Ulrico Hoepli buchhändlers - SUISSE · 2019. 12. 11. · Ich wurde ja erst einige Monate nach...

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..................................................................................................................................................................................................................... die glückliche intuition eines buchhändlers und verlegers Ulrico Hoepli Einleitung und Koordination von Pier Carlo Della Ferrera mit einem Interview mit Ulrico Carlo Hoepli Texte von Tindaro Gatani, Ada Gigli Marchetti und Joseph Jung

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die glückliche intuition eines

buchhändlersund verlegers

Ulrico Hoepli

Einleitung und Koordination von Pier Carlo Della Ferrera mit einem Interview mit Ulrico Carlo Hoepli

Texte von Tindaro Gatani, Ada Gigli Marchetti und Joseph Jung

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Welche Erinnerungen haben Sie an UlricoHoepli? Was sind für Sie die interessantestenAspekte seiner Person und seiner Aktivitäten?Was ist Ihrer Meinung nach hervorhebenswert?An Ulrico Hoepli, den Gründer des Buchladensund Verlages, erinnere ich mich überErzählungen in meiner Familie. Ich wurde jaerst einige Monate nach seinem Tod im Januar1935 geboren. Mein Vater und meine Mutterhatten 1934 geheiratet, damals lebte er noch,wie übrigens eine schöne Aufnahme beweist.Mein Grossvater Carlo und mein Onkel Giannihatten viel mit ihm zu tun und kannten ihn sehrgut. Ich hatte das Glück, von ihnen die Berichte,Geschichten und Anekdoten über ihn zu hören,den sie in der Familie alle den Avo nannten, alsoden Ahn. Er war der Grossonkel meines Vatersund der Onkel meines Grossvaters, für mich alsoder Urgrossonkel; die Bezeichnung “Ahn” schienuns durchaus treffend.Nach der Lehrzeit in Zürich, Breslau undLeipzig ging Ulrico Hoepli nach Triest (die Stadtist wichtig für mich, weil meine Mutter ausTriest stammt), wo er in einem Buchladenarbeitete, der heute nach Italo Svevo benanntist. Dort hatte er die kluge Eingebung, dass dieZukunft des Verlagswesens in Mailand lag. Dieseseine Erkenntnis hat mich immer sehr beein-druckt, denn in jenen Jahren zwischen 1865und 1870 stand Triest am Zenit seinerEntwicklung; als Vorposten von Österreich undMitteleuropa war die Stadt ein kulturellesZentrum ersten Ranges, sie sollte bald zumAufenthaltsort von Leuten wie Joyce, Weiss undden Schülern von Freud werden, und auch vonHector Aron Schmitz, also Italo Svevo. Unddennoch verstand er, dass man nach Mailandgehen musste, wenn man sein Glück mitBüchern machen wollte. Diese grosse vorausschauende Intelligenz zeig-te er auch, als er seinen Neffen zu sich rief,damit dieser das Geschäft weiterführte. UlricoHoepli hatte Elisa Häberlin geheiratet, aber dieEhe war kinderlos geblieben. Sein Sinn für dieZukunft war so ausserordentlich, dass er seinenNeffen, also meinen Grossvater Carlo, an denich mich gut erinnere, weil ich vor seinem Todim Jahr 1972 mit ihm zusammengearbeitethabe, regelrecht zwang, zu ihm nach Mailandzu kommen. Darüber beschwerte sich meinGrossvater oft bei mir: “Weisst du, mein Onkel

hat mich gezwungen nach Mailand zu kommenund er hat mich gezwungen, die Maturität inFrauenfeld zu machen, denn er meinte, wenneiner kein Deutsch kann, dann kann er sichnicht mit Büchern beschäftigen, schliesslich seider Buchdruck eine Erfindung aus Deutsch-land, von Gutenberg. Und dann hat er michgezwungen, hierher zu kommen, um dasUnternehmen weiterzuführen”. Er war so wildentschlossen, dass er seinen Neffen beinahegewaltsam von Lyon wegholte, um das Geschäftals Familienbetrieb fortzuführen und ihn als

Nachfolger zu bestimmen, obwohl meinGrossvater sich in Lyon wohl fühlte. Von Anfangan zeigte er so seinen Wunsch, dass dasUnternehmen etwas Dauerhaftes werden sollte.

Aus welcher Familie stammte Ulrico Hoepli?Ulrico war das letzte von vier Kindern, eigent-lich fünf, denn er hatte einen Bruder, der injungen Jahren gestorben war. Mein Vater undmein Grossvater haben mir immer erzählt,dass er aus einer Familie wohlhabenderBauern stammte, die gleichwohl nicht reichwar. Ich habe Dokumente, die bis ins 16.Jahrhundert zurückreichen. Sie belegen, dassdie Hoeplis tatsächlich immer schon eineFamilie von Bauern aus dem Kanton Thurgauwaren, einer früher eher armen Gegend. Sielebten vom Wein- und Obstanbau, der dort sointensiv betrieben wurde, dass die Region imVolksmund auch als “Apfelfabrik” bekanntwar. Er stammte ursprünglich aus Wängi,einem kleinen Ort, in dem wir immer nochdas Bürgerrecht haben. Der junge Ulrico emi-grierte gewissermassen, er ging als Lauf-bursche zur Buchhandlung Schabelitz inZürich. Er war ein sehr intelligenter Junge

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Die glückliche Intuition eines Buchhändlers und Verlegers

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Seite I:

Ulrico Hoepli auf

einem Porträt aus

dem Jahr 1935.

Links:

Der Verleger, wie Tullio

Pericoli ihn 2005 sah.

Rechts:

Hoepli (im Vordergrund)

mit seinem Neffen

Carlo im Jahr 1910.

Ulrico Hoepli und die Hoeplis - die “Mailänder Schweizer”Pier Carlo Della Ferrera* trifft Ulrico Carlo Hoepli**

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und er hatte viel Gespür für alles was neu undabenteuerlich war.

Das Verhältnis zwischen dem jungen Ulricound seiner Mutter Regina Gamper ist bekannt.Wie Joseph Jung in einem Beitrag schreibt, warsie es, die die Neigung ihres Sohnes zu intel-lektuellen Tätigkeiten begriff. Dagegen weissman sehr wenig über Ulricos Verhältnis zu sei-nem Vater Mathias.Mir ist gut bekannt, welche BeziehungenUlrico Hoepli zu seinen Geschwistern unter-hielt, vor allem zu Johann Heinrich, oderJean Henri, dem Bruder aus Lyon, der ihm –und das klingt schon ein wenig paradox – sei-nen Neffen Carlo Hoepli schenkte. In derFamilie wurde dagegen wenig von den Elterngesprochen, wir müssen uns daher auf dasverlassen, was unser Freund und HistorikerJung dazu zu sagen hat. Vielleicht ist dasgrosse Verdienst der Mutter auch aus einergewissen patriarchalischen Einstellung her-aus niemals ausdrücklich anerkannt worden. Es muss aber auch gesagt werden, dass – wieimmer – persönliche und individuelleEreignisse eine fundamentale Rolle gespielthaben. Die Möglichkeiten, die einem in einerStadt wie Zürich mit seinem geistigen Lebengeboten wurden, die Arbeit in einem grossenBuchladen und die Intelligenz des Jungen, dieanschliessenden Aufenthalte in Leipzig,Breslau, Triest und Kairo, all das hat ihmsicherlich dabei geholfen, seine glückliche Ideeauszubrüten, den Buchladen Laengner inMailand zu kaufen. Das winzige Geschäft konn-te auch Dank der guten Beziehungen wachsen,

die er mit der örtlichen protestantischenGemeinde aufbaute. Ich glaube, dass es vorallem seine grosse Intuition war, die ich vorhinschon ansprach. Seine Mutter war sicherlichdennoch sehr wichtig, wie alle Mütter.

Welche Schwierigkeiten hatte er zu Beginn sei-ner Unternehmung zu meistern, kurz nach derAnkunft in Mailand?Ein erstes Hindernis – das klingt vielleichtetwas banal – war die Sprachbarriere. UlricoHöpli war als Schweizer mit dem Thurgauer-

dütsch gross geworden. Er hatte eine zeitlangin Triest gelebt, aber diese Stadt gehörte zurHabsburgermonarchie, auch wenn sie geo-grafisch in Italien liegt. Damals sprach mandort vor allem Deutsch. Mein Vater und mein Grossvater, aber auchmein Onkel Gianni, der inzwischen über 90Jahre alt ist, oder meine Tante Bianca, die vorkurzem ihren 90. Geburtstag gefeiert hat, siealle haben mir in etwas scherzhaftem Tonimmer gesagt, dass der Avo eher schlechtItalienisch sprach. Als intelligenter Mann ver-stand er es gut, doch er selbst behielt immereinen ausgeprägten deutschen Akzent, und inder ersten Zeit hatte er vor allem im schriftli-chen Ausdruck noch Probleme. Um diese Schwierigkeiten zu überwinden,umgab er sich mit hervorragenden Mit-arbeitern, in diesem Fall war es GiovanniPiazza, der seine Korrespondenz erledigteund als Mittelsmann fungierte.

Trotz dieser Probleme stellte sich der Erfolgsehr früh ein, man könnte sagen: von Anfang

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Ulrico Hoepli

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Das Geburtshaus von

Ulrico Hoepli in Tuttwil.

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an. Natürlich hatte Ulrico Hoepli seine angebo-renen unternehmerischen Fähigkeiten, er war“kühn” und “besonnen” zugleich, wie EnricoDecleva ihn einmal beschrieben hat – so sehr,dass ihm das Kunststück gelang, alsRepublikaner und Schweizer dennoch Verlegerdes italienischen Königshauses und obendreinals Protestant Verleger des Vatikans zu werden. Er war kühn und besonnen, ja, aber einfachauch sehr mutig, denn am Anfang seinesWerdeganges stand er mehrmals kurz vor derPleite und musste schlimme Misserfolge ein-stecken. 1873 entschloss er sich, eine kostspieligeAusgabe zu machen, den Druck des Codex diplo-

maticus Cavensis, eines alten Buches aus einerBenediktinerabtei. Die Mönche nahmen ihreAufgabe nicht ernst und die ganze Initiative, diesehr interessant hätte werden können, erwiessich aus verlegerischer Sicht als Fehlschlag.Hoepli hatte Mut gehabt, aber das Unternehmenhatte dennoch nicht die erhofften Ergebnisseerbracht. In der Familie wird erzählt, dass seinBruder Jean Henri aus Lyon ihm in dieserSituation mit einem “legendären” Darlehen von20’000 Franken entschlossen zur Seite sprang.Ohne dieses Geld hätte er die Firma allerWahrscheinlichkeit nach schliessen müssen. Die Tatsache, dass er als Republikaner Verlegerdes Königshauses und als Protestant Verlegerdes Vatikans werden konnte, erklärt sich dar-aus, dass er Schweizer war. Die Schweizer sindWeltbürger, und sie gelten als solche wegenihrer Offenheit und Toleranz und ihrer kosmo-politischen Einstellung. Aus diesen Gründen istes natürlich von Vorteil, Schweizer zu sein. Unddiesen Vorteil nutzte der Avo so gut es ging,aber nicht, weil bei ihm alles auf Geldverdienenund Geschäftemachen ausgerichtet war. Es gibteinige Umstände, die das belegen.Noch heute erzählt man sich in der Familie,was für eine Verzweiflung um sich griff, alsHoepli sich 1930 entschied, der Stadt Mailandein Planetarium zu stiften. Wie er sagte, hatteer “in dieser Stadt das Glück meines Lebensgefunden, und ich will, dass das, was ich ver-dient habe, in die Stadt zurückfliesst”. Wie auseinigen Dokumenten hervorgeht, die nochheute in den Archiven von Zeiss Ikon in Jenaaufbewahrt werden, hatte er das von PieroPortaluppi für das Planetarium entworfeneGebäude bar bezahlt und schenkte es der Stadt.Genauso war es in Zürich. An der Zentral-bibliothek ist ein Schild mit den Namen der

Wohltäter der Einrichtung angebracht, darun-ter auch Ulrico Hoepli, der 1903 die damalsstolze Summe von 25’000 Schweizer Frankenfür die Bibliothek spendete. Er handelte alsonicht nur aus Profitstreben und Eigennutz.Mein Vater und mein Grossvater mussten ihreMeinung über das Planetarium dann ändern,sie haben mir oft gesagt: “Weisst du, eigentlichmüssen wir dankbar sein, denn ohne dasPlanetarium gäbe es in Mailand auch keine ViaHoepli”. Und die Via Hoepli war für uns natür-lich schon eine ganz schöne Ehre. Ulrico Hoepli hatte Sinn fürs Geschäft undfürs Soziale. Und so kam er bis zum Papst,zum König, zu allen, darum konnte er auchein guter Vermittler zwischen Protestantenund Katholiken werden. Ich würde sagen, erhat auf diese Weise auch “ökumenische”Fähigkeiten gezeigt.

Welche Verbindungen konnte Hoepli zu dengerade neu entstandenen oder schon fest imKulturleben von Mailand und Italien etablier-ten kulturellen und akademischen Ein-richtungen herstellen?Ulrico Hoepli hatte angeborene Fähigkeiten immenschlichen Umgang, er machte einen sym-pathischen Eindruck, vielleicht wegen seinerAufrichtigkeit und seines leichten schweizeri-schen Akzents, den man bei Gesprächen immerwieder heraushörte. Es gelang ihm sofort,bedeutende Verbindungen zu Leuten vom altenPolitecnico [der Technischen Hochschule] her-zustellen, das damals übrigens anders hiess,nämlich Istituto Tecnico Superiore [HöhereTechnische Lehranstalt].Ein besonderes Verhältnis entwickelte er zudem grossen Giuseppe Colombo, einem derBestsellerautoren des Hoepli-Verlages, der dasManuale dell’Ingegnere [Handbuch für

Ingenieure] schrieb. Colombo war Dozent fürMechanik und Maschinenbau; er hatte in dieserZeit zwischen den 70er Jahren des 19. und demersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts dafürgesorgt, dass Mailand elektrisches Licht bekam.Nicht weit vom Rinascente-Warenhaus entferntbefindet sich ein schönes Schild mit derInschrift: “Hier erleuchtete Giuseppe Colombozum ersten Mal den Domplatz”. Colombo wareine grosse Persönlichkeit, die Hoepli ohneZweifel stark inspirierte und ihm viele wertvol-le Hinweise gab – nicht nur als Mitarbeiterbeim Verlag, sondern auch als Freund. Wieimmer beginnen die Dinge in den Köpfen.

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Die glückliche Intuition eines Buchhändlers und Verlegers

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Ulrico Hoepli

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Das Manuale dell’Ingegnere ist im Übrigen eingutes Beispiel, denn es war immer auf gewisseWeise das Herzstück, das Symbol des Hoepli-Verlages, der wissenschaftliche und technischeThemen besonders fördert. Das gute Verhältniszum neu entstehenden Politecnico war grund-legend, und selbst heute ist das Manuale

dell’Ingegnere noch eine Art Richtlinie für uns.Die Besonderheit von Ulrico Hoepli lag vorallem in dieser Fähigkeit begründet, ein Netzvon Beziehungen zu knüpfen, er war gewisser-massen eine tüchtige Hebamme für Bücher.Geschrieben hatten die Bücher andere, die dieMaterie besser kannten und sich auf Italienischbesser ausdrücken konnten. Neben dem Politecnico unterhielt er auch besteBeziehungen zur Biblioteca Braidense, zurAmbrosiana, mit deren damaligem PräfektAchille Ratti, dem späteren Papst Pius XI., ergut befreundet war. Ein solches Verhältnishatte er auch zur Scuola Superiore diAgricoltura [Hochschule für Landwirtschaft]und zu vielen anderen Schulen für Künste undBerufe, zur SIAM, zur Umanitaria, zurAccademia Scientifico-letteraria [Wissen-schaftlich-Literarischen Akademie] und zumOsservatorio Astronomico di Brera [Astrono-mischen Observatorium von Brera].

Erinnern Sie sich an eine Veröffentlichung, diebesonders merkwürdig war, oder an merkwür-dige Umstände im Zusammenhang mit einerVeröffentlichung?Das heutige Sortiment umfasst etwa 1’000Titel. Im Lauf der Zeit sind mehr als 12’000Titel erschienen. Natürlich waren da auch einpaar komische Sachen dabei. Mein Vater undmein Onkel haben herzlich über das Yucca-Handbuch gelacht. Ich weiss noch nicht einmalmehr, was eine Yucca ist, eine Frucht oder einetropische Pflanze aus Afrika. Damals hatteItalien in Afrika Kolonien: Libyen, Somalia undEritrea, von daher konnte das Yucca-Handbuchschon seine Berechtigung haben. Ein wissen-schaftlich-technischer Verleger wie Hoeplimusste in alle Richtungen beweglich sein, auchmit Büchern, die heute merkwürdig erschei-nen. Ich weiss nicht, wie das mit dem Yucca-Handbuch zu Ende gegangen ist und wie vieledavon schliesslich verkauft wurden.Heute erscheint es mir auch seltsam, dassHoepli eine Zeit lang mehr als eine Zeitschrift,eine Reihe und eine grosse Anzahl an Büchernfür Kinder und Jugendliche im Programm

hatte, dazu eine Zeitschrift für Frauen mitTipps zu Themen wie Mode, Nähen und Küche.Das war um die Jahrhundertwende, und es dau-erte auch nicht länger als höchstens bis zumErsten Weltkrieg. Dann wurde dieser Bereicheingestampft und der Verlag spezialisierte sichauf andere Gebiete. Es ist interessant und in gewisser Weiseanrührend, wenn man in den 100 Jahre altenManuali [Handbücher] liest und feststellt, dassdie Reisezeit der Züge zwischen Mailand undChiasso damals fünf oder sechs Minuten kürzerwar als heute.

Man könnte also sagen, dass Ulrico Hoepli inden ersten Jahrzehnten seiner Geschäfts-tätigkeit mehrere Richtungen ausprobierte, biser den Königsweg fand und der Firma darauf-hin ihre Gestalt gab, die sie dann durch dieZeiten hinweg behielt: die eines wissenschaft-

lich-technischen Verlages.Ja, wahrscheinlich waren das erste Schritte,die auch von einer gewissen Unsicherheitsprechen. Es ist schon einzigartig, und das muss auchbeachtet werden, dass Ulrico Hoepli, obwohl erdeutscher Muttersprache war, nicht die deut-schen Handbücher zum Vorbild nahm, sonderndie englischen und vor allem die amerikani-schen Handbooks. Heute scheint es uns nor-mal, die USA als Vorbild in technischen Dingenzu betrachten, 1870 aber war das noch allesandere als normal, vor allem für Leute, die kul-turell und sprachlich mit dem deutschen Raumverbunden waren. Hoepli aber inspirierte sich

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Die glückliche Intuition eines Buchhändlers und Verlegers

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Links:

ein Brief von Achille

Ratti an Ulrico Hoepli

vom 23.April 1921, als

der zukünftige Papst

Pius XI.Apostolischer

Nuntius in Polen war.

Werbung aus den

Frauen- und

Jugendzeitschriften,

die Hoepli zwischen

dem Ende des 19.

und den ersten Jahren

des 20. Jahrhunderts

verlegte. Die Anzeige

aus dem Jahr 1910

stammt aus

“Il Natale del libro”

[“Bücherweihnacht”],

einem Katalog mit

Weihnachtsgeschenken

und den Neuheiten

aus dem Programm

des Buchhändlers und

Verlegers.

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sehr an diesem neuen Vorbild auf der anderenSeite des Ozeans, so sehr, dass er selbst nachAmerika reiste. 1893 brach er zu einer – wieman das heute nennen würde – Fortbildungs-reise zur Weltausstellung nach Chikago auf,von der noch sein Notizbuch erhalten ist. DieIdee mit den Handbüchern war schon geborenund das Verhältnis zu ihren englischsprachigenVorbildern geklärt. Hoepli wollte vor allemseine Veröffentlichungen verbessern; er wusste,dass die englische und amerikanischeProduktion auf diesem Sektor sehr innovativwar und sich ständig weiterentwickelte. Auch in diesem Fall hatte er einen grossenEinfall: er verstand, dass das wissenschaftlich-technische Verlagswesen in Italien noch einvöllig unbeackertes Feld darstellte, und dassman es in dieser Nische mit einiger Flexibilitätzur Marktführerschaft bringen konnte.

Hoepli kümmerte sich auch viel um denantiquarischen Markt und brachte selbst einigeaufwändige Ausgaben heraus, wie den Codex

Atlanticus und den Codex Vergilianus vonPetrarca, deren Handschriften in der Ambro-siana aufbewahrt werden. Ja, Hoepli hatte einmal einen sehr ausgepräg-ten antiquarischen Sektor. Eine Zeit lang kümmerte er sich zusammenmit einem seiner Neffen - nämlich meinemGrossvater Carlo - überwiegend um den Verlagund den Buchhandel, die dann von meinemVater und von meinem Onkel Gianni weiterge-führt wurden. Was dann passierte, würde manheute eine Umstrukturierung im Unternehmennennen: einem anderen Neffen, ErhardAeschlimann aus Winterthur, ein Sohn vonAmalia Häberlin, der Schwester seiner FrauElisa, wurde der antiquarische Sektor unter-stellt. Aeschlimann setzte mit Sachkenntnisund Erfolg das Werk fort, das meinUrgrossonkel am Ende des 19. Jahrhundertsbegonnen hatte, und das in den erstenJahrzehnten des 20. Jahrhunderts noch ein-mal wichtige Impulse durch die wertvolleMitarbeit des berühmten Antiquars undBücherliebhabers Mario Armanni bekam. Inden 30er und 40er Jahren, aber auch nachdem Ende des Krieges und bis in die 50erJahre war das Hoepli-Antiquariat auf allenAuktionen der Welt sehr rührig. Dazu könnteich einige Anekdoten erzählen, die für micheine gewisse Bedeutung haben. Die letzte ereig-nete sich erst vor wenigen Tagen. Ich war beim

Verleger Franco Maria Ricci und blätterte ineinem Bodoni, den er vor kurzem bei Sotheby’sgekauft hatte. Dabei bemerkte ich, dass dasBuch, bevor es bei Sotheby’s gelandet war, beieiner Versteigerung des Hoepli-Antiquariats inLuzern im Jahr 1942 verkauft worden war -mitten im Krieg. Nach dem Tod von Aeschlimann gab es nie-manden in der Familie, der sich mit derselbenKompetenz um den Antiquariatssektorgekümmert hätte. Und so schrumpfte er zueinem kleinen Bereich des Buchladenszusammen, in dem auch das moderneAntiquariat untergebracht ist. Wir haben indieser Hinsicht nicht mehr das Format vondamals oder das der grossen MailänderAntiquare wie Vigevani oder Pozzi.Auch wenn er seinem Verlag ein wissenschaft-lich-technisches Gepräge geben wollte unddiesen Bereich besonders förderte, gründeteHoepli das Antiquariat, denn seine Idee hattekeine Grenzen, sie umfasste alles, was Bücherbetraf, und sie erwuchs aus dem, was es für ihnbedeutete, Buchhändler zu sein. Kürzlich istein schöner Roman erschienen, Il libraio di

Amsterdam [Der Buchhändler von Amster-

dam], und der ist ganz nützlich, wenn man

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Ulrico Hoepli

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Katalog der alten

und neuen, seltenen

und merkwürdigen

Ausgaben der

französischen Literatur,

die 1895 im Hoepli-

Antiquariat verkauft

wurden.

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verstehen will, wie natürlich es für einenBuchhändler ist, offen zu sein und fast auto-matisch vom Manuale dell’Ingegnere zu denWerken von Jung oder Heidegger zu gelangen.

Wie war Ulrico Hoepli bei menschlichen undberuflichen Beziehungen, wie ging er mit sei-nem Neffen Carlo, mit Giovanni Piazza,Cesarino Branduani und den anderen um?Ich glaube, dass er grosszügig und ausserge-wöhnlich war. Er nahm Branduani als Helfer inseinen Buchladen auf, als dieser noch sehr jungwar. Eines Tages musste der Junge in einSanatorium gebracht werden, weil er an einerschweren Lungenerkrankung litt – damals wardie Tuberkulose noch weit verbreitet. MeinUrgrossonkel kümmerte sich persönlich umihn und ordnete an, dass dem Jungen für diegesamte Dauer der Krankheit das Gehalt weitergezahlt wurde. Ein Unternehmen besteht ausMenschen, und sicherlich hatte Hoepli diegrosse Fähigkeit, die richtigen Personen an dierichtige Stelle zu setzen und sie gut und gross-zügig zu behandeln. Ich erinnere mich nicht anStreitigkeiten oder Meinungsverschiedenheitenmit den Mitarbeitern.Nur der Neffe Carlo hatte einige Schwierig-keiten durch das enge Verwandtschafts-verhältnis und die Vertraulichkeit, die zwischenden beiden herrschte. Mein Onkel beschwertesich, dass Onkel Ulrico bisweilen streng undhart war. Während Geduld und Verständnis beieinem Sohn keine Grenzen kennen, ist man beieinem Neffen eben strenger.

... und mit den Autoren?Ich erinnere mich, dass mein Grossvater oftwiederholte: “Mein Onkel hat immer gesagt,

dass die Autoren sofort bezahlt werden müssen,genauso wie die Lieferanten, die Papier-hersteller und die Drucker, und dass dasVerhältnis zu den Autoren von grundlegenderBedeutung ist, weil sie unsere Stärke sind”. Über diese Beziehungen werden nette kleineGeschichten erzählt, zum Beispiel die, dassUlrico Hoepli, die Lieferanten, Kunden undAutoren immer stehend empfing und auchihnen keinen Platz anbot. Auf diese Weise warer sie schnell wieder los und schaffte über denTag eine ganze Reihe von anderen Besorgungen– auch deshalb, weil er schon sehr früh amMorgen mit der Arbeit und dem Empfang vonBesuchern begann.

Treves, Sonzogno, Dumolard und Vallardi sindeinige der Verleger, mit denen Hoepli sich denMarkt teilen musste. Was für ein Verhältnishatte er zur Konkurrenz?Ulrico Hoepli war einer der Gründer der Societàdegli Autori [Autorengesellschaft], der Vor-gängerorganisation der heutigen SIAE, derSocietà Italiana degli Autori e degli Editori[Italienische Gesellschaft für Autoren undVerleger]. In jener Zeit um 1880 gab es prak-tisch noch keine Zusammenschlüsse zwischenAutoren und Verlegern, wenn man einmal vonder Associazione Libraria Italiana [ItalienischeBuchgesellschaft] absieht, die 1869 von einemanderen grossen Pionier des Verlagswesensangeregt worden war – Giuseppe Pomba, ausdessen Wirken der UTET-Verlag hervorgegan-gen ist. Damals galt ein altes Gesetz überAutorenrechte, das der Zeit nicht mehr ange-messen war. Alles war gerade am Entstehen, esbedurfte neuer Regeln, um die Beziehungenzwischen Autor und Verleger durch den

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Die glückliche Intuition eines Buchhändlers und Verlegers

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Die wichtigsten

Mitarbeiter von Ulrico

Hoepli posieren vor

einer Bronzebüste

des Verlegers, die 1896

hergestellt wurde,

anlässlich der

Feierlichkeiten zum 25.

Geschäftsjubiläum.

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Ulrico Hoepli

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Verlagsvertrag zu klären. Es gab viel zu tun,und mein Urgrossonkel war sehr aktiv.Ausserdem verstand er sofort, was heute allge-mein bekannt ist: dass das Gesellschaftslebeneine grosse persönliche, geistige und beruflicheBereicherung darstellt. Nicht zufällig sind diePflege der Kontakte mit den anderen Verlegernund die direkte Beteiligung an der SIAE eineFamilientradition geworden. Die Beziehungen zur Konkurrenz waren alsohervorragend und alles andere als darauf aus-gerichtet, sich gegenseitig Marktanteile abzuja-gen. Vielmehr wollte man sich kennenlernen,um zu verstehen, welche Sektoren überzeu-gend und produktiv waren. Es sollte auch nichtvergessen werden, dass Hoepli als Buchhändlerdie Bücher all seiner Verlegerkollegen zusam-men mit seinen eigenen verkaufte.

Wie sah Ulrico Hoepli die beiden Geschäfts-tätigkeiten als Buchhändler und Verleger?Der Buchhandel ist ein Handelsgeschäft, dasVerlagswesen ein Produktionsgeschäft. So istdas heute und so war es vor einem Jahrhundert.Auch wenn die beiden Metiers sehr unter-schiedlich sind, Hoepli sah sie als eng mitein-ander verbunden an, so sehr, dass sie kaumvoneinander zu trennen waren. Der Buch-handel “gab ihm die Antennen”, um den Marktzu verstehen. Er sah jeden Tag, wie viele undwas für Leute in den Laden kamen, welcheBücher am gefragtesten waren und welche ammeisten verkauft wurden. Solche Informatio-nen waren für ihn sehr wichtig, denn danachrichtete er sich als Verleger. Es war ein grossesPrivileg und ein grosser Vorteil für ihn,Verleger und gleichzeitig Buchhändler zu sein.Ausserdem konnte der Buchladen im Auf undAb des Lebens die geringen Profite des Verlagesin schwierigen Zeiten ausgleichen. Währendder beiden Weltkriege zum Beispiel fehltenPapier und andere Rohstoffe, und es konntenicht gedruckt werden. Zum Glück gab es denBuchladen, dort kam immerhin jeden Tagjemand hin, auch in Krisenzeiten.Aus diesem Grund sah er den Buchladensicherlich mit besonderem Wohlwollen, wie wirdas heute übrigens auch tun. Wir wissen, wel-chen Wert Dauerhaftigkeit und Tradition fürUlrico Hoepli hatten – er musste einfach immerdaran denken, dass mit dem Buchladen dieFirma geboren war, und dass vor ihm Laengnerund andere dieselbe Arbeit am selben Ortgemacht hatten, und das seit 1840.

Die Epoche, in der Ulrico Hoepli lebte, war eineZeit der grossen Veränderungen. In Italien ent-wickelte sich aus der politischen Rechtenschrittweise der Faschismus, in Europa gingenReiche unter und Nationen auf, ein Weltkriegloderte auf und Diktaturen brachen sich Bahn.Es war eine Zeit der grossen gesellschaftlichenKämpfe, es gab Gewalt, auch in Mailand, undman war praktisch gezwungen, wenn schonnicht Partei zu ergreifen, so doch wenigstenseine politische Meinung zu haben. Wo lässt sichUlrico Hoepli politisch einordnen?Da war er ganz und gar Schweizer. Er hielt sichneutral und nahm nie eine genaue Position ein,er tat seine Pflicht. Verleger wie wir müssensich aus den Parteienkämpfen heraushalten.Er hatte dennoch viel Sinn für gesellschaftlicheFragen. Und ich sagte ja bereits, dass er Mailanddas Planetarium schenkte, aber auch Beiträgezur Einrichtung von Bibliotheken und Schulenleistete, wie in seinem Heimatort Wängi.Ausserdem gründete er in Zürich die Hoepli-Stiftung, die kulturelle Aktivitäten unterstütztund alten Menschen hilft. Ich würde sagen,dass seine Taten weniger politisch als gesell-schaftlich waren. Natürlich gelang es ihm, eingutes Verhältnis zu Politikern und verschiede-nen Regierungen zu unterhalten.Beziehungen hatte er auch zur faschistischenRegierung, denn er hatte die Werke vonMussolini veröffentlicht, die in der Verlags-tätigkeit von Hoepli ein wenig isoliert dastehen.Aber der Duce selbst war es gewesen, der Hoepliausgewählt hatte, und nicht umgekehrt. Er zogihn wegen seiner Neutralität und Autonomievor, wegen seiner Unabhängigkeit und weil erihm mehr vertraute als anderen. Hoepli gabihm 10 %, viel weniger als die Konkurrenzgeboten hatte, da war es normal, dass Mussolinidachte, die anderen Verleger wollten ihnbetrügen. Es hatte nichts mit der Politik zutun, sondern es handelte sich in erster Linieum ein Geschäft, und um ein hervorragen-des obendrein.Ulrico Hoepli glaubte an Tüchtigkeit und indi-viduelle Initiativen, und er leistete grosse undkonkrete Hilfe auf dem sozialen Sektor. Darinstand er ganz in bester protestantischerTradition, und sicherlich war er dabei auch vonseiner Erziehung und von seiner Herkunftbeeinflusst. Beispiele für Nächstenliebe gab esin der Schweiz damals viele, man denke nur anDunant und das Rote Kreuz oder an Pestalozziund seine pädagogischen Einrichtungen.

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Die glückliche Intuition eines Buchhändlers und Verlegers

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Doch am aktiven politischen Leben nahm ernie teil, auch den Extremismus liebte er nicht,und das war sicherlich keine Einschränkungfür ihn. Er hatte einen gesunden Menschen-verstand, neigte vor allem zur Arbeit und wie-derholte seinen Angehörigen und Mitarbeiterngegenüber immer wieder: “Ihr sollt schaffen,ihr habt eine schöne Firma, was wollt ihr sonstvom Leben?” Und das war auch gut so, denn einvorbildliches Beispiel tut ja immer gut.

Über den Charakter von Ulrico Hoepli liest manWidersprüchliches. Es scheint, dass er melan-cholisch war, oft in Gedanken versunken, seltenfröhlich, dann wieder jovial und unbekümmert;manchmal wird er als griesgrämig und schroffbeschrieben, dann wieder als herzlich und gast-freundlich. Kennen Sie Geschichten, die etwasüber den einen oder anderen Charakterzug vonUlrico Hoepli aussagen?Vor kurzem ist ein Film herausgekommen,Un’ora sola ti vorrei [Nur einmal will ich

dich], das Drehbuch stammt von meinerNichte Alina Marazzi, die auch dieProduktionsleitung hatte. Sie erzählt darindie Geschichte ihrer Mutter – meinerSchwester – und damit auch die unsererFamilie. Der Film ist eine Montage alter 16-mm-Streifen, einen davon drehte mein Vateram Tag seiner Hochzeit. Darin ist eine wun-derschöne, ausserordentliche Aufnahme vonUlrico Hoepli, der sich humpelnd und aufeinen Stock gestützt fortbewegt. Der Filmstammt aus dem April 1934, und weil er imJanuar 1935 starb, handelt es sich um Bilderaus den letzten acht Monaten seines Lebens.Da sehe ich diesen Ulrico Hoepli, der geht,schaut, und dabei so ein Lächeln hat, ein biss-chen trübsinnig, aber stark, irgendwie hoff-nungsvoll. Ich glaube – aber das ist meinGefühl – dass er sehr glücklich war, wenn erdaran dachte, dass seine Neffen, und vor allemCarlo, seine Arbeit fortführten.Und dann entsprach sein Charakter natürlichauch der Beschreibung, die Sie eben gaben.Ich würde hinzufügen, dass er als echterSchweizer auch sehr pünktlich und sehrgenau war, anders als wir, denn wir sind mitder Zeit gewissermassen immer italienischergeworden. Sicherlich gab es in seinem Leben auch trau-rige Momente, weil er keine Kinder hatte oderweil seine Frau Elisa unter Depressionen litt.Dieses Thema war in der Familie ein gewisses

Tabu, über das bis vor kurzer Zeit kaum gere-det wurde. Mein Vater machte mir gegenübererst in den letzten Jahren seines LebensAndeutungen darüber.

Es ist bekannt, dass er Reisen, Berge, Billardund das Schweizer Kegeln liebte ...Seine Reiselust war eine echte Leidenschaft,wie auch seine Begeisterung für das Flugzeug,die auch an seine Neffen überging. MeinUrgrossonkel machte zusammen mit einemschweizerischen Piloten einen der erstenAlpenüberflüge, mein Vater hatte einenPilotenschein und mein Onkel Gianni war einerder ersten Hubschrauberpiloten. Dann tratzum Glück die Berufung als Verleger in denVordergrund, die Arbeit in der Familie, und daswar eine grosse Erleichterung für alle, denndamals stürzten Hubschrauber nicht nur häu-fig ab, sondern waren auch ziemlich teuer. Ulrico Hoepli war Mitglied im schweizeri-schen und im italienischen Alpenclub, ermochte Ausflüge in die Natur, vor allem in dieBerge, wo er sich auch gern mal alsBergsteiger betätigte.Billard und Schweizer Kegeln – das ähnelt demBowling – spielte er gern, wenn seine vielenAufgaben ihm die Zeit dazu liessen: zu Hause,im Villino Hoepli, wo er einen eigenen Raumund eine eigene Kegelbahn dafür hatte, oder beider Schweizer Gesellschaft in Mailand, die ermit begründet hatte.

Ulrico Hoepli kannte das Veltlin. Machte erjemals einen Ausflug dorthin?Ich glaube ja, denn das Veltlin spielte aus ver-schiedenen Gründen im Leben unsererFamilie eine Rolle.Meine Grossmutter väterlicherseits, MaddalenaPorro, die Frau von Carlo, war in einemMädcheninternat im Veltlin zur Schule gegan-gen, ich glaube in Madonna di Tirano. MeinVater hatte eine Augenkrankheit und ver-brachte einen oder zwei Sommer in Teglio,denn damals verordnete man Leuten mitAugenleiden, viel Grün anzuschauen. MeinUrgrossonkel half ihm in dieser Lage undwahrscheinlich begab er sich ins Veltlin.Und schliesslich unterhielt Ulrico Hoepligeschäftliche Beziehungen zu den Brüdern Piound Michele Rajna. Für Pio, den Philologen,brachte er 1890 Le corti d’amore [Die Höfe der

Liebe] heraus, für Michele, den Astronomen,1897 das Werk L’ora esatta dappertutto, ossia

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[XII]

Ulrico Hoepli

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Modo semplice di regolare gli orologi sul tempo

medio dell’Europa centrale in qualunque luogo

d’Italia [Überall die genaue Zeit – ein einfaches

Verfahren, Uhren an jedem Ort Italiens auf die

Mitteleuropäische Zeit einzustellen].

Sie haben vorhin die soziale Einstellung vonUlrico Hoepli angesprochen und dabei auf dieprotestantische Tradition als Wurzel dieserEinstellung hingewiesen. Könnten Sie zumThema der Religion bei Hoepli noch etwassagen?Der Avo setzte sich sofort mit der protestanti-schen Gemeinde von Mailand in Verbindung,weil Laengner, der Eigentümer des Buchladens,bis 1870 eins von deren wichtigsten Mit-gliedern war. Laengner war Deutscher undMitglied der lutherischen Kirche, währendHoepli als Schweizer sich auf Zwingli beriefund damit der reformierten Gemeindeangehörte. Trotzdem hatte er auch zur lutheri-schen Kirche ein gutes Verhältnis und war inder Kirche in der Via Marco De Marchi sehraktiv. Unter anderem gab es damals in Mailand eineprotestantische Schule, die dann zur schweize-rischen Schule wurde, sie nannte sich ScuolaInternazionale [Internationale Schule] und

wurde bis zu meinem Vater von unserer ganzenFamilie besucht. Was das religiöse Gefühl betrifft, war UlricoHoepli ein braves und ehrbares Mitglied derprotestantischen Gemeinde, er lebte seinenGlauben auf weltliche Weise, allerdings mitallen Unterschieden, die die Vorstellung vonWeltlichkeit bei den Protestanten gegenüberder katholischen Kirche aufweist. Wahr-scheinlich glaubte er vor allem an den Respektvor Traditionen und an die Erziehung zu denWerten der Familie.

Welches Erbe hat Ulrico Hoepli in derFirmenphilosophie des Verlages und desBuchladens hinterlassen?Sicherlich hat er ein äusserst wichtiges Erbehinterlassen, das wir zu bewahren und so gutwie möglich auszubauen versuchen. DerStempel, den der Gründer dem Verlag aufge-drückt hat, ist auch an den heutigenVeröffentlichungen noch klar zu erkennen.Aber es gibt noch andere Aspekte, die ich unter-streichen will, nämlich dass Buchladen undVerlag nach dem Zweiten Weltkrieg von einemzweiten Ulrico Hoepli aufgebaut wurden, derfür mich genauso gross war wie der erste –nämlich mein Vater. Im Krieg wurde derBuchladen vollständig zerstört; von derBuchproduktion blieben nur ein paar Bändeübrig. Es schien unmöglich, nach dem Kriegnoch einmal von vorn anzufangen. Mein Vateraber hatte dieselbe Hartnäckigkeit und dassel-be Vertrauen in die Zukunft, die derFirmengründer Ulrico Hoepli auch gehabthätte. Er baute diesen schönen Buchladen auf,in dem wir noch heute untergebracht sind.In meinem Vater war dieser Sinn für dieZukunft und für das Dauerhafte stärker als allesandere, da war er wie mein Urgrossonkel, dasist überhaupt bei Familienunternehmen ganzstark ausgeprägt, die weiter in die Zukunftblicken als andere und gesündere und solidereVoraussagen zur Kapitalentwicklung machen.In den Spuren einer solchen Tradition zugehen, das trägt zur Reifung und Konsoli-dierung einer Identität bei, die positiveRückwirkungen auf die ganze Firma hat. Die1911 auf Anregung von Ulrico Hoepli inZürich gegründete Stiftung hat Studien zurGeschichte des Verlagswesens immer geför-dert, und das wiederum war in Zürich, wieüberhaupt im gesamten deutschen, französi-schen und angloamerikanischen Kulturraum,

Ulrico Hoepli

(1906-2003), Grossneffe

des Verlagsgründers,

in den 50er Jahren.

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Die glückliche Intuition eines Buchhändlers und Verlegers

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sehr weit entwickelt. Diese ein wenig schwei-zerische Eigenart, sich in die eigeneVergangenheit zu vertiefen, beinhaltet aucheinen starken Schub in Richtung Zukunft.Wie damals der Gründer, so wenden auch wirheute unsere Dankbarkeit und unsereUnterstützung denjenigen zu, die sich mit derVergangenheit unserer Tätigkeit beschäfti-gen, wie Enrico Decleva, Tullio De Mauro undall den anderen, die seit einiger Zeit auch inItalien mit Studien über unseren Verlag undseinen Gründer aufwarten. Wir tun das nichtetwa, um den alten Zeiten nachzutrauern, inder nostalgischen Haltung eines Laudator

temporis acti, sondern weil solche Studiendas Bewusstsein über den zurückgelegtenWeg und die eigene Identität und damit auchdie unternehmerische Kraft fördern.Ulrico Hoepli kam aus einem Dorf im kleinenSchweizer Kanton Thurgau, der für seineApfelwein-Produktion sicherlich bekannter istals für seine Offenheit für den kulturellenAustausch. Und dennoch spürte er eine inter-nationale Berufung als Verleger, die von denenglischsprachigen handbooks herrührte –und sofort entwickelte er geschäftlicheBeziehungen in ganz Italien (1873 eröffnete er

eine Zweigstelle in Neapel, drei Jahre danacheine in Pisa). Und in dieser Tradition versu-chen auch wir, überall präsent zu sein – vonChiasso bis Porto Empedocle; wir unterhaltenBeziehungen zu unserem Heimatland undverstehen uns als europäische Verleger.Wahrscheinlich aus diesem Grund und wegen

des Vorteils, Schweizer zu sein – neutral unddabei Weltbürger – bin ich bis vor zwei JahrenVorsitzender der Vereinigung europäischerVerleger gewesen.Dieser Umstand gibt mir den Anlass, an einenweiteren Aspekt zu erinnern, in dem das Erbedes Firmengründers sich äussert: die Nähe undVerbundenheit mit dem Verbandsleben imZusammenhang mit unserer Arbeit: UlricoHoepli war einer der Initiatoren der Societàdegli Autori, und lange Jahre waren mein Vaterund ich Berater der SIAE, so wie das heutemein Sohn Giovanni ist.Wie schon vor einem Jahrhundert, ist dasGeschäft von Hoepli, für das wir immer nocheine besondere Vorliebe haben, für Mailandmehr als ein einfacher Buchladen. Aus ver-schiedenen Gründen werden dort Bücher ver-kauft, die andere nicht haben, und darum ist esauch in gewisser Weise eine Bibliothek, fasteine Kulturstätte in der Stadt. Mein Vater beauftragte 1958 zwei grosseArchitekten der damaligen Zeit mit derPlanung, Luigi Figini und Gino Pollini, unddarin zeigte er, ganz wie der Gründer, vielFeingefühl für das kulturelle Umfeld vonMailand. Obwohl er nicht aus Mailand stammte, wollteUlrico Hoepli es schaffen, so starke Bindungenzur Stadt herzustellen, dass er als Mailändergelten konnte. Diese Identität, die stark imstädtischen Leben verankert war und dann vonseinen Nachfolgern immer gepflegt wurde, istbis auf uns gekommen.1896 widmete Ulrico Hoepli den Mailänderndas wunderschöne Dizionario milanese-ita-

liano [Mailändisch-Italienisches Wörterbuch]

und schrieb dazu: “Nach 25 Jahren desAufenthalts und der Arbeit ist die schöne undgrossherzige Stadt Mailand nunmehr zu mei-

ner Stadt geworden; Freundschaften, Gegen-seitigkeit in den Beziehungen und die alltäg-lichen Angelegenheiten geben mir dieIllusion, mich für einen ihrer legitimenSöhne zu halten”. Wie ihm gefällt es auch uns, uns als “MailänderSchweizer” zu betrachten.

* Berater der Banca Popolare di Sondrio für

kulturelle Aktivitäten

** Präsident des Ulrico Hoepli-Verlages

Werbepostkarte aus

dem Jahr 1958 zur

Eröffnung des Sitzes

der Internationalen

Hoepli-Buchhandlung

in der gleichnamigen

Strasse im Zentrum

von Mailand.

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Die glückliche Intuition eines Buchhändlers und Verlegers

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Hoepli, ein “Homo novus” des italienischen Verlagswesens

von Ada Gigli Marchetti*

Foto von Ulrico Hoepli

aus dem Jahr 1897.

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Ulrico Hoepli

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Das Italien der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts mit seinen vielen Möglich-keiten musste einem Ausländer verlockenderscheinen – ein neuer, erst 1861 geborenerStaat trotz seiner alten Zivilisation, dem esan allem fehlte und der sich alles erst schaf-fen musste: politische und administrativeStrukturen sowie wirtschaftliche und kultu-relle Aktivitäten.Vor allem das Potenzial des italienischenBuchmarktes war attraktiv für die Buch-händler auf der anderen Seite der Alpen. Nurwenige Jahre nach der Schaffung des neuenStaates und der Entfernung der Hindernisse,die ihrer Entwicklung im Weg standen (vorallem das Fehlen von Konsumenten fürDruckwerke), wurde die italienische Druck-und Verlagsindustrie zu einem Magneten fürausländische Anbieter dieses Sektors. Sie zogUnternehmer wie Le Monnier, Loescher undDumolard nach Italien, und nach der Er-öffnung von Buchläden stiegen sie schnellins Verlagsgeschäft ein. Besonders anziehendwar die Lombardei und vor allem Mailand,das sich sehr schnell als dynamischesZentrum dieses Sektors für ganz Italien her-auskristallisierte. Das galt noch einmal inbesonderem Masse für alle, die aus derSchweiz kamen, denn zwischen diesemLand und der Lombardei hatte es immerenge, wenn auch wechselhafte Beziehungengegeben. War die Eidgenossenschaft nicht inder gerade erst zurückliegenden Zeit desRisorgimento die Zufluchtsstätte für vieleitalienische Patrioten gewesen? War sienicht das Land gewesen, von dem aus dieAusgewanderten über Bücher und Zeit-schriften ihre Stimme hatten erheben kön-nen, um dem Rest der Welt ihr Anliegenmitzuteilen?Und genau Mailand war es, wo Ulrico Hoepli,ein Einwanderer von exemplarischer Bedeu-tung, 1870 seinen Verlag gründete, der bis aufden heutigen Tag Bestand hat.Er kam aus seiner nahe gelegenen SchweizerHeimat in die lombardische Hauptstadt,nachdem er brieflich einen Buchladen erwor-ben hatte, ohne Hilfe und ohne tiefereKenntnis der italienischen Kultur undLiteratur. Sogar an der Sprache mangelte esihm, und dennoch schaffte er es, in kurzerZeit zu einer festen Grösse für das kultivierteMailänder Bürgertum zu werden. In seinemLaden im Herzen der Stadt gab es nicht nur

eine riesige Auswahl an literarischen, wissen-schaftlichen und kunsthistorischen Werkenin allen Sprachen und vor allem auf Deutsch,Englisch und Französisch, hier etabliertesich auch ein Treffpunkt für Vertreter vonKultur und Literatur, vor allem aber vonTechnik und Wissenschaft.Zum Beruf des Buchhändlers in seinerFunktion als Mittler zwischen der Kunst unddem Publikum gesellte sich für Hoepli vonAnfang an auch der des Verlegers. Sein ersterTitel war 1871 der Neudruck einer kleinenGrammatik, I primi elementi di lingua fran-

cese [Die ersten Elemente der französischen

Sprache] von Martin. Darauf folgte ein Jahrspäter eine erfolgreiche Zeitschrift in aufwän-diger Ausführung, die “Guida per le arti emestieri” [“Führer zu Kunst und Handwerk”],die 1878 ihren Namen in “L’arte e l’industria”[“Kunst und Industrie”] änderte.Die Verlegertätigkeit des jungen Unter-nehmers nahm an Intensität zu, je fester er inder Stadt und in der Mailänder Gesellschaftverwurzelt war.1873 wurde Hoepli zum Buchhändler undVerleger des prestigeträchtigen OsservatorioAstronomico di Brera ernannt. Im selben

Die Galleria De

Cristoforis mit dem

Buchladen von

Ulrico Hoepli auf

einem Foto aus dem

Jahr 1930.

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Die glückliche Intuition eines Buchhändlers und Verlegers

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Jahr erwarb er die Werke von zwei bekanntenAstronomen: die Schrift von Giovanni CeloriaSul grande commovimento atmosferico

avvenuto il 1° di agosto 1862 nella bassa

Lombardia e nella Lomellina [Über den

grossen atmosphärischen Zusammenstoss

vom 1. August 1862 in der unteren

Lombardei und in der Lomellina] sowie dieOsservazioni astronomiche e fisiche sulla

grande cometa del 1862 [Astronomische

und physikalische Bemerkungen zum gros-

sen Kometen von 1862] von GiovanniVirginio Schiaparelli, der das Observatoriumseit 1860 leitete. Ebenfalls 1873 veröffentlich-te er das Werk Dei principali provvedimenti

legislativi chiesti dal commercio italiano

[Von den wichtigsten gesetzlichen

Massnahmen, nach denen der italienische

Handel verlangt] aus der Feder des JuristenErcole Vidari, und wieder ein Jahr späterwurde er Buchhändler und Verleger desIstituto Lombardo di Scienze e Lettere [desLombardischen Instituts für Wissenschaftenund Geisteswissenschaften], der bedeutend-sten Einrichtung in Mailand auf diesemGebiet. In kurzer Zeit wurde Hoepli im ganzen Landbekannt, und aus dem einen 1871 veröffent-lichten Band wurden innerhalb von kaumdrei Jahren mehr als 20 Titel im Jahr.In der ersten Phase seiner Geschäftstätigkeitund bis zum Ende des 19. Jahrhunderts warsein Verlag sehr vielseitig bei der Auswahlder Titel. Produziert wurde ein wahrerMischmasch, in dem wissenschaftliche undtechnische Werke überrepräsentiert waren(Mathematik, Physik, Chemie, Astronomie,Geografie, Geologie, Medizin, Tiermedizinund Botanik), in dem aber auch Platz für allemöglichen anderen Texte war: Traktate überantike und moderne Literatur aus verschie-denen europäischen und aussereuropäi-schen Ländern (unter anderem griechischeund römische sowie französische, englische,deutsche, slawische, persische und amerika-nische Literatur), antike und moderneGrammatiken jeder Art: griechische, lateini-sche, hebräische, französische, englischeund deutsche. Die Veröffentlichung dieserGrammatiken erfolgte immer zusammen mitentsprechenden Wörterbüchern. Und damitimmer noch nicht genug. Zu den Werken ausden Gebieten Recht und Wirtschaft (einigedavon waren von grosser Bedeutung und

hielten sich lange auf dem Markt, wie diePrimi elementi di economia politica

[Grundelemente politischer Wirtschaft] unddie Primi elementi di scienza delle finanze

[Grundelemente der Finanzwissenschaft],beide von Cossa geschrieben und 1875erschienen, oder die Elementi di diritto civile

e commerciale [Elemente des bürgerlichen

Rechts und des Handelsrechts] von Triaca ausdem Jahr 1880) gesellten sich historische(zum Beispiel die Storia generale delle storie

[Allgemeine Geschichte der Geschichten]

von Rosa aus dem Jahr 1873), philosophische(La pena di morte e la sua abolizione secondo

la filosofia hegeliana [Die Todesstrafe und

ihre Abschaffung gemäss der Hegelschen

Philosophie] von D’Ercole aus dem Jahr1875 oder das ein Jahr später erschieneneWerk La filosofia positiva e gli ultimi econo-

misti inglesi [Der Positivismus Philosophie

und die jüngsten englischen Wirtschafts-

wissenschaftler] von Schiattarella aus demJahr 1876) und kunsthistorische Arbeiten(zum Beispiel Scritti d’arte [Schriften über

die Kunst] von Francesco Dall’Ongaro ausdem Jahr 1873 oder Iginio Gentiles Arte

greca [Griechische Kunst] von 1883).Veröffentlicht wurden schliesslich auchWerke der grossen Autoren: Hermann und

Dorothea von Goethe erschien 1884, wieauch König Ödipus von Sophokles und Das

Buch der Lieder von Heine. Vier Jahre späterkamen die Komödien von Molière, 1895 danndas Befreite Jerusalem von Tasso, um nureinige zu nennen. Alle diese Werke wurdenvon hervorragenden Gelehrten betreut undzum Teil übersetzt und bisweilen von talen-tierten Künstlern illustriert. Die Göttliche

Komödie von Dante wurde zuerst vonScartazzini herausgegeben und dann vonScherillo, die Vita nuova [Neues Leben] malvon Scherillo und mal von Barbi, das WerkDe vulgari eloquentia von Pio Rajna.Shakespeares Werke, die ab 1875 herauska-men, wurden von Giulio Carcano übersetzt,die Iphigenie auf Tauris 1885 von Maffei. Die

Verlobten wurden schliesslich von dem MalerCampi illustriert, und einige Jahre später,nämlich 1897, von Gaetano Previati. Auch Exkurse in die zeitgenössischeLiteratur fehlten nicht, wenn es sich dabeiauch um Ausnahmen handelte. Hier sind vorallem Giacomo l’idealista [Giacomo, der

Idealist] von Emilio De Marchi oder Le veglie

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Ulrico Hoepli

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Die glückliche Intuition eines Buchhändlers und Verlegers

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di Neri [Neris Abende] von Renato Fucini zunennen, beide aus dem Jahr 1897. Die verlegerische Tätigkeit von Hoepli be-schränkte sich nicht nur auf rein kulturelleoder technisch-wissenschaftliche Bücher undZeitschriften, von denen bisher vorwiegend dieRede war. Erfolgreich war er oft auch auf demGebiet der “Grossen Werke”, bei der Jugend-literatur und, wenn auch in geringerem Mass,bei der Frauenliteratur. Und schliesslichbetätigte er sich auch – und das machte ihmziemlichen Spass – auf dem Sektor derHobbyliteratur, mit Büchern fürs Wochen-ende, die sich mit den unterschiedlichsten undbisweilen abstrusesten Themen beschäftigten,die man sich vorstellen kann. Diese Bücherverkauften sich nicht nur schlecht, sondernhatten darüber hinaus auch kaum etwas odernichts mit dem doch eigentlich vielseitigenProgramm des Verlages zu tun.Unter den prestigeträchtigsten Werken, die oftnur mit finanziellen Verlusten produziert wer-den konnten, aber dennoch wichtigeMeilensteine in der Geschichte der Kultur dar-stellten, war zum Beispiel der 1890 erfolgteDruck der Monumenti antichi [Antike

Monumente], der von der Accademia deiLincei herausgegeben wurde, dann die Aus-gaben des Codex Atlanticus von Leonardo daVinci aus dem Jahr 1894 und der Divina

Commedia illustrata nei luoghi e nelle perso-

ne [der Göttlichen Komödie mit Illustra-

tionen der Schauplätze und Personen], her-ausgegeben von Corrado Ricci im Jahr 1898.Kulturell von weit geringerer Bedeutung,dafür aber wirtschaftlich um so interessanter,waren die Jugendbücher. Mit sicheremInstinkt fürs Geschäft verstand Hoepli schonin den letzten beiden Jahrzehnten des 19.Jahrhunderts, wie vielversprechend der Marktder Kinder- und Jugendliteratur war. Immermehr Kinder lernten lesen und schreiben,und das war natürlich mit Lektüre verbun-den. Diesem Publikum bot der Verleger dasBeste, was die spezialisierte Literatur-produktion zu dieser Zeit zu bieten hatte,nicht nur in Italien, sondern in ganz Europa.Und so reicherte man das Sortiment nebenallen Werken bekannter italienischer Schrift-stellerinnen von Anna Vertua Gentile überdie Markgräfin Colombi bis hin zu IdaBaccini auch mit solchen Autoren von jen-seits der Alpen an, die auf dem Gebiet derJugendliteratur bald zu wahren Klassikern

werden sollten. Nach dem berühmten Pierino

Porcospino, auf der Grundlage der 123.Auflage des Struwwelpeter von Hoffmann,den Gaetano Negri in Verse übersetzte, wur-den die Werke der Brüder Grimm, vonJonathan Swift, Hans Christian Andersen,Daniel Defoe und anderen herausgegeben.Während man sich um das junge Publikumalso sorgfältig kümmerte, wurden die Frauenvernachlässigt, obwohl sie ebenfalls einenimmer bedeutenderen Faktor auf demBüchermarkt darstellten. Den Frauen wid-mete der Verleger ausser einigen kleinerenWerken wie I diritti della donna [Die Rechte

der Frau] von Dohm aus dem Jahr 1877 unddem 1891 erschienenen Band Svaghi artistici

femminili. Ricami, pizzi, gioielli, ventagli,

specchi e vetri di Murano [Künstlerische

Zerstreuung für Frauen. Nähen, Klöppeln,

Schmuck, Fächer, Spiegel und Murano-Glas]

von Melani lediglich eine Zeitschrift mit star-kem konservativem Unterton: “La Stagione”[“Die Jahreszeit”]. Sie kam zwischen 1882und 1915 in 14 Sprachen heraus und spiegel-te damit in gewisser Weise den europäischenGeist, der bei Hoepli umging. Es gab zweiAusgaben, eine “grosse”, aufwändiger gestal-tete und eine “kleine”, billigere. Zusammenbetrug die Auflage jeder Nummer immerhin750’000 Stück. Als Zeitschrift, die sich aus-schliesslich mit Mode und Frauentätigkeitenbeschäftigte, grenzte sie sich bewusst vonallem ab, was – wie Erzählungen oderRomane – in moralischer oder künstlerischerHinsicht umstürzlerische Ideen hätte fördernkönnen.Die fruchtbarste Idee von Hoepli, die ihn zueinem einzigartigen und neuen Stern amMailänder und überhaupt am italienischenVerlagshimmel machte, war die derHerausgabe einer Reihe von Handbüchernnach englischem Vorbild. Es war UlricoHoepli selbst, der den Begriff des“Handbuchs” – “Manuale” im Italienischen –erfand, den er direkt aus dem englischenhandbook abgeleitet hatte. Mit den nüchter-nen Bänden dieser Sammlung hob der jungeVerleger eine der erfolgreichsten und wich-tigsten kulturellen Unternehmungen der Zeitaus der Taufe: die Reihe kam dem Bedürfniseiner sich wirtschaftlich schnell entwickeln-den Gesellschaft im richtigen Augenblick ent-gegen, wie sie damals vor allem in derLombardei anzutreffen war. Es bestand ein

Die leuchtenden

Buchdeckel einiger

alter Ausgaben der

Manuali [Handbücher],

der bekanntesten und

repräsentativsten

Reihe aus dem Verlag

von Ulrico Hoepli.

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Ulrico Hoepli

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Bedarf an qualifizierten und fundierten techni-schen Übersichtsdarstellungen. Die Manuali

Hoepli [Hoepli-Handbücher] waren eineumfassende Hilfestellung beim Erlernen vonhandwerklichen und anderen Berufen. DieGenauigkeit und Einfachheit, sowie die enor-me Vielfalt der Themen erlaubten es UlricoHoepli, die Konkurrenz der grossen Verlegerauszustechen, auch wenn sie schon lange imBereich der wissenschaftlichen Buchpro-duktion tätig waren, von Dumolard bisSonzogno, von Vallardi bis Treves. In kurzerZeit bekam die Reihe der Manuali eine klarumrissene Gestalt. 1875 wurde sie mit demManuale del tintore [Handbuch für Färber]

von Lepetit eingeweiht, 1877 festigte sie sichmit dem überaus erfolgreichen und langle-bigen Manuale dell’Ingegnere von GiuseppeColombo, dem namhaften Direktor desPolitecnico [der Technischen Hochschule]von Mailand. Das Buch wurde damals zueiner Art Lexikon, mit mehreren Bändenund dem klaren Ziel einer möglichst gutenVerständlichkeit. Auch wenn er technischeund wissenschaftliche Themen weiterhinvorzog und seine Veröffentlichungen aufdiesem Sektor bald zu Lehrbüchern wurden,umschloss die Reihe der Manuali in kurzerZeit das gesamte Spektrum des menschli-chen Wissens: von der Landwirtschaft bis zurPhysik und Chemie, von der Naturgeschichtebis zur Medizin und Chirurgie, von derElektrizität bis zu den Ingenieurswissen-schaften, von der Mathematik bis zurRechtswissenschaft, von der Archäologie undGeschichte bis zur Geografie, von derPhilosophie und Pädagogik bis zurKriegskunst, von der Literatur über dieSprachwissenschaft bis hin zur Musik. DieJahre nach der Entstehung der Reihe derManuali zeichneten sich durch eine allge-meine und stürmische Entwicklung derlombardischen Verlagsindustrie aus. Vorallem Mailand war zum wichtigstenZentrum der Produktion von Druckwerkengeworden, dominiert von den beidenGiganten Sonzogno und Treves – die Stadtwar gewissermassen das Leipzig Italiensgeworden. Ein so günstiges Umfeld konnte für dasWachstum eines so vielseitigen und allenNeuheiten gegenüber offenen Verlegers wieHoepli nur fruchtbar sein. Von nun an wurdendie Bände nicht mehr einzeln auf den Markt

gebracht, sondern in wahren Wellen, die ohneUnterlass im Original und in Übersetzungenin die Regale fluteten. Allein 1880 wurden 53Bände herausgegeben, 1890 waren es schon100. Zwischen 1894 und 1898, einer Zeit derwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise– es waren die Jahre des unglücklich verlaufe-nen Afrikafeldzuges, der Bankenskandale undHungerrevolten – kamen unbeirrt davon etwa700 neue Werke heraus.Die wirtschaftliche Erholung von Mailand zuBeginn des 20. Jahrhunderts nach der tragi-schen Pause von 1898 war für Hoepli alsBuchhändler und Verleger besonders wichtig.In den Jahren der Belle Époque war derBuchladen mehr als jemals zuvor das Herzdes intellektuellen Lebens des kultiviertenMailänder Bürgertums. Immer wieder fandensich vor Hoeplis Regalen Kulturschaffende,Literaten und “befreundete Verleger” aus derStadt ein, daneben auch einige Berühmt-heiten, die hier gerade ihren vorübergehen-den Aufenthalt genommen hatten: GiuseppeGiacosa, Sem Benelli, Sabatino Lopez, EmilioTreves, die Vallardis, Benedetto Croce, umnur einige von ihnen zu nennen. Und genauhier, im Buchladen, konnte Hoepli dieNachfrage des Marktes am besten erkunden.Vielleicht war es auch der Laden selbst, dereben diese Nachfrage anregte. Er war nichtnur ein reiner Ort des Verkaufs, sondern auch

Die Logotype mit

dem Motto In labore

virtus et vita,

die seit 1870 die

Veröffentlichungen

des Verlages von Ulrico

Hoepli ziert.

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Die glückliche Intuition eines Buchhändlers und Verlegers

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ein äusserst lebhaftes Zentrum für Informa-tionsaustausch und kulturelle Kontakte, eineArt Indikator für die Bedürfnisse und denGeschmack des Lesepublikums. Der Handel war also eine lebhafte Angelegen-heit, nicht weniger lebhaft war allerdingsauch die Verlegertätigkeit. Ulrico Hoepli, derab 1903 von seinem Neffen Carlo unterstütztwurde, hatte den schon zu einem Klassikergewordenen Manuali weitere und nichtweniger bedeutende Reihen an die Seitegestellt: darunter die Biblioteca Tecnica

[Technische Bibliothek], die Biblioteca clas-

sica hoepliana [Klassische Hoepli-Bibliothek]

und die Collezione storica Villari [Historische

Sammlung Villari].Mit der Anzahl der Werke wuchs auch dasPublikum, und hier vor allem das neue,jugendliche und weibliche Publikum. DenFrauen wollte der Verleger im Jahr 1900 einzukunftsweisendes Buch mit dem TitelCome devo allevare il mio bambino [Wie ich

mein Kind aufziehe] von Valvassori-Peroniwidmen. Dabei handelte es sich um nichtsanderes als um einen Vorläufer der Bibel derzeitgenössischen Kindererziehung, Il mio

bambino [Mein Kind] von Dr. Spock.Zu den für ein breites Publikum bestimmtenBüchern kamen weitere Ausgaben grosserWerke. Stellvertretend für alle anderen soll-te hier das 1901 begonnene monumentaleWerk Storia dell’arte italiana [Geschichte

der italienischen Kunst] von Adolfo Venturigenannt werden.Die schlechte Konjunktur nach dem ErstenWeltkrieg, die den Untergang einiger ruhm-reicher alter Mailänder Verlage wie Trevesund Sonzogno verursacht hatte, schienHoepli weder im Hinblick auf den Buchladen,noch im Hinblick auf den Verlag in derSubstanz anzugreifen. Hoepli wurde 1923von einem Einzelunternehmen in eineGesellschaft umgewandelt, wenn auch immernoch auf Familienbasis, und nachdem auchder Handel mit alten Büchern begonnen wor-den war, konnte die Firma im Jahr 1925 etwa5’000 Titel in ihrem Sortiment anbieten.Davon machten die Handbücher mehr als1’500 aus, auf die anderen Werke entfielenetwa 3’000 Werke. Der Buchladen war immernoch das beliebteste und meistbesuchte kul-turelle Zentrum der Stadt. Um die engeBindung zwischen dem Verleger und Mailandgewissermassen zu besiegeln und den 60.

Jahrestag seiner Ankunft in der Stadt zu fei-ern, schenkte der alte Verleger der Gemeindeein grosses Planetarium, damit – wie er selbsterklärte – all das, was er von der Wissenschafterhalten hatte, zur Wissenschaft zurückkeh-ren könne. Mehr als ein halbes Jahrhundert nach seinerÜbersiedlung in die lombardische Hauptstadtarbeitete der “Schweizer” Verleger nun ineiner ganz anderen Umgebung. Die Ent-wicklung der Verlagsindustrie schritt weitervoran, aber die Zugpferde waren nicht mehrdieselben. Die Riesen der Vergangenheit,Sonzogno und Treves, wurden durch andereersetzt, allen voran Mondadori und Rizzoli.Gleichzeitig traten mit Bompiani undScheiwiller neue, jüngere Verleger auf denPlan. Ulrico Hoepli schien einer der wenigenVerleger der alten Garde zu sein, die überlebthatten, ohne von den Veränderungen undModernisierungen des Sektors fortgespültworden zu sein. Das Geheimnis seines Über-lebens ist vielschichtig. Vor allem sind da eingewisser Pragmatismus zu nennen, aus demheraus er sich der politischen Entwicklungnicht nur nicht in den Weg stellte, sondern1933 sogar die später viel diskutierten Scritti

e discorsi [Schriften und Reden] von BenitoMussolini herausgab. Zweitens kümmerte ersich unbeirrbar auch um den Buchhandel,der scheinbar die Risiken abfederte, die mitder Herausgabe erfolgloser Werke einhergin-gen. Und drittens – und das ist nicht zuunterschätzen – blieb er seiner Verlagslinietreu. Er war in der Nische, die er durch dieManuali besetzt hatte, gut platziert, undnachdem er von den Ausflügen in die unter-schiedlichsten Genres Abstand genommenhatte, konzentrierte er sich voll auf die tech-nisch-wissenschaftlichen Veröffentlichungen.Davon zeugt auch die Zeitschrift “Sapere”[Wissen], die 1935 zum ersten Mal erschien,wenige Monate nach seinem Tod. Die Zeitschrift wollte den Lesern (wie auchschon vorher) eine Art Überblick über alleFortschritte auf den Gebieten von Wissen-schaft und Technik bieten – die Fortsetzungeiner alten Tradition bei Hoepli, die auf dieseWeise unter der Leitung seines Neffen Carloein neues Aushängeschild fand.

* Professorin für Geschichte des Journalismus an

der Fakultät für Politikwissenschaften der

Universität Mailand

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Die glückliche Intuition eines Buchhändlers und Verlegers

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Zwischen Schweiz und Italien. Das Leben und die Gestalt des Ulrico Hoepli

von Tindaro Gatani*

Ulrico Hoepli im Alter von 15 Jahren,

zur Zeit seiner Buchhändlerlehre

in Zürich (1862).

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Ulrico Hoepli

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Ulrico Hoepli wurde am 18. Februar 1847 inTuttwilerberg geboren, einem nur wenigeHäuser umfassenden Ortsteil des DorfesTuttwil im Kanton Thurgau “mitten im bergi-gen Grün, nicht weit vom ewigen Hauch desBodensees, unter dem Rheinbogen, wo derFluss sich behäbig und majestätisch inRichtung Schaffhausen wälzt” – so GiovanniGalbiati in seinem 1935 in Mailand erschiene-nen Werk Ulrico Hoepli. Profilo [Ulrico Hoepli.

Ein Profil]. Mit 14 Jahren finden wir ihn inZürich, gewissermassen auf dem Übungsplatzseines Lebens. Dort besucht er dieBerufsschulen und lernt das “Metier” in einemder besten Buchläden der Stadt. DieserTätigkeit wird er später auch in Leipzig,Breslau, Wien, Triest und Kairo nachgehen,wo er sich um die Khedivische Bibliothek desägyptischen Vizekönigs kümmert. SeineVerbindungen zur Stadt an der Limmat wer-den dann durch die 1872 geschlossene Ehemit der Zürcherin Elisa Häberlin noch einmalgestärkt. Seine Frau wurde zur unermüdli-chen Gefährtin und Mitarbeiterin. Er hatte siezwei Jahre zuvor kennen gelernt, als er mitnoch nicht 24 Jahren gerade im Begriff stand,nach Mailand aufzubrechen. Am 7. Dezember1870, dem Tag des Mailänder SchutzheiligenAmbrosius, traf er in der lombardischenHauptstadt ein. Weniger als einen Monat nachseiner Ankunft übernahm er schon dieBuchhandlung von Theodor Laengner in derGalleria De Cristoforis, dessen bescheidenesGeschäft er bald schon vergrösserte und umden verlegerischen Bereich erweiterte. Nach den Angaben von Gaetano Afeltra inseinem Artikel Il vecchio libraio e il suo

segreto. Ricordi di una Milano che non c’è

più [Der alte Buchhändler und sein

Geheimnis. Erinnerungen an ein verschwun-

denes Mailand], erschienen im “Corrieredella Sera” am 9. Februar 1991, war dieGalleria De Cristoforis, die man über denCorso Vittorio Emanuele erreichte, “ein lan-ger Schlauch mit einer weitenGlasüberdachung, voll mit Läden, an dieMailand wie an vieles andere mit Wehmutzurückdenkt.” Einige Jahrzehnte später gabes ausser dem Hoepli-Verlag “eine Friseuse,einen Laden für Mieder und Büstenhalter, dasAntiquariat von Walter Toscanini, denHerrenausstatter Lucchini, dann ‚Betezat’,einen Laden für Kinderkleidung, ein edlesSchuhgeschäft, den Schreibwarenladen

Pancrazi, die berühmte Sala Volta, denBuchladen Paravia, die Pension DeCristoforis und einige Anwaltskanzleien undBuchhalterbüros.” Die Galleria De Cristoforiswar gleichzeitig gewissermassen der Salonder gutsituierten Mailänder Gesellschaft undeine berühmte Strasse der Stadt. Mit dem Beginn der Verlegertätigkeit ent-schied der junge Thurgauer, die Ver-öffentlichung von Romanen und Erzählungenso weit wie möglich einzuschränken, um nichtmit den etablierten Verlagen in Konkurrenz zutreten. Stattdessen konzentrierte er sich aufeinen Bereich, der völliges Neuland darstellte –den von Technik und Wissenschaft. DieLiteratur im eigentlichen Sinne hatte bereitsihre Verleger. Nach der Vereinigung Italienswar Mailand mit der Biblioteca Ambrosiana,dem Politecnico, dem Osservatorio Astro-nomico di Brera und der Accademia Scientifico-Letteraria eins der grossen europäischenKulturzentren.Schon ganz zu Anfang seines Aufenthaltes inder Stadt hatte Hoepli sich Giovanni Piazza alsfähigen Mitarbeiter geholt, der schon 1873Leiter des in Neapel eröffneten Buchladensund dann für viele Jahre Prokurist desVerlages wurde.Obwohl er schon von “schönen und grossenDingen” träumte, liess sich der junge Verlegerzunächst durch Klugheit und Voraussicht lei-ten. “Seine Geschäftstätigkeit”, so hält wiedereinmal Galbiati fest, “musste natürlich vonAnfang an im Ordnen und Ausprobieren beste-hen, wenn die Mischung aus Kühnheit undVorsicht später die erwünschten Früchte tra-gen sollte”. Wichtigstes Ziel von Hoepli war es,zur Befriedigung der kulturellen Bedürfnisseund des Wissensdurstes beizutragen, die imneuen Italien um sich griffen, diesem Land,“in dem die Probleme von Industrie undHandel wie auch die des täglichen Lebens sichmit einer einzigartigen Dringlichkeit stellten,lösbar nur durch eine schnelle und umfassen-de, genau geplante und in Mitteln undMethoden wirksam umgesetzte Förderungund Verbreitung von Wissen.” (Gli Svizzeri in

Italia, [Die Schweizer in Italien], Mailand,1939).Um Leben und Werk dieser grossenPersönlichkeit vorzustellen, erschien ausAnlass des 150. Jahrestages von HoeplisGeburt, der am 22. August 1997 in seinerHeimat Tuttwil begangen wurde, im Verlag der

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Die glückliche Intuition eines Buchhändlers und Verlegers

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Neuen Zürcher Zeitung ein wertvolles Buch mitdem Titel «... am literarischen Webstuhl ...».Ulrico Hoepli 1847-1935. Buchhändler,

Verleger, Antiquar, Mäzen. Unter der Leitungvon Joseph Jung, dem Sekretär der Hoepli-Stiftung, haben 25 Kenner der Materie ihrenBeitrag zu diesem wichtigen Werk geleistet,das die Biografie dieses “Kulturproduzenten”und Verfechters von immer engerenBindungen zwischen Italien und der Schweizim Namen gemeinsamer Werte undInteressen bereichert. In der Einleitung desBuches unterstrich der Bundesrat FlavioCotti, Vorsitzender der Stiftung, dass UlricoHoepli “im 1870 eben erst vereinigten Italiendie dem jungen Staat mit seiner schnellenIndustrialisierung bevorstehenden Änderun-gen genau richtig deutete und mit seinenManuali einem neuen Bedürfnis nach vertie-fendem und allen zugänglichem Wissen aufdem Gebiet der Technik und Natur-wissenschaft entgegen-kam.” Die noch heutebedeutenden Bindungen zwischen demMailänder Verlag und der Schweiz werdenauch belegt durch den Erfolg, den dieAusstellung in der Zürcher Zentralbibliothek(Dezember 2003 bis Februar 2004) überLeben und Werk von Ulrico Hoepli (1847-

1935), ein Thurgauer zwischen Limmat und

Naviglio, bei Kritikern und Publikum hatte.Hoepli war gleichzeitig Schweizer undItaliener, und um die Liebe zu seinen beidenHeimatländern zu unterstreichen, sagte erimmer: “Für Italien empfinde ich die gleicheLiebe wie für die Schweiz.” Und beiden“Heimatländern” machte er so viele Schen-kungen, dass es schwierig ist, sie alle aufzu-führen. Seine Grosszügigkeit ist auch durcheinen kürzlich entstandenen Aufsatz vonJoseph Jung dokumentiert, der sich in demoben genannten Werk wiederfindet, sowie indem Buch Ulrico Hoepli. 1847-1935. Editore e

libraio [Verleger und Buchhändler], herausge-geben von Enrico Decleva und erschienen2001 in Mailand. Die zahlreichen Anfragen ausTuttwil und dem ganzen Kanton Thurgaubeantwortete der “Mailänder”, wie er von sei-nen Mitbürgern respektvoll genannt wurde,immer sehr freigiebig. Wenn er in seineHeimat zurückkehrte, erwiesen ihm die loka-len und kantonalen Behörden offizielleEhrenbezeugungen mit Kapellen, Gesang,Salutschüssen und fahnengeschmücktenHäusern. Zu dieser Gelegenheit rief die

Regierung dann auch den so genannten“Mailänder Tag” aus, einen Feiertag, an demder berühmte Sohn des Ortes gefeiert wurde.Seine Grosszügigkeit beschränkte sich nichtauf sein Heimatdorf. Er machte zahlreicheandere Schenkungen, von denen dieZentralbibliothek in Zürich, die Anstalt fürGeisteskranke in Münsterlingen, die SchweizerSchule in Mailand und die Universität vonZürich profitierten. 1911 entschloss er sich, ebenfalls in Zürich,eine Stiftung ins Leben zu rufen, die seinenNamen tragen und literarische sowie wissen-schaftliche Studien von Gelehrten aus beidenLändern fördern sollte. Bei dieser Gelegenheiterklärte die Regierung der Schweiz, die dieGründungsurkunde bestätigt hatte, sich

bereit, den Vorsitz der Stiftung zu überneh-men. Die Schweizer Behörden zollten damitihrem Mitbürger höchste Anerkennung fürseine aussergewöhnlichen kulturellenVerdienste in Italien. Die Hoepli-Stiftungschüttet noch heute in verdienstvoller ArbeitGelder an Personen und Institutionen aus, diesich um Wissenschaft und Kultur in den beidenLändern verdient machen. Unter den vielenSpenden, die an schweizerische Kulturein-richtungen gingen, befindet sich zum BeispielLa Cameriera [Das Dienstmädchen] in Öl aufLeinwand von Amedeo Modigliani, die 1927dem Kunsthaus in Zürich geschenkt wurde.“Seiner” Stadt Mailand schenkte Ulrico Hoepliunter anderem eine wertvolle Gemälde-sammlung und zum 60. Firmenjubiläum dasberühmte Planetarium in den Gärten vor PortaVenezia, das noch immer zu den modernstender Welt gehört. Den Bibliotheken der bei-den Länder schenkte er Massen vonBüchern und bekam dafür zu den verschie-densten Gelegenheiten viel Anerkennungausgesprochen: die Universität der Stadt an derLimmat verlieh ihm schon 1901 als Förderer

Die Bevölkerung von

Tuttwil schart sich um

das Geburtshaus von

Ulrico Hoepli-Anlass

ist die Hochzeit von

Hoeplis gleichnamigem

Grossneffen mit

Teresa Gerberding am

7.April 1934.

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Ulrico Hoepli

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der Wissenschaften die Laurea honoris causa;Mailand benannte eine Strasse im Herzen derStadt nach ihm – übrigens die Strasse, in dernoch heute der Ulrico Hoepli-Verlag seinenSitz hat.Zu der beinahe schon sprichwörtlichenBescheidenheit von Hoepli und seiner Fraustand nur seine Villa in einem gewissenKontrast, ein 350 Quadratmeter grossesGebäude im italienischen Renaissancestil,das die beiden sich 1894-95 in derSimplongegend errichten liessen. Das“Villino Hoepli” mit seinen 28 Zimmern warvon einem grossen Garten umgeben. ImInnern beeindruckte vor allem das prachtvol-le Esszimmer mit seinen 9 Metern Länge undfast 5 Metern Breite, dann ein chinesischesZimmer, ein Renaissancezimmer und einBillardraum. Es gab eine grosse Treppe ausHolz, ein vom schweizerischen KünstlerRichard Arthur Nuscheler bemaltes Fenster,eine Loggia, zu der man über das Esszimmergelangte und eine Terrasse. Niemand konntejemals erklären, so Joseph Jung, “wie dieHoeplis dazu kamen, sich eine derart impo-sante Villa errichten zu lassen”, zumal der Bau“mit Sicherheit nicht als Statussymbol diente,und rauschende Feste fanden hier auch nichtstatt”. Es ist bekannt, dass “Hoepli eine stilleArt der Gastfreundschaft vorzog, er öffneteseine Tür für Freunde und Bekannte, vorallem am Samstagabend, um mit ihnen zuplaudern, zu spielen und zu essen”.Nur bei einer Gelegenheit erfüllte die Villaauch ihren Zweck als Repräsentationsbau: im

Jahr 1906 beherbergte sie den SchweizerBundespräsidenten Ludwig Forrer, der anläs-slich der Feierlichkeiten wegen derEröffnung des Simplontunnels nach Mailandgekommen war. Sie wurde damals von einerEhrenformation Soldaten bewacht und dieEhrenbezeugungen der Mailänder waren sozahlreich und so drängend, dass der “Königder Schweiz” sich mehrmals auf dem Balkonzeigen musste. Joseph Jung erinnert an eineunterhaltsame Episode: Hoepli wollte geradein die Kutsche steigen, um Forrer zu den offi-ziellen Veranstaltungen mit dem italienischenKönig zu begleiten, doch als er gewahr wurde,dass der Präsident wie immer seinenSchlapphut aufhatte, rief er aus: “So geht dasnicht, wir müssen da mit Zylinder hin!” –“Wenn das jemandem nicht passt, dann tut esmir Leid für ihn”, antwortete Forrer, “ich habenur diesen Hut dabei, und einen anderen kannich nicht aufsetzen.” – “Na gut”, gab Hoeplizurück, “dann müssen Sie auch auf meineAnwesenheit verzichten, bei einem Anlass wiediesem kann ich nicht auf diese Weise gegendie Etikette verstossen.” Forrer, verblüfft undschon ein wenig ärgerlich, meinte daraufhin:“Und wo soll ich bitte im letzten Momenteinen Zylinder herbekommen?” – “KeinProblem”, sagte Hoepli und gab seinerHaushälterin Marie Bützberger ein Zeichen,woraufhin diese mit zwei neuen Zylindernankam, die gerade am Tag zuvor gekauft wor-den waren.An einem einzigen Tag, dem 14. Februar 1930wurde Hoepli zum Zeichen der Anerkennung,

Das Villino Hoepli

auf einem Aquarell aus

dem Jahr 1896.

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Die glückliche Intuition eines Buchhändlers und Verlegers

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die er sich in 60 Jahren als Verleger undBuchhändler erworben hatte, nacheinandervom Papst, vom italienischen König und vomRegierungschef Benito Mussolini empfangen –eine Ehre, die sonst nur Staatschefs vorbehal-ten war. 1933 wurde der Ulrico Hoepli-Verlagfür die Herausgabe der Scritti e discorsi vonMussolini ausgewählt, die in wenigen Jahreneine Auflage von 240’000 Bänden erreichten.Eduard Stäuble bemerkt in seinem Werk I

Protagonisti [Die Protagonisten] (Locarno1995): “Hoepli war absolut offen dem Duce

gegenüber, der für ihn wie für viele Italienerdie Idee von der erfolgten Einigung und derEinheit der jungen Nation verkörperte.” Und“das Schicksal ersparte Hoepli die schlimm-sten Enttäuschungen im Hinblick auf denDuce (Eroberung Abessiniens 1935, InvasionAlbaniens 1939, Kriegseintritt an der SeiteHitlers 1940).”Neben seiner Leidenschaft für neue und alteBücher liebte Ulrico Hoepli auch die Bergeund das Reisen. Er wählte die Schweizer Bergeals bevorzugten Ferienort und zeigte auchdarin seine Verbundenheit zur Heimat. Alleinoder mit seinen Freunden vom Club AlpinoItaliano [dem Italienischen Alpenverein]erwanderte und erkletterte er mal die schwei-zerischen, mal die italienischen Alpen. Auchden einen oder anderen Abstecher in fernereGefilde leistete er sich, zum Beispiel zumSpitzberg oder, in Begleitung seiner Frau,nach Ägypten, nach Spanien, in den Orientund auch zwei Mal nach Amerika, einmal inden Süden und einmal in den Norden desKontinents. Und auch im hohen Alter von 85Jahren überkam ihn noch einmal der Wunsch

nach dem “Rausch, die Alpen zu überfliegen”.Dieser Wunsch konnte durch den schweizeri-schen Piloten Walter Mittelholzer erfüllt wer-den, der Hoepli am Montag, dem 20. April1931 von Mailand nach Zürich flog, wo derVerleger Ehrengast beim Sechseläuten-Festzug war, einer festlichen Veranstaltungder Zünfte aus der Stadt an der Limmat, mitdenen der Beginn des Frühlings durchVerbrennen des Böögg, einer Winterpuppe,gefeiert wurde. Am folgenden Tag war der “alte” Hoepli schonwieder auf dem Rückweg nach Mailand, wo erimmer früh morgens mit der Arbeit begann.An seinem Arbeitsplatz ereilte ihn im Alter von88 Jahren schliesslich auch der Tod – es warder Morgen des 24. Januar 1935 und Hoeplischrieb gerade einen Brief. Zur Erinnerung anden berühmten Verstorbenen zeichnete imMailänder Planetarium am 4. Juni desselbenJahres Giovanni Galbiati, der Präfekt derBiblioteca Ambrosiana, in einer Rede ein

umfassendes und wirklichkeitsgetreuesPorträt des Verlegers, das dann zur Grundlageseines bereits genannten Werkes Profilo

wurde: “Wenn man ihn sah und wenn man mitihm redete, konnte er einem leicht vorkom-men wie einer unserer Buchhändler aus dem15. Jahrhundert, wie etwa Zaroto in Mailand,die gleichzeitig Handwerker mit eigenerWerkstatt und so mit ihren Büchern gewisser-massen eins geworden waren. Mittelgross,kräftig, mit vollem Gesicht, die Haare an derStirn hochgekämmt und an den Seiten immernoch voll, der Bart hart und gestutzt, natür-lich, präzise und knapp im Ausdruck undnicht ohne ruhigen Scharfsinn, wie ein alterThurgauer Rheinländer, und verlässlich wieeine Schweizer Uhr von der robusten Sorte. Erwusste, was er wollte, der Druck welcher

Links:

Ulrico Hoepli an den

Niagarafällen, wohin

er während seiner

Nordamerikareise

1893-94 einen

Abstecher machte.

Rechts:

Ulrico Hoepli (vierter

von rechts) und

der schweizerische

Pilot Walter

Mittelholzer (vierter

von links) anlässlich

des Alpenüberfluges

vom 20.April 1931.

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Ulrico Hoepli

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Bücher aussichtsreich war, nach denVorgaben, die er sich selbst innerhalb derzahlreichen Möglichkeiten der Verlegerkunstgesetzt hatte.” Vorher hatte Galbiati gesagt,dass Hoepli “Anteil an alle nahm und dass inallem eine strenge und trockene Disziplinwaltete, die aber mit, ich würde sagen, einergeradezu väterlichen Güte und Sanftheitdurchsetzt war, so dass er an den Belangenseiner Mitarbeiter auf grossherzige Weiseauch über den Buchladen hinaus und bis inden familiären Bereich teilhatte.”Das familiäre Klima, das im Verlag herrschte,wurde auch von Gaetano Afeltra im erwähntenArtikel des “Corriere della Sera” erwähnt. ÜberCesare Branduani, den legendären, im Jahr1976 im Alter von 80 Jahren verstorbenenMailänder Buchhändler, sagt Afeltra, er seieine “Persönlichkeit mit langer kulturellerLebensdauer, Freund von Hunderten vonSchriftstellern gewesen”. “Cesarino” hatte, soAfeltra, mit zehn Jahren im Verlag von Hoepli

zu arbeiten begonnen, wo sein Vater, einBriefbote, ihn untergebracht hatte, weil er mitseinen 90 Lire im Monat die sieben Kindernicht versorgen konnte. “Gut, schicken Sieihn pünktlich um sieben”, hatte Ulrico demVater geantwortet, “und wir werden sehen,womit wir ihn beschäftigen können.” Und sowarteten der bescheidene Briefbote und seinkleiner Sohn am nächsten Morgen noch vordem Termin auf die Öffnung des Fallgitters vordem Buchladen in der Galleria De Cristoforis.“Als Hoepli diesen Jungen mit den ausdrucks-vollen Augen und dem Kindergesicht sah,

wurde sein Herz ganz weich. Er nahm ihn ander Hand, um ihn zum obersten Laufburschenzu bringen, fragte ihn vorher aber noch nachseinem Namen. ‘Cesarino’, antwortete derJunge. Von diesem Augenblick an war er füralle nur noch Cesarino”. Innerhalb von weni-gen Jahren wurde Cesarino einer der bestenMitarbeiter im Buchladen. Es wird erzählt,dass er Dank seines hervorragendenGedächtnisses nicht nur die 2000 Titel derManuali von Hoepli im Kopf hatte, sondernauch die Preise und die Standorte allerBücher in den Regalen. Und so stieg Cesarinovon einem einfachen Verkäufer Stufe fürStufe zum Direktor des Buchladens auf.Seinem Arbeitgeber blieb er immer in liebe-voller Dankbarkeit verbunden. Ausser mit den berühmten Manuali war derUlrico Hoepli-Verlag auch bald sehr erfolg-reich mit seinen wertvollen Sammlungenüber Kunst, Literatur und Wissenschaft sowieden prachtvollen Folio-Ausgaben. Wie dieManuali, so wurden auch die Werke dieserSammlungen von den grössten Experten derjeweiligen Materie betreut. Unter den Hoepli-Sammlungen gebührt den prunkvollenAusgaben der Codici Vaticani [Vatikanische

Codices], den Collezioni archeologiche, arti-

stiche e numismatiche dei Palazzi apostolici

[Archäologische, künstlerische und numis-

matische Sammlungen der Apostolischen

Paläste] und den Monumenti storici ed arti-

stici del canton Ticino [Historische und künst-

lerische Denkmäler des Kantons Tessin]

besondere Beachtung. Der Schweizer UlricoHoepli verstand es, die Liebe zu seinerWahlheimat zu zeigen und legte grosseSorgfalt auch in die Veröffentlichung derWerke von und der Studien über Dante. Dieerste Ausgabe des Dichters bei Hoepli ist der“Dantino” [“Der kleine Dante”] in winzigenLettern aus dem Jahr 1878. Später folgten der“Dante minuscolo” [“Der winzige Dante”] vonFornaciari, eine Reproduktion des CodexTrivulziano aus dem Jahr 1337 als Helio-chromie und der “Dante del re” [“Dante desKönigs”], die Göttliche Komödie, die sogenannt wurde, weil sie auf Wunsch vonKönig Umberto I. mit einem Kommentar vonStefano Talice da Ricaldone entstand. BeiHoepli erschienen dann noch verschiedeneAusgaben der Vita nuova [Neues Leben] unddes Canzoniere [Buch der Lieder], dann dasUltimo rifugio di Dante Alighieri [Das Letzte

Der Verlagskatalog mit

den 500 Manuali Hoepli

[500 Hoepli-Handbücher]

(1897).

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Die glückliche Intuition eines Buchhändlers und Verlegers

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Refugium des Dante Alighieri] von CorradoRicci, die Nuovi studi danteschi [Neue Dante-

Studien] von D’Ovidio, Beatrice nella vita e

nella poesia del secolo XIII [Beatrix im Leben

und in der Dichtung des 13. Jahrhunderts]

und Dante e la Francia [Dante und

Frankreich] von Farinelli, sowie verschiedeneandere Werke, von denen hier nur an Dante

nell’arte tedesca [Dante in der deutschen

Kunst] von Locella erinnert werden soll. Einem so aufmerksamen Verleger wie Hoeplikonnte angesichts seiner schweizerischenWurzeln nicht entgehen, was in der deutschenKulturwelt und vor allem in seiner eigenenHeimat passierte; die Bedeutung der Dante-Studien seines Landsmanns Giovanni AndreaScartazzini konnte ihm nicht verborgen blei-ben. Dieser stammte aus Bondo, einem Dorfim Bregaglia-Tal, wo er 1837 geboren wurde.Nach der ersten Schulausbildung in seinemHeimatort und der Maturität in Basel besuch-te Scartazzini eine Weile die theologische

Fakultät der rheinischen Stadt und wechseltedann “wegen theologischer Meinungsver-schiedenheiten” mit den Professoren an dieUniversität von Bern. Ab dieser Zeit kamensolche Meinungsverschiedenheiten, Streitig-keiten und Unduldsamkeiten leider ziemlichhäufig in seinen Arbeits- und Studien-beziehungen vor. Er war – wie Reto Roedel inseiner Lectura Dantis (Bellinzona 1965)bemerkte – eine “anspruchsvolle, gelegentlichstreitbare Natur” und “passte sich nicht leichtan”. Ein Mensch mit einem solchen Charakterwar nicht gerade dazu geschaffen, lange aneinem Ort zu bleiben. Als reformierter Pfarrerführte ihn sein “Pilgerweg” in verschiedeneGemeinden der Schweiz, auch in Soglio imBregaglia-Tal gab es ein Zwischenspiel,schliesslich kam er nach Fahrwangen am Seevon Hallwil im Kanton Aargau, wo er zusam-men mit Frau und Kindern die letzten 17Jahre seines Lebens bis zu seinem Tod im Jahr1901 verbrachte. Sein grosses Interesse gehör-te den Dante-Studien und vor allem derGöttlichen Komödie. Diese Neigung trieb er,wie Galbiati bemerkt, “fast bis zum Exzess”;so sehr, dass er “nur noch für Dante glühte,von dessen Zitaten selbst seine Predigten vorden ungebildeten Dörflern nur so wimmel-ten”. Um sich seinen Studien ohneAblenkung widmen zu können, bevorzugteScartazzini immer kleine Dörfer für seinenDienst. Kontakte und Auseinandersetzungenmit anderen Gelehrten, wichtig für ein syn-thetisches Werk, wurden dadurch immer sel-tener. Dennoch wurden seine Arbeiten inDeutschland und Italien mit Anerkennungaufgenommen. In diesen Jahren erlebten diebeiden Länder gerade die Wiederentdeckungvon Dante und seinem grossen Werk.1880 ging Hoepli nach Soglio, um den Pfarrerzu treffen. Er wollte mit ihm die Ver-öffentlichung von Dante in Germania. Storia

letteraria e bibliografia dantesca alemanna

[Dante in Deutschland. Literaturgeschichte

und deutsche Bibliografie zu Dante] in zweiBänden vereinbaren, die dann 1881 und 1883erschienen. Ebenfalls im Jahr 1883 erschienenvon Scartazzini in der Reihe der Manuali zweiBände der Vita di Dante [Lebensbeschreibung

von Dante] und Opere di Dante [Werke

Dantes], die im folgenden Jahr in einem BandDantologia [Dante-Forschung] zusammenge-fasst wurden. In diesem Werk – so unter-streicht Reto Roedel in Giovanni Andrea

Kartonierte Titelseite

des “Dante minuscolo

hoepliano” [“Kleinen

Hoepli-Dante”],

veröffentlicht im

“Natale del libro”

[“Bücherweihnacht”]

von 1904.

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Ulrico Hoepli

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Scartazzini (Chiasso 1969) – verschmolzendie Ideale der beiden Schweizer, die ihrerNatur entsprechend vor allem auf Verbreitungsetzten und auf die Befriedigung “der Neugier,über die zu viele andere Dante-Forscher undBiografen” die Nase gerümpft hatten, die aber“den Bedürfnissen eines grossen Publikumsentsprach”, ohne dass dabei “trotz der allge-meinverständlichen Art” das wissenschaftlicheVorgehen vernachlässigt wurde. Im neuenDomizil des Pfarrers in Fahrwangen trafensich Hoepli und Scartazzini ein weiteres Mal,um die “kleinere Ausgabe” der Divina

Commedia riveduta nel testo e commentata

[Revidierte und kommentierte Göttliche

Komödie] zu besprechen, die 1893 erschien.Die Ausgabe des neuen Kommentars vonScartazzini löste, wie zu erwarten gewesenwar, eine Welle von harscher Kritik aus.Scartazzini hatte wieder einmal absichtlicheinige Kommentatoren ignoriert, die in man-chen Punkten eigentlich unverzichtbar gewe-sen wären. Vorwürfe konnten also nicht aus-bleiben. Der ruppige Pfarrer aus demBregaglia-Tal liess sich aber nicht so leichtbeeindrucken und blieb eine entsprechendeAntwort nicht schuldig. Ulrico Hoepli hatteschon seit einiger Zeit die Kritiken mitbekom-men, mit denen man seinen Landsmannbedachte. Davon zeugt ein Brief an denPhilologen Karl Täuber aus Zürich, der in derZentralbibliothek aufbewahrt wird. In diesemBrief vom 14. Januar 1890 schreibt er unteranderem, dass “Scartazzini bis zu einemgewissen Grad eine Autorität” darstellt, aber“in den letzten Jahren nicht mehr auf demaktuellen Stand ist”. Die persönlicheWertschätzung und die Freundschaft desVerlegers zu dem Schweizer Dante-Kennerblieb davon unberührt. Aus der Verbindungging 1896 und 1899 bei Hoepli noch ein wei-teres Werk hervor: die beiden Bände derEnciclopedia dantesca. Dizionario critico e

ragionato di quanto concerne la vita e le opere

di Dante Alighieri [Dante-Lexikon. Kritisches

Wörterbuch zu Leben und Werk von Dante

Alighieri], deren dritter Band, ein Voca-

bolario-concordanza delle opere latine e itali-

ane [Wörterbuch mit Konkordanz der lateini-

schen und italienischen Werke] wegen desTodes von Scartazzini im Jahr 1905 vonAntonio Fiammazzo zu Ende gebracht wurde.Die Bedeutung und der Anklang der Arbeitvon Scartazzini zeigt sich auch an der

Tatsache, dass der Titel Commento

Scartazziniano [Scartazzini-Kommentar]

immer noch in schönem Rot auf demFrontispiz der Göttlichen Komödie von Hoepliprangt, die ab der vierten Ausgabe 1903 vonGiuseppe Vandelli betreut und bis vor kurzemimmer noch nachgedruckt wurde. DieAusgabe des Scartazzini-Kommentars vonHoepli gab den Kenntnissen über dieGöttliche Komödie wichtige Impulse undPrägungen, so dass die späteren Verfasser vonAnmerkungen, auch wenn sie selbst grosseAutoritäten waren, Scartazzini Achtung zollenmussten. Noch heute, und das hat auchRoedel angemerkt, in einer Zeit also, in der“Kommentare eine andere Ausrichtung habenund sich mehr an der Lösung der einzigenProbleme orientieren, die eine solcheDichtung uns heute aufdrängt, hat das Werkvon Scartazzini grosses Gewicht in der gelehr-ten Dokumentation. Es bleibt ein Hilfsmittelauch für die Vertreter neuer Richtungen, die,wenn sie nicht ins Leere laufen wollen, nichtdie Wahrheit übergehen dürfen, die durchScartazzinis Untersuchungen ans Lichtgebracht wurden.” Solche Untersuchungenwaren es, die durch die “Zweisprachigkeit”ihres Urhebers “eine Vermittlerrolle zwischender Kultur des Nordens und der des Südenseinnehmen konnten.”Ulrico Hoepli, der ohne direkte Erben geblie-ben war, wollte der Firma dennoch ihren fami-liären Charakter erhalten. Und so rief er seinebeiden Neffen Carlo Hoepli und ErhardAeschlimann zu sich. Anlässlich des 50.Jahrestages der Firmengründung drückte derVerleger im Vorwort zum AllgemeinenKatalog des Verlages für das Jahr 1922 seineDankbarkeit gegenüber Italien unter anderemfolgendermassen aus: “Es ist nicht an mir,mein Werk zu beurteilen. Eins will ich den-noch bekräftigen: bei allem was ich tat, inspi-rierte mich die glühende Liebe zu Italien, derunerschütterliche Glaube an seine Zukunft,der Respekt für die Ernsthaftigkeit und dieWürde der wissenschaftlichen Studien, dieMensch und Gesellschaft Schritt für Schrittverbessern”. Meine beiden Neffen Carlo Hoepliund Erhard Aeschlimann sind hier, um meineNachfolge anzutreten, wenn ich auf diesemKampfplatz nicht mehr stehen werde können.Ihnen, die dort weitermachen werden, wo ichaufhöre, gelten jetzt schon meine allerherz-lichsten Wünsche. Mit festem Willen und

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Die glückliche Intuition eines Buchhändlers und Verlegers

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Glauben an die Ideale ist es möglich und nötig,immer wieder neue Horizonte zu überwin-den.” Und auf seinem “Kampfplatz” starbHoepli, wie gesagt, erst 13 Jahre später.Der Ulrico Hoepli-Verlag veröffentlichte, wiegesehen, Bücher aus allen Bereichen, aberkeine Romane. Von den etwa 8’000 noch vomGründer herausgegebenen Titeln gehörennur sehr wenige dem Bereich der erzählen-den Literatur an. Hoeplis Nachfolger bliebendiesem Rezept weiter treu, sie räumtenAstronomie, Sprachwissenschaft, Geografie,Dante-Forschung, Bibliothekswesen, Kunst-geschichte und Lehrbüchern für Technik undWissenschaft breiten Raum ein. Nachdem dieGalleria De Cristoforis 1935 abgerissen wor-den war, verlegte Hoepli alle Geschäfts-bereiche in die Via Berchet, wo der Buch-laden mit seinen 14 Schaufenstern zu einemder grössten und schönsten Geschäfte seinerArt in ganz Italien wurde. Ulrico Hoepli-Verlagund Internationale Hoepli-Buchhandlungwurden bei den Bombardierungen desZweiten Weltkriegs vollständig zerstört, warenaber unter den ersten Unternehmen inMailand, die nach dem 25. April 1945, dem Tagder Befreiung von Faschismus und Nazi-besatzung ihren Betrieb wieder aufnahmen. Inihrem Sitz am Corso Matteotti setzten Verlagund Buchladen unter der Führung vonHoeplis Nachfolgern ihren Dienst an Kulturund Wissenschaft fort. Wie ein Symbol desWiederaufbaus wirkt die 1958 erfolgteEinweihung des heutigen Firmensitzes miteinem modernen Buchladen und neuen Bürosin der Via Hoepli 5, im Zentrum von Mailandzwischen Dom und Scala. Der Neubau wurdevon Ulrico Hoepli (1906-2003) in Auftraggegeben und von den Architekten Figini undPollini entworfen.Wir erinnern uns gern an Ulrico Hoepli, wie ervon einem anonymen Autor in dem bereitserwähnten Werk Gli Svizzeri in Italia

beschrieben wurde, das die schweizerischeHandelskammer in Mailand im Jahr 1939 her-ausgab: “In dem unermüdlichen, genauen,rührigen, verständigen, mal kühnen, malreservierten Arbeiter Ulrico Hoepli war derIdealtypus des grossen modernen VerlegersMensch geworden, der in seinem wachen undschlagfertigen Geist Schnelligkeit undGenauigkeit der kaufmännischen Intuitionmit hoch entwickelter Vergeistigung vereini-gen muss, denn in der modernen Gesellschaft

[...] ist ein Buch nicht mehr Ausdruck kom-merzieller und industrieller Aktivitäten, son-dern vor allem eine schwierige und heikleErfüllung der Anforderungen des Geistes undder Praxis [...] Hoepli hatte den Vorteil, dass erauch im reiferen und auch im hohen Alternicht erstarrte [...]: in jungen Jahren war erbereits geistig reif, und als das Alter einNachlassen der Kräfte entschuldbar gemachthätte, war er von seinem Antrieb her immernoch jung. Ulrico Hoepli war ein Baumeister:zäh und hart, aber intelligent und reaktions-schnell, er vereinte praktische Intuition miteiner glühenden Leidenschaft für dieVerlagskunst, die er immer beherrschte. Esgelang ihm, [...] ohne Improvisationen undohne Verzögerungen sein Unternehmen auf-zubauen, er vermied dabei unüberlegtesHandeln und verweigerte sich stetig jeder Artvon konservativem Stillstand. In Italien hatteer bedeutende und hoch angesehene Kollegenals Verleger und Künstler: er schätzte sie,spendete ihrem Werk Beifall und bewunderteund ermutigte sie. [...] Doch er machte nie-manden nach, und er hatte auch keineNachahmer im genauen Sinn des Wortes.Dafür war sein Werk zu persönlich und zu ori-ginell. [...] 60 Jahre lang zog er mit seinemVerlag [...] grosse Talente an, denn sein Werkwar so persönlich und so schöpferisch, undjede seiner verlegerischen Eroberungen warein Sieg seines eigenen Talentes, seinesInstinkts und seiner Methode. In seinem lan-gen Leben hatte Ulrico Hoepli ergebeneFreunde, von denen einige es zu unvergängli-chem Ruhm brachten. [...] Mit ihm aber warenalle die befreundet, die in ihm aufgrund ihrerErfahrung und Dank seiner Ausstrahlung denFürsten der Verleger erkannten.”

* Wissenschaftler an der Zentralbibliothek

von Zürich

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Die glückliche Intuition eines Buchhändlers und Verlegers

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Ulrico Hoepli als grosser Mäzen: Die Ulrico Hoepli-Stiftung

von Joseph Jung*

Amedeo Modigliani, La cameriera

[Das Dienstmädchen], Öl auf Leinwand,

1916. Das Bild wurde 1927

dem Kunsthaus in Zürich von

der Ulrico Hoepli-Stiftung geschenkt.

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Ulrico Hoepli

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Mit der Stiftungsidee beschäftigte sich derdamals 50-jährige Ulrico Hoepli bereitsEnde der 1890er Jahre. Unschlüssig blieb erlange Zeit in Bezug auf den Stiftungszweck.Im Sommer 1911 favorisierte er die“Unterstützung von in den Ruhestand tre-tenden Mitgliedern der schweizerischenLandesregierung”. Gegen eine solche Be-stimmung sprach sich Bundesrat LudwigForrer aus, und er erklärte, dass dieLandesregierung ein solches Geschenk “nie-mals akzeptieren” könne. Der Vorschlag ausBern, die Stiftungsgelder zweckmässig “füreine erstklassige technische Zeitschrift”, dievon der Eidgenössischen TechnischenHochschule geplant war, einzusetzen, stiesswiederum bei Hoepli auf Ablehnung. Dochdann fand die Ulrico Hoepli-Stiftung ihrenZweck in der “Unterstützung gemeinnützi-ger (besonders wohltätiger), wissenschaft-licher und künstlerischer Institutionen undBestrebungen in der Schweiz”, notariellbeglaubigt am 8. September 1911. Hoeplihatte in die Stiftung vorerst 100’000 Frankeneingebracht und bestimmt, dass das Stiftungs-gut “für alle Zeiten” von der Credit Suisse zuverwalten sei. Über die konkrete Verwendungder Mittel sollte eine Verwaltungskommissionentscheiden. Spezielle Weisungen behielt sichHoepli vor. Als nicht bindenden Wunsch gaber folgende Aufteilung vor: die Hälfte der zurVerfügung stehenden Beträge für gemeinnüt-zige und wohltätige Bestrebungen, speziell fürArme, Kranke und für die Jugend; ein Viertelfür wissenschaftliche Bestrebungen, nament-lich für die Witwen- und Waisenkasse derProfessoren der Eidgenössischen TechnischenHochschule und der Universität Zürich, derkantonalen Schulen in Zürich, Winterthurund Frauenfeld; ein Viertel für künstlerischeBelange aus den Gebieten der Literatur, derdarstellenden Kunst und der Musik. Die Verwaltung der Stiftung übertrug Hoeplieiner fünfköpfigen Kommission, die – nachmehreren von Hoepli vorgenommenenModifikationen – bis auf den heutigen Tagaus einem Vertreter der Landesregierung(als Präsident), je einem Regierungsrat desKantons Thurgau und des Kantons Zürichsowie dem Präsidenten des Verwaltungsratesund einem Mitglied des Verwaltungsratesoder der Direktion der Crédit Suisse zusam-mengesetzt sein muss. Die Ausführung derBeschlüsse und die Erledigung der

Korrespondenzen obliegen einem Geschäfts-führer, ebenfalls aus den Reihen der Bank.Dass es Hoepli trotz des damals “bescheide-nen” Dotationskapitals gelang, Regierungs-vertreter zur Einsitznahme in die Ver-waltungskommission zu bewegen, konnteangesichts seiner persönlichen Beziehungennicht überraschen. So wurde denn auchBundesrat Ludwig Forrer erster Präsidentder Ulrico Hoepli-Stiftung.

Anfang 1923 erhöhte Ulrico Hoepli dasStiftungskapital auf 500’000 Franken. ImJahr darauf folgte die Schenkung einer wei-teren halben Million Franken. Nach dem Todvon Ludwig Forrer bestimmte die Landes-regierung – nach dem Willen des Stifters undauf nachdrücklichen Wunsch von BundesratGiuseppe Motta – Bundesrat HeinrichHäberlin als Vertreter. “Ich habe die Idee”,schrieb Hoepli 1922 seinem Neffen, “dass wirso eine gute und schöne Sache für Tuttwilund den Thurgau machen können”. Und derThurgauer Häberlin, der die Stiftungwährend 26 Jahren präsidierte, enttäuschtedie Hoffnungen nicht. Von den zwischen 1924und 1935 total ausgeschütteten Beiträgenvon rund 460’000 Franken gingen beinahe100’000 Franken an Projekte aus dem KantonThurgau. Betrachtet man im genanntenZeitrahmen lediglich die Ausschüttungen fürsozial-karitative Bestrebungen, so steht derKanton Thurgau mit 73’000 Franken odermit rund 40 % dieser Zweckbestimmung anerster Stelle aller begünstigten Kantone. Die Ulrico Hoepli-Stiftung genoss baldhohes Ansehen: Gerade in den erstenJahrzehnten ihrer Tätigkeit, als es noch

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Ulrico Hoepli empfängt

den schweizerischen

Bundespräsidenten

Ludwig Forrer am

1. Juni 1906 anlässlich

der Feierlichkeiten in

Mailand zur Eröffnung

des Simplon-Tunnels.

Forrer war der erste

Präsident der Ulrico

Hoepli-Stiftung.

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keine Jubiläumsstiftungen von Grossbankengab, als andere der heute grossen Stiftungennoch nicht gegründet waren, wiederumandere ihr Kapital verspekuliert hatten, dakam der Ulrico Hoepli-Stiftung eine besonde-re kultur- und sozialpolitische Aufgabe zu,auch wenn der damalige Stiftungspräsident1935 feststellte, dass “viele Unberufene sichebenfalls an unsere Subventionskrippeheranschlängeln”. Und weiter: “Ich habe jetztmit der Hoepli-Stiftung viel zu tun, da auchin Schriftsteller- und Künstlerkreisen Notherrscht…” Oder 1940: “Ich komme mirjetzt bald wie eine Taschenausgabe dereidgenössischen Subventionskuh vor, diebald am Hoepli-, bald am Pro-Helvetia-Eutergemolken wird. Ich kann die biologischeTatsache bestätigen, dass die Kuh sich amwohlsten fühlt, wenn sie gemolken ist”.

Ulrico Hoepli sah 1911 in der sozial-karita-tiven Tätigkeit eine entscheidende Aufgabeseiner Stiftung. Allerdings sollte dieStiftung keine Armenunterstützungsanstaltfür Schriftsteller ohne Talent sein, sie solltekeine “Schmarotzer an der Tempelpforte derschönen Künste züchten, die den Berufenenvor dem Lichte stünden”, sie sollte keineRückversicherungsgesellschaft für Verlegersein, um Bücher ohne eigenes Verlagsrisikoedieren zu können. Und Hoepli wollte nicht,dass durch Stiftungsbeiträge der Staat vonseinen kulturellen Verpflichtungen entbun-den werde. Ausdrücklich verfügte er auch,dass “Politik und Religion” bei Vergabungenkeine Rolle spielen durften. Der später

erfolgte Verzicht auf jegliche inhaltlichenVorgaben bei der Ausschüttung der Mittelerwies sich als weise. Der Verwaltungs-kommission wurde so die Möglichkeit gege-ben, für die Beschlussfassung qualitativeArgumente heranzuziehen. Sie schöpftediese vollständige Freiheit im Rahmen desStiftungszwecks aus, indem sie dieVergabungsgrundsätze im Verlaufe derJahre immer wieder den neuen gesellschaft-lichen Bedürfnissen anpasste. Die Ulrico Hoepli-Stiftung leistet bis heutesehr geschätzte Unterstützung im kulturel-len Bereich. In Würdigung von HoeplisLeben und Werk sieht die Stiftung ihre vor-nehmliche Aufgabe darin, die Herausgabequalitätsvoller Bücher zu fördern. Dabeilegt sie ihren Schwerpunkt bei kulturge-schichtlichen Themen und Publikationenim Spannungsfeld zwischen dem schweize-rischen und dem italienischen Sprachraum.Auch der Heimat Hoeplis, dem KantonThurgau, ist die Stiftung eng verbunden.Der Pflege des kulturellen Erbes sieht sichdie Ulrico Hoepli-Stiftung überdies ver-pflichtet, wenn sie ausnahmsweise aus-gewählte denkmalpflegerische Vorhabenunterstützt.Ulrico Hoepli selbst war ein Mäzen, dessenWirken die Schweiz und Italien gleicher-massen begünstigte. Wenn Hoepli die gros-sen italienischen Klassiker herausgab, wenner durch technische und wissenschaftlicheBücher die Prosperität Italiens förderte,dann war dies das grösste Geschenk an seine

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Hoepli 1927

in seinem Büro im

Buchladen in der

Galleria De Cristoforis.

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Wahlheimat. Zu diesem Lebenswerk kamsein eigentliches mäzenatisches Wirken.Ulrico Hoepli bezeichnete sich als ein“Italiano di cuore, di sentimenti, di affetti,ma più propriamente Milanese” [Italienervon Gefühl, Neigung und Herz, noch genau-er gesagt, Mailänder]. Folgerichtig bedachteer die Stadt Mailand vor allen anderen: mitder Biblioteca Popolare Ulrico Hoepli[Volksbibliothek Ulrico Hoepli], gestiftet ausAnlass des 50-Jahr-Jubiläums seines Unter-nehmens, mit dem am 23. Mai 1930 einge-weihten Planetarium, sowie mit einer wert-vollen Gemäldesammlung. 1930 erhieltHoepli die goldene Medaille der StadtMailand, eine Auszeichnung auch für die vie-len häufig im stillen gemachten Ver-gabungen. Die finanzielle Unterstützung vonschulischen und wissenschaftlichen Best-rebungen seines “Adoptiv-Vaterlandes” lagHoepli besonders am Herzen. Hoepli wolltedie Studierenden teilhaben lassen an seinemErfolg, am Gewinn, den er mit Büchernerzielt hatte. Die italienische Passion fand ihr mäzenati-sches Gegenstück in der eidgenössischenHeimat, in einer kaum überblickbaren Zahlvon Schenkungen. “Der gute Ulrico wird inletzter Zeit mit Bittgesuchen, die er alle anmich leitet, so überschwemmt, dass ich fasteinen Spezialsekretär zur Beantwortungbenötige”, stellte Johann Heinrich Hoeplischon 1930 fest. Zu den Bittstellern gehör-ten Fremde und Freunde, Privatpersonenund Magistraten: “Ich habe ihn damalsangebettelt – wer hat das nicht getan?” Manverwies auf schiere Notlagen wie auf kurzle-bige Bedürfnisse. Hoepli war zur Stelle, als das Geld für dieErrichtung eines Badeplatzes am Bichelseefehlte, als die Kirche in Wängi eine neueZentralheizung benötigte. Aus Tuttwil schriebder Schützenverein, weil das Schützenhausnicht finanziert war, der Dorfschullehrerebenso, weil er Musikmappen und ein Klavierbrauchte. Hoepli schenkte der Gemeinde seinElternhaus. Er erkannte die “Notwendigkeitder Einführung der elektrischen Beleuchtungauch in den kleinsten Ortschaften” und grifffür die Modernisierung seines Heimatdorfesin die Börse. So profitierten die Tuttwiler inbesonderem Masse von ihrem ausgewander-ten Sohn. Hoepli machte auch andereSchenkungen: 1903 25’000 Franken für den

Bau der geplanten Zentralbibliothek inZürich, 1910 100’000 Franken für denSpezial-Pavillon für weibliche Gemütskrankeder Irrenanstalt in Münsterlingen, 191750’000 Lire für die Schweizerschule inMailand, 1914/18 eine Niobidenstatue inweissem Marmor, geschätzt auf 10’000Franken, für die Universität Zürich.Das bedeutendste Geschenk indes, das Hoeplider Schweiz gab, ist die Stiftung, die bis heuteden Namen des Stifters weiterträgt.

Mitglieder des Stiftungsrats: Altbundesrat Flavio Cotti (Präsident),Walter B. Kielholz (Vize-Präsident), Walter Berchtold, Regierungsrat Bernhard Koch (Kanton Thurgau), Regierungsrat Dr. iur. Markus Notter(Kanton Zürich).Geschäftsführer: Prof. Dr. Joseph JungAdresse: Ulrico Hoepli-Stiftung,c/o Credit Suisse Group, Postfach 1, CH-8070 Zürich

* Sekretär der Ulrico Hoepli-Stiftung von Zürich

Hoepli heute

Hoepli von 1935 bis 20051935 trat Carlo Hoepli die Nachfolge desGründers Ulrico an und gab dem Verlag inden Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg neueImpulse. Veröffentlicht wurden Autoren wieArnheim, Berenson, Guénon, Tucci undZeitschriften wie “Sapere” und “Cinema”[“Kino”]. Leider fügte der Krieg demUnternehmen erheblichen Schaden zu, 1942wurde das Lager zerstört und ein Jahr späterder Buchladen. Im Jahr 1943 waren nur 82der 4000 im Katalog enthaltenen Titel wirk-lich verfügbar. Nach dem Krieg baute CarloHoepli zusammen mit seinem Sohn Ulrico(1906-2003) mit viel Geduld den techni-schen und wissenschaftlichen Katalog wie-der auf. Neben Neudrucken der erfolgreich-sten Titel traten damals Werke von Desio,Giedion und Nervi, und im Jahr 1955begann die Herausgabe der Enciclopedia

Hoepli [Hoepli-Enzyklopädie].

Der erfolgreiche Wiederaufbau des Unter-nehmens zeigte sich vor allem 1958 bei derEinweihung des heutigen Firmensitzes in

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Ulrico Hoepli

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Die glückliche Intuition eines Buchhändlers und Verlegers

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der Via Hoepli 5 mit einem modernenBuchladen und neuen Büros. Die familiärePrägung der Firma blieb bestehen: mitUlrico arbeitete dessen Bruder Giannizusammen und seit den 60er Jahren auchder Sohn Ulrico Carlo. Im Verlauf der 60erund 70er Jahre wurde die technischeProduktion ausgebaut und entwickelt; dasSortiment erweiterte sich in den 80er Jahrenum eine Universitätsreihe und in den 90ernum eine Schulreihe. In den letzten Jahrenkamen weitere Sektoren wie Informatik undManagement dazu. Gleichzeitig entwickeltesich auch die Internationale Hoepli-Buchhandlung weiter, die mit ihren sechsStockwerken eins der wichtigsten Geschäfteihrer Art in Europa ist.Augenblicklicher Vorsitzender ist UlricoCarlo Hoepli, dem bereits die fünfteGeneration mit den drei Kindern Giovanni,Matteo und Barbara zur Seite steht. ZurFührungsriege gehören ausserdem dieGeneraldirektorin Susanna Schwarz, derVerlagsleiter Marco Sbrozi und AldoModugno, der Leiter des Buchladens. Verlag,Buchladen und Lager haben zusammenetwa 100 Angestellte.

Der Ulrico Hoepli-Verlag Der Katalog von Hoepli umfasst heute fast1300 Titel. Jedes Jahr werden einschliesslichder Neuauflagen etwa 120 neue Werke veröf-fentlicht. Das Sortiment ist der wahreReichtum eines Verlags wie Hoepli, wo tradi-tionell auf Nachhaltigkeit gesetzt wird undauf Bücher, die immer wieder Neuauflagenerleben. Nur ein Beispiel dafür: das berühmteManuale dell’ingegnere, das sich von derdünnen, vom Ingenieur Giuseppe Colomboverfassten ersten Auflage der Jahre 1877-78inzwischen zu einer 6680 Seiten starken 84.Auflage in vier Bänden gemausert hat, dievon nicht weniger als 200 Mitarbeiternbetreut wird. Ähnlich verhält es sich mit demNuovo Gasparrelli. Manuale del geometra

[Handbuch für Landvermesser] (22. Auflage),dem Vademecum per disegnatori e tecnici

[Vademecum für Zeichner und Techniker]

von Luigi Baldassini (19. Auflage) und demDizionario tecnico inglese-italiano italiano-

inglese [Technisches Wörterbuch Englisch-

Italienisch – Italienisch-Englisch] von Gior-gio Marolli (12. Auflage).Das Sortiment war schon immer besonde¨s

dem beruflichen Bereich verpflichtet. Dasspricht aus der breiten Textsammlung in derBiblioteca Tecnica von Hoepli. Neben einergut ausgestatteten Auswahl an Bänden zuden Themen Ingenieurwesen, Architektur,Bau, Elektronik und Elektrotechnik sind inden letzten Jahren auch noch solche zuAudio- und Videotechnik und den vielenBereichen der Informatik getreten, die in derReihe Hoepli Informatica [Hoepli Informatik]

herausgegeben werden, sowie Texte zu denThemen Sicherheit und Normen.Eine weitere Stärke des Sortiments sindSprachen und Wörterbücher – unverzichtbarin einer immer stärker globalisierten und ver-netzten Welt. Hier sind vor allem die grossenzweisprachigen Wörterbücher für Englisch(Picchi, Grande dizionario di inglese [Grosses

Englisch-Wörterbuch]), Spanisch (Tam,Grande dizionario di spagnolo [Grosses

Spanisch-Wörterbuch]) und Russisch(Dobrovolskaja, Grande dizionario russo-ita-

liano italiano-russo [Grosses Wörterbuch

Russisch-Italienisch Italienisch-Russisch]) zunennen. Sie alle gehören zu den meistver-kauften Werken ihrer Art in Italien. Dazu kom-men die technischen und wirtschaftlichenFachwörterbücher für Englisch, Französischund Deutsch, die Grammatiken, Sprachkurseund andere Hilfsmittel für die wichtigsteneuropäischen und aussereuropäischen Spra-chen sowie Italienisch für Ausländer. Neu ist dagegen die Hinwendung zuMarketing (Raimondi, Marketing del prodot-

to-servizio [Marketing für Produkte und

Dienstleistungen]), Management (Kerzner,Project Management) und Kommunikation(Colombo, Atlante della communicazione

[Atlas der Kommunikation]), sowie dasInteresse für professionelles Reisen, das sichvor allem in den vielen Bänden der ReiheTurismo & turisti [Tourismus & Tourist]

ausdrückt. Einen Wachstumssektor stellen dieUniversitätstexte mit den Reihen zuWirtschaft (unter den Autoren sind derNobelpreisträger Stiglitz, ferner Fischer,Dornbusch und Krugman sowie die ItalienerPadoa Schioppa Kostoris, Masciandaro undPittaluga) und Übersetzungswesen, diewichtigen Texte zum Ingenieurwesen(Ballio-Bernuzzi, Progettare costruzioni in

acciaio [Planung von Stahlbauten]) undArchitektur (Neufert, Enciclopedia pratica

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per progettare e costruire [Praktisches

Lexikon zum Planen und Bauen], 7.Auflage). Dazu kommen seit kurzem eineReihe über Krankenpflege und eine überFach-Englisch.Bei den Veröffentlichungen für weiter-führende Schulen gehört Hoepli inzwischenzu den zehn führenden Verlegern in Italien.Es gibt ein fest etabliertes Programm für diewichtigsten Bereiche der technischen,beruflichen und künstlerischen Ausbildung.Dazu kommt ein eigener Katalog für diegrundlegende und kontinuierliche Berufs-ausbildung. Eine so breit gefächerte Produktion wie dievon Hoepli bietet natürlich auch eine Reihemit interessanten Titeln zu den ThemenHobby, künstlerischen Techniken undFreizeit; auch die technischen und die illu-strierten historischen Bücher über Seefahrtsollten erwähnt werden.In den letzten Jahren wurden schliesslichzwei weitere traditionelle Betätigungsfeldervon Hoepli wieder aufgenommen: Kinder-bücher und Bücher über Mailand. Für dieKleinen gab es Neuausgaben der klassischenMärchen (Andersen, Grimm, Tausendund-

eine Nacht) mit den bewährten Illustration-en von Zeichnern wie Accornero undNicouline. Ganz neu ist der vergnüglicheCampa cavallo [Halt durch, Pferd] mit 20Tiersprichwörtern und Illustrationen vonAltan. Über Mailand, die Stadt, der Hoepliim Lauf der Zeit eine Reihe von bedeuten-den Büchern gewidmet hat, wurden in denletzten Jahren noch weitere Bände zu denThemen Geschichte und Tradition veröf-fentlicht.

Der BuchladenDie Internationale Hoepli-Buchhandlungverfügt über hoch spezialisierte Abteilungen,die dennoch neben den auf Aktualität ausge-richteten beruflichen Interessen vielerKunden auch allgemeine Leserbedürfnissebefriedigen. Mit seinem breiten Sortimentvon 175’000 Titeln und 500’000 Bänden itale-nischer und ausländischer Literatur gehörtder Laden mit seinen 2’000 QuadratmeternAusstellungsfläche, 40 Metern Schaufensternund zwei Kilometern Regalwand zu den grös-sten Buchgeschäften in Europa. 40 Buch-händler stehen den Kunden auf allenGebieten mit ihrem Rat zur Verfügung:

Wissenschaften, Architektur, Kunst, Grafikund Fotografie, Recht, Wirtschaft undInformatik sowie Literatur, Essayistik undKinderbücher, Sport, Küche, Reisen und alteBücher. Ausländische Bücher haben inzwi-schen einen Anteil von mehr als 30 %. InMailand sagt man für gewöhnlich: “Geh zuHoepli!”, wenn man nach einem besonderenoder schwer zu findenden Buch gefragt wird.Das heisst nicht, dass man das Buch beiHoepli auch sofort im Laden findet, aber zumeinen kann es sofort bestellt werden, zumanderen kann der Buchhändler weitereBuchhinweise zum Thema geben, so dasskein Kunde den Laden mit leeren Händenwieder verlässt. Die Hoepli-Buchhandlungversucht die Vorlieben derer, die Bücher fürihren Beruf brauchen, mit denen derLiteraturfreunde zu vereinen, oft aber über-schneiden sich diese Kundenkreise auch.Neben den Büchern gibt es jetzt auch einenreich bestückten Sektor mit internationalenFachzeitschriften zu Architektur, Wirtschaft,Film und Wissenschaft. Neu ist auch einBereich für DVDs mit Kinoklassikern undDokumentarfilmen. Der Buchladen verfügt schliesslich auch übereinen Raum, in dem einmal oder mehrmalsin der Woche Bücher vorgestellt werden,sowie über einen Bereich für Kunst- undFotoausstellungen.

Hoepli.itSeit 2001 besteht neben dem Buchladenauch die soeben wieder erneuerte underweiterte Internetseite www.hoepli.it. Dortwerden 500’000 Bücher, 2000 Zeitschriften,eine Onlineversion des Englisch-Wörter-buchs von Hoepli zur freien Benutzungsowie alle im Laden verfügbaren Bücherangeboten. Es ist auch möglich, mit derSuchmaschine Booxster weiterführendebibliografische Recherchen durchzuführen.Inzwischen wird die Seite von mehr alseiner Million Besuchern im Jahr aufgerufen.

Ulrico Hoepli

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Der Text Hoepli heute stammt von Alberto Saibene in

Zusammenarbeit mit dem Ulrico Hoepli-Verlag.

Um die Auswahl der Zitate zu den Themenbildern im

Geschäftsbericht kümmerte sich Pier Carlo Della Ferrera.

Danksagungen

Dank gebührt allen Personen und Einrichtungen, die mit Material,

Informationen, Hinweisen und Anregungen dazu beigetragen

haben, dass diese Arbeit abgeschlossen werden konnte. Besonderen

Dank möchten wir dem Ulrico Hoepli-Verlag (im Einzelnen Ulrico

Carlo Hoepli, Giovanni Ulrico Hoepli, Matteo Hoepli, Barbara

Hoepli und Alberto Saibene) sowie Tullio Pericoli aussprechen.

Nachweis der Quellen und Fotos

Verlags- und Familienarchiv Hoepli, Mailand, S. I, III, IV, VI, VII,

VIII, IX, XII, XIII, XIV, XV, XVI, XVIII, XX, XXII, XXIII, XXVI,

XXVII, XXVIII, XXIX, XXXIV, XXXV und XXXIX

Art Photo Studio Paolo Manusardi, Mailand, S. I, IV, VI, IX, XXXV

Edwin Herzog, Wängi, S. XXV

Kunsthaus Zürich, S. XXXII und XXXIII

Tullio Pericoli, Mailand, S. II

Das Porträt auf S. II wurde für diese Veröffentlichung von Tullio

Pericoli, Mailand, erstellt.

Die Banca Popolare di Sondrio (SUISSE) ist bereit, gemäss den gel-

tenden Regelungen den Verpflichtungen gegenüber allen Inhabern

von Bildrechten nachzukommen, die noch nicht ausfindig

gemacht werden konnten.

Die glückliche Intuition eines Buchhändlers und Verlegers

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Ulrico HOEPLI,

Widmung im Gästebuch von

Emanuel Stickelberger, Mai 1931.

PROJEKT UND KOORDINATION

SDB, Chiasso