Über Depressionszustände

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(Aus der Deutschen Forschungsanstalt fiir Psychiatrie [Kaiser Wilhelm-Institut] Miinchen.) Uber Depressionszustiinde 1. Von Kurt Schneider. (Eingegangen am 16. November 1931.) Bei der Betrachtung eines Depressionszustandes erhebt sich als erste Frage: Ist er reaktiv oder ist er nicht reaktiv ? Man unterscheidet also in erster Linie zwischen sedisch begrfindeten, verst~ndlichen, moti- vierten Depressionszust~tnden und solchen, deren Dasein nicht sinnvoll, nicht verst~ndlich ist. Man kann es dann nur kausal mit Auflerbewufltem erkl~ren, wobei man sich dieses AuBerbewuBte sicher mit Reeht in den meisten F~llen als eine k6rperliche Umstimmung vorstellt. Diese kSrper- fiche Umstimmung kann etwa autotoxiseher, endokriner Natur sein, dann w~tre diese nicht reaktive Depression eine endogene. Oder sie kann ihre Ursaehe in yon auflen in den KSrper eingeffihrtem haben, dann witre diese nicht reaktive Depression eine exogene. Wir gebrauchen hier die vieldeutigen und relativen Begriffe ,,endogen" und ,,exogen" scharf in dem eben umschriebenen Sinne ohne uns auf die vielfach erSrterten anderen Bedeutungsm6glichkeiten einzulassen. Es braucht auch kaum mehr besonders darauf hingewiesen zu werden, da6 man yon diesem Standpunkt aus jedenfalls reaktive Depressionen nicht ,,exogene" heil~en kann, wie es noch mitunter geschieht. Man miiBte zum mindesten ,,psyehisch exogen" sagen, doch lassen wir diese Bezeiehnung besser, um den grunds/~tzliehen Unterschied zwischen reaktiver und exogener Depression in dem eben umschriebenen Sinne nicht zu verwischen. Statt yon reaktiven Depressionen redet man auch yon ,,psychogenen". Auch dies tun wir hier besser nicht, weil der Ausdruck ,,psyehogen", der den mit allerlei Vorurteilen schwer belasteten Begriff ,,hysterisch" ersetzen sollte, sehr rasch dessen ominSsen Beigeschmack geerbt hat. Wir reden also yon reaktiven, endogenen und exogenen Depressions- zust~nden, und zwar liegt das Hauptgewicht der Untersuchung auf der Unterscheidung yon reaktiven und endogenen, w~hrend die exogenen 1 Nach einer am 13. November 1931 an der Universit~t Miinchen gehaltenen Antrittsvorlesung.

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(Aus der Deutschen Forschungsanstalt fiir Psychiatrie [Kaiser Wilhelm-Institut] Miinchen.)

Uber Depressionszustiinde 1. Von

Kurt Schneider.

(Eingegangen am 16. November 1931.)

Bei der Betrachtung eines Depressionszustandes erhebt sich als erste Frage: Ist er reaktiv oder ist er nicht reaktiv ? Man unterscheidet also in erster Linie zwischen sedisch begrfindeten, verst~ndlichen, moti- vierten Depressionszust~tnden und solchen, deren Dasein nicht sinnvoll, nicht verst~ndlich ist. Man kann es dann nur kausal mit Auflerbewufltem erkl~ren, wobei man sich dieses AuBerbewuBte sicher mit Reeht in den meisten F~llen als eine k6rperliche Umstimmung vorstellt. Diese kSrper- fiche Umstimmung kann etwa autotoxiseher, endokriner Natur sein, dann w~tre diese nicht reaktive Depression eine endogene. Oder sie kann ihre Ursaehe in yon auflen in den KSrper eingeffihrtem haben, dann witre diese nicht reaktive Depression eine exogene. Wir gebrauchen hier die vieldeutigen und relativen Begriffe ,,endogen" und ,,exogen" scharf in dem eben umschriebenen Sinne ohne uns auf die vielfach erSrterten anderen Bedeutungsm6glichkeiten einzulassen. Es braucht auch kaum mehr besonders darauf hingewiesen zu werden, da6 man yon diesem Standpunkt aus jedenfalls reaktive Depressionen nicht ,,exogene" heil~en kann, wie es noch mitunter geschieht. Man miiBte zum mindesten ,,psyehisch exogen" sagen, doch lassen wir diese Bezeiehnung besser, um den grunds/~tzliehen Unterschied zwischen reaktiver und exogener Depression in dem eben umschriebenen Sinne nicht zu verwischen. Statt yon reaktiven Depressionen redet man auch yon ,,psychogenen". Auch dies tun wir hier besser nicht, weil der Ausdruck ,,psyehogen", der den mit allerlei Vorurteilen schwer belasteten Begriff ,,hysterisch" ersetzen sollte, sehr rasch dessen ominSsen Beigeschmack geerbt hat. Wir reden also yon reaktiven, endogenen und exogenen Depressions- zust~nden, und zwar liegt das Hauptgewicht der Untersuchung auf der Unterscheidung yon reaktiven und endogenen, w~hrend die exogenen

1 Nach einer am 13. November 1931 an der Universit~t Miinchen gehaltenen Antrittsvorlesung.

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nur kurz gestreift werden sollen. Endogene und exogene Depressions- zust~nde bilden gegeniiber den reaktiven eine zusammengeh6rige Gruppe. Vom Realctiven aus gesehen ist ihre Unterscheidung keine grund- s~ttzliche.

Will man reaktive und endogene Depressionszust~nde voneinander abgrenzen, so kommt man sehr hs in fast oder ganz unl6sbare Sehwierigkeiten. Es ist mitunter sehr schwer, ja iiberhaupt nicht sicher zu entscheiden, ob eine traurige Verstimmung reaktiv, d. h. also durch Erlebnisse psychologisch verst~ndlich bedingt ist, oder ob sie keinen psychischen Grund oder nur einen seheinbaren psychischen Grund hat. Wir erinnern an manehe noeh durchaus im Bereich der Norm liegende Verstimmungen, an normale ,,Launen". Es ist hier oft nicht zu ent- scheiden, ob eine in Wirklichkeit endogene Verstimmung an kleinen Erlebnissen nur den Anlafl, gewissermaBen den Vorwand fin@t, sieh zu entzfinden, oder ob diese Erlebnisse wirklich die Ursache der Verstimmung sind. Genau so ist es bei stimmungslabilen Psychopathen: zu entscheiden, ob ein Fortlaufen, ein alkoholischer Exze[t Folge einer motivierten Ver- stimmung war oder ob eine motivlose endogene Verstimmung nur ihren entladenden Funken aus Erlebnissen holte, ist oft nicht mSglich. Es geniigen jedenfalls bei solchen Menschen an einzelnen Tagen minimale verstimmende Erlebnisse, um eine schwere Verstimmung auszul6sen und zur Entladung zu bringen, ws an anderen Tagen sehr viel Obleres ohne Verstimmung hingenommen und ertragen wird. Hier ist also der endogene Faktor deutlich, und man kann die eben gekennzeichnete Tatsache eine endogen erhShte Bereitschaft zu depressiven Reaktionen hei6en. Ihre Griinde sind sehr verschiedene, in erster Linie k6rperliche Ersch6pfung im weitesten Sinne, fibergroBe k6rperliche Inanspruch- nahme, Rekonvaleszenz, der Zustand der Menstruation, Schmerzen aller Art, ungeniigender Schlaf, allerlei k6rperliche Mii~empfindungen, alle diese Zust~nde, die als solche teils gar nicht, teils mehr oder weniger erlebt werden, k6nnen Ursache sein. Dabei mu~ man beachten, dal~ derartige k6rperliche Zust~nde, wenn sie bewui~t werden, auch (unter Umst~nden zugleich) das Motiv einer reaktiven Verstimmung sein k6naen: Man kann auch wegen seiner verminderten k6rperlichen Leistungsf~hig- keit, man kann auch au8 Sorge iiber Schmerzen depressiv sein. Dies ist scharf auseinanderzuhalten: Reaktive Verstimmung iiber K6rperzusts und eine yon nicht erlebten oder erlebten K6rperzust~nden lediglich ]causal ,,getragene" erh6hte depressive Reagibilit~t.

Diese Formen der Depression mul~ man sicher endogene Depressionen heiBen, doch dfirfen sie nicht ohne weiteres mit einer 8pezifischen Art endogener Verstimmung, der cyclothymen depressiven Phase zusammen- geworfen werden. Die letztere abzugrenzen, wird erst sparer unsere Aufgabe sein. Viele als cyclothym bezeichnete Psychopathen sind lediglich solche periodisch endogen Depressive und die h~ufige Neigung,

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solche psychopathisch endogene mit cyclothym endogenen Depressions- zust~nden zu verwechseln, scheint uns daher zu kommen, dab man diese endogen getragene vermehrte depressive Reagibilit~t nicht genfigend kennt. Kompliziert wird die Lage noch dadurch, dab ohne Frage auch verstimmende Erlebnisse, wohl ebenfalls auf dem Umweg fiber KSrper- liches, im weiteren Verlauf nicht mehr reaktive Depressionszust~nde ver- ursachen k5nnen. Das verstimmende Erlebnis bildet nicht mehr den Inhalt der Verstimmung, es bleibt aber eine Zeit vermehrter depressiver Reagibilit~t zuriick, die sich etwa in leichter Gerfihrtheit beim HSren yon Musik ~uBern kann. Es ist hier keineswegs so, als wenn das Erlebnis im Sinn einer auBerbewuBten Reaktion noch weiter fortwirke, wenn auch zugegeben werden soll, dab es vorkommt, dab ein nicht mehr bewuBtes Motiv verstimmend weiter wirkt. In den hier gemeinten F~llen ist das urspriinglich verstimmende Erlebnis durchaus nicht unbewu~t ; es ist erinnert, hat aber seine reaktive Kraft verloren und nur noch einen rein kausalen Wirkungswert. Das ursprfinglich verstimmende Erlebnis kann sogar vSllig aufgehoben sein, etwa durch Widerruf einer irrtfimlichen traurigen Nachricht - - und dennoch kann eine Zeit lang sine Bereitschaft zu vermehrter depressiver Reagibilit~t zurfickbleiben.

Hier wird es Zeit, noch einmal wenigstens kurz der exogenen Depres- sionszust~nde zu gedenken, also der Depressionszust~nde bei exogenen Intoxikationen oder exogen verursachten Gehirnprozessen. Dabei soll auf die klinische Kontroverse zwischen Bonhoef[er und Specht fiber das Vorkommen depressiver Zust~nde als exogene ,,Reaktionstypen" nicht n~her eingegangen werden. Man wird Bonhoeffer zum mindesten das zugeben mfissen, dab sie ganz auBerordentlich selten sind. DaB es bei exogen entstandenen Gehirnkrankheiten Depressionszust~nde gibt, ist ja nicht zweifelhaft, doch wird man hier wie auch bei den exogenen Reaktionstypen im engeren Sinne ja heute fragen, ob das Bild gerade des depressiven Zustandes nicht eben doch durch endogene Koeffizienten zustande kommt. Vor allem Bostroem hat neuerdings auf solche Zu- sammenh~nge aufmerksam gemacht. Diese strukturanalytischen Fragen sollen uns hier nicht interessieren, es soll nur darauf hingewiesen werden, dab jene kSrperlichen Zust~nde und MiBstimmungen, die bei endo- genen Depressionen zu einer erhShten Bereitschaft zu depressiven Reak- tionen ffihren, natiirlich auch exogener Genese sein kSnnen. In vielen F~llen wird man tats~chlich (man denke an Infektionen mit Fieber) den Wirkungswert exogener und endogener Faktoren auch gar nicht ab- sch~tzen kSnnen. Von unserer Betraehtung aus gesehen geh5ren exogene und endogene Depressiolmn zusammen: sowohl exogen wie endogen entstandene kSrperliche StSrungen kSnnen zu jener vermehrten depres- siren Reagibilit~t ffihren.

Wie steht es nun mit der noch nicht besprochenen im engeren klini- ~chen Sinne endogenen Depression, der echten cyclothymen Phase ?

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Schon frfiher haben wir zu zeigen versucht, dab diese Depression, was ihr Erlebtwerden betrifft, etwas qualitativ anderes ist als die reaktive. Es ist nicht so, als ob es sich hier um eine Depressio~ gleicher Art wie die reaktive handelt, nur mit dem Unterschied, dab bier ein Motiv fehlt. Es handelt sich um eine ,,Traurigkeit" nach Art eines Vitalgefiihles, um einen der Mfidigkeit, der Zerschlagenheit, dem k6rperlichen Darnieder- liegen vergleichbaren, rage im Leib lokalisierten Geffihlszustand. Auch bier stoBen wir also wie bei den oben geschilderten anderen endogenen Depressionen auf kSrperliche Zust~nde. Diese werden hier nun aller- dings meist in ganz spezifischer Art erlebt, weshalb man berechtigt ist, diese vitale endogene Depression yon anderen endogenen Depressionen, die sehr viel uneinheitlichere und oft gar nicht als Mi6empfindungen erlebte kSrperliche Ausnahmezust/s zur Grundlage haben, abzu- trennen. Auch hier erfolgt ein reaktiver Ausbau yon seiten der PersSn- lichkeit. Diese nimmt Stellung zu dem vital-depressiven Grundzustand, verarbeitet ihn hypochondrisch, macht sich wegen der erlebten Unfiihig- keit Selbstvorwiirfe. Aul3erdem diirfte der vitale Grundzustand, iihnlich wie jene anderen endogenen k6rperlichen Umstimmungen, auch rein kausal den Boden fiir vermehrte und verst/irkte Reagibilit/it iiberhaupt schaffen. Auch hier ist die reaktive Verarbeitung, die Stellungnahme zu der vitalen Unf/~higkeit und die nicht verst/~ndliche erhShte Reagibilit/~t als blofle Folge der vitalen Umstimmung grunds/itzlich zu unterscheiden. Allerdings scheint das letztere zurfickzutreten; die erlebte vitale Grund- stSrung und ihre reaktive Verarbeitung scheinen meist das Bild vSllig zu beherrschen.

Betrachtet man nun nach dem Aufbau auch das Bild der depressiven Verstimmung, so fallen ohne Zweifel zwei verschiedene Arten auf: die miflmutige, gereizte, mtirrische Verstimmung und die schwermiitige, sanfte, passive, elegische. Sie entsprechen der ,,schizothymen" und ,,cyclothymen" PersSnlichkeit Kretschmers, klinisch zurtickhaltender aus- gedrfickt, den ,,Dystonen" (Bostroem) und den ,,Syntonen" (Bleuler). Beide Arten gibt es bei der reaktiven Verstimmung, w/ihrend bei jener endogen bedingten Bereitschaft zur vermehrten und verst/irkten depres- siren Reaktionen die gereizte, mil3mutige Form zu iiberwiegen scheint. Der infolge ErschSpfung, ungenfigendem Schlaf, kSrperlichem Mill- behagen endogen Depressive ist wohl stets gereizt depressiv. Dasselbe gilt yon dem exogen Depressiven, insbesondere yon den seltenen exo- genen depressiven Reaktionstypen. Das trifft sich mit der Feststellung Bonhoeffers, dab er bei ihnen hie ,,echte" depressive Zustandsbilder sah, d .h . solche, die an die ja meist synton aussehende cyclothyme Phase erinnern.

Es ist keine Frage, dab auch endogen Depressive im Sinne der vitalen Depression sowohl miBmutig wie schwermfitig sein k6nnen, aber dies berfihrt die vitale GrundstSrung nicht. Es ist die befallene PersSnlichkeit,

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die durch ihre Reaktion auf den vital-depressiven Grundzustand oder auch durch ihre spezifisch aussehende vermehrte Reagibilit~t infolge dieser vitalen MiBstimmung dem klinischen Bild die dystone oder syn- tone Farbe gibt. Dies entspricht vSllig dem, was Mayer-Grofl .die ,,Ent- hfillung des Charakters in der Depression" geheil3en hat. Wohl ist es so, dab syntone Konstitutionen biologisch mehr zu vitalen Depressionen neigen als dystone, aber psychologisch besteht kein Zusammenhang zwischen vitaler Depression und syntonem Wesen. Die vitale Depression ist gegenfiber den verschiedenen PersSnlichkeitstypen psychologisch neutral. Schon als eine StSrung im Bereiche der Leibgeffihle muff sie das sein. Sie selbst kann nicht charakterologisch ableitbar sein, nur die Art ihrer Ausgestaltung.

Die endogene Depression reicht weit fiber das hinaus, was man fiblicherweise so zu bezeichnen pflegt, die cyclothyme Depression ist nur eine Unterform yon ihr. Eine endogene Depression ist auch die phasische epileptische Verstimmung und man geht wohl nicht fehl, wenn man auch hier einen, in seinem Wesen ganz unbekannten, kSrperlichen Ausnahmezustand annimmt, der zu einer vermehrten und verst~,rkten depressiven Reagibilit~t ffihrt, die erfahrungsgem~13 meist eine gereizte, miI3mutige Farbung hat. Dieser kSrperliche Ausnahmezustand wird zweifellos mitunter auch als ein solcher bewuflt erfahren, doch fehlen fiber seine Erlebnisweise bisher hi, here Untersuchungen. Natfirlich mSgen auch hier verarbeitende Reaktionen vorkommen, doch scheinen bei Epileptikern solche Stellungnahmen selten zu sein.

Ahnlich wie die epileptische Verstimmung sind wohl aueh chronische endogene und exogene Verstimmungen bei Organikern, bei Arterio- sklerotikern, bei Paralytikern aufzufassen. Je mehr die Demenz fort- geschritten ist, desto weniger daft man eine objektivierende depressive Verarbeitung der erlebten kSrperliehen Ver~nderung erwarten und desto mehr mu6 man an jene yon der k5rperlichen Veriinderung lediglich ,,getragene" vermehrte Neigung zu depressiven, ebenfalls meist gereizten Reaktionen denken. Gemfitliche Abstumpfung, mangelnde Tiefe der Ge- ftihle verwischen erfahrungsgem~[t dann immer mehr das depressive Bild.

Dies ist vollends bei den schizophrenen Depressionen der Fall, fiber die noch kurz gesprochen werden soil, und zwar meinen wir hier nur wirklich eindeutige, als ,,tief" und ,,echt" anmutende depressive Geffihls- zust~nde. Sic kommen erfahrungsgemiiB am h~ufigsten bei beginnenden Prozessen, dana aber auch nicht selten bei guten Stillstiinden und Defekt- heilungen vor. Auch als episodische Einlagen in im fibrigen typische Prozesse kann man manchmal, wenn auch nicht gerade hi~ufig, aus- gesproehene warme Depressionen sehen. Sieht man n~her zu, so wird man auch hier teilweise Depressionen linden, die man vielleicht ~hnlich erkl~ren daft wie die eben geschilderten.organischen Depressionen: ver- mehrte und verst~rkte depressive Reagibilit~t auf dem Boden einer

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erlebten oder nicht erlebten kBrperlichen Umstimmung. Die Farbe ist, wieder wohl im Zusammenhang mit der PersSnlichkeit meist eine dystone, doch kommen auch weich-schwermtitige Verstimmungen vor. t3ber diesen endogenen, organischen schizophrenen Depressionen, die ver- mutlich unmittelbar auf den kSrperlichen Krankheitsprozel zurtick- gefiihrt werden miissen, daft man aber die MSglichkeit reaktiver Depres- sionen bei Schizophrenen nicht iibersehen. DaB Schizophrene auf duflere Erlebnisse depressiv reagieren ist allerdings selten. Dies ist aus der ganzen schizophrenen Haltung zur Welt und Wirklichkeit verstiind- lich. Trotz jahrelangem Suchen haben wir nie einen Fall liinger dauern- der schizophrener Keaktion auf reale Vorkommnisse gefunden. Dagegen ist eine depressive Reaktion auf die eigene Verdnderung nicht so selten zu beobachten. Man findet sie einmal als Reaktion auf die beginnende Ver~nderung der eigenen Person und das damit einsetzende Fernriicken der Welt, eine depressive Reaktion auf die beginnende schizophrene Einsamkeit. Aber auch der ,,mit Defekt" in seinem ProzeB zum Still- stand gekommene Schizophrene kann sich seiner Ruinenhaftigkeit dauernd oder doch in einzelnen Stunden schmerzlich bewult werden. Wir erinnern an den groBen Schizophrenen HBlderlin, der noch nach jahrelang bestehendem schizophrenem Prozefi und mitten in einer Zeit seltsamster Verschrobenheit folgende Verse aufschrieb:

April und Mai und Julius sind ferns, ich bin nichts mehr, ich lebe nicht mehr gerne.