Ueber Vergiftung durch Colchicum, Reagens auf Colchicin

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ARCHIV DER PRARII~ACIE. CXXXl. Handes erstes Heft. Erste Abtheilung. 1. Physih, Chemie und prabtische Pharmacie. Ueber Vergiftung durch Golchicum, Reagens anf Golchicin ; von C a s p u r *>. Bei der ungemeinen Seltenhcit des Vorkommens von todtlichen Vergiftungen durch Colchicum musste ein Vor- fa11 der Art, wobei gleichzeitig vier Menschen den Tod fanden, und wclcher sich im Februar vorigen Jahres in Berlin ereignete, um so mehr das grijsste Interesse der Sachkenner, aller unserer hicsigen Chemiker und der- jenigen Aerzte, die sich fur gerichtliche Medicin inter- essiren, erregcn, als dies Gift noch so wenig erforscht ist. Jeden Tag wird es bekanntlich am Krankenbette ange- mandt, jedes Handbuch cler Arzneimittellehre wiederholt uber Herbstzeitlosc und ihr Alkaloid, das Colchicin, wie jcdes Aandbuch der organischen Chemie das wenige dar- iiber Uekannte, und zwar, \vie wir uiis iiberzeugt haben, zum Theil mit densclben Worten, wie die Vorganger, ein Beweis dafur, wie wcnig selbstsfandige Forschungen an- gestellt worden sind. Ja Niemand hat das Colchicin selbst *) Aus C as per's Vierteljahrsschrift fur gerichtliche und offentliche Medicin, 3. Bd. 3. Heft zur Benutrung fiir's Archiv der Phar- macie mitgethcilt. Die Red. Arch. d. Pharm. CXXXLBds. 1. Hft. 1

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ARCHIV DER PRARII~ACIE. CXXXl. Handes erstes Heft.

Erste Abtheilung.

1. Physih, Chemie und prabtische Pharmacie.

Ueber Vergiftung durch Golchicum, Reagens anf Golchicin ;

von

C a s p u r *>.

Bei der ungemeinen Seltenhcit des Vorkommens von todtlichen Vergiftungen durch Colchicum musste ein Vor- fa11 der Art, wobei gleichzeitig vier Menschen den Tod fanden, und wclcher sich im Februar vorigen Jahres in Berlin ereignete, um so mehr das grijsste Interesse der Sachkenner, aller unserer hicsigen Chemiker und der- jenigen Aerzte, die sich fur gerichtliche Medicin inter- essiren, erregcn, als dies Gift noch so wenig erforscht ist. Jeden Tag wird es bekanntlich am Krankenbette ange- mandt, jedes Handbuch cler Arzneimittellehre wiederholt uber Herbstzeitlosc und ihr Alkaloid, das Colchicin, wie jcdes Aandbuch der organischen Chemie das wenige dar- iiber Uekannte, und zwar, \vie wir uiis iiberzeugt haben, zum Theil mit densclben Worten, wie die Vorganger, ein Beweis dafur, wie wcnig selbstsfandige Forschungen an- gestellt worden sind. Ja Niemand hat das Colchicin selbst

*) Aus C as per's Vierteljahrsschrift fur gerichtliche und offentliche Medicin, 3. Bd. 3. Heft zur Benutrung fiir's Archiv der Phar- macie mitgethcilt. D i e Red.

Arch. d. Pharm. CXXXLBds. 1 . Hft. 1

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2 Caspel;

gesehen, mochten wir behaupten, denn wir werden unten mittheilen, wie schwer es dem sorgsamen Bemuhen unse- res geachteten gerichtlichen Experten, Herrn Apotheker S cha ch t , ward, eine Probe des Alkaloids in Deutschland aufzutreiben. Das Gift erregt Erbrechen und Durchfall und kann todten, ja hat in einzelnen Fallen getodtet. Das weiss allerdings jeder Schuler. Aber wie dasselbe todtet, welche Sections - Erscheinungen im Leichnam seine statt gehabte Einwirkung bemeisen, ob ein Reagens dafiir und welches existire? das sind Fragen, die wir keinem Schiiler vorlegen wiirden, denn er wiirde sich vergeblich nach Belehrung dariiber umsehen. In den alltern Handbiichern uber gerichtliche Medicin findet sich zum Theil gar Nichts, zum Theil nur Andeutendes uber Colchicum, nicht vie1 mehr und nur wieder das allgemein Bekannte in den neueren und neuesten Compendien und Sammelwerken. Ich halte es aus diesen Griinden fir eine Pflicht, jene vier Falle hier ausfiihrlich zu schildern, die bei Gelegen- heit der gerichtl ichen Obductionen der Leichen (welche, wie gewWnlich, unter den Augen einer grossen Anzahl unse- rer Herren Zuhorer, meist praktische Aerzte, vorgenommen wurden), und eben deshalb so genau beobachtet worden sind, wie kein anderer bisher vorgekommener Fall, und an deren Erforschung von chemischer Seite sich die hie- sigen beriihmtesten Chemiker mehr oder weniger werk- thatig betheiligt haben. Zur Vergleichung wird es zweck- massig erscheinen , wenn ich zuvorderst die wenigen zerstreuten, mir bekannt gewordenen Falle anfiihre *).

Ein gesunder, athletischer Mann von 30 Jahren hatte etwa 1 Unze Tinct. Sem. CoL chi& Ph. Bomss. - genau das Praparat unserer Falle - verschluckt. 5 Stunden nachher klagte er : Beklemmung in der Cardia, Zusammenschniiren in der Brust, beschwer- tes Schlingen und Athmen, starkes Rrennen im Munde;

A. Fall von A n d r a e **).

*) Hier sind nur die wichtigsten Fillle aufgenommen. D. R. **) Frank, Magazin fur phys. und klin. Araneimittellehre. Leipzig

1045. 6. 42.

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iiber Vergiftung durch Colchicunt. 3

bald darauf Frost mit Hitze wechselnd, und stiirmisches Erbrechen und Durchfall. 18 Stunden spiiter fand der consultirte Arzt bleiches, eingefallenes Gesicht, contrahirte Pupillen, Angst ausdriickende Physiognomie, fortdauernd erschwertes Schlingen und Schmerzen langs der Speise- rohre. Magengegend und Bauch wohl heiss, aber nicht aufgetrieben, nicht schmerzhaft beim Druck. Die Stuhle, ohne Tenesmus, fast orangegelb, schleimig-wasserig, nicht faculent, mit grossen hellgelben Flocken vermischt. Dabei unloschbarer Durst, zusammengezogener krampfhafter Puls von einigen 80, und andauernde Besinnung bis zum Tode, 39 Sunden nach der Vergiftung. - Sec t ion 29 Stunden spiiter. Sie ergab Folgendes : ruhige Ziige ; ungemein vie1 Daimgas. Der Bauchfell- Ueberzug der Darme zeigte braunliche Flecke, stark injicirte CefAsse. Die Darm- schleimhaut bedeutend entziindet, desto mehr, je niiher am Magen, dabei aufgelockert und mit Anschwellung ihrer Driisen. Die Darmcantenta waren wie die Stuhle beschaffen. Das Gekrose entziindet und seine Gefasse, wie die grossen Bauchvenen von schwarzem Blute strotzend. Am dreifach vergrosserten (?) Magen zeigte sich der Bauchfell-Ueberzug noch saturirter, mit einzelnen dunkelrothen Flecken. Er enthielt eine hochst bedeutende Menge Gas und 3 Tassen einer gelblichen, ubelriechenden Fliissigkeit. Seine Schleim- haut war dunkelroth, fast braun, jedoch nicht ecchymosirt und sehr verdickt. Die Baucheiiigeweide waren gesund. Ich bemerlre hierbei, dass der Tod am 1. November er- folgt war, dass also 29 Stunden spater gefundenc Leichen- erscheinungen noch nicht fiiglich auf Rechnung der Fhl- n iss geschrieben werden konnten.

I3. Fall von Santlus"). Am 27. Mai 184.5 Abends hatte ein vierjahriger Knabe Semina Colchici genossen. Am andern Mittag fand der Arzt: Sophor, beschleunigte Respiration, hippokratisches Gesicht, starre, wenig envei- terte Pupillen, den Bauch hart, gespannt, empfindlich,

*) Prank, Mag. Leipzig, 1847. II. 8. 393.

1"

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4 Casper,

und ein Druck darauf erweckte den Kranken. Im Stuhl 1 Essloffel voll Samen. Der Knabe liess vie1 Urin und klagte iiber Schmerzen in Waden und Beinen. E r erbrach blassgriinlichen Schleim, hatte einen kleinen, zusammen- gezogenen Puls, trockne Haut, einen, bis auf die kiihlen Extremitiiten, heissen Korper, allgemeine Abgeschlagen- heit, unausloschlichen Durst, und starb ruhig nach etwa 30 Stunden. Die Sec t ion zwei Tage spater fand: blei- ches Gesicht, beide Augen geohet, die Pupillen erwei- tert, den Bauch sehr aufgetrieben, die aussere Flache des D a m s gerothet. An der Czirvatura major waren sammt- liche Magenhaute erweicht, und hier und da Kreutzer- bis Thalergross durchlochert, ,,die Riinder zerfressen, und von iiber die ganze innere Magenflgche sich erstreckender rothlicher Farbung. Die ganze Magen-Schleimhaut war aufgelockert und leicht abzustreifen ; in der Pfortnergegend 2-3 Theeloffel einer blassrothlichen, geruchlosen Fliissig- keit, die sich auch im Darmcanal fand. Die Diinndarm- Schleimhaut war gerothet, aufgelockert, erweicht. Brust und Kopf wurden nicht geoffnet.

C. Wir lassen nunmehr unsere eigenen Falle folgen, die vier kraftige und gesunde Schumacher, zwei Gesellen und zwei Lehrlinge, betrafen. - Diese Menschen hatten am 20. Februar v. J, von dein Boden eines hiesigen Artz- tes, auf welchem Arzneimittel, Pflastermassen, Pillen und Fliiesigkeiten standen, eine Korbflasche mit einer braunen Fliissigkeit gestohlen, die sie nach Geruch und Geschmack fiir bittern Schnaps (,,Hamburger Bitter") hielten, und jeder sol1 ungefahr ein Weinglas davon getrunken haben. Auch der Braut des einen Gesellen wnrde zugeredet, da- von zu trinken. Diese trank aber, des ihr zu bittern Qeschmackes wegen, nur einen kleinen Schluck, und kam mit einem inehrstiindigen Erbrechen und Laxiren davon. Desto schlimmer erging es den vier Andern. Leider! constirt aus den jetzt wieder vor mir liegenden Acten der Voruntersuchung, die nicht weiter fortgesetzt wurde, nach- dem ermittelt worden, dass Niemandem die Schuld an

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iiber Ve.r.giftung durch Colcliicum. 5

dem Tode der Vergifteten beigemessen werden konne, wenig oder Nichts iiber die Erscheinungen der kurzen Krankheiten. Der Geselle S ch on f e 1 d starb schon an demselben Abend nach der Vergiftung, nachdem er als- bald daranf nach der polizeilichen Anzeige ,,heftige Diar- rhoe und Erschlaffung der Extremitaten" (!) bekommen hatte. Ueber die Krankheit des lgjahrigen Lehrlings Miiller, der am 22. Abends starb, vermag ich gar nichts Authentisches anzugeben; dem Vernehmen nach sol1 er bis zum Tode anhaltend gebrochen und laxirt, iiber hef- tige Schmerzen im Leibe geklagt haben, und bei Besin- nung geblieben sein.

Den i5jahrigen Lehrburschen Habisch fand ein am 21. Abends 10 Uhr hinzugerufener Arzt ,,in einem lah- mungsartigen Zustande, jedoch bei vollstindiger Beain- nung'l, und ordnete dessen sofortige Absendung nach dem Charit&-Krankenhause an, wo der Kranke um Mitternacht anlangte. Gleich nach der Aufaahnie bot derselbe nach dem amtlichen Krankenjournal, dem ich das Wesentliche im Folgenden wortlich entnehme, folgende Symptome dar: ,Verminderung der Korperwarme an den Extremitiiten, Puls von schlechter Qualitllt zwischen 80 - 90 Schliigen. Aussehen des Kranken sehr leidend, Gesichtsfarbe sehr bleich, Lippen wenig gerothet, Zunge von norrnaler Be- schaffenheit. Leib eingefallen, die Magengegend spontan und beim Druck empfindlich. Sensibilitiit und Motilitiit normal, weder Lahmungs - noch Krampfzufalle irgendwo sichtbar. Patient verrath durch seinen Gesichtsausdruck grosse Qualen; er lag mit adducirten Oberschenkeln. Auf Befragen gab er an, von einer braunen Fliissigkeit, die nach Rum geschmeckt, genossen zu haben. Ausserhalb der Anstalt will er vie1 gebrochen und laxirt haben; noch jetzt verspiirte er fortwahrend Brechneigung, fiihlte sich sehr matt und hatte heftige Leibschmerzen. Das Bemusst- sein war vollstandig klar. An den Pupillen war nichts Abnormes wahrzunehmen." Er erhielt eine Emulsion. Am andern Morgen: ,,Patient hat die Nacht sehr unruhig

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6 Casper,

zugebracht, sich vie1 hin und her geworfen und gar nicht geschlafen, ist auch einmal aufgestanden und hat sich aus eine? Icruge Wasser geholt. Erbrochcn hat er hier nicht mehr, aber Stuhlgang wiederholt unter sich gemacht. Als am Morgen seine Verlegung nach der Rlinik geschehen sollte, hatte er bereits ganz collabirte Zuge, einen kaum fiihlbaren und nicht mehr ziihlbaren Puls und ganz lralte Extremitaten. In einein soporiisen Zustande starb er Mor- gens gegen 9 Uhr."

Auch der vierte, der 44jiihrige Geselle Thein, wurde, nachdcm er ebenfalls gleich nacli dein Genusse der Flus- sigkeit erkrankt war, zur Charit6 gesandt. ,,Patient") heisst es im Journal, ,,ging in den Vormittagsstunden des Slsten der Anstalt zu. Es ist ein miissig kraftiges Indivi- duum mit auffallender Bliisse des Gesichts und der sicht- baren Schleimhaute, tief liegenden, niatten Augen. Der Gesichtsausdruck ist ein ungemcin leidender, starker Col- lapsus. Die Haupttemperatur ist etwas vermindert, die Haut fiihlt sich feucht-klebrig, ahnlich der Haut eines Cholerakranken, an. Der Puls von 89-90 Schlagen ist klein und von elcnder Beschaffenheit. Der Kopf ist voll- kommen frei; keine Spur von Delirien. Motilitat und Sensibilitat uberall normal ; weder Zeichen von Lahmung noch von Kriimpfen sind bemerkbar. Die normal weiten Pupillen reagiren urigestiirt gegen Lichtreiz. Die Zunge ist nicht abnorm. Der Leib ist eingefallen, wenig sclimerz- haft bei stk-kerem Druck." Der Kranke erhielt Dower- sche Pulver und GerbsKure in Schleim. Ueber die Ent- stehung seiner Krankheit inachtc er zuerst, ohne Zweifel urn seinen Diebstahl zu verbergen, lugenliafte Angaben. Angeblich nach einer starken Abendinahlzeit am 20sten Abends sei ihm sehr unwolil geworden, er habe heftige Magenschmerzen und Erbrechen bekommen, das sich in der Nacht sechsmal wiederholt habe, wozu sich auch dunne Stuhlgiinge gesellt hbtten. ,,Die letzten hier erfolg- ten Stuhrginge waren gelb, blutig und dunn. In der Nacht hat Patient noch einige Male weisslich-grau-ti-iibe

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iiber Vergiftulig durch Colchicum. 'I

Fliissigkeit gcbrochcn und inehrere rulirai-tige Stuhlgange gehabt. Am Morgen des 22sten hatte er 108 kleine, kaum fiihlbare Pulse, die zugleich unregelmassig und intermittirend waren. Die Temperatur war an den Extre- mitaten vermindert, der Leib beim Druck wenig schmerz- haft, die Zunge nicht gerothet, nicht geschwollen, das Epithelium nicht verletzt, die Stimme unverandert. Von Muskelcontracturen keine Spur. Harnverhaltung seit 24 Stunden, ohne strotzende AnWlung der Blase. Kein Schlaf, kein Appetit, vie1 Durst, grosse Erschopfung. Keine Empfindlichkeit in der Magengegend. Kopfschmer- Zen, die schon die ganze Nacht angedauert hatten, mach- ten kalte Umschlage nothig. Vollstandiges Bewusstsein. Urn 13/4 Uhr verschied Patient unter den Erscheinungen von Erschopfung.

Die Leichenofiungen dieser vier Vergifteten waren ausserst interessant und lehrreich, nicht nur wegen der ungemeinen Seltenheit gerade dieser Vergiftungsfalle, son- dern auch, weil wir mit Einem Ueberblick eine Verglei- chung einer VerhaltnissrnIssig so bedeutenden Anzahl von unter ganz gleichen Umstiinden und ohne Zweifel mit demselben Gifte (Praparate) Vergifteter anstellen konnten, wozu die Gelegenheit bei Colchicuni-Vergifteten noch nie sich dargeboten hatte, wie sie denn ja auch bei andern Vergiftungen nur hoclist selten vorkommt. Im Uebrigen hatten unsere Obductionen in Betreff des zu gewinnenden Resultates noch den zufalligen Vonug, dass sie ganz frische Leichen betrafen, so dass, was wir fanden, unter keinen Urnstinden (wie so haufig) mehr oder weniger dem Verwesungsprocess zuzuschreiben, vielmehr die Beobach- tungen ganz reine waren.

Die Sectioiien wurden hintereinander schon am 23sten Februar verrichtet. Mit Uebcrgehung aller Formalien und unwesentlichen Befunde (Lange, Farbe der Haare u. s. w.), wie sie in den gerichtlichen Obductions-Protokollen nicht fehleii diirfen, gebe ich aus denselben im Folgenden nur das Wesentliche wieder.

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8 CaspeT,

I. Schonfeld. 1. Der wohlgenlihrte Korper ist etwa 30 Jahre alt. 2. Die Farbe ist (wie sie es bei allen vier Leichen

war) die gewohnliche Leichenfarbe. 3. Da Verdacht auf Vergiftung vorhanden, so wird

der Magen mit dem Zwolffingerdarm kunstgeniass unter- bunden und herausgenommen. Der Magen, der an sei- ner iiussern Flache nur netzartig entwickelte Blutgefasse zeigt, ist strotzend mit einer griinlichen Fliissigkeit an- geftillt , welche zur Untersuchung zuruckgestellt wird. Es enthalt derselbe noch einige Kartoffelreste. Die innere Flache des Magens zeigt ein gleichformiges scharlach- rothes Aussehen, in welchcm einige Gefassentwickelungen nicht bemerkbar sind. Auffallige Korner und dergleichen sind im Magen nicht zu bemerken. Die Magenflussigkeit reagirt deutlich sauer.

4. Die Leber, deren Gallenblase leer, ist gesund. 5. Die Milz und Bauchspeicheldriise bieten nichts

6. Netze und Gekriise sind wenig fettreich. , 7. Die Diinndirme zeigen auf ihrer Aussenflache

zahlreiche rosenrothe Flecke. Ihre Schleimhaut reagirt gleichfalls sauer und bietet sonst nichts zu bemerken. Sie sind mit der schon beschriebenen Flussigkeit gefiillt. Die Dickdarme sind leer.

8. Die Nieren sind ungewohnlich blutreich. 9. Die Harnblase enthalt einen Essloffel voll Urin,

welcher sauer reagirt. 10. Die aufsteigende Hohlader ist mit einem sehr

dickflussigen dunkelkirschrothen Blute stark angefidlt. 11. Die gesunden Lungen sind nicht besonders blut-

reich. 12. Im Herzbeutel befindet sich die gehorige Menge

Fliissigkeit. Das gewohnlich grosse Herz, dessen Icranz- adern nicht besonders gefiillt, enthalt in seincr linken Halfte sehr werkg, in seiner rechten dagegen strotzend vie1 von dem ‘schon beschiiebenen Blute.

zu bemerken.

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iiber Ve~gi f t z ing durch Colcliz’cum. 9

13. Die Speiserohre wird nach kunstmassiger Unter- bindung herausgenommen. fire aussere Oberflache bie- tet nichts zu bemerken, eben so wenig ihre innere; die- selbe ist leer.

14. Die grossen Gefassstiimme enthalten nicht uber- massig viel Blut.

15. Kehlkopf und Luftrohre sind leer, und in jeder Beziehung natiirlich.

16. Die blutfuhrenden Gehirnhaute sind sammtlich strotzend geftillt.

17. Auch die Substanz des grossen Gehirns ist uber- all ganz ungewohnlich blutreich.

18. Das kleine Hirn ist normal. 19. Sammtliche Sinus enthalten viel von dem schon

Sie wird mit dem Magen zuriickgestellt.

geschilderten Blute. II. Muller.

1. Der 14 bis 15 Jahre alte kraftige Korper hat tief zuriickgesunkene, offen stehende blaue Augen, blaulicha Lippen, und liegt die Zunge hinter den vollstiindigen Ziihnen.

2. Da Verdacht auf Vergiftung vorhanden, so wird der Magen mit dem Zwolffingerdarm nach vorschrifts- massiger Unterbindung herausgenommen. An seiner klei- nen Curvatur sind die Blutgefasse strotzend gefillt. Der ganze Magen ist vollkommen durch eine schwachblutige, sehr schwach sauer reagirende Flussigkeit gefullt, welche bei Seite gestellt w i d Seine innere Flache ist Mass, mit Ausnahme seiner hintern Wand, die fast gam mit kleinen purpurrothen Flecken bedeckt ist. Der Magen wird zuriickgestellt.

3. Die normale Leber ist ziemlich blutreich, die Gallenblase sehr stark gefiillt.

4. An Milz, Punmeas, Netzen imd Gekrosen ist nichts zu bemerken.

5. BeideNieren sind ungewohnlich starkmitBlut geftillt. 6. Die Darme haben ein normales Ansehen und

sind leer.

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10 Casper,

7. Die Harnblase ist strotzend gefullt; der Ham rea- girt sliuerlich.

8. Die aufsteigende Hohlader ist niit einem sehr dick- flussigen dunkeln kirschrothen Blute ganz angefdlt.

9. Die vollkommen gesunden Lungen sind nach ihrem Blutgehalt normal.

10. Im Herzbeutel befindet sich wenig Serum. Die Kranzadern des Herzens sind stark, seine rechte Halfte auffallend strotzend, seine linke ziemlich stark mit dem schon beschriebeneii Blute angefullt.

11. Gleiches gilt von den grossen Blutaderstammen. 12. Die unterbundene Speiserohre ist leer und %US-

13. Luftrohre und Kehlkopf sind leer und normal. 14. Die blutfiihrenden Hirnhaute sind auffallend stark

1.5. Auch die Substanz des grossen Gehirns ist iiber-

16. Das kleine Gehirn ist normal. 17. Die Siuiis sind mit dem schon beschriebenen

serlich wie innerlich normal. Sie wird zuriickgestellt.

geftillt.

all auffallend blutreich.

Blute stark angefiillt.

III. Habisch. 1. Der etwa 16 Jahre alte kriiftige Korper hat tief

zuriickgezogene und deshalb offene braune Augen, und liegt die Zunge hinter den vollstandigen Zahnen.

1. Der Magen wird nach vorschriftsmiissiger Unter- bindung herausgenonimen. Er ist fast ganz mit einer gelblichen, sauer reagirenden Flussigkeit gefullt, welche bei Scite gestellt wid. Seine %ussere Flache ist, wie die innere, normal zu nennen. Die Schleimhaut lasst sich an der obern MagenBffnung leicht init dem Finger ab- streichen.

3. Die Leber ist nur massig init Blut gefullt, die Gallenblase voll.

4. Die Bauchspeicheldriise, Milz, Netze und Gekrose bieten nichts zu bemerken.

Der Magen wird gleichfalls zuriickgestellt.

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iiber T7er@ftzing durch Colclticunz. 11

5. Die Harnblase strotzt von einem sauerlich rea-

6. Beide Nieren sind stark mit Blut gefiillt. 7. Der leere Darmkanal zeigt nichts Auffallendes. 8. Die aufsteigende Hohlader ist wurstartig, mit eincm

sehr dickflussigen dukkelkirschbraunrothen Blute gefiillt. 9. Die Lungen sind massig blutgefiillt. 10. Im Herzbeutel befindet sich fast kein Serum.

Das Herz zeigt massige Anfiillung seiner Kranzadern) da- gegen durchaus strotzsnde Anfullung seiner rechten und massige Anfullung seiuer linken Halfte mit dem schon beschriebenen Blute.

11. Auch die grossen Aderstamme sind sehr stark

12. Kehlkopf und Luftrohre sind leer und normal. 13. Die Speiserohre wird nach ihrer Unterbindung

Sie ist llusserlich

14. Auffallend ist die strotzende Anfiillung der blut-

15. Auch die Substanz des grossen Gehirns ist un-

16. Das kleine Gehirn ist normal. 17. Die Sinus sind ungewohnlich blutgefillt.

girenden Harn.

gefiillt.

herausgenommen und zuriickgesetzt. und innerlich normal.

fibrenden Hirnhaute.

gewohnlich blutreich.

IV. Them. 1. Der einige 40 Jahre alte, 5 Fuss 3 Zoll grosse

kraftige Korper hat zuriickgezogene offene blaue Augen und lie@ die Zunge hinter den unvollstindigen Zahnen.

2. Der Magen, nach vorschriftsmassiger Unterbindung herausgenommen, ist vollkoinmen mit einer, wie gekAste Milch aussehenden, sehr sauren Fliissigkeit angeftillt j die Blutgefasse an den beiden Kriimmungen sind stark ge- fiillt. Seine aussere und innere Flache bietet sonst nichts Auffallendes dar. Der Magen wird zuriickgestellt.

3. Die Milz ist normal beschaffen. . 4. Ebenso die Bauchspeicheldriise, und

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12 Casper,

5. Netze und Gekrose. 6. Die gesunde Leber ist ziemlich blutreich, die

7. Die bleichen Darme sind leer. 8. Die Nieren sind ungewohnlich mit Blut angefillt. 9. Die Harnblase ist mit einem sauer reagirenden

Urin halb gefiillt. 10. Die aufsteigende Hohlader ist wurstartig mit

einem sehr dickflussigen dunkelkirschrothen Blute gefiillt. 11. Die Lungen sind durch feste Verwachsungen mit

den Rippen verklebt. Sie sind odematos, wenig blutreich. 12. I m Herzbeutel findet sich fast kein Wasser. 13. Das Herz enthalt in seinen Kranzadern wenig,

in seiner linken Halfte miissig vie1 von dem beschriebe- benen Blute, rnit welchem seine rechte HiUte strotzend mgefiillt ist.

14. Kehlkopf und Luftrohre sind leer und normal. 15. Die unterbundene Speiserohre wird herausgenom-

Sie ist auf ihrer liussern wie

16. Die blutfiihrenden Hirnhaute sind auf eine un-

17. Die Substanz des Gehirns ist auffallend blutreich. 18. Dasselbe gilt von sammtlichen Sinus.

Gallenblase gefullt.

men und zuriickgestellt. innern Flache normal.

gewohnliche Weise mit Blut angefullt.

Wenn wir fragen, was diesen vier Fallen an wesent- lichen Befunden gerneinschaftlich, was resp. unter ein- ander abweichend war, so ergiebt sich Folgendes :

1. Gemeinschaftlich waren und diirften d e s h a l b wohl als cons tan te Leichenbefunde f e r n e r h i n zu bet rachten sein: a) Der keineswegs ungewohnlich schnelle Uebergang in Venvesung, wie er so oft in den Handbuchern, als wenn er niemals fehlte (!), als charakteristisch bei allen Vergiftungen gcnannt wird. Nur eine Leiche zeigte schwach grunliche Farbung der Bauch- decken (H aL i s ch, der 28 Stunden vorher gestorben war),

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iiber Vergifung clurch Colcl~icum. 13

die Andern auch nicht einmal dieses friiheste aussere Zei- chen der wirklichen Verwesung. b) Die saure Reaction der Magedussigkeiten und des Urins. Ich muss die Erkla- rung dieser Erscheinung der organischen Chemie uber- lassen. c) Die in allen vier Leichen vollkommen iden- tische Beschaffenheit des Blutes, das dickflussig und dun- kelkirschroth war. Ich habe indess eine ganz ahnliche Blutbeschaffenheit auch nach andern Vergiftungen, nament- lich nach Schwefelsiiure gefunden *), und rathe deshalb, a d dies Zeichen a l l e i n nicht zu vielen diagnostischen Werth zu legen. d) Die hochst auffallende Hyperiimie in der aufsteigenden Hohlader, wie man sie sonst nur bei exquisiten Fallen von Erstickungstod vorfindet, der aber hier bei keinem Einzigen vorlag. e) Die erhebliche Blutmenge in den Nieren. f) Die mehr oder weniger bei allen Vieren geftillte Harnblase, die wenigstens in keiner der Leichen ganz leer gefunden ward. g) Die Abwesen- heit einer Leber-Hyperamie, wie die Sectionsbefunde oben nachgewiesen haben. h) Die hyperamische Anfiillung dagegen des rechten Hewens, wogegen wieder i) constant bei Allen die Lungen nicht besonders iiberfiillt gefunden wurden. Constant endlich war Ic) die Blutiiberfiillung im grossen Gehirn.

2. Abweichende Befunde dagegen lieferten a) vor Allem, was am merkwiirdigsten und bedenklichsten ist, der Magen, der in Betreff seiner Membranen und Geftisse so wenig, wie in Betreff seines Inhalts auch nur bei Zweien sich ganz gleich verhielt, was man doch hier, wo gewiss caetera paria waren, hatte erwarten sollen. Bei Schonf e 1 d netzartig entwickelte Blutgefasse an seiner Aussedache, gleichformiges scharlachrothes Aussehen der Schleimhaut, also achte Entzundung j bei M tiller: stro- tzende Anfiillung der Blutgefasse an der kleinen Curva- tur, die innere Flache aber ganz blass, und nur die hin- tere Magenwand mit purpurrothen Fleclren, kleinen Ecchy-

*) S. gerichtl. Leichen-Oeffnungen. Erstes Hunde1.t. 3. Aufl. S. 118.

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14 Casper,

mosen, bedeckt, wie sie nach rein narkotischen Vergif- tungen nicht selten gefunden werden, also Stasre, nicht Entziindung ; bei H a b i s ch : ganz normale Farbung aus- sen wie innen; das leichte Abstreifen der Schleimhaut war unstreitig schon Leichensymptom - und bei T h e m ein eben so normaler Magen, nur mit starker Anfullung der Blutgefasse an den Curvaturen. Dass bei dem, Eisen wirkliche Gastritis, sogar mit einer beginnenden meritis, aufgetreten war, mochte in individuellen Verhaltnissen seinen Grund gehabt haben; viclleicht auch darin, dass er am meisten von dem Gifte genossen. Die letztere Annahme scheint durch die Thatsache gerechtfertigt, dass gerade dieser Vergiftete am friihesten von allen Vieren, und zwar schon wenige Minuten nach demTrunk gestor- ben war. Die Entstehung von Extravasaten im Magen nur bei Einem, und die mehr oder weniger starke An- fullung der Magenvenen liessen sich wohl durch die Annahme eines heftigeren und haufigeren, resp. weniger stiirmischen Erbrechens erklaren. Jedenfalls zeigt der vierfach verschiedene Befund im primlr ergriffenen Organ, wie in Vergiftungsfiillen auch individuelle Accidentien ihre Rolle spielen, und fordert zur Vorsicht auf. Vol- lends individuell nur kann die verschiedene Beschaffen- heit des Mageninhaltes in den vier Leichen gewesen sein: grunlich (gallicht), schwachblutig, gelblich (gallicht), gekiist-milchig, was keines weiteren Beweises bedarf. - b) Gleichfalls als nur zufdlige Abweichung kann das bei Allen verschiedene Maass der Anfiillung der Gallenblase gelten, das wohl seinerseits wieder mit dem mehr oder weniger hiiufigen Erbrechen der Kranken zusammenhangt. Beriicksichtigt man diese zufklligen und individuellen Ver- scliiedenheiten und die Verschiedenheiten der Ausdrucks- weiee der verschiedenen Obducenten, so wird man in den besser beobachteten wenigen, obigen fremdeu Fiillen, von denen eine etwas genauere Sectionsgeschichte vorliegt, als von der Mchrzahl derselben, eine Analogie rnit der unse- rigen nicht verkennen, wie eine Vergleichung Jedem ergcbcn wird.

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aber Vergiftung durch Colchicum. 15

Die schwierigste Aufgabe dem Gerichte gegenuber blieb nach diesen Legal-Obductionen nun noch zu losen: der Nachweis des Giftes in dem Inhalte der Leichen, welches, nach allen Umstiinden zu schliessen, hochst wahr- scheinlich e i n e der officinellen Colchicum - Tincturen gewesen war. Aber wer hat bisher eine Colchicum-Ver- giftung chemisch nachgewiesen ? Welche sichere Rea- gentien fiir Colchicin hat man entdeckt ? Unsere beruhmten hiesigen Chemiker stutzten, als wir sie um ihre Meinung ba- ten. Nicht einmal der Stoff selbst, das Colchicin, um Versuche damit amustellen, war in Berlin aufzufinden. Urn SO mehr mussten wir, zunachst die amtlich Beauftragten, unser ge- wandter, gewissenhafter und tuchtiger vereidigter Chemiker, Herr Apotheker Schacht und ich, angespornt werden, we- nigstens das Mogliche zu erreichen, und wie dies geschehen, dafiir will ich zunachst Hrn. S chach t selbst sprechen lassen :

,Es wurden uns zur gerichtlich - chemischen Unter- suchung iibergeben :

1) in 4 Glashafen die Magen u. s. w. der vier Ver-

2) der Mageninhalt; 3) Erbrochenee von Einem der Vergifteten; 4) Stuhlgang desgleichen; 5) der vorhandene Rest der giftigen Flussigkeit;

mit dem Auftrage, festzustellen, was fiir ein Gift die gei- stige Flussigkeit ad 5) enthalte, und ob dasselbe in den iibergebenen Korpertheilen nachzuweisen sei.

Die verdiichtige Flussigkeit war von braunlich-gelber Farbe, wasserhell ; der Geruch zwar rein geistig, doch mit einem eigenthiimlichen oligen Beigeruch, der indess nichts Fuseliges hatte ; der Geschmack zuerst, jedoch schnell vortibergehend, -etwas susslich, dann anhaltend bitter und etwas scharf, doch nicht brennend auf der Zunge. Spec. Gewicht = 0,913 (bei 140R.). Von einem Gehalt an schadlichen metallischen Substamen war keine Spur auf- zufinden. Nach Farbe, Geruch und Geschmack erkann- ten wir die zu untersuchende Fliissigkeit als die officinelle

storbenen ;

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10 Casper,

Tinct. sern. Colchici; die aus vier hiesigen Apotheken ent- nommenen Tincturen waren mit der in Frage stehenden durchaus iibereinstimmend und differirten nur im spec. Gewicht urn 9 in der dritten Decimalstelle.

Bevor wir den Versuch machten, aus der Tinctur das Colchicin, den wirksamen Bestandtheil der Herbstr zeitlose, abzuscheiden, schien es uns nothwendig, die chemischen und physikalischen Eigenschaften desselben an der reinen Substanz genau kennen LU lernen. Nach vielen vergeblichen Anfragen erhielten wir von dem Apo- theker J. Miiller in Breslau, der sich in letzter Zeit vielfach mit der Darstellung der selteneren Pflanzenalks- loide beschaftigt hatte, etwa 20 Gran eines geruchlosen, gelblichen, amorphen Pulvers, das sich leicht in Wasser und Weingeist, etwas schwieriger in Aether loste; die Losung in Weingeist oder in Aether trocknete firnissartig ein. Der Geschmack des Pulvers war sehr bitter, etwas scharf, jedoch nicht brennend. Die wasserige Losung gab mit Tanninlosung einen weissen, voluminosen, in Alkohol loslichen Niederschlag, mit Jodtinctur einen ker- mesbraunen, rnit Platinchloridlosung einen gelben Nieder- schlag. Concentrirte Salpetersiiure loste die Substanz mit violetter Farbe auf; concentrirte Schwefelsaure erzeugte eine dunkelgelbe, nach und nach schmutzig - griin wer- dende Farbung. Herr Apotheker M ii 11 e r bemerkte, dass es ihm nicht habe gelingen wollen, das Colchicin farblos und krystallisirt darzustellen, dass er vergebens in den beriihmtesten Alkaloiden - Sammlungen nach Colchicin ge- sucht habe*), dass das iibersendete Alkaloid aus den Samen der Pflanze dargestellt sei und dass er aus 1 Pfd. Samen nur 5 Gran erhalten habe. Er bezweifelte, dass ausser G e i g e r und H e s s e , die das Colchicin euerst rein dargestellt und es als ein weisses krystallinisches Pulver beschrieben haben, sich irgend Jemand mit der Bereitung dieses Alkaloids beschaftigt habe, und meinte,

*) So ist es auch mir in einer hiesigen Sammlung ergangen. C.

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%her Vergiftung durch Colchicum. 17

aass die Angaben in den verschiedenen Lehrbiichern da- her lediglich m s derselben Quelle herriihrten.

Wir versuehten nun, das Colchicin aus der als Tinct. %em. Colchici erkannten Fliissigkeit nach der von S t a s angegebenen Methode darzustellen. Zu diesem Zwecke w r d e n 2 Loth der Tinctur bei sehr gelinder Warme zur Syrupsdicke verdunstet iind der Riickstand mit durch Wein- skure angesiiuertem absolutem Alkohol mehrfach ausge- zogen. Die filtrirten Ausziige wurden wiederum in ge- lindester Warme eingedampft und der erkaltete Riickstand mit so vie1 destillirtem Wasser aufgenommen, dass eine Filtration der Losung moglich wurde. Hierbei schied sich fetteilOeb ab. Das etwa 2 Drachmen betragende Filtrat wurde 'durch doppelt-kohlensaures Natron gesattigt, das vierfache Volumen Aether und dann noch ein wenig Aetmatronlauge zugesetzt und anhaltend geschtittelt. Der abgegossene Aether hinterliess nach freiwilligem Verdun- aten einen geringen gelben, firnissartigen Ruckstand, der sehr bitter ~d schm-4 jedoch nicht brennend schmeckte, in Wasser und Weingeist loslich war und dessen wSisse- rige Losung dieselben Reactionen zeigte, wie die Auf- losung des Muller'schen Colchicins.

Nachdem durch siimmtliche Versuche ausser Zweifel gestellt war, dass die giftige Flussigkeit die officinelle Zeitliisensamcn-Tinctur sei, wurde uns von dem Konigl. Criininalgerichte ein FlBschchen (No. 5.), welches sich in der Wolinung des bestohlenen Arztes vorgefunden haben sol1 und mit ,,Tinctuva senzinis Colchici" und einer Ge- brauchsanweisung etiquettirt war, mit dem Auftrage uber- sen8dti, festmstellen, ob die darin enthaltene Fliissigkeit mit dem Originalgift idcntisch sei. Der Inhalt des Flgsck- chens bestand aus beinahe 3 Drachmen einer klaren, briiunlich - gclben Flussigkcit, die in nllen ihren Eigen- scliaften vollst%ndig mit der officinellen Tinctur uber- einkain.

Zur Losung des zmeiten und wichtig3ten Theilcs der uns gemordenen Aufgabe, das erkannte Gift in den Leich-

Arch. d. Phsrin. C'XXXI.Bds. 1.Hft. 2

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18 Caqer,

n m e n nachzuweisen, beschlossen wir, mit der Unter- suchung des Mageninhaltes (ad 2.) zu beginnen. Nach; dem die Abwesenheit schadlicher metallischer Substamen festgestellt worden war, wurden 2 Drittheile des Magen- inhaltes mit absolutem Akohol vermischt, colirt und bei sehr gelinder Warme zur Syrupsdicke verdunstet. Den Riickstand mischten wir mit dem Colir-Ruckstand, zogen das Gemisch mit durch Weinsaure angesiiuertem abso- lutem Alkohol aus und verfuhren im Uebrigen wie bei der Untersuchung der Tinctur. Nach der Untersuchung des Aethers hinterblieb ein geringer gelblicher, klebriger Riickstand, von stark bitterem, etwas schadem Gemhmack, der sich in Wasser und Weingeist loste uhd dessen was- serige Losung sich gegen die genannten Reagentien wie eine Losung yon Colchicin verhielt.

Dagegen gelang es nicht, in dem Erbrochenen (ad 3.) irgend welche Spuren von Colchicin nachzuweisen ; wir verzichteten deshalb auch auf eine Untersuchung des Stuhlganges (ad 4.), besonders da uber die Zeit der Ent- leerung nichts feststand.U

Nach diesen chemischen Ermittelungen glaubten wir uns dahin aussern zu mussen:

1) dass wir es fiir zweifellos hielten, dass der Inhalt der Flasche No. 5. die officinelle Tinct. sem. Gd- chici sei, ein geistiger Auszug aus dem Herbst- zeitlosen-Samen ;

2) dass weder in dern Inhalte der Flasche No. 5., noch in den Magenfltissigkeiten schadliche metallische Substanzen gewesen seien ;

3) dass in dem Erbrochenen keine Spur von Golchi- cin aufzufinden gewesen;

4) dass aus den Magenflussigkeiten eine geringe Menge einer bittern Substanz abgeschieden worden, die nach ihrem Geschmack und Verhalten gegen Gerb- saure 11. s. w. dem Colchicin sehr iihnlich gewesen.

Mittlerweile hatte noch ein anderer unserer geschatz- testen analytischen Chemiker, der Konipl. Hof-Apotheker

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iiber Vergiftuihg durch Colchicum. 19

Herr Dr. W i t t s t o c k , auf den Wunsch unsers H e i n - r ich R o s e , sich gutigst der Analyse der von uns mit- getheilten Substanzen unterzogen. Ich lasse diesen Be- richt hier wortlich folgea

,Auf Veranlassung des H e m Professors H. R o s e wurde mir durch Herrn Apotheker Schacht ein Flasch- chen, Unze Flussigkeit enthaltend, signirt : ,, wahrschein- lich Tinct. sem. Colchici mit Schnaps vennischtu, d u a h deren Genuss mehrere Personen den Tod fanden, mit dem Ersuchen ubergeben, zu untersuchen, ob diese Flussigkeit wirklich die officinelle Tinct. sem. Colchici sei und ob sich in derselben der wirksame Bestandtheil de8 Colchicum, die organische Base, das Colchicin, nachweisen lasse. ZU gleichem Zwecke wurde mir der Mageninhalt und daa Erbrochene einer am Genusse der oben genannten Tinow verstorbenen Person ubergeben.

Zunachst handelte sich's darum, ob es moglich, aua Unze der officinellen Tinct. sem. Colchici das Colchicin

auszuscheiden, zu welchem Zwecke mehrere Method- durchgefiihrt wurden, jedesmal mit 1j2 Unze Tinctur, enb nommen aus der Konigl. Hof-Apotheke zu Berlin, wobei folgende Methode das beste Resultat gab. Unze Tina- tur wurde unter Zusatz von 4 Tropfen Acet. cmcentr. bsi 300 R. abgedunstet, der Ruckstand in Unze destillirten Waaser aufgenommen und durch Filtriren das fette Oel abgesondert. Dem Filtrat wurden 10 Gran iklugneo. us& hinzugefiigt, damit einige Stunden unter ofterem Schutteln stehen lassen, dann 2 Unzen Aether hinzugesetzt und einige Zeit hindurch gut durchgeschiittelt. Die klar abfiltrirte atherische Flussigkeit liess man an der Atmosphare ab- dunsten, wobei eine wenig gefsrbte, trocken firnissartige durcheichtige Masse zuriickblieb. Da das Colchicin im Wasser loslich ist, so wurde der Ruckstand mit diesem Losungsmittel in Beriihrung gebracht, wobei ein in Alko- hol sehr leicht losliches Fett abgeschieden wurde. Das Filtrat, im Uhrglase bei 300R. bis auf 20 Gran abge- dunstet, hatte einen sehr bittern Geschmack und brachte,

2 *

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20 Caper,

auf die Lippen gestrichen, nach einiger Zeit ein gelindes, lange andauerndes Brennen hervor; G e r b s ii u r el o s un g gab damit einen weissen voluminosen, leicht in Alkohol loslichen, Plat inchlor iddlosung nach kurzer Zeit einen gelben und J o d t i n c t u r einen kermesartigen Niederschlag, alles Reactionen, die das Colchicin anzeigen. Das oben erwahnte Filtrat enthielt mithin unbedingt das Colchicin, doch war es nicht moglich, bei der kleinen Menge des- selben es ganzlich vom Fette zu trennen, da das Fett als fette Same zu der organischen Base wahrscheinlich in chemischer Beziehung stand.

Bevor die mir zugesendete Tinctur auf einen Gehalt an Colchicin untersucht wurde, bestinimte man zuerst das specifische Gewicht derselben j es betriig 0,913, genau dasselbe, wie das der Tinct. sem. C'olchici, die der Konigl. Hof-Apotheke entnommen. Beide Tinctupen hatten die Farbe des MadeiraiWeins, rochen sehr angenehm und bei beiden war der Geschmack anfangs s i b , dann anhaltend bitter. Von beiden Tinctnren wurden je 100 Gran bei einer Temperatur von 300 R. so lange abgedunstet, bis das absolute Gewicht des Ruckstandes constant blieb. Die Tinctur der Konigl. Hof-Apotheke gab 4,610 Gran, die andern 4,153 Gran Riickstand. Die Erscheinungen wah- rend des Abdunstens der Tincturen waren bei beiden ganz gleich ; die Absonderung klnrer, gelbbrauner Oel- tropfen an den Seitcnwanden des Abdampfgefasses und das in der Mitte liegende klare, wie Mel. depur. aussehende Extract liessen eine gleiche Rbstainmung vermuthen. Uni das Oel vom Extract zu trennen, wurden beide gesondert, in der gleichen Menge destillirten Wassers gelost und filtrirt. Die Filtrate reagirten sauer, schmeckten anfangs suss, dann anhaltend bitter und gaben mit Gerbsaurelosung, Platinchloridlosung und Jodtinctur fast genau die NiedeP- schliige, die vom Colchicin angegeben werden. Beide Filtrate, init geringen Mengen verdiinnter Schwefelsiiure oder Salzsiiure versetzt und bei 300 R. nbgedunstet, hinter- liessen dunl-ielgriine, fast schwarze Ruckstande, genau die-

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iiber Veryiftu?ig durch Colchicuna. 21

selbe Erscheinung, wenn eine Zuckerlosung auf dieselbe Weise behandelt wird.

Diese Reaction ist wahrscheinlich vom Zuckergehalte der Sem. Cblchici abhkingig, obschon in den bekannten Untersuchungen derselben niemals davon eine Erwahnung gemacht worden ist.

Alle hier angegebenen chemischen Reactionen und sonstigen Merkmale waren mithin bei beiden Tincturen vollig iibereinstimmend ; der einzige Unterschied bestand nur darin, dam die der Konigl. Hof-Apotheke entnommene Tinctur eine unbedeutend grossere Menge Extract beim Abdunsten derselben gab, eine Erscheinung, die voa der mehr oder minder guten Beschaffenheit des angewendeten Sem. Colchiei, so wie von einer weniger sorgfaltig berei- teten Tinctur abhhgig sein kann.

Es wurde nun die mir xugesendete Fliissigkeit mit der Bezeichnung ,,wahrscheinlich Tinctura sem. Colchin' mit Schnaps vermischtu auf Colchicin untersucht. Da zu den Voruntersuchungen wenig verbraucht worden war, 80

konnte ich noch iiber 3112 Drachmen verfiigen. Die Unter- suchung selbst wurde ganz so ausgefiihrt, wie vorhin be- schrieben und fuge ich im beigehenden Uhrglase den Rest des erhaltenen, wenngleich nicht ganz reinen Colchicins bei, nicht zweifelnd, dass eine geiibte Hand alle Merk- male desselben daran erkennen wird.

U n t e r su chung d e s M a g e n i n h a l t s. Derselbe wurde mit grossen Mengen Alkohol, dem einige

Tropfen Salzsaurc beigemischt waren, gut durchgeschiittelt, die Flussigkeit abfiltrirt und dicsc bei einer Temperatur von 300 R. bis elm diinnen Syrupsdiclre abgedunstet; die- ser Rickstand in destillirtem Wasser gclost, wobei sehr viel Fett abgeschieden wurde, filtrirt, vorsichtig einge- dunstct und dein Riickstande so viel Alkohol zugesetzt, als noch Absonderung fremder Materien eintrst, hierauf iiltrirt und das Filtrat bci der obcn angegebenen Tempe- ratur bis zur diinnen Syrupsdicke abgedunstet. Die erhal-

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22 Casper,

tene Masse wurde in destillirtem Wasser gelijst, filtrirt, bis auf circa 1 Unze abgedunstet, Drachme Magnes. usta hinzugesetzt, um das etwa noch vorhandene Colchicin frei zu machen, hinreichende Zeit damit in Beriihrung gelassen und dann dem Gemenge 3 Unzen Aether hinzu- gefigt. Nach hinreichender Einwirkung des Aethers fil- trirte man die atherische Fliissigkeit ab und liess diese an der Luft freiwillig verdunsten. Der Ruckstand wurde in Wasser aufgenommen, wobei eine in Alkohol leicht losliche Fettsubstanz abgeschieden wurde und nun wurde die filtrirte wiisserige Losung in einem Uhrglase abge- dunstet. Der nun erhaltene Ruckstand in wenig Wasser gelost, gab mit Gerbsaurelosung, Platinchlorid und Jod- tinctur alle Reactionen, die das Colchicin anzeigen und ebenso war der Geschmack spiiterhin scharf. Nach mei- ner Uebeneugung sind demnach im Mageninhalte unzwei- felhafte Andeutungen der genommenen Tinct. sem. Colchici aufgefunden worden. Das beigegebene Uhrglas enthlilt die Uebeqeste des von dieser Untersuchung erhaltenen unreinen, aber gut zu erkennenden Colchicins.

Eine weitere Untersuchung des Erbrochenen hielt ich fiir uberflussig; einmal war es eine sehr kleine Menge und zweitens hatte sich ein anderer Chemiker mit der- selben Untersuchung ohne Erfolg -

Bei nachtraglicher Ueberreichung dieses Berichtes an den Untersuchungsrichter nahm ich nunmehr keinen Anstand, mich meinerseits dahin auszusprechen :

dass die Thatsache, dass die vier Personen durcli Tinctzcra seminis Colchici vergiftet worden, als fest- gestellt zu erachten sei,

wobei ich bemerke, dass ein eigentlicher Obductions-Be- richt spiiter nicht erfordert worden ist.

Hiernach wird es kiinftig moglich sein, eine Colchi- cum-Vergiftung zu entdeckcn und gerichtlich festzustellen. Dies ist als ein urn so grosserer Gewinn fur die gericht- liche Medicin und die Strafrechtspflege zu ernchten, als es sich nanientlich durch vorstchende, SO ausserst sorgfal-

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zibev VeTg;fung durch Colchicum. 23

tige Untersuchungen unzweifelhaft ergeben hat, dass das Alkaloid der Herbstzeitlose, das Colchicin, eines der allerheftigsten Gifte ist, und unter den bei uns vorkom- menden Giften hochstens und kaum mit dem Phosphor in Betreff seiner Todtlichkeit zu vergleichen ist. Hochst beachtenswerth in dieser Hinsicht sind die Worte, mit denen Herr Schacht eine Mittheilung an mich schliesst:

,Auffallend ist es, in welcher geringen Menge das Colchicin todtlich auf den menschlichen Organismus wirkt. Die Vergifteten sollen Jeder etwa ein Weinglas voll von der officinellen Zeitlosenwnen-Tinctur getnmken haben. Gesetzt, die Korbflasche sei voll gewesen, SO wiirden von jedem Theilnehmer an dem Diebstahl, mit Beriicksichti- gung des vorgefundenen Rucktandes, hochstens 4 Unzen Tinctur getrunken worden sein. Diese entsprechen 1 Unze Samen. Apotheker Muller erhielt aus 16 Unzen Samen 5 &an Colchicin. Wenn diese Ausbeute auch geringer sein mag, als der wirkliche Gehalt an Alkaloid, so ist doch andererseits aueh die gesetzliche Vorschrift zur Be- reitung der Tinctur nicht danach angethan, urn den Samen vallstiindig zu erschopfen. Die Vergifteten haben dem- nach hachatens 2/5 bis Gran Colchicin auf Einrnal ge- mmmen, und diese Gabe war hinreichend, urn einen sohnellen Tod zu bewirken.

Die grosse Seltenheit der Fiille von Vergihng mit Colchicum hat uns veranlasst, die Abhandlung nur mit Hinweglaasung des Unwesentlichen sufiunehmen.

Es gereicht uns zur Freude, in der hier folgenden amtlichen Zuschrifi die Anerkennung der obersten Medicinal- Behorde ausgesprochen zu sehen :

,,Der Herr Minister der geistlichen etc. Angelegen- heiten hat das Polizei-Prasidium beauftragt, Euer Wohl- geboren seinen Beifall iiber die mit besonderem Fleisse und lobenswerther Sorgfalt ausgeftihrte chemische Unter- suchung in Sachen, betreffend die Ermittelung der Todes-

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24 Geiseler, uber Ammodncztm carboiiicum.

art des Schumachergesellen S ch o n f e 1 d t und Cons., zu erkennen zu geben.

Berlin, den 7. December 1854. KGnigliches Polizei - Priisidium. I. Abth.

An den Apotheken-Resitzer Herrn Schacht

Wohlgeboren hier. D. R.

Ueber Ammoniacum carbonicum ; von

Apotheker in Khigsberg i. d. Neumark. Dr. Geiseler,

Ein Blechkasten, in welchem einige 20 Pfund koh- lensaures Ammoniak fast 2 Jahre lang aufbewabrt waren, wurde entleert bis auf 1 Pfund des Salees, welches in dem Kasten zuriickblieb. So lange der Kasten geMlt gewesea war, hatte sich das Salz gut erhalten, j e tz t war der Inhalt nach 4 Nonaten zedossen. Man kann sich das Zerfiessen nur durch Wasserbildung erkliiren.

Das vorliegende anderthalb - kohlensaure Ammoniak besteht aus 2 Aeq. NH4O und 3 Aeq. CO2 und zerfliesst an feuchter Luft nicht. Unter den verschiedenen Ver- bindungen des Ammoniaks und Ammoniumoxyds mit Koh- lensaure befindet sich nur eine, die an der Luft zeerfliesst und die aus 1 Aeq. NH3, 1 Aeq. NH4O und 2 Aeq. CO2 besteht (NH3 CO2 + NHaO, COZ), die also 1 Aeq. ;Kohlen- sliure, 1 Aeq. Wasserstoff und 1 Aeq. Sauerstoff weniger enthalt, als das Sesquicarbonat. In diese Verbindung muss das Sesquicarbonat, als es zerfloss, iibergegangen sein, es muss also 1 Aeq. COZ vertluchtigt und aus 1 Aeq. H und 1 Aeq. 0, welche das zerfliessliche Salz weniger als das Sesquicarbonat enthalt, Wasser gebildet sein. Nach H. Ro s e sol1 die zerfliessliche Verbindung aus dem Ses- quicarbonat entstehen, wenn dasselbe erhitzt wird, die