und christliche WissenschaftlerInnen untersuchen · und christliche WissenschaftlerInnen...

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Hansjörg Schmid · Andreas Renz · Jutta Sperber (Hg.) Verlag Friedrich Pustet Theologie und Praxis des Gebets in Christentum und Islam „Im Namen Gottes …“ Theologisches Forum Christentum — Islam

Transcript of und christliche WissenschaftlerInnen untersuchen · und christliche WissenschaftlerInnen...

  • Hansjörg Schmid · Andreas Renz · Jutta Sperber (Hg.)

    Verlag Friedrich PustetVerlag Friedrich Pustet

    I S B N 3 -7 9 1 7-19 9 4 -7

    Theologie und Praxis des Gebets in Christentum und Islam

    „Im NamenGottes …“

    Theologisches Forum Christentum — Islam

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    Die Herausgeber

    Das Gebet ist zentraler Ausdruck der Gott-Mensch-

    Beziehung in Christentum und Islam. Muslimische

    und christliche WissenschaftlerInnen untersuchen

    vergleichend die Theologie des Gebets, die ver-

    schiedenen Gebetsformen und das Verhältnis von

    Gebet und Leiblichkeit. Außerdem fragen sie nach

    dem Beitrag des Gebets zur religiösen Identität

    in der säkularen Gesellschaft sowie nach Möglich-

    keiten und Grenzen gemeinsamen Betens. Erstmals

    wird anhand der jeweiligen Gebetspraxis die Dia-

    lektik von Nähe und Distanz beider Religionen kon-

    trovers diskutiert.

    Die Reihe ›Theologisches Forum Christentum – Islam‹

    bietet eine neuartige Diskussionsplattform mit

    dem Ziel einer theologischen Verhältnisbestimmung

    von Christentum und Islam.

    Hansjörg Schmid

    Dr. theol., ist Referent an der Akademie der Diözese

    Rottenburg-Stuttgart mit Arbeitsschwerpunkt christlich-

    islamischer Dialog.

    Andreas Renz

    Dr. theol., ist Ökumenereferent des Bistums

    Hildesheim und Dozent am dortigen Priesterseminar.

    Jutta Sperber

    Dr. theol., Bayreuth, ist Pfarrerin der evangelisch-

    lutherischen Kirche in Bayern und Habilitandin

    im Fachbereich Missions-, Religionswissenschaften

    und Ökumenik.

    TheoForum_Bd1_US_291105 29.11.2005 17:35 Uhr Seite 1

  • Theologisches Forum Christentum – Islam herausgegeben von Hansjörg Schmid, Andreas Renz, Jutta Sperber

  • Hansjörg Schmid ● Andreas Renz ● Jutta Sperber (Hg.)

    „ Im Namen Gottes ...“ Theologie und Praxis des Gebets in Christentum und Islam

    Verlag Friedrich Pustet ● Regensburg

  • Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. eISBN 978-3-7917-7047-5 © 2006 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg Umschlaggestaltung: Martin Veicht, Regensburg Satz und Layout: Corinna Schneider, Heidelberg eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg 2014 Weitere Publikationen aus unserem Verlag finden Sie auf www.verlag-pustet.de

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    Inhaltsverzeichnis

    Vorwort ............................................................................................... 9

    Hansjörg Schmid/Andreas Renz/Jutta Sperber

    Gebet als Thema christlich-islamischer Reflexionen Zur Einführung .................................................................................... 11

    I. Grundfragen christlichen und muslimischen Betens

    Kenneth Cragg

    Mit Muslimen über das Gebet nachdenken Theologie als Vorhof der Anbetung .................................................... 21

    Michael Bongardt

    »Unser Lobpreis kann deine Größe nicht mehren« Christliches Beten zwischen Abgrenzung und Offenheit .................... 36

    Hamideh Mohagheghi

    Theologie des Herzens. Im Gebet Liebe und Nähe Gottes erfahren.... 54

    II. Ist Gott beeinflussbar? Sinn und Zweck des Bittgebets

    Andreas Obermann

    Wird nicht Gott »denen Gutes geben, die ihn bitten?« (Mt 7,11) Überlegungen zur (Für-)Bitte als Inanspruchnahme Gottes aus biblischer Sicht .................................................................................... 73

    Elhadi Essabah

    »Ruft zu Mir, so erhöre Ich euch!« (Sure 40,60) Bedeutung und Sinn des Bittgebets im Islam ...................................... 91

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    Reinhold Bernhardt

    »Nackt vor Gott« Systematisch-theologische Überlegungen zum Sinn des Bittgebets.... 103

    Beobachterbericht (Christian W. Troll) ............................................... 119

    III. Mehr als Worte ... Gebet und Leiblichkeit

    Abdullah Takım

    »Wirf dich nieder und nähere dich Gott!« (Sure 96,19) Das Gebet im Islam als Ausdruck der Gottesnähe............................... 127

    Ansgar Franz

    Leiblichkeit als Ausdrucksform des Gebetes Liturgiewissenschaftliche Überlegungen im Angesicht des Islam ...... 143

    Assaad E. Kattan

    Dialektik von Nähe und Distanz zwischen nahöstlichen Christen und Muslimen am Beispiel einiger liturgischer Elemente ................... 154

    Beobachterbericht (Catherina Wenzel)................................................ 160

    IV. Gebet und religiöse Identität in der säkularen Gesellschaft

    Klaus Hock

    »Wenn das Beten was nützen würde …« Gott-Mensch-Beziehung im Spiegel des Gebets: Christliche und muslimische Perspektiven zwischen Intimität und Öffentlichkeit....... 167

    Mohammed Heidari

    Das Gebet als Ausdruck der Hoffnung – (k)eine verlernte Fähigkeit in säkularen Gesellschaften ................................................................. 181

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    Martin Jäggle

    Wege zum Beten in christlicher Tradition Religionspädagogische Reflexionen im Angesicht des Islam ............. 188

    Beobachterbericht (Stephan Leimgruber)............................................ 197

    V. Gemeinsam beten?

    Martin Bauschke

    Gemeinsam vor Gott Beobachtungen und Überlegungen zum gemeinsamen Beten von Juden, Christen und Muslimen ..................................................... 203

    Friedmann Eißler

    Gemeinsam beten? Eine Anfrage an das interreligiöse Gebet unter dem Vorzeichen abrahamischer Ökumene ..................................................................... 216

    Heikki Räisänen

    Das lukanische Jesusbild und der Dialog mit dem Islam Eine christologische Skizze zur Theozentrik des Gebets .................... 227

    Andreas Renz/Hansjörg Schmid/Jutta Sperber

    Menschliche Hinwendung zu Gott – göttliche Nähe zum Menschen Zusammenfassende Reflexionen und Thesen...................................... 238

    Autorinnen und Autoren...................................................................... 245

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    Vorwort Mit diesem Band und der ihm zugrunde liegenden Tagung im März 2005 haben wir im Rahmen der Arbeit des Theologischen Forums Christentum – Islam einen entscheidenden Schritt getan: Nach zwei Jahren inner-christlicher Reflexion auf der einen Seite und Sondierungsgesprächen mit Muslimen auf der anderen Seite haben wir eine erste gemeinsame christlich-muslimische Tagung gewagt.1 Dies bildet sich auch im vorlie-genden Tagungsband ab, der vier Beiträge muslimischer Autoren mit unterschiedlichem Hintergrund enthält. Die Verfasser der anderen Bei-träge sind Christen aus verschiedenen Konfessionen, was ebenfalls eine erfreulich große Bandbreite widerspiegelt. In inhaltlicher Hinsicht wer-den die Beiträge von ihrem jeweiligen Autor verantwortet und geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber wieder.

    Wir danken allen, die zum Gelingen der Tagung beigetragen haben, insbesondere den ReferentInnen und AutorInnen des vorliegenden Ban-des, darüber hinaus aber auch allen TeilnehmerInnen der Tagung, auf der fundierte und offene Diskussionen über die einzelnen Beiträge geführt wurden. Höhepunkt der Tagung war der eindrucksvolle Eröffnungsvor-trag von Bischof Kenneth Cragg, der christlichen wie muslimischen TeilnehmerInnen wichtige Impulse zum Thema gegeben hat. Wie kaum ein anderer christlicher Theologe hat Kenneth Cragg im letzten halben Jahrhundert Christen und selbst Muslimen einen Zugang zum Islam er-öffnet und ihn zugleich im Licht des christlichen Glaubens gedeutet. Obwohl Kenneth Craggs eigentümliche Formulierungskunst bisweilen nahezu »unnachahmlich« ist, haben wir es dennoch gewagt, eine Über-setzung anfertigen zu lassen. Damit liegt nun einer der wenigen Beiträge Kenneth Craggs in deutscher Sprache vor.

    Erfreulicherweise hat der Verlag Pustet großes Interesse am Theolo-gischen Forum gezeigt, so dass wir mit diesem Band zugleich die Buch-reihe »Theologisches Forum Christentum – Islam« eröffnen, in der in Zukunft alle Publikationen des Forums erscheinen werden. Dafür danken

    1 Vgl. als Zusammenfassung über die bisherige Entwicklung des Forums

    Hansjörg Schmid, Das Theologische Forum Christentum – Islam. Eine Initi-ative für Christlich-Islamische Studien, in: Zeitschrift für Missionswissen-schaft und Religionswissenschaft 89 (2005), 147–149. Berichte über die bis-herige Tagungen des Forums und weitere Informationen finden sich unter www.akademie-rs.de/theologischesforum/.

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    wir in besonderer Weise dem Lektor des Verlags Pustet, Dr. Rudolf Zwank.

    Dem Bundesministerium des Inneren ist dafür zu danken, dass es das Theologische Forum Christentum – Islam nun schon im dritten Jahr mit einem namhaften Zuschuss gefördert hat – und das trotz zunehmen-der Mittelknappheit. Dr. Thomas Lemmen hat die Antragstellung und Abwicklung wie gewohnt mit großem persönlichem Interesse begleitet.

    Wir danken außerdem all denen, die bei der Tagung, den Korrektu-ren und der Erstellung der Druckvorlage mit viel Engagement und ge-wohnter Präzision mitgewirkt haben: Anna Fröhlich-Hof M.A., Nicole Garos, R. Johanna Regnath, Katrin Visse und Christa Wassermann. Stuttgart/Hildesheim/Bayreuth, im August 2005 Hansjörg Schmid Andreas Renz Jutta Sperber

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    Gebet als Thema christlich-islamischer Reflexionen

    Zur Einführung

    Hansjörg Schmid/Andreas Renz/Jutta Sperber

    Geht man davon aus, dass Religionen nicht gewissermaßen abstrakt und wesenhaft vorliegen, sondern in Interpretationen, die immer durch kon-krete Kontexte und Personen geprägt sind, so liegt es nahe, ein Thema wie dieses gemeinsam mit Muslimen und Christen anzugehen. Die Not-wendigkeit dieses Schritts brachte Assaad Kattan bei der Tagung des Theologischen Forums im März 2003 klar zum Ausdruck: »Denn im Unterschied zur Rede über die Muslime scheint das Gespräch mit Mus-limen insofern wissenschaftlich notwendig zu sein, als es uns ermöglicht, unsere konzeptuelle Welt im Blick auf den Islam immer wieder zu verifi-zieren.«1

    Ziel des gemeinsamen christlich-muslimischen Forums ist es nicht, ein neues Dialogforum wie viele andere zu schaffen. Spezifikum des Theologischen Forums Christentum – Islam ist die theologisch-wissen-schaftliche Ausrichtung. Auch wenn die Tagung dialogische Elemente aufwies, wäre es verengt und missverständlich, das allein in den Mittel-punkt zu stellen, zumal Dialog entgegen seinen eigentlichen Intentionen inzwischen fast zu einem Unwort geworden ist.

    Leitbild für den Ansatz des Theologischen Forums sind vielmehr »Christlich-Islamische Studien«2, denen folgende Prinzipien zu Grunde liegen sollen:

    1 Assaad E. Kattan, Dynamisch – pluralistisch – gemeinsam. Thesen zu den

    hermeneutischen Bedingungen des christlich-islamischen Dialogs, in: Hans-jörg Schmid/Andreas Renz/Jutta Sperber (Hg.), Heil in Christentum und Islam. Erlösung oder Rechtleitung? (Hohenheimer Protokoll 61), Stuttgart 2004, 233–236, 233.

    2 Der Begriff »Christlich-Islamische Studien« wird bislang noch wenig verwendet. So gibt es zum Beispiel in Balamand/Libanon seit 1995 ein

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    – Selbstkritik: Kritik auch an der eigenen Position ist konstitutiv für moderne Wissenschaft. Oft ist es in Gesprächen zwischen Muslimen und Christen so, dass Muslime zur Verteidigung und positiven Dar-stellung ihrer Religion neigen, Christen zur Selbstkritik und Selbst-relativierung. Auch wenn es schwierig ist, die übliche Rollenkons-tellation zu überwinden, ist es ein Ziel, in einem geschützten Raum möglichst beiderseitig selbstkritische Debatten zu führen.

    – Multiperspektivität: Es kann nicht nur die Selbstdeutung geben, wichtig ist immer auch die Deutung aus anderen Perspektiven. Das umfasst auch, dass Nichtmuslime über Islam und Nichtchristen über Christentum sprechen und nachdenken. Die religions- und islamwis-senschaftliche Perspektive spielt daher eine wichtige Rolle für das Forum.

    – Kenntnis des Anderen: Die am Forum beteiligten Christen müssen nicht Islamwissenschaftler sein, die beteiligten Muslime nicht auch christliche Theologie studiert haben. Solide Kenntnisse der anderen Religion sind jedoch erforderlich, um deren Selbstverständnis ge-recht zu werden.

    – Interdisziplinäre, hermeneutisch-kritische Wissenschaft: Ein positi-vistischer Zugriff auf Fakten ist nicht möglich, sondern ein solcher Zugriff kann immer nur im Rahmen heutiger und historischer Ver-stehenskontexte erfolgen.3 Gerade in christlich-islamischen Fragen müssen Untersuchungen notwendigerweise interdisziplinär angelegt sein und auch sozialwissenschaftliche, geschichtswissenschaftliche sowie sprach- und literaturwissenschaftliche Forschungen aufgrei-fen.

    – Interreligiöses Lernen als Grundparadigma: Die Begegnung mit anderen Religionen stellt eine Lernmöglichkeit dar und hat Konse-quenzen für das eigene Selbstverständnis. Der Blick auf die jeweils andere Religion soll daher nicht einer eigenen Disziplin überlassen werden, sondern Teil des Selbstverständnisses einer jeden Theologie werden.4

    »Center for Christian-Muslim Studies«. Vgl. dazu www.balamand.edu.lb/ CCMS/Goals.html.

    3 Vgl. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, München 1999, 42: »Sie [die Vergangenheit] wird fortwährend von den sich wandelnden Bezugsrahmen der fortschreitenden Gegenwart her organisiert.«

    4 Zum unterschiedlichen Zugang von Christen und Muslimen zum interreligi-ösen Lernen vgl. Hans Zirker, Vom Islam lernen? Zur Herausforderung des

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    Diese Prinzipien sind Grundlage dafür, dass das Forum sinnvoll in einer Konstellation arbeiten kann, die durch zahlenmäßige und andere Asym-metrien im Miteinander von Muslimen und Christen geprägt ist. Die Beiträge dieses Bandes bewegen sich auf dieser Grundlage, sind jedoch unterschiedlich angelegt. Manche Beiträge widmen sich im Gesamten der christlich-islamischen Reflexion (so Cragg, Kattan, Hock, Bauschke, Eißler und Räisänen) oder tun dies im Anschluss an eine Vorstellung der Position der eigenen Religion in Teilen (so Obermann, Bernhardt und Takım), andere sind eine Selbstreflexion unter der Aufnahme von Anfra-gen aus der anderen Religion (so Franz, Jäggle, Essabah und Heidari), wieder andere stellen Eigenes vor und formulieren damit Anfragen an die andere Religion (so Bongardt und Mohagheghi). Alle Beiträge stehen im Kontext muslimisch-christlicher Reflexionen, auch dort, wo dies im Titel nicht explizit zum Ausdruck kommt.

    Das Gebet ist der zentrale Ausdruck religiösen Glaubens in Chris-tentum und Islam. Gebetstexte sind wichtige Quellen für Gottesverständ-nis, Menschenbild und Gott-Mensch-Beziehung in beiden Religionen. Daher bietet sich das Thema Gebet als Zugang zum Verhältnis beider Religionen zueinander und als Einstieg in eine gemeinsame christlich-muslimische Tagungsreihe geradezu an.5 Außerdem handelt es sich um ein Thema, das weniger als andere durch Polemik verstellt ist.6

    Da es sich um ein Kernthema der Religionen handelt, würde man erwarten, dass es in christlich-islamischen Kontexten schon breit behan-delt wurde. Im Blick auf fernöstliche Religionen ist das Thema Gebet be-

    christlichen Selbstverständnisses, in: Hansjörg Schmid/Andreas Renz/Jutta Sperber (Hg.), Herausforderung Islam. Anfragen an das christliche Selbst-verständnis (Hohenheimer Protokoll 60), Stuttgart 22005, 27–50, 29.

    5 Vgl. dazu auch eine Äußerung von Annemarie Schimmel (in: Andreas Bsteh [Hg.], Der Islam als Anfrage an christliche Theologie und Philosophie [Stu-dien zur Religionstheologie Bd. 1], Mödling 1994, 503): »Das Gebet und die Gebetstheologie stellen ohne Zweifel Schlüsselmomente dar in der christlich-islamischen Verständigung.« Allerdings wird das Thema Gebet in diesem wichtigen Band nur sehr beiläufig behandelt.

    6 Vgl. Adel Theodor Khoury/Ludwig Hagemann, Christentum und Christen im Denken zeitgenössischer Muslime, Altenberge 1986, 144: »Mit Befrie-digung darf festgestellt werden, dass die muslimischen Autoren, sofern sie das christliche Gebet mit in ihre Untersuchung einbeziehen, überwiegend sachlich bleiben, nicht mehr in ständiger Opposition stehen, sondern eine ruhige Darstellung bieten mit der Bemühung um sachgerechte Information.«

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    reits seit längerer Zeit Gegenstand von Forschung und Dialog.7 Auch im Blick auf das christlich-jüdische Verhältnis wurden Fragen des Gebets gerade in den letzten Jahren verstärkt diskutiert.8 Allerdings finden sich nur ganz wenige wissenschaftliche Reflexionen zum Gebet in christlich-islamischer Perspektive. So fand 1978 ein theologisch-religionswissen-schaftlicher Kongress zu Fragen des Gebets in Löwen statt, bei dem der Fokus jedoch nicht allein auf Christentum und Islam, sondern auf alle großen Religionen gerichtet war.9 Bereits dort wurden Defizite bei der bisherigen Behandlung des Themas festgestellt.10 Die breite Herange-hensweise dieser Tagung hatte allerdings zur Folge, dass auch die Ergeb-nisse sehr allgemein blieben.11

    Weitere Publikationen stellen in erster Linie die Gebetstheologie und Gebetspraxis der einzelnen Religionen vor, was sicherlich eine wich-tige Grundlage für weitergehende Reflexionen darstellt.12 Außerdem ist 7 Die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen in diesem Bereich werden

    sehr deutlich in Tosh Arai/S. Wesley Ariarajah (Hg.), Spirituality in Inter-faith Dialogue, Genf 1989, wo eine Tagung des Ökumenischen Rates der Kirchen zum Thema Spiritualität dokumentiert ist. Was die katholische Kir-che angeht, so denke man nur an Inhalt und Bedeutung des innermonasti-schen Dialogs gerade mit dem Buddhismus, wozu es im christlich-muslimi-schen Bereich kein Pendant gibt. Vgl. dazu Linus S. Lee, Forty Years of Dialogue with Buddhism: Realities, Difficulties, and Prospects, in: Pro Dialogo 116/117 (2004), 231–239, im Gegensatz zu Khaled Akasheh, Con-siderations on Forty Years of Religious Dialogue with Muslims (A Report), in: Pro Dialogo 116/117 (2004), 195–204. Vgl. außerdem Kenneth Fleming, Asian Christian theologians in dialogue with Buddhism, Oxford/New York 2002, sowie Europäische Akademie der Wissenschaften und Künste, Wien (Hg.), Interreligiöse Dialoge. Christen und Buddhisten, Hildesheim u.a. 2000.

    8 Vgl. z.B. Albert Gerhards (Hg.), Identität durch Gebet. Zur gemeinschafts-bildenden Funktion institutionalisierten Betens in Judentum und Christen-tum, Paderborn u.a. 2003; ders. (Hg.), Dialog oder Monolog? Zur liturgi-schen Beziehung zwischen Judentum und Christentum (Quaestiones dispu-tatae 208), Freiburg 2004; ders. (Hg.), Kontinuität und Unterbrechung. Gottesdienst und Gebet in Judentum und Christentum, Paderborn u.a. 2005.

    9 Vgl. Henri Limet/Julien Ries (Hg.), L’expérience de la prière dans les gran-des religions. Actes du Colloque de Louvain-la-Neuve et Liège, Löwen 1980.

    10 Vgl. Henri Limet, Introduction aux Travaux, in: ebd., 13–16, 14. 11 Vgl. Julien Ries, Au terme du colloque. Conclusions et perspectives, in:

    ebd., 455–461, 456: »Cette recherche contribue à mieux dégager les struc-tures du comportement de l’homo religiosus.«

    12 Vgl. Adel Theodor Khoury/Peter Hünermann (Hg.), Wozu und wie beten? Die Antwort der Weltreligionen, Freiburg 1989. Als Einführungen zum

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    die zentrale Frage gemeinsamen Betens im Fokus des Interesses,13 auch wenn damit nur ein Teilaspekt von Gebet im christlich-islamischen Kontext abgedeckt ist. Selten kommt es darüber hinaus zu Reflexionen, was die Gebetspraxis der anderen Religion für die der eigenen bedeuten könne.14

    Bietet die Ebene der religiösen Praxis ein besonderes Potential für das christlich-islamische Verhältnis? Christian Troll hat im Rahmen des Theologischen Forums bereits das Gott-Mensch-Verhältnis der Hadsch-Gebete herausgearbeitet. Sein Ergebnis, dass das Gottesbild dort von Güte und Barmherzigkeit Gottes geprägt ist, die der Beter schon in der Gegenwart erfährt, widerlegt so manches Vorurteil vom fernen Gott der Muslime.15 Kenneth Cragg spricht vom »spiritual crossing of credal frontiers«16. Und auch Ludger Kaulig stellt fest, dass der theologischen

    christlichen Gebet seien beispielhaft genannt: Reinhard Messner, Einfüh-rung in die Liturgiewissenschaft, Paderborn u.a. 2001; Harald Schützeichel, Die Feier des Gottesdienstes. Eine Einführung, Düsseldorf 1996. Zum mus-limischen Gebet vgl. Muhammad Rassoul (Hg.), As-Salah. Das Gebet im Islam, Köln 1983; Ayatullah Ali Ghafoori, The Ritual Prayer of Islam, Houston 1982; Amir M.A. Zaidan, Fiqh-ul-Ýibadat. Einführung in die isla-mischen gottesdienstlichen Handlungen, Frankfurt o.J. Vgl. auch die Ge-betssammlungen von Adel Theodor Khoury, Gebete des Islam, Gütersloh 1995; Annemarie Schimmel, Dein Wille geschehe. Die schönsten islami-schen Gebete, Kandern 31995; M. Abdul Hamid Siddiqi, Prayers of the Prophet, Lahore 71976, und Abdul Hamid Farid, Prayers of Muhammad, Lahore 41974. Wegweisend bis heute ist die Studie von Constance W. Pad-wick, Muslim Devotions. A Study of Prayer-Manuals in Common Use, London 1961.

    13 Vgl. Gerda Riedl, Modell Assisi. Christliches Gebet und interreligiöser Dialog in heilsgeschichtlichen Kontext, Berlin 1998.

    14 Vgl. Kenneth Cragg, »In the Name of God …«, in: Stanley J. Samar-tha/John B. Taylor (Hg.), Christian-Muslim Dialogue. Papers presented at the Broumana Consultation 1972, Geneva 1973, 137–144; Jane I. Smith, Christians and the Islamic Experience of Prayer, in: Francis Eigo (Hg.), Prayer. The Global Experience, Villanova 1997, 145–181, besonders 170–177; Raphaël Cohen/Renée de Tryon-Montalembert/Philippe Amanoullah de Voz, Prier, Paris 1992; Daniel Madigan, Liturgy in a Religiously Plural World. Muslim and Christian Worship in Dialogue, in: Keith Patrick (Hg.), Liturgy in a Postmodern World, London/New York 2003, 169–176.

    15 Vgl. Christian W. Troll, Zum Verhältnis von Gott und Mensch im Spiegel der Hadsch-Gebete, in: Hansjörg Schmid/Andreas Renz/Jutta Sperber (Hg.), Heil in Christentum und Islam (s. Anm. 1), 121–136.

    16 Kenneth Cragg, Alive to God. Christian and Muslim Prayer, London 1970, 15. Mehrfach kommt die besondere Bedeutung des Gebets bei Cragg zum Ausdruck: »It is more urgent to be alive to God than orthodox about him

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    Ebene nicht mehr die Führungsrolle im Dialog zukommt, sondern ein verheißungsvolleres Potential in der spirituellen Ebene zu sehen ist.17

    Ob es wirklich gelingen kann, mit Hilfe von Gebet eine weiterge-hende Verständigung zu erreichen, muss sich zeigen. Eine Gefahr könnte darin bestehen, dass Unterschiede aus einer Begeisterung heraus vor-schnell verwischt werden. Aber neben vielem Gemeinsamen kommt im Gebet gerade auch das Spezifische der jeweiligen Religion zum Vor-schein: So drückt die nicht mehr nach Jerusalem, sondern nach Mekka orientierte qibla im Islam die Ausrichtung auf die spezifisch islamischen Heilsereignisse aus. Das spezifisch christliche Gottesverständnis wird im Kreuzzeichen und in Gebeten zu Jesus Christus erkennbar. Der Titel dieses Bandes »Im Namen Gottes ...« bringt die Spannung von Gemein-samkeiten und Unterschieden prägnant zum Ausdruck: So beginnen sowohl die Basmalah »Im Namen Gottes, des Barmherzigen, des Aller-barmers« (bismillÁh ar-raÌmÁn ar-raÌÐm), die jede Koranrezitation sowie jede Handlung eines gläubigen Muslim eröffnet, als auch eine Variante der christlichen Tauf- und Bekreuzigungsformel »Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes«.

    Ziel der folgenden Beiträge und Diskussionen ist es auszuloten, wel-ches Potenzial der Themenkreis Gebet für die Verhältnisbestimmung von Christentum und Islam hat. Dabei wird Gebet bewusst weit gefasst und nicht etwa auf die islamische ÒalÁt (Ritualgebet) oder die christliche Eu-charistie beschränkt, zumal Typisierungen wie freies Gebet – Gebets-formular nur wenig aussagekräftig sind.18 Immer wieder stellt sich dabei die Frage nach adäquaten Vergleichsebenen.19 Angesichts der Unsicher-heit in diesen Fragen legen die Beiträge den Fokus entweder auf theolo-gische Grundfragen des Gebets oder auf phänomenologische Einzelfra-gen.

    […].« (8) – »So, at least, it is that praise may still unite where dogma re-quires to scrutinize.« (39)

    17 Vgl. Ludger Kaulig, Ebenen des christlich-islamischen Dialogs. Beobach-tungen und Analysen zu den Wegen einer Begegnung (Christentum und Is-lam im Dialog 3), Münster 2004, 184, 251.

    18 Vgl. Carl Heinz Ratschow, Art. Gebet I. Religionsgeschichtlich, in: Theolo-gische Realenzyklopädie Bd. 12, 31–34, 33: »Solche Unterscheidungen bie-ten sich als Ordnungsprinzipien an. Doch sie besagen sehr wenig. Sie über-schneiden sich und erweisen sich als sehr äußerlich.«

    19 Eine erste Untersuchung in diesem Feld ist Alfred C. Anazodo, Liturgy of the Hours and Islamic Salat. A Comparative Study of Public-Liturgical Worship of Christians and Muslims, Diss. theol. Bamberg 2001.

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    Im ersten Teil geht es um theologische Grundlegungen des Gebets. Im zweiten Teil steht das Bittgebet im Mittelpunkt, das als Testfall für das Gottesbild gelten kann.20 Im dritten Teil geht es um Gebet und Leib-lichkeit, eine Frage, die gerade Christen in der Wahrnehmung des islami-schen Pflichtgebets immer wieder bewegt.21 Dass das Thema Gebet nicht in eine weltferne Theologie führt, kommt besonders im vierten Teil zum Ausdruck, der sich dem Gebet und der Gebetserziehung in der säkularen Gesellschaft widmet. Schließlich geht es im fünften Teil um die Frage des gemeinsamen Betens, die schon im Hintergrund verschiedener ande-rer Beiträge steht. Die Beiträge von Martin Bauschke und Friedmann Eißler gehen auf ein kontroverses Podiumsgespräch im Rahmen der Ta-gung zurück. Die Diskussionen in den oben genannten thematischen Foren der Tagung sind in drei Beobachterberichten dokumentiert. Da die Beobachter eingeladen waren, die Diskussionen kritisch zu begleiten und eigenständig weiterzudenken, stellen ihre Beiträge keine von den einzel-nen thematischen Foren verabschiedete Konsensdokumente dar, sondern geben die eigenen Positionen der Beobachter wieder. Die Reflexionen und Thesen, die den Band abschließen, sind aus der rückblickenden Per-spektive der Herausgeber auf die Tagung und die verschiedenen Beiträge formuliert.

    20 Vgl. Gisbert Greshake/Gerhard Lohfink (Hg.), Bittgebet – Testfall des

    Glaubens, Mainz 1978. 21 Vgl. Daniel Madigan, Liturgy in a Religiously Plural World (s. Anm. 14),

    173 f.; Jane I. Smith, Christians and the Islamic Experience of Prayer (s. Anm. 14), 172; Karl-Fritz Daiber, Der Körper als Sprache des Rituals. Be-obachtungen und Anmerkungen, in: Michael Klessmann/Irmhild Libau (Hg.), »Leiblichkeit ist das Ende der Werke Gottes«. Körper – Leib – Prak-tische Theologie, Göttingen 1997, 231–243, 231 f.

  • I.

    Grundfragen christlichen

    und muslimischen Betens

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    Mit Muslimen über das Gebet nachdenken

    Theologie als Vorhof der Anbetung∗

    Kenneth Cragg

    I.

    »Wenn dich meine Diener nach mir fragen – ich bin nahe. Ich antworte dem Ruf des Rufenden, wenn er zu mir ruft. Sie sollen auf mich hören und an mich glauben. Vielleicht gehen sie den rechten Weg!«1 (Sure 2,186).

    In jeder Tradition muss das Gebet mit einer Art von Leittheologie beginnen und dieser verbunden bleiben, einer Theologie, von der es angefacht oder angezogen wird wie Eisen von einem Magneten. Oft fallen in den Sprachen folgende beide Worte zusammen: Namen geben, call, name und anrufen, call upon oder pray to. So ist es gewiss auch im Arabischen mit dem Verb daÝÁ wie in diesem Abschnitt aus Sure 2,186. Muhammads Zuhörer »fragen« ihn nach diesem AllÁh, von dem er er-zählt. Er wird angewiesen, ihnen zu antworten, dass dieser AllÁh »nahe ist, um ihre Gebete zu hören, wenn sie Ihn anrufen«. Auf die dogmati-sche Frage wird nicht eingegangen, vielleicht, weil es dem Islam instink-tiv widerstrebt, nach Beschreibungen Gottes zu fragen oder welche zu geben. Vielmehr wird den Menschen, die zu Ihm beten, versichert, dass »Er nahe ist«, »nahe« nicht, um auf ihre Gedanken über Seine »Natur« zu antworten, sondern um ihre Gebete für ihre Nöte zu hören.

    Bei unseren Überlegungen hier müssen wir diese Ordnung umkeh-ren und uns von dem Impuls, zu Gott zu beten, zunächst zum angemes-senen Fragen nach Gott führen lassen. Denn nur so befinden wir uns ganz und gar im »Vorhof der Anbetung«, d.h. auf dem Boden, wo Gott

    ∗ Übersetzung von Helga Voigt. 1 Koranübersetzung hier und im Folgenden (falls nicht anders vermerkt) nach:

    Der Koran. Übersetzt und eingeleitet von Hans Zirker, Darmstadt 2004.

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    zu finden ist, sowohl in der Wahrheit als Begriff als auch in der Wahrheit als Erfahrung. Wir müssen zuerst glaubend fragen, wer Gott ist, um dann fragen zu können, wo wir Zugang zu Ihm haben. Der Christ kniet nicht an einem namenlosen Ort nieder. Hiobs große Frage war: »Wenn ich nur wüsste, wo sich Gott befindet« (Hiob 23,3 – Die Gute Nachricht). In diesem Sinne wird das »Wo« über das »Ob« entscheiden; und wie Au-gustin gesagt hat: »Die Christen knien dort, wo Christi Füße gegangen sind«, nicht zuletzt, weil sie nach Gethsemane gegangen sind und auf einer Via Dolorosa. Wir »platzieren« Gebet, Lobpreis, Fürbitte, Litanei an den Ort, den wir für den Ort des »Rendezvous« Gottes mit uns, den Grund unserer Begegnung, halten. Es gibt einen englischen Dichter, George Herbert, der den Begriff »something understood« als Definition des Gebets geprägt hat. Doch wenn das Gebet »etwas ist, was verstanden wird«, dann muss es zweifellos auch »jemanden geben, der verstanden wird« (Gott als Herr) und »jemanden, der versteht« (wir selbst, die wir beten). »Wer zu Gott kommen will, der muss glauben, dass er ist und dass ...« (Hebr 11,6).2 Wir wollen das Zitat offen lassen. Es ist klar, was »Existenz« hier heißt. Doch wie steht es mit dem »Existierenden«, was Offenheit für das Gebet betrifft, oder das Wissen um uns, die wir beten? Wir können nicht verständig oder richtig zu einem Geheimnis oder zu einem Rätsel beten. Selbst wenn, wie in Sure 2,186, der Zugang zu AllÁh nicht in Frage gestellt wird, so bedarf doch der »Nähe«, die uns zugesi-chert wird, eines richtigen Verständnisses dessen, was »erhören« bedeu-ten und gewähren kann.

    Es trifft zu, dass für das muslimische Gebet lange galt, dass das Pflichtgebet (ÒalÁt) kurz sein kann. Man muss nicht viele Worte machen. Darum kann sich die rituelle Form teilweise mit einem Minimum an »Theologie« begnügen. Selbst das Sufi-Gebet beschränkt sich oft auf die Wiederholung einer einzigen Formel; und einige Sufis haben sich damit begnügt, einfach YÁ! YÁ! zu rufen, also ein »O! O!«, das sich an AllÁh wendet in dem, was nicht mehr als »ein Anruf« ist, in dem alles liegt, weil »der Erhörende« keiner ausdrücklicheren Anrede bedarf, gehört dies doch zum Wesen Seiner überwältigenden »Nähe«.

    Das ist etwas, woraus die Christen zum Beispiel lernen können, die Klarheit zu schätzen, die von der Kürze einiger unserer eigenen Liturgien kommt, wo die schlichte Beilegung eines »Attributs« als Lobpreis die

    2 Bibelübersetzung hier und im Folgenden (falls nicht anders vermerkt): Ein-

    heitsübersetzung.

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    Basis für eine damit verbundene Bitte und eine Zusammenfassung beider ist:

    »Allmächtiger Gott, vor dem alle Herzen offen und dem alle Wün-sche bekannt sind und vor dem kein Geheimnis verborgen bleibt (Beile-gung eines Attributs): Läutere die Gedanken unserer Herzen durch die Erleuchtung Deines Heiligen Geistes [...] (Bitte), auf dass wir Dich voll-kommen lieben und würdig Deinen Heiligen Namen preisen (Verbin-dung von Attribut und Bitte).«

    Das Gebet des Sufi ist in der Regel noch karger: Die Gebetsabsicht verschmilzt mit der Anbetung. Zu rufen »O Du, der Du allumfassend bist!« – so würde aus dieser Sufi-Empfindung heraus argumentiert wer-den – heißt, dass es nicht nötig ist zu erklären, worauf eine Antwort er-wartet wird. Sie muss schon da sein in der Weisheit dessen, der alles weiß. Dies und jenes »auszuführen« durch eine Antwort, könnte fast anmaßend sein in Gegenwart des »Höchsten über alle Dinge«. Der All-weise bedarf keines Anstoßes, um darüber zu entscheiden, was das Gebet erbittet, selbst wenn der Beter glaubt, er wisse es. Hierin liegt viel vom Instinkt des Geistes des Islam.3

    Doch es bedarf einiger weiterer Überlegungen, um die Theologie noch ausdrücklicher in die Bedeutung und die Praxis des Gebets einzu-bringen, wenn diese zur »Gemeinschaft« mit Gott in »Erkenntnis und Liebe« führen und so von der »Kommunikation« in die »Communio« übergehen soll. Man kann in der Tat diese beiden Begriffe (beide lateini-schen Ursprungs) nicht völlig voneinander trennen. Außerdem kommen diese Überlegungen dem sehr nahe, was dem christlichen Glauben über alles hinaus, was die »Vorhöfe der Anbetung« betrifft, anvertraut ist, um es dem Islam als einer Struktur und den Muslimen als Personen und Gottgläubigen nahe zu bringen.

    3 Nämlich, dass alles getrost dem Willen und der Entscheidung AllÁhs

    überlassen werden kann und dass die gebührende menschliche Rolle in der »Unterordnung« liegt, in völliger »Bereitschaft« für alles, was dieser Wille bereithalten mag. Doch wenn wir das Wort »Bereitschaft« benutzen, könnte das nicht ein gewisses Maß an »abweichender Meinung« beinhalten, wenn auch nur im Sinne von irgend etwas, auf das man verzichtet? Siehe unten Anm. 4.

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    II.

    Zu diesen Überlegungen gehört zunächst, so scheint es, die Tatsache, dass wir kaum beten können, ohne eine gewisse Vorstellung davon zu haben, »an wen« oder »in wem« wir das tun. Was bedeutet diese »Nähe«, von der in Sure 2,186 die Rede ist? »Nahe« in welcher Eigen-schaft? Ist es die Nähe eines »Beobachters«, eines »Zuschauers«, eines »Wächters«, eines »Friedensrichters«? Zu einem solchen könnte man um »Erbarmen« als »Nachsicht« beten; doch um eine andere Art von »Mit-leiden« würde man zu dem Einen beten, in dem der »Schöpfer« gesehen wird, dessen Wille es ist, dass wir existieren, der also ein gewisses Maß an Verantwortung für uns hat, die mehr ist als distanziert und entfernt.

    Denn der Koran möchte, dass wir Gott, den Herrn, als einen Herrn verstehen, der »gewollt« hat, dass wir sind und als Geschöpfe in einem verstehbaren Kosmos ausgestattet sind mit den Kräften der Hände und des Geistes, durch welche die Menschen diese gute Erde auf den Stand der Technologie gebracht haben, die wir als die unsere betrachten und derer wir uns bedienen, selbst zu unserem Schaden. Nimmt diese unsere Verantwortlichkeit – die wir innerhalb der Verantwortlichkeit Gottes haben, weil Er sie gestaltet und verordnet hat – einen notwendigen Platz in unserem Gebet ein? Die Bibel nennt es »Herrschaft«, der Koran kennt es als ÌilÁfa. 4 Es ist sozusagen das Rohmaterial, ja die musikalische Partitur unserer Beziehung zu Gott.

    4 Es scheint, als sei dieses für den Koran so zentrale Thema seltsamerweise

    im traditionellen Islam vernachlässigt worden, wenn es auch Anzeichen da-für gibt, dass es wiederentdeckt wird. Das verdient es jedenfalls. Denn es stützt sich genau auf Sure 2,30 und verwandte Abschnitte, in denen AllÁh die Ernennung des Menschen zum ÌalÐfa, zum »Stellvertreter auf der Erde« ankündigt und die Furcht der Engel zerstreut, dass eine so wankelmütige und verderbte, »blutvergießende« Kreatur die Erde verderben und das Ver-trauen verraten würde. Dieses »Risiko« auf Seiten Gottes wird hier ganz deutlich. Das Prophetentum – so wesentlich für den Islam – ist Teil dieser Anvertrauung der Stellvertreterschaft (ÌilÁfa). Da es sich um ein so erhabe-nes und risikoreiches Unterfangen handelt, werden »Boten« gebraucht – und gesandt – zur Wegweisung, Erinnerung und Ausrichtung. Einen Versuch, diesem zentralen Thema gerecht zu werden, habe ich unternommen in mei-nem Buch: Am I Not Your Lord? Human Meaning in Divine Question, London 2003. – Wir Menschen sind die einzigen »Kalifen«, die es im Koran gibt. Die bekannte politische Ausformung durch die Jahrhunderte hindurch bei den Umayyaden, Abbasiden, Osmanen usw. steht auf koranischer Ebene nicht im Blick.

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    Diese Gott-gegebene, aber sehr menschliche Fähigkeit muss der Wille zum Gebet unter Gott stellen. Es ist das, was der Erleuchtung und der Weisheit bedarf, die das Gebet sucht. Es verlangt nach der Hingabe, die das Gebet mit sich bringen sollte. Auch die Reue – immer ein Grundton echten Gebets – gehört dazu, Reue über die Fehlleitung unserer Wissenschaften unter unseren Händen, über die Ungerechtigkeiten, die in ihrem Namen begangen wurden. So brauchen wir eine lebensnahe und verständliche Schöpfungslehre, wenn das Gebet relevant sein soll für das tägliche Leben und die Kultur und nicht nur eine Angelegenheit der per-sönlichen Frömmigkeit.

    Im gleichen Zusammenhang ist die »Danksagung« zu sehen – immer im Vordergrund im Koran als Gegensatz nicht nur zur »Undankbarkeit«, sondern zum Atheismus! Denn in der Heiligen Schrift der Muslime trifft man oft auf eine Antithese zwischen šukr und kufr, zwischen Dankbar-keit und Unglauben, zwischen – so könnte man sagen – »dem Gott, den wir anbeten« und »dem Gott, den wir links liegen lassen«, so dass »links liegen lassen« verabscheuungswürdiger ist als verleugnen. So lässt der Koran Salomo sagen: »Das ist von der Gabenfülle meines Herrn, damit er mich prüfe, ob ich danke (aškuru) oder undankbar bin (akfiru).« (27,40) »[...] die meisten von ihnen danken nicht« (2,243; 10,60; 12,38; 27,73; 40,61) – diese Aussage gehört zu den vernichtendsten Kommenta-ren des Koran über die Menschen im Allgemeinen. Daraus ergibt sich, dass das Thema »Gelobt sei AllÁh« so wesentlich zum alltäglichen mus-limischen Gruß und Gespräch gehört.5

    Es ist zweifellos Teil unserer ÌilÁfa, dass es so sein sollte. Denn al-les, womit wir Menschen umgehen – einschließlich unserer Sexualität als entscheidend für alles andere –, ist eine Treuhänderschaft, eine Beauftra-gung von Gott, damit wir sie in Seinem Namen ausüben. »Partner« Got-tes – das ginge dem muslimischen Gefühl nach zu weit. Dennoch: Dieses Gefühl, nur in und für uns selbst zu sein als auch »in Gottes Namen« »Mitwirkende« oder »Sub-Manager« Seiner Welt zu sein, macht die »Unterordnung« im Koran zu einer aktiven Qualität. Das bedeutet, dass es beim Gebet nicht darum geht, Gunstbeweise zu erlangen oder Ant-worten zu erbitten, sondern darum, uns selbst in allen Dingen als Gott untertan zu erkennen.

    5 Es ist vorgeschlagen worden, dass dieses Thema der »Dankbarkeit« eine

    »Vermittlerrolle« im Dialog spielen könnte. Denn es kann auf beiden Seiten sehr gut geteilt werden und wirft umfassende Fragen im Blick auf die Gründe – und den Impuls – für die »Danksagung« auf.