Unendlicher Turm

5
Unendlicher Turm Eichholzer-Förderungspreis 2011 Jos, Buresch, Gebetsroither Plakat 01

description

Beitrag zum Herbert Eichholzer Wettbewerb. Ausgeschrieben von der Stadt Graz. Thema: „ARCHITEKTUR DES ARCHITEKTURSTUDIUMS ...wenn ich es selbst entwerfen könnte...“ von Buresch Christian, Gebetsroither Alexander, Jos Stefan

Transcript of Unendlicher Turm

Unendlicher TurmEichholzer-Förderungspreis 2011Jos, Buresch, GebetsroitherPlakat

01

Unendlicher TurmEichholzer-Förderungspreis 2011Jos, Buresch, GebetsroitherPlakat

02

Unendlicher TurmEichholzer-Förderungspreis 2011Jos, Buresch, GebetsroitherPlakat

03

Hintergrund

Wer oder was sind die Bauleitenden des sich schnell verändernden Architekturstu-diums und wo führt dieser Umbau hin?

Technologie, Wirtschaft, Politik und Bildungsinstitutionen verändern sich rasch wobei neu entstandene Problemlagen aus diesen Entwicklungen auf lokaler bis globaler Ebene zu wenig Berücksichtigung �nden. Moderne Technologien, die als Fortschritt gepriesen werden, und die immer schneller funktionierende globale Vernetzung verursachen exponentiell ansteigende Risiken. Beunruhigende Krisen mehren sich in Form von Umweltkatastrophen, durch technologische Lecks (Deep Horizon bis Fukushima), kriegerischen Interventionen in Zusammenhang mit wirtschaftlichen Interessen, (z.B. Interventionen in Kleinasien und Nordafrika) oder bezogen auf das, insgesamt infarktgefährdete, kapitalistische Wirtschaftssystem.

Der Mensch steht in der heutigen Zeit, auf dem Planeten Erde lebend, vor funda-mentalen - seine Lebensgrundlage betre�end - globalen Herausforderungen, die nicht im wissenschaftlichen Elfenbeinturm oder von einigen wenigen Individuen oder Gruppierungen gelöst werden können. Die Ideologie des neoliberalen Wirt-schaftssystems nach unendlichem Wachstum geht mit einem unstillbaren Hunger nach Ressourcen einher, die auf dieser Erde nur begrenzt verfügbar sind. Vergleich-bar mit unkontrolliert wuchernden Krebszellen drängt dieses Prinzip hin zur völli-gen Ausbeutung von Mensch und Natur.

Gesundheitssystem, Sozial- und Bildungssystem somit auch Universitäten erhalten eine immer knapper werdende �nanzielle Basisversorgung durch den Staat. Seine Finanzmittel sind nicht zuletzt aufgrund des �nanzkräftigen Umwerbens der viel-versprechenden neoliberalen Bräute trotz beinahe kontinuierlichen Wirtschafts-wachstums verhältnismäßig gering gestiegen.

Ausgleichende und schützende Systeme wie Politik-, Sozial- und Bildungssystem stehen immer mehr unter Druck und werden dazu aufgefordert, sich dem Mandat des freien Marktes unterzuordnen. Die Schere von Arm und Reich wird größer.

Bildungssysteme verwandeln sich stärker zu Ausbil-dungssystemen, die verwertbares Humankapital zur Steigerung eines wirtschaftlichen Outputs bereit-stellen.

Freiräume der Bildung, des Ausprobierens und des kritischen Denkens, um außer-halb eines konkurrenzorientierten Systems Alternativen entwickeln zu können, werden immer mehr eingeengt. Die vorherrschenden Bedingungen erzeugen auch massiven Druck auf die Universitäten, der in Form des Bolognaprozesses und der Umsetzung des österreichischen Universitätsgesetzes 2002 seine praktische Umset-zung �ndet.

Das Studieren muss heute e�zienter, vergleichbarer und schneller voran gehen. Neben der Studierendenmobilität geht es beim Bolognaprozess auch um die Her-stellung von „employability“, die in Form der Bachelorabschlüsse den Verwertbar-keitsvorstellungen der Wirtschaft entgegenkommt. Die Auswirkungen der Um-strukturierung von Studienordnungen und Prüfungsmodalitäten sind auch im Architekturstudium spürbar.

Studierende haben weniger Zeit, um Auszuprobieren und Fehler zu machen oder Erfahrungen außerhalb des Studiums zu sammeln. Der Spielraum für Umwege, Zweifel oder Kritik an Inhalten des Studiums wird eng gemacht. Lange Zeit Studie-ren sei für das Universitätssystem nicht mehr leistbar, lautet der Grundtenor der deutschsprachigen Bildungspolitik.

Das Universitätsgesetz 2002 (UG02) steht im Zeichen der Umsetzung einer neoli-beralen Verwaltungsreform, die in den 1970er Jahren als „New Public Manage-ment“ in Großbritannien von der eisernen Lady des Neoliberalismus, Margaret Thatcher initiiert wurde. In ö�entlichen Institutionen, wie den Universitäten, wird mit der positiv klingenden Aussicht auf Autonomie betriebswirtschaftliches Ma-nagement verstärkt gefordert. Es werden Leistungsvereinbarungen getro�en, es müssen Bildungsbilanzen vorgelegt werden und Forschungsleistungen dokumen-tiert werden. Die sukzessive Unterwerfung von Forschung und Lehre unter kon-kurrenzorientierten Marktmechanismen (nach US-amerikanischen Modell) ist die Konsequenz daraus, was der weltweiten wirtschaftlichen Krisensituation entgegen-kommt.

Das rund 200 Jahre bestehende Vorbild der Humboldtschen Universität baut auf die Grundprinzipien der Freiheit von Forschung und Lehre und sieht gleichzeitig eine Gemeinschaft von Studierenden und Lehrenden/Forscherinnen auf Augenhöhe vor. Durch das UG02 und den Bolognaprozess werden Grundprinzipien universitä-rer Bildung über Bord geworfen (z.B. auch die Mitsprache von Studierendenvertre-

tungen beschnitten). Die Ausrichtung des Architekturstudi-ums und der universitären Bildung allgemein muss im Sinne einer Gesundheit des Gesellschaftssystems viel mehr in der Verantwortung gesamtgesellschaft-licher Interessen stehen und darf sich nicht an mo-netär basierten, wirtschaftlichen Interessen ausrich-ten.

Die Entwicklung eines kritischen Geistes, der die Verhaftetheit seines Seins in gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fallstricken re�ektieren kann, braucht Zeit und somit auch studienstrukturelle Freiräume mit �nanzieller Absicherung. Das zu frühe Einspannen junger Menschen in ökonomisch rationale Strukturiertheit, die sich im Studium der Architektur immer mehr durchsetzt, beschränkt die Fähigkeit der Menschen außerhalb von Verwertungszwecken des Wirtschaftssystems zu denken. Der Raum und die Zeit für das Entwerfen alternativer Modelle, Konzepte und Ideen fehlen. In Anbetracht komplexer gesellschaftlicher, umweltökonomischer und globaler Herausforderungen ist jedoch die Notwendigkeit des freien Raumes für die Entwicklung kritischer und wacher Menschen dringlicher als je zuvor.

Die Menschheit bewegt sich mit der derzeitigen Ausrichtung ihrer Zivilisation auf eine Kippe zu, die mehr als je zuvor die Möglichkeit eines globalen Kollapses bein-haltet. Nachhaltige Gegenmaßnahmen, sprich Handlungen, gegen die rücksichtslo-se Ausbeutung von Natur und Mensch bleiben aus.

Intervention

Wir fordern eine radikale (v. lat.: radix = Wurzel, Ursprung) Veränderung. Wir begnügen uns hier nicht damit, über innerstrukturelle Neuorganisation nachzudenken, um für isoliert betrachtete Systeme-benen Lösungsvorschläge zu entwickeln. Es geht darum, dass eine materialistisch, konsumorientierte Gesellschaft sich vor der Konfrontation ihres Tuns, ihrer Unterstützung des vorherrschenden, fatalistisch dominierenden Wirtschaftssystems, nicht mehr drücken kann. Dieser Wirtschaftswahnsinn muss aufhören. Untätig zuschauen bis es zu spät ist, ist für uns keine Option. Das mensch-liche Verhalten, durch „aus den Augen aus dem Sinn“ Probleme zu vergessen und zu verdrängen darf nicht mehr funktionieren.

Ein unendlicher Turm – auf dem Dach des Architekturstudiums – hält den Men-schen einen Spiegel der Möglichkeit ihres unausweichlichen Kollapses vor Augen. Der unendliche Turm soll unerreichbar als die unschlagbare Superlative seiner Art in die Höhe ragen. Er wird einem neoliberalen Riesen gleichen, der nicht aufhört, Hunger zu haben.

Das Bauprojekt verschlingt unendlich viele Ressourcen. Er bringt die Umstände des ökonomischen Ausrichtung mit dem Streben nach unendlichem Wachstum klar zum Vorschein. Die Menschen, die dieses Bauprojekt mit verfolgen, lehnen sich zuerst gegen das widersinnige Vorhaben auf. Der Turm wird das Zentrum von hefti-gen Protesten und zu einem zentralen Versammlungspunkt, der Menschen aus verschiedenen Ländern und Regionen der Welt anzieht. Der Turmbau geht trotz dieses Widerstandes gegen seine Realisierung weiter.

Mit zunehmender Größe steigt die Antizipation der Gefahr, der nicht unendlich bezwingbaren Gravitationskraft. Mit wachsender Höhe des unendlich aufstreben-den Turms kommt in der Bevölkerung neben Protest und Widerstandsbewegungen auch die Furcht auf, dass der Turm unkontrolliert umstürzt. Jeder und Jede ist von der Gefahr betro�en, da weder die Richtung des Umsturzes, noch die Ausmaße und Reichweite der Zerstörung eingeschätzt werden können.

Der Turm ist in dieser Phase zu einem ständig präsenten Monument geworden, das über Landesgrenzen hinweg sichtbar ist. Die Radikalität des Baus und seine Unhalt-barkeit werden weltweit thematisiert. Die Menschen können sich der Konfrontation des vertikal aufstrebenden Baus nicht entziehen. Die Macht und Kraft der Architek-tur liegt in der existentiellen Rührung des Menschen, der er in der Wahrnehmung unterworfen ist und die er nur zu einem Bruchteil in verbalisierter Form explizieren kann. Durch diese Kraft �ndet ein Erkenntnisprozess und eine Erweiterung des Bewusstseins statt.

Diskussionen und Wahrnehmungen des monumentalen Werkes beginnen sich zu

verändern. Die Analogie des unendlichen Turms zur un-endlichen Verschwendung des Wirtschaftssystems kommt im Denken der Menschen an. Die materialisierte Vergegenwärtigung des wahnsinnigen Tuns, das auf nachfolgende Generationen keine Rücksicht nimmt, mündet in ein Umdenken. Die Menschen verstehen, dass der Turm die Verschwendung repräsentiert, die auf dem gesamten Planeten ohne große Proteste in den vergangenen Jahrzehnten permanent passiert ist.

Dieser Bewusstwerdungsprozess wandelt die Menschen in ihrer Haltung, die gegen den Turm gerichtet war. Sie sehen, dass sie im Grunde gegen sinnlose Verschwen-dung gekämpft haben. Dass sie gegen eine selbstverherrlichende Phallusarchitektur sind, die über ein kurzsichtiges Prestigedenken nicht hinausgeht. Dass dieser unend-liche Turm in der Lage ist, den Spiegel vorzuhalten: ein vertikal aufstrebendes Monstrum, das ihren wirtschaftlich dominierten Gesellschaften gleicht und nur ein unvorstellbares Ausmaß an Zerstörung zur Folge haben kann.

Der Turm wird zum Symbol des Wandels, weg vom Monument eines äußeren Zustandes, hin zum Zeichen der dem Leben und der Gesellschaft innewohnenden Monumentalität. Er wird zum Zentrum eines �eberhaften Arbeitens an neuen Schulen der Politik Ökonomie, Bildung und Ausbildung, der ökologischen Nach-haltigkeit, der Etablierung von sozialer Gerechtigkeit usw. Der unendliche Turm zieht Menschen mit unterschiedlichen Berufen, aus verschiedenen unterschiedli-chen sozialen Schichten und Regionen an, die angesteckt werden vom Drang, aus ihrer Ohnmachtshaltung auszusteigen und sich aktiv an einer Bewältigung dieser durch den Turm symbolisierten, eklatanten Krise zu beteiligen.

Der Druck, der auf der alten Schule der Architektur gelastet hat, wird durch die direkte Bewusstwerdung der Unterworfenheit unter wirtschaftliches Diktat, sicht-

bar. Der Realisationsprozess führt zur Ö�nung für al-ternative Ideen, die in die Gründung einer neuen Schule der Architektur münden. Die neue freie Schule ö�net sich den Interessen von unterschiedlichen Menschengruppen und ist nicht mehr primär von kapitalträchtigen Einzelpersonen und Institutionen bestimmt.

Die Vielfalt der Möglichkeiten Architektur zu denken, nimmt explosionsartig zu. Das große Umdenken der Menschen hat eine Befreiung aus einem kollektiven, kapitalistisch überformten Bewusstsein zur Folge, was plötzlich ungeahnte Hand-lungsmöglichkeiten zur Lösung von Problemen zulässt. Für die Architektur bedeu-tet es, dass sich Projekte, Utopien und Visionen realisieren lassen, und es zu schich-tunspezi�schen Revolutionen in der Scha�ung von Stadt-, Wohn-, Erholungs-, Kulturräumen usw. kommt. Der unendliche Turm wird zum Ort der Ho�nung für eine angstfreie Zukunft der Menschen, in der die Menschen eine Sicherung ihrer Existenzbedürfnisse erfahren und darüber hinaus ein globales Verantwortungsbe-wusstsein aufbauen und einem vernünftigen, selbstbestimmten Leben nachgehen können. Architektur einmal mehr als kultureller Akt, als Ausdruck und Impuls der Veränderung, einer zu neuen Zielen aufbrechenden Menschheit.

Unendlicher TurmEichholzer-Förderungspreis 2011Jos, Buresch, GebetsroitherPlakat

04

Unendlicher TurmVor der Unmöglichkeit stehend, neue Denkräume entwerfend...

Wenn sich eines Tages die Absolventen einer Architekturschule nicht in den Bürosverwerten lassen, dann wird die Schule einen großen Schritt nach vorne gemachthaben. (Luigi Snozzi )

Unendlicher TurmEichholzer-Förderungspreis 2011Jos, Buresch, GebetsroitherPlakat

05