Ueber die Bedeutung der Kathodenstrahlen und Canalstrahlen für den Entladungsmechanismus

10
Durch eiiie Reihe neuerer Arbeiten sind wir zu einer Theorie uber das Wesen der Kathodenstrahlen gefiihrt worden, welcher sich die meisten bisher beobachteten Thatsachen gut einfugen. Dagegeii beclarf wohl die Frage nach dem Zusammen- hang der Kathodenstrahlen n i t dem Entladungsvorgang uberhaupt noch hier und cla der Aufklarung. Wenn der Gasdruck im Geissler’schen Rohr noch ein relativ lioher ist und noch diffuses Entladungslicht auftritt , mag es iiberhaupt schwer sein zu entscheiden, ob Kathodenstrahlen vorhanden sind oder nicht. Es hat den Anscheiii, als ob die Kathodenstrnhlen bei abnehmendem Druck sich durch einen Umbildungsprocess aus nnderen Entladungserscheinungen allmahlich entwickeln. Deiuentsprechend liegt es nahe, die cornplicirten Entladungs- erscheinungen (positive Schichteii etc.) auf das relativ einfache Phanomen der Kathodenstrahlen gmz oder zum Theil zuruck- zufuhren, wie es z. B. Goldstein’) gethan hat. Da die Kathodenstrahlen negative Laclungen nit sich fuhren, so niiissen sie die Gestalt des Entladungsvorganges in ganz charakteristischer Weise beeinflussen. M‘ie gross dieser Einfluss ist , dafur liesse sich aus sgstematischen Messungen der durch Kathodenstrahlen bewirkten Ladungen oder dergleichen ein Anhalt gewinnen. Ueber quantitative Versuche in dieser Richtung will ich in einer spateren Mittheilung berichten. Hier sollen einige mehr qualitative Beobachtungen besprochen werden. Sie wurden an dem Apparat angestellt, den ich fur quantitative Beobachtungen der durch Kathodenstrahlen bewirkten Ladungen construirt hatte. Die Kathodenstrahlen treten durch ein me- tallisches Diaphragmit, das als Anode dient, und fallen auf einen Schirm, dessen Ladungen untersucht werden lionlien. 1) E. Goldstein, Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wissensch. zu hrlin. p. $2--106. 1680.

Transcript of Ueber die Bedeutung der Kathodenstrahlen und Canalstrahlen für den Entladungsmechanismus

Durch eiiie Reihe neuerer Arbeiten sind wir zu einer Theorie uber das Wesen der Kathodenstrahlen gefiihrt worden, welcher sich die meisten bisher beobachteten Thatsachen gut einfugen. Dagegeii beclarf wohl die Frage nach dem Zusammen- hang der Kathodenstrahlen n i t dem Entladungsvorgang uberhaupt noch hier und cla der Aufklarung. Wenn der Gasdruck im Geissler’schen Rohr noch ein relativ lioher ist und noch diffuses Entladungslicht auftritt , mag es iiberhaupt schwer sein zu entscheiden, ob Kathodenstrahlen vorhanden sind oder nicht. Es hat den Anscheiii, als ob die Kathodenstrnhlen bei abnehmendem Druck sich durch einen Umbildungsprocess aus nnderen Entladungserscheinungen allmahlich entwickeln. Deiuentsprechend liegt es nahe, die cornplicirten Entladungs- erscheinungen (positive Schichteii etc.) auf das relativ einfache Phanomen der Kathodenstrahlen g m z oder zum Theil zuruck- zufuhren, wie es z. B. G o l d s t e i n ’ ) gethan hat.

Da die Kathodenstrahlen negative Laclungen nit sich fuhren, so niiissen sie die Gestalt des Entladungsvorganges in ganz charakteristischer Weise beeinflussen. M‘ie gross dieser Einfluss ist , dafur liesse sich aus sgstematischen Messungen der durch Kathodenstrahlen bewirkten Ladungen oder dergleichen ein Anhalt gewinnen. Ueber quantitative Versuche in dieser Richtung will ich in einer spateren Mittheilung berichten. Hier sollen einige mehr qualitative Beobachtungen besprochen werden. Sie wurden an dem Apparat angestellt, den ich fur quantitative Beobachtungen der durch Kathodenstrahlen bewirkten Ladungen construirt hatte. Die Kathodenstrahlen treten durch ein me- tallisches Diaphragmit, das als Anode dient, und fallen auf einen Schirm, dessen Ladungen untersucht werden lionlien.

1) E. G o l d s t e i n , Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wissensch. z u h r l i n . p. $2--106. 1680.

h7athodenstrahlen und Canalstrahlen. 689

Als Elektricitatsquelle diente eine grossere zweiplattige In- Auenzmaschine.

Bei Betrachtung des Entlaclungsrohres im Dunkeln be- merkte ich verschiedene Lichterscheinungen, die ich nicht er- wartet hatte , nanientlich , wenn die eigentlicli zur Kathode bestimmteElektrode als Anode benutzt wurde. Ich versuchte darum, unter Berucksichtigung der Potentialverhalt-

nisse im Entladungs- rohr, eine moglichst ins einzelne gehende Er-

klarung der Licht- erscheinungen durch- zufuhren.

Die Gestalt des Ent- ladungsrohres deutet

Fig. 1 mi. Es ist cylin- drisch ; die scheiben- formige , gestielte Ka- thode (a) befindet sich in einem fast geschlos- senen Raum, der rnit den ubrigen Rohrtheilen nur durch eine etwa 3 mm grosse Oeffnung

\ Fig. 1.

communicirt : in das Entladungsrohr ist namlich ein Stuck Glnsrohr concentrisch eingesetzt , iiber dessen offene Seite die kapselfidrmige , durchbohrte Anode (6) gestiilpt ist. Die Ka- thodenstrahlen treten durch die Oeffnung in der Anode hinaus und fallen auf den (lailgs der Rohraxe verschiebbaren) Schirm S,

der von einem Schutzcylinder umgeben ist. Die Rohre blieb bei allen Versuchen mit einer K a h l -

baum’schen Quecksilberluftpumpe in Verbindung, sodass durch Aenderung des Gasdruckes das Entladungspotential auf einen beliebigen Werth gebracht werden konnte. Die Versuche wurden zwischen 3000 und 10 000 Volt angestellt; zwischen diesen Grenzen fanden keine qualitatiren Aenderungen der zu

Ann. d. Phys. u. Chem. N. F. 68. 44

690 0. Berg.

beschreibenden Erscheinungen statt. Zu den Potentialmessuugen dieiite ein Heydweil ler ' sches Elektrometer, zu den Strom- messungen ein Galvanometer nach D u B o i s - R u b e n s .

Die dem Schirm s zugefiihrten Ladungen lassen sich derar t messen, dass man sie iiber ein Galvanometer zur Erde abfuhrt. Dabei ist aber Vorbedingung, dass auch die Anode (b) zur Erde abgeleitet sei, clamit der dern negativer., von s ab- fliessenden, aquivalente positive Strom von der Anode zur Erde fliessen kann. Diesel- positive Strom misst gewisser- maassen die Kathodenstrahlen , welche die Anode nicJit ge- troEen haben. Seine Benutzung fur Messungen wircl durch eine Storung erschwert : Infolge der leichteren Ausstralilung der negativen Elektricifat in die Luft treten an der Kathode uud an deren Zuleitungen danernde Verluste an negativer Elektricitat ein; und so ist der von der Anode zur Erde

fliessende positive Strom urn so vie1 starker als der vom Schirnie s abfliessende negative, wie jene Verluste betragen. Die Elek- trisirinaschine lieferte ubriqens schon einen Ueberschuss an positiver Elektricitat, selbst wenn die Funkenpole zusammengeschahen wurden, sodass also die Maschine ohne Spannung lief.

Die hier betrachtete Wirkung der Ka- thodenstrahlen ist eine Strorntheilung : von dem Hauptstrom, der iiber Anode und Kathode direct durch das Entladungsrohr

geht, wird ein Theil abgezweigt, der von der Anode iiber den Pchirm s und d a m an den Kathodenstrahlen entlang zur Kathode gelarigt (vgl. Fig. 2).

Offenbar liegt, die Frage nahe, ob nicht, a i e dieser Theil- strom, der ganze die Rohre durchsetzende Strom von Kathoden- strahlen transportirt wird. Denn der grosste Theil der von der Kathode (a) kornmenrlen Kathodenstrahlen fallt, wie es scheiat. nuf die Anode (6). Nach dell vorliegenden Versuchen konnte man geneigt sein, diese Frage zu bejahen. Der Theilstrom war etwa l/lo so stark wie der Gesammtstrom (wenn die Kathoden- stralilenentwickelung lebhaft war) und schatzungsweise fielen auch etwa '/, bis 'I,,, aller Kathodenstrahlen durch das Loch

drk ir I t

Fig. 2.

Kathodenstrahlen und Canalstrahlen. 69 1

in der Anode (6) hindurch auf den Schirm s.l) Sicher ist jedenfalls , dass die Kathodenstrahlen ein wesentliches Be- stimmungsstuck fur die Strombahnen im Rohre bilden.

Es wurde nun die Frage verfolgt, was aus den von den Kathodenstrahlen traiisportirten Elektricitatsmengen wird, wenn s nicht leitend mit a verbunden ist. Alsdann muss, nachdem ein stationarer Zustand eingetreten ist, alle negative Elek- tricitat schliesslich nach der Anode b zusammenstromen. Wenn iiberhaupt Kathodenstrahlen nach s gelangen, wie der Augen- schein lehrt, so miissen also entweder auch positive Theilchen dorthin gelangen , oder negative Theilchen (Kathodenstrahlen) wieder von s ausgehen, oder es muss sonst irgend ein Elek- tricitatsausgleich zwischen b uiid s stattfinden. Die Betrachtung der Rohre zeigt, dass thatsachlich, wenn b und s nicht ver- bunden waren, Kathodenstrahlen aus dem Schirm s entsprangen. Ausserdem war der Raum zwischen b und s mit schwachem, diffusem Licht erfullt. Weiter unten mitzutheilende That- Bachen werden es wahrscheinlich machen, dass auch von der Anode nus positive Theilchen gegen s hin geschleudert werden.

Die bei isolirter Anode b von s ausgehenden Kathoden- strahlen wurden auch beobachtet, wenn s isolirt war. Man wird hieraus zu schliessen geneigt sein, dass s sich auf nega- tivem Potential befunden habe. Die Untersuchung der Ladung von s mit dem Elektrometer zeigt aber gerade das Gegentheil: der Schirm s hat eine kraftige, positive Ladung. Das Vor- handensein der Kathodenstrahlen zeigt also nicht ein absolutes negatives Potential von s an, sondern beweist nur, dass s sich s u f niedrigerem Potential sich befindet, wie seine Umgebung.

Zur Erkennung der Kathodenstrahlen diente in allen Fallen als Kriterinm : blauliches, schwach divergirendes Licht- biischel, das meist von einer ziemlich kleinen Basis ausging uiid u i t zunehmender Evacuation lichtschwacher wurde. Das- selbe zeigte eine charakteristische Art magnetischer Ablenkung und rief, auf Glasfliichen gelenkt, dort die bekannte griine

1) Nach Beobachtungen P. Vi l la rd’s , die mir aber nicht geniigend sicher gestellt zu sein scheinen, ware anzunehmen, dass alle uberhaupt emittirten Kathodenstrahlen auch durch die Oeffnung in der Anode hin- durchtreten (Rev. Gen. des Sciences 10. p. 301. 1899).

44*

692 0. Berg.

Phosphorescenz hervor. Die Erkennung ist danach in allen Fallen unzweifelhaft.

Wenn man die bisher benutzte Versuchsanordnung so ver- andert, dass a zur Anode und 6 zur Kathode wird (vgl. Fig. l), so ist Gelegenheit zur Entstehung der Goldstein’schen ,,Canal- strahlen“ gegeben. Nach G o l d s t e i n entspringen nandich diese Strahlen in Durchbohrungen der Kathode und pflanzen sich iiach der Richtung fort, wo die Anode sich nicht befindet. Die Canalstrahlen , welche ein sehr vie1 unscheinbareres Ent- ladungsphanomen darstellen , als die Kathodenstrnhlen , sincl dementsprechend weniger untersucht worden. W i e n hat fest- gestellt, dass sie positive Ladungen niitfuhren und in geringem Gerade magnetisch ablenkbar 5ind.l) Er halt sic darum fiir positive fortgeschleuderte Theilchen. Danach ware ihre Ent- stehung recht schwer verstandlich; denn man wird nicht leicht einen Grund finden, waruin von der Kathode positive Theil- chen fortgeschleudert werden sollten. Diese Schwierigkeit scheint durch die Versuche W e h n e l t’s 2, gehoben zu sein, welcher iiachzuweisen sucht, dass die Canalstrahlen nicht an der Kathode ihren Ursprung haben, sondern die E’ortsetznng einer Strahlung positiver Ionen darstellen, welche die durch- locherte Kathode durchsetzt haben. Einige Versuche, die ich schon vor der Verijffentlichung der W ehnelt’schen Arbeit an- stellte, sprechen, wie mir scheint, fur eine ahnliche Auffassung.

Was zunachst die Ladungen des Schirmes s betrifft, so sind diese bei der neuen Schaltungsweise denen bei der alten, bis auf eine Abweichung, analog; fur beide Schaltungsarten lassen sich die Ladungserscheinungen in den beiden SBtzen zusammenfassen: 1. 1st eine der Elektroden zur Erde ab- geleitet, so findet sich auf dem Schirm die der anderen gleich- namige Ladung (und es Iasst sich diese Ladung in Gestalt eines constanten Stromes zur Erde abfiihren). 2. 1st keine der Elektroden zur Erde ttbgeleitet, so findet sich (bei beiden Schaltungen) auf dem Schirm s positiveLadung. Fur die zu- letzt genannte Schaltung (6 Kathode und a Anode) mag die unter 2. beobachtete positive Ladung von s einigermaassen auffallend erscheinen. Wie weit die Zufalligkeiten der Ver-

1) W. Wien, Verhandl. d. phys. Gesellsch. zu Berlin. 16. p. 165. 1897. 2) A. Wehne l t , Wied. Ann. 67. p. 421. 1899.

Kathodenstrahlen und Canalstrahlen. 693

suchsanordnung dabei mitspielten, kann ich nicht en tscheiden. Jedoch lasst sich eine plausible Erlrlarung dadurch geben, dass, wie in freier Luft, so auch im Vacuum die negative Elektricitat weit leichter ausgestrahlt wird als die positive, indern die Kathodenstrahlen, selbst wo man es auf den ersten Blick nicht vermuthen sollte, einen leicbten Potentialausgleich vermitteln. Demnach zeigt sich bei allen Metalltheilen in der Rohre das Bestreben, sich dem Potential der Anode durch Kathodenstrahlenmission moglichst zu nahern.

Wenn man allein die Ladungen von s in Betracht zieht, so ist die Annahme das nachstliegende, dass s von einem Strome positiver Theilchen, den Canalstrahlen, getroffen werde, analog wie es bei der ersten Schaltung von Kathodenstrahlen ge- troffen wurde. Wenn man aber die Lichterscheinungen mit in Be- tracht zieht, so zeigt sich, dass noch Complicationen auftreten.

Zunachst ist einLichtbiische1, das man als,,Canalstrahlen" an- sprechen konnte, nur unter der Bedingung zu sehen, dass man (vgl. Fig. 1) die Anode (a) mit dem Schirm (s) - oder beide mit der Erde - leitend verbindet. Aus den bisher veroffent- lichten Reschreibungen von Canal- strahlen h8tt.e ich dies Verhalten nicht vorausgesehen; es scheint von speciellen Eigeiischaften meiner Ver- suchsanordnung herzuriihren (Vor- handensein des metallischenschirmes s, und vor allem die relativ grosse Oeff- nung in der Kathode b, vgl. unten). Besteht keine Verbindung zwischen s und a (d. h. ist die Anordnung nicht um b symmetrisch), so bemerkt man an der Stelle der erwarteten Canal-

LVLJ Fig. 3.

strahlen die in Fig. 3 angedeutete Lichterscheinnng: ein blau. liches Lichtbuschel, das in der Nahe der Kathode charak- teristische Dunkelraume freilasst und mit einer Spitze in die Oeffnung der Kathode hineinragt. Ferner entspringt aus dieser Oeffnung ein - nach der Anode ( u ) gerichtetes - Kathoden- strahlenbiindel. Endlich tritt vom Schirme s ein Kathoden- strahlenbundel in den Raum zwischen b und s. Ausserdem

694 0. Berg.

sind dann normaler Weise die von der Kathode b kommenden, nach a und nach s hin gerichteten Kathodenstrahlengruppen vorhanden ; sie fiillen einen cylinder-ringformigen Raum aus und sind leicht erkennbar.

Alle diese Erscheinungen erklaren sich wieder aus der That- sache, dass irgend welche Potentialunterschiede in der Bohre mit Leichtigkeit durch Kathodenstrahlen ausgeglichen werden konnen. Dps niedrigste Potential im Rohre hat die Kathode; sie sendet daher zunachst nach beiden Seiten - senkrecht zu ihrer Oberflache - Kathodenstrahlen aus. Dadiirch nahert sich auch der Raum zwischen b und s (bez. dessen Glaswande und der Schirm s) mehr und mehr dem Potential der Kathocle; und er wiirde dies Potential erreichen, wenn nicht gegen den Raum zwischen 6 und a, der durch die Anode a auf hoherem Potential gehalten wird, infolge der Potentialdifferenz ein Ver- lust negativer Elektricitat eintrate: die aus der Oeffnung in b nach a austretenden Kathodenstrahlen. Dies Kathoden- strahlenbundel wiirde vielleicht nicht auftreten, wenn die Oeff- nung eng genug ware - und damit wiirde die ganze Com- plication der Erscheinungen wegfallen. Jedenfalls wird nun in der Mitte der Oeffnung von b eine Stelle entstehen, die hoheres Potential hat als der Raum zwischen 6 und s (bez. dessen Wande und auch die Kathode). Darnm werden von diesen Stellen Kathodenstrahlen nach der Mitte der Oeffnnng ge- sandt werden: das Lichtbiischel im Raume b-s wiirde also einem Zusammenstromen von Kathodenstrahlen nach der Mitte von s zugeschrieben werden konnen; der Dunkelraum in der Nahe von b und die in die Oeffnung hineinragende Spitze erklarten sich dann ungezwungen durch Deflexion dieser Kathodenstrahlen an der Kathode 6 . Der letzte Ursprung dieser Strahlen ist da zu suchen, wo das Potential durch dauernde Zufuhr negativer Elektricitat auf einem niederen Werthe gehalten wird: das sind die Wande des Raumes 6 - s und der Schirm s, die von der Kathode aus bestrahlt werden.

Der Schirm s braucht, absolut genommen, nicht auf ne- gativem Potential zu sein, und ist es auch in dem Falle nicht, dass an a keine Erdleitung gelegt ist, wie die Ladungsmessungen zeigten (vgl. p. 692). Die geschilderten Verhaltnisse werden eintreten konnen, wenn die Kathode 6 eine geniigend grosse

Kathodenstrahlen und Canalstrahlen. 695

Oeffnung hat, sodass sich der elektrostatische Einfluss der Anode a - vermoge der ausgleichenden Eigenschaften der Kathodenstrahlen - bis nach s hin erstreckt. Der Raum 6-s ist denn auch durch Ableiten von b nicht mehr elektrisch zu schutzen.

Die beschriebenen Erscheinungen sind einem Potential- ausgleich zwischen den beiden Raamen b-s und b - a zu verdanken; es liegt ihnen also eine Unsymmetrie der Ver- haltnisse um b herum zu Grunde. Beseitigt man diese, in- dem man die Anode a mit dem Schirme s metallisch verbinclet, so sind neue Bedingungen geschaffen , und man beobachtet nun, ausser den von der Kathode kommenden Kathodenstrahlen, nur noch die Canalstrahlen. Es zeigt sich namlich, scheinbar in der Oeffnung der Katbode entspringend, ein langs der Rohr- axe in der Richtung nach a und nach s verlaufendes Doppel- biischel blaulichen Lichtes. Nahert man der Kathode einen kraftigen Magneten, so vollfiihrt das Doppelbuschel eine ge- ringe Drehung urn die Oeffnung der Kathode als Scheitel. Die Drehung geschieht in dem Sinne, wie wenn das Doppel- biischel aus positiven, von der Oeffnung nach beiden Seiten fortgeschleuderten Thoilchen bestiinde. Danach, und nach der Art der Erscheinung, ist die Identitat mit den ,,Canalstrahlen" wohl ausser Zweifel.

Jedoch ist noch ein scheinbarer Widerspruch mit der Golds t ein'schen Beschreibung vorhanden. Nach dieser wiirden die Cnnalstrahlen in der Richtung ausgesandt, wo die Anode sich nicht befindet; in der hier beschriebenen Anordnung be- Gnden sich Anoden zu beiden Seiten der Kathode, und nach beiden Seiten werden auch Canalstrahlen entsandt. Der Wider- spruch lasst sich danach leicht aufklaren. Treffen wir nam- lich die Einrichtung, dass sich bequem abwechselnd a oder s oder beide zu Anoden machen lassen, so verschwindet, wenn s isolirt und a Anode ist, das Canalstrahlenbundel 6-a, da- gegen, wenn a isolirt und s Anode ist, das Canalstrahlenbundel 6-s. Das je nach der anderen Richtung verlaufende Canal- strahlenbiindel ist durch das oben erwahnte, spitz auslaufende Lichtbuschel verdeckt, wohl aber darunter vorhanden; nach den Beobachtungen Golds te in ' s u. a. ist es bei engen Kathodenoffnungen sicher vorhanden. Damit ist bewiesen :

696 0. Berg.

der Canalstrahl b-s gehort zur Anode a, der Canalstrahl b--a zur Anode s. Die Canalstrahlen treten aus den Oeff-

b

Fig. 4.

nungen d t x Kathode also immer nach der Richtung aus, wo die Anode sich ~z ich t befindet, der sic ihren Ursprung verdanken.

Diese Thatsache macht wohl den Scliluss un- abweisbar, dass die Canalstrahlen eine Erscheinung sind, die wir am besten als ,,Anodenstrahlen(( bezeichnen wiirden. Von den beiden Anoden a und s geht eine Strahlung positiver Theilchen aus, von der durch die Oeffnung in der Kathode (b) je ein Buschel ausgeblendet wird (Fig. 4). Die beiden als ,,Canalstrahlen" sichtbar werdenden Buschel ent- stehen dann in ganz analoger Weise, wie etwa die

beiden Schatten eines Stabes unter der Beleuchtung zweier Lichtquellen.

Die ,,Anodenstrahlen" zeigen gegen die Kathodenstrahlen eiiiige wesentliche Unterschiede :

1. Sie rufen schwachere Phosphorescenz hervor und sind darum weniger auffallend.

2. Sie sind in weit geringerem Grade magnetisch ab- lenkbar.

3. Sie werden, nach den Versuchen von W e h n e l t l ) , in ihrer Richtung auch wesentlich durch die Kathode bestimmt, wahrend die Bahn der Kathodenstrahlen in erster Annaherung voii der Anode unabhangig ist.

4. Sie scheinen im Entladungsrohre weniger leicht zu entstehen wie die Kathodenstrahlen, und spielen darum bei der Entladung eine weniger wesentliche Rolle als jene.

Alle diese Unterschiede konnen durch die Annahme gut erklart werden, dass die positiven Theilchen, welche die Anoden- strahlen bilden , grossere Maasse und darum geringere Ge- schwindiglteit besitzen a.ls die Theilchen der Kathodenstrahleii. 2,

Bei der Beobachtung der hier beschriebenen Erscheinurigen war auf einen leicht irrefuhrenden Unistand zu achten: wenii nian namlich irgendwo am Ent,ladungsrohre eine Erdleitung

1) A. Wehne l t , 1. c. 2) Vgl. W. W i e n , 1. c.

Kathodenstrahlen und Canalstrahlen. 697

anlegt, so wird meist das Entladungspotential ganz bedeutend verandert, sodass secundare Aenderungen der Lichterschei- nungen zu Stande kommen. Urn vergleichbare Lichterschei- nungen zu haben, muss man dann solange evacuiren oder Luft zulassen, bis das alte Entladungspotential wieder erreicht ist. Denn nach allen bisherigen Erfahrungen scheint die Art der Entladung, besonders die Kathodenstrahlen, wesentlich durch die Grosse des Entladungspotentials bestimmt zu sein. Bei den durch Ableitwig einer Elektrode bewirkten Potentialande- rungen scheinen mir hauptsachlich gewisse Condensator- wirkungen des Rohres im Spiele zu sein; damit gewinnen auch die Zufalligkeiten der Form des Entladungsrohres grossen Ein- fluss, sodass die Fortfuhrung der Versuche in dieser Richtung wenig Erfolg versprach.

Resultate. 1. Durch die Kathodenstrahlen werden Elektricitatsmengen

transportirt, welche der gesammten, ein Entladungsrohr durch- wandernden Elektricitatsmenge an GrGssenordnung gleicli sind.

2. Kathodenstrahlen treten, unbekummert urn die absolute Hohe des Potentials, uberall da auf, wo geniigend grosse Potentialdifferenzen vorhanden sind.

3. Die Goldstein'schen ,,Canalstrahlen" sind als Anoden- strahlen zu betrachteii.

4. Die Kathodenstrahlen entstehen mit grosserer Leichtig- keit als die Anodenstrahlen und bilden das wesentliche Aus- gleichsmittel von Potentialdifferenzen der in Frage kommenden Grossenordnung.

F r e i b u r g i. B., Physikal. Inst. d. Univ., im Mai 1899. (Eingegangen 9. Jun i 1899.)