I Arndtstraße 2363069 Offenbach am MainTelefon 069 838392-11 I [email protected]

Angehörigengruppe bietet Entlastung

Hossein Saleh, 61, Diploim-Soziologe und systemischerFamilientherapeut, arbeitet seit 1998 beim Sozialpsychi-atrischen Dienst (SpDi) im Fachdienst Gesundheit in Diet-zenbach. Er ist zuständig für die Gemeinden Obertshau-sen/Hausen, Heusenstamm, Jügesheim, Weiskirchen undHainhausen. In Seligenstadt leitet er jeden ersten Mitt-woch im Monat von 17:00 bis 18:30 Uhr im Nachbar-schaftshaus die Angehörigengruppe. Bei Lebensräumebegleitet Hossein Saleh die Selbsthilfegruppe »Albatros« inder Seligenstädter Straße 18 in Obertshausen.

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Bett und Fernseher machen zufrieden

Hans Hahn, 80 Jahre, früh geschieden und Vater von zweiSöhnen, sprüht vor Lebendigkeit. Der IT-Entwickler imRuhestand hat ein Mobiltelefon und ein Smartphone aufdem Tisch liegen. Munter blättert er in der aktuellen»Treffpunkte«-Zeitschrift, liest das Impressum, fragt miteinem verschmitzten Blick über die Lesebrille, warum meinName nicht im Redaktionsteam genannt ist. Wir lachen.Hans Hahn stimmt keine Klagelieder an. Grund dazu hätteer: »Na ja«, sagt er, »mein Sohn ist ganz zufrieden, andereHeimbewohner besuchen ihn im Zimmer, schnorren Tabak,er hat Kontakte. Als Junge war er charmant, die Gutmütig-keit ist ihm geblieben.«

Sohn Michael, 51 (Name geändert), erkrankte im erstenSemester seines Physikstudiums an einer schweren Psycho-se, seit 1987 lebt er bei der Stiftung Lebensräume in einemWohnheim. »Er ist sehr lethargisch, liegt viel im Bett undsieht fern. Es bleibt bei Versuchen, ihn aus seiner ›selbstge-wählten Stille‹ herauszuholen und in eine Pizzeria oder einCafé zu gehen.«

»Nahezu jeden Sonntagnachmittag sitzt Hans Hahn seitfast 30 Jahren zwei bis drei Stunden im Zimmer seines Soh-nes, muss ‹90 % der Gesprächsanstöße‹ selbst in die Händenehmen. »Wir führen so manche ›verrückte Konversation‹,die sich häufig einer strengen Logik entzieht.« Gelegentlichmache er seinen Sohn mit Fragen wie »Michael, ist das

wirklich logisch, du hast doch Physik studiert«, vorsichtigdarauf aufmerksam. Einem kurzen Weg der Klarheit folgenneue wunderliche Gedankengänge.

Hans Hahn und seine Exfrau halten beide intensiven Kon-takt zum Sohn, besuchen gemeinsam die monatliche Ange-hörigengruppe des Wohnheims. »Die Gespräche sind tröst-lich und zeigen, dass es auch bei anderen Erkrankten eineähnliche ›Negativsymptomatik‹ mit Folgeproblemen gibt.«

Der pensionierte IT-Experte bei der Deutschen Bahn fühltsich vom Wohnheim gut informiert und einbezogen. Dannmuss er wieder lächeln, beginnt zu erzählen und meint,dass man darüber nicht zu kritisch urteilen soll: »Der Spe-zialisierungsgrad im heutigen Sozial- und Gesundheitswe-sen ähnle ein bisschen dem in einer Automobilfabrik. Füralles gibt es Experten. Bis hin zur Hygiene-Putzfrau. DasBezugsbetreuungssystem ist da aber ein notwendigesGegengewicht.«

Auch dank der modernen Kommunikationstechnik wird ervon der Bezugsbetreuerin seines Sohnes »auf dem Laufen-den gehalten«. Hans Hahn zeigt auf die Mobilgeräte aufdem Tisch.

Johann Kneißlwww.allemunde.de

werden. »Schließlich«, plädiert Saleh, »leben sie dochüberwiegend mit dem erkrankten Familienmitglied inder gemeinsamen Wohnung.«

Die offene Gruppe in Seligenstadt findet jeden erstenMittwoch im Monat statt. Interessierte können nacheinem Vorgespräch jederzeit einsteigen. Zu den Spielre-geln gehören neben der Schweigepflicht ein Vertrauens-verhältnis und die Bereitschaft, sich aktiv in die Gruppeeinzubringen. Die Gruppenteilnehmer sind Partner,Geschwister oder Eltern erkrankter Kinder, die Alters-spanne reicht von 30 bis über 75 Jahren. Zum großen Teilleben sie mit ihren erkrankten Angehörigen in der Fami-lie. »Raus aus der Isolation, das eigene Leid zur Sprachebringen, sich Entlastung holen und neue Energie tan-ken«, nennt der Soziologe die wichtigsten Gründe zu mei-ner Frage, warum Angehörige an der Gruppe teilnehmensollen.Als wichtige Gruppenerfahrung schildert Hossein Saleh,dass die Angehörigen lernen, auf ihre eigenen Bedürfnis-se mehr zu achten, dass sie selbst existieren und nichtständig auf das erkrankte Familienmitglied fixiert seinmüssen. So können sie den Gedanken an eine Reha, einen

Urlaub oder therapeutische Unterstützung zulassen -ohne das Schuldgefühl, den Erkrankten zu vernachlässi-gen. Die Gruppe ermutige hierzu und Angehörige setztenihre Pläne auch um. Gestärkt und mit neuer Energie keh-ren sie in den Alltag zurück und machen eine weitereErfahrung: Der depressive Partner, der die Zeit zuvoraußer der Essensaufnahme nur im Bett zubrachte, konnteplötzlich Lebensmittel einkaufen, sich ein Essen zuberei-ten und eigene Ressourcen entdecken. »Die Angehörigenlernen Verantwortung abzugeben, werden selbstsichererund entdecken eine eigene neue Stärke. Und die Erkrank-ten lernen nach anfänglichen Ängsten und Verunsiche-rungen, selbstständiger zu werden.«

JJohann Kneißl I www.allemunde.de

Kontakt: Kreis Offenbach – Fachdienst GesundheitSozialpsychiatrischer DienstHossein Saleh I Gottlieb-Daimler-Straße 1063128 DietzenbachTelefon 06074 [email protected]

Ein Angehöriger berichtet

Lebensräume

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ThemaThema

Neues Angebot »Psychosoziale Krisenhilfe«Menschen, die sich aufgrund belastender Lebensereignisseseelisch überfordert fühlen, können ab sofort unkomplizierteprofessionelle Hilfe erhalten. Mit dem neuen Leistungsange-bot »Psychosoziale Krisenhilfe« bieten die Techniker Kran-kenkasse (TK) in Hessen und der Verbund sozialpsychiatri-scher Angebote TK-Versicherten im Rhein-Main-Gebiet, die ineine psychische Notsituation geraten sind, rasche Unterstüt-zung an. Ziel des neuen Versorgungsangebotes ist es, durchdie schnelle Hilfe mögliche spätere Krankheitsfolgen abzu-mildern oder sogar ganz zu vermeiden. Die Psychosoziale Kri-senhilfe steht TK-Versicherten im Ballungsraum Rhein-Mainab sofort täglich 24 Stunden rund um die zur Verfügung: Tele-fon 069 93996450..www.tk.de/lv-hessen

Jubiläumsjahr endet mit MarktIm letzten Dezember fand rings um die Psychosozialen Diens-te Heddernheim ein Weihnachtmarkt des Sozialwerks MainTaunus e. V. statt. Viele Besucher, Groß und Klein, trafen sich -umgeben von weihnachtlich geschmückten Hütten - umSelbstgebackenes, Suppe, Punsch und heißen Tee zu genie-ßen. Viele kreative Dinge waren zuvor in der Tagesstätte, inder Handarbeitsgruppe, im Wohnheim und zu Hause herge-stellt worden – alle diese schönen Kleinigkeiten konntenbestaunt und erworben werden. Die Malgruppe stellte Bilderaus, der Chor sang. Es war ein schönes Miteinander von Klien-ten, Mitarbeitern und Nachbarn - und der Abschluss der Fei-erlichkeiten im Jubiläumsjahr, denn das Sozialwerk MainTaunus feierte in 2015 sein 40-jähriges Bestehen.www.smt-frankfurt.de

Bewegung gegen DepressionEine Veranstaltung in der Klinik Hohe Mark in Oberursel zogeine Zwischenbilanz der Studie »Einsatz und Nachhaltigkeitvon Bewegungsparcours in der Therapie klinischer Depressi-on«. Das Projekt ist ein gemeinsames Vorhaben der Hoch-schule Darmstadt, der Goethe Uni Frankfurt und der KlinikHohe Mark und wurde initiiert vom Hessischen Ministeriumfür Soziales und Integration und unterstützt von playfitGmbH, Play-Parc GmbH und der Friede Springer Stiftung.Prof. Dr. Volker Beck von der Hochschule Darmstadt brachtedie zentrale Botschaft der Studie auf den Punkt und resü-miert: »Bewegungsprogramm sind der Schlüssel für eine neuKörperwahrnehmung und Körpererfahrung bei depressivenMenschen. Der Körper ist nicht mehr Zweck, sondern wiederMittel. Patienten mit einer depressiven Störung und ohneKontraindikation für körperliche Belastungen sollte die

Durchführung eines struktu-rierten und fachlich begleite-ten Bewegungsprogrammsempfohlen und ermöglichtwerden. Das ist die zentraleBotschaft, die wir mit unse-rer Initiative hier an der Kli-nik Hohe Mark an Fachkrei-

se, an die Betroffenen und an die Öffentlichkeit tragen wol-len.« Der Bewegungsparcours in der Klinik Hohe Mark ver-fügt über zwölf wetterfeste Stationen aus Edelstahl. Die Gerä-te sind leicht und unkompliziert in der Handhabung. Sie bie-ten für alle Altersgruppen unabhängig vom Stand der indivi-duellen Fitness vielfältige Möglichkeiten der körperlichenBewegung und des gezielten Muskelaufbautrainings.www.hohemark.de

Wenn der Haushalt zur Last wirdSeit fast vier Jahren gibt es in Frankfurt am Main das Hilfe-netz der katholischen Kirchengemeinden St. Bernhard, Aller-heiligen und Dom sowie der portugiesischen, spanischenund internationalen englischsprachigen Gemeinde. DasAngebot wird in enger Kooperation mit dem Caritasverbandorganisiert. Ziel der Einrichtung ist es, nachbarschaftlicheHilfe und die Verbesserung von Alltagssituationen zu verbin-den. Ältere und kranke Menschen, die ohne fremde Hilfe oftnicht mehr in ihrer Wohnung bleiben könnten, werdenunterstützt von Helfern, die mit stundenweiser Arbeit gernetwas hinzuverdienen wollen. Das Angebot umfasst Hilfebeim Einkaufen, im Haushalt und vielen Situationen des täg-lichen Lebens. Die Helferinnen und Helfer werden vom Cari-tasverband Frankfurt angestellt. Derzeit zahlen die Hilfesu-chenden 13,50 Euro pro Stunde, die Helfer erhalten davon9,62 Euro. Von der Differenz werden die Versicherung, dieVermittlungsstelle und die Weiterbildungsangebote bezahlt.www.caritas-frankfurt.de/90478.html

Frankfurt hilftUm ehrenamtliches und freiwilliges Engagement für Flücht-linge anzuregen und wirksam zu koordinieren, haben dasSozialdezernat der Stadt Frankfurt am Main und neun Frank-furter Stiftungen die Koordinierungsstelle »Frankfurt hilft«eingerichtet. Die Ziele der Koordinierungsstelle sind: Infor-mationen über die Situation von Flüchtlingen in Frankfurtbereitstellen; größtmögliche Transparenz herstellen, welcheBedarfe, Einsatzfelder, Initiativen und Projekte bereits beste-hen; an ehrenamtlicher Tätigkeit interessierte Menschenberaten und unterstützen, selbst aktiv zu werden, und Siedarüber hinaus bei Bedarf für Ihre Tätigkeit qualifizieren; dieVernetzung der Akteure in der ehrenamtlichen Flüchtlingsar-beit fördern.www.frankfurt-hilft.de

rhein-main-kaleidoskop

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»Treffpunkte«: Was machen Sie jetzt?

Kirschenbauer: Wenn der Spruch stimmt, dass Zeit Geldist, dann bin ich jetzt reich und genieße diesen Luxus. Abund zu habe ich noch Gelegenheit mein Wissen und mei-ne Erfahrung anderen zur Verfügung zu stellen. Für michein gutes Gefühl – für andere, die es in Anspruch nehmen,eine Hilfe und Unterstützung.

»Treffpunkte«: Wie war der Abnabelungsprozess nach derlangen Berufstätigkeit und den damit verbundenen Ver-pflichtungen?

Kirschenbauer: Der ging recht schnell. Allerdings dauertees deutlich länger als erwartet, mit der ungewohnten»Freiheit« und mit allem was dazu gehört, klar zu kom-men. »Rentner« ist halt auch ein Lehrberuf, der mir nichtso einfach in den Schoß gefallen ist.

»Treffpunkte«: Was vermissen Sie am Berufsleben und anFrankfurt am Main am meisten?

Kirschenbauer: Ehrlich gesagt – nichts. Vielleicht die viel-fältigen Kontakte und die Menschen mit denen ich zu tunhatte. Ansonsten halte ich noch zu einigen ehemaligenWeggefährten den Kontakt und wir tauschen uns regel-mäßig aus. So bleibe ich auch weiterhin auf dem aktuel-len Stand der Psychiatrie in Frankfurt am Main.

»Treffpunkte«: Was fehlt Ihnen jedoch kein bisschen?

Kirschenbauer: Zeitdruck, eingeengt sein in Vorschriftenund Verpflichtungen, die so eine Position und Aufgabemit sich brachten. Unflexible Strukturen, lange, manch-mal auch frustrierende Dienstwege, nicht mit fachlichemund gesundem menschlichen Verstand nachvollziehbareEntscheidungen durch die Politik und … so jetzt soll es gutsein damit ...

»Treffpunkte«: Haben Sie einen Rat für die noch Aktivenin der Psychiatrieszene?

Kirschenbauer: Der Ruhestand ist anders als die meistenMenschen es sich vorstellen. Hier das richtige Maß undden richtigen Weg zu finden ist schon etwas Arbeit. Es istjedoch sehr lohnenswert, sich rechtzeitig mit diesem The-ma zu beschäftigen … denn der dritte Lebensabschnitt istder letzte und der endet immer tödlich ...

Was macht eigentlich...?Lange Jahre leitete Dr. Hans-JoachimKirschenbauer die Psychiatrie-Abtei-lung im Amt für Gesundheit derStadt Frankfurt am Main, wie dieBehörde heute heißt. Der Facharzt fürPsychiatrie und Psychotherapie undLeitende Medizinaldirektor ist nunbereits seit einiger Zeit im Ruhestand.

Hohe Mark beschäftigt junge FlüchtlingeSelam und Asgodom, zwei junge Flüchtlinge aus Eritrea,haben in der Klinik Hohe Mark einen Bundesfreiwilligen-dienst angetreten. Für ein Jahr werden die beiden in derHauswirtschaft und in der Technik ein Jahr arbeiten und ler-nen. Die Volkshochschule Hochtaunus flankiert diese berufli-che Praxisphase mit einem Integrations- und Deutschsprach-kurs. Wenn alles klappt, soll den beiden jungen Menschenqualifizierte Ausbildungsstellen zum Koch angeboten wer-den, wofür noch die Kooperation mit einem OberurselerUnternehmen gesucht wird.www.hohemark.de

Dr. Hans-Joachim Kirschenbauer

Der langjährige Koordinator des Psychosozialen Krisendiens-tes Frankfurt am Main, Klaus Gerold (Foto rechts), hat seineAufgaben an Colet Brocks (Foto links) übergeben. Wie Geroldist auch Brocks eine hauptamtliche Mitarbeiterin der Bürger-hilfe Sozialpsychiatrie Frankfurt am Main e. V., die den Krisen-dienst aus eigener Praxis kennt. Seit 1994 ist der telefonischeKrisendienst außerhalb regulärer Dienstzeiten vieler Hilfsan-gebote ein bedeutsamer Teil des psychosozialen Versorgungs-angebotes in der Main-Metropole. Der Psychosoziale Krisen-dienst unterstützt Ratsuchende, um bereits im Vorfeld psycho-soziale Krisen zu bewältigen und die Eskalation von Krisensi-tuationen zu verhindern. Kurzfristige Hilfen können so geleis-tet werden sowie über die Möglichkeiten des psychiatrischenHilfesystems informiert werden. Obwohl seit vielen Jahrenaktiv, ist das Angebot vielen Betroffenen, Angehörigen undExperten nicht bekannt. Der Krisendienst ist an 365 Tagen imJahr von Montag bis Freitag von 17.00 Uhr bis 1.00 Uhr sowiean Samstagen, Sonntagen und Feiertagen von 09.00 Uhr bis01.00 Uhr zu erreichen.Psychosozialer Krisendienst Frankfurt am Main, Telefon 069611375, www.bsf-frankfurt.de/telefonischer_krisendienst

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Schwierige ZeitenerwartetDeutschlands Fachärzte fürPsychiatrie und Psychothera-pie rechnen mehrheitlichdamit, dass sich die Versor-gungslage in Zukunft ver-schärfen wird. Dies zeigt eineUmfrage unter den 8.300Mitgliedern der DeutschenGesellschaft für Psychiatrieund Psychotherapie, Psycho-somatik und Nervenheilkun-de (DGPPN). Knapp 60 Pro-zent der Befragten rechnendamit, dass es für psychischerkrankte Menschen in zehnJahren noch schwieriger seinwird, die notwendigen medi-zinischen, therapeutischenund soziale Hilfen zu erhal-ten. Mit einer Verbesserungder Versorgungssituationrechnen hingegen nur 22 Pro-zent. Diese Ergebnisse mach-ten deutlich, dass dieGesundheitspolitik undSelbstverwaltung die Heraus-forderungen in der Versor-gung psychisch erkrankterMenschen dringend anpa-cken müssten. Erforderlichwären »strukturierte Versor-gungsangebote«, in denendie verschiedenen Berufs-gruppen und Sektoren Handin Hand arbeiten könnten, soeine Sprecherin des Verban-des.www.dgppn.de

Broschüre zeigt Hilfs-möglichkeiten für Flücht-lingeDas Deutsche Rote Kreuz hatin einer Broschüre zusam-mengefasst, was Bürgerin-nen und Bürger für Flüchtlin-ge und ihre Familien prak-tisch tun können, von derWillkommens-Führungdurch den Ort über Hilfen bei

Kontakten mit Ämtern biszur Bildung von lokalenNetzwerken. Die 36-seitigeBroschüre steht im Internetkostenlos zur Verfügung.http://drk-wohlfahrt.de/fileadmin/user_upload/PDF/ Broschueren/drk_brosch_fluechtlinge_web.pdf

Hilfe für Jugendlichemit selbstschädigendemVerhaltenUnterstützung für Jugendli-che, die sich durch sogenann-tes Ritzen, häufiges Betrin-ken und dergleichen selbstschädigen, bietet eine neueSprechstunde der Universi-tätsklinik für Kinder- undJugendpsychiatrie Heidel-berg. Psychologen und Ärzteder Ambulanz für Risikover-halten und Selbstschädigungbetreuen Betroffene und ihreEltern. Gleichzeitig forschensie mit Unterstützung derDietmar-Hopp-Stiftungdaran, wie Ärzte psychischeStörungen möglichst früherkennen und bereits imAnsatz effektiv behandelnkönnen. Rund ein Drittel derJugendlichen in der Pubertätneigt zu riskantem und sogarselbst-schädigendem Verhal-ten. Manchmal gehörtenbestimmte Risikoverhaltens-weisen zum normalen Ent-wicklungsprozess und wüch-sen sich aus, so die Experten.Sie könnten aber auch aufden Beginn einer psy-chischen Erkrankung odereiner Störung der Persönlich-keitsentwicklung hinweisen.Das Angebot richtet sich anJugendliche in oder ohneBegleitung volljährigerBezugspersonen, aber auchan Eltern. Für den erstenKontakt ist kein Terminerforderlich. Bei Bedarf wirdein Folgetermin zur ausführ-lichen Diagnostik und Abklä-rung vereinbart.www.klinikum.uni-heidelberg.de/AtR-Sk.139279.0.html

Notizen Broschüre zur UN-Behindertenrechtskonven-tion erschienenDer Dachverband Gemeinde-psychiatrie hat die Broschüre»Meine Rechte aus der UN-Behindertenrechtskonventi-on« neu aufgelegt. Spätes-tens seitdem die UN-Behin-dertenrechtskonvention imJahr 2009 von der Bundesre-publik unterzeichnet wurde,gilt auch in Deutschland die»Inklusion« als Ziel von poli-tischem und gesellschaftli-chem Handeln. Doch wäh-rend die Barrierefreiheit fürMenschen mit Körperbehin-derung und die schulischeInklusion von geistig behin-derten Kindern diskutiertund umgesetzt werden, gera-ten Menschen mit psy-chischen Erkrankungen oderseelischen Behinderungenoft aus dem Blick. Die neuaufgelegte Broschüre richtetsich sowohl an Menschenmit psychischen Erkrankun-gen, deren Angehörige undFreunde sowie professionelleund ehrenamtlich engagierteHelfer aus Gemeindepsychia-trie. Die Broschüre gibt es imInternet kostenlos; als Druck-werk kann sie für zwei EuroSchutzgebühr bestellt wer-den (Dachverband Gemein-depsychiatrie e. V., Richartz-straße 12, 50677 Köln, [email protected])www.psychiatrie.de/dachverband

Schmerzensgeld fürrechtswidrige Unterbrin-gung in psychiatrischerKlinikWegen seiner knapp zweiMonate andauernden rechts-widrigen Unterbringung ineiner psychiatrischen Klinikmit zwangsweiser medika-mentöser Behandlung erhältein Mann 25.000 EuroSchmerzensgeld. Das Ober-landesgericht Karlsruheführt aus, für die ärztlichprognostizierte Eigen- und

Fremdgefährdung habe eskeine Grundlage gegeben.Allein eine beim Betroffenenmöglicherweise vorliegendepsychische Erkrankung rei-che nicht aus für einezwangsweise Unterbringungin einer psychiatrischen Kli-nik. Der damals 38-jährigeKläger war von Polizeibeam-ten in eine psychiatrischeKlinik gebracht worden. DieÄrzte der Klinik beantragtendann beim zuständigenAmtsgericht die Anordnungder Unterbringung wegeneiner »Psychose mit Verfol-gungswahn«. Es sei von»Fremd- und Eigengefähr-dung« auszugehen. DasAmtsgericht Konstanz ordne-te in mehreren Beschlüssendie Unterbringung des Klä-gers in der psychiatrischenKlinik an. Aufgrund dieserEntscheidungen blieb derKläger gegen seinen Willenin der Klinik und wurde indieser Zeit zwangsweisemedikamentös behandelt.Nach Entlassung des Klägerswurde im Beschwerdeverfah-ren festgestellt, dass dieUnterbringung rechtswidriggewesen ist. Die Vorausset-zungen einer Unterbringunghätten nach den Vorschriftendes Unterbringungsgesetzesnicht vorgelegen.Az.: 9 U 78/11

Archiv sucht Materialzur PsychiatriegeschichteDas neu gegründete »Sozial-psychiatrische Archiv« derBerliner Gesellschaft fürSoziale Psychiatrie sucht alteZeitschriften, Bücher, Bro-schüren, Konzepte und digi-tale Medien zur Geschichteder gemeindepsychitarti-schen Versorgung inDeutschland. Angesprochensind sowohl Privatpersonenwie Vereine und Einrichtun-gen, die ihre eigenen Archiveauflösen oder ausdünnenwollen. Der so gesammelte

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Bestand soll mit einer Prä-senzbibliothek in Berlin undmit einer Webseite im Inter-net allgemein verfügbargemacht werden. Ansprech-partner für das Projekt istChristian Reumschüssel-Wie-nert vom Paritätischen Wohl-fahrtsverband ([email protected]).www.bgsp-ev.de

Hilfsprogramm fürFlüchtlinge mit psy-chischen StörungengestartetDas Bundesministerium fürArbeit und Soziales hat einKurzzeit-Hilfsprogramm zurUnterstützung und Förde-rung der Integration in dieArbeits- und Sozialweltgenehmigt. An der Psycholo-gischen Hochschule Berlinkonnte nun das »Interperso-nelle integrative Modellpro-jekt für Flüchtlinge mit psy-chischen Störungen« starten.In einer zweimonatigen The-rapie wird der Fokus aufinterpersonelle belastendeThemen wie durch die Fluchtbedingte schwierige Rollen-wechsel, Konflikte, Verluste,Trauer und Isolation gesetzt.Zudem erhalten die Flücht-linge durch die Arbeit mitTherapeuten, Sozialarbeiternund Ergotherapeuten inten-sive multidisziplinäre Unter-stützung bei der Integration.Bei Fortbestehen der psy-chischen Probleme nach derzweimonatigen Therapie sol-len Patienten an entspre-chende Kooperationseinrich-tungen weiter vermitteltwerden.www.psychologische-hochschule.de

Ehrenamts-Modellpro-jekt in Hessen abgeschlos-senZunehmend fehlen Organisa-tionen im ländlichen Raumehrenamtliche Vorstands-kräfte und Funktionsträge-

rInnen, die für die Rahmen-bedingungen des lokalenEngagements sorgen. Von2012 bis 2014 wurden inner-halb des Modellprojektes»Ehrenamt sicher in dieZukunft - Ehrenamtliche Ver-einsvorstände und Führungs-kräfte im ländlichen Raumgewinnen und halten« derHessischen Landesregierungund unter der Regie der Lan-desehrenamtsagentur Hes-sen in ausgewählten Modell-Standorten Möglichkeitenzur Verbesserung der Situati-on entwickelt und erprobt.Zum inzwischen abgeschlos-senen Projekt liegt eine 40-seitige Broschüre vor.www.gemeinsam-aktiv.de/mm/mm001/Abschlussbericht_EASI.pdf

Leitlinie »UnipolareDepression« umfassendüberarbeitetSpeziell für die Behandlungeiner unipolaren Erkrankungstellte die Deutsche Gesell-schaft für Psychiatrie undPsychotherapie, Psychosoma-tik und Nervenheilkundeeine neue S3-Leitlinie undNationale Versorgungsleitli-nie vor, die maßgebend fürdie Erkennung, Diagnose undTherapie sein soll. Ziel ist es,die Versorgung von betroffe-nen Patienten in Deutsch-land weiter zu verbessern. ImGegensatz zu einer bipolarenDepression fehlen bei einerunipolaren Depression mani-sche Phasen. Die Leitlinierichtet sich an alle Berufs-gruppen, die ambulant undstationär Patienten mit uni-polarer Depression behan-deln. Hauptsymptome einerDepression sind einegedrückte Stimmung, Inte-ressenverlust, Freudlosigkeit,Antriebsmangel und eineerhöhte Müdigkeit. Hinzukönnen eine verminderteKonzentration und Aufmerk-samkeit, wenig Selbstver-

trauen, ein Gefühl von Wert-losigkeit, Schlafstörungenund Suizidgedanken kom-men.www.leitlinien.de/nvl/depression

Novellierung beiUnterbringung in einempsychiatrischen Kranken-haus geplantDie Bundesregierung willden Verhältnismäßigkeits-grundsatz bei Unterbringun-gen psychisch kranker Men-schen stärken. Dazu hat sieden Entwurf eines Gesetzeszur Novellierung des Rechtsder Unterbringung in einempsychiatrischen Kranken-haus nach § 63 des Strafge-setzbuches (StGB) und zurÄnderung anderer Vorschrif-ten beschlossen. Hintergrundsei der kontinuierlicheAnstieg der Zahl der unterge-brachten Personen und derDauer ihrer Unterbringung,ohne dass es Belege für einenparallelen Anstieg derGefährlichkeit der Unterge-brachten gebe. Der Entwurfsieht die Konkretisierung derAnordnungsvoraussetzungennach § 63 StGB vor. Vorgese-hen ist danach die Anhebungder Kriterien, soweit Tatendrohen, durch die nur wirt-schaftlicher Schaden ent-steht, die Konkretisierung

der Voraussetzungen, soweitTaten drohen, durch welchedie Opfer seelisch oder kör-perlich geschädigt odergefährdet werden und dieNormierung der Darlegungs-anforderungen, wenn ausnicht erheblichen Anlassta-ten auf die Gefahr erhebli-cher Taten geschlossen wird.www.bmjv.de

Erfolge der Internet-Beratung bei DepressionPatienten mit einer leichtenbis mittelschweren Depressi-on profitieren von einer the-rapeutischen Online-Beglei-tung. Bei einem Pilotprojektder Techniker Krankenkasseund der Freien UniversitätBerlin mit einem internetge-stützten Beratungspro-gramm sei die Depressionder Teilnehmer gemessenmit dem sogenannten BeckDepressionsinventar II (BDIII) von 21,98 auf 9,98 Punktezurück gegangen, teilte dieTechniker Krankenkasse mit.Der Berufsverband deutscherFachärzte für Psychiatrie undPsychotherapie unterstütztgrundsätzlich die Anwen-dung von zertifiziertenOnline-Angeboten bei leich-ten bis mittelschwerenDepressionen. Man müssesich aber bewusst machen,

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William Oslerkanadischer Arzt (1849-1919)

»Fragen Sie nicht welcheErkrankung der Mensch hat, fragen Sie welcher Mensch hatdiese Erkrankung.«

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Wohnungsnot bei psychischkranken MenschenMan könne einen Menschen mit einerWohnung genau so töten wie mit einerAxt, stellte der Berliner Zeichner HeinrichZille im letzten Jahrhundert fest. Umsomehr gilt das für psychisch kranke Men-schen, die keine passende und bezahlbareBleibe finden oder in der Angst leben, ihreBehausung wegen steigender Mietenoder Umwandlung in Eigentumswohnun-gen zu verlieren.

Die »Treffpunkte« 2/2016 erscheinen am16. Mai 2016. Für ein Jahresabonnementvon 19,- Euro sichern Sie sich die sofortigeZustellung des jeweils neuesten Heftes.

Bestellung per E-Mail: [email protected]

Treffpunkte 2/2016

Bürgerhilfe SozialpsychiatrieFrankfurt am Main e. V., Holbeinstraße 25-2760596 Frankfurt am Main

Telefon 069 96201869Fax 069 [email protected]

Ausgabe 3/2015: Arbeitswelt und psychische KrankheitDie Forderung noch »Teilhabe am Arbeitsleben« ist richtig und noch langenicht verwirklicht. Doch die Arbeitgeber und Kollegen, die gegebenenfallsdieses Recht mit umsetzen sollen, werden oft allein gelassen. Viele fühlensich dann hilflos, wenn es bei psychisch kranken Mitarbeitern zu Krisenkommt. Soll also Inklusion erfolgreich in der Arbeitswelt verwirklicht werden,braucht es konkrete, auf die Situation bezogene Lösungen.

Ausgabe 4/2015: 27. Frankfurter PsychiatriewocheLeitthema der letztjährigen Frankfurter Psychiatriewoche war der Versucheiner Bilanz von 40 Jahren Reformgeschichte der psychiatrischen Versorgungin Deutschland. Die Meinungen schwankten von der Feststellung, dass vieleserreicht wurde bis zu dem Befund, dass noch bei weitem kein allgemeinakzeptabler Zustand erreicht sei.

Ausgabe 2/2015: Von der Fürsorge zum Gemeinde-psychiatrischen Verbund

Kaum noch vorstellbar sind die Zustände psychiatrischer Versorgung, wienoch vor wenigen Jahrzehnten üblich waren. Vor vier Jahrzehnten begann mitder sogenannten Psychiatrie-Enquete eine große Reformwelle in Deutsch-land. Jürgen Lilischkies, ein Augenzeuge und Reformer der ersten Stunde,berichtet, wie sich diese Entwicklungen in Frankfurt am Main vollzogen.

Im nächsten Heft:

»Treffpunkte«Die »Treffpunkte« sind ein Forum für alle in der ambulanten,teilstationären und stationären Psychiatrie sowie in der Sozi-alpsychiatrie. Die Zeitschrift berichtet über allgemeine Ent-wicklungen; das besondere Gewicht liegt auf regionalenAspekten der Rhein-Main-Region.

Der Jahresbezugspreis für ein Einzelabonnement der »Treffpunkte« beträgt 19,- Euro einschließlich Versandkosten.

Wer die Zeitschrift besonders unterstützen möchte, kann sichzu einem Förderabonnement entschließen: Ab 30,- Euro imJahr wird jede Ausgabe ins Haus geliefert. Die Ausgaben sindeinzeln zum Heftpreis von 5,- Euro erhältlich.

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dass ein großer Teil leichterDepressionen keiner Thera-pie bedürfe und sich auchspontan bessere. Bei schwe-ren und wiederkehrendenDepressionen sollte immerein Facharzt konsultiert wer-den, sagte die Vorsitzendedes Berufsverbandes, ChristaRoth-Sackenheim, gegenüberdem Deutschen Ärzteblatt.www.tk.de

Psychosoziale Kontakt-und Beratungsstellen wer-den weiter gefördertAn fast 70 Standorten in Hes-sen finden psychisch krankeMänner und Frauen dauer-haft oder vorübergehendUnterstützung in Psychoso-zialen Kontakt- und Bera-tungsstellen. Diese ambulan-ten Angebote von 44 Trägernförderte der Landeswohl-fahrtsverband Hessen imletzten Jahr mit rund 2,54Millionen Euro. Die Einrich-tungen hätten sich als Basis-angebot in der gemeindepsy-chiatrischen Versorgungbewährt. Psychosoziale Kon-takt- und Beratungsstellensind ein niedrigschwelligesAngebot und wichtiger Bau-stein der regionalen Versor-gung in Hessen. Sie stehensowohl Menschen mit einerseelischen Behinderung, alsochronisch psychisch Kran-ken, als auch deren Angehö-rigen offen. Die Beratungs-stellen bieten Gelegenheit zuGesprächen untereinanderund mit den Mitarbeitern.Den Betroffenen werden wei-terführende Hilfestellungenvermittelt oder sie werdennach der Entlassung auseiner stationären Behand-lung unterstützt. Die Einrich-tungen dienen auch alsBegegnungsstätten, die esermöglichen, den Taggemeinsam zu planen undzu gestalten. Es gibt keineverbindliche Teilnahme unddas Angebot ist offen.www.lwv-hessen.de

Experten für bessereSuizidpräventionPsychologen und Medizinerfordern eine verbesserte Sui-zidprävention in Deutsch-land. Zwar sei die Zahl derSelbstmorde langfristig rück-läufig, es gebe aber Risiko-gruppen, die einer besonde-ren Zuwendung bedürften,erklärten Psychiatriefachver-bände und Ärztevertreteranlässlich einer Expertenan-hörung im Gesundheitsaus-schuss des Bundestages zumThema SuizidpräventionEnde letzten Jahres. Die Sach-verständigen empfahlen denAusbau der Präventionsange-bote, eine gezielte Ansprachegefährdeter Menschen, einebessere Kontrolle giftigerSubstanzen und bestimmterMedikamente sowie eineverstärkte Suizidforschung.Die Sachverständigen mach-ten in der Anhörung deut-lich, dass sie durchaus Hand-lungsbedarf sehen, obgleichdie Zahl der Selbstmorde inden vergangenen Jahrendeutlich zurückgegangen ist,von 13.924 Fällen im Jahr1990 auf 10.076 Fälle im Jahr2013. In den 1980er Jahrenwar die Selbstmordrate nochwesentlich höher. Psychiaterbegründen diese langfristiggünstige Entwicklung mitden vermehrten Anti-Depres-sions-Programmen, Krisen-diensten und der ausgebau-ten Telefonseelsorge, die zumBeispiel von den großenchristlichen Kirchen angebo-ten wird. Inzwischen deutetsich aber wieder eine Trend-wende an, wie ein Sachver-ständiger in der Anhörungsagte. www.bundestag.de.

Online-Beratung für sui-zidgefährdete JugendlicheSuizid ist nach Verkehrsun-fällen die häufigste Todesur-sache bei der Altersgruppeder unter 25-Jährigen. Weiljunge Menschen klassische

Beratungsangebote kaumannehmen und meist onlinenach Unterstützung suchen,bietet die Caritas Online-Beratung für suizidgefährde-te Jugendliche an. Das Beson-dere an der Beratung ist, dassdie Ratsuchenden von spe-ziell ausgebildeten Jugendli-chen unterstützt werden.Bundesweit engagieren sichrund 130 junge Menschenehrenamtlich in der Bera-tung. Die jugendlichen Peer-berater werden dabei vonerfahrenen hauptamtlichenSozialpädagogen an fünfStandorten (Freiburg imBreisgau, Berlin, Dresden,Gelsenkirchen, Hamburg)begleitet und unterstützt.www.u25-deutschland.de

Die Angst im NackenJeder vierte Jugendliche hatchronische Schmerzen undeine psychische Störung hin-ter sich. Psychische Störun-gen gehen dabei den Schmer-zen häufig voraus: Depressio-nen, Angststörungen undVerhaltensstörungen tretenüberdurchschnittlich oft vorKopf-, Rücken- und Nacken-schmerzen auf. Dies berich-ten Forschende der Universi-tät Basel und der Ruhr-Uni-versität Bochum, die Datenvon rund 6500 Teenagernaus den USA ausgewertethaben. Dass psychische Stö-rungen und chronischerSchmerz häufig gemeinsamauftreten, haben Studien anErwachsenen bereits gezeigt.Wie häufig und in welchenMustern solche Zusammen-hänge bereits bei Kindernund Jugendlichen vorkom-men, hat nun eine Forscher-gruppe von der Fakultät fürPsychologie der UniversitätBasel im Rahmen untersucht.Die Forschenden stellten fest,dass über ein Viertel derJugendlichen im Laufe ihresLebens unter chronischenSchmerzen und mindestenseiner psychischen Störung

gelitten hat. Dabei fanden sieZusammenhänge zwischenallen untersuchten Arten vonpsychischen Störungen (wieaffektive Störungen, Angst-störungen, Verhaltensstörun-gen, substanzinduzierte Stö-rungen und Essstörungen)und chronischen Schmerzer-krankungen (wie Rücken-und Nackenschmerzen sowieKopfschmerzen). PsychischeStörungen gingen den chro-nischen Schmerzen häufigvoraus. So traten vor allemaffektive Störungen wieDepressionen zeitlich vorKopfschmerzen auf. Weitergingen Angststörungen oftNacken- und Rückenschmer-zen sowie Kopfschmerzenvoran. Schließlich sagtenauch Verhaltensstörungenwie Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörungendas Risiko für Kopfschmerzenvorher.www.unibas.ch

Doppelt so vieleKrankschreibungen wegenseelischer LeidenFür ihren Gesundheitsatlas2015 hat der Dachverband derBetriebskrankenkassen (BKK)die Daten seiner 4,3 Millio-nen Versicherten ausgewer-tet und den Schwerpunktdabei auf seelische Erkran-kungen gelenkt. Denn injüngster Zeit zeigen Studienimmer wieder eine Zunahmeder Krankschreibungen dies-bezüglich auf. Nach demBKK-Bericht gehen rund 15Prozent aller Krankentagemit ärztlichem Attest aufeine psychische Erkrankungzurück. Die Dauer der Krank-schreibungen liege imSchnitt bei 40 Tagen, beiaffektiven Störungen (dazuzählen Depressionen) imSchnitt sogar 58 Tage. Damithaben sich laut BKK dieKrankschreibungen wegenseelischer Leiden gegenüber2003 mehr als verdoppelt.www.bkk-dachverband.de

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Fragebogen

1. Was ist gut an der psychosozialen Versorgung in Frankfurt am Main?Frankfurt verfügt über eine seit Jahrzehnten gewachsene und in vielen Bereichen auch wunderbarzusammengewachsene Versorgungslandschaft, die so bunt wie die Stadt ist. Dadurch bestehen für Hilfe-suchende vielfältige niederschwellige Kontakt-, Beratungs-, Begleitungs- und Therapiemöglichkeiten, indenen die Menschen mit ihrer jeweiligen Problemlage im Mittelpunkt stehen. Die Frankfurter Psychiatrie-woche, die 2016 zum 28. Mal stattfinden wird, führt dies immer wieder eindrucksvoll vor Augen.

2. Was müsste in der psychosozialen Versorgung in Frankfurt am Main dringend verbessert werden?Das Schöne ist, dass wir bereits von einem sehr »hohen Niveau« ausgehen. Wenn man Verbesserungnicht nur auf Frankfurt bezogen sieht, ist es wichtig, dass die aktive Vernetzung zwischen den verschiede-nen Versorgungssystemen (z. B. Eingliederungshilfe, Pflege und medizinische Versorgung) noch weiterausgebaut wird und Möglichkeiten geschaffen werden, die Schnittstellen in den Systemen noch einfacherzu bedienen. Das ist aber auch eine gesamtgesellschaftliche und nicht nur Frankfurter Herausforderung.

3. Welches psychosoziale Angebot ist viel zu wenig bekannt?Wenn man davon ausgeht, dass psychische Erkrankungen und psychisch Kranke immer noch stark stig-matisiert sind, müsste jedes der vielen Angebote, die es in Frankfurt gibt, noch viel mehr bekannt werdenund das Thema insgesamt noch deutlicher an die Öffentlichkeit treten. Nur dadurch können Berührungs-ängste abgebaut und ein Zugang der Hilfesuchenden zum Versorgungssystem gewährleistet werden.Macht alle auf Euch aufmerksam!

4. Welchem Buch wünschen Sie viele Leserinnen und Leser?»Der Fall Collini« von Ferdinand von Schirach – und wer wie ich Interesse an klugen Auseinandersetzun-gen mit kriminologischen und politisch-moralischen Fragen hat, dem sei auch noch die Inszenierung vonSchirachs Theaterstück »Terror« am Schauspiel Frankfurt empfohlen. Ich werde sie mir sicher nochanschauen.

5. Welchen Film haben Sie zuletzt gesehen?Den neuen James-Bond-Film »Spectre« – und es ist schon verblüffend zu sehen, dass selbst der eisenhar-te 007 in der heutigen Zeit auf psychosoziale Betreuung angewiesen ist. Ein weiteres Argument für eineverantwortungsvolle Ausweitung unserer Angebote.

6. Sie haben plötzlich einen Tag frei – was würden Sie gerne machen?Das ist so unwahrscheinlich, dass es jede Vorstellungskraft sprengt. In der Regel sind eigentlich freie Tageplötzlich belegt.

7. Die Märchenfee erscheint – Ihre drei Wünsche?1. Einen entspannteren Terminkalender. 2. Einen noch entspannteren Terminkalender. 3. Plötzlich einen Tagfrei.

Rosemarie HeiligRosemarie Heilig von den GRÜNEN ist Dezernentin für Umwelt,Gesundheit und Personal der Stadt Frankfurt am Main. Damit ist sieauch zuständig für Fragen der psychiatrischen Versorgung in derMain-Metropole. Geboren wurde sie in Limburg an der Lahn, studierthat sie Biologie an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frank-furt am Main, beruflich war sie unter anderem wissenschaftlicheRedakteurin und Leiterin des Umweltamts der Stadt Ludwigshafenam Rhein. Seit fast vier Jahren ist sie Stadträtin und hauptberuflichim Magistrat, der »Regierung«, der Stadt Frankfurt am Main tätig.

Sieben Fragen an

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Gegen die Tyrannei der NormalitätDie 21. Frankfurter Psychiatriewoche zwischen Baby-Blues und Quetsche-Fest

TreffpunkteFrankfurter Zeitschrift für Gemeindepsychiatrie

Herausgegeben von der Bürgerhilfe Sozialpsychiatrie Frankfurt am Main e. V.

4/ 2009

Keine HeilserwartungNeuroleptika aus der Sicht von AngehörigenAntipsychiatrie reloadedEine Diskussion über Geschichte, Motive und Perspektiven der Psychiatriekritik

Neues AngebotDas Projekt Rehabilitation Psychisch Kranker (RPK) in Frankfurt am Main

Theologie der Klage und die neuen ParadieseWarum Gott uns leiden lässt

InformationenFatra hilft Flüchtlingskindern und ihren FamilienReha-Werkstatt Oberrad spielt international mitFragebogenSieben Fragen an Kai Marschner

Jahre

s-Abonnement19€ für vier Ausgaben

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Samuel Langhorne Clemens (1835-1910)Amerikanischer Schriftsteller, besser bekannt als Mark Twain

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Die WerkstattDie druckwerkstatt Rödelheim ist eine Einrichtung zur beruflichen und sozialen Integration seelisch behinderterMenschen. Träger ist der Frankfurter Verein für sozialeHeimstätten e.V.

Gemeinsam mit den Mitarbeitern bearbeitet die Werkstatt –gemäß dem Prinzip „Förderung durch Arbeit“ – die Kunden-aufträge.

Produkte und DienstleistungenAls moderne Druckerei ist die druckwerkstatt Rödelheimein Systemanbieter des grafischen Gewerbes. Unser erfahrenes Team deckt alle Fachbereiche ab –angefangen von der Beratung über die Satzherstellungund die Gestaltung bis hin zum Druck.

DruckvorstufeIn der Druckvorstufe arbeitet unsere Einrichtung mit modernen Scan- und DTP-Systemen. Sie erstellt, prüft und bearbeitet Druckdaten und belichtet diese im Anschluss auf Druckplatten mittels neuester CTP-Technik.

Digital- und OffsetdruckKleinere Auflagen sowie Andrucke werden im Digitaldruckgefertigt. Für den Offsetdruck stehen uns eine Zwei- und Vierfarbendruckmaschine zur Verfügung.

WeiterverarbeitungAlle Druckprodukte werden mit Hilfe modernster Technikverarbeitet – dazu zählen auch Buchbindearbeiten undKfz-Beschriftungen. Weiterhin können u.a. Faltschachtelnauf dem Schneideplotter produziert werden.

Wir bieten unseren Kunden zusätzlich Versand-Dienstleistungen sowie Portooptimierung an.

MailingIm Mailingbereich werden Daten und Unterlagen von einerVielzahl geübter und geschulter Mitarbeiter verarbeitet.Der Bereich beinhaltet den Postversand, nachträgliche Personalisierung sowie Konfektionierungen aller Art.

QualitätEin ständig aktualisiertes Qualitätsmanagementsystemhilft bei der Aufrechterhaltung einer gleichbleibend gutenQualität unserer Arbeit.

Frankfurter Verein für soziale Heimstätten e.V.

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