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Trinkmengenreduktion: Ein Ansatz in der Suchtselbsthilfe? Landestagung 2015 der Selbsthilfegruppen Suchtkranker und der Elternkreise für drogengefährdete und drogenabhängige junge Menschen am 28.11.2015 in Mainz Prof. Dr. Wilma Funke 2015

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Trinkmengenreduktion:Ein Ansatz in der Suchtselbsthilfe?

Landestagung 2015der Selbsthilfegruppen Suchtkranker und der Elternkreise für drogengefährdete und

drogenabhängige junge Menschen am 28.11.2015 in Mainz

Prof. Dr. Wilma Funke 2015

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Kliniken Wied

Prof. Dr. Wilma Funke, Kliniken Wied © 2015

Standort Wied Haus Mühlental; Standort Steimel: Haus SonnenhangStationäre, ganztags ambulante und ambulante medizinische Rehabilitation bei Abhängigkeitsstörungen seit 1974www.kliniken-wied.de [email protected]

www.wilmafunke.deInteressensangaben: Ltd. Mitarbeiterin der Kliniken Wied, Stellv. Vorsitzende des FVS und Stellv. Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Suchtpsychologie

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Wie kommt diese Frage zur Selbsthilfe?

(Wieder-)Entdeckung des somatischen Ansatzes der Abhängigkeitsentstehung und –entwicklung (z.B. Suchtverlangen, Kontrollverlust)

Unterstützung durch die medizinisch orientierten Ansätze der Genetik, der (Neuro-)Physiologie und der Biomedizin insgesamt (z.B. „Suchtgedächtnis“)

Entwicklungen der Forschung und Theoriebildung aus der Grundlagenpsychologie (implizite Wahrnehmung und Entscheidung; automatisches Verhalten)

Erfordernisse der Gesundheitsversorgung (z.B. Schadensminimierung, Reduzierung von Folgekosten des Konsums)

Marktorientierung der Pharmaindustrie (z.B. Anticraving-Substanzen, Medikamente zur Reduzierung von Trinkmenge und –häufigkeit)

Programme zum reduzierten/kontrollierten Konsum oder zur Substitution

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Wie kommt die Selbsthilfe zu dieser Frage?

Entwicklungspotentiale von Selbsthilfe: Unterstützung von Menschen zur Selbsthilfe

Öffnung für kritische Themen wie Rückfall, Besonderheiten bei Männern und Frauen, auf das Lebensalter bezogene Themen, Drogen

Selbsthilfe grenzt ein (im Sinne von Schutz und Sicherheit) und nicht aus (im Sinne von Stigmatisierung)

Historische Anknüpfung an Mäßigungsbewegungen in der Selbsthilfe Abstinenz von Suchtmitteln wurde immer wieder hinterfragt (z.B. bzgl.

Substitution, Tabak, psychisch wirksamen Medikamenten oder Alkohol bei Drogenabhängigkeit)

Abstinenz ist nicht überall in der Selbsthilfe Voraussetzung für Zugehörigkeit/Teilnahme (wichtiger: Veränderungsbereitschaft)

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Warum jetzt wieder die Diskussion um Abstinenz in der Gesellschaft?

Mögliche Vorteile

Eindeutige, beobachtbare Verhaltensweise

Positive „Nebenwirkungen“ auf andere Lebensbereiche

Keine Gefährdung von Menschen, die Kontrolle/ Reduktion nicht einhalten können

Mögliche Nachteile

„Abschreckung“ für Menschen, die dringend Hilfe benötigen

Entspricht nicht den gängigen Normen einer trinkfreudigen, genussorientierten Kultur

Nicht für alle erreichbar

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… Wissenschaft/Forschung und Klinik/Behandlung

Definition der Abhängigkeit: bezogen auf die letzten 12

Monate drei von sechs Kriterien Kontrollverlust zwar

zentral, aber nicht zwingend hohe Spontanremissionsrate

bei nichtklinischen Stichproben

Klinisches Verständnis: Abhängigkeit seit

durchschnittlich 10 Jahren gescheiterte

Abstinenzversuche Kontrollverlust wesentlich Prognose schlecht bei

erneutem Trinken nur bestimmte Formen der

Abhängigkeitserkrankung sind berücksichtigt

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Die handelnden Personen …

Der Behandler ist ein Experte mit Bedingungswissen, Erfahrungen und Expertise

Der Betroffene hat das Recht, seinen Weg zu gehen, mit allen Zweifeln und Fragen

Selbstbestimmung setzt die Fähigkeit voraus, Alternativen abzuwägen und sich entscheiden zu können

Ambivalenzen und Widerstände gehören zu Entscheidungs- und Veränderungsprozessen dazu

Mitbetroffene treffen ihre eigenen Entscheidungen Selbsthilfe bietet den Rahmen, nicht den Inhalt

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Abstinenzorientierung als gesellschaftliches Thema

Konsumfolgen betreffen auch die Gesellschaft als Ganzes Suchthilfe muss individuell auf das einzelne Schicksal

reagieren Fachlich fundierte und ethisch vertretbare Empfehlungen in

der Beratung und Behandlung sind vorzuhalten Selbsthilfe bietet einen gefährdungsarmen Raum an

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Alkoholkonsumfolgen in der BRD

Art 2013Alkoholvergiftungen (10-20 J.) 23.267Krankenhausfälle (F 10-Diagnosen) 338.204AU-Fälle unter Alkoholbeteiligung 850.000Rehabilitationsmaßnahmen (F 10) 40.000Gewaltstraftaten unter Alkohol 53.071 (30,8 %)Sachbeschädigung unter Alkohol 37.118 (26,6 %)Verkehrsunfälle mit Alkoholbeteiligung 13.980 (mit 314 Toten)

Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, 2015

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Zentrale Angebote der Suchthilfe in der BRD

Art der Einrichtung Anzahl PlätzeBeratungsstellen und –dienste/Jahr > 1.300 > 500.000Substitutionsbehandlung (registriert) 75.400Spezialisierte Krankenhausabteilung > 300 > 7.500Rehabilitationseinrichtungen > 420 > 14.000Sozialtherapeutische Plätze > 400 > 11.000Selbsthilfegruppen 8.700 viele

Leune, 2014

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Die Konsumzahlen in der BRD

30-Tage-Prävalenz

Prävalenz 2012 (18-64 Jahre) Männer FrauenAbstinent (mind. 30 Tage) 28,5 % 23,0 % 34,1 %

Risikoarm (0-24/12 g) 57,3 % 61,4 % 53,1 %

Riskant (24-60/12-40 g) 12,0 % 12,6 % 11,6 %Gefährlich (60-120/40-80 g) 1,8 % 2,4 % 1,2 %Hochkonsum (>120/>80 g) 0,4 % 0,7 % 0,1 %Alkoholabhängige 3,4 % (1,77 Mio.) 4,8 % 2,0 %Alkoholmißbraucher 3,1 % (1,61 Mio.) 4,7 % 1,5 %Rauschtrinken bei 16-17 J. 32,4 % (2012: 39,7 %) 33,3 % 31,5 %

Fachverband Sucht: www.sucht.de

riskant/gefährlich: 15 % der Männer und 12,9 % der Frauen

abhängig/Mißbrauch: 9,7 % der Männer und 3,5 % der Frauen

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Behandlungserfolge(medizinische Rehabilitation)

Erfolg Abstinent Abst. Nach Rück.

Rückfall102030405060708090

MännerFrauen

Prozent

DGSS1; Einjahreskatamnese des FVS, 2015; N = 7.335 (2.274 Frauen = 31 %)

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A-Niveau Empfehlungen der S3-Leitlinien(mit ausreichender empirischer Fundierung, geschlechtsunspezifisch)

Die generelle Wirksamkeit postakuter Interventionsformen ist erweisen und sollte Patienten nach der Entzugsphase als nahtlose weiterführende Behandlung angeboten werden.

Abstinenz sinnvoll bei postakuten Interventionsformen für Abhängigkeitserkrankte als primäres Therapieziel (bei Nichterreichbarkeit: Schadensminimierung durch Konsumreduktion)

Interventionsformen:, die u.a. empfohlen werden: Motivationale Interventionsformen Angehörigenarbeit Patientengruppen Pharmakotherapeutische Behandlung im Einzelfall zusätzlich zur

psychosozialen Beratung

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Trinkmengenreduktion:Ein Ansatz in der Suchtselbsthilfe?

Jein!! Eigene Position behaupten Andere Positionen zulassen und respektieren Ängste und Probleme ansprechen Wege weiterentwickeln, wie Menschen ermutigt

werden können, Veränderungen anzugehen

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Danke für Ihre Aufmerksamkeit!Foto: M. Schwarz, 2014

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