Über die Empfindung der Körperlichkeit

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Aus der deutschen psychiatrisehen Universit~tsklinik Prag. Uber die Empfindung der K6rperliehkeit. Von Dr. Robert Klein, Assistent tier Klinik. (Eingegangen am 2. Mai 1930.) Der KSrper als Tastfl/~che, als Sinnesorgan betrachtet hat sowohl sich als aueh die Aul~enwelt als Reizquelle; legen wit das Gesetz der spezi- fischen Sinnesenergie zugrunde, so wiirde mit denselben Mitteln, aus derselben Funktion heraus sowohl der KSrper wie die Reize der Aul~en- welt, die ihn treffen, verarbeitet werden. Die Fragen, die sieh daraus ergeben, sollen an F/fllei1 behandelt werden, in clenen der KSrper in ungewShnlicher Weise wahrnehmungsgemi~l~ zur Darstellung kommt. Sie schliegen an die Schilderung beim Mescalinrausch, an die experi- mentellen Untersuchungea Schilders und an die vom Verfasser mit- geteflten Halluzinationen der KSrpervergrSSerung an. I. K., 38 Jahre, verheiratet. Im Jahre 1926 Begirm der jetzigen Erkrankung mit Schmerzen in tier Kreuzbeingegend, im Ansehlu$ daran Schmerzen im Ober- sehenkel, darauf Schwi~che erst im linken Bein, dann im rechten, die besti~ndig zunahmen bis zur vollsti~ndigen UnmSglichkeit des Gehens. In der letzten Zeit Urinretention. Patient ist seit 10 Jahren verheiratet, hat 3 gesunde Kinder, kein Abortus der Frau. Alkohol, venerische Infektion wird negiert. Patient maehte keinerlei antiluetische Behandlung dutch. Bei der im Oktober 1927 erfolgten Auf- nahme des Patienten an der Klinik war folgender Befund zu erheben: Hirnnerven und obere Extremiti~ten sind ohne pathologisehen Befund, aueh die Pupillen rea- gieren sowohl auf Lieht wie Konvergenz prompt und ausgiebig. An beiden unteren Extremiti~ten ist die grobe Kraft hochgradig herabgesetzt. Bei der aktiven Beweg- liehkeit besteht eine Einschri~nkung im Sprung- und in den Zehengelenken. Am reehten Bein kann aktiv nut die Beugung der Zehen, Adduction tier Beine in gr6gerem Ausma$e durehgeffihrt werden, in geringem die Beugung ira Knie, die Beugung und Streckung im Htiftgelenk. Alle iibrigen Bewegungen sind ausgefallen. Der Tonus in den unteren Extremiti~ten ist herabgesetzt. Sehmerz, kaltwarm werden yon NabelhShe nach abw~rts in unseharfer Begrenzung entweder iiberhaupt nicht gespiirt oder herabgesetzt (mangelhafte Dyskrimination), dabei ist die Vorderseite des Oberschenkels am meisten betroffen wi~hrend yore Kniegelenk naeh abwi~rts die Empfindung am besten erhalten ist. Die Tiefensensibiliti~t ist beiderseits ungest6rt. Die Reflexe der oberen Extremiti~ten sind ohne Besonderheiten, P.S.R. beiderseits sehwaeh ausl6sbar, links schwi~clier als rechts. A.S.R. beiderseits sehr lebhaft, linksseitiger Babinski, B.D.R. fehlen beiderseits, Mendel-Bechterew beider- seits positiv. Die elektrische Untersuehung ergibt am rechten Bein eine faradische

Transcript of Über die Empfindung der Körperlichkeit

Aus der deutschen psychiatrisehen Universit~tsklinik Prag.

Uber die Empfindung der K6rperliehkeit.

Von

Dr. Robert Klein, Assistent tier Klinik.

(Eingegangen am 2. Mai 1930.)

Der KSrpe r als Tastfl/~che, als S innesorgan be t r a c h t e t h a t sowohl sich als aueh die Aul~enwelt als Reizquel le ; legen wi t das Gesetz der spezi- f ischen Sinnesenergie zugrunde, so wiirde mi t denselben Mit te ln , aus derselben F u n k t i o n heraus sowohl der KSrpe r wie die Reize der Aul~en- welt, die ihn treffen, ve ra rbe i t e t werden. Die Fragen , die sieh da raus ergeben, sollen an F/fllei1 behande l t werden, in clenen der KSrpe r in ungewShnlicher Weise wahrnehmungsgemi~l~ zur Dars te l lung kommt . Sie schliegen an die Schi lderung be im Mescalinrausch, an die experi- mente l len Un te r suchungea Schilders und an die vom Verfasser mi t - getef l ten Ha l luz ina t ionen der KSrpervergrSSerung an.

I. K., 38 Jahre, verheiratet. Im Jahre 1926 Begirm der jetzigen Erkrankung mit Schmerzen in tier Kreuzbeingegend, im Ansehlu$ daran Schmerzen im Ober- sehenkel, darauf Schwi~che erst im linken Bein, dann im rechten, die besti~ndig zunahmen bis zur vollsti~ndigen UnmSglichkeit des Gehens. In der letzten Zeit Urinretention. Patient ist seit 10 Jahren verheiratet, hat 3 gesunde Kinder, kein Abortus der Frau. Alkohol, venerische Infektion wird negiert. Patient maehte keinerlei antiluetische Behandlung dutch. Bei der im Oktober 1927 erfolgten Auf- nahme des Patienten an der Klinik war folgender Befund zu erheben: Hirnnerven und obere Extremiti~ten sind ohne pathologisehen Befund, aueh die Pupillen rea- gieren sowohl auf Lieht wie Konvergenz prompt und ausgiebig. An beiden unteren Extremiti~ten ist die grobe Kraft hochgradig herabgesetzt. Bei der aktiven Beweg- liehkeit besteht eine Einschri~nkung im Sprung- und in den Zehengelenken. Am reehten Bein kann aktiv nut die Beugung der Zehen, Adduction tier Beine in gr6gerem Ausma$e durehgeffihrt werden, in geringem die Beugung ira Knie, die Beugung und Streckung im Htiftgelenk. Alle iibrigen Bewegungen sind ausgefallen. Der Tonus in den unteren Extremiti~ten ist herabgesetzt. Sehmerz, kaltwarm werden yon NabelhShe nach abw~rts in unseharfer Begrenzung entweder iiberhaupt nicht gespiirt oder herabgesetzt (mangelhafte Dyskrimination), dabei ist die Vorderseite des Oberschenkels am meisten betroffen wi~hrend yore Kniegelenk naeh abwi~rts die Empfindung am besten erhalten ist. Die Tiefensensibiliti~t ist beiderseits ungest6rt. Die Reflexe der oberen Extremiti~ten sind ohne Besonderheiten, P.S.R. beiderseits sehwaeh ausl6sbar, links schwi~clier als rechts. A.S.R. beiderseits sehr lebhaft, linksseitiger Babinski, B.D.R. fehlen beiderseits, Mendel-Bechterew beider- seits positiv. Die elektrische Untersuehung ergibt am rechten Bein eine faradische

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Unerregbarkeit der gesamteu Obersehenkelmuskulatur, am Unterschenkel siad die yon N. tibialis hmervierten Muskel erregbar. An der linken unteren Extremi- t~t sind am Oberschenke[ die Adduetoren und der Sartorius, am Unterschenkel nile Muskela erregbar. Die serologische Untersuehung ergibt eine negative Blur W.a.R., das Lumbalpunktat zeigt einen xanthochromen Liquor, in dem naeh etwa einstiindigem Stehen sich ein Spinnwebengerinnsel absetzt. Die Zellzahl betr~gt 86. Nonne-Appelt stark positiv. W.a.R. im Liquor yon 05--01 stark positiv. H~molysin mit Phase II stark positiv. Der Goldsol zeigt eine nach links verschobene Paralysekurve.

Auf eine kombinierte Hg-Salvarsankur gehen die neurologischen Ausfalls- erseheinungen weitgehend zuriiok, so dab P. nach einiger Zeit wieder gehf~hig wird. Bemerkenswert ist noeh, daft w~hrend der Dauer seines Aufenthaltes sehr h~ufig Pseudospontanbewegungen, haupts~chlich in den Extensoren des FuBes und in den Beugern der Oberschenkel auftreten. Patient wurde Ende November 27 aus der Behandlung entlassen.

Im Juni 1928 kam er wegen eines Erregungszustandes zu neuerlicher Aufnahme und zwar sell er laut polizei~rztlichem Zeugnis sieh auf der StraBe gew~lzt haben und best~ndig gerufen tmben, er wolle sich den Ful3 ausreiBen, er woUe so einen Sklavea nieht. An der Klinik gibt er an, daft ihm attf der Stral3e plStzlich schwindlig geworden sei, und daft er hingefallen sei. Das Bewufltsein h~tte er dabei nicht verlorem Die im Zeugnis angegebeneu Xul3erungen erld~rt er damit, dab er im reehten Bein Schmerzen gehabt h~tte. Er gibt dann weiter an, daft er das Gel~hl hatts als ob alas rechte Bein grgfler und starker an Um/ang geworden sei. Dieses Geftiht hatte w~hrend seines zweiten Aufenthaltes an der Klinik noeh eine Zeitlang angehalten und verschwand durra, ohne dab es wieder aufgetreten w~re.

F. Sp., 48 Jahre alt, Glasarbeiter, verheiratet. Der Patient gibt an, daB er seit ungef~hr 3 Monaten eine Schw~che in den Beinen spiire, die besonders nach l~ngerem Gehen oder Arbeiten auftrat. Das Aufrichten aus gebiickter Ste]lung mache ihm Beschwerden. Zeitweise ein Giirtelgefiihl, sp~ter traten Par~sthesien in den Beinen hinzu, seit uagef~hr 6 Wochen Verstopfung und erschwertes Uri- nieren. Vor dieser Erkrankung sei er vollstgmdig gestmd gewesen, er ist seit 20 Jahren verheiratet, hat 3 gesunde Kinder. Die Frau hat zweimal abortiert. P. trinkt 2--3 1 Bier t~glich, raucht etwa 15 Zigaretten im Tag. Venerisehe Infektion negiert er. Die objektive Untersuchung ergibt auBer einem geringen horizontal-rota- torischen Nystagmus in den seitliohen Endstellungen an den Hirnnerven niehts pathologisches. Die oberen Extremiti~ten sind bis auf einen geringen Fingertremor vollstandig frei yon St6rungea, an den unteren Extremit~ten ist die Kraft in allen Gelenken etwas herabgesetzt, die aktive Beweglichkeit ungehindert, der Tonus iiberall stark erhSht. B.D.R. vielleicht links etwas sehw~eher ale rechts. P.S.R. sehr lebhaft, reChts gleieh finks. A.S.I~. lebhaft, rechts FuBklonus und deutlicher Babinski, beiderseits Oppenheim. Die Sensibilit~tsprfifung zeigt wegen der schwan- kenden Angaben des Patienten keine sieheren Resultate. Bei einzelnen Unter- suehungen gewhmt man den Eindruck, daft die Schmerzempfinduag yon der Mamillargegend abw~rts etwas herabgesetzt ist. Beim Kniehackenversuch beider- seits geringe Unsieherheit, die Tiefenempfindung ist jedoeh fiberall intakt. Die serologisehe Untersuchung des Blutes und des Liquors ist vollkommen negativ. Differentialdiagnostiseh kam vor allem Tumor spinalis und multiple Sklerose in Betracht. Es wurde deshalb die Jodipinffillung durchgefiihrt. Der r6ntgeno- logische Befund dieser Untersuchung lautet: in der H6he des 5. Halswirbelk6rpers ein l~nglickes Kontrastdepot, das nach unten zu in leicht konkaver Linie absehneidet. Beim st~rkereu Aufrichten des Patienten und einigem Zuwarten linden sieh zer- streute l~ngliche Depots im Bereiehe der oberen Brustwirbels~ule und ein grsl3eres in der ttShe der Cauda equina. Zusammenfasstmg: teilweise Obstruktion des sinkenden Jodipins an der Grenze zwischen C 5 und C 6 in Folge eines Neop]asmas.

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Auf Grund des R6ntgenbefundes schien der operative Eingriff indiziert. Die an der r6ntgenologisch verd/~ehtigen Stelle vorgenommene Operation ergab keinen Anhaltspunkt ffir einen Tumor, noch auch sonst irgendwelche pathologischen Ver/i, nderungen in dieser H6he. Im AnschluB an den operativen Eingriff kam es zu einer Steigerung der Parese der unteren Extremit~ten, zu St6rungen yon seiten tier Blase. Naeh einiger Zeit gingen diese neuaufgetretenen Erscheinungen wieder zuriiek, bis wieder ungef/~hr der Zustand wie vor der Operation eintrat.

Nun gab Patient folgendes an: sofort im Ansehlul] an die Operation hatte er alas Ge/i~hl, daft das linke Bein gr6fler und s~rker geworden sei, er spi~rte deutlich den vergr6flerten Um/ang, insbesondere am Oberschenkel and am FuB. Bezfiglieh des letzteren kam es ibm vor, als ob ibm die Schuhe zu klein w~ren; zu gleicher Zeit traten in etwas verst~rktem MaBe Par~sthesien in Form yon Ameisenlaufen in beiden Beinen auf. Die objektive Untersuehung ergibt ~u[3erlieh keine Ver- ~,nderung des reehten Beines. Es besteht keine Differenz zwisehen Umfang des reehten und des linken Beines. Kraft und Tonus verhalten sieh ungef~hr so wie vor der Operation. Die Kraft erscheint im reehten Bein gegeniiber friiher etwas herabgesetzt. Die Sensibilit~t ist gegen frtiher etwas starker gestSrt. Links mehr als rechts. Es wird spitz und stumpf, besonders an den distalen Enden der unteren Extremit~ten nicht sieher unterschieden, warm und kalt wird vet allem links nieht deutlieh erkannt. Das Erkennen yon auf der Haut geschriebenen Ziffern ist rechts erhalten, w~hrend es links vor allem in den distalen Abschnitten gestSrt ist. Druck elektrisehe Empfindung, Vibrationsgeffihl ist iiberatl intakt. In der Lokalisation besteht zwischen rechts und links keine gr61]ere Differenz, sie ist beiderseits im groben erhalten. In den Tastkreisen kann auch kein sieherer Untersehied zwisehen links und reehts gefunden werden.

Seit der ersten Beobaehtung und Untersuchung rmeh der Operation hat sieh bis zur Gegenwart, das ist ungef/~hr eine Zeit yon 3 Monaten im objektiven Befund nichts wesentliehes ge/~ndert. Das Gefiihl der Vergr61]erung und Verdickung der linken unteren Extremit/~ten ist nooh best~ndig vorhanden, nur ist es naeh den Angaben des Patienten etwas geringer geworden.

Boi be iden angof t ihr ten Fifl len bes tandon Sensibilit /~tsstSrungon, eine Herabso tzung al ler Oberfl/~chenqualit/~ton m i t S tSrungen der Dyskr imina- t i on und S tSrung der T ie fenempf indung der groBon Zohe der betroffenden Ex t remi t s Irgenclwelche Besonderhe i ten in der A r t dor Sonsibfli- t s worin sic sich yon andoren / ihnlichen E r k r a n k u n g e n des Rt ickonmarkes untorscheiden wiirden, waren n icht fostzustellen. Bei dora oinon dor boidon Pa t i en ton (Sp.), bei dem die S t6rung ls Zoit anhiol t , konn te folgondes dazu erhoben werden; lioB m a n den P a t i e n t e n vollst i indigo Ruhe lage einnohmen und lieB m a n sich von ihm boi ge- schlossenort Augert die Empfirtdurtgert beschroiben, die er yon den Extromiti~tert ha t to , so waren in den drei freion Ex t remi t / i t on die Tas t - empf indung dor auf der Untor lago aufliegendort Gliedor, die E mpf indung der Lage vorhanden , er konn te sich die E x t r e m i t ~ t e n in ihrer Aus- dehnung vorstellen, er verhiol t sich also Ifir dieso KSrpe rabschn i t t e so wio jode andore normale Versuchsperson; oine unmi t t e l ba r e Emp/ indung dor Dicko, dor L/~nge bos tand aber nur in dor l inkon E x t r e m i t ~ t ; er gab der Besonderhe i t diosor Empf indung d a h i a Ausdruck , dal] o r die H a u t wio gospannt fiihlo, d ie Empf indung , die or fiir die Ex t romi t / i t in ihror Gosamthoi t ha t t e , war ungef~hr s o - es wurdon diesbeztigliche

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Prfifungen vorgenommen - - , wie sie ffir eine circumscripte Stelle auftrat, wenn man mit der Hand odor mit einem Bande die Circumferenz einer der gesunden Extremit/~t umspannte.

Die Empfindung eines KSrperteils in seiner Gesamtheit, wie or in diesen beiden F~llen in Erscheinung trat, geht weder aus der normalen Oberfls nech aus der Tiefenempfindung ohne weiteres horror. Doch ist eine solche Empfindung Vorgs im nermalen Nerven- system nicht ganz fremd; man finder sie z. B. dann, wenn eine Schwellung an einem bestimmten KSrperteil bzw. an don GliedmaBen auftritt. In einem solchen Falle empfindet man die betreffendo Ste]]e odor Glied- maBe deutlich heraugehoben aus dem fibrigen KSrper, es besteht die Empfindung, worm es sich z. B. um ein 0dem dor Extremit~t handelt, dab diose vordickt und st/~rker ist, allerdings in domselben Masse, wi~ es dem normalen Befunde entspricht. Erinnorn wit uns daran, dab unser Patient angibt, dab or das Geffihl habe, als eb die Haut fiber der be- troffenen Extremit/i t gespannt soi, so scheint hier dieses subjektive Geffihl mit dora fibereinzustimmen, was bei einer tatss SchwoUung sowohl subjektiv wie auch objektiv feststellbar ist; nur ist in don hier bosprochenen FAllen yon einer tats~chlichen Spannung dor Haut keine Redo; es ist diesbezfiglich absolut keine Dffforenz gegenfiber dem yen der St6rung freien Bein konstatierbar.

Im gesunden wird eine derartigo Empfindung ohne ituBoro Reize nicht hervorgerufen; die ohne ~uBere Reize auftretonden K6rperemp- findungen, wenn man yen ]okalen Schmerzreizen, Paraesthesien absieht, die hier nicht in Rode stehen, beschrs sich auf ein Geffihl dot Schwere, auf die Empfindung dor Lage; eino Empfindung der K6rperlichkeit kommt immer erst dann zustande, wenn taktfle, also ~uBere Reize an einer K6rperstelle auftreffon. Ein auf eine derartige Empfindung ba- sierondes Urteil fiber den Umfang einor Extremit~t, ein wahrnehmendes Geffihl dor Dicke kann, wie wir uns an Versuchen fiberzeugen konnton und wie jeder an sich nachprfifen kann, horvorgerufen werden, worm wir die Circumferenz, seies mit einem Bande odor dot Hand umspannon; diese Empfindung wird um so deutlicher jo gr6Ber die Fl~che ist, die wir dazu benfitzen. Bringen wit bloB sukzessive Reize an, taktfle odor Schmerzreize, so gelingt es nicht, diose Empfindung wachzurufen. Abor auch wonn wir synchrono ~uBere Reize verwenden, so kommt es nicht zu einer Gesamtempfindung einer Extremitat , wie es boi unseren Fitllen auftritt, sondern zu einer Empfindung, die die Grenzen dot Reizung nicht fiberschreitet.

Im Falle der Schwellung bzw. des 0dems ist es naheliegend, die Empfindung dot K6rperliehkeit mit der Spannung der Haut in Zu- sammenhang zu bringen; der physiologische Vorgang k6nnte den gleich- zeitig angebrachten ~uBeren Reizen entsprochen und zwar in der Weise, dab durch die Spannung der Haut oin best~ndiger synchroner Rei~

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ausgel6st und weitergeloitet wird. Darin m6chten wit einen Hinweis auf die Entstehung der Erscheinungen auch in unseren F/~llen sehen, wie es ja durch die Angabon des einen Patienten nahegelegt wird; im gleichen Sinne sprechen die Erscheinungen im Mescalinrausch, we auch yon Spannung dor Haut und gleichzeitiger Empfindung der K6rper- lichkeit die Redo ist (Beringer).

So wfirde man sich die Empfindung der K6rperlichkeit durch syn- chrone Reizo entstanden denken k6nnen. Die Bedeutung unserer F/~lle 1/ige darin, dab diese Empfindung durch eine St6rung im Nervensystem allein ohne die angeffihrten Iokalen Ursachen (/~ul~erer Reiz, Sehwellung) zum Vorschein kommt.

Wie ist nun die Stel]ung dieser Erscheinungen zur Empfindung und Wahrnehmung im allgemeinen ? DaB es sich nicht um eine Vor- steHung, sondern um eineEmpfindung handelt, darfiber besteht nach den Schilderungen der Patienten wohl kein Zweifel. Unseren K6rper k6nnen wir im Normalen nur mittels des optischen Sinnesapparates wahrnehmen; der oigone K6rper hat daboi sinnlich dieselbe Bodeutung wie irgendoin Objokt der Aul3enwelt; die Wahrnehmung wird objektiviert. Bei unseren Ph/~nomenen ist die Zugeh6rigkeit zum K6rper viel unmittel- barer im engen Anschlul~ an die Empfindung gegeben, ebenso unmittelbar wio die Empfindung eines sensiblen Reizos, der auf den K6rpor ausgefibt wird; da jede Boziehung zu einem /~uBeren Reize wegfi~llt, so ]iegt der Fall einer extremsten Somatisierung (v. Kries) einer Empfindung vor, so wie es ffir die spontanen Schmorzempfindungen des K6rpers, wie es ffir die veto Vestibularapparat vermittelten Empfindungon zutrifft. Es entsteht nun welter die Frage, wie man sich die Vermittlung einer solchen Empfindung vorstollen k6nnte. Zum Verst/mdnis m6gon andere bekannte Sinnesvorg~nge herangezogen werden. ];fir die Lage- und Bewegungsempfindung ist es nicht sichergestellt, ob zu ihrer Vermittlung besondere tiefensonsible Fasern (Goldscheider) dienen odor ob sie auf dem Wege yon Fasorn, die auch Tasr hervorrufen, mit- vermittolt wird (Frey) ; trifft das letztere zu, so kann man dem Gesetze der spezifischen Energie nur dutch die Vorstellung gerecht werden, dab auch im Falle der Lageempfindung die Tastorgane nur taktfle Reize aufnehmen und dem Zentralnervensystem zuleiten und ,,in den Ablauf yon Vorg/~ngen nur eingreifen, um sich an anderweitig gegebenes Emp- findungsmaterial anzuschliel3en" (Kries). Auf die Erscheinungen an unseren F/~llen angewandt ergibt sich die MSglichkeit, dab auf dem Wege fiber das Tastorgan bzw. dessen Leitungssystem die Emp- findung der K6rperlichkeit vermittelt sein k6nnte; dabei scheint es, daf~ die vom Tastorgan ausgehenden inneren Reize synchron in breiter Ausdehnung wirken mfissen, um eine solche Empfindung hervorzurufen.

Aueh ffir die Statik des K6rpers wfirde dasselbe gelten, wie ffir den Lagesinn, ohne dab besondere Vor~usse~zungen gemach~ werden mfi~sen.

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Zudem ist hervorzuheben, dai~ wir normalerweise keine statische Emp- findung besitzen; sic t r i t t nur unter besonderon Umsts und nut voriindert hervor. So k6nnen wir uns auch die Empfindung der K6rper- lichkoit als eine Sinnesompfindung vorstellen, die nur unter pathologi- schea Umsts zum Vorschein kommt.

Wir untorscheidon bisher an dem geschildorten Erlebnis den Wahr- nehmungsvorgang nicht yon dem der Empfindung. Will man den Wahr- nehmungsvorgang durch don rs Faktor yon dem der Empfindung sch~rfer trennon, so miiBte man in unseren F~tllen yon einor Wahrnohmung des K6rpors sprechen. Da man abor boi jodor Wahr- nehmung auf den Empfindungsanteil zuriickgehen muB, so wiirde sich letzten Endes dioselbe Fragestellung ergeben.

Wennes sich nunum synchron auftretondo Erregungsvorg~nge handeln wiirdo, auf die das Erlebnis der K6rperlichkeit zu beziohen wiire, so mul~ man sich vorhalten, dal~ solcho innere Vorgs auch im Normalen stattfinden, woraus sich dann die Frage ergebon wiirde, warum sic gerado untor bestimmton veri~nderten Bedingungen zur Empfindung der KSrper- lichkoit fiihron sollon. Aber auch unter pathologischen Verh~ltnissen im Zentralnervensystem tr i t t eine derartige Empfindung nut ganz sporadisch auf. Man mfiBte annehmen, da]~ es zu einer eigenartigen Umstimmung der Funktion (v. Kries), zu oinem Funktionswandol (Weizs~icker) gekommen ist. Stellt man sich vor, da~ die Differonzierung des Nervensystoms daffir sorgt, dab die groBo Mohrzahl endogenor Reizo sei es umgesetzt, sei es unterdrfickt, jodenfalls unbewul~t bleibt, so k6nnte sich dor Funktionswandel, die Entdifferenzierung im Leitungssystem u. a. dahin auswirken, dab sie nun unabge~ndert, unverarbeitet zentral- w~rts gelangen, etwa dadurch, dal~ die tioferen Zentralstollen endogonen Reizen gegenfiber undicht, durchlassig geworden waren. Ihr gleich- zeitiges Zusammentreffen aus einem KSrpergebiet an rindemlaheren Stellen wiirde sie zu einer Gesamtempfindung, zur Empfindung der K6rperlichkeit vereinigen kSnnen.

So wiirde sich durch die hervorgehobenen Erscheinungen die StSrung nicht nur durch die abge/4nderte Reaktion auf /~ul~ere Reize, sondern auch durch die Ab/~nderung des autonomen Gleiehgewichtes (Hering) dokumentieren.

Beziehungen zu den Halluzinationen.

Wenn wir Gewicht darauf legen, dal3 ein KSrpergebiet des Patienten als in seiner Ganzheit empfunden in den Vordergrund trit t , so l~Bt sich das, wie vorher ausgeffihrt wurde, als Folge endogoner Vorgi~nge auf- fassen. Betonen wir nun, dab der KSrperteil yon einem Sinnesgebiet ver~ndert wahrgenommen wird, anders als es der Wirklichkeit ent- spricht, dab dieser Wahrnehmung 0bjektiv nicht die entsprechende

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Gestalt gegenfiberstoht, so handelt as sich um Erlebnisse, dio don Hallu- zinationon sehr nahe stehen und os ist boroehtigt, sich mit ihren allgo- meinon Boziohungen zu den Halluzinationen auseinandorzusetzen. Es ist anzunehmen, dab in den besprochenen F/illen das Erlobnis organisch fundiort ist und dab gerado jones Sinnesgobiot, das ~ r in Zusammon- hang mit dor ver/mderton Wahrnohmung bringon mfisson, auffallendes gestSrt ist. Damit ergebon sich Beziohungen zu den F/tllon zentraler L/~sion (Temporal-, Occipitalregion), wobei don diesen Sinnesgebieten entsprechende halluzinatorisehe Wahrnehmungen auftreten. Noch n/~her stehen sie jenen Erscheinungon des Mesealinrauschos, die so wie hier das Tastorgan botreffen; os wird von oinor koulenf6rmigen Anschwollung dos Boines gesprochen, yon dora Geffihl, als ob sich bestimmto KSrpor- stollen vorwSlbton, fiber VergrSl~erung und Verdickung yon G]iedmasson, Empfindung vorgndorter Hautspannung, Goffihl des Strafferwordens dor Haut u. a. m. (Beringer, Mayer-Grofl, Stein). Wonn man auch boim Moscalinrausch koinoswogs yon einor lokalisiorbaron StSrung im Zontral- nervonsystem sprochen kann, so goht aus don Untorsuchungon der vorher angeffihrton Autoron horror, dag die Aufnahme und Vorarboitung taktfler Eindrficke in starkom Ma~e abgeiindort ist. Bokannt ist ferner, da[~ boi Lgsionen dor poripheron Sinnesapparato (Taubheit, Blindhoit), bosonders bei plStzlicher Schgdigung, oino gewisse Neigung zu hallu- zinatorischon Erlebnissen in dem botreffonden Sinnosgobiete bestoht.

Allo diese erwghnton halluzinatorischen Erlobnisso haben mit unsoron Fgllen gemeinsam, dal3 sio yon oiner organischen, bzw. klinisch foststoll- baron Sehgdigung bogloitet sind, und dab man borechtigt ist, die auf- tretonden Halluzinationen mit dioser in einon gonetischen Zusammonhang zu bringen. Man hat sich nun allenthMbon bomfiht, yon bier aus auch zum Vorstiindnis jonor Halluzinationon zu gelangen, bei denon dor entsprechende Sinnesapparat keine Schgdigung aufweist, wie es bei den haUuzinatorischen Erlebnisformen der Psychosen der FM1 ist. Die vorbreitotsto Anschauung ist die, die HaUuzinationon sich als einon Reiz- zustand des Sinnesapparates vorzustellen, zumeist als oinen solchen, der yon don zontralen Feldorn seinon Ausgang nimmt. (Vorstollungs- folder Goldsteins.) Wie immer auch diesor Begriff im einzelnon ausgologt wurde, die so versuchte Doutung bloibt eino Annahme, die oine All- gomeingfiltigkoit nicht beanspruchen kann. Ihre scheinbare Berechtigung nahm sio vor allem daher, daI~ man gowohnt war, Vorggnge des Zontral- nervonsystems entwoder als Reiz- odor Ausfallsorscheinungon anzusehon. Auch die solchen Voraussotzungon zugrundo liogendon Exporimente (Schrottenbach) sind nicht eindeutig. Don ontgogongesetzton Standpunkt nimmt Bleuler insoforno ein, als er an Stelle dos Reizzustandes den Ausfall setzt; er nimmt an, daft die hSheren begrifflichen Leistungen durch eine Art Schaltschw/iche nicht mehr in dora Mal~e ekphoriort werden kSnnen; an ihrer Stelle tauehten primitivere, stark sinnlieh

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gefiirbte Vorstellungen auf; damit sei auch zugleich die Klarheit des BewuBtseins herabgemindert. In Anlehnung an diese Auffassung versucht neuerlich Ewald die optische HaUuzination und ihr Vorwiegen im Delir und verwandten Zust/~nden auf eine AusschMtung bzw. Herabsetzung hSherer Leistungen (begrifflicher, sprachlicher) bei Erhaltenbleiben des primitiveren optischen Erlebens zuriickzufiihren; er nimmt, ausgehend yon Fallen mit organischen St5rungen yon extrapyramidalen Typus, die bei getrfibtem Bewul~tsein optisch halluzinierten, einen Mechanis- mus in Hirnstamm an, /~hnlich wie beim Schlafe.

Wir mSchten, wenn wir die hier angefiihrten F/ille zu den Ha]lu- zinationen in Beziehung bringen, erst nur yon dispositionellen Faktoren sprechen, auf Grund welcher organische L/~sionen im Nervensystem zu halluzinatorischen Erlebaissen neigen. Ein derartiges dispositionelles Moment scheint die Ausschaltung eines Sinnesgebietes bzw. die Herab- setzung ihrer Funktion zu sein; die Mehrzahl der bier herangezogenen organischen Erkrankungen sprechen ffir eine solche Anschauung; bei einem Teil solcher F/~Ue bleibt es eine durch nichts begrfindete An- nahme, dal~ bei der bestehenden Herabsetzung der Funktion die Reizung des Sinnesorganes bzw. der corticalen Endst/itte ffir das Entstehen der HaUuzinationen veran~wortlich zu machen wi~re. Eine ganz besondere Stellung nehmen unter ihnen die uns beschitftigenden halluzinatorischen Erlebnis am KSrper ein. Zwei entgegengesetzte organische GrundstSrungen stehen einander gegenfiber. Bei unseren beiden F/~llen eine FunktionsstSrung im Sinne einer herabgesetzten Verarbeitung /~ul~erer Reize, in den F/illen yon Mescalinvergiftung ein gesteigertes Ansprechen auf solche; jede der beiden so entgegengesetzten StSrungen gibt nun, wie man wobl annehmen mul~, den Anlal~ bzw. den Boden ab ftir das Auftreten yon Halluzinationen.

Zum Verst/indnis der eigenartigen Erlebnisse des KSrpers muB noch auf etwas ganz AUgemeines hingewiesen werden. I)er KSrper Ms spezi- fisches Sinnesorgan (Tastorgan) betrachtet nimmt im Gegensatz zu anderen Sinnesorganen eine doppelte Stellung ein; er hat einerseits so wie die meisten anderen Sinne /iuBere Reize aufzunehmen, zu ver- arbeiten und weiterzuleiten, andererseits aber spielen innere Vorg/inge insoferne eine besondere Rolle, als sie den KSrper irgendwie zur An- schauung bringen kSnnen. Darin unterscheidet sich die KSrperfliiche yon anderen Sinnesorganen, in deren endogenen Reizung, soviel wir wissen, sich ihre Funktion nach aul~en widerspiegelt. Aus derselben Sinnes- anlage heraus w/~ren wit imstande, einerseits /iuBere Reize, die auf der KSrperoberfl/~ehe auftreten, aufzunehmen, wie auch den KSrper selbst wahrzunehmen; so kSnnte der Wahrnehmungsakt, der auf die AuBenwelt gerichtet is~, mit dem des Selbst konkurrieren; das wiirde dann zutreffen miissen, wean derartige innere Vorgitnge in groSer Zahl zum BewuStsein k~tmen. KSrper und /iuBere Reize wiirden dem Ich in gleicher Weise

]~ber die Empfindung tier Kfrperlichkeit. 461

gegeniiber AuBenwett sein. Diesem Widorspruch einer somatisch- psychischen Einheit scheint das biologische Streben entgegenzuarbeiten, alles was den K6rper als Objekt einem Ich gegeniiberstellt, aus dem BewuBtsein auszuschalten. Die Folge davon ist, dab wir normaler- weiso koine Empfindung der eigenen KSrperlichkeit besitzen. Diese Tondenz, derartigo inhere Vorg/~nge zu unterdriieken, setzt sich solango dutch, als keine besonderen abnormen Zust/~nde eintreten. Diese be- sondero Stollung des KSrpers 1/~Bt es verstehen, warum man mit der Vorstellung der" Reizung odor des Ausfalles fiir die Erkl/~rung der patho- logischenZust/~nde nieht auskommt. So hat auch die naheliegende Berufung auf die entoptischen Erscheinungen, yon denen aus neuerlich Stein auf den peripheren Faktor in der Genese der Halluzinationen hinweist, fiir unsere Ph/~nomono nur eine besehr/~nkte Geltung. In unseron Fallen spricht niehts fiir einen derartigen Reizzustand der Peripherie. Bei einem Teile der F/file miiBte man naeh den Roaktionen auf/~uBere Reize eher das Gegenteil annehmen. Zudem handelt es sieh dabei um keine Erkrankung des Tastorgans, sondern des yon ihm ausgehenden Loitungs- systems; So kSnnon diese den Halluzinationen nahestehenden Erlebnisse weder mit oiner erh6hton noeh mit einer herabgesetzten Erregbarkoit erkl/irt werden. Am boston kSnnte man sich noch mit der friiher ge- /~uBerten Annahme zurechtfindon. Ihr ontsprechend miiBte man sich vorstellen, dab best/~ndig vom K6rper Erregungen ausgehen, die aber normalerweiso abgebaut und umgosetzt werden; f/flit diesor Abbau weg, werden die tieforenZentren fiir diese Errogungen durchl/issig, so gelangen sie zentralw/~rts. Das gleichzeitige Zusammentreffen aus einem K6rper- abschnitte kann die Empfindung der K6rperlichkeit entstehen lassen, unabh/~ngig davon, ob die Tastfl/~che auf /~uBere Roizo herabgosetzt odor erh6ht reagiert.

Vom psyehologischen Gesiehtspunkte aus betrachtet, w/~re hervor- zuheben, dab die Empfindung tier K6rperlichkeit als leibhaftig erlebt wird; die Patienten sind sieh trotzdem vollkommen im Klaren, dab es sieh um eine T/~usehung handelt; der Realitatseharakter dos Erlebnisses fehlt. Sie orleben diese Erscheinungen ganz isoliert mit der botreffenden Sinnesfl/~che, ihre Pers6nliehkeit steht den Vorg/~ngen dieses Sinnes- organes kritisch gegeniiber. Das Erlebnis ,,geht nicht im Fundierungs- verh/fltnis in die gedankliehen Operationen ein" (K. Schneider). Dessen- ungeachte~ bleibt aber tier Empfindungscharaktor, die Leibhaftigkeit erhalten. So wiirde das Erlebnis fiir sich betraehtet, in soinem Wesen, den halluzinatorischen Erlebnissen bei psychotisehen Zust/~nden voll- kommen gleichen; im Rahmen der Gesamtpers6nliehkeit ist es aber doch ganz anders zu werten. Wenn auch bei den Halluzinationen psycho- tischen Ursprungs der Roalit/~tswert sehwanken kann, so fundieren sie mehr odor weniger doeh den DenkprozeB; sie sind niemals yon vornherein so isolier~, wie es bei den Erlebnissen auf rein organischer Grundlage dot

Z. f. d. g. Neut . u. Psi 'oh. 126. 30

462 Robert Klein:

Fall ist, so wie es fiir die hier geschilderten, fiir die ontoptischen und ~hnlichen Erscheinungen der Fall ist. So dfirften auch alle Versuche, von derartigen Ph/tnomonon aus die Halluzinationen im allgomeinen zu erkl~ren, daran seheitern, dab sie oinen wesentlichen Faktor, die SteUung des Erlebnisses innerhalb des Gesamtgeschehens, gegenfiber der Pers6n- liehkeit nicht berficksichtigen kSnnen.

KSrperschema und Amputationsphantom.

Nur vom Optisehen aus sind wir imstande, unseren K6rper als Ganz- heir ansehaulieh zu erleben. Das Wissen um den K6rper als Ganzes, in den jewefligen Beziehungen der einzelnen Tefle zueinander liegt dem von Head geschaffenen Begriff des K6rpersehemas zugrunde. Das KSrper- schema ist ein Bfld des K6rpers mit optischen, kfll~sthetischen usw. Eindrficken, die unbewuBt verarbeitet werden. Die Annahme eines solchen geht aus einer ~berlegung hervor, die sieh an die Aktionen und Reaktionen unseres K6rpers knfipft; aus diesen l~Bt sich schlieBen, dab mit einem derartigen Bild des K61]~ors gearbeitet wird. Zeitlich stellt es ein Kontinuum dar, das dadurch entsteht, dab sich die joweiligen kSrporliehon Vor/~ndorungen aneinander reihen; domgem/~B ist es aueh ein best~ndig sieh Vers Bringen wir unsero F~l]e dazu in Beziehung, so stellt sich aus dem nur schematisch und vorstellungsgem/~l~ Gegobenen ein zur Wahrnehmung und zur Empfindung Gestaltetes in don Vordergrund; der KSrper t r i t t in einzelnon seiner Teile in einer Empfindung d o r K6rperlichkoit ins BewuBtsoin. Aber or wird nicht i n seiner tats~chlichen Beschaffenheit, sondern in ver~ndorter Form wahr- genommen. Man kSnnte so yon einem Phantom des K6rpers sprechen. Welche Beziehungon bestehen nun zu dem, was man im allgemeinen als Phantom bezeichnet, d. i. zu den Erscheinungen bei Amputierten ? Das hervorstochendste Merkmal dos Amputationsphantoms ist wohl, dab der Amputierte die GliedmaBe, die in Verlust geraten ist, als vor- handen erlebt. Zum K6rperschema in Beziehung gebracht wiirde man sich, wie es ja aueh vielfach geschieht, vorstellen k6nnen, dab das friihere Schema des KSrpers erhalten geblieben ist. W~hrend man friiher fiir das Entstehen des Amputationsph~nomens periphere Einfliisse geltend machto, wird wohl jetzt allgemein die Anschauung einer zontralen Gonese vortreten; nicht zum wenigsten hat gerade die Besch~ftigung mit dem K6rpersehema zu dieser Ansicht beigetragen. Danach kann man sich vorstellen, dab die zentralo Vertretung des in Vorlust geratenen K6rper- tefls im KSrperbild weiter wirkt. Im besonderen hat man ffir die corticale Genese die Beobachtung Heads verwendet, der auf einen Fall verweisen konnte, bei dem ein bestehendes Amputationsphantom durch einen corti- calen Herd nach einem apoploktischen Insult zum Vorschwinden ge- bracht wurde. Zu diesen Anschauungen w~ro nun mit Rficksicht auf die

L%er die Empfindung der K6rperlichkeit. 468

von uns beobachteten Erscheinungen manches zu bemerken. Die Er- kl/irung wfirde ja gewiB sehr einfach sein, wenn es sich tats/tchlich um eine psychisehe Restitution der friiheren peripheren Verhi~ltnisse handeln wfirde. /)as kann nun aber keineswegs behauptet werden; es kommt im Gegentefl beim Amputierten wohl fiberhaupt kaum vor, dab der fehlende KSrperteil in seiner frfiheren Gestalt und Art erlebt wird. Es bestehen in den oinzolnon F/illen mannigfache Unterschiede des Erlebens der Form nach; bekannt sind die Variationen dot schoinbaren Stellung tier Extremi- tat, ihre scheinbare Bewegung und Beweglichkeit, die Verschiedenheit der fast immer bestehenden Verkfirzungstendenz mit Eliminierung dot proximalen Anschnitte, die Verkleinerung der erlebten Gliedmatlen- tefle und sehlielllich hat Riese auf bestimmte Typen hingewiesen, die mit cortiealen Reiz- und Ausfallserscheinungon Ahnliehkeit zu habon scheinen (ulnarer und radialer Typus). Daraus geht hervor, dall die in Verlust geratene Gliedmasse in einer gogenfibor friiher veriinderten Gestalt erlebt wird. Aber auch der Charakter des Erlebens ist ein anderer geworden. Denn abgesehen yon den verschieden Paritsthesion, fiber die solehe Patienten klagen, bekommt das Erlebnis jetzt deutlieh einen Empfindungseharakter, die betreffende Extremit/~t wird kSrporlieh erlebt. Gerade darauf m6chten wir ein grol3es Gewicht legen, vet allem auch, weil wit von da aus AnschluB an die hier besprochenen Ph/inomene linden, bei welehen ja das Hauptmerkmal darin besteht, dall einzolne K6rperteile ver/indert und mit der Empfindung der KSrperlichkeit ins BewuStsein treten. Damit ist abet auch die Anschauung eines corti- ealen Beharrens in irgendeiner Form in Anlehnung an des KSrperschema ffir die Pathogenese des Amputationsphantoms nieht so ohne weiteres akzoptabel. Als besonders beweiskr/tftig ffir die Ansieht einer zentralen Genese wurde, wie sehon erw/ihnt, der Fall Heads (Versehwinden des Phantoms nach Apoploxie) angesohen. Mit Rtieksieht auf diesen glaubt A. Pick den Gefrierungsversuchen franzSsischer Autoren (Souques und Poisot) keine wesontliehe Bedeutung beimessen zu k6rmen; nun zeigen abet diese Versueho, dall bei Gefrierung des Amputationsstumpfes genau dasselbo auftritt wio im Falle tier Apoplexie, d. h. das Phantom wird zum Versehwindon gebracht. Es ist domnach nieht so ohne weiteres einzusehen, warum dem einen Befund voile Bewoiskraft boigomessen, dem anderon jede Bedeutung abgesprochen worden sell. AuBerdem w~re im Falle Heads doch folgendes zu bedenken: Sieher ist fiir das Auftreten des Phantoms die notwendige Voraussetzung, da$ das zuge- h6rige Rindengebiet da ist; denn soweit wir aus unseren Kenntnissen sehliel3en mtissen, ist ftir jedes Bewuiltwerden, das mit einem Wahr- nehmungsurteil verknfipft ist, eine cortieale T/~tigkeit notwendig. Dementsprechend wird man much das Erlebnis veto Wahrnehmungs- eharakter, wie es beim Phantom auftritt, yon einer Funktionstfich~ig- keit der zugehSrigen und im funktionellen Zusammenhang stehenden

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464 Robert Klein:

Rindenpartien abhiingig machen mfissen. Damit ist nun auch erkl~rlich, warum bei Ausschaltung dieser Gebiete das Phantom verschwindet. Dassolbe wiirde man bei jedor Absperrung der Peripherie yore Zontrum erwarton miisson und es w/~ro gonau so unberechtigt, etwa boi den gloichen Folgen nach einer spinalon Liision dieselben Rfickschlfisse ffir eino spinale Genese zu ziohen.

Im somatischen Befund lassen sich die Beziohungen unserer F~lle zur Amputation dadurch herstellon, dab der botreffende K6rporabschnitt in seinor motorischen und sensiblen Funktion reduziert ist; ebonso wie beim Amputierton dr/ingt er sich betont ins Bewul3tsein. Nun ist boi jeder L/~sion des Nervensystoms dio Funktion des betreffenden Gliod- teiles in gowissom Mal3e beeintr~chtigt. Treten auoh nicht derartige Erscheinungen, wie sio hier behandelt werden, auf, so lassen sich vielleicht die Par~sthesion, yon diesem Gesichtspunkt betrachten; insbesondere wiire auf das Gefiihl der Taubheit, des Pelzigseins hinzuweison, die der Empfindung der KSrperlichkeit hs sehr naho kommen; gewiB handelt os sich dabei um ein verst~rktos BewuBtwerden dos botreffenden K6rper- abschnittes und man k6nnte so yon einer Vorstufe eines Phantoms sprechen.

Es ist eine selbstverst/~ndliche Folge dorartiger Erws dal3 die Bedeutung oines lokalen Mechanismus ffir das Zustandekommen eines Phantoms in den Hintergrund gers in unseron F~llen war es die spinale L/~sion, die dazu geffihrt hat, bei dot Amputation kann yon den go~nderten peripheren Verhiiltnissen nicht abgesehen werdon. Die letzto Ursache und zugloich notwendige Voraussotzung wfirden wir in der ge/~nderten Verarbeitung endogener Vorgi~nge, in dem Funktionswandel sehen, so wie es in dora vorhergohonden Abschnitt besprochen wurde; nur daraus liil3t sich verstehen, dab das Erlebnis des K6rpers einen ganz andersartigen Charakter orh~lt. Wenn wit auch glauben, dal3 dio hier ange- ~iihrton Momente Berficksichtigung vordienen, zumal dadurch das Amputationsphantom anderen Erscheinungen n~hergebracht wird, so ist doch zu bedenken, dal3 es sich gerade bei dor Amputation mit einer gowissen Regolmi~igkoit zoigt, w~hrend es sonst doch nur eine gele- legentlicho Erscheinung ist. Vielleicht wird man es auch ffir wesentlich gegenfiber anderen F~llen ansohen, dab hior eine Empfindung yon otwas was nicht vorhandon ist, auftritt .

Vom biologischen Gesichtspunkt k6nnte man die Erscheinungen des Amputationsphantoms als einen Versuch des Organismus deuten, die friiheren Bedingungen wieder herzustellen oder aber wie Riese alas Phantomglied als den Ausdruck einer Anpassungsunf~higkeit des Organis- mus an einen mit P16tzlichkeit zustande gekommenen Defekt eines ]ebenswichtigen peripheren K6rperteiles ansehen. Aber selbst so all- gemein gehaltenen Erkl~rungen k6nnen nicht alle in Betracht kommenden Umst~nde umfassen. Wenn z. B. Riese auf die P15tzlichkeit der Schi~digung groi~en Nachdruck legt, so geschieht das gewil3 mit

~)ber die Empfindung der K6rperlichkeit. 465

viel Recht. So pflegt sich ja bekanntlich bei Individuen, denen yon Geburt auf eine Extremit/~t fehlt, kein Phantom auszubilden; ferner wurde von A. Pick darauf hingewiesen, dab es bei Erfrierungen, bei denen die Ausschaltung der Extremit~t allm/~hlieh gesehieht, das Phantom fehlt. Aueh in dem einen unserer F/s t ra t erst das Phantom im AnsehluB an den operativen Eingriff auf, obzwar die Erkrankung des Nerven- systems schon vorher bestanden hatte. Dagegen kann man aber aueh wieder manehes einwenden; so 1/~l~t sieh bei der iiberwiegenden l~ehr- zahl der apoplektfform auftretenden Defekte keinertei derartige Tendenz nachweisen.

Die bisher verwendeten F/~lle kennzeichnen sich dureh eine relative Bestimmtheit der organisehen L~sion wie aueh dureh ihr station/~res Bestehen. Andere Falle sind darin unsieherer bzw. voriibergehender. So handelt es sieh beim Mesealinrauseh um ganz akute Erseheinungen. Was die funktionelle StSrung anbelangt, so wurde eine solehe von Stein und Mayer-Gro[3 fraglos festgestellt. Wenn wir abet andererseits den zweifellos zentral bedingten abnormen psychischen Gesamtzustand beriicksichtigen, so wird es schwer sein, eine Entscheidung dariiber zu treffen, auf welcher der StSrung die unseren Fallen ahnliehen Ph/~nomene zuriickzufiihren sind. J{hnlich liegen die Verh~ltnisse bei einem an unserer Klinik in Beobaehtung stehenden Epileptiker. Der Patient E. H. beriehtet yon folgendem Erlebnis: Als er in der Nacht aufwaehte und sich beim Versuehe wieder einzusehlafen seiner Gewohnheit gem/~B auf die reehte Seite legte, wobei er die zur Faust gesehlossene reehte Hand am Bert aufstiitzte und so vor die Augen hielt, fiberkam ibm nach einiger Zeit das Empfinden, wie wenn die Hand zum K6rper unverh~ltnismaBig groB wiirde. Er h/~tte geradezu die Masse des Fleisehes gespiirt, zu der die Faust angewaehsen war. Dieses Gefiihl habe ungefahr 15 Minuten ange- dauert, die Hand sei ihm dabei ungefahr um das 4fache grSBer vorge- kommen als sie in Wirklichkeit ist. Er spiirte, ebenso wie in tier Hand, als er durch die Bewegung der Finger dieses Gefiihl, kontrollieren wollte, auch diese deutlieh verdickt. Dieses Gefiihl sei yon einer derart iiber- zeugenden Wirklichkeit gewesen, dab er den diensthabenden W/~rter rufenwollte, um ihm davonMitteflung zu machen. Eshandelt sieh indiesen Fall um einen Epileptiker, der an recht h/~ufigen Abseneen und auBer- dem an allgemeinen Krampfanfallen leidet. An diese sehlieBen sich nicht selten kurzdauernde Verwirrtheitszustande an. Die Krampf- anf~lle selbst gehen ohne irgendwelehe Auraerseheinungen einher, aueh kommt es im AnsehluB daran zu keinerlei lokalen Ausfallen. Im neuro- logisehen Befunde sind keine pathologisehen Zeichen zu konstatieren, vor allem bestehen keinerlei SensibilitatsstSrungen, auch nicht an tier rechten Hand. Es ist nicht abzuweisen, dab die beschriebenen Ersehei. nungen mit dem allgemeinen ErkrankungsprozeB in irgend einem Zu- sammenhang stehen kOnnten, es ware z. B. nicht auszuschlie$en, dal~

466 Robert Klein:

es sich beim Auftreten des geschilderten Ph~nomens um eine lokale Rindenwirkung gehandelt haben kSnnte. Es ist aber aueh mSglieh, dab die geschilderten Erscheinungen durch Druckwirkung auf die peri- pheren Nerven hervorgerufen wurden, was j a a u s der Situation, in der sich der Patient gerade befand (Aufstfitzen der Hand), verst/~ndlieh wi~re. Denn etwas ~hnliches linden wir, wenn auch nicht geraAe in dieser Form, beim Eingeschlafensein einer Extremit~t; es weig wohl jeder aus eigener Erfahrung, dab es dabei neben Par~sthesien zu einer deutlichen Empfindung des betreffenden Gliedabsehnittes komm~, dab sich dieser aus dem fibrigen KSrper durch ein deutliches Geffihl der Ganzheit, mit Betonung von GrSge und Umfang heraushebt.

In den hier gesehilderten F/~llen kommt im Erleben des KSrpers etwas hinzu, was fiber e in KSrperschema hinauageht. Das Erleben stimmt dabei mit dem tats/~chliehen Zustande des KSrpers nicht fiberein. Das letztere trifft aueh bei jenen F/~llen des Antonsehen Symptoms zu, in denen einzelne Teile des K6rpers als diesem nicht zugehSrig, als k6rper- fremd angesehen werden. Es gelangt der KSrper reduziert ins Bewugt- sein. Nun handelt es sich in diesen F/~llen um einen sehr komplexen Vorgang, der einer pathophysiologischen Analyse nur sehr schwer zug/mglich ist. Jedenfalls aber geht die Reduktion des K6rpers im BewuBtsein nieht von einer bestimmten Sinnessph/~re aus, wie es in den bisher besproehenen F/~llen f fir das positive Erlebnis anzunehmen war. Denn der betreffende KSrperabschnitt ist vSllig aus dem BewuBtsein gestrichen und kann yon keiner Sinnesfl/~ehe aus geweckt werden; das liege sich mit der Vorstellung eines reduzierten K6rpersehemas viel mehr vereinbaren.

Geradezu ein Gegenstfick aber zu den hier analysierten Erscheinungen ist ein an der Klinik beobachteter Fall. Es handelt sieh um einen 24 j~hri- gen Mann E. P., tier seit ungef/~hr 6 Jahren an Krampfanf/illen leidet, die Anf/~lle t raten in der ersten Zeit geh/iuft und t/~ghch auf, erst nur lokalisiert, sparer kam es auBerdem noeh zu allgemeinen Krampfen mit BewuBtseinsverlust. Die kleinen Anf/~lle schildert Patient folgender- maBen: Der Anfall beginnt mit Ameisenlaufen in 4. und 5i Finger der linken Hand, das ulnarw/~rts die Hand bis zum Ellbogengelenk hinauf zieht, fast zu gleicher Zeit kommt es zu einem tonisehen Beugekrampf in diesen beiden Fingern. Darm stellt sich ein Geffihl der W/~rme und der N/~sse in den Metakarpi 4 und 5 ein und er hat das deutliche Geffihl, als ob diese beiden Finger abgesehnitten w/tren und aus dem Stumpf Blur fliegen wfirde. Es bestehe die deutliche Empfindung, dab die beiden Finger fehlten. Die objektive Untersuchung ergab auger einer geringen Hyp~sthesie an den beiden ulnaren Fingern und an der ulnaren SeRe der Hand, die bis ungef~hr zum Handgelenk reicht, nichts patholo- gisches; da der Patient nur ganz kurze Zeit beobachtet werden konnte, so war es nicht mSglich, weitere Untersuchungen auszuffihren, die zur

~ber die Empfindung der K6rperlichkeit. 467

Kl~rung des Krankheitsbildes h~tten beitragen kSnnen. Ob dem nun eine genuine Epflepsie zugrunde liegt, die mit Jackson.Anf~llen begann, oder eine lokale Erkrankung, die symptomatologisch die Anf~lle hervor- rief, lieB sich nicht sicherentscheiden; j edenfalls besteht kaum ein Zweifel, dab es sieh um cortical ausgelSste Erscheinungen handelt. WKhrend des lokalen Krampfes kommt es beim Patienten in dem betroffenen peripheren Bezirke zu einem Amputationserlebnis, er spiirt, dab ihm die beiden Finger fehlen. Genauer daraufhin examiniert beschreibt Patient dieses Geftihl so, dab nicht etwa die ganze Hand ohne die beiden ulnaren Finger empfunden wird, sondern dab isoliert das Geffihl des Fehlens der Finger vorherrscht; das BewuBtsein ffir den fibrigen Teil der Hand hat dabei keinerlei Xnderung gegenfiber dem Normalen erfahren. Er kann nicht mit Sicherheit angeben, ob das Gefiihl der NKsse und der W~rme dem des Fehlens der Finger vorhergeht oder nieht.

Es trat also auch hier ein KSrperabsehnitt besonders hervor, aller- dings im negativen Sinne. Es ist aueh hier ein Gefiihl der TKuschung, sobald der KSrperbezirk als Wahrnehmung ins BewuBtsein tritt; sie entspricht nicht den tats~chlichen Verh~ltnissen; denn die Finger, die Patient als fehlend empfindet, sind ja in Wirklichkeit vorhanden. Zur Situation des Amputierten steht diese Empfindung insofern in einem besonderen Gegensatz, als dort die tats~chhche Amputation, das Fehlen der GliedmaBe nicht registriert wird, wKhrend hier gerade das Erlebnis der Amputation auftritt. Beim Amputierten entwiekelt sieh an Stelle des fehlenden Gliedes etwas Positives, ein Phantom, das sich allerdings wie wir schon friiher gesehen haben, dem BewuBtsein anders darstellt als das normale Glied. Das hier aufgetretene Erlebnis kSnnte man als ein negatives Phantom bezeichnen. Im Vergleieh zu den erw~hnten Fallen des Antonsehen Symptoms aber handelt es sich um ein durchaus positives Erleben, das dureh den Wahrnehmungseharakter den iibrigen Phantom- erlebnissen an die Seite gestellt werden kann. In diesem Fall l~Bt es sich mit groBer Wahrscheinliehkeit annehmen, dab die eigenartige Er- scheinnng durch einen eortiealen Vorgang ausgelSst wurde; es lieBe sieh gut vorstellen, dab durch den Ausfall der den lokalen Kr~mpfen ent- sprechenden Gebiete diese aus dem BewuBtsein ausseheiden, dab sie aus dem KSrpersehema ausfallen. Aber gerade dadurch, dab hier der seheinbare Verlust eines KSrperteiles zum wahrnehmenden Erlebnis wird, kann das Ph~nomen so wie bei den iibrigen Phantomerlebnissen, mit der Vorstellung eines KSrpersehemas nieht geniigend erkl~rt werden, wir mtissen auch hier auf eine eigenartige Umwandlung in tier Verar- beitung endogener Vorgange zuriickgreifen, deren nahere pathophysio- logisehe Analyse nicht gegeben werden kann. DaB hier innere Vorggnge in einer besonderen Weise verarbeitet werden, darauf weist aueh das gleiehzeitige Auftreten von Par~sthesien der W~irme und Nasse hin; parallel damit geht eine Abgnderung in der Verarbeitung auBerer Reize (Hyp~sthesie).

468 Robert Klein:

Beriieksichtigen wir alle jene Beobachtungen, in denen das Erlebnis des K6rpers Wahrnehmungscharakter hat, womit die Fi~lle des Antonschen Ph~nomens in Wegfall kommen, so kSnnte man drei Variationen dieser Erlebnisse voneinander unterscheiden: In dem einen Falle handelt es sieh um eine ver~nderte Wahrnehmung objektiv unver/~nderter KSrper- teile, so wie es bei den beiden ersten spinalen Erkrankungen, bei dem einen Epileptiker E. H. und im l~Iesealinrausch besteht, welter um Wahrnehmungenentfernter Gliedteile (Amputationsphantom) und schlieB- lich um eine Wahrnehmung eines nur seheinbaren Defektes, wie es der zuletzt geschilderte Patient zeigt. Allen diesen Erseheinungen ist ge- meinsam, dab eine normalerweise nieht vorhandene Empfindung der KSrperliehkeit fiir einen bestimmten K6rperabsehnitt in Erscheinung tritt. Wenn wir beim Amputierten Ver/~nderungen des zuriickbleibenden Nerven bzw. in der Leitung zugeben, es sei auf die yon Hotaku erhobenen Befunde verwiesen (Jahresberieht 1909), so handelt es sieh in allen F/illen um organische Erkrankungen des Nervensystems; die Art der Erkrankung, der Sitz des Defektes ist in den einzelnen Krankheitsf/~llen versehieden.

H ypochondrische Ideen.

Jede Ver~nderung eines inneren Organs ver~ndert zugleieh seine endogenen nervSsen Bedingungen; tritt eine StSrung des autonomen Gleichgewichtes (Hering) ein, so macht sieh das Organ auf irgendeine Weise bemerkbar; wir sprechen yon Sehmerzen, Par~sthesien, yon Druck, und Spannungsgeffihlen.

Es wird zumeist angenommen, dab diese verschiedenen Empfin- dungen auf einen an einer bestimmten Stelle ausge/ibten Reiz, auf eine lokMe Erregung des Nerven zuriickzufiihren sind. Das mag auch gewi$ seine Berechtigung haben. H/~ufig nun kniipft sich besonders an die Druck- und Spannungssensationen das Gefiihl, als ob die dem Organ entspreehende circumseripte Stelle besonders hervortreten wfirde, wobei dies vielfaeh einer tats/~chlichen VergrSBerung des Organs entspricht. Ist dies aber nicht der Fall, dann h/~tten wir eine Erscheinung, die den hier besproehenen Ph~nomen weitgehend /~hnlieh w/~re; jedenfalls abet tritt so wie in unseren F/~llen ein bestimmter KSrperteil mit der Empfin- dung der KSrperlichkeit ins Bewugtsein. Fiir die Organneurosen wie aueh ftir die hypoehondrischen Ideen wurde auf die Beziehung zu organi- sehen Ver/~nderungen immer wieder hingewiesen und ist auch sicherlich sehr naheliegend. Es ist ja tats~chlich oft sehr schwierig, eine solehe im einzelnen Falle immer mit Sieherheit auszusehlieBen; ist dies der Fall, so kann angenommen werden, dab StSrungen nervSser Ar~, endogene Vorg/~nge dasselbe herbeif/ihren, was sonst dureh Ver/~nderung der Substanz selbst verursacht wird. Legt man eine solehe Anschauung zugrunde--, die vielfach erhobenen vegetativen StSrungen bei diesen

~ber die Empfindung der K6rperlichkeit. 469

Erkrankungen wiirden daffir sprechen - - so la~sen sich die Beschwerden der Neurosen und Hypochonder zum Teil verstehen und auf inhere nerv6se Vorg~nge zurfickffihren, so die verschiedenartigen Par~sthesien und Sensationen, die hier auftreten. GrSBere Schwierigkeiten macht das Verst~ndnis der hypochondrischen Ideen yon nihilistischem Charakter, in denen die Kranken sich darfiber beklagen, dab ein be- stimmtes Organ seinen Dienst eingestellt hat bzw. dab es fehlt. Wie ist es nun mit diesen ~uBerungen solcher Patienten bestellt ? Liegen ihnen nur Gedanken bzw. wahnhafte Vorsteilungen zugrunde oder handelt es sich um ein sinnliches Erlebnis ? I m konkreten Einzelfall wird man nur schwer zu einem Schlusse kommen k6nnen, da die dies- beziiglichen Angaben der Patienten nicht gut verwertbar sind; es ist ja h/~ufig darauf hingewiesen worden, dab sich gerade aus den Angaben fiber die Erlebnisse am KSrper bei psychotischen Zust~nden nut sehr schwer Wahrnehmung bzw. Halluzination und Vorsteilung yon ein- einander unterscheiden lassen. Bringen wit diese Erscheinungen mit dem KSrperschema in Beziehung, so scheint sich dadurch der Sachverhalt zu vereinfachen. Man wfirde sich ebenso wie in den erw~hnten F/~llen des Antonschen Symptoms, vorstellen, dab das betreffende Organ aus dem KSrperschema eliminiert wurde, dab es im Schema des KSrpers nicht mehr verzeichnet wird. Mit dem Begriff des KSrperschemas erg~be sich dabei insoferne kein Widerspruch, als man ja im unterschwelligen Wissen um den K6rper auch ein solches urn einzelne Organe verstehen kann.

Eine solche Annahme wfirde vor allem dann Berechtigung haben, wenn es sich um vorsteilungs/~hnliehe Erlebnisse handelt; geht ,~s aber um Erlebnisse yon Empfindungscharakter, denen Empfindun~en zu- grunde liegen, was sich in einzelnen F/~llen nicht ausschlieBen l~]t, so k6nnen wit auf die hier besprochenen Erscheinungen zuriickgreifen. Wir sahen beim Amputierten, dab an Steile des fehlenden Gliedes ein Phantom vomWahrnehmungscharakter entsteht, einErlebnis vondurch- aus sinnlieher Qualit~t, wobei der KSrperteil, yon dem der sinnliche Charakter ausgehen soil, gar nicht vorhanden ist. Dem konnten wir eine Beobachtung gegenfiberstellen, bei der die Amputation sinnlich erlebt wurde, bestimmte Teile des KSrpers als fehlend wahrgenommen wurden, die tats/ichlich gar nicht vorhanden waren. Gerade dem zuletzt Angefiihrten wiirden sich die hypochondrisch-nihilitischen Ideen an- schlieBen; eine solche Beobachtung zeigt jedenfalls, dab sich Wahr- nehmungserlebnisse nihilistischen Inhaltes auf sicherer organischer Grundlage entwickeln kSnnen. So kSnnen wit, da die Ph/~nomenologie keine sicheren Aufschlfisse zu geben vermag, yon da ausgehend die MSglichkeit often lassen, dab endogene nervSse Vorg~nge das Auftreten der nihilistisehen ,,Wahnideen" hervorzurufen imstande sind; an Steile des wahnhaften Erlebens whre unter diesen Umst/inden das sinnliche

470 Robert Klein:

zu setzen. Gewisse Schwierigkeiten macht es, sich die Genese des Ampu- tationserlebnis, wie man es kurz nennen kSnnte, zu erkl~ren.

Wie ein solches Amputationserlebnis, wenn auch 4ureh einen anderen Mechanismus zustande kommen kann, mSge ein banales Beispiel be- leuchten: Werm wir z. B. gewohnt sind einen Stock zu tragen, so tuft in der gewohnten Situation das Fehlen desselben das Gefiihl der Unvoll- st~ndigkeit hervor, 4as dem Stumpferlebnis des einen Patienten sehr nahesteht. Fassen wir den Arm als ein Werkzeug des KSrpers auf, so hat der in der Hand gehaltene Stock ffir den Arm die Bedeutung eines verl~ngerten Werkzeuges, er wird in den Arm mit einbezogen und bildet mit ihm eine Ganzheit. Durch die taktilen Reize, die an der Beriihrungs- stelle yon Arm und Stock auftreten, kommt dieser in einem Empfindungs- erlebnis besonders in den Vordergrund. Wird nun diese Ganzheit ge- s p r e n g t , - dureh Wegfall 4er gewohnten taktilen Empf indungen- - dann entsteht ein Stumpferlebnis, wir haben das ,,Geftihl", dal3 etwas am Arme fehle. Dazselbe ist mit jedem anderen Gegenstand der Fall, der durch irgendeine Empfindung an den KSrp~r gebunden und in den KSrper mit einbezogen ist. Sin4 es in dem Beispiel exogene Reize, deren Wegfall 4as Gefiihl des Fehlens hervorrufen, so kSnnte das Sistieren normalerweise sich abspielender endogener Vorg~nge ein i~hnliches Resul- ta t herbeiffihren; dies wfirde um so leiehter gelingen, als hier eine Kontrolle yon seiten anderer Sinne nieht mSglich ist.

Es ist natiirlich, dal3 damit das Erlebnis der hypochondrisch-nJhili- stisehenIdeen nicht gekliirt ist; es sollte nur versucht werden in Anlehnung an das Besprochene auf die MSglichkeit eines organisehen Keimes hinzuweisen, um den sich das Psychische gruppieren wiirde.

Ichbewu[3tsein-Depersonalisation. Das Bewul3tsein vom eigenen Ieh, sower es kSrperlich ist, geht vor

allem auf die verschiedenen Empfindungen und die Aktionen des KSrpers zurtick. Im Normalen besteht kein Empfinden des KSrpers als Ganzes oder einzelner seiner Teile. Unbestimmte Gefiihle, wie wir sic erst be- zeichnen wollen, kommen vor allem in den Depersonalisationszust~nden vor; soweit sic den KSrper betreffen, wird zumeist von einem Fremdheits- geffihl gesprochen, wie wenn es nieht das eigene Ich wi~re, das in die Handlungen eingreift; dabei ist vielfach auch das kSrperliche Ich ge- meint. In den meisten F~llen ist dieses Gefiihl sehr verschwommen, danach beurteilt, wie es die Patienten in ihren Schilderungen wieder- geben - - , sein Charakter l~13t sich sehwer festlegen. Die Kranken geben an, dal3 der K6rper wie tot, dal3 er leicht, wie ein Schatten sei, andere fiihlen ihn als schwer, haufig wird von einer Leere im Kopfe gesprochen l:ISW.

t)ber die Empffladung der KSrperlichkeit. 4.71

Die psychologische Analyse der Depersonalisation ergab verschieden- artige Erkl~rungen, die f fir die GesamtstSrung grundiegen4 sein sollen. Geffihlsmangel (Osterreich u. a.), Herabsetzung der Aktionsgeffihle, ZuwendungsstSrungen (M. L6wy), Fehlen des Bekanntheitsgeffihles (A. Pick), Widerspruch in den Wahrnehmungen, Gefiihlen und Denk- leistungen (Schilder), Verminderung der geistigen Synthese (Janet), BewuBtwerden des unbewuBten Automatismus (Grasset) u. a. m.

Uns ist es vor allem darum zu tun, jene Erscheinung herauszugreifen, die mit 4em frtiheren in einem gewissen Zusammenhang zu bringen ist, dab n~mlich der KSrper, alas kSrperliche Ich ver~ndert ins BewuBtsein ge- langt, daB er anders als im Normalen erlebt wird. Wir sehen an unseren F~llen, dab ein Tell des KSrpers besonders hervortrat, dab er die Einheit des KSrpers sprengte und in einer besonderen Weise empfunden ins BewuBtsein kam. Insoferne sich damit das Urteil desAnderssein verbindet, imWiderspruch mit ctem normalen KSrpergeffihl und objektiv eine dem- entsprechende Ver~nderung des betreffenden KSrperabschrdttes nicht nachweisbar ist, ergeben sich engere Beziehungen zu den Depersonali- sationszust~nden. Auch bei der Depersonalisation tritt der KSrper entweder als Ganzes oder in einem seiner Teile ver~ndert ins BewuBtsein, Fassen wir kSrperliches und seelisches Geschehen als eine Einheit auf (Somatopsyche Wernick6s), so wird der KSrper aus dieser Einheit Ios- gerissen, genau so wie sich in unseren F~llen einzelne KSrperteile aus der Einheit des KSrpers loslSsen. Der subjektive zum Selbst gehSrige Vorgang bekommt den Charakter objektiven Geschehens; der Wider- spruch im Erleben, yon dem Schilder spricht, w~re nach unserer Auf- fassung schon damit gegeben, daB sich der KSrper ver~ndert ffir das BewuBtsein entwickelt, dab die dem zugrunde liegenden encIogenen Vorg~nge abge~ndert ablaufen. Damit steht diese Anschauung jener nahe, die der Depersonalisation eine StSrung der Gemeinempfindung zugrunde legt (Ribot, Heilbronner, Janet u. a.).

Ffir alle die hier angeffihrten Bilder karm als gemeinsames Merkmal hervorgehoben werden, gleichgfiltig ob der Empfindungscharakter, die Sinnliehkeit des Erlebnlsses sichergestellt werden konnte oder nicht, dab sich aus der Einheit des KSrpers oder des Selbst Teile loslS.oten und ver~ndert ins BewuBtsein traten mit einer ausgesprochenen Tendenz zur Objektivierung. So sehr alle hier besprochenen Erseheinungen in ihrem einzelnen Entstehungsmodus und in ibxer Ph~nomenologie variieren, berfihrt sich die Problematik in diesem Punkt. So kSnnte man vom Gesichtspunkt der Abspaltung vom Selbstbewu~tsein eine Stufenfolge aufstellen, die yon der Lostrennung einzelner KSrperteile, Organe, fiber die des ganzen KSrpers zu den Zust~nden der Depersonalisation ffihrt, bei der sich KSrperliches und Seelisches aus einem Gesamtgeffige Ios- 16st.

472 Robert Klein: l~ber die Empfindung der KSrperlichkeit.

Das Hervortreten einzelner K6rperabschnitte durch Empfindungen der KSrperlichkeit nur unter pathologischen Umst~nden zeigt so recht deutlich, wie sehr im Normalen der K6rper entk6rperlicht ist und in allgemeinen biologischen bzw. seelischen Vorgi~ngen aufgeht. Es besteht die Tendenz, das Soma zu entmaterialisieren, die Eigenempfindungen in ein tieferes Niveau des Bewu~tseins untertauchen zu lassen, an Stelle der Wahrnehmung das Schema zu setzen, insoferne der KSrper nicht auf ~uBere Reize zu reagieren hat.