UnAufgefordert Nr. 143

16

description

Das ist Ausgabe Nummer 143 der Studentenzeitung der Humboldt-Universität zu Berlin vom 10. Dezember 2003.

Transcript of UnAufgefordert Nr. 143

Page 1: UnAufgefordert Nr. 143
Page 2: UnAufgefordert Nr. 143

2

Streik

> Die Nacht zum 6. Dezember ist stürmisch. Die Windböen er-reichen Geschwindigkeiten von 70 Kilometern pro Stunde. Nie-mand sieht oder hört etwas, als die Täter mit einer Säge imGepäck auf den Baum klettern – weder die zwei Polizisten, dievor dem Roten Rathaus Wache stehen, noch die zehn bis fünf-zehn Studenten der Mahnwache, die schon seit Beginn derStreikaktionen vor dem Regierungssitz übernachten.

Gegen vier Uhr morgens werden die schlafenden Studen-ten von zwei Polizisten geweckt. Mit Taschenlampen durchsu-chen die Beamten die Schlafstätte nach einer Säge. Sie ver-dächtigen die Studierenden, die sechs Meter hohe Spitze des25-Meter-Weihnachtsbaums gegenüber dem Roten Rathausgeköpft zu haben. Anstelle der Baumspitze weht dort nun eineFlagge mit der Aufschrift: »Gekürzt«. Bevor die Polizisten sichauf den Heimweg machen, sammeln sie noch schnell die Zwei-ge vom Gehweg. Für ihre Weihnachtsfeier.

»Wir haben nichts mit der Aktion zu tun«, beteuern die Stu-denten. Doch seitdem der Baum nicht mehr der alte ist, inte-ressiert sich die Medienöffentlichkeit für die Mahnwache. Nunkommen fast täglich Fotografen, Zeitungsredakteure und Ka-merateams. Sogar die »Tiroler Tageszeitung« berichtet empörtüber das »Politische Attentat« auf die aus Österreich stammen-de Fichte.

Dieser Streik braucht die Medien. Vor sechs Jahren, als dieBerliner Studenten das letzte Mal streikten, war das Internet nochLuxus. Handys besaßen nur Geschäftsleute. Heute stehen dieStreiktermine im Netz. Aktionsgruppen verständigen sich perMailverteiler und SMS. »Der Streik ist bemerkenswert gut orga-nisiert«, sagt Amory Burchard, Mitarbeiterin des »Tagesspiegel«.Die Proteste seien medienorientierter als früher. »Die Studententelefonieren ständig bei uns durch, was gerade passiert.«

Nackte Tatsachen

Die Studierenden wissen, wie sie wahrgenommen werden.Die Bilder von in der Spree badenden Wirtschaftswissenschaft-lern erschienen am nächsten Tag auf den Titelseiten überregio-naler Tageszeitungen. Einen ähnlichen Effekt hatte eine »Flitzer«-Aktion von Studierenden auf dem Ku’damm Anfang Dezember.Achtundsechzig löste so etwas noch gesellschaftliche Empörungaus. Heute verursachen junge, nackte Menschen bei den Pas-santen nur noch überraschtes Schmunzeln. Selbst das Springer-Boulevardblatt »BZ« bemerkte nur: »Friert ihr nicht?«

Wer einfriert, verliert

UNAUFgefordert Streikausgabe 2 | 2003

Foto: Christoph Schlüter

» weiter auf Seite 4 »

Page 3: UnAufgefordert Nr. 143

3

Streik

UNAUFgefordert Streikausgabe 2 | 2003

Mit freundlicher Unterstützung vonZur Finanzierung der Bühnentechnik auf derAbschlusskundgebung werden Spenden benötigt.

Spendenkonto für die Demo am 13.12.2003 in Berlin:

Kontoinhaberin: Dietrich, SilkeKontonummer: 0232590101Bankleitzahl: 120 800 00Bei der: Dresdner BankStichwort: Demo 13.12.2003

75 Millionen.Würde man davon Ferrero Küsschen kaufen und sie einzeln neben-einander legen, ginge die Straße bis nach Bangladesh. Wenn mandamit die Zinsen für die Stadt Berlin bezahlt, reicht das Geld zweiWochen.

50 Milliarden.Das ist mehr als Daimler-Chrysler im Jahr in Europa umsetzt. Oderanders: Sollte Berlin seine Schulden irgendwann zurückzahlen,könnten sich die Gläubiger von diesem Geld 1.000.000 S-KlasseMercedes kaufen.

Es gehört nicht viel Sachkenntnis dazu, um zu erkennen, dass Ber-lin sich aus eigener Kraft nicht von diesen Schulden befreien kann.Der bankrotte Bürgermeister sitzt in seinem hellerleuchteten Büroim ersten Stock des Rathauses und blickt auf eine verkrüppelteFichte. Er sagt, es werde sich nichts ändern. Dasselbe kann manihm entgegenhalten, denn 75 Millionen sind keine Lösung für eineStadt, die 5 Millionen Euro Zinsen pro Tag bezahlt. In dieser Situati-on erübrigt sich jede Standortdebatte.Man könnte auch die Straßenbeleuchtung ausschalten. Die kannman immerhin einfach wieder anknipsen.Wowereit sagt, er habe keine Alternative. In dieser Situation hat dieVerweigerungshaltung des Senats etwas Absurdes. Da sind dieUni-Streiks sogar ein unfreiwilliges Geschenk. Ganz Deutschlandsieht, dass Berlin am Ende ist. Der Senat könnte den Ernst der Lagenicht überzeugender darstellen. Wenn Wowereit die Proteste einkalkuliert hätte, hieße das, er wür-de über eine ernsthafte Lösung der Misere nachdenken. Wahr-scheinlich tut er das nicht. Deshalb müssen wir es tun. Sonst gehtdieser Streik als Berliner Festwochen in die Uni-Chronik ein.

Eure Unauf <

Editorial

Page 4: UnAufgefordert Nr. 143

4

Streik

TU-Student Magnus Merscher, der die »Flitzer«-Aktionmitorganisiert hat, ist vom großen Erfolg der Aktion überrascht.»Nackte Tatsachen ziehen eben gut, besonders wenn auchStudentinnen dabei sind«, sagt er. »Das ist eine super Möglich-keit, die Proteste an Leute heranzutragen.«

Von Marieke war noch kein Foto in der Zeitung. Dafür hatsie seit dem Beginn des Streiks nicht viel geschlafen. Die 19-Jährige war Streikposten, hat in der AG »Mobilisierung« Flyergebastelt und verteilt. Sie hat im »Krähenfuß« Tee gekocht, Pas-sierscheine geschrieben, war ein Wochenende bei einem Uni-Treffen in Frankreich, um eine europaweite Bewegung anzu-schieben. Marieke hat die meisten Nächte in der Uni über-nachtet. Und sie hat immer wieder versucht, mehr Leute zumMitmachen zu überreden. »In so einer Situation kann man ein-fach nicht ›nichts‹ machen«, sagt sie.

Jetzt sitzt Marieke mit einem Papierhut beim Streik-Info-Pool vor dem Audimax der HU und informiert jeden über diepolitischen Motive der Studierenden, über den derzeitigenStand des Streiks und bevorstehende Aktionen. Sie sieht müdeaus. »In den letzten fünf Tagen sind immer weniger Leute ge-kommen«, meint sie, »wir haben inzwischen echt Probleme,Streikposten zu finden.« Viele bleiben zuhause, weil sie den-ken, dass der Streik jetzt von selbst läuft, glaubt sie.

Schon am ersten Tag des Streiks sei ihr aufgefallen, wieviel weniger Leute aus dem Bus stiegen. Für die, die zuhausebleiben, hat Marieke wenig übrig: »Das ist doch ein Scherz,wenn man sich mal anguckt, was wir hier tun.« Viele würden

nörgeln und kämen dann noch nicht einmal zu den Vollver-sammlungen, um abzustimmen. Ein bisschen Verständnis hatMarieke für diejenigen, die weiter zu ihren Veranstaltungengehen wollen. »Doch ich verliere lieber jetzt ein Semester, alsdann irgendwann Studiengebühren zahlen zu müssen«, erklärtsie.

Müde Mediziner

Die Mediziner scheinen anderer Meinung zu sein. An derCharité ist vom Streik wenig zu merken. Vereinzelt flattern zer-fetzte Transparente an den Gebäuden. »Es läuft mies«, gibt Janvon der AG »Material und Aktion« zu. »Es fehlt uns einfach dieBasis.« Ein harter Kern von 30 Aktiven versucht an der medizi-nischen Fakultät den Protest aufrechtzuerhalten.

Letzte Woche wurde täglich immerhin ein Gebäude be-setzt, Lehrveranstaltungen mit Anwesenheitspflicht findenaber weiterhin statt. »Ich selbst habe meine Fehlzeiten in Semi-naren ausgereizt und muss ab sofort wieder hin«, sagt Jan.Schon auf der ersten Vollversammlung waren 60 Prozent derMedizinstudenten gegen den Streik, die Zahl dürfte inzwi-schen deutlich gestiegen sein.

Eine allgemeine Streikmüdigkeit bekommt auch Mariekeam Info-Pool im Hauptgebäude zu spüren. Sie wirkt ab-gekämpft, aber keineswegs resigniert. »Wir können noch soviel erreichen«, sagt sie. Deshalb sei es wichtig, mindestens bisWeihnachten durchzuhalten. Die Erfolge der Streikenden kön-nen sich sehen lassen. »Der PDS-Fraktion konnten wir zum

UNAUFgefordert Streikausgabe 2 | 2003

» Fortsetzung von Seite 2 »

Foto: Christoph Schlüter

Page 5: UnAufgefordert Nr. 143

5

Streik

UNAUFgefordert Streikausgabe 2 | 2003

> Man sagt, es sei eine Tomate geworfen, ein Baum angesägtund bei Rot über die Ampel gelaufen worden. Behält FrankSteffel (CDU) gar Recht damit, dass Berlin neben Pjöngjangund Peking zur drittgrößten kommunistischen Metropole derWelt avanciere? Distanzierung tut Not. Von denen, die versu-chen, den Streik für ihre linksradikale Ideologie zu instrumen-talisieren. Der Gedanke ist unerträglich, die Berliner Tages-presse könnte aufgrund von studentischen Schubsereien mitder Ordnungsmacht ihre gutmütige Aufmerksamkeit vom ver-hätschelten Objekt abziehen. Dieses lässt indessen keinenZweifel daran, sein Scherflein zur Standortsicherung und deut-scher Konkurrenzfähigkeit um jeden Preis beitragen zu wollen.»Man darf die Kuh nicht schlachten, die man noch melken will«– pointierter lässt sich das elende Selbstverständnis des rebel-lierenden studentischen Humankapitals nicht ausdrücken.

Doch bislang ist kein Präsidentenbüro verwüstet worden,kein Faxgerät aus dem Roten Rathauses fand bislang den Wegin eine studentische Wohngemeinschaft. Nicht einmal vonakademischem Bildungsklau, etwa bei Dussmann oder Kie-pert, kann die Rede sein. Radikale Studiproteste? Sportstuden-ten holen demnächst zusammen mit der Berliner Polizei Nach-bars Katze aus dem Baum, helfen alten Omas über die Straßeund malen an beschlagene Busscheiben »Sparen ist blöd.«

Da verwundert der Abgrenzungswahn der Studierendenvon allem, was nur von weitem nach Gesellschaftskritik klingt,überhaupt nicht. Und die Donquichotterie, das Ausagieren desRessentiments am Ersatzobjekt, war schon seit jeher deutscheEigentümlichkeit. Schade, dass das Gespenst der radikalenGesellschaftskritik nicht in Erscheinung tritt, nur weil alle eslauthals abwehrend beschwören.

Daher an dieser Stelle ein kurzer argumentativer Drei-schritt zum Mitreden auf der Party: Radikal – im Wortsinne –heißt bekanntlich, an die Wurzel (des Übels) vorzudringen. Dasbedeutet, sich auf dem Weg dorthin weder von Sachzwang,Staatsräson, Naturmacht und anderen scheinbaren Realitätenaufhalten zu lassen. It’s as simple as that: Wenn sich das Glückder Menschen nicht realisieren lässt, weil sie nicht am gesell-schaftlichen Luxus partizipieren können, dann brauchen sieeben mehr Geld. Bekommen sie dieses nicht, weil die Unter-nehmen sonst Pleite gehen, dann müssen diese eben enteig-net werden. Wenn sie sich nicht enteignen lassen, weil dannPolizei und Bundeswehr einschreiten, dann müssen dieseeben auch abgeschafft werden. Und wenn ein Staat ohne Poli-zei und Militär kein Staat ist, dann muss Deutschland halt vonder Karte gestrichen werden.

Lotte Reich, Phillippe Sinistra, Hark Machnik <

kommentarVon Standortplätzen und Kinkerlitzchen

Beispiel die Zusage abnehmen, dass sie bei Studienkonten abjetzt von verkappten Studiengebühren sprechen wird.« Im Ja-nuar werde es bei allen Parteien Anhörungen geben – Ergeb-nisse der Besetzungen der Parteizentralen.

Auch »Flitzer« Magnus betont, man dürfe bei all den spek-takulären Aktionen nicht vergessen, Inhalte zu vermitteln. Dassdie Kürzungen in Höhe von 75 Millionen Euro rückgängig ge-macht werden sollen und das Studienkontenmodell verhindertwerden soll, ist bei den meisten Studierenden angekommen.Doch den kompletten Forderungskatalog von Abschaffung desNumerus Clausus bis Viertelparität kennen vergleichsweisewenige. Kein Wunder, denn als die HU-Studierenden auf ihrerVollversammlung Anfang Dezember nach der Streik-Abstim-mung über Inhalte diskutierten, hatten die meisten die Ver-sammlung längst verlassen.

Eine Woche später hat Medizinstudent Jan eine Demo vonder Charité zum Hauptgebäude angemeldet. Statt der erhoff-ten 300 beteiligen sich nur rund 30 Studierende. Gemeinsamgehen sie zur Vollversammlung. Das Audimax ist erneut über-füllt. Astrid vom »Humboldt Kompromiss Forum« plädiert für le-diglich ein oder zwei Streiknachmittage pro Woche. Es gibtBuhrufe und Pfiffe. Auch für einen Studenten aus Adlershof,der zum »Realismus« aufruft: »Es geht nicht, dass das hier zurRevolution ausartet.« Ein studentisches Mitglied im Akademi-schen Senat weist erneut darauf hin, dass durch den Streik kei-ne Nachteile fürs Studium entstehen. Bafög und Scheine gebees trotzdem.

Präsident Jürgen Mlynek tritt ans Mikrofon. »Die Frage istjetzt«, sagt er, »ob das Semester für Sie ganz verloren geht, oderob man Protestformen findet, die mit dem Studium vereinbarsind.« Wieder Pfiffe. »Bullshit!« brüllt jemand.

Nach zwei Stunden soll abgestimmt werden. Der Inhaltder vorliegenden Anträge ist symptomatisch für die Zerissen-heit des Protests. Einige fordern den Abbruch des Streiks. Siewollen »geregelte« Streiktage, die sich mit den Lehrveranstal-tungen vereinbaren lassen. Ein weiterer Antrag plädiert dafür,nur einige Gebäude zu verbarrikadieren. Uneinigkeit herrschtauch über die Dauer des Streiks. Mit knapper Mehrheit stim-men die versammelten Studierenden schließlich dafür, denStreik in der bisherigen Form bis zum Montag, den 5. Januar,fortzuführen.

Fürchtet euch nicht!

Auch die Studenten der Mahnwache wollen trotz Nacht-frost weiter durchhalten. Seit der Sache mit dem Weihnachts-baum reagieren die Passanten polarisierter als vorher, sagtPhysik-Student Sebastian. »Manche beschimpfen uns, weil sieglauben, dass wir die Spitze abgesägt haben. Aber die meistenfinden es gut, dass wir hier sind.«

Als einer aus der Runde gerade die Heiligabend-Schichtverteilen möchte, bringt eine Bekannte einen Topf mit dampfen-der Gemüsesuppe. So wie sie kommen inzwischen regelmäßigSympathisanten vorbei. Lutz Wilmering besucht die Lagerndenbereits seit zwei Wochen. Der 54-Jährige fährt jeden Tag ausReinickendorf ans Rote Rathaus. »Ich wollte nicht nur reden,sondern selbst aktiv werden«, sagt er. Aber im Freien übernach-ten, das sei zu viel in seinem Alter. Jeden Abend nimmt er dieletzte U-Bahn nach Hause. Am 24. Dezember wird er eine Aus-nahme machen: »Dann bleibe auch ich über Nacht.«

Steffen Hudemann, Daniel Schalz <

Page 6: UnAufgefordert Nr. 143

6

Streik

> »Habt ein paar Tage Geduld«, bittet Oliver Seitz vom »Stunk-Team« der Technischen Fachhochschule (TFH) die Streikendenan den Universitäten. »Unsere Wut muss erst gesammelt wer-den.« Seit Anfang Dezember gärt es auch an anderen Hoch-schulen Berlins. Als erste war die Alice-Salomon-Fachhoch-schule (ASFH) am 4. Dezember in den Streik getreten. 250 Stu-dierende hatten sich auf der Vollversammlung nahezueinstimmig für einen Streik ausgesprochen und sich den For-derungen der drei Universitäten angeschlossen. Einen Tagspäter beschloss auch die Kunsthochschule Weißensee zustreiken.

Die Initiatoren des Streiks an der ASFH überzeugten dieStudierenden, dass die Kürzungen nicht nur die Universitätenbetreffen, sondern entgegen der oft geäußerten Meinung auchdie Fachhochschulen. So mussten die Angestellten der ASFHeinen Tarifvertrag hinnehmen, der bis zu 12 Prozent Lohnkür-zungen zur Folge hat und eine massive Verschlechterung derArbeitsverhältnisse nach sich ziehen wird. Die eingesparteSumme von etwa 250.000 Euro kommt nicht der Hochschule,sondern dem leeren Stadtsäckel zugute.

Die Hochschulen werden zudem keine pauschalen Beträ-ge mehr für die Lehre erhalten. Stattdessen werden die Mittel

nach einem Leistungskatalog verteilt (Studienkonten, Seite14). »Eine leistungsbezogene Mittelverteilung verhindert abereine innovative Lehre und führt zu starren Lehrinhalten«, be-fürchtet Markus Fleischmann vom Hochschulreferat der ASFH.Sobald die ertragreichsten Angebote gefunden seien, würdensie so lange laufen, wie sie Geld brächten. »Die Hochschule alsImpulsgeber für gesellschaftliche Entwicklungen ist somit tot«,meint Fleischmann.

Ab 2006 werden zudem die Hochschulen für die Rentenund Pensionen ihrer Hochschullehrer selbst aufkommen müs-sen. Frei werdende Stellen kann man dann aufgrund der not-wendigen Ausgaben für die emeritierten Professoren kaumwieder besetzen. »Diese versteckte Sparpolitik an den Fach-hochschulen«, ist sich Birte Dickhoff vom Öffentlichkeitsreferatder ASFH sicher, »ist der Anfang vom Ende.«

Der Protest der ASFH richtet sich jedoch nicht nur gegendie Einsparungen im Bildungsbereich. »Wir sehen die Ein-schnitte in diesem Sektor als Teil einer neoliberalen Kürzungs-orgie. Die Kürzungen an den Universitäten sind nur die Spitzedes Eisbergs.« Auszubaden hätten die Einsparungen im sozia-len Bereich letztlich jene gesellschaftlichen Gruppen, die nichtdie Möglichkeit haben, »durch gemeinsame Abendessen mitdem Senat für ihre Belange zu werben«. Fleischmann nennt indiesem Zusammenhang die Erhöhung der Kita-Gebühren, dieStreichung des Sozialtickets für Sozialhilfeempfänger, die Ein-sparungen bei behindertengerechten Verkehrsmitteln, sowiedie weitere Beschneidung der Jugendhilfe.

An der TFH hatten die Streikwilligen bei den Studierendenweniger Glück als an der »Alice Salomon« und in Weißensee.Auf der Vollversammlung am 4. Dezember war das Meinungs-bild so eindeutig negativ, dass gar nicht mehr über einen Streikabgestimmt werden musste. »Wir wollten keinen Streik vonoben beschließen«, sagt Jörg Ewald, stellvertretender Vorsit-zender des AStA der TFH. »Hoffentlich streikt ihr nicht«, sollsich TFH-Präsident Reinhard Thümer gegenüber Studenten imVorfeld der Vollversammlung geäußert haben. Er befürchtet,dass die Hochschule durch einen Streik erst in die Schusslinieder Politik gerät. Vereinzelte Professoren glauben sogar, vonder kritischen Situation an den drei großen Universitäten zuprofitieren. »Einige hoffen, dass die Fachhochschulen die Stu-diengänge übernehmen können, die an den Unis wegfallen«,vermutet Ewald.

An der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft(FHTW) ist die Entscheidung noch nicht gefallen. Dort stimmendie Studierenden am 16. Dezember in einer Vollversammlungdarüber ab, ob sie streiken wollen.

Oliver Seitz, einer der Initiatoren des »Stunk-Teams«, istvon den Studierenden enttäuscht: »Hier an der TFH wollen alleweiterstudieren.« Umso wichtiger findet er es, dass eine kleineGruppe von engagierten Studenten die Proteste unterstützt.Jeden Mittag legen er und andere die Luxemburger Straße miteiner »Zebrastreifen-Begehung« lahm. Andere Aktionen wieCredit-Points-Regen von hohen Gebäuden, Aktzeichnen inEinkaufszentren und öffentliche Vorlesungen in Baumärktensind in Planung. Seitz ist sich sicher: »Wenn wir kommen, dannkommen wir heftig!«

Daniel Schalz <

Die Unis bekommen unerwartetenRückenwind. Zwei weitereHochschulen sind im Streik. An derTFH bildete sich ein »Stunk-Team«.

Die Kleinen machen Stunk

UNAUFgefordert Streikausgabe 2 | 2003

Foto: Robert Nagel

Page 7: UnAufgefordert Nr. 143

7

Streik

Christiansens kreuzbraver kreis

UNAUFgefordert Streikausgabe 2 | 2003

> Vergangenen Sonntag, gegen 21:40 Uhr, herrschte im Studiovon »Sabine Christiansen« an der Budapester Straße unge-wöhnliche Leere. Aufgrund eines »privaten Termins« des regie-renden Bürgermeisters und Talk-Gastes Klaus Wowereit wardie lang ersehnte Sendung zur Misere der deutschen Bil-dungspolitik bereits am frühen Nachmittag aufgezeichnetworden. Das musste zumindest Berliner Studierende enttäu-schen, die gehofft hatten, an dieser Stelle erneut durch Pro-testaktionen auf ihre Lage aufmerksam zu machen. Schade,erfüllte die Christiansen-Redaktion doch zu Nikolaus denWunsch nach einem Polit-Talk, für den rund tausend Studie-rende zwei Wochen lang vor dem schwer bewachten Studiodemonstriert hatten.

So durften die Betroffenen am Sonntagabend nur aus derKonserve mitverfolgen, wie Deutschlands zentrale Agentur fürpolitisches Agenda-Setting geballte bildungspolitische Kompe-tenz – in der Person von Peter Glotz, Vordenker der SPD undHochschulprofessor – mit den anderen Gästen diskutieren lässt.Dabei werden die aktuellen Sparvorschläge nur kurz gestreift,um direkt zum Thema Studiengebühren überzuleiten. Das gibtdem Bürgermeister der Hauptstadt Gelegenheit, seine »Privat-meinung« dazu vorzutragen, also gegen die Beschlusslage inder eigenen Partei anzureden, und sich als visionären Refor-mer zu präsentieren. Das Gespräch kehrt von da an auch nichtmehr auf den Boden der Tagespolitik zurück und verliert sichgegen Ende irgendwo zwischen Ganztagsschule und der Kul-turhoheit der Länder.

Immer mit dabei: Die kreuzbrave Sprecherin des AStA derUniversität Hannover, Anna Berlit, die tatsächlich nur dann denMund aufmacht, wenn sie gefragt wird. So jemanden wie siehatten die anwesenden Vertreter der Politik, neben Wowereitdie baden-württembergische Kultusministerin Annette Scha-van, wohl ganz oben auf ihrem Weihnachts-Wunschzettel ste-hen. Dabei hatten sich am Montag, den 1. Dezember, sechs Ver-treter der Berliner Universitäten zu einem Gespräch in der Chri-stiansen-Redaktion eingefunden, unter ihnen Heike Dellingvom Studierendenparlament der Humboldt-Universität.

UnAufgefordert: Aus welchem Grund wurde deiner Mei-nung nach die Vertreterin aus Hannover ausgewählt?

Heike Delling: Wohl wegen des Themas Studiengebühren. InNiedersachsen wurden ja regelmäßig Aktionen gegen Studien-gebühren durchgeführt. Ich denke, es war Absicht, keine Sen-dung über Bildung zu machen, sondern nach dem Motto »wiekönnen wir den Studierenden ihre Bildung kostbar machen?« dasThema Studiengebühren wieder auf die Tagesordnung zu setzen.Das wird in Hannover offensiver diskutiert als hier in Berlin.

Worüber wolltet ihr mit der Redaktion diskutieren?Wir wurden dort nach einer konkreten Vision gefragt und

haben entgegnet, dass wir eine gesellschaftliche Diskussion undMeinungsbildung herbeiführen wollen und zwar über die The-men Bildung, Zukunft, Absicherung und eine sozial gerechte Ver-teilung. Das haben die überhaupt nicht verstanden. Man hat unszwar zugehört, aber das Feedback war enttäuschend. Der Chef-redakteur hat das mit den Worten abgetan: »Jaja, ich habe auchmal einer Generation angehört, die für Ideale gekämpft hat.«

Hattet ihr den Eindruck, dass die Redaktion sich vorstörenden Aktionen während der Sendung fürchtete?

Sie haben uns immer wieder gedroht; gesagt, dass sie sichnicht erpressen lassen, sonst kämen noch ganz andere »radi-kale Gruppen« vor ihr Haus, die dann auch in die Sendungwollten. Frau Christiansen hat eine ganz klare Grenze gezogen:»So lange auch nur eine Person sonntagabends noch dasteht,kommt ihr nicht in unsere Sendung.«

Dass man mit den Studierenden redet, ist meiner Meinungnach ein erster Schritt, aber sie haben die Gelegenheit nichtgenutzt, gleich eine Sendung zum Thema anzubieten, und zwarnoch vor Weihnachten, was unsere Forderung war. Eine bun-desweite Debatte zu dem Thema sei noch nicht möglich, da diepolitischen Entscheidungsträger sich noch keine Meinung ge-bildet hätten, deshalb könne sie auch keine Sendung dazu ma-chen!

Die kommenden Sendungen wurden nicht erwähnt?Es kam nicht die leiseste Andeutung, dass es eventuell doch

noch eine Sendung zur Bildungspolitik geben könnte. Es hießklipp und klar: »dieses Jahr nicht mehr, eventuell im Februar«.Uns wurde geraten, dann noch mal Kontakt mit ihr aufzuneh-men, aber witzigerweise war der zuständige Mitarbeiter dieganze Woche nicht erreichbar. Sie hatten aber von uns zwei Te-lefonnummern, so dass sie auch für letzten Sonntag problem-los eine Vertreterin oder einen Vertreter von uns hätten einla-den können.

Das Interview führte Nils Müller <

Foto: Christoph Schlüter

Page 8: UnAufgefordert Nr. 143

8

Streik

Finanzamt Reinickendorf

UnAuf: Guten Tag, ich bin von der »Unaufgefordert«, der Studen-tenzeitung der HU. Haben Sie kurz Zeit für eine Umfrage?

Geschäftsstelle des Finanzamts: Nee, leider nicht, wirhaben hier viel…

Können Sie sich vorstellen, dass die Studenten als Protestaktiondas Finanzamt Reinickendorf besetzen?

Ach, herrje, bleiben Sie am Apparat![Beratung mit der Kollegin]Was möchten Sie denn da genau wissen?

Ja, ob Sie sich, wie gesagt, vorstellen können…Also, dazu möchte ich Ihnen nichts sagen. Wirklich, wirgeben keinerlei Auskunft.

Fazit: Überraschend hoher Panikfaktor auf Seiten desFinanzamts. TV Berlin wäre live vor Ort.

Fernsehturm

Glauben Sie, dass der Fernsehturm von Studierenden besetztwerden könnte?

Service-Büro: Besetzung? Dann jibt det Ärjer.

Mit wem denn?Da spielt der Chef nicht mit. Und ich versteh da auchkeinen Spaß. Wir haben nichts mit euch zu tun, auchwenn wir euch ein bisschen verstehen. Das ist unserUmsatz. Das lassen wir uns von Greenpeace nicht ge-fallen und auch nicht von euch.

Fazit: Hoher Risikofaktor. Infos gibts bei Greenpeace. Keine Studentenermäßigung auf den Eintrittswucher von 6,50Euro. Die Öffentlichkeitswirksamkeit geht gegen Null. In über 200 Metern Höhe verschwinden Transparente und Studenten hinter den getönten Scheiben der Besu- cherkugel. Dafür ist die Aussicht schön.

Hertha BSC

Können Sie sich vorstellen, dass die Studenten am Samstag alsProtestaktion das Spielfeld stürmen?

Pressesprecher Hertha BSC: Nein, bitte nicht! Wir ha-ben den Kopf voller anderer Dinge. Wir haben ein riesi-ges sportliches Problem derzeit. Auch ein Sicherheits-problem. Was ist, wenn die Studenten auf die Spielerlosgehen? Das können Sie doch nicht bringen. Wir sindunpolitisch und wollen so was nicht. Das ist zwar immernett überlegt, weil man da die Grundaufmerksamkeithat, das wird auf Premiere, Sportschau, ARD übertra-gen, aber doch bitte nicht auf unsere Kosten! Das wür-den Sie doch auch nicht tun.Stellen Sie sich doch mal vor, Studenten stürmen ihrWohnzimmer! Das würden Sie doch auch nicht wollen.Wir hatten ja schon diesen Stop-The-War-Menschen,der auf das Spielfeld gerannt ist. Der Verein hat da eineriesige Verantwortung. Da bricht eine Massenpanik aus,da sind Familien und Kinder im Stadion. Das können wirnicht machen. Das tut mir leid. Macht das irgendwo an-ders. Sie haben doch am Samstag die Demonstration.

Fazit: Panikfaktor: unschlagbar. Der Aufwand: 20.000 Stu-denten. Das wären etwa 400.000 Euro für die Eintritts-karten. Spenden für die Aktionsgruppe »Hertha« nimmt die Berliner Bankgesellschaft entgegen.

Hotel Adlon

Was wäre, wenn Studierende das Adlon besetzen wollen?Pressesprecherin: Also wirklich, jetzt hören Sie dochmal auf. Eine Besetzung ist doch wirklich vollkommenabwegig.

Fazit: Adlon wägt sich in trügerischer Sicherheit. Ein überra-schendes Sleep-in würde ins Mark treffen.

Sarrazin, Flierl, PDS, SPD, nicht malvor dem Roten Rathaus machen dieStudierenden halt. Doch vor lauterEifer wurden die wirklich wichtigenInstitutionen schmählich übergangen.Sind diese vorbereitet für denErnstfall? Wir haben nachgefragt.

Besetztes Entsetzen

UNAUFgefordert Streikausgabe 2 | 2003

Foto: Robert Nagel

Page 9: UnAufgefordert Nr. 143

9

Streik

UNAUFgefordert Streikausgabe 2 | 2003

Statistisches Landesamt Berlin

Können Sie sich vorstellen, dass im Zuge der Protestaktionen dasStatistische Landesamt von Studenten besetzt werden könnte?

Sekretärin der Presseabteilung: Also … äh, ei-ei-ei-gentlich … äh … also, als aggressiv empfinde ich dieStudenten nicht. Warten Sie mal eben.[Nach zweiminütiger Beratung mit der Pressespreche-rin kehrt die Sekretärin zurück.]Ich verbinde Sie.Amtsleiterin der Presseabteilung: Ja, mir wurde gesagt,Sie möchten fragen, ob wir besetzt werden können. Esist die Frage, mit welcher Intention, sie uns besetzenwollen. Wenn die Studenten die Besetzung des Statisti-schen Landesamtes als Signal sehen und unsere Ar-beitsprozesse nicht gestört werden, ist das kein Pro-blem. Wir sind ein öffentlicher Bereich. Wenn Sie hierherkommen möchten, um mit uns zu diskutieren – dasist okay.

Fazit: Fein. Man freut sich auf uns.Wer sorgt für Tee und Kekse?

US-amerikanische Botschaft

Glauben Sie, dass die US-Amerikanische Botschaft von Studen-ten besetzt werden könnte?

Pressestelle: Ich verstehe Ihre Frage nicht. Vielleichtwird sie etwas klarer, wenn Sie sie per Fax schicken.

Ich möchte nur wissen, ob Sie sich vorstellen können, dass dieBotschaft von Studenten besetzt werden könnte.

Das müsste ich mit meinen Kollegen absprechen. Ichbrauche da in jedem Fall etwas Schriftliches von Ihnen.

Fazit: Homeland Security: »Threat Advisory: elevated (signifi-cant risk of terrorist attacks).«

Axel-Springer-Haus

Glauben Sie, dass Ihr Haus das Ziel von studentischen Besetzun-gen werden könnte?

Sekretärin des Büros für Öffentlichkeitsarbeit: Äh …äh, was meinen Sie denn mit »besetzen?«

Naja, reinkommen und dableiben.Ich kann Ihnen da keine Auskünfte geben. Ich werdedas aber weiterleiten. Wie war Ihr Name nochmal?[Der Rückruf bleibt aus. Wir versuchen es erneut.]Pressesprecherin: Wir haben allergrößtes Verständnis,aber können uns nicht mit Ihnen engagieren. Es tut unswirklich leid, dass wir Sie nicht unterstützen können.Sie machen das ja auch schon alles sehr professionell.Wir sind aber gerade in einer Bauphase und es ist unsdeshalb einfach von den Räumlichkeiten her nichtmöglich.

Fazit: Axel Springer will überraschend die Hand reichen, hataber die Handwerker im Haus. Sei’s drum. Durch einenabgesprochenen Aufenthalt im Haus hätte man es sichwomöglich noch mit den Alt-68ern verscherzt.

Protokoll: Aletta Rochau <

Brauerei »Berliner Kindl«

Stellen Sie sich vor, Studenten wollen Ihre Brauerei besetzen…Pressesprecher: Was hat denn die Brauerei mit denStudenten zu tun? Da fehlt doch jegliche Verbindung.

Wären Sie denn auf eine Besetzung vorbereitet?Nein, wer wäre das schon. Aber wir sind auf ähnlicheKatastrophen, wie Erdbeben, vorbereitet und würdendann darauf zurückgreifen.

Fazit: Das große Gelände der Brauerei benötigt eine flächen-deckende Besetzung. Die Brauerei sieht das Ganze ge-lassen. Schließlich ist man Routinier in Sachen Katas-trophenschutz.

Foto: Robert Nagel

Page 10: UnAufgefordert Nr. 143

10

Streik

UNAUFgefordert Streikausgabe 2 | 2003

> Die Bildung geht baden und Studierende der Wirtschafts-wissenschaften springen medienwirksam bei 5 Grad Celsius indie Spree. Das hat sogar der BZ imponiert und ist nur eine vonsehr vielen sinnvollen und kreativen Aktionen mit denen Stu-dierende aller Berliner Universitäten auf die katastrophaleSparpolitik des Senats aufmerksam machen.

Gerade jetzt, wo der Protest ein dermaßen positives Echohervorruft, sollten sich noch mehr Studierende aufgefordertfühlen, die Proteste weiterzuführen, sich gemeinsam über Ziele,Inhalte und Aktionsformen zu unterhalten und die Diskussio-nen nach außen zu tragen. Die Streikenden an der Freien Uni-versität (FU) haben das gewaltige Problem, dass es viel zu vieleStudierende gibt, die sich im Prinzip an den Protesten beteiligenwürden, aber auch den normalen Lehrbetrieb weiterführen wol-len. Diejenigen, die Zeit und Energie dafür aufwenden, dass esAktionen, alternative Veranstaltungen und Freiräume zur inhalt-lichen Arbeit gibt, sehen sich denjenigen gegenüber, die alter-native Veranstaltungen zwar ganz nett finden, sich dann aberdoch lieber scheinrelevanten Themen hingeben.

An Teilen der FU sieht es momentan so aus, als ob dieStreikenden vor allem verlieren würden. Zu nahe liegend undzu verlockend scheint die Entscheidung, jetzt, wo man mal in

der Zeitung war, lieber aufzupassen, dass man nicht nochmehr Seminare verpasst. Viele hören da auf, wo ein inhaltlicherProtest anfangen sollte. Nur nach dem Motto »Wasch mir denPelz, aber mach mich nicht nass« zu protestieren, nimmt denengagierten Streikenden die Basis und setzt sie doppelt unterDruck. Von ihnen wird erwartet, gleichzeitig in die Spree zuspringen oder sich vom Fernsehturm zu stürzen (»Die Bildunggeht fliegen!«) und den anderen Studierenden beim Scheiner-werb zuzuschauen. Jenen sollen sie auch mund- und kopfge-rechte Angebote für den Protest unterbreiten.

Ein halber Streiktag

Die Probleme, vor denen Streikende an der FU stehen, sindje nach Fach verschieden. Während einige Institute besetztsind, findet in zahlreichen Dahlemer Villen der Betrieb unver-ändert statt. Der FU-AStA und das Otto-Suhr-Institut erweisensich auch in diesem Streik als Aktivposten. Sie ziehen viele en-gagierte Leute aus anderen Fachbereichen an, und leider auchweg von ihren Instituten, an denen ein großer Informations-und Diskussionsbedarf besteht.

OSI und AStA kämpfen um die Motivation der Kommilitonen und gegen eineautoritäre Unileitung. Der Erfahrungsbericht eines FU-Studenten.

Der Schöne Schein

Foto: Christoph Schlüter

Page 11: UnAufgefordert Nr. 143

11

Streik

UNAUFgefordert Streikausgabe 2 | 2003

Eine bemerkenswerte Strategie des Protestes betreibt derFachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften. Eine Ver-sammlung aller Mitglieder des Friedrich-Meinecke-Instituts hatbeschlossen, den Mittwoch zum Aktionstag des gesamten Fach-bereichs auszurufen, damit der Dienst nach Vorschrift möglichstunbeschadet vonstatten geht. Nun will der Fachbereich seineAktionen nur am Nachmittag bündeln.

Weiterhin gibt es die Seminare, die in die Öffentlichkeit ge-tragen werden. Das ist gar nicht schlecht, so lange es sich umalternative Lehrveranstaltungen handelt und nicht um eineWeiterführung des Lehrbetriebs in der Kälte. Da könnte dasPräsidium auch auf die Idee kommen, gleich noch mehr Ge-bäude zu verkaufen, wenn die Seminare sowieso in der Ring-bahn stattfinden.

Trotz des großen Aktionismus und der mangelnden Koor-dination, die durchaus auch mit der räumlichen Zersplitterungder Freien Universität zu tun hat, wird inhaltliche Arbeit betrie-ben. Gerade in der Diskussion um die Inhalte und Forderungenwird sich zeigen, welche Richtung der Protest einschlägt.

Gehorsames Präsidium

Wenn es nach dem Präsidenten geht, scheinen die Kür-zungen an der FU beschlossene Sache. In einem Interview mitdem Tagesspiegel vom 10. Dezember betonte er erneut, dassdie Proteste zu spät kämen – im Sommer wäre die richtige Zeitdazu gewesen, als die Zahlen noch verhandelt wurden. AberFU-Präsident Dieter Lenzen hatte es auch eilig, die unausge-gorenen und desaströsen Kürzungspläne gehorsam durchzu-

ziehen. Jedes Mittel, sei es auch noch so abstrus, schien ihmdabei recht zu sein. Die wenigen noch mit Machtmitteln aus-gestatteten Gremien der FU, das Kuratorium und der Akademi-sche Senat, sollen nach seinem Willen nun möglichst schnelldie »Giftliste« absegnen. Den Mitgliedern dieser Gremien wa-ren die Grundlagendaten, auf denen das Kürzungsspielchenbasiert, allerdings kaum zugänglich.

Öffentlichkeit und Transparenz scheinen nicht Dieter Len-zens Sache zu sein. Den Studierenden, die an der öffentlichenSitzung des Akademischen Senats teilnehmen wollten, wurdeder Zugang zum Sitzungssaal verweigert. Begründung: solcheine Anzahl Leute würde die Tragfähigkeit des Bodens gefähr-den.

Auch der Umgang mit dem Hausrecht seitens des Präsidi-ums der FU zeugt von einem problematischen Verhältnis zuden protestierenden Studenten. Während eines studentischenAktionstages in der Silberlaube der FU wurden die anwesen-den Studierenden von einem Wachschutzkommando bedroht,dessen Mitglieder nach Auffassung des AStA »aus demrechtsradikalen Spektrum« rekrutiert wurden.

Die endgültigen Kürzungsbeschlüsse soll der Akademi-sche Senat am 17. Dezember fällen. Für diese Sitzung liegt auchein Antrag der Studierenden der FU vor, mit den Forderungen,die in der Vollversammlung am 8. Dezember beschlossen wur-den. Wir fordern unter anderem die Wiederaufnahme des Pro-jekttutorienprogramms und die Neuverhandlung der Hoch-schulverträge unter aktiver Teilhabe der universitären Gremien.Bei dieser Sitzung wird sich dann auch zeigen, wie weit diepraktische Solidarität von Präsidium und Gremien reicht.

Jan Birkhahn <

Page 12: UnAufgefordert Nr. 143

12

Streik

> In Marburg an der Lahn wird nicht gestreikt – man ist imAusnahmezustand. Das bedeutet, der Lehrbetrieb wird auf-rechterhalten und es finden regelmäßig Streik- und Aktionsta-ge in ganz Hessen statt. Dann werden Lichterketten gebildet,Studenten springen in die Lahn oder besetzen die Philosophi-sche Fakultät, eine Bausünde aus den 70er Jahren. Durch dieschmucke Altstadt ziehen derweil Geschichtsstudenten in his-torischen Kostümen. Diese Organisationsform soll kein »Streiklight« sein, sondern dazu dienen, »die Proteste langfristig wei-terlaufen zu lassen«. Das scheint auch dringend geboten ange-sichts dessen, was da kommt – falls sich Ministerpräsident Ro-land Koch mit seinem »Zukunftssicherungsgesetz« (ZSG)durchsetzt.

Dabei kommen die hessischen Universitäten auf den ers-ten Blick vergleichsweise gut davon. Um »nur« 30 Millionen Eu-ro wird der Hochschuletat nächstes Jahr gekürzt. Allerdingssollen »zur Konsolidierung des Landeshaushalts das RessortWissenschaft und Kunst zusätzliche Einnahmen in Höhe von 41Millionen Euro erwirtschaften«, so sieht der Plan es vor. Und 30plus 41 sind bekanntlich schon 71 Millionen Euro! Verständ-lich, dass der Marburger Uni-Präsident Horst Kern einer Zu-satzvereinbarung zum hessischen Hochschulpakt als »neueStufe der Grausamkeiten« kürzlich die Unterschrift verweiger-te. Vielen Studierenden droht aber die Katastrophe. Denn siesollen diesen Betrag aufbringen, wie es das so harmlos betitel-te »Studienguthabengesetz« (StuGuG) vorsieht.

Diesem zufolge erhalten Studierende einmalig ein Studi-enguthaben für die Anzahl der Semester ihrer jeweiligen Re-gelstudienzeit plus maximal vier Semester. Wer überzieht, zahlt

für das erste folgende Semester 500, für das nächste 700 undfür jedes weitere 900 Euro Gebühren. Der Obulus für ein Zweit-studium kann »nach Studiengängen differenziert bis auf 1500Euro erhöht werden«. Gasthören ist mit 50 bis 500 Euro etwasgünstiger. Und da man schnell reformieren will, werden »Studi-enzeiten vor In-Kraft-Treten dieses Gesetzes« natürlich mitbe-rechnet. Eine rückwirkende Regelung, die für verständliche

Empörung sorgt. Ein Trostpflaster: Wer bis zumWintersemester 2005/2006 sein Studium ab-schließt, soll seine Gebühren zurückgezahlt be-kommen.

Das »erwirtschaftete« Geld soll Zukunft si-chern, aber offensichtlich nicht die der Hochschu-len. Denn, so Paragraf 4: »Die Einnahmen aus denGebühren fließen mit Ausnahme der Gebührennach § 3 Abs. 3 Satz 3 [Gasthörer] dem Landes-haushalt zu.« Die Hochschulen erhalten einen An-teil von zehn Prozent. Den Universitäten bleibtkaum mehr als das Versprechen der »finanziellenPlanungssicherheit bis 2005«, schreibt die Internet-seite der Landesregierung, ganz so, als sollten diesich auch noch darüber freuen. In Wiesbaden hatman noch mehr Ideen, Geld vom Bildungsbereichabzuzapfen. In das Hochschulgesetz wird ein neu-er Paragraf 64a eingefügt: »Die Hochschulen desLandes erheben einen Verwaltungskostenbeitragin Höhe von insgesamt 50 Euro für jedes Semes-ter.« Wer das nicht zahlt, wird exmatrikuliert.

Wie andernorts auch, ist das hessische Bildungssterben ineine umfangreichere Kahlschlagaktion eingebunden. Um denFehlbetrag von 1,03 Milliarden Euro aufzubringen, wird geradeim Sozialbereich die Axt angesetzt. Wo allein in der 80.000-Ein-wohner-Stadt Marburg gekürzt werden soll, klingt grauenhaft:Erziehungsberatung, Jugendkonfliktberatung, Drogenbera-tung, Jugendberufshilfe, der Arbeitskreis ›Soziale Brennpunk-te‹ und und und. »Hier werden gerade die Probleme von Mor-gen geschaffen«, meint der Geschichtsstudent Philip John. Erbetreut neben dem Studium einen hyperaktiven Jungen ausdem Stadtteil Richtsberg, einem Problemviertel, dessen sozialeEinrichtungen bald nur noch auf Spenden zurückgreifen kön-nen. Die vielen Marburger Studenten, die ihr Studium mit Jobsim Sozialbereich finanzieren, werden quasi an zwei Frontenattackiert.

Dementsprechend groß ist die Motivation, am 17. Dezem-ber zur letzten Lesung des ZSG, auf die Barrikaden zu gehen.Sollte dies vergeblich sein, ist auch schon eine Sammelklagegegen das Gesetz in Vorbereitung. Vielleicht zeigt die Recht-sprechung auch einen attraktiven Ausweg für Berliner Lang-zeitstudenten auf: Im hessischen StuGuG wird die Frage derAnrechnung von Studienzeiten in anderen Bundesländern aufdas Studienguthaben erst einmal vertagt. Der baden-württem-bergische Verwaltungsgerichtshof hatte dies kürzlich imGrundsatz für nicht zulässig erklärt, da es die »Ländersolida-rität« gefährde. Solange Gebühren also nicht bundesweit erho-ben werden, kann ein Studienortwechsel vielleicht helfen. Aufnach Hessen!

Nils Müller <

Mit seiner »Operation SichereZukunft« stößt Roland Koch aufWiderstand.

Neue Stufe der Grausamkeiten

UNAUFgefordert Streikausgabe 2 | 2003

Illustration: www.education-project.de

Page 13: UnAufgefordert Nr. 143

13

Streik

UNAUFgefordert Streikausgabe 2 | 2003

Wir sind nicht alleinHessischeSchlafstörungenDarmstadt. Studierende der FH und derTU Darmstadt brachten Mitte vergange-ner Woche die hessische SozialministerinSilke Lautenschläger (CDU) um denSchlaf. Über Lautsprecher ertönte vor de-ren Wohnhaus bei Darmstadt zunächstdie »Kleine Nachtmusik« von Mozart. Da-nach machten die Demonstranten perMegafon deutlich, künftig weiter gegendie massiven Kürzungen im Sozialbe-reich ankämpfen zu wollen: »Sie bereitenuns schlaflose Nächte, also bereiten wirIhnen welche.«

Stricken gegendie Kälte in HalleHalle an der Saale. »Soziale Kälte«macht sich in Sachsen-Anhalt breit, dar-auf wiesen Studierende der UniversitätHalle-Wittenberg mit ihrer Protestaktionin einer Kirche hin: Sie strickten symbo-lisch einen ›Schal gegen Soziale Kälte‹.In der Innenstadt boten Studierende beiEiseskälte ihre Dienste als Schuhputzeran und traten als Straßenmusiker auf.Andere protestierten als Bettler verklei-det gegen die verschlechterten Studien-bedingungen und gegen erhöhte Se-mestergebühren.

Polizei räumtUni GöttingenGöttingen. Seit dem 24. November istdie Uni Göttingen im Aktionsstreik. DieKooperation zwischen dem christdemo-kratischen AStA und dem linken Akti-onsbündnis gegen Bildungsklau brachjedoch auseinander, als das Bündnis am8. Dezember einen Vollversammlungs-beschluss in die Tat umsetzte und – ge-gen den Willen des AStA – Campus-Ge-bäude blockierte. Das Präsidium ließ amfrühen Abend etwa 200 Studierende auseinem Seminargebäude durch die Poli-zei entfernen.

Illustration: M

arco Rahn

Oldenburger Präsidenten-SturzOldenburg. Der AStA der Oldenburger Uni wirft seinem Präsidenten Kollaboration mitder Landesregierung vor und besetzte unter dem Motto »Stürzen statt Kürzen« friedlichdas Präsidium. Dessen Mitglieder erklärten sich nach einigen Tagen bereit, auf die stu-dentischen Forderungen einzugehen und unter anderem eine Stellungnahme gegen dieSparmaßnahmen zu veröffentlichen. Nach der Erfüllung des Forderungskataloges wur-de die Besetzung beendet. Der Vorsitzende des AStA will nun zur kommenden Wahl alsPräsidentschaftskandidat antreten.

Anne Grieger, Nina Töllner <

Protestrepublik Deutschland

Page 14: UnAufgefordert Nr. 143

Gebühren durch die Hintertür

14

Streik

UNAUFgefordert Streikausgabe 2 | 2003

> Überall wird von Studienkonten und Kürzungen geredet.Selbst die Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) leistetdazu ihren Beitrag. Dieter Dohmen, Leiter des Forschungsinsti-tuts für Bildungs- und Sozialökonomie Köln, hat ein Studien-kontenmodell ausgearbeitet. Am 5. Dezember stellte er es derPDS-Fraktion im Abgeordnetenhaus vor. Nur 90 Studentenkonnten bei der Anhörung dabei sein. Alle anderen durftensich dem Gebäude bis auf 500 Meter nicht mehr nähern.

Sie erfuhren nichts von Dohmens Modell, das laut eigenerAussage »mehr Gerechtigkeit schaffen und soziale Barrierenabbauen« soll. Doch was ist ein Studienkonto? Am Anfang desStudiums erhält jeder Studierende ein Guthaben von 360Punkten. Für einen Bachelorabschluss »bezahlt« er 180 Punkte,für einen Master weitere 120 Punkte. Statt Seminare werden»Module« besucht, die dann vom Konto abgebucht werden.Dahinter steckt die Idee, dass alle so lange studieren können,wie sie Punkte auf dem Konto haben. Ist das Konto leer, müs-

sen Punkte nachgekauft werden. Bleiben Punkte übrig, könnensie für eine kostenlose Weiterbildung verwendet werden. Daserklärte Ziel von Dohmen ist es, die Studierenden zu einemplanvolleren Studieren zu erziehen. Es werde einfach zu langestudiert in Berlin. Immerhin sei fast jeder zehnte Hochschülerlänger als 20 Semester immatrikuliert.

Gleichzeitig soll dieses Modell die Hochschulen zwingen,ihre Lehre zu verbessern. Die Zuwendungen, die ein Studien-gang erhält, werden nämlich unter anderem auch von der An-zahl der Studenten abhängig gemacht, die dort ihre Punkteeinsetzen. Dadurch würde ein Wettbewerb um die Studieren-den angefacht, sagt Dohmen, der nur zum Nutzen der Univer-sitäten sein könne. Langfristig solle zudem der Numerus Clau-sus abgeschafft werden, damit jeder Zugang zur Hochschuleerhält.

Nebenwirkungen

Dem Berliner Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS)gefällt’s: »Ich hoffe, dass sich dieses Modell in der politischenAuseinandersetzung durchsetzen wird.« Dabei hatte er sichzuvor gegen das Modell ausgesprochen. Für ihn ist es das klei-nere Übel. »Wir werden durch das Studienkonto in Zukunftwissen, welche Angebote durch die Studierenden wahrge-nommen werden«, sagt er.

Doch genau da setzen die Kritiker an: Das Modell orientie-re sich nur an der Nachfrage eines Faches. So genannte»Orchideenfächer« hätten dann keine Chance mehr. »Wäre dasModell schon eingeführt worden«, sagt Heinz-Elmar Tenorth,Vizepräsident der HU, »wären in den letzten Jahren Chemie, In-formatik und Ingenieurwissenschaften schon weggefallen« –also Fächer, die im Moment besonders gefragt sind.

Viele Studenten suchen und finden das Kleingedruckte.Wer ein Seminar besucht und erst nach zwei Veranstaltungenfeststellt, dass es seinen Vorstellungen nicht entspricht, hatkeine Chance: Die Punkte werden zur Hälfte abgezogen undder Kurs gilt als »nicht bestanden«. Erziehungsmaßnahmen sa-gen die einen, Beschränkung der studentischen Wahlfreiheitdie anderen. Und außerdem bliebe das Hauptproblem auchmit diesem Modell ungelöst: Die Räume werden weiterhinüberfüllt sein.

Wer bekommt das Geld?

Aufsehen erregte vor allem Dohmens Vorschlag, die Ein-nahmen aus den Studiengebühren den öffentlichen Haushal-ten zufließen zu lassen. Nach Vorstellungen der PDS sollten dieEinnahmen durch die Gebühren direkt den Hochschulen zu-gute kommen. Der Haushalt dürfe nicht auf Kosten von Studie-renden saniert werden. Auf diese Weise würden doch nur Stu-diengebühren durch die Hintertür eingeführt. Die PDS-Frakti-on lehnte Dohmens Studienkontenmodell zunächst ab. Dashätten die Studierenden vor der Tür sicher auch getan.

Mandy Fox, Sören Kittel <

Von einem »Bildungs-Schamanen«ließ die PDS ein Modell fürStudienkonten präsentieren –und lehnte es ab.

Foto: Robert Nagel

Page 15: UnAufgefordert Nr. 143

15

Streik

UNAUFgefordert Streikausgabe 2 | 2003 15

Streik

15

fensive und mehr Kostenbewusstsein,»um Wettbewerbsorientierung zu schaf-fen und eine Beschleunigung des Studi-ums voran zu treiben.« Argumente, dieman auch von Berlins FinanzsenatorSarrazin kennt.

Auch Studierende aus den EU-Bei-trittsländern müssen seit dem Sommer-semester 2004 Studiengebühren ent-richten. Obwohl Österreicher in diesenLändern bisher nichts zahlen mussten.In Österreich ist seit Einführung der Ge-bühr die Zahl der Studierenden um 20Prozent gesunken. Die Ersteinschrei-bungen gingen um 15 Prozent zurück.Es ist davon auszugehen, dass überwie-gend der ohnehin geringe Anteil vonSchulabgängern aus sozial schwachenFamilien und ausländische Studierendebetroffen ist.

Insgesamt bewirkten Studienge-bühren in Österreich bisher keine Ver-besserung des Studienalltags, denn dasGeld fließt in den Staatshaushalt undnicht direkt an die Universitäten. Zusätz-lich verschlechterte sich mit dem eben-falls 2000 erlassenen Verbeamtungs-stopp das Betreuungsverhältnis an denHochschulen. Vielleicht sind die Folgenstark genug, um deutsche Universitätendavon abzuschrecken, Studiengebühreneinzuführen.

Tanja Hofmann <

Kein Deut besser

> Studiengebühren gibt es bereits in vie-len Ländern. Ob als Standard- oder Im-matrikulationsgebühr bezeichnet, sindsie nicht nur in Großbritannien oder Ir-land, sondern auch in den so genannten»no cost«-Staaten Dänemark, Schwedenund Deutschland gang und gäbe. Vorzwei Jahren führte Österreich offiziellStudiengebühren ein.

Ähnlich wie in Deutschland gab esbereits in den 90er Jahren Kürzungen anUniversitäten. Das Sparpaket von 1996löste erste große Proteste aus. Die An-zahl der Ersteinschreibungen nahm ab.Im September 2000 beschloss die kon-servativ-rechtsliberale Bundesregie-rung die Einführung von Studienge-bühren in Höhe von jährlich 726 Euro abdem Wintersemester 2001/2002. DieÖsterreichische Hochschülerschaft – ei-ne bundesweite gesetzliche Interessen-vertretung der Studierenden – wurdebei der Entscheidung übergangen.

Ein Protestsemester zeigte keineWirkung. Am 11. Oktober 2000 demons-trierten 50.000 Studierende aus dem ge-samten Land in Wien. Dort übergabensie der Bildungsministerin ElisabethGehrer (ÖVP) Unterschriften gegen Stu-diengebühren. Erfolglos. Der öster-reichische Bundeskanzler WolfgangSchüssel vertrat die Einstellung, die Uni-versitäten benötigten eine Qualitätsof-

Österreich: Seit zwei Jahren Studiengebühren.Die Studentinnen- und Studentenzeitungder Humboldt-Universität zu Berlin.

Herausgeberin: StudentInnenparlament der HU

Verantwortliche Redakteure fürdiese Ausgabe:Alexander Florin, Steffen Hudemann, SörenKittel, Doreen Nicklisch, Daniel Schalz

Satz: Stephan Lahl

Kontakt: Humboldt-Universität zu BerlinUnter den Linden 6, 10099 BerlinHauptgebäude, Raum 2094 aTel.: 2093-2288, Fax: 2093-2754,[email protected] www.unaufgefordert.de

Öffentliche Redaktionssitzungen:montags um 18:00 Uhr im Raum 2094 a

Druck: FATA MORGANA Verlag, Brunnenstr. 181, 10119 Berlin

Auflage: 20.000

Für alle Fakten besteht das Recht auf Gegendar-stellung in angemessenem Umfang. Nachdrucknach vorheriger Nachfrage möglich. Wir bittenum Quellenangabe und Belegexemplar. Die Re-daktion behält sich vor, Leserinnen- und Leser-briefe gekürzt zu veröffentlichen. Alle Artikel ge-ben die Meinung des jeweiligen Autors wieder.

Redaktionsschluss dieser Ausgabe:10. Dezember 2003

Streik-Ticker vom Mittwoch, den 10.12.9:29 Heute Nacht kam es in Weimar zu einer sub-versiven Plakatieraktion. Eine »Aktivist/innengrup-pe« älterer Menschen scheint sich den Protestender Studierenden angeschlossen zu haben.

12:00 Vierte Ausgabe der Streikzeitung »Slum«zensiert. Statt 500 erschienen nur 60 Exemplare, dadie Kopiervorlage aus den »eigentlich vertrauens-würdigen Händen« plötzlich verschwunden war.

13:31 Heute um 11:00 Uhr beschloss die VV al-ler Studierenden der Universität Leipzig, ab Janu-ar zu streiken. Danach folgten spektakuläre Spon-tanaktionen in der Innenstadt.

15:58 Etwa 4.500 Studierende votierten auf derüberfüllten VV der HU Berlin für die Weiter-führung des Streiks bis zum 5. Januar.

18:25 Heute vormittag protestierten mehr als5.000 Studierende und Gewerkschaftler in Han-nover gegen Bildungs- und Sozialabbau.

18:39 Auf ihrer heutigen VV beschloss die Stu-dierendenschaft der Bauhaus-Universität Weimarden sofortigen Streik. Etwa 10 Prozent der 5.000Weimarer Studierenden nahmen an der Vollver-sammlung teil.

20:01 Auf einer gemeinsamen VV solidarisiertensich die Studierenden der Friedrich-Schiller-Uni-versität und der FH Jena mit den streikenden Uni-versitäten und riefen zur Teilnahme an der De-monstration in Leipzig auf.

20:51 Im Neuen Palais der Uni Potsdam fand dieerste VV zum Thema »Streik« statt. Die Mehrheitder 1.000 anwesenden Studierenden stimmte ge-gen einen Streik.

22:33 Spontandemo in Bonn. Nach einer VV zo-gen rund 150 Studierende durch die Innenstadt.An mehreren Straßenkreuzungen kam es zu kür-zeren Blockaden.

22:43 Ein massives Polizeiaufgebot musste demhessischem Wissenschaftsminister Corts den Wegin das Marburger Staatsarchiv freiprügeln. 200Studierende störten die geschlossene Veranstal-tung lautstark und bewarfen Corts mit rohen Eiern.

Page 16: UnAufgefordert Nr. 143

Termine

Uni-TermineAllgemein 14:00 UhrFU-Silberlaube, J26, Flur obenDiskussionsrunde »Vom Streik überrollt«

18:00 UhrHU-AudimaxPodiumsdiskussion»Humboldt am Ende«mit HU-Vizepräsident Tenorth, Ex-HU-Präsident Fink, Vertretern der Senats-verwaltung und der Wirtschaft

Mittwoch, 17.12.18:00 UhrHU-HauptgebäudePodiumsdiskussion der AG »Humboldt –Theorie und Praxis« mit Politikern undBildungshistorikern

Donnerstag, 18.12.14:00 UhrS-Bahnhof Heidelberger PlatzÖffentliches Seminar »Sicherheit und öf-fentlicher Raum« in der Ringbahn

17:00 UhrU-Bahnhof Rathaus NeuköllnDemo gegen rassistische Sondergesetzeund Sozialabbau im Neuköllner Sozial-amt und anderswo.Abschlusskundgebung: Herrmannplatz

Freitag, 19.12.10:00 bis 20:00 Uhrvor dem Roten Rathaus»Requiem für die Bildung«www.evelyn-lahr.de/requiem.html

Montag, 5.1.12:00 UhrHU-AudimaxVollversammlung:Streik – wie geht’s weiter?

Montag, 15.12.

10:00 UhrJüdisches Museum»Jüdische Literatur im Mittelalter«

11:00 UhrHelle Mitte Passage (nah Alice-Salomon-FH) »Der Sinn soziologischer Erklärung«

12:00 UhrFU Audimax, Henry-Ford-BauVollversammlung der FU:Streikverlängerung

vor TU-HauptgebäudeTreffen der »Flitzer«Vorbereitung der nächsten Aktion

14:00 UhrFU-Silberlaube, J26, Flur obenDiskussionsrunde»Vom Streik überrollt«

16:00 UhrFU-Mensafoyer»Hochschulrahmengesetz – Chancenund Prognosen«

Dienstag, 16.12.Grüner Salon der VolksbühneAktionstag der HU-Germanistik

12:00 UhrVor dem Roten RathausStudienplatz- und LeerstuhltanzStühle mitbringen

13:00 bis 20:00 UhrAlexanderplatz / SaturnLesung »Berlin Alexanderplatz« vonAlfred DöblinMitleser/innen gesucht:[email protected]: Marcus Ryll ([email protected])

Weitere Infos:

www.allefueralle.tk

Tag und NachtMahnwache vor dem Roten Rathaus

TagsüberStreikposten besetzenUni-Gebäude

Samstag, 13.12.Antirassistischer Aktionstag an der TU»Bildung für alle | Migrant/innen an dieUni«

10:00 bis 18:00 UhrPotsdamer PlatzEröffnung des neuen Ritz-Carlton Hotel.Der Hotelchef Junger möchte, dass dasHaus »nicht nur von Reichen angenom-men wird«. Also gibt es am 13. und 14.Kaffee und Kuchen für alle.

ab 13:00 UhrDemonstration »Gemeinsam gegen So-zial- und Bildungskahlschlag«Aufruf von: HU, FU, TU, Gewerkschaf-ten, Berliner Sozialforum u.v.a.Parallel-Demos in Leipzig, Frankfurt/Main sowie Frankreich, Großbritannien,Italien, SchweizVom Brandenburger Tor (13:00 Uhr) undPotsdamer Platz (14:00 Uhr) zur EckeKarl-Marx-Alle / Otto-Braun-Straße(16:30 Uhr)

17:00 UhrHU-HauptgebäudeBerlinweites AG’en Treffen

Sonntag, 14.12.11:00 UhrGleisdreieckWowereit und Flierl eröffnen den Neubauim Technikmuseum. Eröffnet mit!