Umfassend und wirkungsvoll fördern Eckpunkte der Arbeitsgruppe...

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Umfassend und wirkungsvoll fördern Eckpunkte der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales der SPD-Bundestagsfraktion zur Weiterentwick- lung des SGB II Die Weiterentwicklung der aktiven Arbeitsmarktpolitik im SGB II ist für die Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales der SPD-Bundestagsfraktion und das sozialdemokratisch geführte Bundesarbeitsministerium ein zentrales Anliegen. Bereits in den Koalitionsverhandlungen war es daher unser Ziel, das SGB II quantitativ und qualitativ weiterzuentwickeln und finanziell besser auszustatten. Obwohl eine struk- turell bessere finanzielle Ausstattung auf den Widerstand des Koalitionspartners gestoßen ist, konn- ten wir an vielen Stellen Fortschritte erzielen: (1) Finanziell haben wir die Jobcenter in dieser Legislaturperiode um 1,4 Milliarden Euro besser ausgestattet, indem jährlich 350 Millionen Euro aus nicht verbrauchten Mitteln der Vorjahre zusätzlich zur Verfügung gestellt werden. Dies wird bis ins Jahr 2020 fortgesetzt. Der Einglie- derungstitel der Jobcenter wurde zudem dadurch gestärkt, dass Mittel aus den Bundespro- grammen „Bürgerarbeit“ und „Perspektive 50plus“ weiterhin zur Verfügung stehen. (2) Wir haben den arbeitsmarktpolitischen Instrumentenkasten im SGB II zielgenau weiterentwi- ckelt durch die Einführung einer Rechtsgrundlage für die Nachbetreuung, die assistierte Aus- bildung, das ESF-Programm für Langzeitarbeitslose und das Bundesprogramm Soziale Teil- habe. Zudem haben wir die Berufseinstiegsbegleitung und die „Initiative Inklusion“ weiter gestärkt. (3) Mit dem Aufbau der ABC-Netzwerke in den Jobcentern wurde der ganzheitliche Förder- und Betreuungsansatz gestärkt. Das BMAS hat zudem damit begonnen die Abstimmungsprozesse an zentralen Schnittstellen des SGB II zu anderen Rechtskreisen – insbesondere im Hinblick auf die Personengruppe der gesundheitlich stark eingeschränkten Leistungsbeziehenden – zu verbessern. Mit diesem Eckpunktepapier zur Weiterentwicklung des SGB II beschreibt die AG Arbeit und Soziales der SPD-Bundestagsfraktion ausgehend von einer Problemanalyse ihre grundsätzlichen Vorstellungen für ein verbessertes System des Förderns und Forderns im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik in diesem Rechtskreis, sie beschreibt die in dieser Legislaturperiode vorgenommenen Verbesserungen vor dem Hintergrund dieser Vorstellungen und zeigt weitere noch ausstehende Reformschritte auf.

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Umfassend und wirkungsvoll fördern

Eckpunkte der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales der SPD-Bundestagsfraktion zur Weiterentwick-

lung des SGB II

Die Weiterentwicklung der aktiven Arbeitsmarktpolitik im SGB II ist für die Arbeitsgruppe Arbeit und

Soziales der SPD-Bundestagsfraktion und das sozialdemokratisch geführte Bundesarbeitsministerium

ein zentrales Anliegen. Bereits in den Koalitionsverhandlungen war es daher unser Ziel, das SGB II

quantitativ und qualitativ weiterzuentwickeln und finanziell besser auszustatten. Obwohl eine struk-

turell bessere finanzielle Ausstattung auf den Widerstand des Koalitionspartners gestoßen ist, konn-

ten wir an vielen Stellen Fortschritte erzielen:

(1) Finanziell haben wir die Jobcenter in dieser Legislaturperiode um 1,4 Milliarden Euro besser

ausgestattet, indem jährlich 350 Millionen Euro aus nicht verbrauchten Mitteln der Vorjahre

zusätzlich zur Verfügung gestellt werden. Dies wird bis ins Jahr 2020 fortgesetzt. Der Einglie-

derungstitel der Jobcenter wurde zudem dadurch gestärkt, dass Mittel aus den Bundespro-

grammen „Bürgerarbeit“ und „Perspektive 50plus“ weiterhin zur Verfügung stehen.

(2) Wir haben den arbeitsmarktpolitischen Instrumentenkasten im SGB II zielgenau weiterentwi-

ckelt durch die Einführung einer Rechtsgrundlage für die Nachbetreuung, die assistierte Aus-

bildung, das ESF-Programm für Langzeitarbeitslose und das Bundesprogramm Soziale Teil-

habe. Zudem haben wir die Berufseinstiegsbegleitung und die „Initiative Inklusion“ weiter

gestärkt.

(3) Mit dem Aufbau der ABC-Netzwerke in den Jobcentern wurde der ganzheitliche Förder- und

Betreuungsansatz gestärkt. Das BMAS hat zudem damit begonnen die Abstimmungsprozesse

an zentralen Schnittstellen des SGB II zu anderen Rechtskreisen – insbesondere im Hinblick

auf die Personengruppe der gesundheitlich stark eingeschränkten Leistungsbeziehenden – zu

verbessern.

Mit diesem Eckpunktepapier zur Weiterentwicklung des SGB II beschreibt die AG Arbeit und Soziales

der SPD-Bundestagsfraktion ausgehend von einer Problemanalyse ihre grundsätzlichen Vorstellungen

für ein verbessertes System des Förderns und Forderns im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik in

diesem Rechtskreis, sie beschreibt die in dieser Legislaturperiode vorgenommenen Verbesserungen

vor dem Hintergrund dieser Vorstellungen und zeigt weitere noch ausstehende Reformschritte auf.

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Ausgangslage und Ziele

Langzeitarbeitslose profitieren derzeit nicht in ausreichendem Maße von der guten Entwicklung am

Arbeitsmarkt und der insgesamt niedrigsten Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung. Zwar hat sich

die Zahl der Langzeitarbeitslosen seit dem Jahr 2005 in Deutschland auf knapp unter eine Million hal-

biert. Wir stellen aber auch fest, dass sich die Zahl der Langzeitarbeitslosen seit 2011 nur noch wenig

verändert hat. Aufgrund der insgesamt positiven Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt führt das dazu,

dass die relative Bedeutung komplexer Problemlagen im SGB II weiter zugenommen hat.

Insgesamt ist eine Verfestigung der Langzeitarbeitslosigkeit zu beobachten. Etwas mehr als die Hälfte

der Langzeitarbeitslosen ist schon zwei Jahre und länger auf der Suche nach einer Beschäftigung. Schät-

zungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zufolge haben bis zu 200.000 der

Langzeitarbeitslosen im SGB II kaum mehr realistische Chancen am ersten Arbeitsmarkt. Eine solche

Verfestigung von Arbeitslosigkeit birgt ein hohes Risiko sozialer Teilhabedefizite. Damit stellt sich die

Frage nach der Funktionsfähigkeit des Forderns und Förderns im SGB II sowie nach den Grenzen der

Aktivierungsstrategie.

Ziel sozialdemokratischer Arbeitsmarktpolitik ist, das individuelle Förderversprechen des SGB II zu er-

füllen. Jede und jeder erwerbsfähige Leistungsberechtigte muss die individuell sinnvolle Förderung er-

halten, die ihr bzw. ihm über eine Teilhabe am Arbeitsleben auch (wieder) gesellschaftliche Teilhabe

ermöglicht.

Um dies in den Jobcentern und Kommunen sicherzustellen, müssen unserer Überzeugung nach drei

Voraussetzungen erfüllt sein:

(1) Eine individuelle und passgenaue Förderung ist bei allen erwerbsfähigen Leistungsberechtig-

ten gleichermaßen sicherzustellen. Eine einseitige Fokussierung auf Personengruppen, die

leicht oder vergleichsweise leicht vermittelbar sind, darf es nicht geben.

(2) Die notwendige Beratungsintensität und Beratungsqualität ist sicherzustellen, denn eine in-

dividuelle und qualitativ hochwertige Beratung ist notwendige Bedingung für einen erfolgrei-

chen Integrationsprozess.

(3) Ein flexibler und passgenauer Instrumentenkatalog muss zur individuellen Förderung zur Ver-

fügung stehen.

Mit der Umsetzung des Konzepts „Chancen eröffnen - soziale Teilhabe sichern“ zum Abbau von Lang-

zeitarbeitslosigkeit durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) sind bereits wesent-

liche Schritte unternommen worden, um diese drei Voraussetzungen zu erfüllen. Mit dem ESF-Bunde-

sprogramm zur Eingliederung langzeitarbeitsloser Leistungsberechtigter auf dem allgemeinen Arbeits-

markt und dem Programm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ werden besonders arbeitsmarktferne

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Gruppen gezielt unterstützt. Die Etablierung von Netzwerken für Aktivierung, Beratung und Chancen

stärkt die Beratungsintensität und -qualität in den Jobcentern. Erste Erfahrungen zeigen, dass Jobcen-

ter bundesweit ein hohes Umsetzungsinteresse haben, der Aufbau der Netzwerke ABC aber auch in

Zukunft stark unterstützt werden muss. Hierfür wurde die Befristung von Stellen aus dem Bundespro-

gramm „Perspektive 50plus“ für die gemeinsamen Einrichtungen bis 2018 verlängert. Zudem beinhal-

tet das Konzept eine bessere Verzahnung der Arbeitsmarktförderung mit sozialintegrativen Leistungen

und sozialen Dienstleistungen der Kommunen sowie mit gesundheitsbezogenen Leistungen anderer

Träger.

Den mit dem Konzept „Chancen eröffnen - soziale Teilhabe sichern“ eingeschlagenen Weg wollen wir

auch in den kommenden Jahren weiter beschreiten. Hierzu formulieren wir unsere konzeptionellen

Überlegungen.

Zu (1) Individuelle und passgenaue Förderung für alle

Die Erfahrung der Praxis in den Jobcentern aus den vergangenen Jahren zeigt, dass eine intensivere

Beratung und Betreuung häufig auf solche Personengruppen fokussiert ist, bei denen die Integrations-

chancen in den ersten Arbeitsmarkt besser sind. Dafür finden sich im Wesentlichen drei Ursachen:

Der Einsatz der ohnehin knapp bemessenen Mittel führt bei diesen Gruppen scheinbar zu ei-

nem größeren Erfolg.

Die Ausrichtung der Zielindikatoren im SGB II auf eine Integration in Arbeit.

In der Kultur der Jobcenter wird immer noch zu häufig ein Gegensatz zwischen einem arbeits-

marktbezogenen Ansatz und einem sozialpolitischen Ansatz gesehen, der zugunsten des ar-

beitsmarktbezogenen Ansatzes entschieden wird. Damit wird dem im SGB II verankerten

Grundsatz, den Leistungsberechtigten ein Leben zu ermöglichen, das der Würde des Men-

schen entspricht, nicht in vollem Umfang Rechnung getragen.

Aufgrund der häufig multiplen und komplexen Problemlagen greift jedoch ein aus einer ausschließlich

arbeitsmarktbezogenen Perspektive abgeleiteter aktivierender Ansatz oft zu kurz. Diesen aktivieren-

den Ansatz gilt es weiterzuentwickeln und das Ziel der sozialen Teilhabe zu stärken, um so den schein-

baren Gegensatz zwischen der arbeitsmarktbezogenen und der sozialpolitischen Perspektive zu über-

winden. Auf Grundsicherung für Arbeitsuchende angewiesene Menschen müssen mit einem umfas-

senden Unterstützungsangebot befähigt werden, ihre eigenen Ressourcen einzusetzen, um sich selbst

zu helfen. Gerade bei komplexen und multiplen Problemlagen kann die Integration in den ersten Ar-

beitsmarkt dabei häufig erst das Ziel am Ende eines längeren Prozesses sein, in dem arbeitsmarkt-,

sozial- und gesundheitspolitische Förder- und Unterstützungsleistungen im Sinne eines umfassenden

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Ansatzes ineinander greifen und sinnvoll miteinander verzahnt werden. Um dies zu erreichen und die

passgenaue und individuelle Förderung weiter zu verbessern, macht die Arbeitsgruppe Arbeit und So-

ziales der SPD-Bundestagsfraktion folgende Vorschläge:

Anpassung und Weiterentwicklung der Steuerungsprozesse

Ziele, die Gegenstand der Zielvereinbarungen nach § 48b SGB II sind, leiten sich aus den

zentralen Zielen des SGB II ab, die schwerpunktmäßig in § 1 SGB II zu finden sind. Bisher

werden diese Zielvereinbarungen und damit auch die Kennzahlen nach § 48a SGB II, die

zur Nachhaltung der Zielerreichung dienen, aber nur an den arbeitsmarktpolitischen Zielen

ausgerichtet. Und das, obwohl in § 1 SGB II auch Ziele definiert sind, die soziale Teilhabe

fördern. Dazu gehören beispielsweise die Verbesserung oder Wiederherstellung der Er-

werbsfähigkeit, die Berücksichtigung von familienspezifischen Lebensverhältnissen von

SGB II-Leistungsbeziehenden, die Kinder erziehen oder pflegebedürftige Angehörige be-

treuen oder die Überwindung behindertenspezifischer Nachteile. Damit enthält das SGB II

sowohl eine arbeitsmarktbezogene als auch eine sozialpolitische Perspektive.

Die in der Realität festzustellende Ausrichtung des Zielsteuerungsprozesses auf die arbeits-

marktpolitischen Ziele wird den komplexen individuellen Problemlagen der SGB II-Leis-

tungsbeziehenden nicht ausreichend gerecht. Daher muss dem Ziel der sozialen Teilhabe

in Zukunft eine größere Bedeutung zukommen.

Dazu ist zunächst das bisherige Zielsteuerungssystem mit seinen zu erfassenden Kennzah-

len kritisch zu überprüfen und anzupassen. Ziel muss es sein, den Kennzahlenkatalog und

die daraus resultierende Arbeitsbelastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den

Jobcentern zu reduzieren.

Darüber hinaus muss das Ziel der sozialen Teilhabe die Bedeutung im SGB II bekommen,

die es aufgrund der multiplen und komplexen Problemlagen der SGB II-Leistungsbeziehen-

den haben sollte. Da sich das Ziel der sozialen Teilhabe und die entsprechenden Zielindi-

katoren aber nicht einfach quantitativ erfassen lassen, lässt sich das bisher quantitativ an

den arbeitsmarktpolitischen Zielen ausgerichtete Zielsteuerungssystem auch nicht einfach

um entsprechende Zielindikatoren bzw. Kennzahlen zur sozialen Teilhabe erweitern.

Jedoch lassen sich auf dem Weg zur Integration in Arbeit für die unterschiedlichen Prob-

lemkonstellationen auf individueller Ebene der SGB-Leistungsbezieher konkrete Teilziele

definieren, die auf die Überwindung von individuellen Problemlagen und auf die Persön-

lichkeitsentwicklung abzielen. Um diese Teilziele zu erreichen, können entsprechende kor-

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respondierende Arbeitsschritte festgelegt werden, die mit dem SGB II-Leistungsbeziehen-

den gemeinsam im Gespräch vereinbart werden. Fortschritte lassen sich dann anhand der

erledigten Schritte feststellen. Teilziele und korrespondierende Arbeitsschritte stellen sich

dabei für die unterschiedlichen Problemlagen auch unterschiedlich dar. Bei Alleinerziehen-

den mit Qualifikationsdefiziten werden die Teilziele und die daraus abgeleiteten korres-

pondierenden Arbeitsschritte daher völlig anders aussehen als bei Wohnungslosen mit

Schuldenproblemen. Sinnvoll unterstützt wird dieses Vorgehen durch die stärkere Nutzung

der Potentialanalyse, die Bestandteil des jüngst verabschiedeten „Neunten Gesetz zur Än-

derung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung“ ist. Die IT-Dokumen-

tationssysteme in den Jobcentern sind so anzupassen, dass das erfolgreiche Erfüllen von

Arbeitsschritten und Erreichen von Teilzielen einfach erfasst werden kann, ohne dass zu-

sätzlicher Dokumentationsaufwand entsteht.

Damit dieser oben beschriebene individuell ausgerichtete Ansatz erfolgreich in den Job-

centern umgesetzt werden kann, muss die Prozessqualität ins Zentrum der Steuerungs-

prozesse rücken. Für das Ziel der sozialen Teilhabe ersetzt dann ein Qualitätssicherungs-

prozess eine Zielsteuerung anhand quantitativer Kennzahlen. Dadurch bekommt das Ziel

der sozialen Teilhabe in den Steuerungsprozessen den gleichen Stellenwert wie die ar-

beitsmarktpolitischen Ziele. Infolgedessen müssen aber auch die Verfahren zur Sicherung

der Prozessqualität entsprechend weiterentwickelt und verbessert werden. Wichtig ist,

dass mit Fehlern offen umgegangen und Qualitätsrisiken vorausschauend identifiziert wer-

den, um dann entsprechende Korrekturen vornehmen zu können, die die Prozesse vor Ort

weiter verbessern. Voraussetzung dafür ist, dass das SGB II als lernendes System verstan-

den wird, das sich in einem ständigen Wandel befindet. Es sind also nicht mehr zentrale

Vorgaben notwendig, sondern Handlungsspielräume vor Ort, die eine flexible Umsetzung

des „Gelernten“ und somit eine Anpassung und Modifikation der bestehenden Prozesse

zulassen. Uns ist bewusst, dass diese Ausgestaltung und Weiterentwicklung der Prozess-

qualität die Jobcenter vor Ort vor große Herausforderungen stellen wird. Das BMAS sollte

für die Jobcentern daher entsprechende Beratungs- und Unterstützungsleistungen bereit-

stellen.

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Ausbau des Fallmanagements

Das Fallmanagement, das schon in der Gesetzesbegründung zum SGB II als „Kernelement

der neuen Leistung“ charakterisiert wird,1 muss als zentrale Beratungs- und Betreuungs-

leistung weiter ausgebaut werden. Sicherzustellen ist dabei, dass nicht nur SGB II-Leis-

tungsbeziehende vom Fallmanagement profitieren, die zumindest mittelbar auf dem all-

gemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren sind. Vielmehr müssen auch diejenigen SGB II-Leis-

tungsbeziehenden Zugang zum Fallmanagement erhalten, für die aufgrund komplexer in-

dividueller Problemlagen zunächst das Ziel der sozialen Teilhabe im Vordergrund steht.

Zu (2) Betreuungsintensität und Betreuungsqualität sicherstellen

Die Beratungsfunktion steht im Mittelpunkt der Arbeit jedes Jobcenters. Das stellt hohe Anforderun-

gen an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern, die ihre Arbeit unter oft schwierigen

Rahmenbedingungen leisten. In Beratungsgesprächen müssen gemeinsam mit dem SGB II-Leistungs-

beziehende Stärken und Perspektiven erkannt, Schwächen und Probleme identifizieren werden. Es

müssen gemeinsam Ziele gefunden und formuliert sowie Zwischenziele festgeschrieben werden. Hier-

für müssen konkrete Förder- und Unterstützungsbedarfe identifiziert werden und geeignete interne

wie externe Unterstützungsangebote gefunden werden. Ggf. sind dabei Konflikte zu lösen. Im Bera-

tungsprozess sind falsche Zielstellungen und Strategien zu erkennen und diese ggf. mit dem SGB II-

Leistungsbeziehenden zu korrigieren. All dies verlangt eine hohe Kompetenz, ausreichend Zeit und

eine hohe Beratungsqualität.

Dies kann nur sichergestellt werden, wenn eine ausreichende Betreuungsdichte sichergestellt ist, die

Jobcenter über ausreichend personelle Ressourcen verfügen, wenn zentrale Beratungskompetenzen

ausreichend geschult werden und Prozesse der Qualitätssicherung etabliert sind.

Der AG Arbeit und Soziales der SPD-Bundestagsfraktion ist bewusst, dass die derzeitige personelle und

finanzielle Ausstattung der Jobcenter hierfür noch nicht ausreichend ist. Allerdings haben wir in unse-

rer Regierungsverantwortung bereits erste Schritte unternommen, um diese zu verbessern:

Wir haben den Jobcentern eine dauerhafte Personalzuweisung ermöglicht und damit die für

einen stabilen Personalkörper kontraproduktive Personalfluktuation weiter reduziert.

Wir haben den Jobcentern in jedem Jahr dieser Legislaturperiode zusätzlich 350 Millionen Euro

aus Restmitteln zur Verfügung gestellt.

1 Vgl. BT-Drs. 15/1516

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Wir haben die Befristung von insgesamt 1.000 Stellen aus dem Bundesprogramm „Perspektive

50plus“ bis 2018 verlängert, sodass diese von den gemeinsamen Einrichtungen für die Netz-

werke ABC weiter genutzt werden können.

Wir entlasten das Personal in den Jobcentern weiter, indem wir mit dem „Neunten Gesetz zur

Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung“ geregelt haben, dass

Aufstocker zukünftig in den Agenturen für Arbeit betreut werden und dort Leistungen der ak-

tiven Arbeitsmarktpolitik erhalten.

Für die Aufgabe der Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen in den Jobcentern wurde für das

Jahr 2016 zusätzliches Personal in einem Umfang von rund 2.800 Stellen (2.000 Stellen zuzüg-

lich 800 Ermächtigungen) bereitgestellt.

Ergänzend hat das BMAS einen Qualitätssicherungsprozess in den Jobcentern gestartet.

Im Rahmen der Initiative Netzwerke ABC wurde eine professionelle Ausrichtung der Netzwerk-

arbeit in den Jobcentern angestoßen.

Zudem haben wir mit dem Gesetz zur Rechtsvereinfachung im SGB II zusätzliche Spielräume für die

Beratungsarbeit innerhalb der Jobcenter geschaffen, indem wir die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

der Jobcenter an verschiedenen Stellen von Verwaltungsaufwand entlastet und insbesondere kleine-

ren Jobcentern mehr Möglichkeiten zur Kooperation eröffnet haben.

Folgende Schritte halten wir darüber hinaus für notwendig, um eine angemessene Betreuungsintensi-

tät und Betreuungsqualität in den Jobcentern sicherstellen zu können:

Weitere Entlastung der Jobcenter von Verwaltungsaufwand

Der Verwaltungsaufwand in den Jobcentern muss weiter reduziert werden. Weniger Ver-

waltungsaufwand bedeutet mehr Zeit für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die

zentrale Aufgabe im SGB II, die Betreuung und Beratung von SGB II-Leistungsbeziehenden.

Nur wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern auch wirklich genug Zeit

für Beratung und Betreuung haben, kann diese auch individuell, auf die Bedürfnisse der

einzelnen SGB II-Leistungsbeziehenden abgestimmt, erfolgen. Daher machen wir folgende

Vorschläge, um den Verwaltungsaufwand zu reduzieren :

Die Schnittstellen zur Agentur für Arbeit sind zu reduzieren. Daher sind die Zustän-

digkeiten zu überprüfen. Der Träger mit der größten Erfahrung und Kompetenz im

jeweiligen Aufgabenbereich sollte diesen auch übernehmen.

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Das Sanktionsrecht ist neuzugestalten und zu vereinfachen, dies betrifft insbeson-

dere die Angleichung des Sanktionsrechts im Bereich U25 und Ü25. Vorschläge

dazu, die sowohl von Praktikern als auch Wissenschaftlern begrüßt wurden, waren

bereits im Gesetzentwurf zur Rechtsvereinfachung im SGB II enthalten. Deren Um-

setzung scheiterte schlussendlich an der Blockadehaltung der CDU/CSU.

Eine Bagatellgrenze bei Rückforderungen von Kleinstbeträgen ist einzuführen, die

im Rahmen des Gesetzes zur Rechtsvereinfachung im SGB II nicht umgesetzt wer-

den konnte, da die CDU/ CSU auch diesen Vorschlag abgelehnt hat.

Anpassung des Verwaltungskostenbudgets

Das Verwaltungskostenbudget ist an die sich aus den gesetzlichen Personalschlüsseln er-

gebenden Bedarfe anzupassen. Die Höhe des Eingliederungstitels muss davon unberührt

bleiben.

Mit einer Erhöhung der Mittel wollen wir die bisherige Ausgestaltung der Zuweisung der

Finanzmittel an die Jobcenter auf den Prüfstand stellen. Dabei muss insbesondere über-

prüft werden, ob die bisherige Kopplung des kommunalen Finanzierungsanteils an die Ver-

waltungskosten gerade mit Blick auf die Handlungsspielräume der einzelnen Jobcenter

noch sinnvoll ist.

Verbesserung der Beratungs- und Betreuungsqualität

Um die Beratung und Betreuung in den SGB II-Einheiten vor Ort weiter zu verbessern, ist

eine verstärkte Personalintensität nur die notwenige, aber nicht die hinreichende Bedin-

gung. Zwar wird die Personalintensität alleine betrachtet schon Auswirkungen auf die Qua-

lität der Beratung und Betreuung haben, da den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mehr

Zeit für eine individuelle und passgenaue Beratung und Betreuung der einzelnen SGB II-

Leistungsbeziehenden zur Verfügung steht. Zusätzlich muss für eine Verankerung des Ge-

dankens der Netzwerke ABC und der Beratungsintensität zwingend auch ein Qualitätssi-

cherungsprozess erfolgen, der sowohl die Qualität des Personals als auch die bereits unter

„Anpassung und Weiterentwicklung der Steuerungsprozesse“ beschriebene Prozessquali-

tät umfasst. Zentrale Rahmenbedingung hierfür ist zunächst, dass in den Jobcentern der

Befristungsanteil weiter reduziert wird und neue Mitarbeiter eingestellt werden, die über

eine hohe Ausgangsqualifikation verfügen. In diesem Zusammenhang ist auch zu prüfen,

ob und wie den Jobcentern eine eigene Personalhoheit gegeben werden kann, die dann

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endlich auch eine Entlohnung nach dem Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ermög-

lichen würde.

Die Kompetenz des Personals ist mit passgenauen Schulungsangeboten auf der Führungs-

ebene und auf der Arbeitsebene weiter zu verbessern. Dies schließt z.B. auch die Möglich-

keit von (Teil-)Freistellungen für übergeordnete Tätigkeiten ein (z.B. in Bezug auf Netz-

werke ABC). Gerade für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die für die Beratung und Be-

treuung von SGB II-Leistungsbeziehenden mit komplexen Problemlagen zuständig sind,

sind Supervision, Coaching und kollegiale Fallberatung wichtige Instrumente der Personal-

entwicklung. Diese Leistungen sollten in allen Jobcentern den Mitarbeiterinnen und Mit-

arbeitern zur Verfügung stehen, die für die Beratung und Betreuung der SGB II-Leistungs-

beziehenden verantwortlich sind. Insbesondere für Führungskräfte sollte das Schulungs-

angebot mit Schulungen zum Thema Projekt- und Risikomanagement erweitert werden.

Wir werden daher eine Qualifizierungsoffensive in den Jobcentern anstoßen. Damit dies

nicht zulasten des Eingliederungstitels geht, müssen hierfür in den Jahren 2018 und 2019

jeweils 50 Millionen zusätzlich zur Verfügung gestellt werden.

Grundsätzlich sollte sich das Schulungsangebot an den Gegebenheiten und Schulungsbe-

darfen in den einzelnen Jobcentern vor Ort orientieren. Um dies zu gewährleisten, sollten

die Geschäftsführer bei der Zusammenstellung des Schulungsangebotes größtmögliche

Freiheit haben. Damit die angebotenen Schulungen aber auch die Gegebenheiten im SGB

II ausreichend berücksichtigen, kann eine regelmäßige Überprüfung der Schulungsange-

bote durch das BMAS sinnvoll sein.

Zudem sollte darüber nachgedacht werden, einen eigenen Ausbildungsgang für Mitarbei-

terinnen und Mitarbeiter im SGB II zu entwickeln und zu implementieren, der sich an den

Anforderungen im SGB II orientiert. Dieser Ausbildungsgang sollte dann auch so konzipiert

sein, dass Quereinsteiger einzelne Qualifikationen, die ihnen noch fehlen, in einem modu-

laren Verfahren erwerben können.

Eingliederungsvereinbarung und Festlegung von Arbeitsschritten für die Mitarbeiterinnen

und Mitarbeiter im Eingliederungsprozess

Mit dem „Neunten Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechts-

vereinfachung“ wurde die Eingliederungsvereinbarung als „maßgebliches Werkzeug zur

Planung und Gestaltung des Eingliederungsprozesses“ gestärkt. In der Eingliederungsver-

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einbarung werden sowohl die Leistungen, die das Jobcenter erbringt, um das Förderver-

sprechen im SGB II einzulösen, als auch die damit verbundenen Pflichten der SGB II-Leis-

tungsbeziehenden verbindlich festgelegt.

Damit es aber zu einem vertrauensvollen Arbeitsbündnis auf Augenhöhe kommen kann,

sollten nicht nur die Schritte der SGB II-Leistungsbeziehenden, die zur Erreichung der Teil-

ziele notwendig sind, definiert werden. Vielmehr sollten auch Arbeitsschritte für die be-

treuenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter festgelegt werden. Diese sollten dem SGB II-

Leistungsbeziehenden bekannt sein, so dass er weiß, was er erwarten darf und ggf. auch

aktiv einfordern kann. Hier liegt die Chance, die SGB II-Leistungsbeziehenden im Bera-

tungs- und Betreuungsprozess mitzunehmen und deren Mitwirkung zu erreichen.

Zu (3) Flexibler und passgenauer Instrumentenkatalog

Einzelne arbeitsmarktpolitische Instrumente müssen flexibel und passgenau kombiniert und individu-

ell eingesetzt werden. Dabei bietet das derzeitige Recht bereits weitgehende Optionen, die allerdings

in der Praxis der Jobcenter zu wenig genutzt werden und zusätzlich durch interne Vorgaben erschwert

werden.

Mit dem 9. SGB II-Änderungsgesetz und mit dem Gesetz zur Stärkung der beruflichen Weiterbildung

und des Versicherungsschutzes in der Arbeitslosenversicherung haben wir bereits zentrale Verbesse-

rungen bei den arbeitsmarktpolitischen Instrumenten umgesetzt. So haben wir eine Rechtsgrundlage

für die Nachbetreuung nach Ausscheiden aus dem Hilfebezug geschaffen, die eine Nachbetreuung von

bis zu sechs Monaten ermöglicht. Darüber hinaus haben wir die berufliche Weiterbildung durch ver-

schiedene Maßnahmen gestärkt:

Wir ermöglichen den Bezug von SGB II-Leistungen bei Ausbildung

Neben dem Bezug von Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) oder Leistungen nach dem

Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) können jetzt aufstockende Arbeitslosen-

geld II-Leistungen bezogen werden.

Wir setzen finanzielle Anreize:

Eine Prämie von 1.000 Euro wird für eine bestandene Zwischenprüfung im Rahmen

einer abschlussbezogenen Weiterbildung gezahlt, nach einer bestandenen Abschluss-

prüfung ist dann eine weitere Prämie von 1.500 Euro vorgesehen.

Wir ermöglichen die Vermittlung von fehlenden Grundkompetenzen:

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Fehlende Grundkompetenzen in den Bereichen Lesen, Schreiben, Rechnen und Infor-

mations- und Kommunikationstechnologien können vor Beginn der abschlussbezoge-

nen beruflichen Weiterbildung oder während der Aus- bzw. Weiterbildung nachgeholt

werden.

Wir ermöglichen die Nutzung von umschulungsbegleitenden Hilfen:

Bei der betrieblichen Umschulung machen umschulungsbegleitende Hilfen eine indivi-

duelle Unterstützung z. B. bei schlechten Prüfungsergebnissen, Alltagsproblemen oder

Problemen im Ausbildungsbetrieb möglich.

Um das Fachkräftepotenzial von Geringqualifizierten und Langzeitarbeitslosen noch besser zu erschlie-

ßen, schlägt die AG Arbeit und Soziales darüber hinaus vor, die gesetzlichen Vorgaben zum Programm

WeGebAU in der Praxis auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit aufstockendem Arbeitslo-

sengeld II-Bezug umzusetzen. Außerdem müssen die modularen Weiterbildungsangebote ausgebaut

werden, damit besser auf die individuellen Voraussetzungen von SGB II-Leistungsbeziehenden einge-

gangen und die Dauer der Weiterbildung für diese flexibilisiert werden kann.

Aber auch bei einer bestmöglichen Aktivierung und einer individuellen und passgenauen Unterstüt-

zung wird es langzeitarbeitslose SGB II-Leistungsbeziehende geben, die auf absehbare Zeit nicht auf

dem allgemeinen Arbeitsmarkt vermittelbar sind. Für diese Personengruppe benötigen wir einerseits

kurzfristige Beschäftigungsmöglichkeiten zur Wiederherstellung von Tagesstruktur, andererseits aber

auch längerfristige Beschäftigungsangebote im Rahmen eines sozialen Arbeitsmarkts, die soziale Teil-

habe ermöglichen können. Mit dem „Neunten Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetz-

buch – Rechtsvereinfachung“ konnten schon erste Verbesserungen in diesem Bereich umgesetzt wer-

den. So wurde die mögliche Förderdauer von Arbeitsgelegenheiten von bisher zwei auf drei Jahre in-

nerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren verlängert. Für Personen in Arbeitsgelegenheiten und Per-

sonen, deren Arbeitsverhältnis nach § 16e SGB II gefördert wird, werden nun die Kosten einer sozial-

pädagogischen Betreuung erstattet.

Zudem ist im Jahr 2015 das von der Bundesarbeitsministerin initiierte Programm “Soziale Teilhabe am

Arbeitsmarkt“ gestartet. An diesem Programm nehmen seit Beginn 105 Jobcenter teil. Zum Jahres-

wechsel 2016/2017 kamen weitere 90 Jobcenter hinzu. Besonders im Fokus stehen als Zielgruppen des

Programms SGB II-Leistungsbeziehende mit gesundheitlichen Einschränkungen sowie Bedarfsgemein-

schaften mit Kindern.

Aufbauend auf den Erfahrungen aus dem Programm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ hat die Bun-

desarbeitsministerin einen Vorschlag für einen aus öffentlichen Mitteln geförderten sozialen Arbeits-

markt für eine begrenzte Zahl von SGB II-Leistungsbeziehenden vorgelegt, der ihnen eine längerfristige

Perspektive bietet. Die Teilnehmenden sollen so eine echte Chance auf soziale Teilhabe und einen

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Neustart auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bekommen. Zielgruppe sind Langzeitarbeitslose, die seit

mindestens 8 Jahren im SGB II Leistungsbezug mit nur kurzen Phasen der Selbständigkeit oder abhän-

gigen Beschäftigung (maximale Unterbrechung: 30 Tage) sind. Wir gehen von einer Größenordnung

von rund 100.000 SGB II- Leistungsbeziehenden aus. Damit auch nur solche SGB II-Leistungsbeziehende

gefördert werden, die ansonsten derzeit keine Perspektive auf eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Ar-

beitsmarkt haben, ist es für die AG Arbeit und Soziales wesentlich, dass in den letzten sechs Monaten

vor Teilnahme verstärkte Eingliederungsbemühungen erfolgt sein müssen. Außerdem schlagen wir

eine Altersgrenze von 35 Jahren vor. Denn gerade junge Leute benötigen eine echte Zukunftsperspek-

tive auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Daher sind für diese Zielgruppe Maßnahmen vorzuziehen, wie

beispielsweise die Initiative „Zukunftsstarter“, die diesen Ansatz unterstützen.

Auch während der Teilnahme am Programm soll eine individuelle an den Problemlagen der Teilneh-

menden ausgerichtete Betreuung und Beratung erfolgen. Deshalb schreibt der Vorschlag der Bundes-

arbeitsministerin für das erste Jahr ein Coaching verpflichtend vor. Wünschenswert ist ein begleiten-

des Coaching während der gesamten Förderdauer. Um dies zu fördern, werden die Kosten für das

Coaching für die gesamte Förderdauer übernommen. So kann der Förderplan – in Abstimmung mit

den zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Jobcentern – immer wieder an die indivi-

duellen Förderbedarfe angepasst werden. Flankierende Leistungen wie beispielsweise Qualifizierun-

gen, sozialintegrative Leistungen, gesundheitsfördernde Maßnahmen oder auch Kurzschulungen kön-

nen dann entsprechend individuell und flexibel eingesetzt werden. Der Förderdauer sowie die Höhe

des Zuschusses zum Arbeitsentgelt, der zu Beginn 100 Prozent betragen kann, müssen jährlich über-

prüft werden und sind an den individuellen Förderbedarfen auszurichten. Die Förderhöchstdauer soll

bei fünf Jahren liegen. Auch bei dieser Zielgruppe sollte der Übergang in den allgemeinen Arbeits-

markt nicht aus dem Blick geraten. Gefördert werden daher sozialversicherungspflichtige Arbeitsver-

hältnisse auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bei Arbeitgebern der freien Wirtschaft, sozialen Einrich-

tungen und Kommunen. Bei der Festlegung der Wochenarbeitszeit ist die individuelle Leistungsfähig-

keit der Teilnehmenden zu berücksichtigen.

Abschließend schlägt die AG Arbeit und Soziales vor, die neuen Regelungen zunächst auf zehn Jahre zu

befristen, zu evaluieren und entsprechend anzupassen.

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Bessere Verzahnung von arbeitsmarktbezogenen Förderinstrumenten mit sozialintegrativen Leis-

tungen und Leistungen nach anderen Gesetzbüchern

Obwohl die arbeitsmarktpolitischen Instrumente und deren Kombinationsmöglichkeiten im SGB II viel-

fältig sind, gibt es viele SGB II-Leistungsbeziehende, für die dieser arbeitsmarktpolitische Instrumen-

tenkatalog alleine nicht ausreicht. Hier stehen vielmehr individuelle Problemlagen einer schnellen Ar-

beitsmarkintegration entgegen. Um für diese SGB II-Leistungsbeziehende zumindest als ersten Schritt

eine soziale Teilhabe zu ermöglichen, muss - ganz nach dem Grundsatz „Leistungen aus einer Hand“ -

das Förderversprechen des SGB II eingelöst werden. Sozialintegrative Leistungen wie beispielsweise

Schuldnerberatung, Sucht- und Drogenberatung sowie psychosoziale Betreuung können dazu gemäß

§ 16a SGB II Nr. 2 - 4 erbracht werden. Hier zeigt die Initiative der Netzwerke ABC erste Wirkungen.

Diese professionelle Ausrichtung der Netzwerkarbeit muss auch über das Jahr 2018 erhalten bleiben

und weit über das bisher bestehende Maß hinaus entwickelt werden.

Von zentraler Bedeutung ist, dass die Jobcenter daran beteiligt werden, Qualität und Quantität der

sozialintegrativen Leistungen festzulegen. Dazu sollen die Jobcenter Vereinbarungen mit den Kommu-

nen über die Leistungserbringung abschließen. Die Vereinbarungen sollten Informationen zur Bereit-

stellung der Leistung, zur konkreten Ausgestaltung der Zusammenarbeit und zu gegenseitigen Infor-

mationspflichten enthalten. Zudem sind die sozialintegrativen Leistungen in den Steuerungsprozess

miteinzubeziehen. Ziel muss es sein, ein ausreichendes und qualitativ hochwertiges Angebot an sozi-

alintegrativen Leistungen für die SGB II-Leistungsbeziehenden zur Verfügung zu stellen. Dazu ist auch

zu prüfen, ob man ggf. mit einem Gutscheinsystem oder einem eigenen Budget für SGB II-Leistungs-

beziehende dieses Ziel besser verwirklichen kann.

Vielfach wird es aber bei SGB II-Leistungsbeziehenden mit komplexen Problemlagen nicht ausreichen,

die entsprechenden Angebote des SGB II zu nutzen. Die Beratung und Betreuung muss dann über die

im SGB II vorgegebenen Leistungen hinausgehen. Leistungen nach anderen Gesetzbüchern sind bei der

Fallbetrachtung mit einzubeziehen. Schnittstellen können sich dabei unter anderem bei der Betreuung

von Jugendlichen, von Rehabilitanden, von Wohnungslosen oder von teilerwerbsgeminderten Perso-

nen ergeben.

Eine Herausforderung besteht darin, die unterschiedlichen Zielsetzungen der Rechtskreise und die un-

terschiedlichen Zuständigkeiten zusammenzuführen. Aber nur wenn das erfolgreich gelingt, kann tat-

sächlich der Anspruch verwirklicht werden, „Leistungen aus einer Hand“ zu gewähren.

Dazu ist neben dem Einsatz von gut qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die auch in der

Lage sind, die entsprechenden Bedarfe zu erkennen, eine gute und professionelle Zusammenarbeit

zwischen den relevanten Arbeitsmarktakteuren vor Ort notwendig. Das schließt beispielsweise die Trä-

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ger der Jugendhilfe, die örtliche Agentur für Arbeit, besonders auch in ihrer Funktion als Rehabilitati-

onsträger, die Rentenversicherung oder die Sozialhilfe ein. Eine erste Zusammenarbeit, die oft durch

Einzelfälle auf Mitarbeiterebene entsteht, muss zu einer institutionalisierten Zusammenarbeit weiter-

entwickelt werden, die eine optimale Betreuung und Beratung für alle Fälle mit entsprechenden Prob-

lemlagen gewährleistet und den Gedanken der Netzwerke ABC konsequent weiterführt. Ein Beispiel

für die Organisation einer Schnittstelle vor Ort sind die Jugendberufsagenturen. Sie bündeln die Leis-

tungen nach den Sozialgesetzbüchern II, III und VIII für Jugendliche. Die Ziele der Systeme, die Integra-

tion in Ausbildung und Arbeit im Rahmen des SGB III und SGB II sowie die Förderung der Entwicklung

der Persönlichkeit im SGB VIII werden verbunden. Im Ergebnis wird eine individuelle, passgenaue und

ganzheitliche Beratung und Betreuung von Jugendlichen möglich. "Jugendberufsagentur" steht als

Sammelbegriff für regional unterschiedliche Modelle der Kooperation zwischen den Akteuren. Der Ko-

alitionsvertrag hat diese Form der Ausgestaltung einer Schnittstelle aufgegriffen und sieht eine flä-

chendeckende Einführung von Jugendberufsagenturen vor, wobei datenschutzrechtliche Klarstellun-

gen eine passgenaue Förderung unterstützen sollen. Um auch die Leistungserbringung an den anderen

Schnittstellen weiter zu verbessern, haben wir schon mit dem „Neunten Gesetz zur Änderung des Zwei-

ten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung“ gefordert, Leistungen anderer Sozialleistungsträ-

ger, die der (Wieder-)Eingliederung in Arbeit dienen, in die Eingliederungsvereinbarung aufzunehmen.

Dies wird aber alleine nicht ausreichen, um deren Leistungserbringung zu gewährleisten und deren

Verzahnung mit dem SGB II zu verbessern. Darüber hinaus sollten von den Jobcentern dazu zunächst

die relevanten Schnittstellen vor Ort definiert und dann geeignete Konzepte zur Organisation dieser

Schnittstellen entwickelt werden. Konzepte sollten sich dabei an Gegebenheiten und Bedarfen vor Ort

orientieren. Diese Konzepte sollten dann in den Trägerversammlungen diskutiert werden. Zu prüfen

ist, ob daraufhin Best Practice Beispiele identifiziert werden können, die anderen Jobcentern als Vor-

lage bei der Ausgestaltung ihrer Schnittstelle dienen können.

Passiv-Aktiv-Transfer zur Finanzierung von Aktivleistungen

Um zusätzliche Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik zu mobilisieren, wollen wir den Jobcentern in

Zukunft auch den Einsatz von Mitteln für Passivleistungen im Rahmen eines Passiv-Aktiv-Transfers er-

möglichen. Dies wollen wir zunächst im Rahmen von Modellvorhaben erproben. Dabei sind zwei Wege

denkbar: Zum einen der ausschließliche Einsatz von Passivmitteln zur Finanzierung von Beschäftigung,

zum anderen ein Budgetmodell, bei dem den Jobcentern die Möglichkeit gegeben wird, einen be-

stimmten Anteil der Passivleistungen für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zu aktivieren. Das

heißt, sie können diese Mittel für Aktivleistungen verwenden, wenn sie nachweisen können, dass sie

dadurch bei den Ausgaben für die Grundsicherung Einsparungen bzw. weniger Ausgaben erreichen.

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Um die finanziellen Risiken des Bundes zu minimieren, könnten die Modellversuche an die finanzielle

Beteiligung des jeweiligen Landes gebunden werden.