Troia - Hertel, Dieter

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Der Mythos vom Troianischen Krieg steht am Anfang der europischen Geistes- und Literaturgeschichte; er wurde dank der Mas des Homer fester Bestandteil unseres kulturellen Gedchtnisses. Ganz im Banne der Mas stehend, wagte lange Zeit niemand, die Geschichtlichkeit des Troianischen Krieges, wie ihn Homer schilderte, anzuzweifeln. Und als Heinrich Schliemann auch noch jene sagenumwobene Stadt unter dem Schutt des Hgels Hisarlk fand und den archologischen Befund in schon recht abenteuerlicher Weise mit den Versen Homers in Einklang zu bringen suchte, trieb er sozusagen mit dem Spaten in der Hand die wenigen Zweifler in den Hinter grund der wissenschaftlichen Diskussion. Homer und Schliemann werfen bis heute lange Schatten, und noch immer ist auch unter modernen Wissenschaftlern die Neigung gro, ,den Troianischen Krieg ausgraben zu wollen. Dieter Hertel, der Autor des vorliegenden Buches, ist dieser Versuchung nicht erlegen und versucht erst gar nicht, einen Zu gang zu den neun Schichten des untergegangenen Troia auf dem trgerischen Weg ber die Sage zu finden, sondern ber die sachliche Analyse der archologischen Funde. Die Archo logie darf aber nicht als Geschichtsschreibung mit anderen Mitteln miverstanden werden; sie verfolgt vielmehr eigene Fragestellungen, auf die sie mit ihren eigenen Methoden Ant worten zu finden sucht. Indem der Autor Troia aus dem Dickicht der literarischen und wissenschaftlichen Mythen be freit, die archologischen Funde beschreibt und daraus seine Schlsse zieht, prsentiert er eine ungewohnte, aber spannende Geschichte der Stadt - und wenn man genau hinschaut, kann man sogar erkennen, wo in den Versen Homers wirklich ein mal ein Fnkchen Geschichtlichkeit hervorleuchtet. Dieter Hertel lehrt als Professor fr Klassische Archologie an der Ludwig-Maximilians-Universitt Mnchen. Seine For schungsschwerpunkte liegen im Bereich der rmischen Portrait kunst und der Archologie Nordwest-Kleinasiens. Er hat selbst an mehreren Grabungskampagnen in Troia teilgenommen und zahlreiche einschlgige Verffentlichungen zu Troia vorgelegt.

Dieter Hertel

TROIA

Archologie, Geschichte, Mythos

Verlag C.H.Beck

Mit 4 Karten und 16 Abbildungen, davon 3 in Farbe

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Hertel, Dieter: Troia : Archologie, Geschichte, Mythos / Dieter Hertel. - Orig. Ausg. - Mnchen : Beck, 2001 (C.H.Beck Wissen in der Beckschen Reihe ; 2166) ISBN 3 406 44766 X

Originalausgabe ISBN 3 406 44766 X

Umschlagmotiv: Handpferd, Athen, Akropolis-Museum, Marmor (520-510 v. Chr.) Editions Gallimard, La Phototheque/Paris Umschlagentwurf von Uwe Gbel, Mnchen Verlag C.H. Beck oHG, Mnchen 2001 Satz: Ksel, Kempten Druck und Bindung: Freiburger Graphische Betriebe Printed in Germany www.beck.de

Inhalt

Vorwort ............................................................................. I. Einleitung .................................................................. II. Forschungsgeschichte: Die Sage vom Troianischen Krieg. Ein Dauerbrenner in der Abendlndischen Geistesgeschichte ..................................................... III. Troia-Ilion: Die Lage der Stadt in ihrer natur rumlichen Umgebung ............................................. IV. Die berhmten sogenannten neun Schichten oder Stdte ......................................................................... 6 7

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V. Das Problem von Geschichte und Mythos in der Sage vom Troianischen Krieg ................................... 101 VI. Weiterleben und Rezeptionsgeschichte der Troia-Sage in antiker und nachantiker Zeit ............. 118 VII. Nachwort: Die Rolle der Ilias zwischen Literatur, Geschichtsbuch und historischer Quelle .................. 122 Kommentierte Bibliographie ............................................. 124 Ausgewhltes Personen- und Ortsregister, Zeittafel ........ 128

VorwortDas vorliegende Buch ist die Frucht jahrelanger Beschftigung mit dem Thema. Ohne die tatkrftige Hilfe der Deutschen Forschungsgemeinschaft, des Museums fr Vor- und Frhge schichte und des Deutschen Archologischen Instituts in Ber lin sowie seiner Abteilungen in Athen und Istanbul htten die Arbeiten nicht durchgefhrt werden knnen. Das heit auch, da ich vielen Kollegen zu Dank verpflichtet bin, insbesondere gilt dies fr Justus Cobet von der Universitt Essen und den zustndigen Lektor des Beck Verlages, Stefan von der Lahr, beide Althistoriker, ohne deren nicht erlahmende Unterstt zung der Band nicht zustande gekommen wre. Mnchen, im Februar 2001 Dieter Hertel

I. EinleitungDie Geschichte vom Krieg um Troia faszinierte die Men schen, seit Homers Ilias davon erzhlt, die Frage nach seiner Geschichtlichkeit aber seit dem Aufkommen der modernen Quellenkritik am Ende des 18. Jhs. Die Ausgrabungen Schlie manns zwischen 1870 und 1890, W. Drpfelds 1893/94 und des Amerikaners C.W. Biegen von 1932 bis 1938 in Troia trugen dazu bei, das Interesse an diesem Thema wachzuhalten und noch zu steigern. Die Wiederaufnahme der Grabungen durch M. Korfmann im Jahre 1988 verlieh dem Ort am Ska mander (Abb. 2) neuerlich groe Aktualitt. Wie kaum ein an derer Sachverhalt aus der Geschichte der Alten Welt wurde er zum Bettigungsfeld der verschiedensten Disziplinen der Alter tums- und Geschichtswissenschaft, von Klassischer Philologie, Alter Geschichte, Klassischer Archologie, Vorgeschichte, Indogermanistik und Hethitologie. Und wie kaum ein anderes Thema der historischen Kulturwissenschaften entwickelte er sich zum Tummelplatz weitreichender Spekulationen. Die moderne Beschftigung mit dem Troianischen Krieg, mit einem Mythos oder einer Sage, d.h. einer Erzhlung, deren Entstehung und Ausgestaltung von vielerlei unterschied lichen Interessen geleitet war und meist von kriegerischen Taten von Helden und/oder Gttern handelt, die sich als tatschliches Geschehen in einer weit zurckliegenden, als ,groartig gedachten Vergangenheit gibt, konzentrierte sich im allgemeinen darauf, die Geschichtlichkeit des Berichteten nachzuweisen oder sie zu bestreiten. So entstanden selbst wie derum neue Mythen, also von Sehnschten und Interessen des modernen Menschen gespeiste, nicht hinterfragte Wunschbil der von historischen Sachverhalten, wie z.B. jenes, da der Troianische Krieg tatschlich, und zwar am Ende der spten Bronzezeit, im 13. oder 12. Jh.*, und zumindest in den Grund* Die Zeitangaben, die sich auf die ra vor Christi Geburt beziehen, sind ohne die Angabe ,v. Chr. wiedergegeben (z.B. 12. Jh. = 12. Jh. v. Chr.),

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zgen, wie ihn die Sage beschreibt, stattgefunden habe, womit in der Regel gemeint ist, da Troia von mykenischen Griechen eingenommen worden sei. Ein anderer moderner Mythos, der in diesem Zusammenhang aufkam, lautete, die Grabungs ttigkeit des Archologen bedrfe der kritischen Methoden der Geschichtswissenschaft nicht und sei von sich aus ein sicherer Weg, die Geschichtlichkeit von Sagen zu beweisen oder zu widerlegen. Die ,Handgreiflichkeit dieser Ergebnisse einer solchen .Wissenschaft des Spatens, die angeblich unmit telbare und eindeutige Aussagekraft der zutage gefrderten Denkmler, wurde gegen die ernchternde, Distanz schaffende Quellenanalyse des Historikers ausgespielt. Solche Auffas sungen vertraten, obgleich mit unterschiedlichem Nachdruck, auch die Ausgrber von Troia; der vermeintliche ,Autoritts beweis bewirkte, beabsichtigt oder nicht, eine gesteigerte Akzeptanz derartiger Positionen nicht nur bei dem interessier ten Laien, sondern sogar in der Fachwelt. Nur ungern oder gar nicht setzte sich mancher Ausgrber mit den Stimmen kri tischer Forscher, meist Vertretern der Alten Geschichte, aus einander: Die ,Waffe des Ausgrbers, der ,Spaten, sollte ohne Umschweife den Sieg ber den rsonierenden Verstand davon tragen, und es mutet grotesk an, da man immer wieder auf Heinrich Schliemann wie auf eine Symbolfigur wies, obwohljene, die die Zeit nach Christi Geburt betreffen - soweit es sich um das er ste Jahrtausend handelt - sind mit ,n. Chr. gekennzeichnet, alle anderen in der blichen Schreibweise gedruckt (z. B. 20. Jh.); wenn keine genauen An gaben gemacht werden, so ist stets ,ca. zu ergnzen. Die Krzel [Grobuchstabe(n) Leertaste Zahl(en) (z.B. A 5 oder JK 3/4)] bezeichnen die Planquadrate auf den Plnen von Troia (Abb. 4. 13 b und 14), so da die Fundstellen bzw. Bauwerke leicht aufgefunden werden knnen. Bei den Ma- und Entfernungsangaben ist immer ,ca. zu ergn zen; Jh. = Jahrhundert, Jt. = Jahrtausend. Da der Name Hellespont bei Homer und bis ins 5. Jh. in der Regel nicht nur die heute Dardanellen genannte Meerenge (Abb. 2.3), sondern auer dem die gesamte nrdliche gis (Abb. 1) bezeichnete, wird im folgenden zur Kennzeichnung dieser Meerenge nur die Bezeichnung Dardanellen verwendet. Ansonsten werden, wenn nicht anders vermerkt, die antiken Namen fr Orte, Flsse usw. verwendet.

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dessen problematisches Vorgehen dies sachlich keineswegs gerechtfertigt erscheinen lt. Dieses Verfahren konnte sich dennoch des Beifalls einer breiten ffentlichkeit gewi sein. Der Medienaufwand im Zuge der gegenwrtigen Aktivitten in Troia trug das Seinige dazu bei. Es mutet bedenklich an, wenn auch heute noch die Ausgrber vor Ort die Hoffnung hegen, ,eines Tages mit dem Spaten wider Erwarten auf ein deutige Beweisstcke (fr die Geschichtlichkeit des Mythos) zu stoen (J. Cobet). So soll der folgende Text, wie es einem Wissen-Band gem ist, unsere Kenntnisse zum Thema Troia allgemeinverstndlich, aber auch angemessen kritisch darstellen. Das Problem der Geschichtlichkeit des Troianischen Krieges soll hier, aufklre rischem Denken verpflichtet, auf philologischem, althisto rischem und archologischem Wege angegangen werden, denn nur eine interdisziplinre und ,ganzheitliche Betrachtung kann Erfolg bei der Klrung der aufgetretenen Fragen ver sprechen. Die seit Aufklrung und Historismus entwickelten und bis heute zunehmend verfeinerten Methoden von Klassi scher Philologie und Alter Geschichte sowie eine die bisheri gen Grabungsergebnisse kritisch durchleuchtende archologi sche Vorgehensweise stellen die Basis der nachfolgenden Ausfhrungen dar. Das Resultat sei bereits hier kurz vorweg genommen: Weder unter philologischem und althistorischem noch unter archologischem Blickwinkel kann von einem historischen Kern der Sage die Rede sein. Nicht ein dem Mythos mehr oder minder entsprechendes Geschehen in der spten Bronzezeit, sondern eine jngere, ganz anders geartete, geringfgige und sich in hnlicher Weise an anderen Orten Nordwestkleinasiens abspielende Begebenheit der frhen grie chischen Geschichte kommt als Grundlage der Sagenbildung in Betracht: die Besiedlung Troias durch aus Mittelgriechen land stammende Griechen. Von den vielen Schichten, in denen Troia im Laufe der Jahrhunderte immer wieder nach Zer strungen neu erbaut wurde, bildeten nicht die Schichten Troia VI aus dem Zeitraum 1700-1300 und VIIa aus dem 13. Jh. den Schauplatz aufsehenerregender kriegerischer Ereig9

nisse; diese spielten sich vielmehr im Zuge eines von der Welt unbemerkten Infiltrationsprozesses griechischer Siedler ab, der nach dem Ende der letzten bronzezeitlichen Schicht, von Troia VIIb 2, im 11. Jh., einsetzte. Erst im Verlauf dieses Vorgangs kam es infolge besonderer Rahmenbedingungen zur Entwick lung der von Homer gestalteten weltberhmten Sage. Die Ausbildung dieses Mythos, der fester Bestandteil unseres kul turellen Gedchtnisses wurde, war von Anfang an durch und durch griechisch geprgt. Sie wurde von Faktoren bestimmt, die erst mit der Besiedlung Troias durch Griechen, im 11. und im 10. Jh., wirksam wurden, und ist ohne die Entfaltung der frhen griechischen Kultur in Westkleinasien und auf den vor gelagerten Inseln nicht denkbar. Der Leser sollte, wenn er ver sucht, sich Klarheit ber den tatschlichen Geschehensverlauf zu verschaffen, sich dabei stets bewut sein, da die Ilias Ho mers - also jenes dichterische Growerk, das am Anfang der abendlndischen Literatur steht - sehr viel jnger ist als die Ereignisse, um die es hier geht. Es entstand erst um 750, und auch wenn das eine oder andere reale Ereignis, das im 11. und 10. Jh. stattgefunden hatte, den Ausgangspunkt der Sagen tradition gebildet haben kann, so lag dem Gestalter dieses Epos doch nichts ferner, als eine chronikartige Wiedergabe uralter Geschehnisse zu bieten. Ihm ging es vielmehr um die Behandlung von brennenden Problemen aus seiner Lebens welt; und so bezieht das Werk, das im Erzhlzusammenhang des Troianischen Krieges steht, sein kulturelles Kolorit fast ausschlielich aus der Zeit Homers, also aus dem 8. Jh. Da Homer wohl eine Zeitlang an Frstenhfen in der Troas lebte, stattete er sein Epos mit anscheinend recht genauen Angaben zur lokalen Geographie und zu den Baulichkeiten der Stadt und ihrer Umgebung aus. Bevor die Hauptprobleme bei der archologischen Erfor schung Troias dargestellt werden, verdienen sowohl die Ilias als auch die anderen schriftlichen Quellen zur Sage eine kurze Wrdigung: Die Ilias ist wohl ein von dem Dichter Homer am Ende seines Lebens, in Versform - in sogenannten Hexa metern - verschriftlichtes Groepos, dem gewi ltere, abwei10

chende Fassungen gleichen Versmaes dieses Dichters voran gegangen sind; nur ein Abschnitt, der sogenannte Schiffskata log (2, 484-762), aus dem man erfhrt, von wo berall die Griechen kamen, um nach Troia aufzubrechen, knnte, in krzerer Gestalt, schriftlich fixierter Bestandteil eines dieser Vorgngerepen gewesen sein. Ihnen drften wiederum noch ltere Epen vorausgegangen sein, deren Inhalte von Homer verarbeitet wurden. Gleichzeitig mit Homer schufen vermutlich andere Dichter gleichfalls Epen zu Troia, die sich inhaltlich durchaus unter schieden. Sie drften Homer manche Anregung fr die Ausge staltung seines eigenen Werkes geliefert haben. Ebenso scheint er Motive aus Dichtungen mit ganz anderer Thematik ber nommen zu haben. Bei allen diesen Vorlagen handelte es sich um mndlich und in Hexametern abgefate Gedichte. Die auf den Dichter gekommene Tradition, seine lteren Versuche und die Integration von Stoffen und Motiven zeitgleicher Epen drften ebenso wie eine gewisse Unbersichtlichkeit, die die Form des Groepos zwangslufig mit sich brachte - immerhin umfat die Ilias rund 16000 Verse -, die zahlreichen, nicht zu bersehenden Unstimmigkeiten und Widersprche der Ilias verursacht haben. Dennoch kann dieses Epos als schpferi sches, vom Willen zu inhaltlicher und stilistischer Stimmigkeit getragenes Werk gelten. Allerdings ist nicht der gesamte uns bekannte Iliastext ,homerisch, denn der 10. Gesang, der vom Spherunternehmen des Troianers Dolon erzhlt, wurde erst im 7. oder 6. Jh. hinzugefgt, und es gibt gute Grnde, auch mit weit krzeren Textzustzen aus spterer Zeit zu rechnen; die betreffenden Textstellen knnen aber im Rahmen dieses Buches nicht vorgestellt und errtert werden. Thema der Ilias ist brigens nicht der Troianische Krieg in seiner Gesamtheit, sondern nur eine Episode aus dem 10. Jahr der Kampfhandlungen. Dabei handelt es sich um den ,Zorn des Achilleus und seine schwerwiegenden Folgen fr Grie chen und Troianer: Der Griechenheld zieht sich, in seiner Ehre getroffen, vom Kampf zurck, als ihm der Oberbefehlshaber des griechischen Heeres, Agamemnon, seine Kriegsbeute, eine 11

schne Sklavin, wegnimmt. Im Verlauf der Ilias droht nun den Griechen der Untergang, bis sich Achilleus nach dem Tod sei nes besten Freundes Patroklos besinnt, den Kampf wieder auf nimmt und den grten Helden der Troianer, Hektor, im Zweikampf ttet. Der Dichter kennt jedoch eine Flle von Ereignissen aus der Zeit vor und nach der Episode vom Zorn des Achilleus, wie aus vielen mehr oder minder beilufigen uerungen hervorgeht - so z. B. das Urteil des Paris als Aus lser oder die List vom Hlzernen Pferd als Ende des Krieges. Zeitlich folgte auf die Ilias die Odyssee, ebenfalls ein Gro epos, ca. 730/20 aufgezeichnet, in dessen Zentrum die Irr fahrten und die Heimkehr des Odysseus sowie die damit ver bundenen politischen und menschlichen Spannungen stehen. Zugleich enthlt sie zahlreiche Hinweise auf die auf das Ilias geschehen folgenden Ereignisse, darunter die Eroberung Troias durch die Griechen. Die Odyssee wurde vielleicht von einem Sohn oder Schler Homers gedichtet, kurz der Odysseedichter genannt. Die Entstehung dieses Epos mu man sich prinzipiell hnlich wie jene der Ilias vorstellen. Obwohl hier die Ansicht vertreten wird, da Ilias und Odyssee nicht auf einen, sondern auf zwei Dichter zurckgehen, wird im Laufe der Untersu chung, wie es in der Forschung blich ist, der Krze halber immer wieder auch einfach von ,homerischen Epen gespro chen. Im 7. und 6. Jh. wurden von nicht sicher identifizierten Dichtern umfangmig viel kleinere und weniger problemori entierte Epen verfat. Es handelt sich dabei um die ,Kyprien, welche die Geschehnisse bis zum Zorn des Achilleus erzhlen: die ,Aithiopis, die von den Ereignissen nach dessen Zorn bis zum Selbstmord des sogenannten Groen Aias berichtet, die Jliupersis mit der Darstellung der Eroberung Troias, die Rosten, welche die Rckfahrt der Griechenhelden behan deln, und die ,Kleine Ilias, die eventuell ein epischer Abri der gesamten Troia-Sage gewesen ist. Leider sind diese Dich tungen nur in Fragmenten und knappen Zusammenfassungen spterer antiker Autoren erhalten. Themen des Troianischen Krieges und aus seinem Umfeld wurden aber in der Antike 12

nicht nur im Rahmen der hier aufgefhrten Werke aufgegrif fen und bearbeitet; der wirkungsmchtige Stoff forderte auch die schpferischen Krfte der attischen Tragiker Aischylos, Sophokles und Euripides (5. Jh.) ebenso wie die des ,Zweiten Homer, des augusteischen Dichters Vergil in seiner Aeneis (ca. 30/20), heraus. Wie Vergil so dichteten auch Diktys (4. Jh. n. Chr.) und Dares (5. Jh. n. Chr.) in lateinischer Spra che und von den beiden zuletzt Erwhnten stammen sogar Gesamtdarstellungen des Troianischen Krieges in Romanform. Damit sind bei weitem nicht alle genannt, die sich von dem groartigen Stoff zu eigenem Schaffen anregen lieen, aber den jngeren wie den lteren Dichtern sowie Homer selbst ist eines gemeinsam: Die Inhalte, mit denen sie arbeite ten, wurden stets umgestaltet und verndert und den indivi duellen Interessen der Dichter und ihrer Lebenswelt unterge ordnet. Ein Beweiswert fr irgendein historisches Geschehen kommt keinem dieser Texte zu.

II. Forschungsgeschichte: Die Sage vom Troianischen Krieg. Ein .Dauerbrenner in der Abendlndischen Geistesgeschichte

Die philologische Forschung* Die Sage vom Troianischen Krieg wurde im griechischspra chigen byzantinischen Reich unmittelbar in Form der home rischen Epen, aber auch ber Bearbeitungen des darin ver wendeten Sagenstoffes aus dem 6. Jh. n. Chr. und dem 12. Jh. vermittelt. Im Westen Europas, der durch die Herrschaft der Rmer zum latinisierten und romanisierten Kulturkreis des Abendlandes gehrte, vollzog sich die Verbreitung besonders ber die eben genannten Autoren. Die beginnende Renaissance suchte jedoch die Texte im griechischen Osten: Schon 1353 hatte Petrarca ein Exemplar der homerischen Epen als Ge schenk aus Konstantinopel erhalten und 1360 lie er sie ins La teinische bersetzen. 1403/8 brachte Guarino von Verona ca. 60 Handschriften in den Westen. Nach der Eroberung Kon stantinopels im Jahre 1453 gelangten weitere Texte der Ilias und Odyssee nach West- und Nordeuropa und stieen bald auf ein groes Echo. Die Epen wurden als von Homer geschaffene, groe Dichtung verehrt, die Sage vom Troianischen Krieg selbstverstndlich als historisches Geschehen angesehen. Mit den 1795 erschienenen ,Prolegomena ad Homerum (Vorbemerkungen zu einer Neuausgabe des Homer-Textes) von F. A. Wolf schlug die Stunde der kritischen Homerfor schung. Wolf, ltere Anstze und die kritische Analyse des Alten Testaments (J. G. Eichhorn, Historisch-kritische Einlei tung in das Alte Testament [3 Bde, 1780-83]) aufgreifend, ging aufgrund der sachlichen, gedanklichen und sprachlichen Unebenheiten der homerischen Epen davon aus, da sie keine* Die Klassische Philologie befat sich mit der Erforschung der Sprache und Literatur der Griechen und Rmer.

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einheitlichen Schpfungen waren, sondern jeweils auf ur sprnglich selbstndige, fest umrissene dichterische Einheiten kleineren Umfangs zurckgingen. Nur jeweils eine von ihnen, die grte und bedeutendste, sei von Homer gedichtet wor den. Erst spter, im 6. Jh., seien diese Kleinepen aufgezeichnet worden, und zwar von einem sog. Redaktor, einem ,Zusam menfger, der sie in handwerklicher Weise und nur unwe sentlich verndert zu Groepen zusammenstellte. Das bedeu tete, die liebgewordene Vorstellung von einer einzelnen berragenden Dichterpersnlichkeit, dem die Schpfung der Epen bislang zugeschrieben worden war, aufzugeben. Mit dieser Erkenntnis trat die Forschungsrichtung der ,Analyse ins Leben, die in unterschiedlicher Ausprgung die Homerphilo logie des 19. und frhen 20.Jhs. dominieren sollte und noch bis heute nachwirkt. Die Mglichkeit, da die homerischen Epen ein hohes Ma an geschichtlichen Nachrichten aus alter Zeit enthalten, wurde durch die Analyse in Frage gestellt; meist nahm man nur ein geringfgiges historisches Ereignis der frhen griechischen Geschichte an, das dann spter dich terisch ausgestaltet worden sei, wie besonders ausfhrlich von E. Bethe dargelegt wurde. Die Forschungsrichtung, die sich der Analyse in verschiede nen Spielarten entgegenstellte, war der ,Unitarismus: Die Ver treter dieser Richtung waren der Auffassung, da die ,Ecken und Kanten der Epen auf einer hheren Ebene durch die dichterische Konzeption zu erklren seien, und versuchten in den Werken einheitliche Schpfungen Homers und - gegebe nenfalls fr die Odyssee - des Odysseedichters zu sehen. Der Unitarismus bestimmte, ausgehend vor allem von den Arbei ten W. Schadewaldts, die Homerphilologie seit den dreiiger Jahren des 20. Jhs. Auch die Unitarier rechneten mit Vorgn gerepen und stndiger Neugestaltung der Inhalte, auerdem zeigten sie die Einbindung von Ilias und Odyssee in die Welt des 8. Jhs. auf. Dennoch glaubten sie oft, einen nicht (ganz) unbetrchtlichen historischen Kern der Ilias herausfiltern zu knnen, der fr sie ins 13. oder 12. Jh. reichte; dies vertra ten so bedeutende Forscherpersnlichkeiten wie Schadewaldt, 15

A. Lesky, U. Holscher und ausgeprochen dezidiert in jngerer Zeit J. Latacz. Nur wenige machten darin eine Ausnahme vor allem A. Heubeck, der der Sage vom Troianischen Krieg die Geschichtlichkeit absprach und den fundamentalen Unter schied zwischen der Welt der Epen und der spten Bronzezeit hervorhob. Die sich mit dem Unitarismus Schadewaldtscher Prgung berhrende ,Neoanalyse (Neuanalyse), die ebenfalls die Ilias einem Dichter namens Homer zuschrieb, hob im Gegensatz zur alten Analyse nicht die fast unvernderte ber nahme von fest gefgten Einzelliedern, sondern die produk tive Verarbeitung von Motiven aus altorientalischer Poesie und mndlicher griechischer Epik neben Homer hervor, deren ,Quellen Dichtungen waren, die sowohl um Troia als auch um andere Themen kreisten. Der Auffassung, da man einen historischen Kern aus der Sage vom Troianischen Krieg ge winnen knne, standen die Vertreter dieser Richtung sehr skeptisch gegenber, was besonders fr ihren gegenwrtigen Hauptvertreter, W. Kulimann, gilt. Neue Anste zum Verstndnis der Epenentwicklung brachte die im frhen 20. Jh. einsetzende ,Oral Poetry-For schung, d.h. die Untersuchung von seit langem praktizierter und noch lebendiger, mndlicher Heldendichtung. Lesky hat sie treffend wie folgt charakterisiert: Der Form nach herrscht Verserzhlung vor, deren Einheit nicht die Strophe, sondern der Einzelvers ist. Reden spielen in der Erzhlung eine bedeu tende Rolle. Das einprgsamste Merkmal jedoch ist die be herrschende Rolle typischer Elemente. Da ist das stehende Beiwort, die immer wiederkehrende Formel greren Umfan ges, da sind die typischen Szenen wie Rstung, Ausfahrt, Hochzeit und Leichenfeier." (Zu ergnzen wre noch ,Kampf, vor allem .Zweikampf herausragender Helden). Die Beobach tung, da die erwhnten Elemente der Dichtung ber lange Zeit hin beibehalten wurden, fhrte bei vielen Vertretern der Oral Poetry-Forschung zu dem Schlu, die Sprachform des ursprnglichen Werkes sei in ihren wesentlichen Zgen noch fabar. Da auch Ilias und Odyssee voll von typischen Elemen ten dieser Art waren, bertrug man diese Folgerung auf die 16

frhe griechische Dichtung (M. Parry). Daraus wiederum wurde eine lebendige Erinnerungstradition von der spten Bronzezeit bis auf Homer abgeleitet, d.h. es wurde mit der Bewahrung von Eckpunkten des historischen Geschehens ber Jahrhunderte hinweg in ganz bestimmten, unverndert geblie benen Versen der Ilias gerechnet - eine Position, die M. P. Nilsson begrndete. Allerdings ergaben neuere Forschungen zur Oral Poetry, da sich ein Rckschlu von Homer auf Begebenheiten aus vorhomerischer Zeit verbietet, da man fest stellte, da sich auch die typischen Elemente vernderten oder vergessen, durch neue ersetzt und besonders immer neu zu sammengesetzt wurden. Auch wurde wieder ins Zentrum gerckt, was der Oral Poetry schon vor langem aufgefallen war (M. Murko): Selbst dann, wenn einem mndlich weiter vererbten Heldenlied ursprnglich einmal ein historisches Ereignis zugrunde lag, so vernderte sich doch solch ein Hel denlied von Vortrag zu Vortrag unter Einwirkung der sich wandelnden politischen, sozialen und kulturellen Verhltnisse, so da das auslsende Geschehen nur in weitgehend vern derter Gestalt und ganz neuen Zusammenhngen einverleibt fortlebte. Hinzu kam, da die vor einigen Jahrzehnten ins Leben getretene ,Oral History-Forschung, die die Gedchtnis mglichkeiten des gewhnlichen Volkes oder .gemeinen Mannes untersucht, deutlich machte, da ein geschichtliches Ereignis in schriftlosen Kulturen und ohne ritualisierte Erin nerungsformen, wie sie beispielsweise die Abendmahlsfeier im christlichen Gottesdienst darstellt, im Normalfall hchstens ber drei Generationen, mithin allenfalls neunzig Jahre, bewahrt werden kann. Das bedeutet, da Homer und auch schon den Dichtern, auf deren Lieder er fr die Gestaltung der Ilias zurckgegriffen hat, unmglich noch authentisches historisches Wissen verfgbar war, das die Daten getreulich bewahrte, als ihre Werke entstanden; sie drfen also nicht ein mal als Quellen fr Ereignisse aus dem 10. und 11., ge schweige denn aus dem 12. und 13. Jh., angesehen werden. Die gegenwrtige Situation in der Homerphilologie ist, so weit ich sie berblicke, dadurch gekennzeichnet, da der uni 17

tarische Ansatz zwar das Feld beherrscht, aber viele Unvoll kommenheiten der Epen keineswegs , weginterpretiert werden. Man hat vielmehr erkannt, da sie von Homer und ge gebenenfalls dem Odysseedichter bersehen und daher nicht bereinigt worden sind, was einfach aus den besonderen und schwierigen Entstehungsbedingungen der Epen, so wie sie ge rade beschrieben wurden, zu erklren ist (Beispiele: Zeus pro phezeit Ilias 8, 469-476 zufolge, da Achilleus den Hektor im Schiffslager der Griechen beim Leichnam des Patroklos er schlgt, wohingegen Achilleus nach Ilias 22,1 ff. Hektor vor der Mauer von Troia ttet, whrend der tote Patroklos im grie chischen Lager aufgebahrt ist; Ilias 5, 576-579 zufolge fllt der Paphlagonenknig Pylaimenes durch die Hand des Mene laos, nach Ilias 13, 643-659 verlt aber Pylaimenes Trnen vergieend das Schlachtfeld, weil sein Sohn gettet wurde). Und gerade die Neoanalyse, die, wie schon betont, nicht die prinzipielle Einheit des Epos leugnet, liefert mit ihrem Ansatz, da whrend des Schaffungsprozesses immer wieder Erzhl motive aus anderen Dichtungen bernommen und dem jeweils aktuellen Stoffbestand eingewoben wurden, eine gute Er klrung fr das Vorhandensein vieler Ungereimtheiten. Die althistorische Forschung Die von B. G. Niebuhr zu Beginn des 19. Jhs. entwickelte Quel lenkritik, d.h. die Ermittlung der Zuverlssig- oder Unzuver lssigkeit antiker Schriftquellen, vor allem die Zergliederung der Tradition und die historische Zuordnung der so heraus prparierten berlieferungsschichten, stellte die Beschftigung mit der Alten Geschichte auf eine neue Basis. Niebuhr, dessen Arbeiten insbesondere den Anfngen der rmischen Geschichte gewidmet waren, leugnete den Zeugniswert der homerischen Epen fr das darin beschriebene Heldenzeitalter. Und G. Grote uerte sich in seiner 1846 zum ersten Mal erschienenen Grie chischen Geschichte ebenfalls uerst skeptisch zu dieser Frage. Die meisten Althistoriker des 19. und der ersten Hlfte des 20. Jhs. folgten solchen Einschtzungen. 18

Ein Kenner der griechischen Vor- und Frhgeschichte sowie der Grabungen in Troia, der bedeutende Historiker M. I. Fin ley, betonte seit den fnfziger Jahren des 20. Jhs. wiederholt die Problematik der homerischen Epen als Quellen fr die spte Bronzezeit und erwog als eventuell denkbaren historischen Kern der Ilias eine Zerstrung von Troia, wie wir sie in der Schicht Vila, also um 1200, dokumentiert finden, durch hei matlose, marodierende Gruppen von mykenischen Griechen. F. Hampl betonte, lteren Untersuchungen folgend, die unter schiedliche Herkunft der in der Ilias zusammengeflossenen Heldensagen und ma den gewaltigen berresten der spt bronzezeitlichen Befestigungsmauer Troias und den Kmpfen landsuchender Griechen in der Troas - im Umland des alten Troia - sagenbildende Kraft zu; dieser Vorgang vollzog sich allerdings erst in der Nachbronzezeit. Auch E. Meyer sah in den Trmmern der alten Stadt einen wichtigen Faktor der Sagenbildung - lag es doch nahe, da so gewaltige Ruinen den Geist der Nachfahren zu Heldendichtung inspirierten -, glaubte aber im Mythos keinen historischen Kern ausmachen zu knnen. J. Cobet bekannte sich 1983 unter kritischer Err terung der Grabungsresultate ebenfalls zu dieser Grundlinie der Forschung; auerdem wies er auf die an der Stelle der bron zezeitlichen Siedlung angeblich erst um 700 gegrndete grie chische Stadt Ilion und ihre bis ins 4. Jh. reichende Geschichte als wichtigen Gegenstand geschichtswissenschaftlicher For schung hin: Sollte man bersehen drfen, da nicht erst unsere Romantiker, sondern auch antike Menschen sich gern eine ,heroische Vergangenheit konstruierten? Gehrt eine solche Erzhlung von einer sagenhaften Heldenzeit mit dem gemein samen griechischen Feldzug nach Troia nicht vielleicht zu den ,Grndungsmythen der im 8. Jh. zu einer Kultur zusammen wachsenden historischen Griechen - Homer als doppelter An fang: Der ,erste Text, der von einem ,ersten groen Ereignis erzhlt, der Text als die Spiegelung einer entstehenden kul turellen Identitt der Griechen in einer imaginren, vorgestell ten Vergangenheit? Und vermittels einer quellenkritischen Analyse, die die lteren Anstze ausbaute, gelangte der Verfas19

ser des vorliegenden Buches schlielich 1992 zu der ber zeugung, da der historische Kern der Sage vom Troiani schen Krieg nur sehr klein sein konnte und in anfangs verlust-, letztlich aber erfolgreichen Kmpfen einer zahlenmig klei nen Gruppe von aus Mittelgriechenland stammenden Griechen um Troia, wie die Stadt in der Schicht VII b 2 begegnet, um 1000 besteht. Es bleibt abzuwarten, ob sich die jngste Auffassung des hethitologisch vorgebildeten Althistorikers P. Hgemann trotz mehr als zweihundert Jahren kritischer Troia-Forschung und massiver, wohlbegrndeter Zweifel der Fachkollegen wird durchsetzen knnen, der an die Geschichtlichkeit des legendren Troianischen Krieges glaubt, ihn um 1275 datiert und versucht, ihn in die hethitisch-westkleinasiatische Ge schichte einzubetten, wobei tatschlich Mykener aus Grie chenland Troia VI zerstrt haben sollen. Homer erzhlt aber eine ganz andere Geschichte, die nichts mit den wenigen und schwachen, aus hethitischen Quellen abgeleiteten Indizien zu tun hat. Die archologische Forschung In der Antike war man, von wenigen Ausnahmen abgesehen, davon berzeugt, da das einst von Homer besungene Troia, das bei ihm meist Ilios heit, an dem Ort der spter von Grie chen und Rmern Ilion bzw. Ilium genannten Stadt gelegen hatte (Abb. 2. 3). Dieser war noch um 900 unter dem Namen Ilion Sitz eines byzantinischen Bischofs. Jedoch ist unklar, ob man diese Stadt fr die Nachfolgesiedlung des sagenhaften Troia hielt. Aus Nord- und Westeuropa kommende Reisende suchten jedenfalls seit dem 11. Jh. Troia in den Ruinen von Alexandreia Troas oder von Sigeion, also an Orten, die an der Westkste der Troas lagen. Auch fr den trkischen Sultan Mehmed II., den Eroberer von Konstantinopel, der 1462 die Troas besuchte, galt wohl Alexandreia Troas als die homeri sche Stadt. Der Drang zur romantischen Vergegenwrtigung des bei den griechischen Dichtern geschilderten Geschehens 20

Abb. 2: Karte der Troas, von Teuthranien, der Halbinsel Chersonesos und der Inseln Imbros, Tenedos und Lesbos. - Aus: Groer Atlas zur Welt geschichte, S. 19, Georg Westermann Verlag, Braunschweig. Die Flsse Heptaporos, Seileeis, Pidys und Arisbos sind nicht bezeichnet, wobei letz terer aber an der Stadt Arisbe vorbeiflo.

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Abb. 3: Karte der Troas nach der Aufnahme von T. Spratt, vervollstndigt 1894. Der Beik Yass Tepe ist das Vorgebirge ein wenig westlich vom Beik Sivri Tepe/Beika Tepe. Der unmittel bar nrdlich von Eski Hisarlk gelegene, aber nicht bezeichnete Hgel ist der Fila Tepe. Karte: Bildarchiv Foto Marburg.

um Troia fhrte im Laufe der Zeit dazu, derartige Identifizie rungen in Frage zu stellen. 1785 glaubte J. B. Lechevalier den Ort der Sage auf der ca. 12 Kilometer sdlich der Dardanellen gelegenen Anhhe ,Ball Da 2 km sdstlich des Dorfes Bunarbaschi/Pinarba gefun den zu haben - eine Auffassung, die fr zwei Generationen die Vorstellungen der gelehrten Welt bestimmen sollte (Abb. 3). Die wenig eindrucksvollen Reste im Bereich des viereinhalb Kilometer von den Dardanellen entfernten Schutthgels beim Dorfe Hisarlk hatten bisher bei der Suche nach der Stelle der homerischen Stadt keine Beachtung gefunden, und auch die Frage nach der Lokalisierung des griechisch-rmischen IlionIlium hatte noch keine Rolle gespielt. 1801 konnte E. D. Clarke aufgrund von Funden zahlreicher Mnzen, auf denen die Bezeichnung Ilion stand - was soviel heit wie ,Prgung der Hier -, nachweisen, da die griechisch-rmische Stadt im Bereich von Hisarlk gelegen hatte. 1822 stellte Ch. Maclaren in einer Untersuchung der antiken Schriftquellen die These auf, da die Stelle von Ilion-Ilium mit jener der homerischen Stadt identisch gewesen sei und sie daher bei Hisarlk gelegen haben mute. Seine Annahme berprfte er 1847 durch eine Reise in die Troas, woraus 1863 eine Neuausgabe seines Wer kes resultierte. Die von ihm 1822 vertretene These konnte darin erhrtet werden. 1864 fhrten J. G. von Hahn, J. Schmidt und E. Ziller auf dem Ball Da Grabungen durch, die erga ben, da hier nur eine griechische Siedlung des 7. bis 4. Jhs., nicht aber eine bedeutend ltere gelegen hatte. Die Arbeiten von Maclaren und die erwhnten Grabungen markierten einen entscheidenden Durchbruch in der Lokalisierung. Den noch konnte sich die Position Lechevaliers auch weiterhin behaupten. Inzwischen bildeten die von T. A. Spratt angefertigte Karte der Troas und die von P.W. Forchhammer vorgelegte Be schreibung der rtlichkeiten - auf der Grundlage der 1839 von beiden vor Ort durchgefhrten Untersuchungen -, die 1850 erschienen, ein ausgezeichnetes und solides Funda ment fr wissenschaftliche Reisen und die Diskussion topo24

graphischer Fragen (Abb. 3). In Kenntnis des neuesten For schungsstands und mit der Troas bestens vertraut, vertrat F. Calvert, der zeitweise englischer und spter stndiger ame rikanischer Konsul in der Troas war, sptestens seit 1865 die Auffassung, Troia sei im Bereich von Hisarlk zu su chen. Er erwarb fast die Hlfte des Hgels und veranstaltete Grabungen, wobei er unter anderem auf die Reste des Tem pels der Athena Ilias, auerdem auf ltere Schichten und griechische Keramik des 7. und 6.Jhs. stie. Infolge fami lirer und dadurch hervorgerufener finanzieller Probleme mute er jedoch auf eine Fortfhrung seiner Grabungen ver zichten. Als H. Schliemann im Jahre 1868 die Troas besuchte, war also die Frage nach dem Ort der homerischen Stadt schon beantwortet. Schliemann, in Unkenntnis des erreichten For schungsstands und ganz im Banne Lechevaliers stehend, grub auf dem Ball Da, wo er die gleiche Erfahrung machte wie seine Vorgnger im Jahre 1864. Nur durch Zufall lernte er Calvert kennen, der ihn auf den Bereich von Hisarlk nicht nur als der Stelle von Ilion-Ilium, sondern auch des alten Troia hinwies, ihm Maclarens Untersuchung empfahl und ihn fr seine Theorie gewann. Schliemann - der keineswegs einem Jugendtraum folgte, wie er in seiner eigenen Hagiographie immer behauptete - verfgte ber groe Reichtmer und war auf der Suche nach einem neuen Lebensinhalt, weshalb er Calverts Anregung zur Duchfhrung von Grograbungen auf Hisarlk aufgriff. 1870 grub er 10 Tage dort, dann meist jeweils mehrere Monate whrend der Jahre 1871, 1872, 1873, 1876, 1878, 1879, 1882, 1883, 1889 und 1890. Er zeichnete sich zwar durch eine gute Kenntnis der antiken Quellen zur Troas aus, aber ihm fehlte der Zugang zu der inzwischen entwickelten philologischen und althistorischen Forschung. Fest von der Glaubwrdigkeit der Sagenberliefe rung berzeugt und unberhrt von den methodischen Fort schritten der klassischen Altertumswissenschaft, war er der Meinung, da dann, wenn die Stelle der homerischen Stadt gefunden sei, damit auch der Nachweis erbracht sein wrde, 25

da der Troianische Krieg ein tatschliches Geschehen in alter Zeit gewesen sei. So verquickte er wie viele andere in unre flektierter Weise das Problem der Lokalisierung mit dem der angeblichen Geschichtlichkeit der bei Homer geschilderten Ereignisse. Weiterhin glaubte er, die Grabungsarchologie knne klare Indizien dafr erbringen, da Troia, wie in der Sage geschildert, belagert und erobert worden sei. Auch besa er zur Zeit der Aufnahme seiner Grabungen nicht die gering ste Erfahrung in der Feldforschung, was zu eklatanten Fehlern in der Grabungstechnik und zu folgenreichen Fehlurteilen fhrte. Obwohl von Calvert davor gewarnt, trieb er groe Grben in den Hgel Hisarlk. Da er davon berzeugt war, da die homerische Stadt auf dem Fels gegrndet worden sei, trug er die Reste aller von ihm fr jnger gehaltenen Schich ten rcksichtslos ab. Die Haltlosigkeit seiner Grabungsme thode lie zweifellos im Laufe der Jahre nach, perfektioniert wurde seine Vorgehensweise aber nie. Darber hinaus liebte er interpretatorische Schnellschsse und war keineswegs frei vom Hang zur Selbstinszenierung oder zur Verschleierung von tatschlichen Befunden. Dennoch gebhrt ihm das Verdienst, groe finanzielle Mittel in die Grabungen investiert, wichtige Resultate erzielt, einen entscheidenden Beitrag zur Erfor schung der Vorgeschichte Nordwestkleinasiens geleistet und das Interesse eines breiten Publikums geweckt zu haben. Zu wrdigen ist auch, da ihm rasch die entscheidende siedlungs geschichtliche Bedeutung von Keramik und Stratigraphie d.h. der Untersuchung und Beschreibung der verschiedenen Fundschichten - klar wurde, er die sich gerade entwickelnde Technik der Photographie einsetzte, die Anwendung naturwis senschaftlicher Methoden nicht verschmhte und ber die Fhigkeit verfgte, kompetente Mitarbeiter zu gewinnen. Als homerische Stadt galt Schliemann bis zu seinem Tode die sogenannte verbrannte Stadt, bis 1882 von ihm als dritte Schicht, dann als zweite gedeutet (Abb. 13 a. b - s. Farbteil). Die in der Campagne des Jahres 1890 erfolgte Entdeckung von gewaltigen Bauresten und mykenischer Keramik der sech sten Schicht beunruhigte ihn zwar, brachte ihn aber dennoch 26

nicht von seiner Meinung ab, die zweite Schicht sei die von Troia - Ilios (Abb.4.13a. b). Noch im selben Jahr nahm ihm der Tod den Spaten aus der Hand. Obwohl nur schwer fr Kritik von auen zugnglich, waren Schliemann seine Mngel als Ausgrber nicht verbor gen geblieben. Deshalb nutzte er die Chance, einen auf diesem Felde ausgewiesenen Wissenschaftler zu gewinnen. Es han delte sich um W. Drpfeld, der seine Grabungserfahrung 1877-1881 bei den vom Deutschen Reich in Olympia durch gefhrten Grabungen erworben hatte. Dieser war mit guter humanistischer Bildung ausgestattet und als Architekt aus gebildet, besa eine scharfe Beobachtungsgabe, sachliches Urteilsvermgen und einen ausgeprgten Sinn fr Systematik. Er nahm seit 1882 an den Grabungen auf Hisarlk teil. Nach dem Tode Schliemanns wurden die Grabungen von ihm in zwei groen Campagnen, 1893 und 1894, fortgefhrt und zu einem vorlufigen Abschlu gebracht (dargelegt in dem Werk Troia und Ilion. Ergebnisse der Ausgrabungen in den vorhi storischen und historischen Schichten von Ilion 1870-1894 (publiziert 1902), das die traditionsreiche Idealdarstellung der sogenannten neun Schichten enthlt (Abb. 13 a. b). Als An hnger des Team-Gedankens hatte er sich eine interdiszi plinre Mannschaft zusammengestellt. Noch mehr als Schlie mann stellte er die Technik der Photographie in den Dienst der .Wissenschaft des Spatens. Die schwierige baugeschicht lich-stratigraphische Situation auf Hisarlk wurde von ihm glnzend bewltigt. Das ist am leichtesten den von Drpfeld erstellten Plnen zu entnehmen. Die Siedlungsphasen konnten nun viel klarer als vorher geschieden werden. Es zeigte sich, da es die sogenannte zweite Stadt - und nicht die dritte -, da es Troia II war, das von einem verheerenden Brand zer strt worden war. 1890 konnten neun Schichten oder Stdte, und nicht nur sieben wie zuvor, unterschieden werden (Abb. 13a. b - s. Farbteil). Auerdem wurden Keramik und Baureste entdeckt, die der sechsten Schicht, also Troia VI, angehrten und aufgrunddessen die Stadt in die Zeit der sog. mykenischen Kultur Griechenlands datiert werden konnte, die 27

damals zwischen 1500 und 1000 angesetzt wurde. Drpfeld erkannte schnell, da Troia II seine Rolle als Kandidat fr die Gleichsetzung mit jener Stadt, von der die homerischen Epen erzhlen, ausgespielt hatte - war es doch viel zu alt, und wies es doch keine Spuren einer kulturellen Verbindung zum grie chischen Festland, insbesondere zu Mykene und den anderen von Homer erwhnten Orten, auf. Diese Einsicht verfestigte sich bei Drpfeld in den Campagnen der Jahre 1893 und 1894. Da ihm klar war, da sptere Archologen die Gra bungsmethodik verfeinern wrden, lie er eine grere Zahl von Erdkegeln und Arealen unangetastet. So sehr sich Drpfeld in vielem von Schliemann unter schied, in einem Punkt gab es zwischen ihnen nur unwesentli che Differenzen: Wie Schliemann war Drpfeld davon ber zeugt, da die Sage einen umfangreichen historischen Kern hatte, der fr ihn aber am Ende der Bronzezeit, um 1000, lag, und den man mit Hilfe der Grabungsarchologie nachweisen konnte. Nur in der Beurteilung der Genauigkeit der Tradition machte er Abstriche, so etwa im Hinblick auf die Dimensio nen von Troia und die Truppenstrke, von der Homer spricht. Ansonsten hielt er wie Schliemann bis zu seinem Tode im Jahre 1940 an der Meinung fest, da die von Homer besun gene Stadt von Priamos regiert, von Hektor und anderen ver teidigt und von einer groen Koalition griechischer Knige und Heere unter der Fhrung von Agamemnon und unter mageblicher Beteiligung von Helden wie Achilleus, Odys seus, Diomedes und vielen anderen bekmpft und nach langer Belagerung eingenommen worden war. Einen groen Teil der bei seinen Grabungen auf Hisarlk gemachten Funde hatte Schliemann seiner in Athen aufbe wahrten Sammlung einverleibt. Diese wurde von ihm 1881 dem deutschen Volk geschenkt und in Berlin ausgestellt. Die Bedeutung der Sammlung liegt auch heute noch darin, da sie nicht nur wichtige Funde der Grabungen Schliemanns, son dern auch solche derjenigen Drpfelds enthlt, darunter viele, fr die sich noch die Fundkontexte ermitteln lassen. Die Ver ffentlichung von Schliemanns Sammlung Trojanischer Alter28

turner in Berlin fhrte H. Schmidt, ein Teilnehmer an der Campagne 1894, durch. Das Katalogwerk erschien 1902. Die Grabungen Schliemanns und Drpfelds konzentrierten sich zwar auf Hisarlk und stellenweise auch auf seine nhere Umgebung, lieen aber auch die vielen kleinen Hgel in der Troas sowie den Kara Aa Tepe auf der Halbinsel Chersone sos bei der antiken Stadt Elaius (Abb. 2) nicht auer acht. So hatte Schliemann u. a. die schon 1785 ausgegrabenen soge nannten Grabhgel des Achilleus und Patroklos auf Kap Si geion an der Westkste der Troas untersucht (Abb. 3). Mit den Arbeiten Drpfelds waren die Forschungen auf Hisarlk jedoch nicht beendet. Zwischen 1932 und 1938 wurde wieder der Spaten angesetzt, diesmal von amerikani schen Archologen der Universitt Cincinnati/Ohio unter der Leitung von C. W. Biegen. Der damals bereits in hohem Alter stehende Drpfeld hat sie mehrfach besucht. Biegens Grabun gen besttigten grundstzlich das von Drpfeld entworfene Bild von Stratigraphie und Baugeschichte, differenzierten und przisierten es aber auch. Es wurde erkannt, da meist jede Schicht in mehrere Bauphasen zerfiel, insgesamt handelte es sich um 46. Fr Biegen war das Drpfelds Schicht Troia VII 1 entsprechende und nach ihm um 1240 untergegangene Troia Vila die homerische Stadt (Abb. 13a. b. 14). Um diese Stadt hatte Biegen zufolge der Troianische Krieg, der Kampf myke nischer Griechen unter der Fhrung Agamemnons gegen die Troianer unter Hektor und Paris und anderen stattgefunden. Darber hinaus zog er den folgenschweren Schlu, da Hisarlk nach dem Untergang der letzten bronzezeitlichen Sied lung, von Troia VII b 2, um 1100, ca. vierhundert Jahre lang unbewohnt geblieben und erst um 700 von Griechen besiedelt worden sei. Den Meinungen, Troia VI oder Troia VIIa seien die home rische Stadt und der Dichter beziehe sich in seinen Angaben zum Aussehen des umkmpften Ortes auf eine dieser Schich ten, widersprach vehement der Vorgeschichtler R. Hachmann 1964; und der Vorstellung von einem historischen Krieg um Troia stand er vollends skeptisch gegenber. 29

1988 kam es zu einer erneuten Aufnahme der Grabungs ttigkeit im Bereich von Hisarlk, nun unter der Leitung von M. Korfmann von der Universitt Tbingen und unter ma geblicher Beteiligung von B. Rose von der Universitt Cincin nati. Wichtige Ergebnisse wurden erzielt, u. a. der Nachweis, da Troia VI eine grere Untersiedlung gehabt hatte und da die den Tempel der Athena Ilias umgebenden Sulenhallen aus dem 3. Viertel des 3. Jhs. stammten (Abb. 12a. 13 a. b). Auer dem konnte die Stadtmauer von Ilion-Ilium in die gleiche Zeit datiert werden (Abb. 15). Zum Projekt Korfmanns gehrt auch die Erforschung des Umlandes von Troia, die manche neue Erkenntnis brachte. Korfmann uerte sich hufig zur Frage der Geschichtlichkeit des Troianischen Krieges, wenn auch eher unzusammenhngend und bisweilen kryptisch. Er verwendete dabei die Formel von den ,vielen Troianischen Kriegen, die um die Stadt gefhrt worden seien. Andererseits gibt es fr ihn anscheinend wohl so etwas wie einen Troiani schen Krieg um Troia VI in der Zeit um 1250, der jedenfalls nach seinen uerungen aus den Jahren zwischen 1980 und 1990 von mykenischen Griechen gefhrt worden sein soll. Wie er diese Frage gegenwrtig beurteilt, ist mir nicht klar. Auerdem sieht er das Ende von Troia VIIa um 1180 als Folge eines ,Troianischen Krieges an, fr den er aber ein aus dem Balkan kommendes Volk verantwortlich macht. Im Gegensatz zu derartigen Hypothesen zeigte der Verfasser des vorliegenden Buches durch eine kritische berprfung der Grabungsergebnisse Drpfelds und Biegens und die Heranzie hung unbekannt gebliebener und wenig beachteter Funde aus diesen Grabungen, da von einem Feldzug mykenischer Grie chen gegen die Stadt, sei es nun Troia VI oder Troia VIIa, keine Rede sein kann. Auch legte er dar, da sich Griechen seit dem spten 11. Jh. in den Ruinen von Troia VII b 2 nie derlieen und von nun an hier wohnten, die sptbronzezeit liche Ringmauer erneuerten und sie als Erinnerungsmal ihrer Landnahme betrachteten. Im Gegensatz dazu versuchte Korf mann zu zeigen, da sich an das Ende von Troia VII b 2 kurz zeitig eine Nachfolgesiedlung, Troia VII b 3, anschlo, in der 30

auch griechische, und zwar sogenannte protogeometrische Keramik, verwendet wurde, und da nach ihrem Ende um 950 der Ort nur noch sprlich bewohnt war, bis es erst um 750 wieder zu einer nennenswerten Besiedlung kam, die auf Griechen zurckging. Darber hinaus gab Korfmann den schon von Schliemann und Drpfeld entdeckten Spuren einer byzantinischen Siedlung den Namen Troia X. Neben den angefhrten Ttigkeiten vor Ort existiert seit 1994, konzipiert und koordiniert vom Autor dieses Bandes, ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Deutschen Archologischen Institut untersttztes Projekt zur Neupublikation der Schliemann-Sammlung und zur Aufarbei tung der Grabungsunterlagen Drpfelds. Dieses Projekt wird in Zusammenarbeit mit dem Museum fr Vor- und Frhge schichte in Berlin, in dem sich der grte Teil dieser Samm lung befindet, durchgefhrt. Die bislang erzielten Resultate, die zum Teil bereits publiziert wurden, sind in die nachfolgen den Ausfhrungen eingegangen. Mit der Erforschung von Troia I-VII, also von ungefhr 2000 Jahren Bronzezeit (Abb. 4. 13 a. b. 14), ist eine ganz andere, lange historische Epoche in Umrissen sichtbar gewor den als in den von Homer beschriebenen Geschehnissen und der von ihm geschilderten Welt.

III. Troia-Ilion: Die Lage der Stadt in ihrer naturrumlichen Umgebung

Troia liegt in der Nordwestecke Kleinasiens, in der Land schaft Troas, gegenber der Sdspitze der Halbinsel Cherso nesos (Abb. 1. 2). Die Troas und die Chersonesos sind durch die heute als Dardanellen bekannte Meerenge voneinander getrennt, die in der Antike unter anderem wegen ihres Fisch reichtums berhmt war. In der sdstlichen Troas schiebt sich das Ida-Gebirge von Westen nach Nordosten vor, sein hch ster Berg trug den Namen Gargaron (1750 Meter ber dem Meeresspiegel); auf ihm befand sich schon zu Homers Zeit eine Kultsttte des Zeus. Damals zeichnete sich dieses Gebirge durch seinen Waldreichtum aus. Hier entspringen viele Flsse des nordwestlichen Kleinasien, so z.B. der durch den Sieg Alexanders des Groen ber die Perser (334) berhmt gewor dene Granikos, aber auch der in der Ilias immer wieder er whnte Skamander (Abb. 2.3). Dieser wendet sich nordstlich des antiken Neandria nach Norden, luft dann zwischen zwei Bergzgen hindurch und tritt unmittelbar unterhalb der An hhe Ball Da beim Dorf Bunarbaschi (heute Pinarba) in eine breite Ebene ein (Abb. 2. 3). An der Stelle, wo der von Osten kommende Thymbrios auf den Flu trifft, zweigen zwei Lufe des Skamander nach Norden ab - ein stlicher, der jenem Flulauf des 8. Jhs. entsprechen knnte (der ,Alte Ska mander), und ein westlicher, der mit jenem seit dem 5. Jh. in den Quellen belegten Strom bereinzustimmen scheint (der ,Neue Skamander). In den stlichen Lauf mndet bei dem heute verlassenen Dorf Kum Kioi der von Osten kommende, ebenfalls in der Ilias oft genannte Simoeis. So vereinigt bewegen sich die beiden Flsse in zwei Armen auf die Dardanellen zu: Im Osten ist es der heute als Intepe Asmak bezeichnete Lauf, im Westen ein solcher, der einen groen Bogen be schreibt. In der spten Bronzezeit reichte das Meer allerdings weit in das Land hinein, und zwar bis etwa zum heute verlas 32

senen Dorf (Alt)Kalifatli, und westlich davon sogar noch etwas tiefer. Die damaligen Siedlungen Troia VI/VII lagen also unmittelbar am Meer. Zwischen 1000 und 500 verlandete die Bucht immer mehr, weil Skamander und Simoeis soviel Sand und Erde anschwemmten, da schon im 8. Jh. die Kstenlinie nur wenig unterhalb der Vereinigung der beiden Flsse verlief. Die Siedlung, die zu jener Zeit bestand, Troia VIII, war also eineinhalb bis zwei Kilometer vom Meer entfernt. Die ver schiedenen Lufe des Skamander und der Simoeis, deren Ufer heute ebenso wie in der Antike Ulmen, Tamarisken, Lotos und Binsen sumen, bilden Tler, in denen in der Antike, abgesehen von den versumpften Stellen, Ackerbau und Vieh zucht betrieben wurden (Abb. 3). Von der Ebene des stlichen Skamanderlaufes und dem Tal des Simoeis umgeben, liegt Troia auf dem westlichsten Aus lufer eines niedrigen Kalksteinplateaus. Dieser Auslufer fllt nach Norden, zum Simoeistal, steil ab, aber auch seine West seite ist nicht leicht zu erklimmen. Die lteste hier gegrndete Siedlung, Troia I, erhob sich auf ihm in einer Hhe von durchschnittlich 10 Metern ber der Ebene des Simoeis und 26 Metern ber dem Meeresspiegel (Abb. 13a. b). Die zahl reichen Niederlassungen, die hier im Laufe der Zeit angelegt wurden, fhrten dazu, da sich immer mehr Schutt anhufte und sich das Niveau des etwas mehr als 200 Meter langen und nach Sden 100 Meter breiten Siedlungsplatzes zuneh mend erhhte. Die spteren trkischen Umwohner nannten daher das bei der Ruinensttte gelegene Dorf ,Hisarlk = Palast, wobei dieser Name aber zugleich zur Bezeichnung des Schutthgels diente; wenn hier im folgenden dieser Name ver wendet wird, so meint er die Ruinensttte (Abb. 3). Ihr Vor feld fllt nach Sden nur leicht, nach Osten sogar ganz sanft ab, an seinem Nord- und Westabhang sprudeln an verschiede nen Stellen Trinkwasser spendende Quellen hervor. Etwa 10 Kilometer sdwestlich von Troia liegt jenseits der Skamanderebene ein breiter Strand, die Beika-Bucht. Ihr nrdliches Vorgebirge bildet der Beik Yass Tepe, auf dem im frhen 3. Jt. und von ca. 600-300 jeweils eine kleine Siedlung 33

stand (Abb. 3). Ein wenig stlich davon, landeinwrts, erhebt sich der Beik Sivri Tepe/Beika Tepe - ein groer, knstlicher Hgel. Die Siedlung griechischer Zeit wurde mit der Stadt Achilleion, der Hgel aber mit dem angeblichen Grab des Achilleus identifiziert, in dem der Sage nach der berhmteste griechische Held des Troianischen Krieges bestattet worden sein soll; sicherlich sind beide Identifizierungen falsch. Nach Norden erstreckt sich entlang der Westkste ein niedriger Hgelzug, wo tatschlich die griechischen Stdte Sigeion und Achilleion - dieser Ort vermutlich an der Stelle des Dorfes Jeni Schehir - lagen. Auf dem nrdlich davon nach Osten umknickenden Vorgebirge, dem antiken Kap Sigeion, befin den sich Hgel, die in der Antike fr das Grab des Achilleus und das Grab des Patroklos, des besten Freundes von Achill, gehalten wurden. Die an dieses Vorgebirge anschlieende Landspitze, der nordwestlichste Punkt Kleinasiens, wird von der trkischen Festung Kum Kaie gesichert; sie drfte erst in nachantiker Zeit entstanden sein. Ihr gegenber, unmittelbar stlich des Intepe Asmak, bei Kap Rhoiteion, auf dem das angebliche Grab des sogenannten Groen Aias lag, des nach Achill gewaltigsten Griechenhelden, erhebt sich eine niedrige Hgelkette, auf der die antiken Stdte Rhoiteion und Ophry neion standen. Irgendwo in der Nhe von Ophryneion ist das ,Grab des Hektor, des grten Helden der Troianer zu suchen (Abb. 3). Trotz der starken Nordostwinde, die Troia umwehen, darf seine Lage, sofern die Bevlkerungszahl die Ressourcen nicht berforderte, als gnstig bezeichnet werden: nahe am fisch reichen Meer, am Nord- und Westrand auf natrliche Weise geschtzt, an allen Seiten leicht zu befestigen, von Quellen und fruchtbaren Tlern umgeben und nach Sden auf das nicht allzu weite, quellen- und waldreiche Idagebirge blickend.

IV. Die berhmten sogenannten neun Schichten oder StdteTroia I-V Auf Drpfeld geht, wie in Kap. II schon bemerkt, die Einteilung des auf Hisarlk im Laufe der Zeit aufgehuften Siedlungs schuttes in neun Schichten oder Stdte, Troia I-IX, zurck (vom gewachsenen Boden an gerechnet, Abb. 4. 13 a. b. 14). Schon die lteste Schicht, Troia I, das in die 1. Hlfte des 3. Jts. gehrt, bestand aus einer Burg und einer Untersiedlung. In der Burg, die einen Durchmesser von 90 Metern hatte, lag unter anderem in CD 3 ein 16 Meter langes Megaron, d.h. ein rechteckiges Haus mit einer offenen Vorhalle und einem Hauptraum (Abb. 14). Es war vielleicht der Sitz des dama ligen Herrschers. Ein Brand bereitete dieser Niederlassung das Ende. Die Burg von Troia II (2600-2400) umschlo mit einem Durchmesser von 120 Metern einen Bezirk mit mehre ren Megara (Mehrzahl von Megaron), von denen das grte wohl der Palast des Herrschers - 35 Meter lang war (DE 4/5). Auch diese Zitadelle war von einer Untersiedlung um geben. Durch heftige Brnde wurden ihre letzten Bauphasen, Troia II g und II h, zerstrt. Aus diesen Schichten knnten der berhmte sogenannte .Schatz des Priamos und die anderen Schatzfunde, die Schliemann einst fand und flschlicherweise dem sagenhaften Knig zuschrieb, stammen; sie sind, von wenigen Stcken abgesehen, am Ende des 2. Weltkriegs nach Moskau gelangt. Nach der Zerstrung von Troia II h kam es zu einem Wiederaufbau, allerdings nach einem neuen Plan, das sog. Troia III (2400-2200). Auf eine eventuelle Sied lungslcke folgten die weniger bedeutenden Stdte Troia IV und V (2200-1700). Die Befestigungsmauern von Troia I-V bestanden aus auen gebschten, also abgeschrgten, Kalk steinsockeln und einem Aufbau aus luftgetrockneten Lehmzie geln. Die Hauswnde waren auf hnliche Weise errichtet, allerdings besaen die Steinfundamente auen senkrechte Wnde; auerdem wurde der Lehmziegelaufbau manchmal 35

durch eine Art von Fachwerkkonstruktion verstrkt. Vermut lich waren die Dcher flach und leicht geneigt, um das Regen wasser abflieen zu lassen; sie bestanden aus Holzbalken mit einer darber gelegten Schicht aus Schilfrohr, und darauf lag eine Erdschicht. Die Schichten Troia I-V werden der Frhen Bronzezeit zugewiesen, einer Epoche, in der man Werkzeuge und Waffen anfangs aus Kupfer und spter aus Bronze, einer Legierung aus Kupfer und Zinn, herstellte; allerdings wurden hufig auch noch solche aus Stein, Holz und Knochen benutzt. In der Bauphase Troia II b wurde im brigen die Tp ferscheibe und damit eine fr die Menschen beraus wichtige technische Neuerung eingefhrt. Der mittleren und spten Bronzezeit gehren Troia VI, VIIa, VIIb 1 und VIIb 2 an (etwa 1700-1020). Von ihnen ist Troia VI zweifellos die grte und prchtigste Stadt. Sie wird in insgesamt acht Bauphasen, Troia VIa-h, eingeteilt, die wiederum zu drei Unterperioden zusammengefat werden, Troia VIa-c = Troia VI Frh (1700-1570), Troia VId und e = Troia VI Mitte (1570-1420) und Troia VI f-h = Troia VI Spt (1420-1300, das Enddatum ist nicht ganz sicher). Troia VI Kern der Stadt war die Burg (Abb. 15. 13 a. b. 4), die im fol genden in ihrem Zustand zur Zeit von ,Troia VI Spt beschrieben wird. Sie war von einer Befestigungsmauer von 550 Metern umgeben, hatte einen Durchmesser von 220 Me tern und eine Innenflche von 20000 m 2. Es handelt sich dabei also um eine kleine Zitadelle. Aber Ringmauer und Huser waren gewaltig, die Bautechnik oft vorzglich. Erhalten hat sich die Mauer leider nur im Nordosten, Osten, Sdosten, Sden, Sdwesten und Westen; von der Mauer im Norden ist nur noch ein kleiner Rest an der Schnittlinie von FG 3 brig (Abb. 4. 13 b.). Jedoch konnte der Verlauf der Nord mauer, die, von dem eben erwhnten Rest abgesehen, in der Zeit des Kaisers Augustus, bald nach 20, abgetragen wurde, von D.F. Easton rekonstruiert werden (Abb. 4). 36

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Abb.4: Plan der Burg von Troia VI um 1300. Rekonstruktion von D. F. Easton. Aus: D. F. Easton, Reconstructing Schlie manns Troy, in : W. M. Calder III J. Cobet, Heinrich Schliemann nach hundert Jahren. Symposium in der Werner-ReimersStiftung Bad Homburg im Dezember 1989 (1990). S. 436. Fig. 8.

38Abb. 5: Rekonstruktions zeichnung des Sdosttores (VI S) und der Sdostmauer samt den dahinter gelegenen Husern der Burg von Troia VIIa (J K 6-8). Im Vordergrund rechts ist der Sdostturm (VI h) zu sehen. Die ber dem Sdosttor ergnzten Trme stellen eine ganz hypo thetische Interpretation dar. Aus: P. Connolly, Die Welt des Odysseus (1986) S. 49, Abb. unten.

Abb. 6: In der Mitte des Bildes sieht man die Hauptecke der Nordost bastion (VI g) von Troia VI mit spteren Anbauten (J K 3) whrend der Grabung 1893. Rechts sieht man die griechische Treppe mit der sie seitlich begleitenden Mauer aus kleinen Steinen, beides um 400 an die Nordseite der Bastion angebaut. Das gewaltige Fundament aus sorgfltig gearbeite ten Quadern in der linken Bildhlfte ist das im 3. Viertel des 3. Jhs. an die Bastion angebaute Fundament IX N; in der Mitte rechts kann man noch oberhalb der .Plattform zwei Steinlagen der Ostmauer der Bastion der Schicht VI sehen. Darber liegt der obere Teil des Fundamentes IX N (die stark zerstrten Quaderreihen). Der verschattete untere Teil des Funda mentes IX N besteht aus nur grob behauenen Blcken. - DAI Athen, Drpfeld, Neg. Nr. Troia 162.

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In JK 3/4 erhob sich das mchtigste Bollwerk, die Nord ostbastion VI g, die einen groen, in den Felsen hineingetrie benen Brunnen B b umschlo (Abb. 4. 13 b). Es war ein turm artiger Vorsprung von insgesamt 20 Metern Lnge und mit einer Ostmauer von 5 Metern Dicke. Die Hauptecke der Bastion richtete sich nach Norden und reichte tief den Abhang hinunter; sie ist heute noch gut zu sehen und ein markanter Teil der Befestigung von ,Troia VI Spt (Abb. 6). Auf jenem auf dem Felsen gegrndeten, etwa 7 Meter hohen Steinsockel ruhte ein Aufbau aus luftgetrockneten Lehmzie geln. Darber war wohl noch ein mit Zinnen versehener Wehrgang aus Lehmziegeln angebracht, wobei auf mehrere Ziegelschichten eine Holzbalkenlage gekommen sein knnte. Die Gesamthhe der Bastion betrug mindestens 13 Meter. An ihrer Nordseite lief eine Rampe von der Ebene zu einem hoch gelegenen Tor (VI R); in ihrer Sdmauer ffnete sich eine ebenfalls hoch gelegene Pforte zur Unterstadt; von der Pforte konnte man ber eine Treppe zu dem Brunnen B b hinabstei gen. stlich der Pforte begann die Ostmauer, die sich von K 4 bis K 6 erstreckte. Ihr Sockel war 4 Meter hoch, in Fubo denhhe auen zwischen 5 und 6 Metern und oben 4,50 Meter stark; darauf sa am ueren Rand ein senkrechter, 2 Meter breiter Oberbau, dessen ursprngliche Hhe nicht mehr zu ermitteln ist. Der Sockel reichte also am Fu des Oberbaus noch 2,50 Meter nach innen. Der Oberbau war wohl von einem mit Zinnen versehenen Wehrgang aus luft getrockneten Lehmziegeln bekrnt (Abb. 5). Die Ostmauer knickte in K 6 um und ihr Mauerende bildete mit dem nrd lichen, zum Innern der Burg hin versetzten Teil der Sdost mauer das Sdosttor VI S (Abb. 4. 13 b). Der Oberbau deckte am Ende der Ostmauer deren gesamte Breite ab, und der Wehrgang umgab wohl deren Ost- und Sdrand. Das Sdosttor hatte folgendes Aussehen: Ost- und Sdostmauer flankierten den zum Tor in JK 5/6 fhrenden Zugang, d.h. sie verliefen hier ein Stck parallel zueinander. Der Zugang bog nach Westen um und stie dann auf das Tor. Der Zweck dieser Bauform bestand darin, den Angreifer von beiden Seiten unter 40

Beschu nehmen zu knnen. Die wie die Ostmauer konstru ierte Sdostmauer erstreckte sich von K 6 bis G 9. An sie hatte man in einer zweiten Bauphase in JK 7/8 den mindestens zweistckigen Sdostturm VI h gesetzt. In G 9 ffnete sich das Sdtor VI T, der Haupteingang der Burg. Er war anfangs ein einfacher Durchla mit einem sich nach Westen zu dem Turm VI k - der breite Vorsprung in FG 9 - hinziehenden Mauerstck, so da zwischen Tor und Turm freier Raum blieb. Dieser wurde in einer zweiten Bauphase mit dem mch tigen Turm VI i zugesetzt, so da das Tor noch besser geschtzt war als zuvor. Die hier beginnende, lange Sdmauer schlo in A 7 bastion- oder turmartig ab, dann folgte das nach hinten versetzte Sdwesttor VI U. Die Sdmauer war in der gleichen Weise wie die zuvor besprochenen Mauerab schnitte gebaut. Vom Sdwesttor erstreckte sich die Sdwest mauer bis nach A 5; ihr Sockel war nur 3 Meter dick und hatte einen ebenso starken Oberbau, auf dem vielleicht ein Wehrgang in der Art des oben beschriebenen sa. Die Sd westmauer endete mit der schmalen Westpforte VI V in zA5 (Abb. 4). Dahinter, aber nach auen versetzt, schlo die West mauer an, die hier mehr als 6 Meter hoch und deren Sockel oben 4,50 Meter breit war; noch in zA 5 knickte sie nach Norden ab. Von da an erklomm sie den steilen Abhang und zog sich von B 4 als Nordmauer in einem leichten Bogen bis zu dem Tor in JK 3 hin (Abb. 4). Sie war in einer Hhe von 10 Metern ber dem Tal des Simoeis in lteren Schutt einge bettet, ihr Sockel vermutlich oben 3 bis 4 Meter breit. Es sieht so aus, da sie nicht mit Trmen oder Bastionen bestckt war und vielleicht nur noch einen Wehrgang aus luftgetrockneten Lehmziegeln trug. Die Mauer der Burg war nicht mit einem Male, sondern erst nach und nach gebaut worden: Die Sdwestmauer war der lteste Teil, sie wurde noch in ,Troia VI Mitte errichtet. Es folgten in ,Troia VI Spt in einer zweiten Bauphase die Errichtung von Ost-, Sdost-, Sd-, West- und Nordmauer, in einer dritten die von Nordostbastion, Sdostturm und Sd turm. Die einzelnen Abschnitte waren je nach Bauzeit aus 41

unterschiedlich gut gefgtem Kalksteinmauerwerk ohne Mr tel errichtet: Die sorgfltig bearbeiteten Blcke der letzten Phase lagen ohne Mrtel oder ein anderes Bindemittel unmit telbar aufeinander, die Fugen zwischen den roher zugehaue nen Steinen der beiden lteren Phasen waren dagegen mit Lehm und/oder Steinchen gefllt. Nherte man sich der Zitadelle von Norden (Abb. 3), so erblickte man die sich hoch ber dem steilen Abhang zur Simoeisebene aufrichtende Nordmauer (Abb. 4). Gewaltig mu die Mauer auch im Westen, vor allem in zA 5, gewirkt haben. Im Osten war sie von der tief den Abhang hinunter reichenden und hoch aufragenden Nordostbastion begrenzt. Nicht so mchtig, aber sicherlich auch sehr eindrucksvoll, wirkte die Mauer im Osten, Sdosten, Sden, Sdwesten (Abb. 4). Der Sockel zwischen der Nordostbastion und dem Nordwesttor sowie der West- und Nordmauer war auen ge bscht und wies etwa alle 8 bis 9 Meter senkrechte, schmale und zwischen 10 und 30 Zentimetern vorkragende Kanten auf, die geglttet waren (Abb. 4. 13 a. b). Eine berzeugende Erklrung dafr fehlt, in jedem Fall wurden der Mauer so gliedernde Akzente gegeben. Das Innere der Burg war terrassenfrmig angelegt, die ein zelnen Terrassen verliefen etwa konzentrisch (Abb. 4. 13 a. b). Entlang der Befestigungsmauer zog sich von der Nord ostbastion bis zum Haus VI A in AB 6/7 eine ungepflasterte Ringstrae. Dann kam die erste Terrasse, auf der in FG 8/9 das Pillar-House (= Pfeilerhaus) und in BCD 7/8 das Haus VI M standen. Es folgte die nchste Terrasse mit dem Haus VI C in HJ 5/6 und eine noch hhere mit dem Haus VI D in GH 4. Ungefhr in der Mitte der Zitadelle mu wohl, eventuell noch hher, der Palast- und Kultbezirk gelegen haben. Von ihm blieb nichts erhalten, denn durch die Baumanahmen der Phase Troia IX wurde er im spten 4. und im 3. Jh. abgetra gen und das Areal planiert. Daher ist unbekannt, wie das Zentrum der Burg zur Zeit von ,Troia VI Spt aussah. Vom Sdtor lief, wohl in der Fluchtlinie eines zum Sdosttor von Troia II fhrenden alten Weges, eine von auen kommende, 42

gepflasterte Strae zur hchsten Terrasse hinauf, eine hnliche lief durch das Sdwesttor auf die Ringstrae zu, wohl eben falls in der Fluchtlinie eines zum Sdwesttor von Troia II fhrenden Weges liegend. Erstere war vermutlich die Haupt strae der Burg (Abb. 4. 13 b). Die Huser waren sehr gro; ihre aus luftgetrockneten Lehmziegeln errichteten Wnde ruhten auf mchtigen Kalk steinsockeln, die Dcher sahen so aus wie in der Frhen Bronzezeit. Es gab verschiedene Haustypen: so vermutlich ein stckige Megara wie z. B. das Haus VI A, das eine Lnge von 20 Metern hatte, aber auch einrumige, gelegentlich zwei geschossige Bauten wie beispielsweise das Haus VI F in HJ 6/7 oder mehrrumige wie das Haus VI M und das PillarHouse (Abb. 4. 13 b). Dieses war 26 Meter lang und 13 Meter breit, zweistckig und hatte ein dreifach geteiltes Unterge scho: Im groen Mittelraum standen zwei mchtige, stei nerne Pfeiler, die den Boden des darber gelegenen Saales tru gen. In dem Haus wurden vielleicht als Schleudergeschosse dienende Tonkugeln, aber auch Spinnwirtel und Webgewichte gefunden; offenbar hat man hier Textilien hergestellt. Das Haus VI M, von L-frmigem Grundri und 27 Meter lang, war ebenfalls zweistckig und hatte eine Sdwand, die wie die sdliche Burgmauer auen gebscht und durch Kanten mehr fach gegliedert war. Der querliegende Ostraum des Unterge schosses war zweigeteilt, sein grerer Teil diente als Vorrats kammer, sein kleinerer als Kche. Nach Sdwesten schlssen zwei hintereinander gereihte, kleinere Rume an, deren Funk tion unklar ist. Im Obergescho wurden jedenfalls auch Spinn- und Webarbeiten ausgefhrt. Den nordwestlichen Teil des Hauses bildete ein Hof; an ihn schlo im Norden eine Treppe an, die sowohl Zutritt zum oberen Stock als auch zur nchst hheren Terrasse der Burg gewhrte. Unmittelbar vor dem Sdturm waren Stelen (flache, recht eckige Pfeiler) aufgestellt, wohl aus religisen Grnden. Nach Osten lag in H 9 knapp vor der Mauer das Antenhaus, ein langgestreckter, sich zur Strae hin ffnender Raum mit schmalen Steinfundamenten, wohl ein Kultbau, dem vielleicht 43

der Schutz des Sdtores oblag (Abb. 4). Reste weiterer, vor der Burgmauer errichteter Huser mit Steinfundamenten hatte schon Biegen freigelegt und damit erste Hinweise auf die Exi stenz einer Untersiedlung geliefert. Ein regelrechtes, aus Hu sern mit Steinfundamenten bestehendes Stadtviertel wurde von Korfmann vor der sdwestlichen Burgmauer ausgegraben (Abb. 15, aber nur in Anstzen eingezeichnet); deren Wandund Dachkonstruktion mu man sich so vorstellen wie bei den Husern in der Burg. Allerdings scheinen die nahe der Burgmauer gelegenen Huser der Untersiedlung durchweg kleiner als die in der Zitadelle gewesen zu sein: Je nher man also am Zentrum der Macht wohnte, desto grozgiger ge staltete sich der Lebensrahmen. Darber hinaus entdeckte Korfmann besonders nach Sden hin weitere Spuren einer Untersiedlung (Abb. 15). Hier standen offenbar keine Stein-, sondern reine Lehmziegel- und Holzbauten. Es war nicht mglich, die Grundrisse der Huser, die Bebauungsdichte und den Straenverlauf zu ermitteln. Ein Stadtplan lt sich also nicht erstellen, und alle Rekonstruktionsversuche beruhen auf Phantasie. Es ist durchaus mglich, da die Besiedlung nach Sden hin ausdnnte. In jedem Fall wird eins klar: Die Unterstadt von Troia VI, die angeblich 180000 m2 umfat haben soll, setzte sich in der Bauweise schon unmittelbar vor der Burgmauer vom Innern der Zitadelle ab, und je mehr man nach Sden kam, um so grer wurden diese Unterschiede. Zweifellos lebte auerhalb der Mauer das Volk, unmittelbar vor der Burg der wohl habendere Teil, den ich versuchsweise als Mittelschicht be zeichne; nach Sden hin wohnte der rmere Teil, wohingegen die Burg dem Herrscher, seiner Familie und der Aristokratie vorbehalten war. Man wird schwerlich fehlgehen, wenn man annimmt, da in der Unterstadt Kaufleute und Hndler, Handwerker, Tagelhner und Sklaven, vielleicht auch Vieh zchter und Bauern lebten. Wie es allerdings um den sozialen Aufbau im einzelnen bestellt war, bleibt unklar: Archologi sche Zeugnisse erlauben hufig nur begrenzte Aussagen ber die Lebenswirklichkeit lngst vergangener Kulturen. 44

Etwa 400 Meter sdlich der Zitadelle wurde seit 1992 ein in den Kalksteinfelsen gehauener, oben 3,40 Meter breiter und zur Stadtseite hin 1,80 Meter tiefer Graben entdeckt, dessen Verlauf ber eine grere Strecke im Sden und neuerdings auch im Westen nachgewiesen werden konnte (Abb. 15). Im Sden war er in der Mitte fr 10 Meter unterbrochen, es han delte sich anscheinend dabei um einen berweg. Einige Meter dahinter konnten schmale Felseinarbeitungen festgestellt wer den, die zur Aufnahme einer hlzernen Toranlage mit seitli chen Palisaden gedient haben sollen. Der Graben wird von Korfmann als Annherungshindernis fr Streitwagen - also als Verteidigungsanlage im Kriegsfall - interpretiert. Diese auf den ersten Blick ansprechende Deutung berzeugt jedoch nicht ganz, denn um den Graben zu berwinden, htte man ihn nur mit Brettern abdecken oder mit Erde auffllen ms sen. Gegen eine Deutung als Wehranlage spricht auch, da sich der Graben nicht auf der Ostseite der Untersiedlung fort setzt (Abb. 15; der hier angegebene Verlauf ist eine fiktive Rekonstruktion). Gerade das aber verwundert, denn hier macht die nur geringfgig ansteigende Flche den Zugang zur Stadt sehr leicht: Streitwagen htten also aus dieser Richtung regelrecht heranbrausen und ungehindert die wie auch immer beschaffene Stadtgrenze erreichen knnen. Der Graben wurde im brigen schon am Ende des 15. Jhs. zugeschttet. Ein 1995 aufgefundener, etwa 100 Meter weiter sdlich davon gelegener zweiter Graben, der eventuell gleichzeitig mit dem ersten bestand und dem die gleiche zweifelhafte Funktion zugewiesen wurde wie dem ersten, wirft natrlich ebensolche Fragen auf. In einer Entfernung von ungefhr 80 Metern nrdlich des ersten Grabens glaubt Korfmann eine Stadtmauer ergnzen zu drfen, die die gesamte Untersiedlung umschlossen haben soll. Jedoch konnte nur in K 4, im Zwickel der Nordostbastion (Abb. 4. 15), ein niedriges Steinfundament mit einer darauf liegenden, nicht allzu hohen Schicht luftgetrockneter Ziegel gefunden werden - eine Struktur, die eventuell der Rest einer solchen Mauer ist, allerdings nicht in die Burgmauer einbin 45

det, sondern an diese gebaut ist. Der Umstand, da das Fun dament sehr niedrig ist - die Lehmziegelschicht knnte natr lich einst hher gewesen sein - und nirgends sonst auch nur der geringste Rest einer solchen Struktur oder auch als Ein bettung fr das Fundament dienende Felsbearbeitungen gefunden wurden, lt an der Interpretation, die Untersied lung von Troia VI sei von einer Stadtmauer umgeben gewe sen, Zweifel aufkommen. Und gesetzt den Fall, die freigelegte Struktur wre tatschlich der Rest einer solchen Mauer, so htte diese bautechnisch weit hinter der Burgmauer zurckge standen und kaum ein Bollwerk im eigentlichen Sinne des Wortes dargestellt, und das um so weniger, als auch jeder der beiden Grben mhelos zu berwinden und die Ostseite der Stadt leicht zugnglich war. Die in Frage stehende Struktur scheint zur Zeit von ,Troia VI Mitte, also irgendwann zwi schen 1570-1420 errichtet worden zu sein. Soweit ich Korfmann verstanden habe, stellt er sich vor, da die von ihm postulierte Stadtmauer von Troia VI wohl auch noch Troia Vila umgab, aber dann verfiel, so da im 8. Jh., zur Zeit Homers, an ihrer Stelle eine Art von zusammengefallenem Lehmwall gesehen worden wre. Das aber wrde bedeuten, da diese Mauer noch mindestens zwei Jahrhunderte nach der Verfllung des zuerst entdeckten Grabens fortexistierte; und das hiee, da es in diesem Zeitraum entweder gar keinen funktionsfhigen Graben mehr gegeben htte oder nur noch den 1995 aufgefundenen, wobei dieser in einer Entfernung von ca. 180 Metern von der hypothetischen Stadtmauer ge legen htte! Dann aber wrde man diesem Graben schwer lich noch einen Zweck als Annherungshindernis zusprechen knnen. Noch eins sei hier bemerkt: Selbst wenn man Korfmanns Rekonstruktion einer Troia VI umgebenden Stadtmauer ak zeptieren wrde, so ginge daraus hervor, da diese zu Beginn des 1. Jts. kaum als von den Gttern erbautes Bollwerk ange sehen werden konnte, wie es die Ilias mehrfach nachdrcklich sagt (8, 517-519; 21, 435-460): Auch kannte Homer, wie schon Drpfeld nachgewiesen hat, nur eine Befestigungs 46

mauer, und zwar eine solche, die den hoch gelegenen Teil der Stadt samt Palast und Tempeln und die Unterstadt umgab, und nicht zwei Ringmauern, eine fr den oberen Teil und eine fr die Untersiedlung. Infolge all dessen kommt fr die Mauer der Sage nur die Burgmauer in Frage, die nachweislich noch im 8. Jh. aufrecht stand. Da angesichts dieser Deutung die epische Stadt zu klein gewesen sei und keiner ,groen Stadt, wie Homer sie bezeichnet, entsprochen habe, ist kein Gegen argument: Gre ist ein relativer Begriff, und wenn man sich die archologisch nachgewiesenen griechischen ,Stdte des 8. Jhs., der Zeit des Dichters, anschaut, so htte eine von der Befestigungsmauer der Burg Troia VI umschlossene Siedlung durchaus als ,gro gelten mssen (man mu sich hier vor modernen oder auch vor durch die Kenntnis der Stadtanlagen des alten Orients gespeisten Vorstellungen hten). Etwas sdstlich der Stelle, wo der bergang des zuerst entdeckten Grabens - also auerhalb dieses Grabens und erst recht der vermuteten Stadtmauer - wurde von Drpfeld und Biegen eine kleine Nekropole, also ein Grberfeld oder wrt lich: eine Totenstadt, entdeckt (Abb. 15). Sie gehrt der Bau phase Troia VI h an. Es handelt sich dabei um einen kleinen Friedhof mit Urnen, in denen die Asche und die Knochenreste von Erwachsenen beigesetzt waren; es waren kleine Tongefe von keiner besonders hohen Qualitt; die Grabbeigaben, dar unter auch mykenische Gefe, waren meist einfacher Art. Aus all dem darf geschlossen werden, da hier Angehrige der rmeren Bevlkerungsschichten bestattet worden waren. Einen Hinweis auf eine weitere Nekropole gibt ein Verbren nungsplatz etwas nordwestlich der Zitadelle (Abb. 15; nicht eingezeichnet); nach den zugehrigen Grbern wurde aber bisher nicht gesucht. Ein teils gleichzeitiger, teils in die Zeit von Troia VIIa gehriger, aus ca. 100 Grbern bestehender Friedhof wurde am Sdostfu des Besjk Yass Tepe ausgegra ben (Abb. 3 und s. S. 33. 34). Er war zweifellos reicher ausge stattet und zeigte vielfltigere Bestattungsformen als die Nekropole im Sdosten von Troia VI. Die zum Friedhof am Beik Yass Tepe gehrige Siedlung wurde noch nicht gefun 47

den; man vermutet, da sie nur aus Htten bestand. Auch in dieser Nekropole gab es einfache Urnengrber, aber es fanden sich auch Pithos-Grber, also Krperbestattungen (d.h. die Leiche blieb im Gegensatz zu Brandbestattungen unversehrt) in groen Vorratsgefen aus sehr grobem Ton (Pithoi), die bis zu 1,80 Meter hoch und mit Steinplatten verschlossen waren. Auerdem wurden Steinkreis- und Steinkistengrber mit Skelettresten und zwei Grber in Form von Husern - ein kleines einrumiges und ein groes in der Gestalt eines Mega rons - entdeckt. In diesen beiden Grbern waren Asche und Knochenreste von drei Personen in Urnen beigesetzt. Eine Reihe von Grbern, darunter auch die beiden gerade erwhn ten, hatte man mit reichen Beigaben wie Ringen, Perlen und anderen Schmuckstcken aus verschiedenem Material, sogar mit solchen aus Gold und Elfenbein, ausgestattet. Es kamen auch einige mykenische Gefe und ein mykenisches Siegel zum Vorschein. In dieser Nekropole waren Mnner, Frauen und Kinder unterschiedlichen sozialen Ranges begraben. Die Bevlkerungszahl von Troia VI zu errechnen, bleibt ein ganz hypothetisches Unterfangen (es wurden wenigstens 7000 Einwohner vermutet). Die sich aus Zitadelle und Unterstadt zusammensetzende Stadt will Korfmann als typische altorien talische Residenzstadt interpretieren, wie sie z. B. durch Aliar aus dem 18.-15. Jh. und Boazky-Hattusa, der Hauptstadt des Hethiterreiches, aus dem 14. und 13. Jh. reprsentiert werden (beide Stdte liegen in Zentralanatolien) (Abb. 7). Aber schon ein Blick auf die Stadtplne macht die gravierenden Unterschiede zwischen Troia VI und diesen Stdten klar: Die Untersiedlungen von Aliar und Boazky-Hattusa waren von Befestigungsmauern umgrtet, die mchtige Steinsockel fr Lehmziegeloberbauten besaen, zahlreiche Trme und gewal tige Toranlagen hatten, welche mit Reliefs oder Rund skulpturen geschmckt waren. Die Unterstdte zeichneten sich durch dicht nebeneinander liegende Huser mit Steinfun damenten, ferner durch groe Tempelbezirke mit Magazinen, die Burg von Boazky-Hattusa durch eine sulen- bzw. pfei lerreiche Audienzhalle und andere hallenartige Gebude sowie 48

Abb. 7: West- und Zentralanatolien zur Zeit des hethitischen Groreiches (14./13. Jh.). Rekonstruktion von J. D. Hawkins, SOAS, University of London. Einige im Text genannte Reiche sind nicht eingezeichnet. Das Reich von Karkemis liegt stlich von Kizzuwatna. Auch die Stadt Alis.ar ist nicht eingetragen. Ob das ,Seha Flu Land im Bereich der Tler des Hermos und Caikos gelegen hat, ist fraglich. .Wilusa ist schwerlich mit der Troas identisch, sondern drfte viel weiter sdstlich, vielleicht irgend wo nrdlich von ,Caria oder ,Lycia, zu lokalisieren sein. Die stlich von Izmir gelegene rtlichkeit Akpinar ist nicht angegeben.

Magazine und Archivrume aus, die eine Flle von Schriftta feln und Siegel bzw. Siegelabdrcke in Ton beherbergten. Das alles gab es aber in Troia VI nicht. Der historische Stellenwert von Troia VI liegt eben nicht darin, da es solchen machtvol len und prchtigen Stdten nahekommt, sondern darin, da es eine ganz andere Art von Herrschersitz vertritt, nmlich die eines rangmig viel tiefer stehenden und weit weniger kom plex organisierten Frsten- oder Knigreiches, das zudem ber ein erheblich kleineres Herrschaftsterritorium verfgte. Die materielle Kultur, die man in Troia VI antraf, kann hier nicht in ihrer ganzen Breite, sondern nur in einigen besonders bemerkenswerten Aspekten vorgestellt werden: Die Masse der Keramikfunde macht die bisher ,grauminysche Ware, neuer dings ,Anatolische Grauware genannte Gattung aus. Es han delt sich dabei um Gefe verschiedener Form, die hufig metallenen Vorbildern nachempfunden waren und deren berzug vor dem Brand mit einem Steinchen oder Holzstb chen poliert wurde; ihre charakteristische graue bis schwarze Farbe haben sie durch den Brennvorgang bekommen. Zur Zeit von ,Troia VI Mitte/Spt sind die Gefe hufig mit ein geritzten Wellenlinien verziert. Daneben gab es, aber in deut lich geringerer Menge, die sogenannte Tan Ware (gelbbraune Ware). Dabei handelt es sich um Gefe mit entsprechenden Formen, deren berzug auf dieselbe Weise wie eben beschrie ben geglttet wurde, aber nach dem Brand einen gelblichen oder brunlichen berzug erhielt; auch sie konnten als Deko ration oft Wellenbnder tragen. Beide Tonwaren waren im gesamten nordwestkleinasiatischen Raum und auf den vorge lagerten Inseln, wenn auch von Ort zu Ort in unterschiedli chem Mengenverhltnis zueinander, verbreitet. Weiterhin wurde als Luxusware mykenische Keramik, oft mit glnzen der Bemalung, verwendet; sie umfat allerdings nur 1-2% der Gesamtmenge der in Gebrauch befindlichen Keramik. Frher hielt man die Mehrzahl der in Troia VI gefundenen mykenischen Ware fr Import vom griechischen Festland; jngsten Untersuchungen zufolge wurde jedoch die Haupt masse von ihr in Troia nach importierten Vorbildern herge50

stellt. Die mykenische Keramik ist fr den Archologen von groer Bedeutung, weil sie sich gut datieren lt. Alle genann ten Gattungen wurden bereits auf der Tpferscheibe herge stellt, die eine sehr viel glattere, gleichmigere Formgebung und vollendetere Produktion erlaubte als die reine Handferti gung. Der knappe berblick ber die Tpferkunst von Troia VI ergibt, da dieser Zweig der Kultur nur wenige Anregungen aus der mykenischen Welt empfangen hat, vielmehr stark durch die einheimischen, lokalen Traditionen geprgt war, ein Sachverhalt, der schon Biegen klar war. Dieses Ergebnis korrespondiert und harmoniert sehr schn mit dem Archi tekturbefund: Befestigungskunst und Hausbau stehen in ana tolischer Tradition, auch die Form des oben erwhnten Megaron-Haustypus lt sich darin einordnen. Andererseits ist hervorzuheben, da es kaum hethitische Fundstcke aus Troia VI gibt; daraus ergibt sich, da nur ganz schwache Beziehungen zu dem mchtigen zentralanatolischen Reich der Hethiter existierten, das etwa von 1600-1180 bestand. Waffen und manche Werkzeuge in Troia VI waren aus Bronze. Doch hat man davon ebenso wie von Luxusgtern nur wenig gefunden. Das liegt vielleicht daran, da Palastund Kultbezirk, wo man am ehesten wertvolle Metallware htte erwarten drfen, verschwunden sind. ber die Land wirtschaft und die Ernhrungsgewohnheiten der Troianer lt sich sagen, da sie Pferde-, Esel- und Schafzucht betrieben, Getreide, Gemse und Wein anbauten und auch Fleisch von Rindern und anderen Haustieren sowie Fisch aus den Darda nellen verzehrten. Gewi pflegte man in Troia VI auch Han delsbeziehungen, aber wohl schwerlich in dem Mae, wie hufig angenommen wurde: Da die Stadt sogar ein Handels zentrum mit ,weltweiten Kontakten gewesen sein soll, scheint eher zweifelhaft. Man kann nicht einfach, wie es getan wurde, die Importfunde aus allen bronzezeitlichen Schichten Troias also von Troia I bis VII b 2 - zusammenfassen und aus einem solcherart konstruierten Bild eine handelspolitische Schls selstellung von Troia VI ableiten. Vielmehr mu man die 51

Befundsituation einer jeden Schicht fr sich auswerten. Denn weitreichende kommerzielle Kontakte, durch die sich eventu ell. Troia II ausgezeichnet haben mag, mssen keineswegs auch fr Troia VI charakteristisch gewesen sein. Ein Blick auf das Fundmaterial besttigt das: Es bietet nur wenige Belege fr Verbindungen zum griechischen Festland und, wie schon be tont wurde, auch kaum fr Kontakte zum Hethiterreich. Export einheimischer Keramik bzw. darin befrderter Waren wurde in nur geringem Mae betrieben, wobei die auf Zypern und an der syrisch-palstinischen Kste entdeckte Anatolische Grauware auch auf dem Wege des Zwischenhandels dorthin gelangt sein kann, also nicht auf unmittelbarem Handelsweg von Troia aus dorthin gebracht worden sein mu. Und man ches, was aus entlegenen Gebieten kam - wie beispielsweise Bernstein - gelangte vermutlich auf ebenso indirekte Weise nach Troia. Kupfer, Zinn und Edelmetalle wird man kaum aus allzu groer Ferne, sondern eher aus Kleinasien und dem stlichen Mittelmeerraum bezogen haben. Zweifelhaft ist auch, ob der Handelsverkehr in den Schwarzmeerraum schon in der spten Bronzezeit eine groe Bedeutung hatte. Und schlielich ist ebenso fraglich, ob die nahe bei Troia gelegene Besjka-Bucht tatschlich als letzter Ankerplatz fr fremde Handelsschiffe vor der sicherlich schwierigen Einfahrt in die Dardanellen angesteuert und den Schiffen dort Zoll abver langt wurde (Abb. 3). Immerhin gab es auch auf der gegen ber liegenden Insel Tenedos zwei Buchten fr Schiffe, wenn diese infolge der - im brigen durchaus berwindbaren Strmungs- und Windverhltnisse der Dardanellen zum Warten gezwungen waren. Auerdem konnte man, nur einen kleinen Umweg in Kauf nehmend, auch von Nordwesten, und zwar von der Insel Imbros aus, ohne groe Probleme in diese Meerenge einfahren (Abb. 1.2). Fat man die vorgetragenen Beobachtungen zusammen, so kommt man zu dem Ergebnis, da Troia VI keine altorienta lische Residenzstadt und kein Zentrum sptbronzezeitlichen Welthandels, sondern nur der politische und wirtschaftliche Mittelpunkt der nrdlichen, vielleicht auch der gesamten 52

Troas gewesen sein drfte. Keine Troia VI vergleichbare Sied lung wurde in dieser Landschaft nachgewiesen, nur viel klei nere wie etwa jene mit der erwhnten Nekropole beim Besjk Yass Tepe gehrige oder die Siedlungen auf dem Ball Da, bei Eski Hisarlk und dem unmittelbar nrdlich davon ge legenen Hgel Figla Tepe und auf dem Hanay Tepe/Thym bra (Abb. 3 und s. S. 33. 34). Soll ich das zur Rolle von Troia VI Gesagte resmieren, so gelange ich zu dem gleichen Schlu wie schon 1992: Troia VI spt erweist sich im ganzen als der mutmaliche Zentralort eines nordwestkleinasiati schen Frsten- bzw. Knigtums, das ber die umliegende Landschaft verfgt haben drfte und wohl von nur lokalem Rang war. Troia und die hethitischen Quellen Gibt es nun zeitgenssische Schriftquellen, aus denen hervor ginge, da Troia VI oder auch die darauf folgende Stadt Troia Vila wirklich von mykenischen Griechen erobert und zerstrt wurde? Ja, gibt es wenigstens auch nur Anhaltspunkte, da um eine der beiden Stdte ein Krieg entbrannt war, wie ihn Homer in der Ilias beschreibt? In diesem Zusammenhang mu eine Hypothese errtert werden, die in letzter Zeit wieder hufig vertreten wurde. Ihr zufolge darf Troia angeblich mit der/dem in Westkleinasien gelegenen luwischen Stadt/Staat Wilusa/Wilusiya gleichgesetzt werden; im folgenden wird der Einfachheit halber der Name Wilusa verwendet.* Seit den Tagen Homers ist fr Troia noch ein anderer Name bezeugt, und zwar Mos bzw. seine jngere Form Ilion - er begegnet brigens schon in der Ilias, allerdings nur ein Mal. Man hat aus diesem Namen eine ltere Form Filios erschlos sen, wobei das ,F wie ,W gesprochen wurde; dieser Name wird auch im folgenden verwendet. Wegen der Namenshn* Das Luwische ist eine dem Hethitischen eng verwandte Sprache, die im Sden und Sdwesten Kleinasiens gesprochen wurde, und gehrt zur indogermanischen Sprachfamilie.

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lichkeit setzen einige Hethitologen - also Wissenschaftler, die sich der Erforschung des Hethitischen widmen - Filios/Troia mit Wilusa gleich, das in einigen (zum Teil in sehr fragmen tarischem Zustand) auf uns gekommenen Texten erscheint. Die betreffenden Hethitologen versuchen diese Gleichsetzung mit Anhaltspunkten aus der Geographie Kleinasiens in hethi tischer Zeit zu untermauern, doch sind manche fr diesen Zusammenhang wichtige Lokalisierungen nur erschlossen; sie gelangen aufgrund problematischer Schlufolgerungen zu dem Ergebnis, da Wilusa in der Landschaft Troas gelegen habe und identisch mit dem Troia Homers gewesen sei. Sprachlich gesehen ist eine Identitt der Namen Wilusa und Filios zwar nicht vllig auszuschlieen, aber doch nicht wahr scheinlich. Was die politische Geographie Kleinasiens in hethi tischer Zeit angeht, so mu nochmals mit Nachdruck hervor gehoben werden, da die einschlgigen Schriftquellen ganz fragmentarisch sind, berdies die bersetzung entscheidender Worte oder Textpassagen umstritten ist und darin zum Teil nur wenige und vage Angaben gemacht werden, was beson ders fr Wilusa gilt. Die Staaten bzw. Lnder und Stdte, die man fr den Zeitraum vom Ende des 14. und bis zum Beginn des 12.Jhs. in Kleinasien lokalisieren kann, sind folgende (Abb. 7): das hethitische Kernland Hatti (Zentralanatolien) mit dem ,Oberen und ,Unteren Land sowie das nrdlich von Hatti gelegene Land der Kaska; ferner die Lnder Pedassa (sdwestlich von Hatti) und Walma (westlich oder sdwest lich von Pedassa), Karkemis (beiderseits der heutigen trkisch syrischen Grenze), Kizzuwatna (Kilikien); darber hinaus Tarhuntassa (Pamphylien), das sich bis zum Kastaraja bzw. Kestrios erstreckte und auf dessen Gebiet die Stadt Parha (Perge) lag; zudem Lukka, das etwa das Gebiet des spteren Lykien umfate und eine Reihe mittlerweile identifizierter Stdte einschlo; schlielich das sdlich und sdstlich von Izmir gele