Tube - Wenn ich Macht hätte

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Tubes Texte sind lakonisch und lustig und manchmal um bis zu sieben Ecken gedacht. Er schreibt über Freude und Ärger am Arbeitsplatz, befasst sich mit der Volkskrankheit „Chef“, den verrückten Managern und erklärt, wie S-Bahn-Kontrolleure zu überlisten sind. Oben drauf gibt es noch die Antwort auf die Tante aller Fragen: Was wäre, wenn Tube und nicht Gott oder ein anderer Spinner die Welt erschaffen hätte?

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Spucke, Fleisch und Kacke

Ich hatte plötzlich das Verlangen, irgendwo hinzuspucken. An die Wand, auf den Teppich, gegen das Fenster, irgendwohin. Ich hatte nichts Schlechtes im Mund, nichts Übles gegessen, keine saure Milch gekostet oder ein Stück Seife gelutscht, nichts dergleichen. Es ging mir allein um den Spaß, einen Tropfen Flüssigkeit mit meiner DNS auf pa-rabelförmiger Flugbahn zu sehen, und um die Technik, ihn aus dem Mund zu entlassen – durch spitze Lippen oder eine zum U geformte Zunge. Doch ich hielt mich zurück. Schließlich war ich zu Hause in meiner Wohnung, wo solcherlei Vergnügen unschicklich ist. Ich bin nicht so wie die Stinkepunks aus dem Zweiten, die das sicherlich im-mer machen, wenn sie auf dem Fußboden hocken, Bier trinken und Sex Pistols hören. Da wird gerülpst und gespuckt, dass sich die Balken biegen. Bei mir gibt es das nicht, allerhöchstens im Badezimmer, und dort nur ins Toilettenbecken. Meist reizt mich der sportliche Ehrgeiz, den eigenen Strahl zu treffen. Frauen werden mich jetzt um die phy-sische Eigenschaft beneiden, das Geschäft im Stehen verrichten zu können, und um meinen Einfallsreichtum. Aber seid nicht traurig, liebe Frauen, ich habe euch auch schon einmal beneidet, als ich auf Toilette saß, eine Zigarette rauchte und zwischen den Oberschenkeln hindurch ins Toilettenbecken aschen wollte. Das kann höllisch weh-tun, wenn man nicht genau trifft und neben der heißen Asche noch Glut abfällt. Ich habe so schnell wie möglich hinterhergespuckt, und dabei ging es mir nicht um eine parabelförmige Flugbahn, sondern ausschließlich um Abkühlung und die Hoffnung, dass der Schmerz nachlasse.

Als es mir aber um eine parabelförmige Flugbahn ging und ich mich in Zurückhaltung übte, klingelte es an der Wohnungstür. Ich öff-nete und sah vor mir etwa 90 Kilogramm Spam. Es gibt mehrere Arten Spam. Es gibt E-Mail-Spam, das sind E-Mails von Mandy oder Nancy, die typischerweise schreiben: Hallo Süßer, besuche doch mal meine

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neue Homepage, ich habe die schmutzigsten Fantasien und bin zu allem bereit. Dann gibt es Papier-Spam, das sind im Hausbriefkas-ten gefundene Einladungen zu Kaffeefahrten, Briefe, in denen steht, man habe gewonnen, oder der Ikeakatalog. Und dann gibt es noch Fleisch-Spam, das sind Menschen, die auf einmal vor der Wohnungs-tür stehen und einem irgendwas andrehen wollen. Neben Staub-saugerverkäufern und Versicherungsvertretern sind auch die Zeugen Jehovas typischer Fleisch-Spam. Von denen hatte ich einmal zwei Stück vor der Wohnungstür, ein Zeuge Jehovas kommt niemals allein, zwei Stück weiblichen Fleisch-Spams, lang ist es her, zu einer Zeit, da man das Wort Spam, wenn überhaupt, nur in seiner ursprünglichen Bedeutung kannte und der Begriff Fleisch-Spam eine beispielhafte Tautologie gewesen wäre.

Damals nahm ich mir vor, die beiden Zeuginnen, oder wenigstens eine von ihnen, zum Atheismus zu bekehren. Ich diskutierte mit ih-nen, bewarf sie mit starken Argumenten: Kann Gott, der Allmächtige, einen Stein erschaffen, so schwer, dass er selbst ihn nicht anheben kann? Worin unterscheidet sich Sex vor der Ehe von Sex während der Ehe? Sex, das ist im Grunde immer das Gleiche und doch jedes Mal wieder was anderes. Es kommt darauf an, mit wem man Sex hat, sowohl vor der Ehe als auch während der Ehe.

Eine Woche später standen die beiden Fleisch-Spam-Stückchen wieder vor meiner Tür. Sie hatten »Wachtürme« und jede Menge Bro-schüren dabei. Ich kochte ihnen Kaffee, unterhielt mich mit ihnen über ihre Schriften, widerlegte mit mathematischer Präzision jedes Wort, das sie sprachen, las ihnen sogar Passagen aus Minskys »Mento-polis« vor, fragte sie, wann Russells Christus denn komme, bot ihnen Wetten um höchste Geldsummen an, dass Christus auch den nächs-ten Termin seiner Wiederkehr versäumen werde. Denn, was nicht ist, das kann nicht kommen, da habt ihr es, ihr seid euch gar nicht mehr sicher, sonst könntet ihr ja wetten. Ach, der Herr erlaubt euch nicht, zu wetten? Wetten, dass er euch das nicht verbietet?

Als sie das nächste mal kamen, wollte ich gerade aus dem Haus, ein Bier trinken, und sagte: »Kommt doch mit.« Sie kamen nicht mit und auch nie wieder. Aus Zeugen Jehovas anständige Atheisten zu

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machen, ist wohl genauso unmöglich, wie aus einem Haufen Kacke leckeren Spam zu fertigen.

Und ich sah mich nun 90 Kilogramm Spam gegenüber, nachdem ich die Haustür geöffnet hatte. Kein leckerer Spam, nichts zum Essen, nein, nein, auf solch perverse Gedanken käme ich nie, man erinnere sich, das Perverseste war mein plötzliches Verlangen, irgendwo hin-zuspucken, ein Verlangen, das ich problemlos unterdrücken konnte, bis ich die Wohnungstür öffnete und die 90 Kilogramm Fleisch-Spam sah. Selbst hier konnte ich mich beherrschen und bespuckte nicht seine Brille. So was lag mir völlig fern.

Meine Deutschlehrerin hat mich einst dreimal hintereinander be-spuckt, weil ich Apfel mit B geschrieben hatte. Sie lief durch die Rei-hen, sah das falsche Wort in meinem Heft und sagte: »Abfel? Apfel mit B? Das wird mit Pe geschrieben. Hörst du? Mit Peee! Das heißt A-Pfell!«

Ihre spritzige Erklärung brachte mich als Schüler in eine schwie-rige Situation. Sollte ich zurückspucken und einen Tadel riskieren? Sollte ich »Igitt!« schreien und mir das Gesicht abwischen oder so tun, als wäre nichts gewesen? Fragen, die ich mir später noch öfter stellen sollte, nachdem mir der Auswurf eines Wortes wie »Prinzi-pien« an die Backe geflogen war. Wie reagieren? Wer ist der Ge-sprächspartner? Ist er wichtig? Darf ich es wagen, mir den Speichel meines Chefs aus dem Gesicht zu wischen? Der Regen, den er mit dem Wort »Prinzipien« gerade verursacht hat, dürfte ihm doch nicht entgangen sein. Wische ich mein Gesicht sauber, so provoziere ich ihn nur. Er müsste sich womöglich bei mir entschuldigen, welch De-mütigung für ihn. Vielleicht hat er es auch gar nicht bemerkt, dann könnte ich mir das Gesicht wischen, einfach so. Oder soll ich einfach zurückspucken?

Nein! Höflichkeit blieb die Maxime, und ich hörte mir an, was die 90 Kilogramm Fleisch-Spam zu sagen hatten. Telefonieren sei zu teuer, besonders, wenn ich viele Ferngespräche führte, er kenne sich damit aus, er wisse Besseres.

Ich überlegte kurz, ob ich ihn zur Telekom bekehren könnte, sagte aber nur: »Nein, ich kaufe nichts.«

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Typisch an Fleisch-Spam ist, dass er auf so was antwortet: Nein, nein, nein, ich will ihnen doch gar nichts verkaufen, ich will ihnen doch nur kurz erklären, dass …

Aber »dass« hörte ich nicht mehr, ich hatte die Tür wieder ge-schlossen und übte mich in Zurückhaltung.

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Ute – das emanzipierte Huhn eine Fabel

Diese stark gesellschaftskritische Fabel ist Claudia gewidmet, die eine abgöttische Leidenschaft für Geschichten hat, in denen Hühner mit-spielen.

Ute hatte schon seit zwei Tagen kein Ei gelegt. Verbissen presste sie unter starken Schmerzen alle notwendigen Muskeln zusammen, da-mit ihr keine der ovalen Kalkkugeln entfleuchte.

»Na, Ute? Streikst du immer noch?« fragte Petra aus der Nachbar-zelle, während sie sich entspannt eines Eies entledigte.

»Ach, die Petra ist auch schon wach«, schaltete sich Steffi aus dem Käfig gegenüber ein.

»Ja, ja. Hab auch gerade mein Ei abgeworfen. Ich glaub, Ute streikt immer noch. Die sagt auch gar nichts.«

»Hallo Ute! Streikst du noch?« rief Steffi zu Ute.»Hm«, tönte Ute verbissen.»Ich bewundere dich ja. Wie du das schaffst, die Eier einfach zu-

rückzuhalten. Ich könnte das nicht. Mir würden die spätestens am Abend rausrutschen«, sprach Steffi und legte ein Ei.

»Ich glaub, es ist Zeit, was zu essen«, meinte Petra, und sie began-nen, in den Körnern die vor ihren Schnäbeln lagen, herumzupicken.

»Schmeckt gut heut, was?«»Ja, ja. Hat gestern aber auch gut geschmeckt.«»Hm, und vorgestern war’s auch gut.«»Ja, ja, und vorvorgestern war’s auch schon gut.«»Und am Tag davor auch.«»Ja, ja, eigentlich immer gut, wie immer.«»Ute isst nichts.«»Nee, nee, die streikt eben. Redet nicht, isst nichts und legt keine

Eier. Was sie sich davon wohl verspricht?«

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»Ich glaub, die will hier raus. Irgendwas anderes. Was Besseres, wie sie immer meint. Davon hat sie ja schon so oft erzählt.«

»Ach was, ich denk, die veranstaltet den ganzen Zirkus nur, weil sie hofft, damit in ne Fabel zu kommen.«

»Meinst du? Nur deswegen keine Eier legen? Na ja. Kann schon sein. Tiere müssen ja heutzutage den größten Unfug machen, damit mal was über sie geschrieben wird. Ich will hier jedenfalls nicht weg. Ich find’s hier schön.«

»Ja, ich könnt‘s mir auch nicht besser vorstellen.«»Habt ihr denn überhaupt keine Ideale?« mischte sich Ute plötzlich

ins Gespräch. »Wisst ihr denn überhaupt nicht, wie mies es ist, hier in diesen Käfigen zu hocken? Merkt ihr das gar nicht mehr? Wollt ihr kein besseres Leben? Wollt ihr gar nicht gegen die Unterdrückung in diesem Lager ankämpfen? Zusammen könnten wir’s schaffen! Wenn wir alle zusammenhalten würden und gemeinsam keine Eier mehr legten, könnten wir eine neue hühnersoziale Gesellschaftsordnung erzwingen. Freilandhaltung! Keine Eipflicht! Freie Wahl der Kornsor-te! Liberale Ehen! Der Hahn müsste uns nicht mehr heimlich in der Nacht besuchen. Er könnte auch am Tage kommen!«

»Zu mir kommt er eh nie«, warf Petra traurig ein.»Quatsch! Darum geht’s hier nicht. Es geht um Freiheit! Grünes

Gras! Frische Luft! Und es geht ums Brüten! Wisst ihr, wie schön das ist, ein Ei auszubrüten? Das Höchste und Glanzvollste, was eine Henne in ihrem Leben tun kann, ist es, ein Ei auszubrüten. Und wir dürfen das nicht. Das sind doch völlig verachtenswerte Verhältnisse. Steht auf! Denkt doch mal nach!«

In diesem Moment griff eine menschliche Hand in Utes Käfig, schnappte sich ihren Hals und zerrte sie heraus. Draußen krächzte sie noch was von Revolution und Umsturz, wobei ihr im Eifer der Rede ein Ei entglitt und auf dem Boden zerschellte. Sie verstummte erst, als ihr der Hals umgedreht wurde. Kurz darauf stellte die Menschenhand ein neues Huhn in Utes ehemaliges Heim.

»Grüß Gott, ich bin die Johanna«, machte sich die Neue bekannt.»Tachchen«, entgegneten Steffi und Petra. »Wir sind hier nen ganz

lustiger Haufen. Fühl dich wohl bei uns, Johanna!«

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»Wisst ihr, dass ihr grad in ner Fabel mitgespielt habt?« sagte Jo-hanna.

»Was? Echt? Wir sind in ner Fabel gewesen?«»Ja. Ich glaub, die wird sogar noch geschrieben.«»He, Steffi! Wir sind in ner Fabel«, gackerte Petra aufgeregt und

versuchte sich das Gefieder am Gitter ihres Käfigs glatt zu streichen.»Hallo Mutti! Hallo Omi! Hallo Papa! Wir sind in ner Fabel! Schö-

nen Gruß an alle Hühner in Block B! Ich bin noch frei! Wir sind alle in Block D! Grüße an alle, die mich kennen!«, riefen sie wild durchei-nander, sodass man nicht mehr zuordnen konnte, wer was sagte.

»Hoffentlich beschreiben die mich nicht von hinten, da komm ich in dieser engen Buchte nicht ran und kann mich nicht richtig hübsch machen«, murmelte Petra, denn betrachtete man sie von hinten, sah man zerzauste und mit Hühnerscheiße verklebte Federn kreuz und quer über ihrem Arsch hängen.

»Was war denn nun eigentlich die Moral von dieser Fabel?«, fragte Steffi.

»Keine Ahnung«, antwortete Petra nachdenklich und pickte ein Korn.

»He! Ich glaub, der schreibt immer noch«, bemerkte Johanna.»Na, ich denk, der wird nach meinem Satz aufhören und nicht mal

mehr erwähnen, wer ihn gesagt hat«, sagte Steffi.»He! Aufhören! Wir wollen jetzt unsere Ruhe«, sagte Petra.»Wenn der nicht gleich den Stift wegpackt, streik ich und leg kein

einziges Ei mehr«, sagte Steffi.»Da würd ich mich anschließen«, sagte Petra.»Ich mach auch mit«, fügte Johanna hinzu.»Wir machen alle mit. Wir legen nicht eher ein Ei, bevor der auf-

hört zu schreiben«, solidarisierten sich jetzt immer mehr Hühner aus anderen Zellen mit Petra, Steffi und Johanna.

Den folgenden Satz schrieb ich noch auf und legte danach den Stift beiseite.

Ich ließ die dummen Hühner in Ruhe, da ich nicht auf mein Früh-stücksei verzichten wollte.

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Schwarzfahren mit Musik

Vor einigen Jahren hatte ich mir mal ausgerechnet, wo und wie man am günstigsten im D-Zug sitzen sollte, um ein eventuell stattfinden-des Zugunglück möglichst unbeschadet zu überstehen. Mein Ergebnis war: Etwa dort, wo das hintere Drittel des Zuges beginnt. Optimaler-weise auf einem Platz, wo man entgegen der Fahrtrichtung sitzt. Und der Platz dir gegenüber sollte leer sein, damit dir nichts, von dem, was da drauf ist, ins Gesicht fliegt. Etwa ein Mensch.

Wenn du also die richtige Position im D-Zug hast, sind deine Chancen zu überleben etwas größer. Allerdings nur der Wahrschein-lichkeitsrechnung nach: Da sich der Zug meist vorwärts fortbewegt, ist es am wahrscheinlichsten, dass er vorwärts irgendwo reinfährt. Im ungünstigsten Fall in einen anderen D-Zug, der auf demselben Gleis fährt, auch vorwärts, allerdings nur aus seiner Sicht vorwärts, aus der Sicht deines Zuges rückwärts. Und deshalb sollten vorne zwei Drit-tel Knautschzone sein. Nach hinten reicht ein Drittel Knautschzone, weil von hinten das Schlimmstmögliche ist, dass ein Zug reinrast, al-lerdings nur mit seiner Geschwindigkeit, weil im ungünstigsten Fall dein Zug gerade steht, aber es ist unwahrscheinlich, dass er rückwärts fährt, eher vorwärts, und dann beträgt die Aufprallgeschwindigkeit höchstens die Geschwindigkeit des auffahrenden Zuges minus der Geschwindigkeit deines Zuges. Bleibt noch die Frage, wie es sich ver-hält, wenn ein Zug von der Seite in deinen reinrast. Hierbei ist es egal, wo du sitzt. Es erwischt dich oder es erwischt dich nicht. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Deshalb müssen wir unsere Posi-tion von da, wo das letzte Drittel anfängt, in Bezug auf Seitenhiebe nicht justieren. Es ist und bleibt am besten, da zu sitzen, wo das letzte Drittel des Zuges beginnt. Allerdings nur unter dem Aspekt der Wahr-scheinlichkeitsrechnung, was soviel heißt wie: Wenn du sehr viele Zugfahrten machst, die alle in einem Unglück enden, überlebst du die meisten. Das Blöde ist eben nur, dass schon die erste Fahrt voll

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in die Hose gehen kann, womit du das statistische Potential dieser Sitzposition nicht mehr ausschöpfen kannst.

Die gleichen Überlegungen lassen sich übrigens auch auf Bussitz-positionen anwenden. Auf Flugzeuge hingegen nicht. Dort gelten an-dere Regelen. Und ebenso in der Berliner U-Bahn. Die ist nicht so schnell. Da kann man ruhig auch etwas weiter vorn sitzen. Von viel größerem Interesse ist allerdings die Frage, wo man in der U-Bahn sit-zen muss, damit die Wahrscheinlichkeit, von Kontrolleuren erwischt zu werden, am geringsten ist. Ich setze voraus, dass man ohne Fahr-schein fährt. Meine Antwort: Da wo die Musiker sind.

Vielleicht ist es auch nur eine Beobachtung von Einzelfällen, aber ich habe noch nie erlebt, dass Musiker in einen U-Bahn-Wagen ein-gestiegen sind und dazu noch Kontrolleure. Beides zugleich scheint nicht vorzukommen. Also musst du nur den Musikern folgen. An je-der Station. Hat den Nachteil, dass du jede Station die doofe Musik ertragen musst. Und sicherlich jedes Mal dasselbe Lied. Und dann fahren die Musiker nicht unbedingt deine Strecke. Manchmal pen-deln sie immer nur drei Stationen vor und wieder zurück, womit du dann zwar sicher den Kontrolleuren ausweichst, aber nicht richtig vo-rankommst. Außerdem sind gar nicht immer Musiker da. Wenn kei-ne Musiker da sind, musst du selbst den Musiker machen. Häng dir eine Gitarre um, steig jede Station in einen anderen Wagen um und schrammele ein Lied. Manchmal denke ich, die Musiker in der Berli-ner U-Bahn machen es gar nicht wegen des Geldverdienens oder der Musik, sondern weil sie einfach schwarzfahren wollen.

Falls es dir nicht liegt, bei Musikern mitzufahren oder selbst zu mu-sizieren, musst du ohne Musiker fahren und eine Sitzposition wäh-len, wo die Wahrscheinlichkeit am geringsten ist, erwischt zu werden. Und diese Position befindet sich da, wo der Abstand zu den nächsten zwei Türen am größten ist. Kontrolleure kommen meist zu zweit und steigen meist durch verschiedene Türen ein, dann kontrollieren sie sich von ihrer jeweiligen Tür beginnend durch den Wagen aufein-ander zu. Und genau in der Mitte zwischen den Türen, da wo sie sich treffen, musst du sitzen. Am besten liest du dabei ein Buch und blickst nicht einen Moment lang auf. So ist die Wahrscheinlichkeit

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tatsächlich am größten, nicht erwischt zu werden, denn auf dem Weg bis zu dir besteht die Möglichkeit, dass sie jemand anderen erwischen und sich bei dem aufhalten. Dann schaffen sie es gar nicht bis zu dir, bevor die nächste Station kommt. Fall sie aber tatsächlich bis zu dir kommen, musst du stur weiter in dein Buch blicken, du darfst dich auf keinen Fall so bewegen, als ob du einen Fahrschein suchst, du musst so wirken, als hättest du deinen Fahrschein schon gezeigt und liest bereits wieder in deinem Buch. Dann, genau dann, wenn sich die Kontrolleure auf deiner Höhe treffen, denkt der eine Kontrolleur vom jeweils anderen, dieser habe dich schon kontrolliert, weil du ja auch keine Anstalten machst, einen Fahrschein zu suchen. Dann trauen sie sich nicht, dich zu fragen.

Die Wahrscheinlichkeit, nicht erwischt zu werden, ist so am ge-ringsten. Es kann natürlich gleich beim ersten Mal schiefgehen. Aber auf lange Sicht, statistisch gesehen …

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Tubes Texte sind lakonisch und lustig und manchmal um

bis zu sieben Ecken gedacht. Er schreibt über Freude

und Ärger am Arbeitsplatz, befasst sich mit der Volks-

krankheit „Chef“, den verrückten Managern und erklärt,

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gibt es noch die Antwort auf die Tante aller Fragen:

Was wäre, wenn Tube und nicht Gott oder ein anderer

Spinner die Welt erschaffen hätte?

1. Typischer Tagesbeginn eines werk- tätigen Menschen ...2. Wie ich mal meine erste Million machte, Teil 1 ...* 3. Meine Probleme mit Plurälen 4. Tube fragt Tobias – Drogen 5. Die Geschichte von der bösen Steffi und vom armen Herrmann*6. Tube fragt Tobias – Noch mehr Drogen 7. Marmorkuchen total in Braun 8. Nachts im Auto* 9. Wenn ich Macht hätte ... Gott 10. Wie ich mal meine erste Million machte, Teil 5 ...*11. Essen mit Oma 12. Snooze-Orgie13. Chef 14. Die Kopfnuss*15. Tube und die Vuvuzelafilter: Wir haben Zeit* 16. Tube und die Vuvuzelafilter: Shoppen gehen*

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Tube gilt als der harte Kern der Surfpoeten und ist Mitbegründer der Lesebühne LSD. Bekannt ist er auch als Programmierer eines Computerspiels, einige kennen ihn als Netzwerkadministrator, und weltberühmt wurde er als Erfinder des Vuvuzela-Filters, den er gar nicht erfunden hat.

[Foto: Oz Ordu]

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