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Bei der Beschäftigung mit Pachelbels Vokalkompositionen stösst man noch immer auf Hindernisse füreine angemessene Darstellung der Bedeutung des Komponisten auf diesem Gebiet. Es fehlt noch ein syste-matischer Werkkatalog, und die kritische Sichtung der Quellen ist auch noch nicht abgeschlossen. Wir ha-ben uns darum auf zwei Aspekte der vokalen Choralbearbeitung beschränkt. Eine breitere Untersuchungzum leider immer noch etwas vernachlässigten Vokalwerk von Pachelbel muss einer späteren Darstellungvorbehalten bleiben.

Zur Biografie«Johann Pachelbel, ein weitberühmter Musikus und bestverdienter Organist zu S. Sebald in Nürn-berg, ist daselbst 1653. den 1. Septemb. gebohren. Er ließ bey Zeiten so wohl zu andern Wissen-schafften, als insonderheit zur Musik, grosse Lust verspühren. Daher ihn denn seine Eltern auf aller-hand Instrumenten, vornehmlich aber auf dem Clavier, von Heinrich Schwemmern, damahligenSchul-Collegen bey S. Sebald, und gutem Componisten, gründlich unterweisen liessen …»1 So be-ginnt Johann Mattheson den Artikel über Pachelbel in seiner «Grundlage einer Ehrenpforte» von1740. Mit dem Hinweis auf das «Clavier» gibt Mattheson auch schon ein Stichwort zur allgemeinenBeurteilung unseres Komponisten, ist dieser doch – ähnlich wie Dietrich Buxtehude – vor allem alsOrganist und Orgelkomponist im breiteren Bewusstsein. Für die zunächst vorherrschende Beurtei-lung Buxtehudes als Orgelkomponist spielte die Quellenlage eine wichtige Rolle: Philipp Spitta, derHerausgeber der Orgelwerke (1875), kannte bereits fast alle wichtigen Orgelkompositionen Buxte-hudes, aber nur etwa ein Sechstel der heute bekannten Vokalwerke. Diese traten erst nach der Ent-deckung der Stockholmer Düben-Sammlung (1889) und anderen Funden langsam ins Bewusstsein.Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellte dann André Pirro in seiner französischen Buxtehude-Mono-grafie konsequenterweise die Vokalmusik in den Mittelpunkt und behandelte die Orgelwerke mehram Rande.2

Bei Pachelbel dagegen hängt die spätere, vorerst einseitige Beurteilung als Orgelmeister eher mitseiner Biografie zusammen: Zeitlebens war er als Organist in verschiedenen Stellungen in Süd- undMitteldeutschland tätig. Zudem verbreitete ein grosser Schülerkreis seine Orgelmusik mit ihrergeradezu schulbildenden Wirkung.

Allerdings hatte schon Johann Gottfried Walther in seinem Lexikon von 1732 den Anteil an vo-kaler figuraler Kirchenmusik in Pachelbels Werk hervorgehoben, wenn er meinte, dass unser Meisternicht nur die Tastenwerke, sondern auch die Vokalmusik «… vollkommener, als man vorhero get-han, richtete …».3 Zudem wies Carl von Winterfeld 1845 mit Nachdruck auf einzelne Vokalwerkehin und beschrieb mit glühenden Worten Pachelbels vokalen Kompositionsstil: «Das Erhabene,Kräftige gelingt ihm eben sowohl als das Zarte und Heitere, und durch alle seine Hervorbringungengeht ein Geist des Wohlwollens, ein Liebreiches, worin wohl zu großem Theile die Anziehungskraftliegt, die sie auf jedes unbefangene Gemüth üben.»4 Und gerade auch auf Vokalwerke bezog sich Phi-

Ulrich AsperlBemerkungen zu den vokalenChoralbearbeitungenvon Johann Pachelbel

1 Johann Mattheson: Grundlage einer Ehrenpforte, woran der Tüchtigsten Capellmeister, Componisten, Musikgelehr-ten Tonkünstler ect. Leben, Wercke, Verdienste erscheinen sollen. Hamburg 1740; vollständiger, originalgetreuerNachdruck, hg. von Max Schneider, Berlin 1910, S. 244.

2 Vgl. André Pirro: Dietrich Buxtehude. Paris 1913; Reprint Genève 1976.3 Johann Gottfried Walther: Musicalisches Lexikon oder Musicalische Bibliothek. Leipzig 1732; Faksimile-Nachdruck,

hg. von Richard Schaal, Kassel 1953, S. 457.4 Carl von Winterfeld: Der evangelische Kirchengesang und sein Verhältnis zur Kunst des Tonsatzes. 3 Bde., Leipzig

1843–1847; Reprint Hildesheim 1966, Bd. 2, S. 630.

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lipp Spittas Charakterisierung von Pachelbel als dem «directen Vorgänger» Bachs: «Hier konnte ihmdie durch seine Orgelcompositionen erworbene Technik treffliche Dienste leisten, und er hat sie ingeschickter Weise für den Vocalstil zu nutzen gewusst, auch in dieser Hinsicht der directe VorgängerSeb. Bachs.»5

Die dominierende Rolle der Orgel findet sich tatsächlich dann auch in Pachelbels weiterem Le-benslauf. Einen der Orgellehrer in seiner Heimatstadt Nürnberg nennt schon Mattheson: HeinrichSchwemmer (Lehrer an der Sebaldus-Schule und Director chori musici). Ergänzend dazu ist nochder Organist Georg Caspar Wecker zu nennen, dessen Nachfolger im Organistenamt an der Nürn-berger Sebaldus-Kirche Pachelbel später werden sollte. Beide Lehrer waren Schüler von ErasmusKindermann.6

Ab 1669 finden wir Johann Pachelbel an der Universität in Altdorf bei Nürnberg, wo er auch alsOrganist an der Pfarrkirche wirkt. Johann Gottfried Walther gibt für den bald folgenden Wechselnach Regensburg (1670) finanzielle Gründe an: «… worauf er von Nürnberg auf Altdorf gienge, inder Intention, seine Studia zu prosequieren, weil aber die Mittel hierzu nicht lange zulänglich seynwolten, begab er sich auf Einrathen einiger seiner guten Gönner, nach dem Verlauff eines Jahrs, bes-serer Subsistenz wegen, nach Regenspurg in das dasige Gymnasium poëticum, und verblieb allda3 Jahr …»7 In Regensburg genoss Pachelbel privaten Unterricht bei Kaspar Prentz, über den wir aller-dings sehr wenig wissen, nur dass er seine Ausbildung in der Müchner Hofkapelle unter Johann Kas-par Kerll erhielt (und somit ein kompetenter Vermittler der süddeutschen Kunst wurde) und dass er1672 als bischöflicher Kapellmeister nach Eichstätt berufen wurde.8

1673–1676 war Pachelbel (obwohl Protestant) stellvertretender Organist unter Johann KasparKerll am Stephansdom in Wien.

1677 wurde er Hoforganist in Eisenach, wo er freundschaftliche Beziehungen zur Bach-Familieunterhielt und vor allem Lehrer von Johann Sebastians ältestem Bruder Johann Christoph war!

Als weitere Stadien der Organistenlaufbahn sind noch zu nennen:– 1678–1690: Erfurt, Predigerkirche, wo wir unter seinen Schülern Johann Heinrich Buttstett, And-

reas Nikolaus Vetter und Andreas Armsdorff finden.– 1690: Stuttgart, Hoforganist, berufen von der Herzogin Magdalena Sibylla.– 1692: Gotha, Stadtorganist.– Schliesslich 1695 nach dem Tode seines ehemaligen Lehrers Johann Caspar Wecker bis zu seinem

eigenen Ableben 1706 Organist an St. Sebaldus in Nürnberg.H.-J.Moser druckt in seiner geschichtlichen Darstellung der evangelischen Kirchenmusik Pa-

chelbels Bestallungsurkunde an der Erfurter Predigerkirche von 1678 ab. Darin findet sich unterPunkt 4 ein höchst interessanter Abschnitt, der auch für heutige Anstellungen und Beurteilungenvon Organisten und deren Dienstauffassung noch eine ganz besondere Bedeutung haben könnte:

4. Soll Er alljährlich und jedes Jahr besonders uf dem Festtage S. Johannis Baptistae nach geendigtem Gottes-dienst des Nachmittags zum Andenken dieser seiner Rezeption und annehmung zum Organisten das gantzeOrgelwerck mit allen seinen Registern und Stimmen in lieblicher und wohlklingender harmonia eine halbestundenlang durchspielen, und also für der gesambten christlichen Gemeinde gleichsam eine neue Prob thun,wie er sich das Jahr über in seinem Ambte gebessert habe.9

Man könnte sich durchaus vorstellen, dass sich Pachelbel für diese verordneten «Proben» seinespezielle Vorspielform des «kombinierten Choralvorspiels» geschaffen hat:10 In seinen Choralbear-beitungen für Orgel verbindet Pachelbel sehr oft eine vorbereitende Choralfuge mit einer angehäng-

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5 Philipp Spitta: Joh. Seb. Bach. Bd. 1, Leipzig 1873; Neudr. Wiesbaden 1964, S. 121.6 Vgl. MGG2, Art. Johann Pachelbel, Sp. 1506–1507.7 Anmerkung 3, S. 457. Walthers Angaben basieren auf dem Werk von J. G. Doppelmayr: Historische Nachricht von

den Nürnbergischen Mathematicis und Künstlern, Nürnberg 1730.8 Vgl. MGG XI, Sp. 118.9 Hans-Joachim Moser: Die evangelische Kirchenmusik in Deutschland. Berlin/Darmstadt 1954, S. 461.10 Vgl. dazu: Ulrich Asper: Typen des Choralvorspiels von Sweelinck bis Bach. In: MGD 35. Jg. 1981, S. 51–61; bes. S. 59.

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ten Cantus-firmus-Bearbeitung mit der Melodie meist im Sopran und in grossen Notenwerten (can-tus planus). Man vergleiche den Übergang von der Vorspielfuge zur Cantus-firmus-Durchführungvon «Ach Herr, mich armen Sünder»:

Doppelchörige Motetten mit angefügter Cantus-firmus-DurchführungAber auch in der Vokalmusik Pachelbels finden wir analoge Formen zu diesen organistischen Aus-prägungen. Und damit lenken wir unseren Blick auf die Vokalwerke des mitteldeutschen Meisters.

Pachelbel hat – wie schon Philipp Spitta andeutete – die durch die Orgeltechnik erworbene Kom-positionsart in «geschickter Weise»11 auf den Vokalstil übertragen. Wir nehmen zunächst als Beispieldie doppelchörige Motette mit durchgeführtem Cantus firmus «Nun danket alle Gott».12 Hier wirdein auskomponierter vorbereitender Bibeltext-Block mit einer wie oben charakterisierten Cantus-fir-mus-Durchführung kombiniert. Normalerweise finden sich als Textgrundlage bei Pachelbels Motet-ten Psalmtexte (deutsche oder lateinische). In «Nun danket alle Gott» verbindet er ausnahmsweiseden apokryphen Text «Nun danket alle Gott, der grosse Dinge tut an allen Enden» aus Jesus Sirach(50,22–26) mit dem Lied von Martin Rinckart, dessen Verse vom einleitenden Bibeltext inspiriertsind: «Nun danket alle Gott, mit Herzen, Mund und Händen» (EG 321; RG 233). Siehe NB 2, S.149.

Zunächst bringen die beiden Chöre in freier Form alternierend und imitierend den Bibeltext, umsich dann in den Unterstimmen (B, T, A) zu einem einzigen Chor zu vereinigen, über den der Can-tus firmus in den ebenfalls vereinigten Sopranstimmen in breitem Fluss hinzieht. Dabei verwendetPachelbel die für seine Orgelchoräle typische Technik der «Vorimitation»: Die Motive der Choral-zeilen werden von einer oder mehreren Stimmen (in kleinen Notenwerten) vor dem Cantus-firmus-Einsatz zitiert, wobei die Stimmen dann einerseits frei weitergeführt werden, zugleich aber immerwieder motivische Anklänge an die Cantus-firmus-Zeilen bringen. Siehe NB 3, S. 150.

Durch diese spezielle Technik der «Vorimitation» im dreistimmigen Verband bleibt (ebenfalls inAnalogie zu den Orgelchorälen) zunächst der Registerraum des Soprans frei, um den Cantus-planus-Einsatz umso eindrucksvoller hervorzuheben.13

Liest man zu dieser Art der vokalen Cantus-firmus-Bearbeitung die Beschreibung von Max Seif-fert, welche dieser seiner Ausgabe der Orgelwerke Pachelbels zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Cha-rakterisierung des entsprechenden organistischen Typus beigibt, so konstatiert man eine erstaunlicheÜbereinstimmung mit dem Hörerlebnis der Pachelbel’schen Choral-Motette:14

Die Melodie strömt allemal in gleichgemessenen, feierlichen breiten Notenwerten dahin. Ihre einzelnen Zeilenheben an, nachdem die Begleitstimmen in kurzen imitatorischen Anläufen motivisch das Ohr auf sie vorberei-tet haben …; von ihrem bewegten Rhythmus hebt sich die ruhige Würde des Chorals eindrücklich ab, der beiseinem Erklingen gleichzeitig die vollste Harmonie entstehen lässt».

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Notenbeispiel 1: «Ach Herr, mich armen Sünder»

11 Vgl. Anmerkung 5.12 Hg. von D. Krüger, Carus-Verlag Nr. 1.131; oder Ausgabe Bärenreiter-Verlag, hg. von H. H. Eggebrecht, BA 2873.13 Man höre dazu die ausgezeichnete Aufnahme des Cantus Cölln unter K. Junghänel; DHM 05472 77305 2.14 Johann Pachelbel: Orgelwerke, hg. von Max Seiffert. Leipzig 1903 (= Denkmäler der Tonkunst in Bayern IV/1), S. XIII f.

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In einer zweiten doppelchörigen Motette mit dem Lied «Gott ist unsere Zuversicht und Stärke»15,in welcher der Text von Psalm 46 (Verse 2–8) mit der Melodie von Luthers vom biblischen Psalm in-spirierten Psalmlied «Ein feste Burg ist unser Gott» kombiniert wird, gestaltet Pachelbel allerdingsdie Choral-Durchführung etwas anders. Hier singen nach dem Eintritt des Cantus firmus (T. 44 –Canto I und II) mit dem Text «Preis, Ehr und Lob dem Höchsten Gott» die vereinigten Unterstim-men den noch verbleibenden Text des biblischen Psalms weiter: «… da die heiligen Wohnungen desHöchsten sind …» (Verse 6–8). Siehe NB 4, S. 151.

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Notenbeispiel 2: «Nun danket alle Gott», Anfang

15 Hg. von D. Krüger, Carus-Verlag Nr. 1.133.

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Notenbeispiel 3: «Nun danket alle Gott», T. 52 ff.

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Wenn auch in den «vorbereitenden» doppelchörigen Teilen im Wechsel der beiden Chöre eineblockartige, homophone Schreibweise vorherrscht, nutzt Pachelbel doch immer wieder die Gele-genheit, den Text besonders «lebendig»16 werden zu lassen und einzelne Worte herauszuheben, zumBeispiel in «Nun danket alle Gott» die Passage «… er gebe uns ein fröhlich Herz» (T. 24 ff.).

Notenbeispiel 4: «Gott ist unsere Zuversicht und Stärke»

16 Vgl. Luthers Tischrede: «Die Noten machen den Text lebendig» (WATR Nr. 2545b).

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In diesem Zusammenhang sei noch darauf hingewiesen, dass Pachelbel auch ab und zu in den«gemischten» Kantaten Choralsätze in der oben beschriebenen Weise einbaut. Man vergleiche zumBeispiel die Kantate für fünfstimmigen Chor, Streicher, zwei Oboen und Orgel «Jauchzet demHerrn, alle Welt» (Psalm 100,1–2)17 mit drei Textschichten: Bibelwort, freie Dichtung und Kirchen-liedstrophe. Im vierten Satz, dem generalbassbegleiteten Alt-Solo («Wie manche Trübsalsflut hat unsdies Jahr umgeben») schliesst Pachelbel ohne Pause direkt eine Choralbearbeitung an über «Nun dan-ket alle Gott mit Herzen, Mund und Händen», wobei Sopran I und II den Choral in langen Noten-werten singen, unterstützt von den beiden unisono spielenden Oboen. Dazu bringen die übrigen Vo-kalstimmen zusammen mit den nun einsetzenden Streichern und der Orgel den üblichen bewegtenUnterbau.

In der Choralkantate «Was Gott tut, das ist wohlgetan»18 findet sich für Vers 5 eine ähnliche An-lage der Cantus-firmus-Durchführung wie in den oben beschriebenen Choralmotetten, wobei hierallerdings das an die Melodiezeilen anklingende und zunächst vorbereitende Anfangsmotiv in denBegleitstimmen auch nach dem Einsatz des Cantus firmus konsequent weitergeführt wird.

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Notenbeispiel 5: «Nun danket alle Gott», T. 24 ff.

17 Hg. von D. Krüger, Reihe «Die Kantate» Nr. 157. Hänssler-Verlag, Stuttgart Hohenheim,18 Hg. von H.H. Eggebrecht. Bärenreiter, Kassel (BA 2876).

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Notenbeispiel 6: «Was Gott tut, das ist wohlgetan»

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Diese Choralkantate wurde von Carl von Winterfeld in seinem Werk über den evangelischen Kir-chengesang ausführlich beschrieben und gewürdigt. Winterfeld geht in seiner Begeisterung sogar soweit, in Pachelbel auch den Autor der Liedweise selber zu vermuten. Den Grund zu dieser Annahmegibt ihm der «alle Strophen des Liedes umfassende Tonsatz über jene Melodie, ein Tonsatz, aus demein so inniges Verständnis derselben, ein so tiefes Durchdrungensein von dem Inhalte des Liedes her-vorleuchtet, dass man sich bewogen finden muss, auch die Grundlage desselben für seine Erfindungzu halten».19 Auch wenn Winterfeld sich hier irrte,20 kann man seiner Charakterisierung eines «inni-gen Verhältnisses» zwischen Liedweise, Text und Tonsatz bei Pachelbel nur zustimmen.

Zudem können die Vokalwerke Pachelbels nicht genug für die einfacheren Verhältnisse in derPraxis empfohlen werden. Hans-Arnold Metzger (seinerzeit Direktor der Kirchenmusikschule Ess-lingen bei Stuttgart) setzte sich schon in den 50er-Jahren für die damals bereits zugänglichen Mo-tetten und Kantaten des mitteldeutschen Meisters ein. In seiner eigenen Ausgabe der Choralkantate«Was Gott tut, das ist wohlgetan»21 schreibt er im Vorwort sehr schön:

Für den heutigen gottesdienstlichen Gebrauch ist die Bearbeitung des für Pachelbel zeitgenössischen Liedes«Was Gott tut, das ist wohlgetan» eine ganz besondere Bereicherung, vergleichbar den Schemelli-Liedern J. S.Bachs. So reich wir an klassischen Bearbeitungen des reformatorischen Liedgutes sind, so wenig Bearbeitungenbesitzen wir zu dem Liedgut des Frühpietismus. Die Kantate ist ein schönes Beispiel für den Einfallsreichtumdes Nürnberger Meisters.

ChoralkantatenBetrachten wir nun aber noch eine andere Choralkantate unseres Meisters. Die Kantate über «Christlag in Todesbanden»22 kann mit ihren wechselnden Techniken und Besetzungen als Modell angese-hen werden für Johann Sebastian Bachs frühe Choralkantate «per omnes versus» (durch alle Strophendurchkomponiert)23 über denselben Choral (BWV 4), auch wenn Bach – wie immer – weit über sei-ne Vorbilder hinausgeht.Beide Kompositionen zeigen eine symmetrische Gesamtanlage um den zentralen Versus IV, dessenText Passion und Auferstehung gegeneinander stellt.

J. Pachelbel J. S. BachInstrumentale Einleitung SinfoniaI. «Christ lag in Todesbanden, für unsre Sünd gegeben»Choralmotette ChoralmotetteC. f. in langen Notenwerten im S C. f. in langen Notenwerten im S

II. «Den Tod niemand zwingen konnt bei allen Menschenkindern»Duo S und T (generalbassbegleitetes Bicinium) Duo S und A (mit B. c.)

III. «Jesus Christus, Gottes Sohn, an unsre Statt ist kommen»B-Solo, freie Melodiebildung ohne C. f.; Trio T (C. f., Solo-Violine und B. c.) konzer-dieser erscheint in langen Notenwerten in tanter Satz mit auffallender Textausdeutung: den unisono spielenden Violinen I und II! «Gewalt», «Tods gestalt», «nichts»

IV. «Es war ein wunderlicher Krieg, da Tod und Leben rungen»Zunächst T-Solo mit Orchester, dann ab T. 3 Choralmotette, C. f. im A mit ausgeprägterohne Streicher und ab T. 18 T abgelöst durch Vorimitation; «Halleluja» C. f. in langenein A-Solo (textbedingte Sonderform, NotenwertenGestaltung in zwei kontrastierende Teile) –ohne C. f.

19 Vgl. Anmerkung 4, S. 628.20 Es handelt sich um eine Melodie von Severus Gastorius – vgl. EG 372 und RG 684.21 Verlag Merseburger, Berlin (1957), Ed. Merseburger Nr. 905.22 Hg. von H.H. Eggebrecht im Bärenreiter-Verlag, BA 2875.23 Zur Terminologie vgl. U. Asper: Aus der Kantatenwelt von Dietrich Buxtehude (vermutlich 1637–1707). In: MGD

58. Jg. 2004, S. 143–154; bes. 150.

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V. «Hier ist das rechte Osterlamm, davon Gott hat geboten»Choralmotette, C. f. im T (dupliziert durch B-Solo mit Streichern und B. c. Textausdeutung:Viola III), Vorimitation in den Neben- «dem Tod»(Sprung von g’ zu Cis), «Würger»,stimmen (langausgehaltener Ton), «nicht» (Pausen)

VI. «So feiern wir das hohe Fest mit Herzensfreud und Wonne»Konzertantes Duo S und T; ohne C. f. Konzertantes Duo S und T mit C. f. Zu BeginnAusgeprägtes «Halleluja» der Zeilen Imitation, am Schluss der C. f.-Zeilen

Vereinigung der beiden Singstimmen in paralle-len Triolen

VII. «Wir essen und leben wohl zum süßen Brot geladen»Motette ohne C. f.-Bindung, «Christus will Schlichter Schluss-Choral, Instrumente «colladie Kost uns sein» durch intensive chorische parte»Deklamation herausgehoben

Die «Variatio» der Besetzung ist in beiden Werken ähnlich. Allerdings beobachten wir vor allembei Pachelbel die Tendenz, sich von der Cantus-firmus-Bindung zu lösen.Bach negiert das vorgegebene Melodie-Material vor allem bei den ausgedehnten «Halleluja»-Schluss-zeilen. Zudem bringt er in Versus V eine interessante Lösung, den Cantus firmus in der Singstimmewegzulassen und den Text frei in die Musik zu «übersetzen»: Er wiederholt in der Bassstimme denText der Zeilen, zunächst verbunden mit der zugehörigen Melodie, dann aber mit frei gestaltetemSolo-Bass, wobei der Cantus firmus dazu instrumental in der Violine I zitiert wird. Siehe NB 7,S. 157.

Das Verfahren erinnert an Versus III in der Kantate von Pachelbel mit dem freien Bass-Solo unddem dazu in gedehnten Notenwerten in den Violinen I und II gebrachten Cantus firmus.

Die generelle Ausrichtung des Schaffens der einzelnen Meister der betreffenden Zeit – und da-mit besonders auch von Johann Pachelbel – ist vielleicht gut zu verstehen vor dem Hintergrund ei-ner köstlichen Formulierung eines Zeitgenossen: «Denn gleichwie ein Theologus in seiner Studier-Stube … nichts anders thut, als dass er mit GOtt und GOtt mit ihm redet; also dringt auch ein recht-schaffender Componist, wenn er ein künstliches Concert componirt, … mit seiner Composition …biss in den Himmel.»24

SchlussAbschliessend muss noch dringend empfohlen werden, bei Pachelbel die Synthese reicher Harmo-nik, formaler Klarheit und motettischer Durcharbeitung zu studieren. Gerade im idealen Zusam-menspiel von motettischer Imitation und funktionaler Harmonik muss wohl der Hintergrund gese-hen werden für Philipp Spittas Sicht von Pachelbel als einer direkten Vorstufe zu J. S. Bach.25 «Nichtmit Formtypen allein, sondern in der Verschmelzung von Kontrapunkt und reicher Harmonik undder dadurch erreichten Stringenz des Verlaufs wird Pachelbel ‹der directe Vorgänger›».26

Und ganz zum Schluss können wir eigentlich nur noch einmal den tiefsinnigen Johann Matthe-son zu Wort kommen lassen: «Dignum laude virum Musa veta mori./d. i./Ein Mann der Lob ver-dient durch Weisheits-volle Noten, Erstirbet nimmermehr: Die Muse hats verboten.»27

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24 Georg Motz: Die Vertheidigte Kirchen-Musik, o.O. 1703. Zit. nach F. Krummacher: Die Überlieferung der Choralbe-arbeitungen in der frühen evangelischen Kantate. Berlin 1965, S. 287.

25 Vgl. oben Anm. 5.26 Vgl. Friedhelm Krummacher: Kantate und Konzert im Werk Johann Pachelbels. In: Die Musikforschung 20. Jg. 1967,

S. 375.27 Vgl. Anm. 1, S. 249.

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Notenbeispiel 7: J. S. Bach, Kantate «Christ lag in Todesbanden», Versus V