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Aphasie und verwandte Gebiete et domaines associés Ausgabe/édition 3/2011 VOL. 30 ISSN 1664-8595 Die Stimme für sprachlose Menschen. Donnons la parole à ceux qui l‘ont perdue. La voce di chi ha perso la parola.

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Aphasie und verwandte Gebiete 3/2011 ISSN 1664-8595 1

Aphasieund verwandte Gebieteet domaines associés

Ausgabe/édition 3/2011 VOL. 30 ISSN 1664-8595

Die Stimme für sprachlose Menschen.Donnons la parole à ceux qui l‘ont perdue.La voce di chi ha perso la parola.

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Aphasie und verwandte Gebiete 3/2011 ISSN 1664-8595 3

Inhalt / table des matIères

OrIGInalbeItrÄGe – artICles

•ZumZusammenhangvonSpontanspracheundGestikbeiPatienten 5 mit rechtshemisphärischer Hirnschädigung

(Daniela Bartmann, Hanna Jakob, Wolfram Ziegler, Georg Goldenberg, Katharina Hogrefe)

•ZusammenhangvonSpontansprachproduktionundGesten 20 beiPatientenmitAphasie

(H. Jakob, D. Bartmann, G. Goldenberg, W. Ziegler, K. Hogrefe)

•Sag es mit den Händen! Welches Potenzial bergen Gesten 39 für die Kommunikationsfähigkeit aphasischer Sprecher?

(S. Wiesmayer, K. Hogrefe, W. Ziegler, G. Goldenberg)

bUChbesPreChUnG – leCtUre

•AphasieimAlltagvonA.Bauer,P.Auer 58 Thieme-Verlag Stuttgart 2009

(W. Kuhn)

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Zum Zusammenhang von Spontansprache und Gestik bei Patienten mit rechtshemisphä-rischer HirnschädigungDaniela Bartmann, Hanna Jakob, Wolfram Ziegler, Georg Goldenberg, Katharina Hogrefe

ZusammenfassungEineHirnschädigungkannunterschiedlichesprachlicheundkommunikativeBeein-trächtigungenhervorrufen.WährenddiesebeieinerlinkshemisphärischenLäsioninderRegelimRahmeneinerAphasiediagnostikklassifiziertwerdenkönnen,sinddieAuffälligkeitenderPatientenmitrechtshemisphärischerHirnschädigungmeistschwie-rigereinzuordnen.Diesliegtdarinbegründet,dassdiesePatientenwenigersprach-systematischeAuffälligkeitenzeigen,sondernvielmehrinBereichenwieTextverar-beitungundPragmatikEinschränkungenaufweisen.AuchhinsichtlichdesEinsatzesnonverbalerKommunikationsmittelwiederGestikunterscheidensichdiesePatien-tenvonneurologischgesundenPersonen.BislanggibteskaumStudien,diedenZu-sammenhangvonSprach-undGestenproduktionbeiPatientenmitSchädigungenderrechtenHemisphäreuntersuchen.ImRahmenderhiervorgestelltenStudiewurdenspontansprachlicheParametermitdemEinsatzvonHandgestenbei18PatientenmitrechtshemisphärischerHirnschädigungund20neurologischgesundenPersonenver-glichen.Dabeizeigtesich,dassdieGestenproduktionderPatientenvermindert istundzwarunabhängigvonderebenfallsvermindertenSprachproduktion.DieErgeb-nisseweisendaraufhin,dassdiekommunikativenBeeinträchtigungenvonPatientenmit rechtshemisphärischer Hirnschädigung insbesondere im nonverbalen Verhalten zuTagetreten.

AbstractBrainlesionscanevokelimitationsoflinguisticandcommunicativeskills.Whiledif-ficultiescausedbylesionsofthelefthemispherecanusuallybediagnosedbyapha-siaassessment,itisdifficulttoclassifytheproblemsofspeakerswithrightbraindamage.Whereasthesepatientsrarelycommitlinguisticerrors,theiruseofprag-maticandnon-verbalmeansofcommunicationisconspicuous.Inthisstudy,weinvestigatetherelationshipofspeechandgestureproductionin18patientswithright hemisphere damage and 20 healthy control persons. Data revealed that ge-stureproductionwasreducedinthepatients,independentofthealsoreducedver-baloutput.Theresultsindicatethatthecommunicativedeficienciesofpatientssuf-fering from right hemisphere damage appear especially in their non-verbal behavi-our.

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1. Einleitung

Sprachstörungen aufgrund vonHirn-schädigungen werden seit den Be-schreibungen durch Wernicke undLichtheim in verschiedene Formen von Aphasien eingeteilt. Aphasische Symptome beziehen sich hierbei inderRegelaufdielinke–meistsprach-dominante–Hemisphäre.AberauchSchädigungen der rechten Hemisphä-re können zu Veränderungen imsprachlichenVerhaltenführen.Sozei-genPatientenmit rechtshemisphäri-schenLäsionenhäufigAuffälligkeitenim Kommunikationsverhalten. DabeisindinsbesonderedieBereicheText-verarbeitungundPragmatikbetroffen,wassichdarinäussert,dassdiePati-entenkeineneindeutigenDiskursrah-menschaffenundihreFähigkeit,Infe-renzen zu bilden, eingeschränkt ist.Auch das nonverbale Kommunikati-onsverhalten–wieetwaderEinsatzvonHandgesten–wirdbeidiesenPa-tientenalsverändertbeschrieben(z.B.Blonderetal.,1995).BislangmangeltesanStudien,diedasZusammenspielvonsprachlichenundgestischenPa-rametern näher beleuchten. Im Fol-gendenwerdenzunächstdieallgemei-nenkommunikativenBeeinträchtigun-genderPatientenbeschrieben,bevorStudienvorgestelltwerden,indenendasgestischeVerhaltenvonPatientenmit rechtshemisphärischer Hirnschä-digunguntersuchtwurde.Dabeiwer-deninsbesonderedieBefundehervor-

gehoben,diesichaufdenZusammen-hang von sprachlichen und gestischen Parameternbeziehen.

nicht-aphasische Kommuni-kationsstörungen bei Patienten mit rechtshemisphärischer hirnschädigung

Eine Schädigung der rechten Hemisphäre kannBeeinträchtigungenzurFolgehaben,dieunterdemBegriffderzentralennicht-aphasischen Kommunikationsstörungzusammengefasst werden. Darunterwerden«zentralverursachteBeeinträch-tigungen der Kommunikation verstan-den, ohne dass klassische aphasischeSymptome vorliegen» (Glindemann &von Cramon 1995, S.1). Klinische Er-scheinungsbilderdieserStörungenwur-densowohlfürSchädigungenderrech-tenHemisphäre(Brownelletal.,1995)als auch für präfrontale Läsionen be-schrieben(McDonald,1993).Hinsichtlich expressiver sprachlicher FähigkeitenwirdbeidiesenProbandennichtvoneinemeinheitlichenStörungs-bildausgegangen.Sokanneinevermin-derte Sprachproduktion mit wenigenWörtern,kurzenÄusserungen,Perse-verationen und inhaltsarmer Rede auf-treten(vgl.Diggs&Basili,1987,Glin-demann& vonCramon, 1995). Spre-chermitdiesemKommunikationsprofilhabenhäufigSchwierigkeiten,zusam-menhängende Erzählungen zu produ-zieren, sie wirken initiativlos, imschlimmsten Fall verhalten sie sich

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stumm,dadieAktivierungderSpracheausbleibt(vgl.McDonald,1993).Einan-deresStörungsbildzeigenPatientenmitüberschiessender Sprachproduktion.DieErzählungendieserPatientenfallenoftweitschweifigausundsinddurchKonfabulationen,WiederholungenundDiskursverletzungen gekennzeichnet(vgl. Hough, 1990,McDonald, 1993).DieSprachproduktionistallgemeiner-höht, weshalb davon ausgegangenwird,dasshiereinProblemfehlenderKontrollezuGrunde liegt (vgl.Glinde-mann&vonCramon,1995).AuchparasprachlichePhänomenewer-den als auffällig beschrieben. So be-schreibtBrownell(1995)Besonderhei-ten in der Prosodie dieser Patienten:WährendeinigePatientenalsexzessivin ihrer prosodischen Variabilität be-schriebenwerden,findetsichhäufigerdieBeschreibungeinerflachenundmo-notonenAusdrucksweise.Ineinerak-tuellenStudiewurdegezeigt,dass18Patienten mit rechtshemisphärischerHirnschädigung imVergleich zu einerGruppe neurologisch gesunder Spre-chereinesignifikantgeminderteVaria-bilitätderIntonationaufwiesen(Hogre-feetal.,2011). NebendenhiergenanntenMerkmalender expressiven lautlichen Äusserun-genlassensichbeiPatientenmitnicht-aphasischen Kommunikationsstörun-genaucheineReiherezeptiverAuffäl-ligkeitenbeobachten,diedasKommu-nikationsverhalten dieser Patientenerheblichbeeinträchtigenkönnen.So

wirdderrechtenHemisphäreeineent-scheidende Rolle bei der Verarbeitung nicht-wörtlicher Sprache zugeschrie-ben. Brownell et al. (1986) stelltenSchwierigkeiten bei der Inferenzbil-dung bei Patienten mit rechtshemi-sphärischer Hirnschädigung fest. Die Fähigkeit,eineeinmalaufgenommeneInformationineinemneuenKontextzureinterpretieren und somit eine einmal gefasste Interpretation zu revidieren,istbeidieserPatientengruppeimVer-gleichzuneurologischgesundenPer-sonen beeinträchtigt. Auch haben die PatientenSchwierigkeiten,metaphori-scheBedeutungenzuinterpretierenso-wieIronieoderWitzezuverstehen(vgl.z.B. Brownell et al., 1984, Ferstl &Spurr,2010).LäsionenderrechtenHemisphärekön-nenBeeinträchtigungen in der Verar-beitung prosodischer Informationen hervorrufen.SofindensichStudien,dieeineBeeinträchtigungderVerarbeitungvonWortakzent,Satzakzentundpros-odischmarkiertenPhrasengrenzenbe-legen(füreineÜberblicksarbeitverglei-cheWunderlich&Ziegler,2004).AuchdieinteraktionaleProsodiekannbetrof-fensein:SosinddiePatientennurbe-grenztdazuinderLage,konversations-relevanteprosodische Informationen,wiedieMarkierungeinesbevorstehen-denSprecherwechsels,zuverarbeiten(Geigenberger&Ziegler,2001).Schädigungen der rechten Hemisphä-re können zudem Auswirkungen aufdasErkennenvonEmotionenhaben,

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diedurchMimikoderProsodieausge-drückt werden. Charbonneau et al.(2003)stelltenfest,dassdieFähigkeit,bildlichdargestellteEmotionenzuer-kennenundnachzuahmenbeiPatien-ten mit rechtsseitigen Läsionen beein-trächtigtwar.Eine für die zwischenmenschlicheKommunikation besonders wichtigeFähigkeitistdasVermögen,sichinan-dere Menschen hineinzuversetzen.DieseFähigkeitkannbeiPatientenmitrechtshemisphärischer Läsion beein-trächtigtsein.Sowurdegezeigt,dassdiese Patienten Schwierigkeiten hat-ten,sichindenProtagonisteneinerGe-schichte hineinzuversetzen und ausdessenSichtFragen zubeantworten(Champagne-Lavauetal.,2009).

Gestik bei Patienten mit rechts-hemisphärischer hirnschädigung

DarstellungendesVerhaltensvonPa-tienten mit rechtshemisphärischer HirnschädigungbeinhaltenhäufigauchAspektedernonverbalenKommunika-tion.SowerdenKörperhaltung,MimikundGestikbeidiesenPatientenhäufigalsreduziertbeschrieben(z.B.Ross&Mesulam,1979;Blonderetal.,1995).ImFolgendenwerdenStudienreferiert,die sich mit der nonverbalen Kommu-nikationbeiPatientenmitrechtshemi-sphärischer Hirnschädigung beschäfti-gen. Dabei steht die Produktion vonHandgesten als ein wichtiges Aus-drucksmittelnonverbalerKommunika-

tion imMittelpunkt. Der Zusammen-hangvonGesten-undSprachprodukti-onfindet indenUntersuchungennurwenigBerücksichtigung.BeiMenschenmitrechtsseitigerLäsionkönntelautBlonderetal.(1995)eineAb-nahmedernonverbalenKommunikationauf mehreren Kanälen stattfinden, so-dassnebenProsodieundMimikauchdieGestik beeinträchtigt sein könnte. DieAutorengehendavonaus,dassdiePro-duktionvonGesten,dieemotionaleZu-ständeausdrücken,beidiesenPatientenreduziertist,währendbildhafteundem-blematischeGesten erhalten sind. ZurÜberprüfungdieserHypothesewurdensiebenmännlicheProbandenmitrechts-hemisphärischerHirnschädigung,siebengesunde männliche Sprecher und sieben MännermitlinkshemisphärischerHirnlä-sion verglichen. Mit allen Probandenwurde ein semistandardisiertes Inter-viewimhäuslichenUmfeldgemeinsammitdenEhefrauenderProbandendurch-geführt,umeinemöglichstnatürlicheIn-teraktionssituationzuerfassen.DieAus-wertung derGesprächssituation ergabzumeinen,dass–imVergleichzudenbeidenanderenProbandengruppen–derzeitlicheAbstandzwischenzweiGestenbeidenPatientenmitrechtsseitigerLä-siongrösserwar.WeiterhinstelltendieAutorenfest,dassdiesePatientenent-gegenderErwartungenmehr gestiku-liertenalsdieanderenbeidenGruppen.Allerdings belegte eine genauere Analy-sederHandbewegungen,dassdiePati-entenvorwiegendnicht-kommunikative,

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selbstberührendeGestenverwendeten.Als Grund für die erhöhte Anzahl vonSelbstberührungenwerdenvondenAu-toren gehemmte Erregungsmechanis-mensowiebeschädigteintentionalemo-torische Mechanismen angenommen (Blonderetal.,1995).EineAnalysederverbalenÄusserungwurdeindieserStu-die nicht vorgenommen.McNeill&Pedelty (1995)untersuch-ten Nacherzählungen von Patientenmit rechtshemisphärischer Hirnschä-digung. Dabei beschrieben sie eine re-duzierteGestikderPatientenimVer-gleich zu den Kontrollpersonen. DiePatientenproduziertenprimäreinzel-neGesten,dienichtzugrösserenSe-quenzenverbundenwerden.Es fan-densichnurwenigebildhafteGesten.DieAutorenbeschriebenauch,dassdiePatientenfürdieAusführungihrerGesten den so genannten Gesten-raum anders bzw. eingeschränkternutztenalsgesundeSprecher.AnhandvonBeispielenwurdeerläutert,dassdiePatientenihreSätzezwargutfor-mulierten,esabersowohlansprach-lichen als auch an gestischen Mitteln mangelte, die entscheidend für dieGestaltung einer kohärenten Erzäh-lungsind.DieAutorenfolgerten,dassbei Patienten mit rechtshemisphäri-scherHirnschädigungdieFähigkeitbe-einträchtigt ist, eine übergeordneteDiskursstrukturzuschaffen.IndieserStudie wurden qualitative Beschrei-bungenvorgestellt,quantitativeMas-sewurdennichterhoben.

Cocksetal. (2007)untersuchtendenZusammenhangvonGestikmitProso-dieundvisuell-räumlichenBeeinträch-tigungen sowie den Einfluss unter-schiedlicherDiskursgenresaufdieGes-tenproduktion.BeifünfPatientenmitrechtshemisphärischer Hirnschädigung und 19 gesunden Kontrollpersonen wurdenDatenimRahmenvonvierver-schiedenen Diskursgenres erhoben(persönliche Erzählung, Vorgangsbe-schreibung, emotionale Erzählungen,BeschreibungeinerBildergeschichte).BeidreiderfünfPatientenkonnteeineVerminderungspontanerkommunika-tiverGestikfestgestelltwerden.Voral-lemhinsichtlichderemotionalenGes-tikergabsicheinUnterschiedzwischendenbeidenGruppen.Soverwendetendie gesunden Sprecher in der emotio-nalen Erzählbedingung mehr GestenalsindenanderenBedingungen,wäh-rendsichbeidenPatienteneineum-gekehrteTendenzzeigte.Ausserdemwiesen die Patienten wie schon beiBlonderetal.(1995)mehrSelbstberüh-rungen auf als die gesunden Sprecher. HinsichtlichdesZusammenhangsvonProsodieundGestikfandendieAuto-renkeinenklarenZusammenhang.Nurbei einemPatienten zeigte sich eineparalleleReduktionderintonatorischenVariabilitätundderGestik.AucheinZu-sammenhangzwischenGestikundvi-suell-räumlichenEinschränkungenfandsich nicht.Hadaretal. (1998)verglichen jeeineGruppe von Patientenmit links- und

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eine mit rechtshemisphärischer Hirn-schädigungmitjeeinerGruppeneu-rologisch gesunder Sprecher. Die Gruppenbestanden jeweils aus vierProbanden,dieBildergeschichtenbe-schreibensollten.Eswurdeberech-net,wievieleWörterundwievieleBil-dergeschichteneinProbandbenötig-te, um eine Gesamtanzahl von 20Gestenzuproduzieren.DabeiwurdennurGestenberücksichtigt,diemitderrechten Hand ausgeführt wurden.Zwei der Patientenmit rechtshemi-sphärischerHirnschädigungproduzier-ten weniger als die geforderten 20Gesten;beidiesenProbandenwurdeanhand der vorhandenen Daten hoch-gerechnet,wievieleWörterundwieviele Bildergeschichten sie benötigthätten,um20Gestenzuproduzieren.ObwohldiePatientenmehrBilderbe-nötigten,umdiegeforderteAnzahlanGesten zu produzieren, zeigte sichkein signifikanter Unterschied hin-sichtlichderAnzahlderverwendetenWörter, um auf 20 Gesten zu kom-men.DieGeste-zu-WortRatederPa-tienten mit rechtshemisphärischer Hirnschädigungwarhieralsoüberra-schender Weise nicht geringer als die der Kontrollpersonen. Die Autoren weisendaraufhin,dassdiesesErgeb-nis in erster Linie einer grossen Vari-anzinnerhalbderPatientengruppezu-zuschreibenist.Dabeiverzichtensieleiderdarauf,dieRohwertederDatenanzugeben.EinezusätzlicheAnalysederGestentypenergab,dassdiePati-

enten mit rechtshemisphärischer Hirn-schädigungwenigerbildhafteGestenproduzierten als die anderen beidenGruppen.ImGegensatzzuMcNeill&Pedelty(1995),diedavonausgehen,dassbeidenPatientengrundlegendeProzessederDiskursformulierungbe-einträchtigtsind,nehmenHadaretal.(1998)an,dassallgemeineKonzeptu-alisierungsprozesse unbeschädigtsind. Sie schliessen dies aus einer grundsätzlicherhaltenenErzählfähig-keit.DieAutorengehendavonaus,dassbeidenPatientenmitrechtshe-misphärischer Hirnschädigung ein Mechanismusgehemmt ist,der fürdieProduktionvonbildhaftenGestenzuständigistundeineArtMediations-stufezwischenKonzeptualisierungs-prozessenundGestenproduktiondar-stellt.

Fragestellungen

DiezitiertenStudienweisendaraufhin,dass die Gestenproduktion bei den Patienten mit rechtshemisphärischerHirnschädigung insgesamt gemindert ist.DabeistelltsichdieFrage,obdie-seReduktionmiteinemvermindertenverbalen Output einhergeht. In den ge-nanntenStudienwurdezumeinenbe-schrieben,dassdieSprachproduktionvon Patienten mit rechtshemisphäri-scher Hirnschädigung in manchen Fäl-lengesteigert,häufigaberauchgemin-dertist.DieeinzigeStudie,dieSpracheundGestikbeieinerkleinenPatienten-

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gruppeuntersucht, liefertuneindeuti-geErgebnisse(Hadaretal.,1998).Esfehlen Studien, die den Zusammen-hangderbeidenModalitätenbeiPati-enten mit rechtshemisphärischer Hirn-schädigung näher beleuchten.IndieserStudiewurdenspontansprach-licheParametersowiedieFrequenzderHandgesten bei neurologisch gesunden Sprechern und Sprechern mit rechtshe-misphärischer Hirnschädigung erhoben. InnerhalbbeiderGruppenwurdeanaly-siert,obdiespontansprachlichenPara-metermitderGestenproduktioninZu-sammenhang stehen.

2. Methode

stichprobe

ImRahmendieserStudiewurdenVi-deoaufzeichnungen von 20 neurolo-gisch gesunden Kontrollpersonen ana-lysiert (KON; 10 w; 25 – 72 Jahre,Durchschnittsalter 48,9). Ferner wur-denVideodatenvon18Personenmitrechtshemisphärischer Hirnschädigung (RBD, 11 w; 40 – 66 Jahre, Durch-schnittsalter53,3)ausgewertet.Bei17der18PatientenlageneinNeglectodereine Hemianopsie vor. Eine Hemipare-sederlinkenKörperhälftelagbei15derPatienten vor, zwei litten an einerResthemiparese.

durchführung

Die Probanden hatten die Aufgabe,Ausschnitte aus «Silvester undTweety»-Zeichentrickfilmennachzuer-zählen.DieFilmewaren30bis90Se-kundenlangundsprachfrei.DenPro-bandenwarnichtbekannt,dassinderStudie ihreGestikuntersuchtwürde.WährendderErzählungsassderPro-banddemUntersuchergegenüberundwurde über ein Standmikrophon undeineVideokamerainTonundBildauf-genommen. Dabei wurde versucht,einemöglichstnatürlicheGesprächssi-tuationzuschaffen,inderderProbandBlickkontaktzumVersuchsleiterhatte.DieserproduzierteaffirmativeÄusse-rungen wie z.B. «hm»und «ja»; ver-miedesaber,Handgestenzuproduzie-ren.DerProbandwurdevomUntersu-cher nicht unterbrochen.FürdieseStudiewurdendieDatenvonzweiFilmenanalysiert. Film1 hatte eine Dauervon48Sekunden,Film2 dauer-te84Sekunden.

auswertung

DieTranskriptionsdatenderGestikwur-dendemProjekt«Kognitiveundneu-ronaleGrundlagensprachersetzenderGestik»(GO 968/3-2) entnommen. Ineinem gesonderten Auswertungs-schritttranskribierteundanalysiertedieErstautorin die Sprachdaten.

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spontansprachanalyse

DieAuswertungderSprachdatenerfolg-te mit Hilfe der Aachener Sprachanaly-se(ASPA;Huberetal.,2005).ASPAisteinComputerprogramm,mitdemver-schiedeneParameterderSpontanspra-cheanalysiertwerdenkönnen.Zunächst wurde eine Nacherzählung(Film1)kompletttranskribiert.Fürdie-seGeschichtewurdendieAnzahlderWörtersowiedieErzählzeit(DauerinSekunden) bestimmt. Des WeiterenwurdenTranskriptegleicherLängemitje30PhrasenvonjedemProbandener-stellt,anhanddererverschiedeneBa-sisparameter der Spontansprache be-stimmtwurden.ZudiesemZweckwur-denjeweilsdieersten15PhrasenausFilm1 und Film2 analysiert.DieTranskriptionerfolgtenachdenAS-PA-Konventionen.DerUntersucherbe-stimmte die Phrasen.EinePhraseisteineÄusserung, die eineSinneinheit(Proposition)beinhaltetundhöchstenseinfinitesVerbodereinensatzwerti-genInfinitiventhält(Huberetal.,2005).JedePhrasewurdeaufihreVollstän-digkeit hin geprüft. EinePhrasegaltalsvollständig,«wenndasVerbunddievom Verb geforderten obligatorischen Ergänzungen (…) vorhanden»waren(Huberetal.,2005,S.38).Dabeiwur-deinASPAanhandderPhrasenmarkie-rungen ein Komplexitätswert berech-net.Dieserspiegeltwider,wiegrossderAnteilanPhraseninSatzgefügenbezogenaufallePhrasenist.

Die einzelnenWörterwurden einerWortklassezugeordnet,wobeizwi-schen Inhaltswörtern (=Wörterderoffenen Klasse), Funktionswörtern (=WörterdergeschlossenenKlasse),Interjektionen/Partikeln, Neologis-men,neologistischenSilbenundun-verständlichen Äusserungen unter-schiedenwurde.ZudenParameternderSpontansprachezähltenauchPausen. Entsprechend der ASPA-KonventionenwurdenkurzePau-sen (1-2 Sekunden), mittlere Pausen(2-5Sekunden)undlangePausen(län-gerals5Sekunden)unterschieden.

auswertung der Gestik

JedeBewegungderganzenHand,diezwischenzweiRuhephasenausgeführtwurde,wurdealsGesteerfasst.Auto-stimulativeSelbstberührungenundkur-zerhythmischeGesten(z.B.Fingertap-pen)wurdennichtindieAuswertungeinbezogen(vgl.Hogrefe,2011füreinedetaillierte Beschreibung der Metho-de). Sowurde die Anzahl der in derNacherzählungFilm1produziertenGes-tenfestgelegt.AnhanddieserZahlundderAnzahlderWörterindiesemFilmkonnte dann die Geste-zu-Wort Rateberechnetwerden.

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statistische analyse

Unterschiede zwischen den beidenGruppen wurden jeweils mit demMann-Whitney-Test errechnet, wäh-rendfürKorrelationenzwischeneinzel-nen Variablen eine Berechnung nachPearsonbeziehungsweisenachSpear-mandurchgeführtwurde.

3. Ergebnisse

sprachliche Parameter

DiePatientenwiesenhinsichtlichderAnzahl der verwendeten Wörter inFilm1 eine ähnliche Spanne wie dieKontrollpersonen auf, allerdings ver-wendetensiedurchschnittlichwenigerWörter(Z=-2,13,p<0,05;vgl.Abb.1).SoerreichtediePatientengruppeei-nen Mittelwert von 137,4 Wörtern,währendsichfürdieKontrollgruppeeinMittelwertvon172,1ergab.

Abbildung 1: Anzahl der Wörter in Film1

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Auch im Erzählverhalten fanden sichUnterschiedezwischendenGruppen.Die Kontrollpersonen verwendetendeutlich mehr Interjektionen als dieProbandenmitrechtshemisphärischerHirnschädigung(Z=-2,77,p<0,01).DiePatientenhingegenmachtenvielhäufigerPausen(Z=-4,63,p<0,01;vgl.Abb.2).DiesePausenunterschie-

den sich ausserdem in der Länge von denenderneurologischgesundenPer-sonen:DiePatientenproduziertenins-gesamt70mittlerePausen(2-5Sekun-den)und16langePausen(ab5Sekun-den), während in der KontrollgruppenebeneinermittlerenPausenurkurze(1-2Sekunden)vorkamen.

Abbildung 2: Pausen und Interjektionen

Dagegen verhielten sich die beiden GruppenhinsichtlichderParameterdesSatzbaussowiederDauerderErzäh-lung von Film1ähnlich.Sozeigtensichkeine signifikantenUnterschiedehin-sichtlichderParameterKomplexität (Z=-0,50,p=0,62),Vollständigkeit der Phrasen(Z=-1,49,p=0,14),MittlerePhrasenlänge(Z=-1,25,p=0,21)undErzählzeit in Sekunden(Z=-0,81,p=0,42).

Gestik

DiePatientengruppeproduziertesigni-fikantwenigerGestenalsdieGruppeder Kontrollpersonen (Mann-Whitney-Test,Z=-2,50,p<0,05;vgl.Abb.3).

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Abbildung 3: Gestenanzahl in Film1

Zusammenhang von sprache und Gestik

DieGeste-zu-WortRatefielbeiderPa-tientengruppesignifikantniedrigerausalsbeiderKontrollgruppe(Z=-2,11,p<0,05;vgl.Abb.4).DieAnzahlderGestenwarbeidenPatientenalsoun-abhängig von der ebenfalls verminder-tenAnzahlderWörterreduziert.Des Weiteren fanden sich eine Reihe von Zusammenhängen von Sprach-undGestenproduktionbeidenKontroll-personen:JemehrWörtereinProbandverwendete,destomehrGestenpro-duzierteer(r=0,71,p<0,01)undumsolängerwardieDauerderErzählungvonFilm1(r=0,59,p<0,01).Fernerfan-den sich negative ZusammenhängevonderAnzahlderGestenmitderAn-zahlderPausensowiemitderVollstän-digkeitderPhrasen:JewenigerGes-ten ein Sprecher verwendete, destomehrPausenmachteer(r=-0,46,p<

0,05) und desto mehr vollständigePhrasenenthieltenseineErzählungen(r=-0,54,p<0,05).KeinerdieserZu-sammenhängezeigtesichbeidenPa-tienten.

4. Diskussion

WirverglichenzunächstdieSprachpro-duktionderbeidenGruppen.DieGrup-pen wiesen keine Unterschiede hin-sichtlichVollständigkeitundLängederPhrasensowiehinsichtlichderKomple-xitätdesSatzbausauf.SoproduziertenbeideGruppenähnlichkomplexeSatz-strukturen und kombinierten in glei-chem Ausmass Haupt- mit Nebensät-zen. Zudem waren die produziertenPhrasen beider Gruppen im Durch-schnitt ungefähr gleich lang und gleich häufig vollständig. Diese ErgebnissestimmenmitBerichtenüberein,denenzufolgeBildbeschreibungen(vgl.Hadar

Abbildung 4: Geste-zu-Wort Rate

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etal.,1998,S.72)undNacherzählun-genvonPatientenmitrechtshemisphä-rischer Hirnschädigung gut formuliert waren («well-constructed speech»;McNeill&Pedelty,1995,S.73).Auchhinsichtlich der Gesamtdauer der Er-zählungeninSekundenunterschiedensichdieGruppennichtvoneinander.Al-lerdingszeigtesich,dassdiePatientenin dieser ZeitwenigerWörter produ-zierten:WährendbeideGruppenhin-sichtlichderWortanzahleinevergleich-bareSpanneerzielten, zeigtesich je-dochüberdieGruppeeinesignifikantniedrigereWortanzahlfürdiePatientenmit rechtshemisphärischer Hirnschädi-gung.FürdiehieruntersuchtePatien-tengruppezeigtesichalsoinsgesamteine verminderte Sprachproduktion.AuchdieVerwendungvonPausenundInterjektionenunterschiedsichbeidenbeiden Gruppen. So produzierte dieKontrollgruppe insgesamt mehr Inter-jektionen,währenddiePatientenmehrund längerePausenmachten. So er-klärtsich,dassdiePatientenbeiglei-cher Erzählzeit (Dauer in Sekunden)wenigerWörterproduzierten.DieseErgebnisseweisen darauf hin,dass sich die Gruppen weniger hin-sichtlichreinsprachlicherParameteralsvielmehr hinsichtlich ihres Kommuni-kationsverhaltensunterschieden. Ins-besonderedieBeobachtung,dassdiePatienteneinegrössereAnzahlanPau-senmachten,dieimVergleichzude-nenderKontrollgruppeauchlängerwa-ren, war auffällig. Die Personen der

Kontrollgruppe machten ausschliess-lich kurze ungefüllte Pausen, die nielängeralszweiSekundenwaren.Zu-demzeigtesichhiereinegrössereAn-zahl an Interjektionen. Die gesundenSprecherverwendenInterjektionenalsgesprächsorganisierende Elemente,um Pausen zu füllen und dem Ge-sprächspartner zu signalisieren, dasssiedieErzählungnochnichtbeendethaben.DagegenwiesendieErzählun-genderPatiententeilweiseungefülltePausen von über 5 Sekunden Dauerauf. Die Patienten verzichteten alsohäufigeraufdieMöglichkeit,denGe-sprächsflussanhandvonInterjektionenaufrechtzuerhalten.Eszeigtesich,dassdiePatientenauchdeutlichwenigerGestenproduziertenals die gesunden Kontrollpersonen. Da-beiwarwichtigzuüberprüfen,obdieverminderteGestenproduktionaufdieebenfallsgeminderteSprachprodukti-onzurückzuführenwar,dadiePatien-tenjaauchwenigerWörterproduzier-ten.DieswarnichtderFall:DieGeste-zu-Wort Rate war bei den Patientenebenfallsgemindert.DiePatientenver-wendetenalsounabhängigvonderAn-zahlderWörtereinereduzierteAnzahlanGesten.DiesesErgebnisstärktdieVermutung von Hadar et al. (1998),dass in ihrerStudiederfehlendeUn-terschied hinsichtlich der Geste-zu-WortRatezwischendenGruppenaufmethodischeEinschränkungen(grosseVarianzbeikleinerStichprobe)zurück-zuführenseinkönnte.

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InnerhalbderGruppenwurdenausser-dem weitere Vergleiche zwischenSpontansprach-undGestenparameterndurchgeführt.Dabeizeigtensicheini-geZusammenhängeinnerhalbderKon-trollgruppe: So spiegelten unsere Er-gebnissebestimmteSprechertypenwi-der.DerersteSprechertyp zeichnetesichdadurchaus,dassersich in lan-genErzählungenwortreichmitwenigPausenäusserte.DabeiproduzierteereinenhöherenAnteilanunvollständi-genPhrasenundeinegrössereAnzahlanGesten.Dagegenschieneinande-rer Sprechertyp seine Äusserungensorgfältiger zu formulieren:DieSpre-cherdiesesTypsmachtenvielePau-sen,äussertensichvorwiegendinvoll-ständigen Phrasen und produziertendabei wenige Gesten. Diese unter-schiedlichen Sprechertypen fanden sichnichtbeidenPatienten.Hierkonn-tenkeineZusammenhängezwischenSprach-undGestenproduktionfestge-stelltwerden.UnsereErgebnissebestätigendieHy-pothese,dassPatientenmitrechtshe-misphärischerHirnschädigungBeein-trächtigungenimKommunikationsver-halten aufweisen. So setzten die inunsererStudieuntersuchtenPatienteninderverbalenKommunikationweni-ger gesprächsorganisierende Elemen-teeinundproduzierensehrlange,un-gefülltePausen.Sieproduziertenins-gesamt weniger Wörter als diegesundenKontrollpersonen.DieGes-tik der Patienten war stark reduziert

undzwarunabhängigvonderreduzier-tenSprachproduktion,wiedieebenfallsgeminderteGeste-zu-WortRatezeig-te. InsgesamtweisendieErgebnissedarauf hin, dass die kommunikativenBeeinträchtigungenvonPatientenmitrechtshemisphärischer Hirnschädigung insbesondere im nonverbalen Verhal-tenzuTagetreten.

Danksagung

DieseStudieentstandalsBachelorarbeitder Erstautorin im Studiengang Sprach-therapieanderLudwig-Maximilians-Uni-versitätMünchen.SiewurdeimProjekt«Kognitive und neuronale Grundlagensprachersetzender Gestik»(DeutscheForschungsgemeinschaft DFG, GO968/3-2)durchgeführtundbetreutundbasiertaufVideoaufzeichnungen,dieimRahmendesProjektsgemachtwurden.Die teilnehmenden Patienten warenzumZeitpunktderUntersuchunginBe-handlunginderKlinikfürNeuropsycho-logie, Klinikum Bogenhausen, Städti-sches KlinikumMünchen GmbH.WirdankendenPatientenherzlichfür ihreTeilnahmeanderUntersuchung!

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Aphasie und verwandte Gebiete 3/2011 ISSN 1664-8595 19

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Anschrift:EKN–EntwicklungsgruppeklinischeNeuropsychologie,KlinikfürNeuropsychologie,KlinikumBogenhausen,StädtischesKlinikumMünchenGmbHDachauerStr.164,80992MünchenE-Mail:[email protected]

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Zusammenhang von Spontansprachproduk-tion und Gesten bei Patienten mit Aphasie

Hanna Jakob, Daniela Bartmann, Georg Goldenberg, Wolfram Ziegler, Katharina Hogrefe

ZusammenfassungPatientenmitAphasiesindmeiststarkinihrerverbalenKommunikationsfähigkeitein-geschränktundaufKompensationsstrategienangewiesen.Eswirdkontroversdisku-tiert,obPatientendazuinderLagesind,nonverbaleKommunikationsmittelwiez.B.Gesteneinzusetzen.IndieserStudiewurdeuntersucht,obPatientenmitAphasienun-terschiedlichenSchweregradeswährendeinerNacherzählungGestenspontaneinset-zenundobsiesichdabeivongesundenSprechernunterscheiden.DieErgebnissezei-gen,dassdieaphasischenSprechereinehöhereAnzahlsowievielfältigereGestenpro-duzierten als die gesunden Kontrollpersonen. Zudem gestikulierten Patienten mitgrösserenverbalenBeeinträchtigungenmehralsPatienten,dieimverbalenAusdrucknurleichtbeeinträchtigtwaren.DieseErgebnissedeutendaraufhin,dassaphasischeSprecherGestik zurKompensationnutzenundeinAusbaudieserRessource inderSprachtherapieBeachtungfindensollte.

AbstractPatientssufferingfromaphasiaoftenhavetorelyonnon-verbalmeansofcommunica-tion.However,todateitremainsamatterofcontroversy,ifaphasicspeakersareabletomakeuseofnonverbalmeansofcommunicationlikee.g.handgestures.Inthisstu-dy,weanalyzedifspeakerswithaphasiasofdifferentdegreesofseverityusehandge-sturesspontaneouslyinanarration.Datarevealedthataphasicspeakersproducedahighernumberaswellasamorediverserangeofgesturesthanthecontrolgroup.Ad-ditionally,withinthegroupofaphasicspeakers,wefoundthatthosewithmoreseve-reverbaldisturbancesproducedmoregesturesthanthosewithlessdeficiencies.The-seresultsindicatethataphasicspeakersusehandgesturesforthecompensationoftheir language disturbances and that this resource should be considered in therapy.

RésuméLes patients souffrant d’aphasie sont contraints de recourir aux moyens de commu-nicationnon-verbauxcommestratégiesdecompensationauxdéficitsdenaturever-bale.Toutefois,l’usagefaitparlespersonnesaphasiquesdecesmoyensalterna-tifs,commeparexemplelesgestes,estsujetàcontroverses.Danscetteétude,ilest question d’analyser la production de gestes de manière spontanée lors d’une

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1. Einleitung

DurcheineAphasiewerdendieBetrof-feneninihrerverbalenKommunikations-fähigkeitmeistmassiveingeschränkt.IneinigenFällenkanntrotzsprachtherapeu-tischerInterventionkeineausreichendeverbaleVerständigungermöglichtwer-den. Für diese Patientenwäre es hilf-reich,wennsielernenkönnten,nonver-baleKommunikationsmitteleinzusetzen,umihresprachlichenDefiziteauszuglei-chen. Ein solcher Kompensationsmecha-nismuskönntederEinsatzvonGestensein.BevormandieFragebeantwortenkann,ob ein Training der gestischen Modalität bei Aphasie sinnvoll und Erfolg bringend ist,musszunächstdieFragegeklärtwer-den, ob aphasischePatienten generelldazuinderLagesind,GestenzurKom-munikationeinzusetzen.Zudiesergrund-legendenFragegibteskontroverseStu-dienergebnisse. Einige Autoren beschrie-beneineparalleleBeeinträchtigungderverbalen und der gestischen Modalität (u.a.Ciconeetal.,1979),währendande-refeststellten,dassPatientenmitApha-

sieimVergleichzugesundenSprechernmehr Gesten einsetzten, um so ihresprachlichenDefiziteauszugleichen(u.a.Feyereisen, 1983, Herrmann et al.,1988).IndieserArbeitwurdederZusammen-hangzwischendenspontansprachlichenFähigkeitenundderGestikvonPatien-ten mit Aphasie näher untersucht. Es solltezunächstdieFragegeklärtwerden,obPatientenmiteinerAphasiewährendeinerNacherzählaufgabemehrundviel-fältigere Gesten produzieren als eineGruppe gesunder Kontrollpersonen. IneinemzweitenSchrittwurdeuntersucht,obdieFrequenzundVielfaltderGesteneinen Zusammenhang mit spontan-sprachlichenParameternaufweisen.

2. Theoretischer Hintergrund

UnterschiedlicheAutorenversuchendenProzessderGestenproduktioninModel-lenzubeschreiben(Kraussetal.,2000;Hadar&Butterworth,1997;deRuiter,2000).DabeiwerdendieGesten-unddie

tâchedenarrationchezdespersonnessouffrantd’aphasieàdifférentsdegrésdesévérité.Lesdonnéesrévèlentquelessujetsaphasiquesproduisentunnombresi-gnificativementplusélevéetdiversifiédegestescomparativementaugroupecon-trôle.Deplus,auseindugroupedesujetsaphasiques,lespatientsdontl’atteintelangagièreestplussévèrefontdavantagedegestesquelessujetsprésentantunesymptomatologie d’intensité moindre. Ces résultats suggèrent que les personnes souffrant d’aphasie ont recours aux gestes comme moyen de compensation et que cette ressource doit être considérée lors de la thérapie du langage.

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Sprachproduktion in einem gemeinsa-menModelldargestellt,daGestenüber-wiegend sprachbegleitend produziertwerden. Es herrschen jedoch unter-schiedlicheAnnahmenhinsichtlichmög-licher Verknüpfungspunkte der gesti-schen und sprachlichen Modalität. Wäh-rendeinigeModellenurdieProduktioneinzelnerGestentypenberücksichtigen,stellt dasModell von deRuiter (2000)denumfassendstenAnsatzdar,daesdieProduktionverschiedenerGestentypenberücksichtigt. ImfolgendenAbschnittwirddassogenannteSketch-Modell von deRuiter(2000)näherbeschrieben,aufdessenGrundlagedieHypothesendie-serArbeitbasieren.ObwohlsichdieFra-gestellungen dieser Arbeit ausschliess-lichaufdieEbenederKonzeptualisierungbeziehen,sollendieAnnahmenzurGes-tenproduktionhierausführlichdargestelltwerdenundzugleicheinÜberblicküberverschiedeneTypenvonGestengege-benwerden.

2.1 aufbau des sketch-modells

DadeRuiter(2000)voneinemengenZu-sammenhangzwischenSprach-undGes-tenproduktionausgeht,erweiterterdasSprachproduktionsmodell von Levelt(1989) durch Verarbeitungsstufen derGestenproduktion(Abb.1).AnhanddesModellsvondeRuiterkanndieProduk-tion verschiedenerGestentypenerklärtwerden.DeRuiterorientiertsichhieranderKlassifikationvonMcNeill(1992);diein der nachfolgenden Darstellung fett ge-

drucktenBegriffesindMcNeillsKlassifi-kationentnommen.In de Ruiters Modell haben Sprache und GestikihrenUrsprungaufderEbenederKonzeptualisierung.Hierwirdentschie-den, welcher Inhalt zu welchem Zeit-punktimVerlaufderÄusserunggestischdargestelltwird.DerConceptualizer hat ZugangzumArbeitsgedächtnisundkannsomitsowohlaufpropositionalesWissenfürdieGenerierungeinerverbalenNach-richtalsauchaufräumlich-zeitlicheInfor-mationenfürdieGenerierungvonGes-tenzugreifen.DievomSprecher inten-dierteNachrichtwirdimConceptualizer hinsichtlichderzweiModalitätengeteilt:währendderpropositionaleGehaltineineverbale Nachricht umgewandelt wird,werdendiebildhaftenAspektealseineRepräsentation,diedeRuiterSketch(dt.Entwurf,Skizze)nennt,andieweiterenSubkomponentenderGestenproduktiongesendet. Da der Sketch eine zentraleRolleimModelleinnimmt,gibterihmsei-nen Namen. Dabei vertritt de Ruiter die Annahme,dassInformationeninsbeson-deredannineinenSketchenkodiertwer-den,wennesschwierigist,einekommu-nikative Intention verbal umzusetzen.Gründehierfürkönnenz.B.Hintergrund-lärmoderSprechunflüssigkeitensein.DeRuitergehtdavonaus,dassvonderKonzeptualisierungsebeneauszunächsteinAbgleichmiteinemGestenlexikon(Gestuary)erfolgt,indemVorlagenfürkonventionalisierte Gestenformen ge-speichert sind. Gestentypenmit kon-ventionalisiertenFormensindzumeinen

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Aphasie und verwandte Gebiete 3/2011 ISSN 1664-8595 23

Zeigegestenundzumanderen Emb-leme.EmblemehabeneineklareZu-ordnungvonFormundBedeutungundsindkulturkreisabhängig,wiez.B.dieO.K.-Geste(Daumennachoben).Fin-det sich eine dem Inhalt angemessene Vorlage einer emblematischen oder ei-ner Zeigegeste, wird der Gestenent-wurfentsprechendangepasst.ImGe-stuary sind keine komplettenmotori-schen Programme für Embleme undZeigegestengespeichert,daauchbeidiesenGestengewisseFreiheitsgradeinderAusführungbestehen.DieGes-ten sind vielmehr in Templates (dt. Vor-lagen,Schablonen)abgespeichert,wel-cheabstraktemotorischeProgrammesind,dienurdieunverzichtbarenCha-rakteristika der Zeigegeste oder desEmblems festschreiben. Beinicht-konventionalisiertenInhaltenenthältderEntwurfräumlicheundzeit-liche Repräsentationen oder aber Infor-mationenüberbestimmteBewegungs-schematabeiPantomimen.EinhäufigverwendeterGestentypsinddieikoni-schen Gesten. Hierbei handelt es sich umbildhafteGesten,diezumBeispieldieäussereFormeinesGegenstandesnachempfindenoderAspekteeinerBe-wegungabbilden.UmikonischeGes-ten zu produzieren,müssen imCon-ceptualizer die relevanten räumlichen undzeitlichenInformationenextrahiertwerden.Pantomimen, bei denen eine Handlungnachgeahmtwird,enthaltenweniger bildhafte Repräsentationen,sondern Informationen über motori-

scheAbläufe,dieimSketch festgehal-tenwerden.Ist der Sketch einerGestegeneriert,wirderzurAusführungandenGesture Plannergeschickt,dessenAufgabeesist, ein motorisches Programm ausdemEntwurf zu formen. ImGesture Plannerwirdentschieden,mitwelchenKörperteilendieGesteausgeführtwer-densoll.FallszumBeispielbeideHän-de«belegt»sind,weilsiegeradeeinTablett tragen, kann eine ZeigegestedurcheineKopfbewegungausgeführtwerden.AusserdemmüssenimGesture Planner InformationenausderUm-gebungbeachtetwerden.Wennmansichbeispielsweiseineinemüberfüll-tenZugbefindet,wirddiesimGestu-re Planner registriert und das Bewe-gungsausmass eingeschränkt, damiteszukeinenKollisionenkommt.DerGesture Planner benötigtnebendiesenInformationenausderUmgebungaucheinenZugangzumGestuary,wennermotorischeProgrammefürEmblemeundZeigegestenerstellt.Innerhalb des Gesture Plannerskönnenmehrere Sketchesauchzusammenge-fasstwerden (fusion).SokanneszumBeispiel vorkommen, dass in einepantomimischeBewegungsgesteeineZeigegesteintegriertwird.Das erstellte BewegungsprogrammwirddannaneinKontrollmodul(Motor control)gesendet,dasdiekinetischenInformationen in die tatsächliche ges-tischeBewegungumwandelt.

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Abbildung 1: Sketch-Modell nach de Ruiter (2000, S.298)

2.2 annahmen zu sprechern mit aphasie

ImSketch-ModellhabenGestikunddieverbale Äusserung denselben Ur-sprungsort im Conceptualizer. Dort wirddiekommunikativeIntentioninei-nenverbalenundeinenbildhaftenTeil,inFormvonGesten,aufgeteilt.Wennnun über einen dieser zwei KanäledurcheineStörungzuwenigeInforma-tionenübermitteltwerdenkönnen,re-

gistriert dies der Conceptualizer und kompensiertdieBehinderungdurchei-nen vermehrten Einsatz der anderenModalität.DiesesPhänomenbezeich-netdeRuiter(2006)als«mutually ad-aptive modalities»(dt.,gegenseitigan-passungsfähigeModalitäten’).AufeineAphasiebezogenlassensichei-nigeSchlussfolgerungenziehen.Durcheine Aphasie ist die verbale Modalität mehroderwenigerstarkbeeinträchtigt,was imConceptualizer registriertwird.

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Aphasie und verwandte Gebiete 3/2011 ISSN 1664-8595 25

JestärkereinaphasischerPatientinsei-nerverbalenAusdrucksfähigkeiteinge-schränktist,destomehrGestikwirderdemSketch-Modell zufolge einsetzen,um so seine Botschaft an einen Ge-sprächspartnerzuübermitteln.Es wurden aufgrund des Sketch-Mo-dellsHypothesenformuliert,dieindie-serStudieüberprüftwerdensollten.DieersteHyopthese ist, dass aphasischePatientenversuchen,ihreeingeschränk-teverbaleAusdrucksfähigkeitdurchver-mehrtenundvielfältigerenGestenein-satzzukompensierenundsomitmehrGestenundvielfältigereGestenprodu-zierenalsgesundePersonen.DiezweiteHypotheseist,dassPati-entenmitschwerensprachlichenBe-einträchtigungen mehr und diversere Gesten produzieren als aphasischePatienten,dieimVergleichleichterbe-einträchtigt sind.

3. Methode

Die Daten dieser Arbeit wurden einergrösseren Untersuchung entnommen,dieimProjekt«KognitiveundneuronaleGrundlagensprachersetzenderGestik»(DFGGO968/3-2)durchgeführtwurde.

3.1 stichprobe

EswurdenzehnPatienten(fünfFrauen,fünfMänner)mitunterschiedlichschwerausgeprägten Aphasien untersucht (sie-heTab.1).DiePatientenwurdeninder

Klinik für Neuropsychologie, Kranken-haus Bogenhausen, Städtisches Klini-kumMünchenGmbHsowieinderthe-rapeutischen Tagesstätte Mutabor e.V. rekrutiert.SiewarenzumZeitpunktderUntersuchunginsprachtherapeutischerBehandlung. Ein explizites Gestentrai-ning wurde mit den Patienten jedochnicht durchgeführt.DieProbandenwurdenindiePatienten-gruppeaufgenommen,wenneinezere-brovaskuläre Läsion der linken Hemi-sphäre bestand und das neurologische Ereignis mindestens drei Monate zu-rücklag.BeidenmeistenPatientenwur-dedieserZeitraumjedochumvieleMo-nate überschritten. Im Mittel lag das Er-eignis42,9Monatezurück,dieDauerlagzwischen3Monatenund10;4Jah-ren.DasDurchschnittsalterderProban-den betrug 46,8 Jahre (29-67 Jahre).SechsderProbandenhatteneineHe-mipareseundzweiProbandenwieseneineResthemipareseauf.Eslagenkei-neapraktischenStörungenbeidenPa-tienten vor.

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Tabelle 2: Untersuchungsergebnisse AAT und BOSU

Tabelle 1: Probanden

ProbandNr.

Alter inJahren

Geschlecht Hemiparese Post-onset*

1 44 w Ja 1;4

2 42 w Ja 4;7

3 37 m Ja 3;10

4 43 m Ja 6;5

5 50 m ja 0;3

6 50 w Nein 0;9

7 54 m Rest 5;4

8 29 w Rest 0;3

9 52 w Ja 2;8

10 67 m nein 10;4

w = weiblich m = männlich *Jahre;Monate nach Ereignis

Tabelle 2: Untersuchungsergebnisse AAT und BOSU

ProbandNr.

Kommunikations-verhalten*

Token-test**

Nach-sprechen**

Schrift** Benennen** Sprach-verständnis**

BOSU3***

1 3 74 72 87 64 76 42 3 97 96 100 96 93 23 3 58 79 86 98 95 04 2 16 40 33 66 43 15 4 97 92 91 87 86 36 4 79 74 93 89 111 17 1 60 53 66 49 93 28 2 16 47 30 28 29 39 3 63 88 61 88 68 110 4 97 99 100 81 88 0

*Punktwerte **%Ränge ***N Fehler

DiesprachlichenFähigkeitenderPatien-tenwurdenzuBeginnderStudiemitdemAachenerAphasietest(AAT;Huberetal.,1983)untersucht.DerSchweregradderSprachstörungreichtevonleichtenSym-ptomen,diesichinderSpontansprachealsgelegentlicheWortfindungsstörungenäusserten,bishinzurschwerenAphasie,dieeineSprachproduktionnurnochaufEinwortebenezuliess.Semantisches Zuordnen wurde mitder Bogenhausener Semantik-Unter-suchung (BOSU; Glindemann et al.,

2002)untersucht,wobeiimFolgendendasHauptaugenmerkaufdemUnter-test3liegt,dessenAufgabendiesen-sitivsten des Tests für die Erfassung vonStörungendersemantischenVer-arbeitung darstellen (siehe Tab. 2).Auch in der semantischen Verarbei-tung gab es unterschiedlich schwerbetroffenePatienten.Einigemachtenkeinen Fehler im Untertest 3 derBOSU,anderedreibisvierFehler,wasin diesem Untertest ausserhalb desNormbereichs ist.

Tabelle 1: Probanden

ProbandNr.

Alter inJahren

Geschlecht Hemiparese Post-onset*

1 44 w Ja 1;4

2 42 w Ja 4;7

3 37 m Ja 3;10

4 43 m Ja 6;5

5 50 m ja 0;3

6 50 w Nein 0;9

7 54 m Rest 5;4

8 29 w Rest 0;3

9 52 w Ja 2;8

10 67 m nein 10;4

w = weiblich m = männlich *Jahre;Monate nach Ereignis

Tabelle 2: Untersuchungsergebnisse AAT und BOSU

ProbandNr.

Kommunikations-verhalten*

Token-test**

Nach-sprechen**

Schrift** Benennen** Sprach-verständnis**

BOSU3***

1 3 74 72 87 64 76 42 3 97 96 100 96 93 23 3 58 79 86 98 95 04 2 16 40 33 66 43 15 4 97 92 91 87 86 36 4 79 74 93 89 111 17 1 60 53 66 49 93 28 2 16 47 30 28 29 39 3 63 88 61 88 68 110 4 97 99 100 81 88 0

*Punktwerte **%Ränge ***N Fehler

Tabelle 1: Probanden

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1 WarnerBrothersUSA(2003).Sylvester&Tweety:Tweety’sSOS;UniversalStudiosGermany(2003).Mr.Bean:Goodnight,Mr.Bean,Kapitel2

Die Kontrollgruppe bildeten 20 gesun-de,deutschsprachigePersonen(zehnFrauenundzehnMänner).DieKontroll-personenhattenwederneurovaskulä-reErkrankungennochmotorischeEin-schränkungen.DasDurchschnittsalterbetrug48,9Jahre(28–72Jahre).

3.2 durchführung

DieProbandenhattendieAufgabe,ins-gesamt 9Ausschnitte aus «Silvesterund Tweety»-Zeichentrickfilmen undMr.Bean-Filmen1 nachzuerzählen.DieFilmewaren30bis90Sekundenlangund sprachfrei. Den Probanden warnichtbekannt,dassinderStudieihreGestikuntersuchtwürde.WährendderErzählungsassderProbanddemUn-tersuchergegenüberundwurdeübereinStandmikrophonundeineVideoka-mera in TonundBild aufgenommen.Dabeiwurdeversucht,einemöglichstnatürlicheGespächssituationzuschaf-fen, in der der Proband Blickkontaktzum Gesprächspartner hatte. Dieserproduzierte affirmative Äusserungenwiez.B.«hm»und«ja»;vermiedaberHandgestenzuproduzieren.DerPro-bandwurdenichtvomUntersucherun-terbrochen,biserdieHandlungdesFil-mes vollständig erzählt hatte bezie-hungsweise seine Nacherzählungbeendete.

3.3 auswertung

3.3.1 auswertung der spontan-sprache

Spontansprachanalyse mit ASPADieAuswertungderverbalenÄusserun-genwurdemitderAachenerSprachana-lyse(ASPA;Huberetal.,2005)durchge-führt.ASPAisteinComputerprogramm,mit dem Spontansprache transkribiertundhinsichtlichverschiedenerParame-teranalysiertwerdenkann.ZunächstwurdeeineNacherzählung,im Folgenden Boot1genannt,kompletttranskribiert.FürdieseGeschichtewur-dendieAnzahlderWörter,dieAnzahlderGestenunddieGeste-zu-Wort-Ra-te bestimmt. Ferner wurden Transkripte gleicherLängemit je 30 Phrasen von jedemProbanden erstellt, anhand derermitderAachenerSprachanalyseBasispa-rameter der Spontansprache bestimmt wurden.ZudiesemZweckwurdenausBoot1undeinemweiterenFilmjeweilsdieersten15Phrasen zusammenge-fügt.InzweiFällenwurdenzuwenigPhrasen indenbeidenFilmenprodu-ziert, sodass zusätzlichePhrasenei-nemdrittenFilmentnommenwurden(Patienten7,9).Transkriptionsmethode:DieTextewur-den nach den ASPA-Konventionen

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transkribiert. Dabei wird jedes Worthinsichtlich der Wortklassebewertet(Inhaltswörter,Funktionswörter,Inter-jektionen/Partikel, Neologismen). Au-sserdemwerdenneologistischeSilbenundunverständlicheÄusserungenmar-kiert.UmspäterdieType-Token-Ratioberechnenzukönnen,werdenhinterflektierteWörter dieGrundformen inKlammern geschrieben.DesWeiteren bestimmt der Untersu-cher die Phrasen.EinePhraseisteineÄusserung,dieeineSinneinheit(Propo-sition)beinhaltetundhöchstenseinfini-tesVerbodereinensatzwertigenInfini-tiventhält(Huberetal.,2005).DiePhra-sierung folgt einem hierarchischen Prinzip.Wenn Syntax in der Spontan-spracheerkennbarist,werdendiePhra-sengrenzennachsyntaktischenKriteri-engewählt,zumBeispielwirdeinein-geschobener Nebensatz in eine extraPhrase geklammert. Falls anhand derSyntax keine Phrasierungmöglich ist,mussaufdieIntonationzurückgegriffenwerden,soendetdiePhrasezumBei-spiel bei fallender Intonation. Wenn auch anhandderIntonationkeinePhrasener-kennbar sind,wirddiePausenstrukturund zuletzt die Semantik betrachtet.NachdemdiePhrasengrenzeneingeteiltsind,wirdjedePhraseaufihre Vollstän-digkeit hinbewertet.EinePhrasegiltalsvollständig,wenneinVerbunddievom Verb geforderten obligatorischen Ergänzungenenthaltensind.ASPAkannmitdemfertigenTranskriptein Ergebnisprotokoll berechnen. In

diesemwerdenParameter angezeigtzumUmfang(Wortanzahl,Gesprächs-zeit, Phrasenanzahl, Pausenanzahl,Wörter pro Minute), zur Wortwahl (Wörterderoffenenunddergeschlos-senenKlasse,Interjektionen,Neologis-men,Type-Token-Ratio),zumSatzbau (VollständigkeitderPhrasen,Phrasen-länge,komplexerodereinfacherSatz-bau)undzurProsodie (Pausenlänge,UnsicherheitenimSprechfluss).DieseParameterwurdenanhanddeserstell-ten30-Phrasen-Transkriptesberechnet.AusdemkomplettenBoot1-Transkriptwurden in den statistischen Berech-nungennurWortanzahlundDauerderNacherzählungverwendet.

Berechnung des Parameters D mit CLANDieDiversitätdesWortschatzeswur-demit dem Parameter D gemessen(McKeeetal.,2000).MitdemParame-terDkönnensowohlbesondersgro-sseSprachprobenalsauchextremklei-ne(jedochnichtunter50Wörtern)ana-lysiert werden, weil anhand einesmathematischen Modells die Type-To-ken-RatiounabhängigvonderToken-anzahlberechnetwird(ebd.).DerParameterDwirdmitderdafürent-wickelten vocd Software berechnet.MitdieserSoftwarewirdindieBerech-nung anhand eines mathematischen Modellsmiteinbezogen,dasssichdieType-Token-Ration mit zunehmenderLänge der Sprachstichprobe ändert. Die vocdSoftwareistTeildesChild Langua-

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ge Data Exchange System (CHILDES;MacWhinney,2000),eswirdmitHilfedesCLAN-Programms(Computerized Language Analyses; MacWhinney,2000)nachdenTranskriptionskonven-tionen von CHAT (Codes for the Human Analysis of Transkripts;MacWhinney,2000)verschriftet.

3.3.2 auswertung der Gestik

Bestimmen der GestenJedeBewegungderganzenHand,diezwischenzweiRuhephasenausgeführtwurde,wurdealsGesteerfasst.Auto-stimulativeSelbstberührungenundkur-zerhythmischeGesten(z.B.Fingertap-pen)wurdennichtindieAuswertungeinbezogen(vgl.Hogrefeetal.,2011füreinedetaillierteBeschreibungderMethode).SowurdedieAnzahlderinderNacherzählungBoot1produziertenGestenfestgelegt.Fernerkonntean-handderAnzahl derGestenundderAnzahlderWörter,dieindieserNach-

erzählungproduziertwurden,auchdieGeste-zu-WortRateberechnetwerden.Gestentranskription mit HamNoSysDieGestenwurdenmitdemHambur-ger Notationssystem für Gebärden-sprachen (HamNoSys;Prillwitzetal.,1989) ausgewertet. Dieses Systemwurdeentwickelt,umGebärdenspra-chen zu transkribieren. Es sollenmitdemZeichensystemallephysiologischmöglichenEigenschafteneinerGebär-debeschriebenwerdenkönnen.Ham-NoSysumfasstca.200Zeichen,fürdievorliegendeAuswertungwurdejedochein reduzierter Zeichensatz von 105Zeichen verwendet (siehe Hogrefe,2011füreineÜbersichtderausgewähl-ten Zeichen). Die Auswertung mitHamNoSysumfasstdieBeschreibungderAnfangskonfigurationderHandzuBeginnderGesteunddieAktion,alsodieBewegungderGeste(sieheAbb.2).DieZeichenwurdenmitdemCom-puterprogrammHamNoChart(Zierdtetal.,2006)eingegeben.

Abbildung 2: Beispiel Gestentranskription

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Die Anfangskonfiguration setzt sich zu-sammenausHandform,HandstellungundLokation.DieHandform besteht aus der GrundformderHand(Faust,flacheHand,Faustmit abgestreckten Fingern), Dau-menstellung und Beugung der Finger(flach,rundgebeugt,scharfgebeugt).Die Handstellung beschreibt die Orientierung derHandinnenflächeundderHandachse.Die Lokation wiederum beschreibt diePositionderganzenHandrelativzumKör-per.HierwerdendieOrteNase,Ohr,Wan-ge,Mund, Kinn, Kopf, über dem Kopf,Stirn,Augenbrauen,Augen,Hals,Schul-terebene,Brustebene,BauchebeneundUnterkörperunterschieden.InderBewegungderGestewerdenderBewegungstyp(geradlinig,kreisförmig,gewölbt,Schlangenlinie,Zickzackbewe-gung),dieGrösse der Bewegung und die Wiederholungenberücksichtigt.Nach diesen Parametern wurden je-weils die ersten sechs produziertenGestenderneunFilmnacherzählungentranskribiert.ImnächstenSchrittwur-defürjedenProbandderHammingab-stand berechnet. Dieses Diversitäts-massbeschreibtdieVielfältigkeitderGestik.DerHammingabstandbildetab,obdieGesteninFormundBewegungähnlichsindoderobderProbandsehrunterschiedlicheGestenproduziert.EswirdfürjedeGesteberechnet,inwievielenMerkmalensiesichvonjederderanderen Gesten unterscheidet. Dieswirdfüralle54Gestendesvollständi-genTranskriptesdurchgeführtundje-weilseinMittelwertberechnet.Darauf-

hinwirdderGrand Average der gesam-ten Mittelwerte berechnet. Hat einProbandvieleGestenmitunterschied-lichenMerkmalen (Handform,Bewe-gungstypetc.)produziert,wirddieserProbandeinenhohenmittlerenHam-mingabstandswerterreichen(Hogrefeet al., 2011). In die statistischenBe-rechnungendieserArbeitwurdenderHammingabstandunddieAnzahlderGesteninBoot1 einbezogen.Tabelle 3 liefert eine Übersicht über die Parameter,diedurchdieunter3.3be-schriebeneAuswertungderSpontan-spracheundderGestenfürweitereBe-rechnungenzurVerfügungstanden.

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Tabelle 3: Übersicht über sprachliche und gestische Parameter sowie Werte der Aphasiediagnostik

Tabelle 3 Übersicht über sprachliche und gestische Parameter sowie Werte der Aphasiediagnostik

Sprachliche Parameter Parameter derAphasiediagnostik

Parameter der Gestenproduktion

Wortanzahl in Boot1

Phrasenlänge

Phrasenvollständigkeit

Komplexität des Satzbaus

Anzahl Interjektionen

Anzahl Pausen

Lexikalische Diversität (D)

Type-Token Ratio

Kommunikationsverhalten(Spontansprachbewertung)

Token-Test

Nachsprechen

Schriftsprache

Benennen

Sprachverständnis

BOSU Untertest 3

Gestenanzahl

Geste-zu-Wort Rate

Diversität der Gesten(Hammingabstand)

Tabelle 4: Gestenparameter der Kontroll- und Patientengruppe

Kontrollgruppe Patientengruppe

Anzahl der Gesten in Boot1 0 – 44 (MW: 12,7 SD: 12,69) 3 – 30 (MW: 16,2 SD: 9,04)

Geste-zu-Wort Rate 0 – 0,22 (MW: 0,07 SD: 0,05) 0,02 – 0,75 (MW: 0,26 SD: 0,25)

Hammingabstand 1,62 – 4,55 (MW: 3,77 SD: 0,71) 3,5 – 4,9 (MW: 4,48 SD: 0,42)

MW = Mittelwert SD = Standardabweichung

4. Ergebnisse

4.1 Gruppenvergleich zwischen aphasischen Patienten und Kontrollpersonen

ImerstenSchrittwurdendieErgebnis-sederPatientengruppemitdenenderKontrollgruppeverglichen.Begründetauf dem Sketch-Modell bestand hierfolgendeAnnahme:

Aphasische Sprecher versuchen ihre eingeschränkte verbale Ausdrucksfä-higkeit durch vermehrten und vielfälti-geren Gesteneinsatz zu kompensieren. FallsdiesderFallist,solltendiePatien-tenmehrGestenproduziert haben alsdieKontrollpersonenunddieGestensoll-ten eine höhere Diversität aufweisen.EinedeskriptiveGegenüberstellungderGestenparameter der beiden Proband-engruppenfindetsichinTabelle4.

Tabelle 3 Übersicht über sprachliche und gestische Parameter sowie Werte der Aphasiediagnostik

Sprachliche Parameter Parameter derAphasiediagnostik

Parameter der Gestenproduktion

Wortanzahl in Boot1

Phrasenlänge

Phrasenvollständigkeit

Komplexität des Satzbaus

Anzahl Interjektionen

Anzahl Pausen

Lexikalische Diversität (D)

Type-Token Ratio

Kommunikationsverhalten(Spontansprachbewertung)

Token-Test

Nachsprechen

Schriftsprache

Benennen

Sprachverständnis

BOSU Untertest 3

Gestenanzahl

Geste-zu-Wort Rate

Diversität der Gesten(Hammingabstand)

Tabelle 4: Gestenparameter der Kontroll- und Patientengruppe

Kontrollgruppe Patientengruppe

Anzahl der Gesten in Boot1 0 – 44 (MW: 12,7 SD: 12,69) 3 – 30 (MW: 16,2 SD: 9,04)

Geste-zu-Wort Rate 0 – 0,22 (MW: 0,07 SD: 0,05) 0,02 – 0,75 (MW: 0,26 SD: 0,25)

Hammingabstand 1,62 – 4,55 (MW: 3,77 SD: 0,71) 3,5 – 4,9 (MW: 4,48 SD: 0,42)

MW = Mittelwert SD = Standardabweichung

Tabelle 4: Gestenparameter der Kontroll- und Patientengruppe

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Bei dieser Gegenüberstellung wirddeutlich,dassdieaphasischenPatien-ten im Durchschnittmehr Gesten inFilm Boot1produziertenalsdiegesun-denPersonen.DieserUnterschiedwarjedochnichtsignifikant.DieErzählun-genderPatientenwarenjedochkürzer

undwenigerwortreichalsdiederKon-trollgruppe, so dass die aphasischenSprecher eine höhere Geste-zu-WortRatealsdiegesundenSprechererziel-ten(Mann-WhitneyTest,Z=-2,817,p<0,01;sieheAbb.3).

Abbildung 3: Gruppenvergleich Geste-zu-Wort Rate Abbildung 4: Gruppenvergleich Hammingabstand

AuchderGruppenunterschiedinBezugaufdenHammingabstandwarsignifi-kant.AphasischePatientenproduzier-tendemnachdiversereGestenalsge-sundeProbanden(Mann-WhitneyTest,Z=-3,051,p<0,01;sieheAbb.4).Aus-serdemistanderGegenüberstellungdeutlichzusehen,dassdieDiversitäts-werteinderPatientengruppewenigerstreuen. In der Kontrollgruppe gibt es hingegen eine grosse Variabilität in der DiversitätderGestik.Die Ergebnisse bestätigen unsere ers-te Hypothese: Aphasische Sprecherversuchenihreeingeschränkteverba-leAusdrucksfähigkeitdurcheinenver-

mehrtenundvielfältigerenGestenein-satzzukompensieren.

4.2 Zusammenhang zwischen sprachlichen Parametern und Gestik bei Patienten mit aphasie

IneinemzweitenSchrittwurdenachZusammenhängen sprachlicher Fä-higkeitenundderGestikinnerhalbderPatientengruppe gesucht. Auf dertheoretischenGrundlagedesSketch-ModellswurdefolgendeHypotheseaufgestellt:Sprecher mit schweren sprachlichen Beeinträchtigungen produzieren mehr

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Abbildung 5: Zusammenhang zwischen Phrasenvollständigkeit und -länge und Geste-zu-Wort Rate

DesWeiterenzeigtesicheinZusam-menhang zwischen der lexikalischenDiversität (D) und der Geste-zu-WortRate(Pearson,r=-0,790,p<0,01;sie-heAbb.6).Patientenmiteinerhohenlexikalischen Diversität produzierten

wenigerGestenalsPatienten,dieeinegeringeDiversität imWortschatzauf-wiesen.EszeigtensichkeineweiterenZusammenhänge zwischen sprachli-chenundgestischenParametern.

und diversere Gesten als Sprecher mit leichten Sprachstörungen.Um diese Hypothese zu überprüfen,wurde nach Zusammenhängen zwi-schensprachlichenParameternsowieWertenderAphasiediagnostikundPa-rametern der Gestenproduktion ge-sucht(sieheTab.3).DieBerechnungenzeigteneinensignifi-kanten Zusammenhang zwischen derPhrasenlänge und der Geste-zu-WortRate(Pearson,r=-0,75,p<0,05;siehe

Abb. 5). Patienten, die nur sehr kurzePhrasenbildeten(diemeistnurauswe-nigenWörternbestanden),verwendetenmehr Gesten als Patienten, die langePhrasenproduzierten.EinähnlicherZu-sammenhangzeigtesichauchzwischenderPhrasenvollständigkeitundderGes-te-zu-WortRate(Pearson,r=-0,92,p<0,01,sieheAbb.5).Jemehrvollständige PhraseneinPatient produzierte, destowenigerGestenproduzierteer.

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SignifikanteKorrelationenzwischendenUntertests des AATs und der Gestikwurdennichtgefunden.NurdieBewer-tungfürdasKommunikationsverhalteninderSpontansprachskaladesAATskor-reliertenegativmitderGeste-zu-WortRate(Spearman,r=-0,80,p<0,01).DieUntersuchung des Einflusses dersemantischen Verarbeitung ergab Fol-gendes:JemehrFehlerinUntertest3derBOSUgemachtwurden,destoge-ringerfieldieDiversitätderGestikaus.Dieser Zusammenhang war jedochnichtsignifikant(Spearman:r=-0,62,p=0,056).Die Ergebnisse bestätigen einen Teil un-sererzweitenHypothese:PatientenmitschwererensprachlichenBeeinträchti-gungen produzierenmehr Gesten alsPatientenmitleichtenSprachstörungen.

5. Diskussion

ImGruppenvergleichvonPatienten-undKontrollgruppezeigtesichindieserUn-tersuchung deutlich, dass die aphasi-schenPatientenfähigwaren,Gestenzuproduzieren.DiePatientengruppewieseinehöhereGeste-zu-WortRateaufalsdiegesundenSprecherundproduzierteeinegrössereVielfaltanGesten.Dierei-ne Gestenanzahl war bei den aphasi-schenSprechernebenfallshöheralsbeiderKontrollgruppe,dieserUnterschiedwar aber nicht signifikant. Eswäre je-dochfalsch,diesesErgebnissoauszule-gen, dassPatientenmitAphasie nichtmehrGestenproduzierenalsgesundeSprecher.BereitsFeyereisen(1983)hatbeschrieben,dassanstattderreinenAn-zahlanGestendieGeste-zu-WortRateberechnetwerdenmuss,umeineme-thodisch korrekte Vorgehensweise zugewährleisten. Feyereisen (1983) be-gründetdiesesVorgehendamit,dassdie

Abbildung 6: Zusammenhang zwischen lexikalischer Diversität (D) und Geste-zu-Wort Rate

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meistenGesten sprachbegleitend pro-duziertwerdenundsomiteingesunderSprecher, der vielmehrWörter in derNacherzählungproduziertalseinverbaleingeschränkter aphasischer Patient,auchmehrGelegenheitenhat,sprachbe-gleitendzugestikulieren.DieGeste-zu-WortRatebildetab,dassaphasischePa-tientenimVerhältniszurverbalenKom-munikationvermehrtInformationenüberdiegestischeModalitätausdrücken.Die-seBeobachtungensprechendafür,dassdiePatientenversuchen,durchdieges-tische Modalität ihre verbalen Beein-trächtigungenzukompensieren.EskonntedesWeiterengezeigtwerden,dasszwischenderSprachproduktionderaphasischen Patienten und den gesti-schenParameternZusammenhängebe-stehen. Die lexikalische Diversität, diePhrasenlänge und -vollständigkeit stan-denimZusammenhangmitderGeste-zu-WortRate.Patienten,dieSchwierigkei-tenhatten,langeundvollständigePhra-sen zu produzieren und einen wenigdiversenWortschatzaufwiesen,gestiku-liertenbesondersviel.AphasischePati-enten verwendeten hingegen wenigerGesten,wennsiesichverbal rechtgutausdrückenkonntenundlange,vollstän-digePhrasenmit einemhohen lexikali-schenDiversitätsgradproduzierten.AuchdieserZusammenhangvoneingeschränk-terSpracheundvermehrtemGestenein-satzsprichtdafür,dassGestikumsomehrkompensatorischverwendetwird,jegrös-serdiesprachlichenBeeinträchtigungensind.EsbestätigtzudemdiezuBeginn

genannteHypotheseundlässtsichwie-derummitdemSketch-Modell(deRuiter,2000)erklären.IndiesemModellwirdda-vonausgegangen,dassSpracheundGes-tendenselbenUrsprungsortimConcep-tualizerhaben.Dortwirdeinemultimoda-le Nachricht geplant. Wenn nun eine Modalität, im Falle einer Aphasie diesprachlicheModalität,ausfällt,werdenIn-formationen vermehrt über die gestische Modalitätvermittelt.DeRuiter(2006)be-schreibtdiesesPhänomenmitdemBe-griff der mutually adaptive Modalities. InteressantistdieBeobachtung,dassdieSchwere der verbalen BeeinträchtigungkeinenEinflussaufdieDiversitätderGes-ten,denHammingabstand,hatte.DiePa-tienten erzielten unabhängig von ihrensprachlichen Ausdrucksmöglichkeitendurchweg hohe Hammingabstände. Esbleibtzuvermuten,dassdieSprechermitden geringen sprachlichen Beeinträchti-gungenamBeginnihrerAphasiemehraufden Einsatz von bedeutungstragendenGesten angewiesen waren. Bei diesenSprechernkönntesichmitsteigendenver-balenKompetenzendieFrequenzdesGes-teneinsatzesgesenkthaben,währenddieQualitätderGestenbeibehaltenwurde.DieErgebnissedieserUntersuchungzei-gensehrdeutlich,dassGestikbeiApha-sienichtpersegestörtist,wieandereAutoren beschrieben haben (u.a. Cicone etal.,1979;Glosseretal.,1986).Eszeig-te sich in dieser Untersuchung, dassMenschenmitAphasiemehrGestenalsgesundeSprecherproduzierten,wasvoneinigen Autoren ebenfalls beschrieben

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wurde(u.a.Herrmannetal.,1988;Fey-ereisen,1983;leMayetal.,1988;Hadar,1991). Ausserdem wurde festgestellt,dassschwererbetroffenePatientenmitAphasiemehrgestikuliertenalsleichterbetroffene. Dies spricht gegen die Ergeb-nissevonGlosseretal.(1986),diebe-schreiben,dassPatientenmitschwererSprachstörung in ihrerGestenprodukti-onstärkerbeeinträchtigtsindalsweni-gerschwerBetroffene.DieErgebnissedesGruppenvergleichsuntermauerndieHypothese,dassGes-ten von aphasischen Menschen als Kompensationsmechanismusgenutztwerdenkönnen.Esbleibtjedochoffen,obaphasischePatientendurchdenver-mehrtenGesteneinsatzzueinererfolg-reicherenKommunikationgelangen.Dain dieser Arbeit weder Gestentypennoch deren kommunikative Funktionerfasstwurdenundauchunklarbleibt,obdie produziertenGesten vomGe-sprächspartner verstanden werden,kannandieserStelleleiderkeineAus-sageüberdenkommunikativenNutzenderGestengetroffenwerden.EineUn-tersuchung zur Verständlichkeit vonGestenbeiaphasischenPatientenfin-detsichbeiWiesmayeretal(2011,die-seAusgabe).Wenn nun die Ergebnisse dieser Ar-beitdafürsprechen,dassPatientenmitAphasieGestenproduzierenkön-nen, stellt sich die Frage an denSprachtherapeuten,welcheSchlüsseund Handlungsempfehlungen für die Praxisgezogenwerdensollten.

ImdiagnostischenProzesswerdenmeistvorrangigverbaleFähigkeiteneinesPati-enten mit Aphasie überprüft. In dieser Studie zeigte sich jedoch kein Zusam-menhangzwischendenWertenderUn-tertests des Aachener Aphasie Tests (Hu-beretal.,1983)undderFähigkeit,Ges-tenzuproduzieren.Diesbedeutet,dassinderPraxisdienonverbalenFähigkeitengezieltüberprüftwerdensollten,damitmöglicheRessourcenzurKompensationnichtübersehenwerden.Leiderfehltbis-her ein standardisiertes Prüfverfahren,um gestische Fähigkeiten bei Aphasiegezieltzutesten.DennochkannbereitsinderKommunikationmitdemPatien-tendaraufgeachtetwerden,obdieserspontanGesteneinsetzt,obdieseInfor-mationübermittelnundsomitzumkom-munikativenErfolgbeitragen.Eswareindeutigzuerkennen,dassdiehieruntersuchtenPatientenmitApha-sieinderLagewaren,Gestenzuprodu-zieren und diese ohne AufforderungspontanineinerNacherzählsituationein-setzten.DerEinsatzvonGestenwurdevondiesenPatientenalsStrategieinderKommunikationangewandt,umeinge-schränkteverbaleAusdrucksfähigkeitenauszugleichen.DieserKompensations-mechanismus könnte imRahmenderSprachtherapie weiter ausgebaut undforciertwerden.Esistjedochzubeden-ken,dassdiehieruntersuchtenGestenalle spontan, ohne Aufforderung undeventuellauchunbewusstvondenPa-tienteneingesetztwurden.Soistzuhin-terfragen,inwieweitderGesteneinsatz

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geübtwerdenkannoderobdieserzustark von derNatürlichkeit undUnge-zwungenheitderGesprächssituationab-hängt.EinigeAutorenäussernBeden-ken,dasswenigTransferindenAlltaggeschieht,wennGestenoderGebärdenwie Vokabeln auswendig gelerntwer-den(Coelho&Duffy,1987;Rose,2006).Diessollte imklinischenAlltagBeach-tungfindenunddasTherapiesetting,dieLernstrategie und die Transfersicherung dementsprechend vom Sprachtherapeu-tenangepasstundausgewähltwerden.

Danksagung

DieseStudieentstandalsBachelorar-beit der Erstautorin im Studiengang SprachtherapieanderLudwig-Maximi-lians-UniversitätMünchenundwurdeim Projekt «Kognitive und neuronaleGrundlagensprachersetzenderGestik»(Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG,GO968/3-2)durchgeführtundbe-treut. Die Rekrutierung der aphasi-schen Probanden erfolgte über dieSelbsthilfegruppe«JungeAphasiker»desBayrischenLandesverbandes fürdieRehabilitationderAphasikere.V.so-wiedieKlinikfürNeuropsychologie,Kli-nikumBogenhausen,StädtischesKli-nikumMünchenGmbH.WirbedankenunsganzherzlichbeidenProbandenfürdieTeilnahmeanderStudie!

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ISSN 1664-8595 Aphasie und verwandte Gebiete 3/201138

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Anschrift:EKN–EntwicklungsgruppeklinischeNeuropsychologie,KlinikfürNeuropsychologie,KlinikumBogenhausen,StädtischesKlinikumMünchenGmbHDachauerStr.164,80992MünchenE-Mail:[email protected]

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Aphasie und verwandte Gebiete 3/2011 ISSN 1664-8595 39

Sag es mit den Händen! Welches Potenzial bergen Gesten für die Kommunikationsfähig-keit aphasischer Sprecher?Susanne Wiesmayer, Katharina Hogrefe, Wolfram Ziegler, Georg Goldenberg

ZusammenfassungEsherrschtUneinigkeit,obaphasischeSprechernonverbaleKommunikationsmitteloptimalfürdieVerständigungnutzenkönnen.SogibteszumeinendenStandpunkt,dassGestikundSprachevoneinanderrelativunabhängigsindundsomitBeeinträchti-gungenderverbalenModalitätzumindestteilweisedurchdienonverbaleModalitätkom-pensiertwerdenkönnen.ZumanderenwirddieMeinungvertreten,dassdieVerknüp-fungderbeidenModalitätensoengist,dassbeiAphasieSpracheundGestikparallelbeeinträchtigtsind.IndieserUntersuchungüberprüfenwirdenEinflussderSchwerederAphasieaufdieFähigkeit,Inhaltenonverbalverständlichzukommunizieren.DabeistellenwirdieFrage,obaphasischeSprecherihrnonverbaleskommunikativesPoten-zialineinerErzählsituationvollausschöpfen.

AbstractWhetheraphasicspeakersusenon-verbalmeansofcommunicationefficientlyremainsa matter of controversy. Some authors claim that gesture and speech function indepen-dentlyofeachother.Hence,deficienciesoftheverbalmodalitycouldbecompensatedthroughthenon-verbalmodality.Anotherpointofviewisthatgestureandspeechpro-ductionaresocloselyintertwinedthatthelanguageimpairmentisaccompaniedbyasimilarimpairmentofgestureproduction.Thiswouldpreventaphasicspeakersfromusinggesturesasanalternativemeansofcommunication.Inthisstudy,weinvestiga-tetheinfluenceoftheseverityofaphasiaontheabilitytoproducecomprehensiblege-stures.Weaskthequestionwhetheraphasicspeakersmakeuseoftheirfullnon-ver-bal potential in narrations.

RésuméLaquestiondel’utilisationoptimaledemoyensdecommunicationnon-verbauxchezlespersonnesaphasiquesdemeureunsujetdecontroverses.Certainsauteursavan-cent que les fonctions langagières et gestuelles sont relativement indépendantes lesunesdesautres.Parconséquent,desdéficitsaffectantlamodalitéverbalepour-raientêtrecompensésparlerecoursàlamodaliténon-verbale.Al’inverse,d’autresauteurs stipulent que la production du langage et celle de gestes est si étroitement liée que les troubles phasiques s’accompagnent indéniablement d’une altération sur

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ISSN 1664-8595 Aphasie und verwandte Gebiete 3/201140

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leplangestuel.Danscetteétude,nousnousinterrogeonssurl’influencedelasé-vérité de l’aphasie sur les capacités de transmettre de façon satisfaisante des con-tenusnon-verbaux,etplusparticulièrementsurlamanièredontlespersonnesapha-siques font usage de leur potentiel de communication non-verbale dans une situa-tion de narration.

1. Einleitung

Lebensqualitätkannzueinemgros-senTeildavonabhängen,wiewirmitanderenkommunizieren,denndurchdengegenseitigenAustauschwerdenTeilhabe und soziale Beziehungenmöglich.Menschen mit Aphasie sind durch ihresprachlichenBeeinträchtigungeninihrerKommunikationsfähigkeitmit-unter stark eingeschränkt. Je nachSchweregradderAphasiesindsieinunterschiedlichem Ausmass auf an-dereKommunikationsmittelangewie-sen,umihreIntentionenmitzuteilen.DenGestenkommtindiesemZusam-menhangbesondereBedeutungzu,dasieeinnatürlichesMittelzurKom-munikationdarstellenfürdaskeiner-lei Hilfsmittel erforderlich sind. Ver-schiedene Therapieansätze stützensich daher auf das Training eines ad-äquatenGesteneinsatzes.Jedoch gibt es kontroverse Annah-mendarüber,obdiegestischeModa-lität bei Menschen mit Aphasie grund-sätzlichintaktundsomitinderThe-rapie als Ressource anzusehen ist.Einige Autoren sehen die Aphasie als sprachspezifischeStörungan,beider

eineKommunikationübernonverba-leKanälemöglichistunddieseauchverstärkt genutzt werden (Rose &Douglas,2003;DeRuiter,2006).Die-seAnnahmesetzteineweitestgehen-deUnabhängigkeitdersprachlichenund gestischen Modalität voraus. Treten dennochSchwierigkeitenimBereichderGestik auf, so sind diese FolgeandererneuropsychologischerBeein-trächtigungen wie beispielsweiseGliedmassenapraxien.ImGegensatz dazu steht dieAuffas-sung,dieAphasieseiTeileinerüber-greifendenkonzeptuellenStörungdesSymbolgebrauchs. Demnach ist die ProduktionvonSpracheundGestikingleichem Masse betroffen (McNeill,1985;Glosseretal.,1986).WissenschaftlicheUntersuchungenlie-fern jedochkeineeindeutigenAussa-genüberdieFähigkeitenundDefiziteim Gebrauch von Gesten bei Men-schenmitAphasie.EinAspekt,derinbisherigen Studien nicht ausreichend untersuchtwurde,jedochfürdenAll-tagdieserMenschenvonenormerBe-deutungist,istdieVerständlichkeitih-rerGesten.HiersetztdievorliegendeUntersuchungan.

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Aphasie und verwandte Gebiete 3/2011 ISSN 1664-8595 41

Aus der folgenden Überlegung lässt sichdieersteFragestellungdieserUn-tersuchung ableiten: Würden Men-schenmitAphasieGestenkommuni-kativundkompensatorischeinsetzen,somüsstenineinerKommunikations-situation wie etwa einer Erzählungumso mehr Inhalte gestisch vermittelt werden,jegrösserdiesprachlichenBe-einträchtigungen sind. DieGestenvonPersonenmitschwere-ren Aphasien sollten also mehr semanti-scheAspekteenthaltenundsomitfürdenGesprächspartnerverständlichersein,alsdieGestenleichterBetroffener,dienachdieser Theorie primär die sprachliche Mo-dalitätzurVermittlungvonInhaltenwäh-lensollten.ImFalleeinerparallelenBe-einträchtigung von Sprache undGestik(u.a.McNeill,1985)wärehingegenzuer-warten,dassPersonenmitAphasieumsoweniger semantische Inhalte gestischvermitteln und derenGesten somit fürdenGesprächspartnerumsounverständ-lichersind,jeschwererderensprachlicheBeeinträchtigungensind.Daraus ergibt sich folgende erste Fra-gestellungdieserArbeit:

1.BestehteinZusammenhangzwischenderVerständlichkeitdersprachbegleitendenGestikund derSchwerederAphasie?

Allerdingshabensprachlichwenigerbe-einträchtigtePersonennichtdiegleicheNotwendigkeit,nonverbaleKommunika-tionsmittel einzusetzenwie Personen

mitschwerenAphasien.PersonenmitleichtenSprachstörungenkönntenmit-telsGestikeinfachdeshalbwenigerIn-halte vermitteln, weil sie dazu in derLagesind,allegewünschtenInhaltever-bal zu kommunizieren. Man könntedann keine Rückschlüsse auf die tat-sächlichegestischeKompetenzdieserPersonen ziehen. Aus diesem GrundsolltenauchGesten,dieohnebegleiten-deSpracheproduziertwerden,genau-erbetrachtetwerden.ZudiesemZweckwurdendieTeilnehmerderStudieauf-gefordert,kurzeGeschichtenreinnon-verbal,nurmittelsHandgestennachzu-erzählen. Im Folgenden werden dieGesten,dienacheinerderartigenAuf-forderungproduziertwerden«spracher-setzendeGesten»genannt.Bei einer parallelen Beeinträchtigungvon Sprache und Gestik (vgl. u.a.McNeill, 1985) sollten Personen mitAphasiedurchGestenohnebegleiten-de Sprache umso weniger semanti-scheAspektevermittelnkönnenundsomitfürdenGesprächspartnerumsowenigerverständlichsein,jeschwererdie Aphasie ist. Wenn hingegen die Gestikerhaltenwäre,solltesichkeinZusammenhangmitderSchwerederAphasie zeigen (vgl. u.a. De Ruiter,2006).Essolltenvielmehrdiespracher-setzendenGestenallerPersonenmitAphasieunabhängigvonderSchwereihrerlinguistischenBeeinträchtigungenähnlich viele semantische Inhalte ver-mitteln und dadurch gleichermassen verständlich sein.

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ISSN 1664-8595 Aphasie und verwandte Gebiete 3/201142

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DarauslässtsichdiezweiteFragestel-lungdieserArbeitableiten:

2.BestehteinZusammenhangzwischenderVerständlichkeitdersprachersetzendenGestikund derSchwerederAphasie?

EinVergleichderVerständlichkeitdersprachbegleitenden und der Verständ-lichkeitdersprachersetzendenGestikkannzeigen,obPatientenihrkommu-nikativesnonverbalesPotenzialindernormalenErzählsituationvollausschöp-fen. Dieser Vergleich ist insbesondere von Bedeutung für mittelgradig bisschwer beeinträchtige Patienten, dievomEinsatznonverbalerKommunika-tionsmittelbesondersprofitierenkön-nen:SetzendiesePersonenGestikbe-reits ohne explizite Aufforderung einoder produzieren sie verständlichereGesten,wennsiedirektaufderenEin-satzhingewiesenwerden?DieseÜberlegungführtzurfolgendenFrage:

3.GelingtesdenPatientenaufAufforderung mehr Inhalte ges-tischzuvermitteln?

SchliesslichwerdenweiteremöglicheEinflussfaktorenüberprüft.EsgibtHin-weise,dasssowohldieProduktionvondifferenzierten Gesten als auch derfunktionaleEinsatzanderernonverba-lerKommunikationsmittelnichtnurmitder Schwere der Aphasie, sondern

auch mit den Leistungen in der seman-tischen Verarbeitung zusammenhän-gen(vgl.Fucetolaetal.,2006;Hogre-feetal.2011).FernerwirdderEinflussderApraxiekontroversdiskutiert.Wäh-rendeinigeAutorendaraufhinweisen,dassderEinsatzspontanerGestikunddie Leistungen in der Apraxiediagnos-tikdissoziierenkönnen(Lausbergetal.,2000; Lott, 1999; Rose & Douglas,2003),zeigenandereStudieneinenEin-flussderApraxieaufdieQualitätbzw.dieVerständlichkeitvonGesten(Feye-reisenetal.,1988;Hogrefeetal.2011).SostelltsichdiefolgendeFrage:

4.BestehteinZusammenhangzwischenderVerständlichkeitderGestikundderAusprägungvonbegleitenden neuropsychologi-schenStörungenwiederApraxieoder Leistungen in der semanti-schenVerarbeitung?

UmdieseFragenzubeantworten,wur-dedieGestikvonPersonenmitApha-sieimRahmenvonNacherzählungenuntersucht. Dabei wurden die Ge-schichteneinmalohnespezifischeIn-struktionnacherzähltundeinmal reingestisch,nurmitHändenundohnever-baleÄusserungen.DieGestenbeiderBedingungensowiedieverbalenÄus-serungendererstenBedingungwur-den dann durch neurologisch gesunde Bewerterbeurteilt.

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Aphasie und verwandte Gebiete 3/2011 ISSN 1664-8595 43

2. Methode

2.1 stichprobe

DieStichprobeumfassteachtPersonenmitAphasie,aufdiefolgendeAuswahl-kriterien zutrafen: alleTeilnehmerwa-renvoneinerAphasiebetroffen,zudemhatten alle Deutsch als Muttersprache. Andere neurodegenerative Erkrankun-gensowieAlkohol-oderDrogenmiss-brauchkonntenaufderGrundlagevonArztbriefen ausgeschlossen werden.MitkeinemderTeilnehmerwurdeeinexplizitesGestentrainingdurchgeführt,

es erhielten jedoch alle Personen imRahmen ihrer Rehabilitation Sprachthe-rapie, die auch Therapie nach demPACE-Verfahren(Davis&Wilcox,1985)einschloss. EslagvonallenPersoneneineschriftli-che Einverständniserklärung über diefreiwilligeTeilnahmevor.Ausschliess-lichRechtshändermitfokalenlinkshe-misphärischenLäsionenwurdenindieStudieaufgenommen.EineZusammen-fassung der demographischen Daten sowieAngabenzurÄtiologiederHirn-schädigung,zuHemipareseundzuDau-erderAphasiefindensichinTabelle1.

14

Tabelle 1: Geschlecht, Alter und Angaben zur Hirnschädigung

Person Geschlecht Alter Ätiologie Hemiparese rechts Aphasie seit¹

1 m 65 Ischämie nein 0;6

2 m 54 Ischämie leichte Resthemiparese 5;4

3 m 43 Ischämie ja 6;6

4 w 29 Blutung nein 0;3

5 w 52 Ischämie ja 2;8

6 w 42 Ischämie ja 4;7

7 m 37 Ischämie ja 3;10

8 m 67 Ischämie nein 10;4

m = männlich w = weiblich 1Angabe in Jahre;Monate

Tabelle 2: Diagnostik AAT, BOSU, Pantomimeprüfung

Person AAT

Syndrom1 Spontansprache2 TT3 NS3 SS3 BEN3 SV3

BOSU

Subtest3

Apraxieprüfung

Pantomime Apraxie

1 Wernicke 1-5-3-2-3-3 16 10 21 20 27 3 38 ja

2 Broca 1-3-4-3-2-1 60 53 66 49 93 2 45 nein

3 Broca 2-4-3-3-3-2 16 40 33 66 43 1 47 nein

4 Wernicke 2-5-3-3-4-3 16 47 30 28 29 3 46 nein

5 amnestisch 3-4-4-4-4-4 63 88 61 88 68 1 47 nein

6 amnestisch 3-5-5-4-5-3 97 96 100 96 93 2 53 nein

7 Broca 3-5-5-3-4-3 58 79 86 98 95 0 52 nein

8 amnestisch 4-5-5-4-5-4 97 99 100 81 88 0 51 nein

1nach klinischem Bild, da die Klassifikation nach ALLOC bei einigen Personen deutlich von den Merkmalen derSpontansprache abweicht

2Kommunikationsverhalten – Artikulation und Prosodie – Automatisierte Sprache – Semantische Struktur –Phonematische Struktur – Syntaktische Struktur; Angabe in Punktwerten (0 = sehr schwere Beeinträchtigung, 5 =keine Beeinträchtigung)

3TT = Token Test, NS = Nachsprechen, SS = Schriftsprache, BEN = Benennen, SV = Sprachverständnis; Angabein Prozenträngen

Diagnostika)AachenerAphasieTest(AAT;Huberetal.,1983):SoweitkeineaktuellenWertedesAATvorlagen,wurdedie-ser mit den Teilnehmern durchge-

führt, um ein standardisiertes ProfilderlinguistischenKompetenzenzuer-halten.

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FORuM

ISSN 1664-8595 Aphasie und verwandte Gebiete 3/2011

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Tabelle 1: Geschlecht, Alter und Angaben zur Hirnschädigung

Person Geschlecht Alter Ätiologie Hemiparese rechts Aphasie seit¹

1 m 65 Ischämie nein 0;6

2 m 54 Ischämie leichte Resthemiparese 5;4

3 m 43 Ischämie ja 6;6

4 w 29 Blutung nein 0;3

5 w 52 Ischämie ja 2;8

6 w 42 Ischämie ja 4;7

7 m 37 Ischämie ja 3;10

8 m 67 Ischämie nein 10;4

m = männlich w = weiblich 1Angabe in Jahre;Monate

Tabelle 2: Diagnostik AAT, BOSU, Pantomimeprüfung

Person AAT

Syndrom1 Spontansprache2 TT3 NS3 SS3 BEN3 SV3

BOSU

Subtest3

Apraxieprüfung

Pantomime Apraxie

1 Wernicke 1-5-3-2-3-3 16 10 21 20 27 3 38 ja

2 Broca 1-3-4-3-2-1 60 53 66 49 93 2 45 nein

3 Broca 2-4-3-3-3-2 16 40 33 66 43 1 47 nein

4 Wernicke 2-5-3-3-4-3 16 47 30 28 29 3 46 nein

5 amnestisch 3-4-4-4-4-4 63 88 61 88 68 1 47 nein

6 amnestisch 3-5-5-4-5-3 97 96 100 96 93 2 53 nein

7 Broca 3-5-5-3-4-3 58 79 86 98 95 0 52 nein

8 amnestisch 4-5-5-4-5-4 97 99 100 81 88 0 51 nein

1nach klinischem Bild, da die Klassifikation nach ALLOC bei einigen Personen deutlich von den Merkmalen derSpontansprache abweicht

2Kommunikationsverhalten – Artikulation und Prosodie – Automatisierte Sprache – Semantische Struktur –Phonematische Struktur – Syntaktische Struktur; Angabe in Punktwerten (0 = sehr schwere Beeinträchtigung, 5 =keine Beeinträchtigung)

3TT = Token Test, NS = Nachsprechen, SS = Schriftsprache, BEN = Benennen, SV = Sprachverständnis; Angabein Prozenträngen

Die Werte der formalen Aphasie-Tes-tungjedesTeilnehmerssindinTabelle2zusammengefasst.ImKommunikati-onsverhaltenderSpontansprachbewer-tungdesAachenerAphasieTestswur-dedieSprachproduktionkeinesTeilneh-mersalsunauffälligeingeschätzt,eine

PersonwiesleichteBeeinträchtigungenauf,alleanderenwurdenaufdieserSka-laalsmittelbisschwerbeeinträchtigteingestuft.DiePersonenwerdenindenTabellensowieindenGrafikenaufstei-gendnachdenWertenimKommunika-tionsverhalten aufgeführt.

b)BogenhausenerSemantik-Untersu-chung (BOSU; Glindemann et al.,2002):Die Fähigkeiten der semanti-schen VerarbeitungwurdenmithilfederBOSUerhoben.Dieseermöglichtdie Einschätzung der semantischenVerarbeitung bei Menschen mit Apha-sie unabhängig von der sprachlichen Beeinträchtigung,dasiekeineverba-lenÄusserungen fordert. Insgesamt

bestehtdieBOSUausfünfUntertestsmitjeweilszehnTestaufgaben.Keiner der Teilnehmer wies Beein-trächtigungen in den ersten beiden UntertestsderBOSUauf.DaabeinerFehlerzahlvon3inSubtest3eineBe-einträchtigung der semantischen Ver-arbeitungindiesemBereichvorliegt,wurdendiePersonen1und4alsauf-fällig eingestuft.

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Aphasie und verwandte Gebiete 3/2011 ISSN 1664-8595 45

c)Pantomimeprüfung(Goldenbergetal.,2003,2007):ZurÜberprüfungei-ner Gliedmassenapraxie wurde derPantomime-TestvonGoldenbergetal.(2003,2007)durchgeführt.Diesertes-tet die Ausführung kommunikativerGesten auf Aufforderung. Der Testumfasst pantomimische Darstellun-genderVerwendungvon20Alltags-objekten,dienachverbalerAufforde-rung ausgeführtwerden sollen (z.B.«ZeigenSiebitte,wiemaneinenAp-fel isst.»).Sprachverständnisschwie-rigkeitenwerdendurchdiegleichzei-tigeVorlageeinesBildesberücksich-tigt,aufwelchemdasObjektzusehenist,dessenGebrauchdargestelltwer-densoll(z.B.einApfel).Dieausgeführ-tenGestenwerdenhinsichtlich cha-rakteristischer Merkmale der Hand-stellungundderBewegungbewertet.DabeikanneinmaximalerPunktwertvon 55 erreichtwerden. Ein Patientgilt in dieser Prüfung als auffällig,wennerwenigerals45Punkteerzielt.

LediglichbeiPerson1lageineGlied-massenapraxie vor.

2.2 datenerhebung

Die Teilnehmermit Aphasie erzähl-ten 6 verschiedene Videoclips nach («Mr.Bean»-Filme1 und «Sylvester &Tweety»-Cartoons2).DieFilmeenthal-ten keine gesprochene Sprache undsind somit auch für Menschen mit Sprachverständnisstörungennachvoll-ziehbar.IneinererstenUntersuchungs-einheit wurden die Filme «normal»nacherzählt.DieInstruktionenthieltda-beikeinenHinweisaufGestik,sondernlediglich die Aufforderung,möglichstviele Inhalte derGeschichten zu ver-mitteln. In einer zweiten Untersu-chungseinheitwurdendieTeilnehmeraufgefordert,dieGeschichtennonver-bal,alsonurmitdenHändenundohneden Einsatz gesprochener Sprachenachzuerzählen.Abbildung1verdeut-lichtunsereVorgehensweise.

1 UniversalStudiosGermany(2003).Mr.Bean:Goodnight,Mr.Bean,Kapitel22 WarnerBrothersUSA(2003).Sylvester&Tweety:Tweety’sSOS

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2.3 Verständlichkeitsbewertung

UmdieGestikderPatientenzubewer-ten,wurdeeineGruppeneurologischgesunder Bewerter rekrutiert. DieseGruppeumfassteneunPersonen(4w,5m,21bis60Jahrealt,Mittelwert34Jahre), die keineneurologischenEin-schränkungensowiekeinestarkenvi-suellenBeeinträchtigungenaufwiesen.ZudemhattenalleTeilnehmerDeutschals Muttersprache. Keine der teilneh-menden Personen beschäftigte sichberuflich oder privatmit Sprach- undSprechstörungen.AllePersonennah-menfreiwilligteil.

Verständlichkeitsbewertung der Gestik DieBewerterwurdenzunächstmitdenVideoclipstrainiert,sodasssiemitde-renInhaltenvertrautwaren.Dannwur-den ihnen die auf Video aufgenomme-nenNacherzählungenderPersonenmitAphasiegezeigt,diesichjeweilsaufei-

nenderVideoclipsbezogen.Dabeiwur-denverbaleundnonverbaleNacherzäh-lungen randomisiert dargeboten. Die DarbietungerfolgteohneTon,sodassausschliesslichdieGestenderPerso-nenbewertetwurden.Zudemwurdeanfangsdaraufhingewiesen,dassdieLängederNacherzählungennichtzwin-gend mit der Dauer der Videoclips über-einstimmenmussunddassdieMerk-malederFilmsequenzenmitunternichtvollständigbzw.inderrichtigenReihen-folgewiedergegebenwurden.UmdiebewertendenPersonenmitderAufga-bevertrautzumachen,wurdenzuBe-ginn6«Übungsbewertungen»durch-geführt. Die Beurteilung der VerständlichkeitderGestenberuhteaufeinemBewer-tungsbogen, der nach jeder Nacher-zählungvondenTeilnehmernausge-fülltwurde(vgl.auchWeidinger,2008;sieheAbb.2).Daraufkreuztensiean,welchen Videoclip sie basierend aufdenGestendernacherzählendenPer-

Abbildung 1: Verbale und nonverbale Bedingung

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Aphasie und verwandte Gebiete 3/2011 ISSN 1664-8595 47

sonenwiedererkannten.Anhanddie-serBewertungenwurdederProzent-satzderkorrekterkanntenVideosfürjedenaphasischenSprecherermittelt.ZudemgabendieBewerteran,wel-cheMerkmalederFilmsequenzensieerkannthatten,umzusehen,obnureinigemarkanteMerkmaleoderdetail-lierteInhalteübermitteltwurden.AufdemBewertungsbogenwarenzuje-dem Film die einzelnen Merkmalebzw. Teilhandlungen aufgelistet, dieangekreuztwerdensollten,wenndie

Bewerter sie erkannt hatten. Diesemusstenalsonichtfreierinnertwer-den.AusderZahldererkanntenMerk-malewurdenzunächstdieQuotientenfür jeden korrekt erkannten Film er-rechnet,dadieAnzahlderMerkmaleje nach Film variierte (Beispiel: vonden für das Video 1 vorhandenen vier Merkmalen wurden zwei erkannt:50%).AusdiesenQuotientenwurdedann einMittelwert (Prozentzahl er-kannterMerkmale) für jedenaphasi-schen Sprecher ermittelt.

Abbildung 2: Bewertungskriterien der Verständlichkeitsmessung

Verständlichkeitsbewertung dersprachlichen Äusserungen DiesprachlichenÄusserungenderNach-erzählungendererstenUntersuchungs-einheitwurdenebenfallshinsichtlichderVerständlichkeitbewertet.Hierzuwur-

denzweiweitereneurologischgesundeBewerterrekrutiert,denenjeweilsalleNacherzählungen der ersten Untersu-chungseinheit nur auditiv ohne die visu-elleAufzeichnungdargebotenwurden.SomithörtejederBewerteralle48Nach-

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erzählungen. Die Bewertung erfolgteebensowiedieBeurteilungderGestikanhandderKriteriendesBewertungs-bogens. Zusätzlichwurde dieQualitätderNacherzählungenerfasst(1=«un-verständlich»,6=«sehrgut»).

2.4 statistische analyse und verwendete masse

ZurÜberprüfungvonZusammenhängenwurden jeweils Pearson-Korrelationenberechnet;zurPrüfungderUnterschie-de Wilcoxon-Tests.Für die Schwere der Aphasie wurdenzwei unterschiedlicheMasse gewählt:einerseits die Prozentränge im TokenTest,dernachHuberetal.(1983)Ausle-sekriteriumfürdasVorliegeneinerApha-sieundgleichzeitigauchIndikatorfürdieSchwere derAphasie ist; andererseitsdieWerte der Verständlichkeitsbewer-tungen der sprachlichen ÄusserungensowiedieQualitätderNacherzählungen,dadiesediekommunikativeVerwendungvonSprachewiderspiegeln. Subtest3derBOSUwurdealsMassfürdieKompetenzenindersemantischenVerarbeitungverwendet.

3. Ergebnisse

In der Untersuchung erwies sich derProzentsatz erkannter Merkmale alssensitivstesMass,dasichfürdiespra-chersetzendeGestikbeimProzentsatzerkannterFilmeeinDeckeneffektzeig-

te.DaherwirdinderfolgendenDarstel-lungprimäraufdenProzentsatzerkann-terMerkmaleeingegangen.EineÜber-sicht über alle erzielten Werte derVerständlichkeitsbewertungen findetsich in Tabelle 3.

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Tabelle 3: Prozentsatz korrekt erkannter Filme und Prozentsatz erkannter Merkmale für diesprachbegleitende Gestik, sprachersetzende Gestik und die verbale Äußerung sowie das Maß„Qualität“ für die verbale Äußerung (1 = unverständlich, 6 = sehr gut).

SprachbegleitendeGestik

SprachersetzendeGestik

Sprachliche Äußerung (verbaleNacherzählung nur auditiv dargeboten)

Patient %erkannteFilmeverbal

%erkannteMerkmaleverbal

%erkannteFilmenonverbal

%erkannteMerkmalenonverbal

%erkannteFilmeverbaleÄußerung

%erkannteMerkmaleverbaleÄußerung

Qualität verbaleÄußerung

1 33,3 5,0 88,9 38,2 75,0 10,0 1,2

2 89,9 36,5 88,9 37,8 83,3 20,6 1,3

3 100 43,7 88,9 40,2 100 44,4 2,1

4 44,4 14,4 88,9 41,1 83,3 18,6 1,2

5 83,3 24,4 77,8 32,2 100 37,0 2,5

6 100 44,3 94,4 42,8 100 55,1 4,0

7 56,6 22,5 100 85,3 100 74,1 5,4

8 72,2 19,0 100 70,1 100 80,3 5,7

3.1 schwere der aphasie

DieProzenträngeimTokenTestvariier-tenzwischen16und97beieinemMit-telwertvon52,9undeinerStandardab-weichungvon34,1(vgl.Tab.2).BeiderauditivenBeurteilungdersprachlichenÄusserungen wurden zwischen 10%und 80,3% der Merkmale richtig er-kannt.DerMittelwertlaghierbei42,5% beieinerStandardabweichungvon26,0.DerProzentsatzerkannterFilmevariier-te zwischen 75% und 100% (Mittel-wert92,7%,Standardabweichung10,4). ZusätzlichwurdebeiderBewertungdersprachlichenÄusserungauchdieQua-lität der Nacherzählung erfasst. HierwurdenWertezwischen1,2und5,7er-

mittelt, bei einemMittelwert von 2,9undeinerStandardabweichungvon1,9(vgl.Tab.3).DieQualitätkorreliertemitdenProzenträngendesTokenTests(r=0,73,p<0,05).Ein Vergleich der Werte der drei Kriteri-enzurVerständlichkeitsbewertungdersprachlichen Äusserung (% erkannteMerkmale,%erkannteFilme,Qualität)zeigtejeweilseineähnlicheVerteilung.Folgende Rückschlüssewurden auchdurchjeweilssignifikantpositiveKorre-lationen bestätigt: je mehrMerkmaleverständlichvermitteltwerdenkonnten,destosichererkonntendieNacherzäh-lungendenOriginalfilmenrichtigzuge-ordnetwerden(r=0,96,p<0,01)unddesto besser wurde insgesamt die

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«Qualität»derverbalenMitteilungenbe-wertet(r=0,97,p<0,01).

3.2 Vergleich sprachbegleitende und sprachersetzende Gestik

3.2.1 Verständlichkeit der sprachbegleitenden Gestik

DermittlereProzentsatzdererkanntenMerkmale lagbei 26,2% (5 –44%,Standardabweichung14,2;vgl.Abb.3).FürdiekorrektidentifiziertenFilmeer-gabensichProzentsätzezwischen33,3und100(Mittelwert72,2%,Standard-abweichung25,4).JemehrMerkmaleerkanntwurden,destohäufigerkonn-tendieFilmekorrektzugeordnetwer-den(r=0,94,p<0,001).LediglichbeiPerson8konntentrotzeineshohenPro-zentsatzeskorrekterkannterFilmenur

vergleichsweise wenige Merkmaleidentifiziertwerden.Offensichtlichver-mitteltedieserPatientzwarwenigeaberfürdenFilmcharakteristischeMerkma-ledurchdiesprachbegleitendeGestik.

3.2.2 Verständlichkeit der sprachersetzenden Gestik

Der mittlere Prozentsatz der erkanntenMerkmalelagbei48%(32,2%–85,3%,Standardabweichung 18,8). InsgesamtwurdealsofastdieHälfteallerMerkmalederGeschichtenverständlichmittelsGes-tenkommuniziert.Anhandderspracher-setzenden Gesten konnten in durch-schnittlich 91 % der Fälle die Filme richtig zugeordnetwerden(78%–100%,Stan-dardabweichung7,2).JemehrMerkmaleerkanntwurden,destomehrFilmekonn-tenzugeordnetwerden(r=0,84,p<0,05).

Abbildung 3: Prozentsatz erkannter Merkmale in sprachbegleitender und sprachersetzender Gestik

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3.2.3 Vergleich sprachbegleiten-der und sprachersetzender Gestik

VierPersonenvermittelnnachAufforde-rung sprachersetzend signifikant mehrMerkmalealsindersprachbegleitendenGestik;ermitteltjePersonüberalleFilmeistdieserUnterschiedfürdreiPersonensignifikant(Wilcoxon;Person1:Z=-2,2;p<0.05;Person7:Z=-2,2;p<0.05;Per-son8:Z=-2,2;p<.05;vgl.Abb.3).

3.3 einflussfaktoren

3.3.1 Zusammenhang der Verständlichkeit der Gesten mit der aphasie

Vergleich sprachbegleitende Gestik und Schwere der Aphasie FürdieSchwerederAphasiewurden–wiebereitserläutert–folgendeMassegewählt:einerseitsdie formalenLeis-tungenimTokenTestundandererseitsdieWertederVerständlichkeitsbewer-tungendersprachlichenÄusserungenindenNacherzählungen.Es fandensichkeinesignifikantenZu-sammenhängezwischendenErgebnis-sendesTokenTestsundderVerständ-lichkeitdersprachbegleitendenGesten,gemessen mit den Prozentsätzen er-kannterMerkmale(r=0,32,p=0,44)undkorrektidentifizierterFilme(r=0,46,p=0,25).AuchdieVerständlichkeitsbe-wertungdersprachlichenÄusserungen(ProzentsatzerkannterMerkmale)wieskeinenlinearenZusammenhangmitder

VerständlichkeitdersprachbegleitendenGesten auf: (erkannte Merkmale: r =0,24,p=0,56,korrekterkannteFilme:r=0,3p=0,47);dieBewertungderQua-litätderverbalenNacherzählungenhat-tekeinensignifikantenZusammenhangmitdenBewertungendersprachbeglei-tendenGesten(erkannteMerkmale:r=0,09,p=0,84,korrekterkannteFilmer=0,14,p=0,74).

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Umfestzustellen,obdieeinzelnenTeil-nehmer in einer der beiden Modalitäten SpracheundGestik,Inhalteverständli-cher vermittelten, wurde die Variable«erkannteMerkmale»derBewertungdersprachlichenÄusserungmitdersel-benVariablederBewertungdersprach-begleitenden Gestik verglichen (vgl.Abb.4).NurPerson7(Z=-2,2;p<0,05)undPerson8(Z=-2,2;p<0,05)vermit-teltensignifikantmehrMerkmaledurchsprachlicheÄusserungen.Person2ver-mitteltealseinzigemehrInhaltedurchGesten.DieserUnterschiedwarjedochnichtsignifikant.InsgesamtkonntekeinsignifikanterZu-sammenhang zwischen der Schwereder Aphasie und der VerständlichkeitsprachbegleitenderGestenfestgestellt

werden.

Vergleich sprachersetzende Gestik und Schwere der Aphasie ZwischendenWertendesTokenTestsunddenVariablenderVerständlichkeits-bewertungdersprachersetzendenGes-tikkonntekeinsignifikanterZusammen-hang festgestellt werden (erkannteMerkmale:r=0,36,p=0,38;korrekterkannteFilme:r=0,36,p=0,38).Zwischen den Variablen «erkannteMerkmale»derVerständlichkeitsbewer-tungderverbalenÄusserungenunddersprachersetzenden Gestik zeigte sichein signifikanter Zusammenhang (r =0,80, p<0,05; vgl.Abb. 5). JemehrMerkmale der Filmsequenzen in densprachlichen Äusserungen eines Teil-

Abbildung 4: Prozentsatz erkannter Merkmale in sprachbegleitender Gestik und sprachlicher Äusserung

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Abbildung 5: Prozentsatz erkannter Merkmale in sprachersetzender Gestik und sprachlicher Äusserung

nehmers verstanden wurden, destomehrMerkmalewurdenauchbasierendauf den nonverbal-gestischen Nacher-zählungendieserPersonrichtigerkannt.AuchzwischenderQualitätderverba-lenNacherzählungunddenBewertun-gendersprachersetzendenGestikgabes signifikante Zusammenhänge (er-

kannteMerkmale: r=0,84,p<0,01;korrekt erkannte Filme: r= 0,73, p<0,05).JebesserdieQualitätderverba-lenÄusserungbewertetwurde,destomehrMerkmaleundFilmewurdenba-sierend auf den sprachersetzendenGestendernonverbalenNacherzählun-generkannt.

Hervorzuhebenist,dassdreiPersonen(1,2und4)inderreingestischenBedin-gungmehrMerkmalevermittelnkonn-ten als ihnen dies verbal gelang. Die Überprüfung mit dem Wilcoxon-Tests zeigte,dassdieserUnterschiedfürPer-son1signifikantwar(Z=-2,5;p<0,05).GemessenmitderVerständlichkeitdersprachlichen Äusserungen wies dieSchwerederAphasieeinensignifikan-

tenZusammenhangmitderVerständ-lichkeitsprachersetzenderGestikauf.

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3.3.2 einfluss begleitender neuropsychologischer störungen

SchliesslichwurdederEinflussbeglei-tenderneuropsychologischerStörungenwiederApraxieundLeistungenindersemantischen Verarbeitung überprüft. LediglichbeieinerPerson(1) lageineGliedmassenapraxievor,sodassderZu-sammenhangvonApraxieundGestiknichtsystematischuntersuchtwurde.DasProfildieserPersonmitApraxiesolljedochhierkurzzusammengefasstwer-den:Person1warimGruppenvergleichsprachlichamschwerstenbeeinträch-tigt,sowohlhinsichtlichderAAT-Ergeb-nissealsauchnachBewertungderver-balenÄusserungen.Auchindersprach-begleitendenGestikerzieltePerson1dieniedrigstenWerte:ihreGestikbliebweitgehendunverständlich.InteressantistjedochdieBeobachtung,dassdiesePerson auf Aufforderung gestisch er-heblich mehr Information vermitteln konnte:Sowurdeninderspracherset-zenden Gestik immerhin 38,2 % derMerkmaleerkanntund88,9%ProzentderFilmekorrektzugeordnet.EszeigtensichkeinesignifikantenZu-sammenhängezwischendenWertenindersemantischenVerarbeitung(Unter-test3derBOSU)unddenVerständlich-keitsbewertungen sprachbegleitenderGesten(ProzentsatzerkannterMerkma-le:r=-0,28,p=0,59;Prozentsatzkor-rekterkannterFilmer=-0,34,p=0,41).Hingegen konnten in den nonverbal-

gestischen Nacherzählungen der Teil-nehmermitAphasieumsomehrMerk-maleerkanntwerden,jewenigerFeh-lerdieseimdrittenUntertestderBOSUmachten.DiesernegativeZusammen-hangzwischendenVariablen«erkann-teMerkmale» der sprachersetzendenGestikundderFehlerzahlimSubtest3derBOSUwarjedochnichtsignifikant(r=-0,70,p=0,053).

4. Diskussion

DissoziierenverbaleundnonverbaleFä-higkeitenodersindsiebeiaphasischenSprechern gleichermassen beeinträch-tigt?DieErgebnissedieserStudieliefernkeineeindeutigeAntwortaufdieseFra-ge.SozeigtensichkeineZusammenhän-gezwischenderformalenMessungderSchwerederAphasieanhanddesAATsundderFähigkeitverständlicheGestenzu produzieren. Die Beurteilungen derreinverbalenErzählungstandenjedochineinempositivenZusammenhangmitderFähigkeit,beieinerpantomimischen,also rein nonverbalen Nacherzählung,verständlicheGestenzuproduzieren.JebesserdieQualitätdersprachlichenÄus-serungbeurteiltwordenwar,destomehrMerkmaleundFilmewurdenindennon-verbalen Nacherzählungen identifiziert.Dieskönntedaraufhindeuten,dassspe-zifischeFähigkeiten,diefürdasErzähleneinerGeschichtebenötigtwerden,inbei-den Modalitäten (rein verbal und ges-tisch-nonverbal)zumTragenkommen.

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Der Vergleich von sprachbegleitender und sprachersetzender Gestik zeigte,dasseseinigenPersonengelang,aufAufforderung mehr gestische Informa-tionenzuvermittelnalsindernormalenNacherzählung.BeidenbeidenPerso-nen mit den leichteren Aphasien führen wirdieseBeobachtungdaraufzurück,dasssieinderverbalenNacherzählungnichtaufnonverbaleKommunikations-mittel angewiesensind. InteressanteristdieTatsache,dassauchzweiPatien-tenmitschwererensprachlichenBeein-trächtigungennachexpliziterAufforde-rungzumGesteneinsatzdeutlichmehrInformationen nonverbal vermittelten. ObwohldiesePatientenalsoeigentlichauf den unterstützenden Einsatz vonGestikangewiesenwären,schöpfensieihrekommunikativenMöglichkeitenindernormalenNacherzählungnichtaus.DieseBeobachtungermutigtdazu,Pa-tientenverstärktzumEinsatzvonGes-ten im therapeutischen und häuslichen Alltagzumotivieren.DerEinflussvonbegleitendenneuro-psychologischen Beeinträchtigungenkonnte an dieser kleinen StichprobeaufgrundmangelnderVarianznichtgutüberprüftwerden.EinigeStudienwei-senjedochaufeinenEinflussvonse-mantischerVerarbeitung,ApraxieundexekutivenFunktionenaufdenEinsatzkommunikativerGestenhin(vgl.Fuce-tolaetal.2006,Hogrefeetal.,2011,Purdy&Koch,2006).SosolltennachMöglichkeitdieseFaktoreninDiagnos-tikundTherapiegesondertberücksich-

tigt werden. In dieser UntersuchungkonntederTeilnehmermitApraxiedieVerständlichkeit seiner Gestik nachAufforderung steigern. Dies spricht da-für,auchbeiapraktischenPatientendieProduktionvonGestenzufördern(vgl.Daumüller&Goldenberg,2010).DieTherapiebeiPersonenmitAphasiesollte sich die Multimodalität der menschlichen Kommunikation ver-stärkt zunutzemachen: «Therapeuticenergiesshouldbedirectedtowardsaglobal rehabilitation programme rather thanconcentratingonlyonverbalskills,and should focus on facilitating adapti-veandappropriate(specificallynon-ver-bal) behaviours» (Behrmann&Penn,1984,S.168).DabeikannGestikver-schiedeneFunktionenerfüllen.Sowur-deauchbeschrieben,dassGestendenWortabruf bei Personenmit Aphasieerleichtern(Lanyon&Rose,2009).FürsprachlichschwerbeeinträchtigtePa-tienten ist jedoch die kompensatori-scheFunktionvonGestikvongrösse-rerBedeutung.Durchdiesprachergän-zendeAusführungvonbildhaftenundpantomimischenGestenwerden (zu-sätzlich)InhaltevermitteltunddieVer-ständlichkeitderÄusserungenverbes-sert.DiessollteeinzentralesZielderTherapie sein, denndieVerständlich-keiteinerMitteilungentscheidetüberErfolgoderMisserfolgeinerkommuni-kativen Handlung. Insbesondere fürsprachlichschwerbeeinträchtigtePer-sonenkanndieAufforderungzumGes-teneinsatzeineUnterstützungfürdie

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EntwicklungeinergeeignetenKompen-sationsstrategie sein.

Danksagung

Diese Studie entstand als ein Teil der Ma-gisterarbeitderErstautorin(Wiesmayer,2010) im Studiengang Sprachheilpäda-gogikanderLudwig-Maximilians-Univer-sität München und wurde im Projekt«Kognitive und neuronale Grundlagensprachersetzender Gestik» (DeutscheForschungsgemeinschaft DFG, GO968/3-2)durchgeführtundbetreut.Die

Rekrutierung der Teilnehmer erfolgteüberdieSelbsthilfegruppe«JungeApha-siker» desBayerischenLandesverban-desfürdieRehabilitationderAphasikere.V.,dietherapeutischeTagesstätteMu-tabor e.V., Fachpraxis SprachtherapieAmbergsowiedieKlinikfürNeuropsy-chologie,KlinikumBogenhausen,Städ-tischesKlinikumMünchenGmbH.WirdankendenbeteiligtenTherapeutenfürihre Unterstützung und bedanken unsganz besonders bei den Patienten fürihre Teilnahme an der Studie.

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Aphasie und verwandte Gebiete 3/2011 ISSN 1664-8595 57

Anschrift:EKN–EntwicklungsgruppeklinischeNeuropsychologie,KlinikfürNeuropsychologie,KlinikumBogenhausen,StädtischesKlinikumMünchenGmbHDachauerStr.164,80992MünchenE-Mail:[email protected]

Goldenberg,G.,Hermsdörfer,J.,Glindemann,R.,Rorden,C.,&Karnath,H.O.(2007).Pan-tomime of tool use depends on integrity of left inferior frontal cortex. Cerebral Cortex, 17,2769–2776.

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BuCHBESPRECHuNG – LECTuRE

ZwölfvonAphasiebetroffeneFamili-enundPaaregebenEinblickinihrensprachlichenAlltag:wieverständigensichdieFamilienmitgliederundwel-che Problemlösungsstrategien undAlltagsroutinen entwickeln sie. DietranskribiertenGesprächsausschnittestellengleichzeitigverbaleundnicht-verbale Ebenen der Kommunikationdar(einähnlichesTranskriptwurdeinder Nummer 3/2010 auf Seiten 45 und 47dieserZeitschriftabgedruckt).Sol-cheGesprächeverlaufenähnlichwieinformelle Alltagsgespräche ohne Aphasie:auchSprachgesundeentwi-ckelneinThemagemeinsam,nehmenHändeundBlickezuHilfe,haltensichnicht akribisch an schriftsprachlicheNormenundverändernmitdemGe-spräch ihre Beziehung. Unsere Vor-stellung eines Alltagsgesprächs mit bravemturn-takingistdavonweitent-fernt und für Aphasiker wenig hilf-reich,weil diese eine situativ ange-passteUnterstützungbenötigen,dieihnenobigeAspekteverfügbarmacht.DasBuchstelltdar,wieAngehörigeundAphasikerausderkommunikati-venNotherausneueRoutinenentwi-ckeln – imSpannungsfeld zwischenVerständnissicherung und Gesichts-wahrung.

Inhaltsübersicht. Kapitel 1: Einfüh-rung in die theoretischen und metho-dischenGrundlagenderAnalysevonAphasieimGespräch.Kapitel2:wiesprachliche Probleme lokal bearbei-tet werden (Aphasiemanagement);die dabei verwendeten Strategiensind immer ein Kompromiss zwi-schendemZieldesAphasikers,voll-wertiges Mitglied in der Gemein-schaftzubleiben,undseinemsprach-lich-kommunikativen Ziel. Kapitel 3:kompensatorischeGestikindermul-timodalenKommunikation.Kapitel4:Rolle der nicht-aphasischen Modera-torinfürsKrisenmanagement,seieszurSicherungderPartizipationoderfür Regieanweisungen. Kapitel 5:Üben im familiären Rahmen: wieselbstinitiierte Formen für den Apha-siker weniger gesichtsbedrohendsindalsfremdinitiierte,diedenInfor-mationsfluss unterbrechen und ihnstigmatisieren.Kapitel6:wiesichdieBearbeitungsstrategienbeizweiFa-milien innerhalb von 12 Monaten ver-ändern.Kapitel7:NachgesprächevonPsychologenzumCopingderPaare:Stressoren und eigene Darstellung nach aussen. Kapitel 8: Grundsätzefür eine am Alltag orientierte Apha-sietherapie.

BuchbesprechungAngelika Bauer, Peter Auer, Aphasie im Alltag.Thieme-Verlag Stuttgart 2009, 167 S., Euro 39.95ISBN: 978-3-13-142431-0

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Aphasie und verwandte Gebiete 3/2011 ISSN 1664-8595 59

EinigeLesehinweise.AmSchlussdermeistenKapitelfindensichabschlie-ssende Bemerkungen, die sich wieeine Zusammenfassung der Kapitellesen und die sich gut als Einstieg eig-nen. Die ungewohnten Transkriptewerden nachbesprochen, wasmicherstzudenFeinheiteneineseigent-lichvertrautenGesprächsablaufesge-führt hat. Der Rahmen der dargestell-tenGespräche ist die Familie, nichtdieKlinik, nicht dasHeimundnichtdie Therapie – alles Gesprächsorte,derenspezifischeQualitätennochzu

erarbeiten sind. Derzeit können wirTherapeutenundTherapeutinnenzu-mindestunsereVorstellungvonGe-sprächen verändern, unser eigenesGesprächsverhaltenhinterfragenundder Arbeit der Angehörigen mehrWertschätzungentgegenbringen.DieCo-AutorindesBuches,Dr.AngelikaBauer,bietetimRahmenderFortbil-dungen von aphasie suisse Anfang Februar2012einenKursan:«Partizi-pation im familiären Alltag: Konse-quenzenfüreinepartizipationsorien-tierteTherapie?»

Autor: Werner Kuhn Logopäde Basel

BuCHBESPRECHuNG – LECTuRE