Über die Oxydation des Thallium(I)-sulfids. VII. Zur Chemie und Konstitution des Tl2SO2

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Uber die Oxydation des Thallium(1)-sulfids. VII Zur Chemie und Konstitution des TI,SO, Von BERTOLD REUTER und HANS WOLFGANG LEVI &lit 2 Abbildungen Inhaltsubersicht Die bei der Oxydation von T1,S bei 250" als Zwischeiiprodukt beobachtete Ver- bindung der stochiometrischen Zusammensetzung TI,SO, wird dureh Reaktion im festen Zustand bei 250" im Vakuum dargestellt, und zwar 1. aus einem aquimolekularen Ge- misch von T1,O und Tl,S,O, und 2. aus einern Gernisch von Tl,SO, und T1,S in1 Mol- verhaltnis 2 : l. Tl,SO, kristallisiert in eiiiem kubisch flachenzentrierten Gittcr und ist je nach den Herstellungsbedingungen graugriin bis zitronengelb gefarbt. An der Luft ist die Ver- bindung bei Zimmertemperatur bestandig, bei hohercn Temperaturen wird sie quantitativ zu T1,S04 oxydiert. Durch Wasser wird Tl,SO, in Unikehrung der zulctzt genarinten Bildungsrcaktion in Tl,SO, und TI$, beim Erhitzen im Vak.uurn auf 550" in T1,S und Tl,SO, zerlegt. Die Diskussion verschiedener Konstitutionsvorschlage Fur das Tl,SO, ergibt, daB auf Grund der Bildungs- und Zerfallsrcaktionen und dcr iibrigen Eigenschaften die For- mulierung als .h,dditionsverbindung T1,S . 2 Tl,SO, am wahrsoheinlichsten ist. v. HIPPEL und Mitarbeiter l) erhielten bei der Oxydation von T1,S durch Sauerstoff von maximal 10 mm Druok bei 250" ein gelb- grunes Produkt, das kubisch flachenzentriert mit einer Gitterkonstante von 10,77 A kristallisiert. Auf Grund der aufgenommenen Sauerstoff- menge ordneten sie dieser Verbindung die Formel Tl,SO, zu, ohne jedoch naher auf ihre chemischen und physikalischen Eigenschaften einzugehen. Wahrend v. HIPPELund Mitarbeiter dieses TI,SO, fur das Endprodukt der Oxydation von T1,S bei 250" hielten, konnte jn der vorhergehenden Mitteilung dieser Reihe ,) gezeigt werden, da13 Tl,SO, bei der Oxydation von T1,S in reinem Sauerstoff von 100 bis 200 mm Drucli bei 250" nur als Zwischenprodukt auftritt, das weiter zum Tl,SO, oxydiert wird. 1) A. v. HIPPEL, F. G. DENMARK, P. B. ULIN u. E. S. RITTNER, J. chern. Physics a) B. REUTER u. H. W. LEVI, Z. anorg. allg. Chem. 291, 239 (1957), im folgenden 14, 355 (1946). zitiert als VI. Mitt.

Transcript of Über die Oxydation des Thallium(I)-sulfids. VII. Zur Chemie und Konstitution des Tl2SO2

Uber die Oxydation des Thallium(1)-sulfids. V I I

Zur Chemie und Konstitution des TI,SO,

Von BERTOLD REUTER und HANS WOLFGANG LEVI

&lit 2 Abbildungen

Inhaltsubersicht Die bei der Oxydation von T1,S bei 250" als Zwischeiiprodukt beobachtete Ver-

bindung der stochiometrischen Zusammensetzung TI,SO, wird dureh Reaktion im festen Zustand bei 250" im Vakuum dargestellt, und zwar 1. aus einem aquimolekularen Ge- misch von T1,O und Tl,S,O, und 2. aus einern Gernisch von Tl,SO, und T1,S in1 Mol- verhaltnis 2 : l.

Tl,SO, kristallisiert in eiiiem kubisch flachenzentrierten Gittcr und ist je nach den Herstellungsbedingungen graugriin bis zitronengelb gefarbt. An der Luft ist die Ver- bindung bei Zimmertemperatur bestandig, bei hohercn Temperaturen wird sie quantitativ zu T1,S04 oxydiert. Durch Wasser wird Tl,SO, in Unikehrung der zulctzt genarinten Bildungsrcaktion in Tl,SO, und TI$, beim Erhitzen im Vak.uurn auf 550" in T1,S und Tl,SO, zerlegt.

Die Diskussion verschiedener Konstitutionsvorschlage Fur das Tl,SO, ergibt, daB auf Grund der Bildungs- und Zerfallsrcaktionen und dcr iibrigen Eigenschaften die For- mulierung als .h,dditionsverbindung T1,S . 2 Tl,SO, am wahrsoheinlichsten ist.

v. HIPPEL und Mitarbeiter l) erhielten bei der Oxydation von T1,S durch Sauerstoff von maximal 10 mm Druok bei 250" ein gelb- grunes Produkt, das kubisch flachenzentriert mit einer Gitterkonstante von 10,77 A kristallisiert. Auf Grund der aufgenommenen Sauerstoff- menge ordneten sie dieser Verbindung die Formel Tl,SO, zu, ohne jedoch naher auf ihre chemischen und physikalischen Eigenschaften einzugehen. Wahrend v. HIPPEL und Mitarbeiter dieses TI,SO, fur das Endprodukt der Oxydation von T1,S bei 250" hielten, konnte jn der vorhergehenden Mitteilung dieser Reihe ,) gezeigt werden, da13 Tl,SO, bei der Oxydation von T1,S in reinem Sauerstoff von 100 bis 200 mm Drucli bei 250" nur als Zwischenprodukt auftritt, das weiter zum Tl,SO, oxydiert wird.

1) A. v. HIPPEL, F. G. DENMARK, P. B. ULIN u. E. S. RITTNER, J. chern. Physics

a) B. REUTER u. H. W. LEVI, Z. anorg. allg. Chem. 291, 239 (1957), im folgenden 14, 355 (1946).

zitiert als VI. Mitt.

B. REUTER u. H. W. LEVI, Zur Chemie und Konstitution des TI,SO, 255

Dabei ergab sich aufierdem, da13 Tl,SO, nur im festen Zustand bestandig ist, unter der Einwirkung von heil3em Wasser jedoch in TI,S und Tl,SO, zersetzt wird.

FENTRESS und SELWOOD~) untersuchten ebenfalls die Oxydation von TI,S und auBerten in diesem Zusammenhang die allerdings kaum begrundete Annahme, es handele sich bei dem HmPELschen Tl,SO, um ein Salz der Sulfoxylsaure (H,SO,): Hierzu hatte REUTER~) bereits vor einiger Zeit kritisch Stellung genommen.

Erwahnt sei schliefilich eine Arbeit von ISKOLDSKI~), der fand, dalS T1,S bei 700" zu TI,SO, oxydiert wird und da13 dabei ein Zwischen- produkt der Formel Tl,SO, entsteht, das er fur ein Thallium(II1)-oxysul- fid hielt .

In Anbetracht der bestehenden Widerspriiche und der sehr liicken- haften Kenntnis dieser wegen ihrer Entstehung, Zusammensetzung, Eigenschaften und Farbe recht bemerkenswerten Verbindung Tl,SO, sollte es die Aufgabe der vorliegenden Arbeit sein, die Chemie und Konstitution des Tl,SO, naher zu untersuchen.

1. Darstcllung Der Darstellungsweg, dem das Tl,SO, seine Entdeckung verdankt,

ist die Oxydation von T1,S bei erhohter Temperatur. Zur Darstellung einigermaaen reiner Produkte ist diese Methode jedoch nicht geeignet, da man dabei immer nur Praparate erhalt, die noch unoxydiertes TI,S sowie mehr oder weniger grofie Mengen Tl,SO, enthalten, das ja durch Weiteroxydation von TI,SO, entsteht.

Es ist jedoch gelungen, zwei weitere Darstellungsverfahren zu finden, die durch Reaktionen im festen Zustand zu einem verhaltnismel3ig reinen Tl,SO, fuhren.

a) Aus TI,S u n d Tl,SO,. Das erste dieser beiden Verfahren stellt eine Umkehrung der Zersetzungsreaktion des TI,SO, unter der Ein- wirkung von Wasser dar. Wie in der VI. Mitteilung kurz erwahnt, zer- fallt Tl,SO, unter der Einwirkung von warmem Wasser schnell in TI,SO, und T1,S entsprechend der Gleichung

Es gelang nun, umgekehrt durch Erhitzen eines Gemisches von T1,S und Tl,SO, im Molverhaltnis 1: 2 im Vakuum auf 250" TI,SO, darzustellen. Dabei verfarbte sich das urspriinglich graue Reaktionsgemisch allmahlich rotlichbraun, wobei sich im Rontgendiagramm in steigendeni Mafie die

3 Tl,SO, = 2 Tl,SO, f T1,S.

3, V. J. FENTRESS u. P. W. SELWOOD, J. Amer. chem. SOC. 70, 711 (1948). 4, B. REUTER, Z. Naturforschg. 4b, 65 (1949). 6, I. I. ISKOLDSKI, Mmiepamoe CbipLe [Mineral. Rohstoffe] 1931, 404 (s. a. Chem.

Zbl. 1981, I, 1396). 17*

256 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 291. 1957

Interferenzen des Tl,SO, bemerkbar machten. Nach siebentiigigem Er- hitzen waren die letzten Rontgen-Interferenzen der Ausgangskompo- nenten verschwunden, und man erhielt ein leuchtend orangefarbenes, nach dem Abkuhlen zitronengelbes Produkt, das ausschlieljlich das

Abb. 1. Rontgendiagramme verschieden lang auf 250" erhitzter Tl,S-Tl,SO,-Gemische

bereits yon v. HIPPEL und Mit- arbeiternl) angegebene Ront- gendiagramm des Tl,SO, zeigte (vgl. Abb. 1).

b) Aus T1,O un d T1,S,03. Das zweite Darstellungsver- fahren wurde bereits in der VI. Mitteilung kurz angedeutet. Es konnte dort gezeigt werden, da13 bei der Oxydation von T1,S bei 200" primar T1,S203 und T1,O entstehen, die dann gema 13 cler Gleichung

T1,O A Tl,S,O, = 2 Tl,SO,

unter Bildung von Tl,SO, weiterreagieren. Bei 250" waren die Primarprodukte T1,S,03 und T1,Q zwar nicht mehr fa&

bar, jedoch konnte durch Erhitzen eines aquirnolekularen Gemisches dieser Verbindungen im Vakuum auf 250" ebenfalls Tl,SO, erhalten werden. Diese Reaktion verlauft auflerordentlich schnell. Bereits nach 15Minuten ist eine 40proz. und nach 2 Stunden eine nahezu 90proz. Umsetzung erreicht, die sich dann auch bei larigerem Erhitzen nicht mehr wesentlich steigert, doch wird der endgultige, bei Zimmertempe- ratur rein gelbe Farbton des Tl,SO, erst nach mindestens 24stundigem Erhitzen erreicht. Bei tieferen Temperaturen bis herab zu etwa 150" geht die Reaktion entsprechend langsamer vons tatten.

Das auf diesem Wege erhaltene Produkt entspricht im Idealfall in seinen Eigenschaften vollkommen dem nach dem ersten Verfahren dar- gestellten T12S0,, doch treten bei der Reaktion zwischen T1,O und Tl,S,03 zwei Komplikationen auf, die kurz erortert werden sollen.

Bei der Bereitung des Ausgangsgernisches nirnmt das sehr hygroskopische T1,O leicht Feuchtigkeit aus der Luft auf, die dann beim Erhitzen in dem MaBe, wie T1,O ver- braucht wird, wieder frei wird und auf das gebildete, bei hoherer Temperatur sehr feuch- tigkeitsenipfindliche Tl,SO, zersetzend einwirkt. AuBerlich niacht sich diese Zersetzung in einer schinutzig-graugrunen Farbung der Praparate bemerkbar. Diese Storung laBt sich vermeiden, wenn man das fertige Tl,O-Tl,S,O,-Gemisch vor den1 Erhitzen in Gegen-

B. REUTER u. H. W. LEVI, Zur Chernie und Konstitution des Tl,SO, 257

wart von P,O, im Hochvakuum trocknet und dann, ohne es noch einmal init Luft in Beriihrung zu bringen, auf die Umsetzungstemperatur erhitzt.

Ferner ist auffallend, daB die aus T1,O und Tl,S,O, dargestellten Tl,SO,-Praparate meist nicht unerhebliche Mengen Tl,SO, enthalten, das in der beim Behandeln mit Wasser entstehenden Losung nachgewiesen werden kann. Die genauere Untersuchung zeigt, daB die gefundenen T1,S04-Mengen von der Erhitzungsdauer der betreffenden Praparate abhangig sind, und zwar entsteht in der ersten halben Stunde, in der die Tl,SO,-Bildung besonders rasche Fortschritte macht, gar kein Tl,SO,. Dann nimmt die Menge zunachst stark, spater in geringerem MaBe zu und bleibt schlieblich nach 24 bis 48 Stunden an- nahernd konstant. Aus diesem zeitlichen Verlauf ist zu schlieoen, daB die Bildung des Tl,SO, auf einer als Nebenreaktion verlaufenden thermischen Zersetzung von Tl,S,O, beruht. Erhitzt man namlich Tl,S,O, fur sich allein im Vakuum auf 250°, so findet inner- halb von 24 Stunden Zersetzung nach der Gleichung

4 Tl,S,O, = T1,S + 3 Tl,SO, + 4 S statt. Der gebildete elementare Schwefel sublimiert nur zum Teil aus dem Reaktionsgemisch heraus, der Rest bleibt in Form eines schwefelreichen Thalliumsulfids zuriick, dessen Zu- sammensetzung natiirlich von den Reaktionsbedingungen abhangig ist. So erhalt man, wenn man das Tl,S,O, auf 250" erhitzt nnd die Stelle, an der sich der sublimierende Schwe- fel kondensiert, auf Zimmertemperatur halt, ein Thalliumsulfid der Zusammensetzung TlSl,26. Die Tatsache, daB beim Erhitzen eines Tl,S,O,-Tl,O-Gemisches in der ersten halben Stunde kein Tl,SO, gebildet wird, ist wohl so zu erklaren, daB das an sich zerfalls- bereite Tl,S,O, solange nicht zerfallt, als ihm ein ausreichend groBes Angebot an T1,O znr Umsetzung zum Tl,SO, zur Verfiigung steht. Erst spater, wenn das Reaktionsgemisch ortlich an T1,O verarmt, zerfallt Tl,S,O, in merklichem Umfang. Bei noch langerem Er- hitzen bildet sich dann kein Tl,SO, mehr, weil alles Tl,S,O, teils durch Reaktion mit T1,0, teils durch Zerfall verbraucht ist. Bestatigt wird diese Annahme iiber die Bildung des Tl,S04 durch die Beobachtung, daB das Tl,SO, immer dann und nur dann T1,SO4- haltig ist, wenn es unter Bedingungen dargestellt wird, uuter denen auch reines Tl,S,O, thermisch zersetzt wird, d. h. bei Temperaturen oberhalb etwa 150-200", je nach der Erhitzungsdauer.

Im Gegensatz dazu enthalt das aus T1,S und Tl,SO, dargestellte Tl,SO, keine nennecswerten Mengen Tl,SO,. Gelegentlich beobachtete, ganz geringe Mengen stammen zum Teil wohl aus dem als Ausgangs- substanz verwendeten Tl,SO,, das sehr schwer vollig sulfatfrei zu er- halten ist, und aus einer, wenn auch in sehr geringem Umfange schon bei 250 O stattfindenden thermischen Zersetzung von Tl,SO,, auf die noch zuruckzukommen sein wird.

Die Ausgangssubstanzen fur die Tl,SO,-Darstellung wurden nach bereits fruher 6, beschriebenen Methoden dargestellt. Lediglich die Herstellung des T1,O wurde in einigen Punkten abgeandert.

Das Prinzip, das in der Gewinnung von Thalliumathylat aus Thallium, Sauerstoff und Alkohol und der anschlieBendeii Zersetzung des Bthylats mit Wasser zu TlOH und dessen Entwasserung zum T1,O bestelit, wurde beibehalten. Urspriinqlich wurden die . .

E, B. REUTER u. H. W. LEVI, Z. anorg. allg. Cheni. S O , 100 (1952).

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Hydrolyse des Thalliurnathylats und die anschlieBende Filtration unter LuftabschluB durchgefiihrt, jedoch konnte auf diese VorsichtsmaBregel verzichtet werden, da sich zeigte, daB weder Thdliumathylat noch TlOH bei Zirnmerternperatur sauerstoffernpfindlich sind. Ferner wurde das TlOH nicht mchr bei 80", sondern bei Zimmertemperatur ent- wassert, und zwar im Hochvakuum in Gegenwart von P,O,. Dabei wurde in etwa 6 Stim- den wasserfreies T1,O erhalten, und zwar unter Bedingungen, die wesentlich schonendar als die urspriinglich angewandten waren. Die Zusammensetzung des auf diese Weise gewonnenen Thallium(1)-oxyds entsprach inncrhalb der analytischen Fehlergrenze der Formel T1,O.

2. Die Eigenschafteri des Tl,SO.,

Eine der bemerkenswertesten chemischen Eigenschaften des Tl,SO, ist sein schoii kurz erwahntes Verhalten beim Eehandeln mit Wasser. ObergieBt man das gelbe Praparat mit heiaem Wasser, so farbt, es sich, ganz unabhLngig davon, auf welchem Wege es hergestellt worden ist, augenblicklich schwarz, und man erhalt nach langerem Erwtirmen eine Losung, in der sich regelmaiig groie Mengen TI,SO, und daneben, je nach den Darstellungsbedingungen der betreffenden Probe wechselnd, TlOH, Tl,S,O, und Tl,SO, in geringcren Konzentrationen nachweisen lassen. AulSerdem bleibt ein grauer Ruckstand, der sowohl auf chemischern als auch auf rontgenographischem Wege als T1,S identifiziert werden konnte.

TlOH und TI,S,O, treten nur in den wairigen Auszugen von Pra- paraten auf, die aus T1,O und Tl,S20, hergestellt worden sind. Sie starn- men also offenbar aus nicht umgesetztem Ausgangsgemisch. Der Tl,SO,- Gehalt ruhrt, wie bereits besprochen, je nach dem Herstellungsverfahren aus dem Tl,S,O,-Zerfall bzw. aus einer geringfugigen Oxydation des als Ausgangsmaterial verwendeten Tl,SO, und einer gewissen thermischen Zersetzung des Tl,SO, her. Tl,SO, und T1,S sind dagegen offenbar die eigentlichen Zersetzungsprodukte des Tl,SO,.

Zur quantitativen Untersuchung dieser Zersetzung eignen sich naturlich nur Praparate, die aus T1,O und Tl,S,O, hergestellt worden sind, da bei dem aus T1,S und Tl,SO, gewonnenen Tl,SO, Ausgangs- komponenten und Zerfallsprodukte ja identisch sind. Urn die Ver- haltnisse nicht durch die thermischen Zersetzungsprodukte des Tl,S,03 unnotig zu komplizieren, wurden nur Praparate verwendet, bei deren Herstellung nicht mit merklicher Zersetzung des Tl,S,O, zu rechnen war, die also entweder bei niedrigen Temperaturen (,150") hergestellt oder bei 200-250" nur verhaltnismaflig kurze Zeit erhitzt worden waren. Die aus diesen Praparaten mit heiiem Wasser erhaltenen Losungen enthielten also vie1 TI,SO, neben iiquivalenten Mengen TI,S,O, und TlOH aus noch nicht umgesetztem Ausgangsgemisch, wahrend der Ruckstand aus reinem TI,S bestand. In Tab. 1 sind die Ergebnisse

B. REUTER u. H. W. LEVI, Zur Chemie und Konstitution des Tl,SO, 259

Tabelle I Quant . i t , a t ive Bes t iminung d e s be i d e r Z e r s c t z u n g von Tl,SO, d u r c h Wasser

e n t s t e h e n d e n TI$ u n d Tl,SO,

Xr . Darstcllungs- temperatur

150' 150' 200" 250" 250 O

Erhitzungs-

24 Stunden 24 Stunden 24 Stunden 15 Minuten 30 Minuten

392

254 117

T1,S mg

76 163 185 32 50

Tl,SO, : T1,S

1,98: 1 2,oo : 1 1,90 : 1 2,07: 1 2.10:l

der Analysen zusammengestellt, die nach dem bereits fruher ausfuhrlich beschriebenen Verfahren 6, ausgefuhrt worden sind.

Das Molverhaltnis TI,SO, zu T1,S liegt im Mittel bei 2,Ol: 1. Tl,SO, wird also durch Wasser nach der Gleichung

zerlegt . Unter der Eiiiwirkung von Tageslicht farbt sich TI,SO, im Laufe

der Zeit oberflachlich dunkel, und zwar sowohl an der Luft als auch unter LuftausschluB. Dams DEBY E- ScrIERRER-Diagramm eines mehrere Wochen dem Licht ausgesetzten Praparats zeigt neben den Interferenzen des unveranderten TI,SO, die starken Interferenzen des T1,S. Daneben treten die starksten Linien des TI,SO, auf. Obwohl es sich dabei nur urn einige wenige Interferenzen handelt, darf mit groBer Wahrscheinlichkeit daraus auf das Vorhandensein von TI,SO, geschlossen werden, da auch reines TI,SO, ein wenig charakteristisches Rontgendiagramm geringer Intensitat liefert. Man kann also wohl annehmen, dafi Licht die gleiche Zerfallsreaktion des Tl,SO, wie heiI3es Wasser bewirkt.

Ganz anders verlauft jedoch die thermische Zersetzung von TI,SO,. Beim Erhitzen im Vakuum auf mindestens 500" entsteht ein aqui- molekulares Gemisch von T1,S und TI,SO, entsprechend der Gleichung

Dieser thermische Zerfall erfolgt ab 500" schnell und quantitativ. Die Reaktion setzt jedoch schon bei wesentlich tieferen Temperaturen ein und kann andeutungsweise sogar schon bei 250' beobachtet werden.

Gegen Luft bzw. auch gegen reinen Sauerstoff ist Tl,SO, bei Zim- mertemperatur vollkommen bestandig. In der Warme wird es, wie bereits erwahnt, yuantitativ zu TI,SO, oxydiert.

Sehr merkwurdig ist die Reaktion von TI,SO, mit Siiurcn: Uber- giefit man eine Probe mit verdunnter H,SO,, so entsteht vorubergehend eine rote Substanz, die sich schnell unter Zurucklassung von weifilichem

3 Tl,SO, = 2 Tl,SO, + T!2q

2 TI,SO, = T1,S + TI,S04.

260 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 291. 1957

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Schwefel auflost. Im ubrigen entstehen bei dieser Uinsetzung SO, und H,S. Behandelt man Tl,SO, nicht mit Schwefelsaure, sondern mit schwefliger Saure, so la,& sich das rote Zwischenprodukt isolieren und als TI,S,O,, dem etwas elementarer Schwefel beigemengt ist, identifi- zieren.

Hinsichtlich der physikalischen Eigenschafteii des Tl,SO, sei noch einmal auf den vollkommen reversiblen Farbwechsel von gelb nach orange beim Erwarmen hingewiesen. Messungen der elektrischeii Leit- fahigkeit von TI,SO,-Tabletten, die unter hohein Druck aus pulver- formigem Material gepreBt worden waren, ergaben eine spezifisclie Leit- fahigkeit in der GroBenordnung von lo-* Ohm-1 * em-1. Tl,SO, ist also ein ausgesprochener Nichtleiter.

C

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e

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nZs203

3. Umsetzung von T1,S rnit TI,SO, bzw. von Tl,O rnit .Tl,S20, in unterschiedlichen Mengenverhaltnissen

Im Hinblick auf die Frage nach der Konstitution des TI,SO, interes- sierte es, ob die Ausgangskomponenten TI,S und Tl,SO, bzw. T1,O und TI,S,O, auch in anderen Molverhaltnissen als 1 : 2 bzw. 1 : 1 miteinander reagieren.

So wurden Gemische von T1,O und Tl,S,O, je 3 Tage auf 250" im Vakuuin crhitzt, die abweichend von dem normalen Vcrhaltnis 1 : 1 T1,O und T12S203 in folgenden Mol- verhaltnissen enthielten: a) 2:1, b) 1:1,25, e) 1:1,5, d) 1:2, e) 1:3, f ) 1:5, g) 1:lO.

Eine Rontgenaufnahnie des Produktes aus dem Gemisch a) zeigt die Linieii des Tl,SO,, dessen Gitterkonstantc allerdings etwa 2% kleiner als von norrnalem Tl,SO, ist.

Daneben finden sich Interfereiizen des T1,0, die zusammen mit der dunkelgrau- gelben Farbung des Praparates zeigen, da.13 das iiberschiissige T1,O im wesent- lichen als selbstandige Phase neben dem Tl,SO, vorliegt. Beim Behandeln der Substanz mit heiBem Wasser geht es als TlOH in Losung und laljt sich analytisch nachweiscn.

Aus den Gemischen b) his f ) wurden Produkte erhalten, die genau wie das aus einem stochiometrischen Gemisch dar- gestellte Tl,SO, in der Hitze orange- farben, in der Kalte gelh sind. Die Far- bung wird mit; steigendem Tl,S,O,-Gehalt tiefer, jedoch nicht graustichig. Das Produkt aus dem Gemisch g) farbte sich zwar zunachst auch orangefarben, wurde dann aber infolge Zersetzung des iiber-

schiissigen Tl,S,O, schwarz. Die in Abb. 2 wiedergegebenen DEBYE-SCHERRER-Diagramme

zeigen folgendes: Die Intensitat ilnd Scharfe der Linien des Tl,SO, nehnieii in der

R. REUTER u. H. W. LEVI, Zur Chemie und Konstitution des TI,SO, 261

Richtung von b) nach f ) ab. In der gleichen Richtung nimmt die Untergrundschwarzung stark zu, so daB eine Reihe von schwachen Tl,SO,-Linien in den Tl,S,O,-reichen Pro- dukten nicht mehr zu erkennen sind. Zusatzlich treten in den Diagrammen der Prapa- rate e) und f ) in steigender Anzahl die starksten Linien des T12S,0, auf. Die Gitter- konstante des Tl,SO, nimmt mit steigendem Tl,S,O,-Gchalt der Reaktionsmischung zu und ist bei Praparat f ) um 2,5% gro13er als bei normalem Tl,SO,. Die chemische Analyse bestatigt im wesentlichen die rontgenographischen Ergebnisse. Das zusatzlich einge- wogene T12S,0, liegt in den Reaktionsprodukten zu 80 bis 90% unverandert vor.

Das Rontgendiagranim von Praparat g) ist auBerst linienreich und unscharf. Es riihrt vom Tl,SO, und den Zersetzungsprodukten des Tl,S,O, her. Auch analytisch lieBen sich in diesem Praparat keine nennenswerten Mengcn Tl,S,O, rnehr nachweisen.

Diese Versuche fuhren also zu dem bemerkenswerten Ergebnis, dafi das T1,S,03, das in einem T1,0-T1,S,O3-Gemisch uber das Mol- verhaltnis l : l hinaus zusatzlich enthalten ist, durch 3tagiges Erhitzen auf 250" nicht zersetzt wird, obwohl es, wie die Rontgenaufnahmen der Praparate e) und f ) beweisen, hochstens zu einem kleinen Teil in das Tl,SO,-Gitter eingebaut wird, wahrend der grofite Teil als selbstandige Phase vorliegt. Erst wenn der Tl,S,O,-UberschuB eine gewisse Grenze uberschreitet, reicht, wie das Verhalten von Praparat g) zeigt, die stabilisierende Wirkung des TI,SO, nicht mehr aus, und es findet nor- male thermische Zersetzung des Tl,S,O, statt. Interessant ist noch, daD mit steigendem Tl,S,03- Gehalt der Praparate die Lichtempfind- lichkeit stark zunimmt.

Auch Gemische von T1,S und Tl,SO, wurden in anderen Molver- haltnissen als 1 : 2 miteinander umgesetzt, und zwar wurden Gemische im Verhaltnis 1 : 1 und 1 : 3 je eine Woche im Vakuum auf 250" erhitzt. In beiden Fallen entstand Tl,SO,, dessen Gitterkonstante keinen deut- lichen EinfluD der uberschufikomponente erkennen lieD. Das in dem 1 : 1-Gemisch enthaltene uberschussige T1,S konnte in dem Erhitzungs- produkt rontgenographisch und auf Grund der Farbe als gesonderte Phase neben dem Tl,SO, nachgewiesen werden.

4. Diskussion der Konstitution des Tl,SO, v. HIPPEL und Mitarbeiter I) hatten die Formel Tl,SO, ursprunglich

nur nuf Grund der vom T1,S bei der Oxydation aufgenommenen Sauer- stoffmenge aufgestellt. Die beiden neu gefundenen Bildungsreaktionen

und

haben diese Zusammensetzung vollkommen bestatigt. Bei der Dis- kussion der verschiedenen denkbaren Konstitutionsmoglichkeiten fur das Tl,SO, mu13 man beachten, dalj die analytisch ermittelte stochiome-

T1,O + Tl,S,O, = 2 Tl,SO,

T1,S + 2 TI,SO, = 3 Tl,SO,

262 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 291. 1957

trische Zusammensetzung Tl,SO, noch nichts uber das Molekulargewicht dieser Verbindung aussagt. Zieht man fur die Konstitution auch die Moglichkeit einer Additionsverbindung in Betracht, so miissen wohl folgende Vorschlage diskutiert werden :

a) Thallium(1)-sulfoxylat, Tl,SO,; b) Thalliuni(II1)-oxysulfid, Tl,O,S ; c) Basisches Thallium(1)-thiosulfat, T1,O . T1,S,03; d) Additionsverbindung Thallium( I)-sulfid-Thallium( I)-sulfat.

e) Additionsverbindung Thallium( I) -sulfid-Thallium (I)-sulfit, T1,S . T1,S04;

TI,S . 2 Tl,SO,. Diese funf Miiglichkeiten sollen im folgenden an .Hand des experimen- tellen Materials im einzelnen erortert werden.

a) Thallium(1)-sulfoxylat Der Vorschlag, es konne sich beim Tl,SO, urn das Thallium(1)-salz

der Sulfoxylsaure handeln, stammt, wie bereits in der Einleitung er- wahnt, von FENTRESS und SELWOOD~). Die Argumente, die diese Autoren far ihre Annahme vorgebracht haben, 'brauchen jedoch hier nicht diskutiert zu werden, da R E U T E R ~ ) nachweisen konnte, daB der von ihnen untersuchte Kiirper, der durch Oxydation von T1,S bei Zimmertemperatur und nachtragliches Erhitzen im Vakuum auf 250" entstanden war, gar nicht mit dem v. HIPmLschen Oxydationsprodukt und damit auch nicht mit dem hier zur Diskussion stehenden Tl,SO, identisch ist. Unabhangig davon liegt aber auf Grund der Formel TI,SO, der Gedanke an ein Sulfoxylat nahe.

Nach GOEI~RING~) leiten sich die Verbindungen der Sulfoxylsaure von 2 isomeren Formen dieser Saure ab, vom Schwefeldihydroxyd S(OH), und der Sulfinsaure OHSOH. Der wesentlichste Unterschied zwischen diesen beiden Isomeren besteht darin, da13 das Schwefeldihydroxyd oxydierend, die Sulfins&ure dagegen reduzierend wirkt. Da nun ange- sauerte Jodlosung beim Schutteln mit Tl,SO, reduziert wird, kann diese Verbindung, wenn sie uberhaupt ein Abkommling der Sulfoxylsaure ist, nur ein Derivat der Sulfinsaureform sein. Da sich auch der Rongalit und das Kobaltsulfoxylat CoSO, von der Sulfinsaureform ableiten, miiBte das Tl,SO, also gewisse Analogien zu diesen Verbindungen zeigen.

Zwei fur den Rongalit besonders charakteristische Reaktionen konnten nun beim TI,SO, nicht beobachtet werden, namlich die redu- zierende Wirkung gegen Indigo und Silberionen. Ebensowenig gelang es, die bei der Zerlegung von Tl,SO, durch Wasser intermediar zu er-

') M. GOEHRINC, Z. nnorg. Chem 363, 304, 313 (1947).

B. REUTER u. H. W. LEVI, Zur Chemie und Konstitution des Tl,SO, 263

wartende freie Sulfoxylsaure durch Formaldehyd unter Bildung einer rongalitahnlichen Verbindung abzufangen.

Auch das von SCHOLDER und D E N K ~ ) ent,deckte CoSO, zeigt kaum Analogien zum Tl,SO,. CoSO, wird als sehr sauerstoffempfindlich be- sclirieben, was fur das Tl,SO, in keiner Weise zutrifft. Mit dem Rongalit gemeinsam hat das CoSO, die Reduktionswirkung gegen Indigo und Silberionen, die, wie gesagt, beim TI,SO, fehlt. Es gelang auch nicht, Tl,SO, auf analogem oder ahnlichem Wege darzustellen wie CoSO,, und ebensowenig war es moglich, die beiden Verbindungen wechsel- seitig ineinander zu uberfuhren. SchlieBlich ist CoSO, rontgenamorph, wahrend Tl,SO, ein verhaltnismaljig gut kristallisierender Korper ist.

Die verschiedenen Bildungs- und Zerfallsreaktionen des Tl,SO, tragen zur Klarung des Problems wenig bei, da man kaum Anhalts- punkte dafur hat, auf welche Weise ein Salz der Sulfoxylsaure ent- stehen bzw. zerfallen mul3te. Ganz entschieden gegen ein Sulfoxylat spricht aber die Tatsache, dalj TI,SO, bei hohen Temperaturen nicht nur existenzfahig ist, sondern sogar gebildet wird, und zwar sowohl im Vakuum als auch bei der T1,S-Oxydation in Gegenwart von Sauerstoff. Diese Bestandigkeit der Verbindung steht im krassen Widerspruch zu den Eigenschaften, die man von einem Salz der Sulfoxylsaure erwarten sollte. Schlieljlich spricht auch die Farbe des Tl,SO, gegen die Sulfoxylat- These, da alle Thallium(1)-Salze farblos sind und nicht einzusehen ist, warum gerade ein Thallium(1)-sulfoxylat so intensiv gefarbt sein sollte.

b) Thallim(II1) -0xysulfid Xit der Auffassung als Thallium(II1)-oxysulfid Tl,O,S steht die

Entstehung des Tl,SO, durch Oxydation von T1,S zumindest nicht in Widerspruch. Dagegen lassen sich die Bildungsweisen des Tl,SO, aus T1,O und Tl,S,O, bzw. aus T1,S und Tl,SO, mit dieser Auffassung in keiner Weise vereinbaren.

Sanitliche Ausgangskomponenten enthalten namlich Thallium in der Oxydations- stufe + 1, die dazugehorigen Anionen wirken ohne Ausnahme reduziercnd, und die Um- setzungen finden durchweg in1 Vakuum statt, so daS die Bildung einer Thallium(Il1)- Verbindung unverstandlich ware.

Weiterhin sollte ein Thallium(lI1)-oxysulfid der Zusammensetzung TI,O,S durch Urnsetzung von T1,0, rnit TI$, im Molverhaltnis 2 : l erhaltlich sein. Nach HAHN und K L I N G L E R ~ ) gibt es zwar keine definierte Verbindung der Zusarnmensetzung TI$,, wohl aber eine yon der Zusammensetzung T1S bis TIS,,, reichende einheitliche Phase mit kon- stanten Gitterdimensionen, deren Gitter der Verbindung TlS zuzuordnen ist. Es ist danach moglich, einen einphasigen Korper der effektiven Zusarnmensetzung Tl,S, durch

R . SCHOLDER u. G. DENK, Z. anorg. allg. Chem. 222, 17 (1935). 9, H. HAHN u. W. KLINGLER, Z. anorg. Chem. 260, 110 (1949).

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Zusammenschmelzen von Schwefel und Thallium in entsprechenden Mengenverhalt- nissen herzustellen. Wenn man nun dieses ,,T12S3(' init T1,0, im Verhaltnis 1 : 2 mischt und erwarmt, so tritt bereits unter 100' eine heftige Verpuffung ein, ohne dafi sich Tl,SO, bildet.

Endgiiltig widerlegt wird die Auffassung des Tl,SO,als Thallium(II1)- oxysulfid aber durch seine Zersetzungsreaktion durch Wasser. Diese zu T1,S und Tl,SO, fuhrende Reaktion mul3te im Falle des TI,O,S etwa aus folgenden Einzelschritten bestehen :

1. 3 TI,O,S + 3 H,O = 3 H,S + 3 T1,0,

2. 3 T1,0, + 2 H,S + H,O = 6 TlOH + 2 SO,

3. 4 TlOH + 2 SO, = 2 Tl,SO, + 2 H,O

4. 2 TlOH + H,S = TI$ + 2 H,O

3 Tl,O,S = TI,S + 2 Tl,SO,.

Das Bemerkenswerte an diesem Reaktionsschema ist, daIj danach die Oxydation des Sulfidschwefels durch T1,0, bis zum Tl,SO,, jedoch nicht weiter bis zum Tl,SO, fuhren mul3te. Dem widerspricht das Experiment: Kocht man namlich eine Losung von Tl,SO, mit festem T1,0,, so wird das Tl,SO, unter Auflosung und Reduktion des T1,0, zum TI,SO, oxydiert.

C) TI2 0 . TI2 S2 0 8

Fur die dritte hier zu diskutierende Moglichkeit, daB namlich das Tl,SO, die Konstitution eines basischen Thiosulfats T1,O . Tl,S,O, hat, spricht eine gewisse Analogie mit den entsprechenden Bleiverbindungen.

Nach Untersuchungen von REUTER und STEIN^^) entstcht namlich ein basisches Bleithiosulfat bei der Oxydation von Bleisulfid bei Zimmertemperatur in Gegenwart von Feuchtigkeit. Die gleiche Verbindung entsteht auch bei Einwirkung von Wasser auf ein Gemisch von PbO und PbS,O, bei Zirnmertemperatur. Dieses basische Bleithiosulfat zerfallt jedoch bereits bei 100" in PbS und PbSO,. Es ist gegeii Wasser vollkomnieii in- different und lost sich sogar in waUriger Ammoniumacetatlosung, ohne dafl dabei das Thiosulfat zersetzt wird.

Die Analogien sind also auflerordentlich begrenzt. Die Entstehungs- bedingungen des basischen Bleithiosulfats unterscheiden sich deutlich von denen des Tl,SO,. Auffallend ist vor allem, daB bei der Bleiver- bindung immer Wasser erforderlich ist, wahrend das Tl,SO, gerade umge- kehrt in Gegenwart von Wasser zersetzt wird. In diesem unterschied- lichen Verhalten gegen Wasser diirfte eine prinzipielle Versehiedenheit der beiden Verbindungen zum Ausdruck kommen. Dagegen ist der Un terschied in der thermischen Bestandigkeit nur ein gradueller. SchlieB-

lo) B. REUTER u. R. STEIN, Z. Elektrochem., Ber. Bunsenges. physik. Chcm. 61, 4-10 (1957).

B. REUTER u. H. W. LEVI, Zur Chemie und Konstitution des TI,SO, 265

lich ist zu bedenken, da13 das basische Bleithiosulfat ebenso wie das PbS,O, farblos ist, wahrend sich das Tl,SO, in der Farbe grundlegend von dem farblosen Tl,S,O, unterscheidet.

Von den chemisehen Reaktionen des Tl,SO, lassen sich die Bildung aus T1,O und Tl,S,O, und der thermische Zerfall in T1,S und Tl,SO, mit den Eigenschaften des basischen Thiosulfats gut vereinbaren. Dagegen ist seine Entstehung aus 1 T1,S + 2 Tl,SO, ein schwerwiegendes Ar- gument gegen diese Hypothese. In diesem Falle mulSte namlich Sulfit- schwefel in Sulfid- und Sulfatschwefel disproportionieren. Diese Reaktion ist auflerordentlich unwahrscheinlich und auch beim Erhitzen von reinem Tl,SO, im Vakuum nicht zu beobachten. Ebenso ware die Zersetzung eines T1,O Tl,S,O, durch Wasser in T1,S und Tl,SO, nicht zu ver- stehen und widersprache allen Erfahrungen uber die Zerfallsprodukte von Schwermetallthiosulfaten.

d) TlzS - T12S04

Es sol1 nun die Moglichkeit diskutiert werden, dai3 es sich beim Tl,SO, um eine Additionsverbindung T1,S . T1,S04 handelt. Dieser Konstitu- tionsvorschlag hat insofern eine gewisse dhnlichkeit mit dem eben diskutierten, als sowohl T1,O * TI,S,O, als auch T1,S . Tl,SO, neben- einander Schwefelatome in den Oxydationsstufen + 6 und -2 enthalten. Daher sprechen auch hier die Bildung aus T1,O und Tl,S,O, und der thermische Zerfall in T1,S und Tl,SO, fur die Formulierung als Tl2S~TI,SO4, die Bildung aus T1,S und Tl,SO, sowie der durch Wasser verursachte Zerfall in diese Komponenten jedoch entschieden dagegen. Gegen die Konstitution T1,S Tl,SO, spricht weiter die Tatsache, da13 es nicht ge- lungen ist, Tl,SO, aus einem aquimolekularen Gemisch von T1,S und Tl,S04 durch Erhitzen auf 250" darzustellen.

Ausschlaggebend gegen diese Formulierung ist aber wohl der Um- stand, da13 der Zerfall von Tl,SO, in T1,S und Tl,SO, bereits durch Ein- wirkung von lauwarmem Wasser ausgelost wird, also unter aul3er- ordentlich milden Bedingungen stattfindet, die thermische Zersetzung des Tl,SO, in T1,S und Tl,SO, dagegen bei 250" noch kaum merklich ist und erst bei 500" schnell und quantitativ verbuft. Es liegt nun auf der Hand, da13 die lediglich durch die Einwirkung von Wasser bei kaum erhohter Temperatur gebildeten Zerfallsprodukte der ursprunglichen Verbindung naher stehen mussen als solche, die erst bei 500" auftreten. Auf Grund dieser Oberlegung mu13 man der Formulierung T1,S . 2 Tl,SO, besondere Aufmerksamkeit schenken.

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e) TlsS. 2 TleSOs

Sowohl beim T1,S - Tl,SO, als auch bei dem jetzt zu diskutierenden T1,S 2 Tl,SO, handelt es sich um Additionsverbindungen aus zwei verschiedenen T1-S-Verbindungen. Nun sind in der Literatur eine ganze Reihe derartiger, zum Teil ebenfalls intensiv gefarbter Additions- verbindungen beschrieben.

So findet man schon in der alteren Literatur Anga.ben uber cine Verbindung Ag,S . Ag,S0411). Auch Toni Quecksilber sind ahnliche Verbindungen beliannt, z. B. 2 HgS . HgS0412). Am auffallendsten ist aber vielleicht die Analogie beim Ag,S . Ag,SO,, das STAMM und WINTzERl3) bei der Hydrolyse von Dimethylthiosulfit in Gegenwart von Silberionen erhalten habcn. Es handelt sich dabei um eine sehr unbestandige, ziegelrote Verbindung, dic beim Behandeln mit Wasser in Ag,S und Ag,SO, zerfallt. Diese Zer- fallsreaktion stimmt also nahezu mit der des Tl,SO, ubercin. Eine weitere Analogie besteht darin, daIj in beiden Fallen aus je einer schwarzen und einer farblosen Verbindung ein i n tensiv gefarbtcs Additionsprodukt gebildet wird.

AuBer dieser Analogie mit dem Ag,S . Ag,SO, spricht fur eine Additionsverbindung T1,S * 2 Tl,SO, auch der schon erwahnte, unter milden Bedingungen stattfindende Zerfall in T1,S und Tl,SO, sowie die glatte Bildung des Tl,SO, aus diesen Komponenten. Die Tatsache, daIJ beim thermischen Zerfall des Tl,SO, T1,S und TI,SO, gebildet werden, steht nicht in1 Widerspruch zu dieser Auffassung, denn es ist durchaus verstandlich, daB bei der radikalen thermischen Zerstorung einer ver- haltnismaBig unbestandigen Schwefelverbindung Sulfid und Sulfat ge- bildet werden, da diese die stabilsten Oxydationsstufen des Schwefels reprasentieren .

Wesentlich ist nun, ob sich die Darstellung eines TI,S * 2 T1,S03 aus T1,O und Tl,S,03 entsprechend der Bruttoumsetzungsgleichung

3 Tl,S,O, + 3 T120 = 2 (T1,S . 2 Tl,SCJ3)

befriedigend erklaren la8t. Man kann diese Reaktionsgleichung in folgende Einzelschritte aufgliedern :

1. 3 Tl,S,O, = 3 Tl,SO, + 3 S

2. 3 T1,O + 3 S = Tl,SO, + 2 T1,S

3. 4 TI,SO, + 2 T1,S = 2 (T1,S . 2 Tl,SO,)

Es ist nun gelungen, die Einzelreaktionen dieses Schemas experimentell zu verifizieren.

11) P. POLECK u. K. TIIUMMEL, Ber. dtsch. chem. Ges. 16, 2435 (1883). 12) M. PAIC, Ann. Chimic [ l o ] 19, 427 (1933). 1,) H. STAMM u. H. WINTZER, Ber. dtsch. chem. Ges. 71, 2212 (1938).

B. REUTER u. H. W. LEVI, Zur Chemie und Konstitution des TI,SO, 267

Die drilte Teilreaktion ist ja nichts weiter als die Darstellung von TI,SO, aus Tl,SO, und TI,S. Es ist daher nicht notwendig, auf diesen Schritt hier nochmals naher einzugehen.

Bei dem Versuch, die zweite Teilreaktion, namlich die Dispro- portionierung von elementarem Schwefel in Gegenwart von T1,O zu verifizicren, zeigte es sich, daB T1,O und Schwefel bereits beim kraftigen Verreiben unter betrachtlicher Erhitzung und Verpuffung miteinander reagieren. Beim gelinden Erwarmen eines vorsichtig bereiteten T1,O- Schwefel- Gemisches in einer abgeschmolzenen Ampulle bildeten sich tat- sachlich Tl,SO, und TI,S, die sich zum Teil gleich weiter entsprechend der dritten Teilreaktion zu Tl,SO, umsetzten.

Ebenso wurde beim Erhitzen eines aquimolekularen Gemisches von TI,SO,, T1,O und Schwefel im Vakuum auf 250" ein gelbgrunes Produkt erhalten, das sich rontgenographisch und chemisch als TI,SO, identifi- zieren lieB.

Die erste Teilreaktion, die thermische Dissoziation des T1,S20, in Tl,SO, und Schwefel erscheint zunachst sehr unwahrscheinlich, da sie der Beobachtung widerspricht, daB sich TI,S,O, beim Erhitzen auf 250" im Vakuum nach der Gleichung

zersetzt. Andererseits gelang es jedoch bei 200°, einer Temperatur, bei der diese thermische Zersetzung noch nicht in dem MaWe wie bei 250" stattfindet, TI,S,O, in Umkehrung der Teilreaktion 1 aus Tl,SO, und Schwefel darzustellen. In dem durch 3tagiges Erhitzen der Komponenten im Vakuum erhaltenen Reaktionsprodukt lie0 sich Tl,S20, in grol3en Mengen chemisch und rontgenographisch nachweisen, wahrend Tl,SO, nicht mehr vorhanden war. Diese interessante Beobachtung spricht nun dafiir, daf3 die Teilreaktion 1 offenbar zu einem durch den Dampfdruck des Schwefels bestimmten Gleichgewicht fuhrt, das aber im Temperatur- bereich von 200 bis 250" weitgehend nach links verschohen ist. Daher spielt die Dissoziat,ion des T12S,0, in TI,SO, und Schwefel normalerweise gegenuber der Zersetzung des TI,S,O, in TI$, Tl,SO, und Schwefel gar keine Rolle. Sobald jedoch Tl,S,O, nich.t fiir sich allein, sondern zusammen niit T1,O erhitzt wird, das, wie gesagt, sehr begierig mit elementarem Schwefel reagiert, andern sich die Verhaltnisse grund- legend. Der bei der geringfiigigen Dissoziation nach GI. (1) entstehende Schwefel wird sofort von dem T1,O weggefangen, so dalS das Gleichge- wicht immer wieder gestort wird und weiteres Tl,S,O, in Schwefel und TI,SO, dissoziieren kann. Unter diesen Umstanden wird dann der Zerfall des Tl,S,O, in TI,S, TI,SO, und Schwefel weitgehend zuruck- gedrgng t .

4 TI,S,O, = T1,S + 3 Tl,SO, + 4 S

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Damit sind alle Teilschritte des obigen Reakti.onsschemas gesichert. Unter der Aniiahme, dalj es sich beim Tl,SO, um eine Additions-

verbindung T1,S . 2 Tl,SO, handelt, laljt sich auch die unterschiedliche Reaktionsgeschwindigkeit bei der Darstellung dieser Verbindung aus T1,O und T1,S,03 einerseits und aus T1,S und Tl,SO, andererseits ver- stehen. Die Umsetzung zwischen T1,O und T1,S,03 verlauft uber Zer- setzungsprodukte des bei der Reaktionstemperatur nicht bestandigen T1,S,03, die ihrerseits, wie die beschriebenen Versuche zeigen, z. T. sehr reaktionsfahig sind. In der letzten Stufe besteht zwar auch diese Reaktionsfolge in einer Umsetzung zw-ischen T1,S und T1,S03, doch darf man sicher annehmen, da6 diese Verbindungen zunachst in einem sehr fein verteilten und somit reaktionsfahigen Zustand entstehen und so schnell weiter reagieren, dalj sie keine Zeit zur Kristallisation finden. Es ist daher verstandlich, dalj diese Reaktion vergleichsweise vie1 schneller ablauft als die Umsetzung voii wohl kristallisiertem T1,S und Tl,SO,, die unter den Versuchsbedingungeii fur sich vollkommen bestandig sind und vermutlich nur durch allmshlichen Platzwechsel der Gitterbausteine miteinander reagieren.

Von allen diskutierten Konstitutionsmoglichkeiten fur das Tl,SO, ist die Formulierung T1,S . 2 T1,S03 also die einzige, bei der keine Wider- spriiche zu den experimentellen Ergebnissen auftreten und die daruber hinaus alle beobachteten Erscheinungen zu erklaren gestattet. Es darf daher als weitgehend gesichert gelten, dalj das Tl,SO, die Konstitution einer Additionsverbindung T1,S * 2 T1,S03 hat.

Im weiteren Verlauf der Untersuchungen sol1 versucht werden, dieses Ergebnis durch eine Kristallstrukturbestimmung und auf rontgen- spektrographischem Wege weiter zu unterbauen .

Die Arbeit wurde durch Gewahrung von Forschungsbeihilfen aus ERP-Mitteln und seitens der Gesellschaft von Freunden der Technischen Universitat Berlin gefordert. Der Duisburger Kupferhiitte sei wiederum fur die uberlassung von reinstem Thallium gedankt.

Berlin-Charlottenburg, Anorganisch-chem,ischas Institut der Tech- nischen Universitat Berlin.

Bei der Redaktion eingegangen am 2. Marz 1957.