UNI NOVA - Umwelt und Gesundheit

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UNI NOVA WISSENSCHAFTSMAGAZIN DER UNIVERSITÄT BASEL 123 – März 2014 Rechtspopulisten in Europa Medien, Ränder, Wissenschaſt Von der Vielfalt der Fische Krankheiten aus der Luſt Allergien und Asthma Symptome bei Kindern Umweltbelastungen im Alter Gefährliche Strahlen? Auswirkungen von Lärm Sauberes Wasser als Ressource Vom Recht auf Gesundheit Ansteckende Krankheiten

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Wissenschaftsmagazin der Universität Basel 123/März 2014

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Rechtspopulisten in EuropaMedien, Ränder, WissenschaftVon der Vielfalt der Fische

Krankheiten aus der Luft Allergien und Asthma Symptome bei KindernUmweltbelastungen im AlterGefährliche Strahlen?Auswirkungen von LärmSauberes Wasser als RessourceVom Recht auf Gesundheit Ansteckende Krankheiten

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Wirt schafts krise

Fragen an dieWissenschaftBewegungFeste feiernKinderrechteKleiderKrebsReligionSchlafenStressUniversum Ziffern

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Antworten über

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Zur Zukunft des ErdölsEin Wörterbuch der WendungenLungenforscher mit langem Atem

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Spiegel des Individuums

Biologie der SchönheitChirurgische

Rekonstruktionen Haut

und PsycheComputer

erkennen Menschen Bildnisse,

Porträts und das Ich Im Angesicht

GottesSchweiz und EU: Wie weiter?Ein Dorf vor 5400 JahrenEine Literaturwissenschaftlerin überschreitet Grenzen U

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Vom Tanz der Moleküle • Naturstoffe, Kunststoffe • In ultrakalten Tiefen •Alleskönner Peptide • Wenn Computer helfen • Kleinste Biomaschinen • Bild und Spiegelbild • Ein Basler NobelpreisFukushima und Strahlung • Ein engagierter Pädagoge • Handys in AfrikaU

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Komik der Philosophen Lachen im Mittelalter Jüdischer Witz

Humoristisches Gebräu Lustige Werbung Ironie am Arbeitsplatz

Lachendes Klassenzimmer Humor ist gesund Musik und Humor

Arabischer Frühling Pfl anzen gegen Viren Psychologin mit offenen Türen

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Jugend

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Darwin und die Evolution

MännerU N I N O V A W I S S E N S C H A F T S M A G A Z I N D E R U N I V E R S I T Ä T B A S E L 1 1 0 – N o v . 2 0 0 8

Für frühere Ausgaben und Neuabonnements: www.unibas.ch/uninova, Tel. 061 267 30 17 oder [email protected]

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550 JahreUniversität BaselErfolgreiche Gründung, internationale Bedeutung Die frühe Basler AnatomieFrauenstudiumDer grosse UmbauVon Jubiläen und Feiern Das Universitätsarchiv

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Fragen nach dem MinarettverbotRobert Walser digital Eine Forscherin mit Bodenhaftung

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Von Familien- und Erwerbsarbeit Wenig Wissen über SonnenschutzDie Ägyptologin und ihr Grabfund

ZähneZähneU N I N O V A W I S S E N S C H A F T S M A G A Z I N D E R U N I V E R S I T Ä T B A S E L 1 2 0 – S e p t . 2 0 1 2

Veränderte Mundschleimhaut

Zahnunfall – was nun?

Schönheit per Computer

Ein Simulator, der kaut

Implantate, Brücken, Kronen

Von Zahn- und andern Schmerzen

Gebiss und Gesundheit

Wenn der Speichel ausbleibt

Gute Zähne, sicheres Gehen

Vom Wissen über sich selbst Mikrofi lme für die Musikwissenschaft Ein Saurierforscher mit Spürsinn Von Depressionen im Alter • Erforscherin von Texten und Räumen • Web . und die Geisteswissenschaften

Rückblick auf die Forschung

Blutzelltransplantationen Geheimnis Knochenmark

Wenn sich der K

örper fremd ist

Neue Nervenzellen im Gehirn

Bio

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Technik gegen Kinderlosigkeit

Vom Potenzial der Embryozellen

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Wissenschaftsammeln

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WissenschaftWissenschaftsammeln

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Neuer Vizerektor im InterviewFussball und ArthroseforschungItalienische Zikaden

Schatzkammern des WissensObjekte der KulturgeschichteKulturgeschichteSchutz und Erhaltung als ZielErhaltung als ZielPharmazie-Historisches MuseumHistorisches MuseumApparaturen und Apparaturen und InstrumenteAnatomisches MuseumSteine, Fossilien, Steine, Fossilien, Minerale Aus Spital und P� egeAus Spital und P� egeBasler KunstsammlungenKunstsammlungen

SportU N I N O V A W I S S E N S C H A F T S M A G A Z I N D E R U N I V E R S I T Ä T B A S E L 1 0 8 – M ä r z 2 0 0 8

InformatikU N I N O V A W I S S E N S C H A F T S M A G A Z I N D E R U N I V E R S I T Ä T B A S E L 1 0 9 – J u l i 2 0 0 8

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Schwerpunkt: Umwelt und Gesundheit

Life Sciences für eine gesunde Umweltpolitik

Umweltbelastung messen – gesünder altern

«Neue Umweltphänomene im Auge behalten»

Wenn Luftverschmutzung zu Asthma führt

Elektromagnetische Felder: Überall und unsichtbar

Auswirkungen des Verkehrslärms

Sauberes Wasser macht gesund

Verunreinigtes Trinkwasser in Slums

Einsatz für das Recht auf Gesundheit

Von den Risiken der Wanderarbeiter

Forschung

Porträt Ute Holl Die Medien, die Ränder und die

Wissenschaft

Umweltwissenschaften Die Wiederentdeckung der

Fischvielfalt

Theologie Christus und der Krieg

Universität

Universität in Kürze Forschungserfolge,

Neubau mit fünf Ecken, Energie-Kompetenzzentrum

Nach dem Vorbild der Natur

Doppelführung für klinische Forschung

Rubriken

EditorialForschung in Kürze Kinderheime, Münzenfund, Klimawandel

Interview Tanja Klein über Rechtspopulisten

Kolumne von Andrea Maihofer Männlichkeit und Schmerz

Bücher Schweizer Juden, Erster Weltkrieg, Wanderungen

Webtipp Meret Hornstein, Nanowissenschaftlerin

Universität Basel im Web Biogeografie: Ein Spiel

Termine, Impressum

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InhaltEditorial

Einflüsse und Belastungen

Wie hoch ist die Belastung durch Feinstaub in unseren Städ-ten? Weshalb haben Asthma und Allergien weltweit stark zugenommen? Wie gefährlich ist die Handy-Strahlung? Kann sich Lärm auf Herz und Kreislauf auswirken? Und entstehen durch den Klimawandel neue Krankheiten? Solche Fragen stellen sich mehr denn je, und das nicht nur in den westlichen Ländern: Industrie und Landwirt-schaft, der steigende Energieverbrauch und die zunehmende Mobilität wirken sich weltweit auf die Umwelt und damit auch auf die menschliche Gesundheit aus. Diese Erkenntnis hat bei vielen zur Einsicht geführt, dass es eine dauerhaft nachhaltige Entwicklung braucht, um die natürlichen Lebensgrundlagen für die nachfolgenden Generationen zu erhalten. Das Schweizerische Tropen- und Public-Health-Institut (Swiss TPH), ein assoziiertes Institut der Universität Basel, feiert dieses Jahr sein 70-jähriges Bestehen. Mit Dienst-leistungen, wissenschaftlicher Forschung und Ausbildungs-programmen trägt es weltweit zur Verbesserung der Gesundheit bei. Fragen zum Einfluss der Umwelt auf die Gesundheit sind dabei ein wichtiger Bereich; erst kürz-lich hat das Swiss TPH dazu in Basel einen grossen Kongress mit über 1800 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-lern aus aller Welt organisiert. Bereits früh gehörten Basler Forschende europaweit zu den führenden Experten zu Themen wie Luftbelastung, Atemwegserkrankungen und Allergien. In der Schweiz sind sie heute vorne mit dabei, wenn neuere Umweltprobleme wie elektromagnetische Fel-der und Verkehrslärm untersucht werden – und ihre Folgen für die menschliche Gesundheit. Erforscht wird am Swiss TPH zum Beispiel aber auch, was sich in Ländern des Südens konkret tun lässt, um den negativen Einfluss der Umwelt auf die Gesundheit zu vermindern; so unterstützt es etwa Kampagnen gegen verschmutztes Trinkwasser und für eine verbesserte Hygiene. Die Beiträge im Schwerpunkt dieses Hefts stellen einige Aspekte aus der Forschungstätigkeit des Swiss TPH und der Universität Basel vor, wobei neben Fachleuten aus der Medizin auch solche etwa aus der Soziologie und der Humangeografie zu Wort kommen. « Umwelt » wird als ökologische (nicht als soziale oder kulturelle) verstanden, « Gesundheit » als physische (und nicht als psychische). Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre!

Christoph Dieffenbacher, Redaktion UNI NOVA

Titelbild und Bildteil

Die Bilder auf dem Titelblatt und im Schwerpunktteil dieser Ausgabe stam-men vom Grafiker Lukas Zürcher, dem Gestalter von UNI NOVA. Das The-ma «Umwelt und Gesundheit» hat er in digitalen Collagen umgesetzt; dabei wurden Papiermodelle erstellt, fotografiert und dann mit Darstellungen von Objekten kombiniert.

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Kinderheime und Lebenszufriedenheit

Wer als Kind in einer Institution wie einem Kinderheim aufgewachsen ist, ist als Erwachsener mit seinem Leben deutlich weniger zufrieden als wer in einer Familie gross wurde. Dies ergab eine deutsch-schweizerische Untersuchung mit Daten von 19’210 Erwachsenen einer repräsentativen Längsschnittstudie in Deutschland, an deren Auswertung Dr. Sakari Lemola von der Fakultät für Psycholo-gie der Universität Basel beteiligt war. Die befragten Personen, die bis zu 15 Jahre ihrer Jugend in einem Heim verbrachten, konnten ihre Lebenszufriedenheit jeweils anhand einer zehnstufigen Skala einschät-zen. Resultate : Je länger der Aufenthalt im Kinderheim, desto geringer die Lebenszufriedenheit im Erwachsenen-alter. Günstig wirkt sich aus, wenn es ehemaligen Heimkindern gelingt, eine qualifizierte Ausbildung zu absolvieren, einen höheren sozioöko-nomischen Status zu erreichen, körperlich gesund zu sein und in einer intakten Partnerschaft zu leben. Eine Kindheit in einem Heim ist aber ein Risikofaktor für das spätere berufliche und private Leben, weil es im frühen Erwachsenenalter oft an geeigneten Ressourcen fehlt.

Forschung in Kürze

Seltene Funde am Brünigpass

Silbermünzen aus dem späten 13. Jahr-hundert und weitere Objekte, die in die Jungsteinzeit zurückgehen, hat ein Archäologieteam der Arbeitsge-meinschaft Prospektion und der Universität Basel am Brünigpass ent-deckt. Gefunden wurden zum einen über 120 einseitig geprägte Pfenni-ge, die meist aus Basel, teils aber auch aus Zürich, Schaffhausen, Villingen und Strassburg stammen. Die Münzen befanden sich wahrscheinlich in einem Leder- oder Stoffbeutel, der am Säumerpfad verlorenging oder ver-steckt wurde. Der Fund eines so gros-sen Münzensembles ist eine kleine Sensation, denn bislang kannte man aus jener Zeit lediglich 17 Münzen dieser Machart aus der Zentralschweiz und keine einzige davon aus Obwal-den. Ebenso bedeutend sind zum andern einige weitere Objekte, die am Brünigpass gefunden wurden. Ein jungsteinzeitliches Flachbeil aus Kupfer sowie eine keltische und fünf römische Münzen belegen näm-lich, dass der Brünig, der Luzern mit dem Berner Oberland, dem Wal-lis und Italien verbindet, schon seit Jahrtausenden begangen wurde – und nicht wie bisher vermutet erst seit dem Mittelalter.

Klimawandel : Schnecken bergwärts

Als Reaktion auf die Klimaerwär-mung können Veränderungen im Natur-haushalt wie Verschiebungen in der Höhenverbreitung von Tierarten auf-treten. Dies wurde erstmals bei Schne-cken gezeigt : Dr. Anette und Prof. Bruno Baur vom Departement Umwelt-wissenschaften der Universität Basel untersuchten im Schweizer Natio-nalpark, bis in welche Höhe die Gefleck-te Schnirkelschnecke vorkommt, und verglichen ihre neuen Resultate mit historischen Aufzeichnungen von 1916/17. Die obere Grenze für das Vorkommen der Schneckenpopulation stieg in 95 Jahren im Durchschnitt um 164 Meter. Im gleichen Zeitraum kletterte in diesem Gebiet die Jah-resdurchschnittstemperatur um 1,6 Grad. Die Veränderungen waren nicht von der Hangneigung abhängig, aber von der Lage : An südexponierten Hän-gen krochen die Schnecken weiter hinauf als an nord- bis nordostexpo-nierten. An einigen Stellen haben die Schnecken bereits natürliche Barri-eren wie senkrechte Felswände er-reicht. Die höhere Temperatur führte also zu einer hangaufwärts verscho-benen Vegetation und damit zu ei-ner verlängerten Aktivitätsperiode der gehäusetragenden Schneckenart.

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Tanja Klein im Interview

« Rechtspopulisten sind in Europa etabliert »

Im Mai finden Europawahlen statt. Laut Prognosen könnte dabei jeder vierte Sitz an Rechtspopulisten und Euroskeptiker gehen. Die Politologin Tanja Klein hat sich mit rechtspopulistischen Parteien in Westeuropa befasst. Interview : Christoph Dieffenbacher

Wahlerfolge von Rechtspopulisten sorgen in Europa immer

wieder für Aufsehen. Was sind die Hintergründe ?

Viele dieser Parteien und ihre Vorgänger sind in den 1980er- und 1990er-Jahren entstanden. Seither kam es zu grossen gesellschaftlichen Umbrüchen, die bei vielen Menschen Unsicherheit auslösten. Die Bindung an klassische Parteien nimmt ab, Politik wird als undurchschaubar wahrgenom-men. Rechtspopulisten bieten scheinbar einfache Lösungen für komplexe Probleme an, und ihre Führer sind oft charis-matische Persönlichkeiten, die in den Medien viel Raum be-kommen. Wie charakterisieren sich diese Parteien heute ?

In Westeuropa werden ganz unterschiedliche Gruppierun-gen als rechtspopulistisch bezeichnet. Gemeinsam ist ihnen die Gegenüberstellung von « Volk » und den « anderen » – der Elite, dem Establishment, Politikern, Grossunternehmern, teilweise auch der EU. Dazu kommt eine Abgrenzung gegen « Fremdes » : Einwanderer, Minderheiten, Religionsgemein-schaften, aber auch einzelne Landesteile. Die Schwerpunkte sind unterschiedlich, die Standpunkte teilweise widersprüch-lich. So existierten im französischen Front National bis vor Kurzem noch offen antisemitische Tendenzen, während sich die niederländische PVV betont israelfreundlich zeigt.Wenn Rechtspopulisten in Regierun-

gen sind oder bürgerliche Minderheits-

regierungen tolerieren, wie wirkt sich

das auf die Politik aus ?

Sie können bei der Themensetzung der Regierung mitreden und haben Ein-fluss in Politikfeldern wie der Zuwan-derung, weniger dagegen in der Sozial-, Wirtschafts- und Aussenpolitik. In Dä-nemark waren sie etwa Meinungsführer

in weiten Teilen der Innen- und Gesellschaftspolitik sowie der Einwanderungspolitik. Häufig übernehmen Koalitions-partner auch rechte Positionen. Allgemein wird der Stil der Debatten rauer, es gibt mehr Konfrontation, das politische Klima ändert sich. Welche Folgen haben Regierungsbeteiligungen für die Rechts-

populisten selbst ?

Man erwartet, dass diese Parteien jeweils « entzaubert » wer-den. Tatsächlich haben sie meist grosse Probleme, wenn sie in Regierungen sitzen : Sie weisen oft eine dünne Personaldecke und eine wenig ausgereifte Programmatik auf und treten di-lettantisch auf. Wegen ihrer fehlenden Regierungserfahrung können sie sich kaum durchsetzen. Aber es gibt auch erfolg-reiche Rechtspopulisten, die in Regierungen ihre Positionen einbringen. Einfacher haben es solche Parteien, die Regie-rungen nur tolerieren, ohne Verantwortung zu übernehmen. Manche schaffen es sogar, gleichzeitig als Regierung und Op-position zu wirken oder durch neue Feindbilder glaubwürdig zu bleiben. Werden Rechtsparteien in Europa an Stärke zunehmen oder

gibt es Anzeichen für einen Rückgang ?

Derzeit ist ein Aufwärtstrend zu beobachten, ausgelöst etwa durch die Finanzkrise und die Unzufriedenheit mit einer na-

tionalen Regierung oder der EU. Dies könnte sich auch in den Wahlen ins Euro- paparlament zeigen, wo die Parteien der Französin Marine Le Pen und des Nie- derländers Geert Wilders zusammenar-beiten wollen. Obwohl die Szene ständig in Bewegung ist, haben sich die rechts- populistischen Parteien heute faktisch etabliert. Wenn einmal eine von ihnen ver- schwindet, rückt meist eine neue nach.

MA Tanja Klein ( *1987 ), seit September 2011 Dok-torandin und Assistentin für Politikwissenschaft an der Universität Basel, studierte Public Admi-nistration an den Universitäten Münster und Twente ( Niederlande ) sowie Verwaltungswissen- schaft an der Universität Potsdam. Ihre For-schungsschwerpunkte sind rechtspopulistische Bewegungen und Aussenpolitikanalyse. Für ihre Dissertation untersucht sie die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU anhand der Positionen Deutschlands und der Niederlande.

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Es kommt nicht von ungefähr : Umweltkatastrophen wie « Schweizerhalle » und die Diskussion um das Waldsterben haben Basel zu einem der weltweit führenden Forschungs-zentren im Bereich Luftverschmutzung und Gesundheit gemacht. Zuletzt hat hier zum Beispiel 2013 die grosse Jah-reskonferenz « Environment & Health – Bridging South, North, East and West » über 1’800 Forschende aus rund 70 Ländern im Bereich Umwelt- und Gesundheitsforschung zusammengebracht. Die versammelten Expertinnen und Experten tauschten dabei ihr Wissen aus und thematisier-ten dessen Relevanz für die Politik. Das Schweizerische Tropen- und Public-Health-Institut ( Swiss TPH ) führte den Kongress vollständig klimaneutral und umweltgerecht durch und wollte mit diesem Novum auch ganz konkret ei-nen Beitrag zum Bereich Umwelteinflüsse und Gesundheit leisten. Die Konferenz wurde auch von der Universität Basel unterstützt.

Sinkende Schadstoffbelastungen

Noch vor einem Vierteljahrhundert klafften breite Wissens-lücken, denn der tatsächliche Einfluss dreckiger Luft auf die menschliche Gesundheit war noch unklar. So entstand 1990 unter Basler Leitung das Nationale Forschungsprogramm ( NFP ) 26 A, « Mensch, Gesundheit, Umwelt », und seither generiert dieser auch international stark gewachsene For-schungszweig Wissen für eine wirksame Umsetzung des Umweltschutzgesetzes. Das ist notwendig, denn die schwei-zerische Gesetzgebung verlangt eine Umwelt, die die Ge-sundheit der Gesellschaft nicht gefährdet. Tatsächlich hat sich die Luftreinhaltepolitik in der Schweiz zielstrebig an diesem stetig wachsenden Wissen orientiert. Messungen der Luftqualität machen nämlich deutlich, dass die strengeren Grenzwerte der Luftreinhaltung Wirkung ge-zeigt haben – die Schadstoffbelastungen sind in den letzten 25 Jahren gesunken. Während zum Beispiel die Feinstaub-konzentrationen noch 1990 an stark belasteten Orten im Jah-

Life Sciences für eine gesunde Umweltpolitik

Dass dreckige Luft schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit hat, zeigt gerade die europäische Umwelt- und Gesund-

heitsforschung. Fachleute aus Basel haben dabei immer wieder entscheidende Erkenntnisse dazu geliefert. Trotzdem werden

in Europa die Grenzwerte wichtiger Schadstoffe nicht angepasst. Nino Künzli

resmittel mehr als 40 Mikrogramm pro Kubikmeter ( µg/m3 ) betrugen, liegen diese Werte heute näher bei 20 µg/m3 und an weniger belasteten Standorten deutlich tiefer. Aber auch die direkten positiven Auswirkungen auf die Gesundheit sind messbar. Die weltweit beachtete Sapaldia-Langzeitstudie ( Swiss Study on Air Pollution and Lung and Heart Disease in Adults ), die unter Basler Leitung ( Prof. Ni-cole Probst-Hensch ) den Einfluss der Luftverschmutzung auf die Gesundheit der Atemwege und des Herz-Kreislauf-Systems untersucht, hat bei Erwachsenen einen Rückgang an Lungenerkrankungen festgestellt. Und die Kinderstudie Scarpol ( Swiss Study on Childhood Allergy and Respiratory Symptoms with Respect to Air Pollution and Climate ), eben-falls unter Basler Leitung ( Prof. Charlotte Braun-Fahrlän-der ), hat gezeigt, dass Kinder als Folge besserer Luft weniger an Atemwegserkrankungen leiden.

Luftverschmutzung ohne Grenzen

Trotz solcher Fortschritte werden die Ziele der Luftreinhal-tung längst nicht überall erfüllt – weder in der Schweiz noch im umliegenden Europa. Das hat primär politische Gründe, denn an fundiertem Wissen fehlt es nicht. Die Europäische Union hat in den letzten 20 Jahren erhebliche Summen in die Erforschung der Auswirkungen von verschmutzter Luft auf die menschliche Gesundheit investiert. Soeben ist etwa mit Escape ( European Study of Cohorts for Air Pollution Ef-fects ) eine europäische Grossstudie zu Ende gegangen. Dafür haben sich Langzeitstudien aus über 60 Regionen zusam-mengeschlossen, darunter auch die schweizerische Sapaldia-Studie ; fünf der 22 Hauptuntersuchungen standen unter der Leitung von Forschungsgruppen am Swiss TPH. Nicht nur in der Region Basel, sondern auch in Genf, Lugano, Norditalien, in Vorarlberg sowie in der Stadt Heidelberg haben Wissen-schaftlerinnen und Wissenschaftler aus Basel die Schadstoffe gemessen und modelliert. Weitere koordinierte Analysen der europäischen Messungen wurden hier durchgeführt.

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Zentrale Errungenschaften der Escape-Studie waren die für alle Regionen standardisierten Methoden zur Messung von sechs Indikatoren der Luftverschmutzung : nämlich von Feinstaub unter 10 Mikrometern Durchmesser ( PM10 ), Fein-staub unter 2,5 Mikrometern ( PM2.5 ), Feinstaub zwischen 2,5 und 10 Mikrometern ( PM2.5 bis 10 ), Russ in PM2.5 sowie von Stickstoffdioxid ( NO2 ) und Stickoxid ( NOx ). Nur dank einer solchen Abstimmung der Messungen konnten die über ganz Europa erfassten Daten in einheitliche Schadstoffmodelle fliessen. Entstanden sind dabei Modelle, die eine Übersicht der europäischen Schadstoffverteilung in kleinräumiger Auf-lösung wiedergeben. Für jeden beliebigen Punkt innerhalb der Modellregionen können nun die mittleren Langzeitbelas-tungen bestimmt und die Werte untereinander verglichen werden. Zusätzlich wurden die Koordinaten der Wohnadres-sen aller über 300’000 Studienteilnehmer mit diesen Schad-stoffkarten verknüpft. Für jede Person lässt sich damit die in-dividuelle Schadstoffbelastung bestimmen. Um ein Gesamt-bild der Gesundheitsbelastungen aller Studienteilnehmer zu erhalten, wurden auch andere gesundheitlich wichtige Fak-toren berücksichtigt wie zum Beispiel Lebensgewohnheiten, Ernährung, soziale Faktoren oder familiäre Belastungen.

« Jahr der Luft » bleibt warme Luft

Die Europäische Union förderte das Projekt Escape im 7. Rahmenprogramm mit der Absicht, die EU-Kommission bei der 2013 anstehenden neuen Bewertung ihrer Luftreinhal-tepolitik wissenschaftlich zu unterstützen. Sie ernannte das vergangene Jahr zum « Jahr der Luft » und schürte damit die Hoffnung, dass sie die Luftreinhaltegrenzwerte in Europa an die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation ( WHO ) anpassen würde. Die WHO hatte, gestützt auf wissenschaft-liche Erkenntnisse, bereits vor zehn Jahren empfohlen, für PM10 einen Jahresmittelwert von höchstens 20 µg/m3 einzu-halten. Doch auf Druck verschiedener Interessengruppen aus Industrie und Wirtschaft gelten in der EU heute weiterhin Grenzwerte, welche die Gesundheit zu wenig schützen ; für PM10 gilt noch immer ein Jahresmittelwert von 40 µg/m3. Im Gegensatz dazu sind hier die Schweiz sowie andere Staaten den Empfehlungen der WHO bereits gefolgt. Für die feinere Fraktion des Feinstaubs ( PM2.5 ) fordert die WHO einen Grenzwert von 10 µg/m3 als Jahresmittelwert. Dieser Wert stützt sich auf die Daten weltweit verfügbarer Forschung. Doch die EU belässt den PM2.5-Grenzwert bei 25 µg/m3. Er ist somit doppelt so hoch wie der seit 2013 in den USA geltende Standard von 12 µg/m3. Die Schweiz kennt bis-her keine Grenzwerte für PM2.5. Trotz intensiver Forschung zu den gesundheitlichen Fol-gen der Luftverschmutzung hat die EU das « Jahr der Luft » 2013 vor allem mit Worten begangen. Die Immissionsgrenz-werte blieben unverändert hoch. Eine kürzlich veröffentlich-te Beurteilung der WHO – in Auftrag gegeben von der Eu-ropäischen Union zur Politikberatung zum « Jahr der Luft » –

betont, dass die heutigen wissenschaftlichen Erkenntnisse eigentlich nach noch strengeren Grenzwerten rufen würden, was nun auch mit der Escape-Studie bestätigt wurde. Leider hatte das von der EU mit vielen Millionen Euro geförderte Wissen bisher wenig Einfluss auf ihre Luftreinhaltepolitik.

Feinstaub erhöht Sterblichkeit

Die Escape-Studie hat zudem auch Daten zur Sterblichkeit der über 300’000 Menschen in den untersuchten Regionen gesammelt, und diese Analyse offenbarte einen interes-santen Zusammenhang : Erhöht sich der Jahresmittelwert von Feinstaub ( PM2.5 ) am Wohnort um 5 µg/m3, so steigt das Sterberisiko der Betroffenen um 7 % an. Dass sich eine Verschmutzung der Luft mit Feinstaub direkt auf das Sterbe-risiko auswirkt, hat sich auch bei Menschen bestätigt, die im Jahresmittel maximal 15 µg/m3 PM2.5 ausgesetzt waren : Auch in dieser am wenigsten belasteten Gruppe liess sich derselbe direkte Zusammenhang zwischen der Belastungshöhe und dem Sterberisiko beobachten. Escape und viele andere internationale Studien zur Luft-verschmutzung liefern ein deutliches Bild : Jede Veränderung der Luftverschmutzung schlägt sich in der Gesundheit der Menschen nieder. Veränderte Lungenfunktion, asthmatische und chronische Atemwegserkrankungen, aber auch die Ver-kalkung von Blutgefässen ( Arteriosklerose ) können auf er-höhte Luftbelastungen zurückgeführt werden. Dreckige Luft steigert auch das Risiko für Lungenkrebs. Und bei Kindern ist auch das Wachstum der Lunge durch Schadstoffe in der Luft beeinträchtigt. Insgesamt bestätigt Escape in vielfacher Weise, dass die gegenwärtige Luftverschmutzung die Gesundheit der Be-völkerung in Europa messbar beeinträchtigt. Die Lebenser-wartung der Menschen wird dadurch je nach Region um bis zu zwei Jahre verkürzt. Die Forderung nach der Prävention von chronischen Krankheiten ( mit ihren hohen Folgekosten ) richtet sich somit nicht nur an die Gesundheitspolitik, son-dern bleibt eine Aufgabe, der sich auch die Umwelt- und die Verkehrspolitik widmen müssen.

Prof. Nino Künzli ist Vizedirektor des Schweizerischen Tropen- und Pu-blic-Health-Instituts ( Swiss TPH ) und Ordinarius für Prävention und Ge-sundheitswesen der Universität Basel.

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Heute dürfen neugeborene Mädchen mit einer Lebensspan-ne von 85 Jahren rechnen, Jungen mit etwas über 80 Jahren. Die Lebenserwartung hat sich in der Schweiz in den letzten 100 Jahren mehr als verdoppelt. Doch ein längeres Leben heisst nicht unbedingt ein Alter in besserer Gesundheit : Se-nioren von heute leben zwar aktiver und agiler als noch vor 30 Jahren. Gesamthaft erkranken aber immer mehr Men-schen an Herz-Kreislauf-Beschwerden, Krebs oder einer Altersdemenz. Denn je länger Menschen leben, desto mehr steigt das Krankheitsrisiko.

Es fehlt an Wissen

Gute Gesundheit im Alter ist kein schicksalhafter Zustand, wie man heute aus der Epidemiologieforschung zu chro-nischen Erkrankungen weiss. Viele Gesundheitsfaktoren der frühen und mittleren Lebensphase beeinflussen die spätere Gesundheit entscheidend : Ernährung, Bewegung, Rauchen, Schadstoffe, Blutdruck, Stress, Arbeitsplatz und soziale Ge-gebenheiten. Würden wir den Einfluss dieser Gesundheits-faktoren kennen, könnten wir durch unser Verhalten ein gutes Altern begünstigen. Doch dieses Wissen fehlt. Die Gesundheitsforschung hat sich in den letzten 15 Jahren stark auf den Einfluss von genetischen Faktoren konzentriert. Seit der Entzifferung des menschlichen Erbguts im Jahr 2000 haben sich die genetischen Untersuchungsmethoden explo-sionsartig weiterentwickelt. Heute bestimmen Hightech-Roboter für weniger als 1000 Franken das Erbgut eines Men-schen innert Wochenfrist. Allerdings sind Erbfaktoren bei den allermeisten Krankheiten nur eine Ursache unter vielen. Bedeutender sind Umwelt-, Verhaltens- und Sozialeinflüsse. Doch wie stark welcher Faktor beiträgt, ist unbekannt. Die Zahl möglicher Gesundheitsfaktoren ist gross, die Un-tersuchungen sind aufwendig und vielschichtig. Notwendig sind dazu Untersuchungen grosser und präzise ausgewählter Bevölkerungsgruppen über einen längeren Zeitraum. Nur so kann die Wissenschaft den Einfluss von Gesundheitsfak-

Umweltbelastung messen – gesünder alternViele Faktoren wirken sich auf die Lebensqualität im späteren Alter aus. Doch welche Einflüsse dabei die Umwelt, das Ernäh-

rungsverhalten und die Bewegung haben, ist heute noch weitgehend unerforscht. Nun werden solche Zusammenhänge in

einer Untersuchung innerhalb der Bevölkerungsstudie Sapaldia erforscht. Nicole Probst-Hensch

toren bestimmen. Man nennt solche Untersuchungen longi-tudinale Kohortenstudien. Unter dem Titel Sapaldia läuft in der Schweiz seit 1991 eine solche Kohortenstudie. Über 9000 Männer und Frauen im Alter zwischen heute 40 und 80 Jahren aus ländlichen Ge-bieten, städtischen Agglomerationen und alpinen Regionen haben bisher an der Studie mitgewirkt. Sie repräsentieren so-zusagen die Schweizer Bevölkerung.

Grösste Biobank der Schweiz

Die Studie zeichnete bisher alle zehn Jahre mit einem detail-lierten Fragebogen den Gesundheitszustand, die Lebenswei-se und weitere Umwelteinflüsse der Probanden auf. Ein nati-onales Netz fixer Messstationen bestimmte die Schadstoff-belastung der Studienteilnehmer an ihren Wohnorten. Dies erlaubt eine Abschätzung der chronischen Schadstoffbelas-tung von 1991 bis heute. Gleichzeitig lagert Sapaldia bis heu-te Blutproben fast aller untersuchten Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Einen solchen Langzeitspeicher biologischer Proben zur späteren wissenschaftlichen Untersuchung be-zeichnet man als Biobank. Welchen Schaden Luftverschmutzung an der menschli-chen Gesundheit anrichtet, hat die Sapaldia-Langzeitstudie eindrücklich gezeigt : Bereits geringe Mengen an verschmutz-ter Luft reichen aus, um Lungenfunktionen zu beeinträchti-gen. Je belasteter die Luft, desto weniger leistungsfähig sind die Lungen. Allergischer Schnupfen, Asthma, Bronchitis und andere Lungenerkrankungen können die Folge davon sein. Die Studie lieferte auch den Nachweis, dass Menschen, die nahe einer stark befahrenen Strasse wohnen, gesundheitlich benachteiligt sind : Sie erkranken häufiger an Asthma oder Lungenkrebs. Zudem lieferte Sapaldia Resultate zur allgemeinen Entwick- lung von Atemwegserkrankungen, allergischen Symptomen und dem altersbedingten Rückgang der Lungenfunktion. Dabei wurde deutlich, dass die Lungenfunktion übergewich-

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tiger Menschen offenbar nicht von einer besseren Luftqua-lität profitieren kann. Viele dieser Erkenntnisse sind in die nationale und internationale Gesetzgebung eingeflossen, wie zum Beispiel in der Schweiz in die Luftreinhalteverordnung.

Spuren im Stoffwechsel

Die über 9000 Sapaldia-Studienteilnehmer der ersten Jahre sind heute ein Vierteljahrhundert älter. Viele von ihnen ha-ben das Seniorenalter erreicht und gehören damit zur de-mografischen Schicht der alten Menschen der Schweiz. Und damit eröffnet sich für die Forschung eine einmalige Chance. Ihr Gesundheitszustand kann im Licht ihres Lebenswandels, ihrer Schadstoff- und Umweltbelastungen, ihrer Ernährung und bereits durchlaufener Krankheiten beleuchtet werden. Aber nicht nur das : Die ebenfalls noch vorhandenen Blut-proben liefern einen Schnappschuss des Stoffwechsels dieser Menschen von damals. Das ist hochinteressant, denn heute ist klar, dass auch Umwelteinflüsse ihre Spuren im Stoffwechsel eines Menschen hinterlassen. Der Eiweiss- oder Fetthaushalt wird durch Umwelteinflüsse genauso wie durch soziokultu-relle Faktoren, die Ernährung, Lebensweisen, ja sogar psy-chische Zustände mitbestimmt. Dank neuester Technologien kann im Blut nach den charakteristischen Fingerabdrücken gesucht werden, die typisch für gewisse Umwelteinflüsse und mögliche Krankheitsrisiken sind. Die Sapaldia-Studie, deren Förderung der Schweizerische Nationalfonds eben um weitere vier Jahre verlängert hat, wird nach den Gesundheits-, Umwelt- und Lebensfaktoren su-chen, die zu einer besseren Gesundheit im Alter führen. Das dabei entstehende Wissen wird später als Grundlage für zu-künftige Aufklärungs- und Präventionsbemühungen dienen.

Von der Genomik zur Exposomik

Nach der Genomik, die nach Lebens- und Steu-erungsprozessen in den Genen sucht, richtet sich der Blick der Wissenschaft immer stärker auch auf Umwelteinflüsse und ihre Aus-wirkungen auf den Stoffwechsel. Der Begriff « Exposomik » umschreibt bereits eine neue wissenschaftliche Disziplin, die die Gesamtheit aller messbaren Umwelteinflüsse auf die menschliche Biologie und den menschlichen Körper umfasst. Dadurch soll das Wechselspiel zwischen Umwelteinflüssen und Erbfaktoren besser beschrieben und verstanden werden. Unter dem Titel « Exposomics » finanziert die Europäische Union derzeit das grösste je finan-zierte Projekt der Umweltgesundheitsfor-schung mit über 11 Millionen Euro. Die schwei-zerische Bevölkerungsstudie Sapaldia trägt ebenfalls zu diesem europäischen Forschungs-projekt bei.

Prof. Nicole Probst-Hensch leitet das nationale Sapaldia-Projekt. Sie ist Ex-traordinaria für Sozial- und Präventivmedizin an der Universität Basel und steht am Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut ( Swiss TPH ) der Arbeitsgruppe « Epidemiologie Chronischer Erkrankungen » vor.

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Neue Umweltphänomene im Auge behalten »

« Seit über drei Jahrzehnten werden in Basel die Zusammenhänge zwischen Umwelt und Gesundheit erforscht. Internati-

onale Beachtung fanden dabei die Studien zu Luftschadstoffen und Atemwegserkrankungen, aber auch zu Elektrosmog,

kindlichem Asthma und Allergien. Eine der Pionierinnen ist die Umweltepidemiologin Prof. Charlotte Braun-Fahrländer vom

Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut, das mit der Universität Basel assoziiert ist. Interview : Christoph Dieffenbacher

Wie ist es dazu gekommen, dass man sich in Basel bereits

Anfang der 1980er-Jahre mit dem Bereich Umwelt und Ge-

sundheit befasst hat ?

Wie so oft, beruhte der Anstoss auf einer Beobachtung und hat erst später weitere Kreise gezogen : Während meines zweiten Mutterschaftsurlaubs, nachdem ich mein Medizin-studium abgeschlossen hatte, war die Luftverschmutzung in Basel ein Thema. Kinderärzte berichteten, dass Stadtkinder viel stärker und länger erkältet seien als noch eine Genera-tion zuvor. Wir diskutierten in der Müttergruppe darüber. Ich wollte der Sache nachgehen und fand dazu Publikationen aus den USA. Gleichzeitig wurden an der ETH Zürich neu-artige Geräte zum Messen von Luftschadstoffen entwickelt. Bei Prof. Ursula Ackermann an der damaligen Abteilung für Sozial- und Präventivmedizin stiess ich auf offene Ohren und Unterstützung. Um das Thema Luftschadstoffe zu untersu-chen, wurde ein Nationalfondsgesuch bewilligt. Am Anfang stand also die Vermutung, dass Basler Stadtkin-

der von der Luftverschmutzung besonders betroffen waren ?

Ja, und es hiess dann überall gleich : Basel hat eben die che-mische Industrie. Es zeigte sich dann aber schnell, dass die Ursachen der schlechten Luft komplexer sind. Bei den Mes-sungen von Stickstoffdioxid, dem NO2, das vom Verkehr und den Heizungen kommt, fanden wir nämlich hohe Werte auch in Städten wie Zürich. Wir verglichen die Stadtluft mit jener in ländlichen Gebieten und Agglomerationen. Dabei nahmen wir bei den Leuten zu Hause Messungen vor, also in den Innenräumen, wo neben der Aussenluft oft noch das Rauchen und Gasemissionen dazukamen. In den Städten stellten wir allgemein eine höhere NO2-Belastung fest, und zwar in sehr unterschiedlichem Mass – sie war klar abhängig davon, ob jemand an einer stark befahrenen Strasse wohnte oder etwas weiter davon entfernt. Ein Thema war für Sie – und ist es bis heute – der Zusam-

menhang zwischen Luftverschmutzung und Atemwegser-

krankungen sowie Asthma in der Bevölkerung …

… wobei ich selber vor allem Studien zu kindlichem Asthma durchführe. Mitte der 1980er-Jahre gingen viele Leute in den Behörden und der Wissenschaft davon aus, dass es einen sol-chen Zusammenhang nicht gibt. Unsere erste Nationalfonds-studie sollte das wissenschaftlich erhärten. Wir fanden aber einen Effekt der Luftverschmutzung auf die Lungengesund-heit, und Anfang der 1990er-Jahre wurde dann das Nationale Forschungsprogramm « Mensch, Gesellschaft, Umwelt » lan-ciert. Sie sind also früh zu einer Expertin im Bereich Umwelt und

Gesundheit geworden ?

Unsere Forschungsgruppe hatte gute Kontakte zur Harvard School of Public Health, die in der Forschung über Luftver-schmutzung führend war. Dort wurden die ersten Geräte entwickelt, um Feinstäube in der Luft zu messen ; diese Ge-räte konnten wir auch in den Schweizer Studien einsetzen. Den Austausch und die Zusammenarbeit auf internationaler Ebene haben wir immer gepflegt, sie haben die Qualität un-serer Arbeit gefördert und uns zu Expertinnen und Experten im Bereich Umwelt und Gesundheit werden lassen. Wir sind heute mit zahlreichen EU-Forschungsgruppen eng vernetzt.Über Luftverschmutzung und Atemwegserkrankungen

weiss man heute bestimmt viel mehr als vor 30 Jahren. Doch

in dieser Zeit haben auch Asthma und andere Allergien welt-

weit stark zugenommen – wieso das ?

Asthma, also die chronische, entzündliche Erkrankung der Atemwege, hat viele Facetten. Bei Kindern tritt die Krankheit häufig im Rahmen einer Allergie auf, es gibt aber noch an-dere Ursachen. Zunächst haben wir in unseren Studien mit Kindern keinen Bezug zwischen der Luftqualität und Asth-ma gefunden : Es gab auf dem Land also nicht weniger häufig Asthmakinder als in den Städten. In unserem Forschungs-team war aber auch ein Kollege dabei, der als Dorfschularzt in der Ostschweiz arbeitete. Ihm fiel auf, dass Kinder auf Bauernhöfen seltener an Heuschnupfen leiden als Gleich-altrige aus dem gleichen Dorf …

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Prof. Charlotte Braun-Fahrländer ( *1949 ) ist Professorin für Epidemiologie und Public Health sowie Direktionsmitglied am Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut in Basel. Sie studierte hier und in Heidelberg Medizin und bildete sich nach dem Doktorat und einer Assistenzzeit an der London School of Hygiene & Tropical Medicine in Epidemiologie und Medizinischer Statistik weiter. In ihrer Forschung in Umweltepidemiologie hat sie sich auf Einflüsse der Luftverschmutzung auf die Gesundheit vor allem von Kindern spezialisiert ( Bild : Andreas Zimmermann ).

… was Sie gleich in Ihre Forschung mit einbezogen ?

Das gibt es in der Umweltforschung nicht selten, dass je-mand etwas Ungewöhnliches feststellt und daraus eine wis-senschaftliche Fragestellung entsteht. Die Eindrücke müssen dann aber methodisch sorgfältig untersucht werden. Tat-sächlich konnten wir die Beobachtungen des Schularztes später statistisch klar bestätigen. Aber nachvollziehbare Er-klärungen dazu zu finden, ist sehr viel anspruchsvoller und verlangt verschiedene Forschungsansätze. Bauernkinder kommen natürlicherweise mit sehr vielen Mikroben in Kon-takt, aber auch mit hohen Pollenkonzentrationen – denken Sie nur an das Heu, das in den Ställen herumgewirbelt wird. Das vielfältige mikrobielle Umfeld löst zahlreiche Signale aus, welche die Immunzellen zur Produktion von Zytokinen und andern Abwehrstoffen anregen, was schliesslich das Ent-stehen von Asthma oder Heuschnupfen verhindert. Die Me-chanismen sind im Einzelnen aber noch wenig verstanden. Haben Sie auch Zusammenhänge zwischen Allergien und

der Ernährung gefunden ?

Ja, obwohl das nicht eigentlich der Schwerpunkt unserer For-schung war. Es zeigte sich, dass Kinder, die auf dem Bauern-hof produzierte Milch trinken, allgemein weniger anfällig für Asthma und Allergien sind. Dies gilt interessanterweise auch für Nichtbauernkinder, die Milch direkt vom Hof kon-sumieren. Man darf aber nicht vergessen, dass rohe Milch viele auch krankmachende Keime enthält. Ich empfehle des-halb sicher nicht, Milch vom Bauernhof unbehandelt zu trin-ken, um Asthma und Allergien zu vermeiden. Unsere Analy-sen der Milchinhaltsstoffe ergaben, dass für den Schutzeffekt nicht die Bakterien wichtig sind, sondern der Proteingehalt der Milch. Proteine werden ja beim Erhitzen denaturiert und verändert. Lange hiess es, Babys sollten möglichst lange gestillt wer-

den. Gilt das nicht mehr ?

Muttermilch ist nach wie vor die wichtigste Ernährung für Säuglinge und wird weiterhin empfohlen. Die wissen-

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schaftliche Evidenz der Frage, ob und wie lange Stillen als Allergieprävention empfohlen werden soll, ist aber etwas komplexer. Während sich die Medizin auf der Suche nach Umweltursachen von Allergien und Asthma lange auf die Risikofaktoren konzentriert hat, werden heute auch die Schutzfaktoren einbezogen : Umwelteinflüsse, die vor dem Entstehen bestimmter Erkrankungen schützen. Mit der Entwicklung unseres « westlichen » Lebensstils haben wir teilweise bestimmte Schutzfaktoren verloren. Denken wir an die Bakterien : Sie sind nach wie vor ein grosses Problem in der Medizin und ihre Bekämpfung ist zentral. Dabei hat man lange aus dem Blick verloren, dass Mikroben für den Menschen auch eine positive Funktion haben können. Das war ein interessanter Perspektivenwechsel in unserer Asth-ma- und Allergieforschung. Die sogenannte Mikrobiomfor-schung, ein wichtiges und hochaktuelles Gebiet, befasst sich mit den Wirkungen der Mikroflora auf den Stoffwechsel und das Immunsystem des Menschen. In dieser Richtung gehen auch die Untersuchungen unserer Daten weiter.Unser Lebensstil ist also auch hier ein Gesundheitsrisiko ?

Wir leben in den industriellen Gesellschaften sehr wohlha-bend und sauber, aber wir kommen im Alltag viel weniger mit der natürlichen Umwelt in Berührung. Insgesamt wird heute angenommen, dass die Veränderung des mikrobiellen Um-feldes einen wichtigen Anteil hat an dem, was allgemein als « westlicher » Lebensstil zusammengefasst wird und für die Zunahme von Asthma und Allergien mitverantwortlich ist. Sie untersuchen auch die körperliche Aktivität von Kindern.

Ist das auch Teil der Umweltgesundheitsforschung ?

Ja. Unsere Schadstoffforschung hat uns in diese Richtung geführt. Verkehr verursacht ja nicht nur Schadstoffe und Lärm, sondern beeinträchtigt wahrscheinlich auch die Mo-bilität von Kindern. Im Rahmen einer Studie haben wir des-halb untersucht, wie sich Verkehrsnähe und das Angebot an Grünflächen in der unmittelbaren Wohnumgebung auf das Aktivitätsverhalten der Kinder auswirken. Wir konnten zei-gen, dass mehr Hauptstrassen in der unmittelbaren Nachbar-schaft die Zeit verringern, die Kinder draussen aktiv spielen. Umgekehrt fördert ein grösseres Angebot an Grünflächen in der Nachbarschaft die objektiv gemessene körperliche Akti-vität der Kinder.Noch einmal zurück zu den Anfängen : Hatten Ihre Forschun-

gen auch Folgen auf die Politik, die Gesetzgebung, die Ge-

sundheitsförderung ? Wie sehen Ihre Erfahrungen damit aus ?

Positiv war die Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Umwelt und dem kantonalen Lufthygieneamt, die sich früh für Daten zur Auswirkung der Luftverschmutzung aus der Schweiz interessierten, nachdem bereits Ergebnisse aus dem Ausland vorlagen. Unsere Arbeit hatte bereits in den 1990er-Jahren einen Einfluss auf die Grenzwerte von Schadstoffen. Damals wurden der Katalysator und bleifreies Benzin bei Autos eingeführt, das Heizöl wurde entschwefelt – und diese Massnahmen hatten bekanntlich Erfolg. Der Enthusiasmus

bei Behörden und Politikern war aber zu jener Zeit weitaus grösser als heute. Denn inzwischen stehen weniger spekta-kuläre Lösungen im Vordergrund, die komplizierter und schwieriger umzusetzen sind. Zudem gibt es nach wie vor po-litische Widerstände. Immerhin hatten die – übrigens schon seit sehr Langem bekannten – Erkenntnisse über die Schäd-lichkeit des Rauchens, des Passivrauchens oder von Asbest Folgen auf die Gesetzgebung – trotz des massiven Drucks der betreffenden Industrie, den wir zum Teil bei unserer Arbeit auch spürten. Allgemein sollten wir als Forschende immer wieder ein wachsames Auge auf neue Umweltphänomene werfen und die Entwicklungen genau beobachten. Täuscht eigentlich der Eindruck, dass die Schweiz ihre

frühere führende Stellung in Sachen Umweltmassnahmen

eingebüsst hat ?

Die Schweiz war ja eines der letzten Länder, das 1979 über-haupt eine Umweltgesetzgebung einführte. Die Grenzwerte der Luftreinhalteverordnung von 1986 beruhten dann auf den damals aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und den Empfehlungen der WHO und waren im Vergleich zu umliegenden Ländern fortschrittlich. Heute werden weitere technische Umweltmassnahmen oft im Gleichschritt mit der Europäischen Union eingeführt, was in der Praxis bedeutet, dass es mit gewissen Massnahmen nur langsam vorwärts-geht. Immerhin ist die Schweiz bei einigen Grenzwerten der Luftschadstoffe – etwa des Feinstaubs und des NO2 – noch etwas strenger als die EU.

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Asthma ist die häufigste chronische Lungenerkrankung überhaupt – etwa jedes zehnte Kind in den Industrienationen leidet daran. Die Exposition gegenüber Schadstoffen wie Zi-garettenrauch und verkehrsbedingter Luftverschmutzung gilt als bekannter Risikofaktor für Asthmasymptome bei Kindern, aber auch allgemein für die Entstehung von Asth-ma. Die genauen Mechanismen und die ursächlichen Zusam-menhänge dieser negativen Effekte der Luftschadstoffe auf Lungengesundheit und -wachstum sowie auf die Asthma-entstehung sind vielfältig und noch nicht ganz verstanden.

Risiko für Neugeborene

Ein Teil der Wirkungen betrifft die Lunge direkt, etwa die veränderte Zusammensetzung des Schleims oder die erhöhte Entzündungsaktivität des Atemwegsgewebes. Andere Effekte laufen hingegen ausserhalb der Lunge und über mehrere Stufen ab : So führt eine vermehrte Schadstoffexposition der Mutter in der Schwangerschaft – mit niedrigerem Geburts-gewicht, veränderter Entwicklung des Immunsystems und vermindertem Lungenwachstum – zu einem erhöhten Risiko für das Neugeborene, später an Asthma zu erkranken. Kinder mit bekanntem Asthma leiden bei erhöhter Luft-verschmutzung häufiger und stärker an Symptomen. So ver-schlechtert sich ihr Asthma deutlicher, und sie haben länger dauernde Infekte und eine schlechtere Lungenfunktion. Die Folgen davon sind ein höherer Medikamentenverbrauch, mehr Notfallkonsultationen sowie häufigere und längere Spi-talaufenthalte. Die kausale Beziehung zwischen Luftschad-stoffen und vermehrten Atemwegssymptomen bei Asthma-tikern konnte etwa während der Olympischen Sommerspiele in Atlanta 1996 gezeigt werden : Der temporäre Rückgang der Luftverschmutzung führte damals zu einer deutlichen Ab-nahme der Asthmaanfälle, der Notfallkonsultationen und

-hospitalisationen bei Kindern unter 16 Jahren. Über verschiedene direkte oder indirekte Mechanismen können Luftschadstoffe zur Entstehung von Asthma beitra-

Wenn Luftverschmutzung zu Asthma führt Dass Luftschadstoffe und Asthma auch bei Kindern zusammenhängen, wird zunehmend besser verstanden. Kinder mit Asth-

ma reagieren ähnlich wie Erwachsene auf die Schadstoffe mit vermehrten Symptomen. Zudem spielen Luftschadstoffe im

Kindesalter auch eine wichtige Rolle, wenn es später zu einer Asthmaerkrankung kommt – gerade in der frühen Lebensphase

und sogar bereits in der Schwangerschaft. Philipp Latzin

gen. Direkte Mechanismen sind zum Beispiel eine bronchiale Übererregbarkeit, eine erhöhte Durchlässigkeit des Atem-wegsgewebes ( Epithel ), eine verstärkte Sensibilisierung ge-genüber Allergenen und eine höhere Entzündungsaktivität in den Atemwegen. Besonders während der frühkindlichen Entwicklung kann dies einen starken Effekt auf eine spätere Krankheitsentstehung haben. Da die Entwicklung der Lunge und des Immunsystems im Mutterleib beginnt, wirken eini-ge indirekte Mechanismen sogar schon während der Schwan-gerschaft mit : so etwa der Einfluss auf das sich entwickelnde Immunsystem oder genetische Veränderungen.

Vermindertes Lungenwachstum

Ähnlich wie das Passivrauchen führt auch die Luftverschmut-zung zu einem verminderten Lungenwachstum. In mehreren grossen Studien wurde nachgewiesen, dass vor allem die Nähe zu grossen Strassen und die Feinstaubkonzentration einen negativen Einfluss auf die Lungenentwicklung haben. Interessanterweise scheinen auch für diesen Effekt nicht nur die Schulzeit, sondern auch – und gerade – die ersten Lebens-jahre sehr wichtig zu sein. Unsere Arbeitsgruppe konnte so-gar zeigen, dass selbst in der Schweiz eine erhöhte Exposition der Mutter gegenüber Feinstaub während der Schwanger-schaft zu einer schlechteren Lungenfunktion des Säuglings kurz nach der Geburt führt. Weil eine frühe Einschränkung des Lungenwachstums auch langfristig negative Effekte ha-ben kann, wird der gesamthafte Einfluss der Luftschadstoffe auf die Lungengesundheit derzeit vermutlich noch deutlich unterschätzt.

Prof. Philipp Latzin ist Leiter der Forschungsgruppe Pädiatrische Pneumo-logie Fondation Botnar am Universitäts-Kinderspital beider Basel.

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Für die drahtlose Kommunikation werden hochfrequente elektromagnetische Felder ( HF-EMF ) im Frequenzbereich zwischen etwa 100 Kilohertz und 10 Gigahertz genutzt. Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen Geräten, die körpernah betrieben werden ( wie Mobil- und Schnurlos- telefone ), sowie Quellen, die fern vom Körper operieren ( etwa Mobilfunkbasisstationen, Radio- und Fernsehsender ). Die Emissionen von letzteren werden auch Umwelt-EMF ge-nannt. Weltweit ist mittlerweile die Anzahl von Mobiltelefonver-trägen etwa gleich gross wie die Weltbevölkerung. Auch die technische Entwicklung verläuft rasant : In den 1980er-Jah-ren wurde das Natel ( « Nationales Autotelefon » ) in der Schweiz eingeführt, und zurzeit wird schon die vierte Gene-ration ( 4G, LTE ) ausgebaut. Diese rasche Veränderung wirft natürlich Fragen nach den gesundheitlichen Auswirkungen auf und ist gleichzeitig eine Herausforderung für die epide-miologische Forschung. Erst seit wenigen Jahren können Umwelt-EMF mit geeigneten Ausbreitungsmodellen erfasst und die persönliche Belastung mittels tragbaren Geräten ge-messen werden, was die Durchführung von aussagekräftigen epidemiologischen Studien ermöglicht hat.

Belastung im Raum Basel gemessen

Die Qualifex-Studie im Rahmen des Nationalen Forschungs-programms ( NFP ) 57 war weltweit eine der ersten Studien, bei der persönliche Messungen der Exposition in hochfre-quenten elektromagnetischen Feldern durchgeführt wurden. Rund 170 Personen aus dem Raum Basel trugen zwischen April 2007 und Februar 2008 ein Messgerät bei sich und füllten gleichzeitig ein Aktivitätstagebuch aus. Die gesam-melten Daten ergaben, dass die mittlere Umwelt-EMF-Belas-tung im Durchschnitt 0,21 Volt pro Meter ( V/m ) betrug. Die Hauptbeiträge dafür stammten von Mobilfunkbasisstati-onen, Schnurlostelefonen und Handys von anderen Per-sonen.

Elektromagnetische Felder : Überall und unsichtbar

Kaum jemals hat sich eine Umweltbelastung so rasant ausgebreitet wie in den letzten Jahren hochfrequente elektromagne-

tische Felder. Drahtlose Kommunikationsgeräte wie Handy, Schnurlostelefon und W-LAN durchdringen heute fast jeden

Winkel im Alltag. Über die Auswirkungen dieser Strahlung auf die menschliche Gesundheit wird derzeit intensiv geforscht.

Martin Röösli

Diese Ergebnisse wurden in einer weiteren Messstudie zwischen Mai 2010 und April 2012 an verschiedenen Orten der Region Basel im Grossen und Ganzen bestätigt (Grafik rechts). Dabei zeigte sich, dass die Umwelt-EMF-Exposition unter freiem Himmel zwischen verschiedenen Quartieren stark variiert ( 0,16 bis 0,47 V/m ) ; der Hauptbeitrag stammt dabei jeweils von Mobilfunkbasisstationen, und zwar zu 60 bis 86 %. Die höchsten Belastungen werden im Alltag jedoch in den öffentlichen Verkehrsmitteln gemessen ( 0,36–0,72 V/m ). Dort ist die Belastung durch elektromagnetische Felder vor allem wegen der starken Nutzung von Mobiltelefonen durch Reisende erhöht, aber auch, weil die Telefone im Stand-by-Modus regelmässig mit den Basisstationen Kontakt aufneh-men. Zusätzlich werden die elektromagnetischen Felder in Bahn, Bus und Tram durch das Reflektieren der Wellen an der Fahrzeughülle verstärkt ( Faraday-Effekt ). Alle gemessenen Expositionswerte sind jedoch deutlich unter den deutschen und schweizerischen gesetzlich verankerten Immissions-grenzwerten, die je nach Frequenz bei 40 bis 61 V/m liegen. Obwohl moderne Handys und die modernen Netze immer effizienter werden, zeigen die neuen Messungen auch, dass die Umwelt-EMF-Belastung unter freiem Himmel zwischen 2010 und 2012 zugenommen hat. Gemäss unserer Analyse nahm die elektrische Feldstärke jährlich zwischen 14 % ( Stadtzentrum ) und 32 % ( zentrales Wohngebiet ) zu. Noch ist unklar, ob zukünftige Technologien die weiterhin stei-gende Handynutzung kompensieren können.

Hirntumoren durch Handynutzung ?

Obwohl langfristig Umwelt-EMF von Mobilfunkbasisstati-onen, Radio- und Fernsehsendern ungefähr die Hälfte der vom Körper absorbierten Strahlung von elektromagne-tischen Feldern ausmachen, führen nahe am Körper betrie-bene Geräte wie Handys und Schnurlostelefone punktuell zu deutlich stärkeren Belastungen, besonders im Bereich des

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Unterschiedliche durchschnittliche Belastungen durch hochfrequente elektromagnetische Felder in der Region Basel, gemessen zwischen 2010 und 2012: höchste Werte im Stadtzentrum, im Flughafen und in öffentlichen Verkehrsmitteln (Grafik: Swiss TPH).

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Zug

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Zug

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Bus

Tram

Öffentliche Verkehrsmittel

Aussenplätze

Innenräume

0.72

V/m

0.36

V/m

0.37

V/m

0.46

V/m

0.16

V/m

0.20

V/m

0.47

V/m

0.16

V/m

0.30

V/m

0.22

V/m

0.45

V/m

Kopfs. Man geht daher davon aus, dass sich ein allfälliges Krebsrisiko von HF-EMF am ehesten durch Tumoren im Kopfbereich manifestieren würde, und entsprechend hat sich die Forschung auf diese Fragestellung konzentriert. Tatsächlich gibt es Einzelbefunde, die einen Zusammen-hang zwischen Mobilfunk und Tumorentstehung zeigen. Eine neue Gesamtanalyse aller bisher erschienenen Studien zeigt aber kein erhöhtes Hirntumorrisiko für Mobilfunknut-zer. Auch eine internationale Fallkontrollstudie unter der Leitung des Swiss TPH fand keinen konsistenten Zusam-menhang zwischen Handynutzung und Tumorbildung bei Kindern und Jugendlichen. Dennoch gibt es bisher kaum Da-ten von Personen, die ihr Handy mehr als 15 Jahre benutzt haben ; die International Agency for Research on Cancer ( IARC ) klassierte HF-EMF indes als « möglicherweise kanze-rogen ».

Berichte über gesundheitliche Beschwerden

Bei Befragungen äussert ein Teil der Bevölkerung, besonders sensibel auf elektromagnetische Felder zu reagieren. Im Zu-sammenhang mit dieser sogenannten « elektromagnetischen Hypersensibilität » wird am häufigsten über Beschwerden wie Kopfschmerzen, Schlaf- oder Konzentrationsstörungen be-richtet. Die Betroffenen sprechen dann oft vom möglichen Auslöser « Elektrosmog ». Dieser kann sowohl nieder- als auch hochfrequente Felder umfassen. Allerdings wurde das akute Auftreten von Beschwerden durch elektromagnetische Felder in einer Vielzahl von expe-rimentellen Studien intensiv untersucht. Die grosse Mehr-zahl davon fand keine Hinweise auf akute Auswirkungen von elektromagnetischen Feldern auf das Befinden, wenn die Probanden nicht wussten, ob sie tatsächlich exponiert waren oder nicht ( sogenannte doppelblinde Studien ). Die Studien zeigten auch, dass elektromagnetische Felder unterhalb der Grenzwerte nicht wahrgenommen werden können, obwohl dies immer wieder behauptet wird. Diese experimentellen

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Prof. Martin Röösli ist Assistenzprofessor und Leiter des Bereichs Umwelt und Gesundheit am Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut ( Swiss TPH ).

Untersuchungen fanden dafür starke Hinweise auf den soge-nannten Nocebo-Effekt : Wenn die Probanden überzeugt da-von waren oder meinten, elektromagnetischen Feldern aus-gesetzt gewesen zu sein, traten erheblich mehr und stärkere Symptome auf. Diese experimentellen Studien können aber nichts über langfristige Auswirkungen aussagen. Dazu braucht es epide-miologische Untersuchungen, bei denen Menschen über län-gere Zeit befragt werden. In den meisten bisherigen Studien wird keine Beeinträchtigung des Wohlbefindens durch die Hochfrequenzbelastung beobachtet. Jedoch gibt es noch zu wenig gute Langzeituntersuchungen, die fundierte Metho-den zur Abschätzung der Exposition – wie Ausbreitungsmo-delle oder persönliche Messungen – verwenden. Die Quali-fex-Studie ist derzeit weltweit immer noch die einzige Lang-zeitstudie zu diesem Thema.

Kontrovers diskutierte Risiken

Das Beispiel der elektromagnetischen Felder ist insofern ty-pisch für die Umwelt- und Gesundheitsforschung, als bei den im Alltag vorherrschenden Belastungen ( allfällige ) Gesund-heitsrisiken aus individueller Perspektive klein sind. Ent-sprechend überwiegt bei Risiko-Nutzen-Überlegungen bei den meisten Menschen der Nutzen, obwohl – und auch das ist typisch für die Umwelt- und Gesundheitsforschung – die Risiken sehr kontrovers diskutiert werden. Es ist jedoch zu betonen, dass bei weit verbreiteten Umweltfaktoren auch in-dividuell kleine Risiken gesamtgesellschaftlich erhebliche Konsequenzen haben können. Nachgewiesen ist dies bei-spielsweise für die Luft- und die Lärmbelastung.

Auswirkungen des Verkehrslärms :

Eine interdisziplinäre Studie

Der Verkehrslärm verursacht in der Schweiz jährlich externe Kosten von einer Milliarde Franken, und bis ins Jahr 2020 werden 5 Milli-arden Franken in den Lärmschutz investiert werden. Dennoch ist weitgehend unklar, welche Charakteristika der Lärmbelastung besonders schädlich sind und ab welcher Belastung sich der Lärm auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen auswirkt. Diese Fragen zu klären, ist das Ziel der vom Nationalfonds unterstützten Sinergia-Studie SiRENE ( Short and long term effects of trans-portation noise ), die vom Swiss TPH in Zu-sammenarbeit mit der Empa, dem Zentrum für Chronobiologie Basel, der Firma n-sphere und dem Bundesamt für Umwelt ( Bafu ) durch-geführt wird. Dabei werden akute, kurz- und langfristige Auswirkungen von Strassen-, Schienen- und Flugverkehrslärm auf die subjek-tive Belästigung, den Schlaf, den Stoffwechsel und Herz-Kreislauf-Erkrankungen untersucht. Insbesondere evaluiert die Studie, welche Lärmcharakteristika für Schlafstörungen und langfristige gesundheitliche Auswirkungen bedeutsam sind. Dazu wird die Lärmbelastung durch Strassen-, Schienen- und Luftverkehr für die gesamte Schweizer Bevölkerung mo-delliert. Neben der Höhe der Belastung werden dabei auch andere Charakteristika berück-sichtigt, etwa die tageszeitliche Verteilung und die Ereignishaftigkeit der Lärmbelastung. Zwei grosse laufende epidemiologische Studien ( Sapaldia-Biobank und Schweizer Nationale Kohortenstudie ) untersuchen mit Berücksichti-gung von Biomarkern und andern Faktoren wie Luftbelastung, wie sich die Lärmbelastung zu Hause langfristig auf Herz und Kreislauf auswirkt. Weiter evaluiert eine repräsentative Bevölkerungserhebung, wie stark die Verkehrs-lärmbelästigung im Alltag ist und wie damit umgegangen wird. Im Schlaflabor werden Pro-banden während einer Woche zufällig ver-schiedenen Lärmszenarien ausgesetzt und Ef-fekte auf den Schlaf, Herz-Kreislauf-Parameter und kognitive Leistungsfähigkeit am Folgetag analysiert. Die Auswertungen werden zeigen, welche Rollen die Lärmsensitivität, genetische Prä-dispositionen und andere Persönlichkeitsmerk-male bei der Verkehrslärmbelastung spielen. Damit soll die interdisziplinäre Studie zu einem besseren Verständnis darüber beitragen, welche akuten und kurzfristigen Auswirkun-gen der Lärmbelastung schliesslich zu lang-fristigen Gesundheitsproblemen führen. Dieses Wissen ist für einen adäquaten Umgang mit der Lärmbelastung relevant.

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Die Vereinigten Staaten werfen Mexiko vor, ihre Landwirt-schaft leide unter dem verschmutzten Rio Grande. Und Me-xiko wirft den Vereinigten Staaten vor, einen grossen Teil der Wassermassen des Colorado-River durch Staudämme und Kanäle zurückzuhalten. Ähnliche Konflikte sind auch aus andern Regionen bekannt. Konflikte rund um das Wasser sind verbreitet und nehmen wohl zu. Und das, obwohl immer noch reichlich Wasser vorhanden ist. Aber mit der Verteilung hapert es. So ist Wasser oft nur sehr beschränkt verfügbar. Auch weil Wasser oft verschmutzt und verschwendet wird. Zum Beispiel durch eine wenig nachhaltige Landwirtschaft. Ursache für Konflikte ?

Rund 0,5 % des weltweiten Wasservorkommens sind trink-bar. Der Verbrauch von Wasser ist je nach Land sehr unter-schiedlich. Er hängt wesentlich vom direkten Zugang, von der wirtschaftlichen Produktionsweise und von kulturellen Gewohnheiten ab. Spannungen ums Wasser haben weniger mit der Zunahme der Bevölkerung als vielmehr mit den Le-bensgewohnheiten eines Teils der Menschheit zu tun. So ist die Weltbevölkerung im 20. Jahrhundert um das Vierfache gewachsen, der Verbrauch von Wasser jedoch um das Sie-benfache gestiegen. Und das vor allem in reichen Regionen, die das kostbare Gut unbesonnen nutzen. Verbreitet ist, das Wasser als wirtschaftlichen Faktor und als nationale Res-source zu betrachten. Wasser ist aber eine existenzielle Not-wendigkeit und eine transnationale Ressource. Die Donau fliesst durch zehn Länder, der Mekong durch sechs. Die gemeinsame Abhängigkeit von einer Wasserquelle verleitet bei politischen Spannungen dazu, das Wasser zu instrumentalisieren. Das Wasser an sich ist aber kaum al-leiniger Konfliktgrund. Umgekehrt veranlasst die geteilte Abhängigkeit verschiedene Regionen gerade dazu, intensiv miteinander zu kooperieren. Derzeit lassen sich recht gegenläufige Bestrebungen fest-stellen. Sie zielen darauf ab, das Wasser entweder zu kom-

munalisieren oder zu privatisieren. Die Europäische Kom-mission will mehr Wettbewerb auf dem Wassermarkt und Gemeinden dazu verpflichten, den Betrieb ihrer Wasserver-sorgung europaweit auszuschreiben. Von Portugal und Grie-chenland, die wegen der Euro-Rettungspakete unter Druck stehen, fordert die EU Privatisierungsschritte bereits jetzt. Das kann dazu führen, dass mehr Wasserwerke über pri-vate Unternehmen betrieben werden. Dagegen wehren sich vielfältige soziale und zivilgesellschaftliche Bewegungen und Organisationen. Ein wichtiges Zeichen dagegen setzen auch die Vereinten Nationen. Sie deklarieren den Zugang zum Wasser als Menschenrecht.

Existenziell notwendige Ressource

Einzelne Nahrungsmittelkonzerne definieren das Wasser hingegen lediglich als ein Bedürfnis, das sich mehr oder we-niger befriedigen lasse. So verstanden, lässt sich das Wasser dann einfacher privat absorbieren und kommerziell instru-mentalisieren. Nach dem Kampf ums Öl zeichnet sich heute vermehrt ein Kampf ums Wasser ab. Die existenziell notwen-dige Ressource verkommt so zum von Macht geprägten Spe-kulations-, Konsum- oder sogar Luxusgut. Damit erhöht sich die Gefahr neuer Ressourcenkriege. Oft findet das Gerangel aber hinter den Kulissen statt. An unzähligen Orten leiden Menschen darunter, dass ihnen der direkte Zugang zum Wasser fehlt oder entzogen wird. Zum Beispiel durch eine gewinnträchtige Reiseindustrie. Kräftige Pumpanlagen von Hotelkonzernen tragen in ariden Zonen dazu bei, den Grundwasserspiegel zu senken. Örtliche Zieh-brunnen reichen dann kaum mehr tief genug hinab. Das trocknet Böden aus und belastet die lokale Bevölkerung. Betroffen sind vor allem jene, die ohnehin über wenige Res-sourcen verfügen. Sie leiden auch besonders unter gesund-heitlichen Folgen. Zumal gilt : Je tiefer die Einkommen, desto höher sind in der Regel gesundheitliche Beeinträchti-gungen.

Sauberes Wasser macht gesundKonflikte rund um das Wasser verschärfen sich weltweit. Auch wegen Versuchen, diese wichtige Ressource zu monopolisie-

ren und zu privatisieren. Wichtig ist der direkte Zugang zum Wasser. Er ist entscheidend für die Gesundheit. Ueli Mäder

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Cholera und Durchfall

Neben dem Zugang zum Wasser sind für die Gesundheit auch die Abwässer relevant. Weltweit fliessen 80 % der städ-tischen Abwässer unbehandelt in Flüsse, Seen oder Meere. Das wirkt sich auch auf die Ökosysteme aus, die ihrerseits entscheidend sind für die Wasserreinigung. Zwar haben heute 89 % der Weltbevölkerung Zugang zu sauberem Trink-wasser. Damit ist sogar ein Millenniumsziel der Vereinten Nationen vor 2015 erreicht. Doch etliche Entwicklungsregi-onen leiden unter Wasserproblemen. Rund 884 Millionen Menschen haben laut UNO-Weltwasserbericht von 2012 nach wie vor kein sauberes Wasser. Verunreinigtes Trinkwasser ist weltweit eine Hauptursache für Cholera und Durchfall. Je-des Jahr sterben etwa 3,5 Millionen Menschen an den Folgen schlechter Wasserversorgung, täglich sterben 3000 Kinder an den Folgen von Durchfallerkrankungen, auch wegen feh-lenden sanitären Anlagen. Hier sind die Millenniumsziele noch keineswegs erreicht. 2,6 Milliarden Menschen verfügten heute über keine ein-fachen sanitären Anlagen, und nur 80 % der städtischen Bevöl- kerung in Entwicklungsländern haben Zugang dazu, heisst es im UNO-Weltwasserbericht : « Gäbe es überall einfache sa-nitäre Anlagen und sauberes Trinkwasser, könnten neun von zehn Durchfallerkrankungen verhindert werden und damit zehn Prozent aller Erkrankungen weltweit. » Geld wäre zwar genug vorhanden. Aber es fehlt am politi-schen Willen und an der Bereitschaft, sorgsamer mit der Um-welt umzugehen. Damit sind vornehmlich Privilegierte an-gesprochen. Sie könnten es sich bestens erlauben, einfacher zu leben und den Überkonsum einzuschränken.

Verbindlichkeiten statt Alibilösungen

Weniger als 20 % der Menschen, die in westlichen Industrie-ländern leben, verbrauchen mehr als 80 % der Energie. Sie tra- gen damit erheblich zur Erwärmung der Erdoberfläche und auch zum Ansteigen des Meeresspiegels bei. Das dürfte bis

zum Jahr 2030 etwa 300 Millionen Menschen dazu zwingen, ihre Wohn- und Arbeitsgebiete zu verlassen. Das flutende Wasser zwingt sie zur Migration. Das ist bekannt. Die Ver-einten Nationen warnen seit Jahren davor. Warum aber be-wirkt dieses Bewusstsein kaum ein entsprechendes Handeln ? Etwa deshalb, weil hauptsächlich arme Gebiete im Süden der Kontinente betroffen sind ? In der Soziologie gibt es sehr unterschiedliche Antwort-versuche auf solche Fragen. Die einen gehen davon aus, dass wir uns am Übergang zu einer reflexiven Moderne befinden und zunehmend in der Lage sind, Zukunft zu antizipieren. Das könnte bedeuten, dass auch Wohlhabende vermehrt Korrekturen einleiten, weil sie sich darum sorgen, was pas-siert, wenn das so weitergeht wie bis anhin. Wenn sich das Bewusstsein akuter Gefährdungen verbreitet, so lautet eine andere Annahme, dann häufen sich irrationale Verhaltens-weisen. Dann ziehen sich Menschen ins Schneckenhaus zu-rück, oder sie flüchten nach vorne und unternehmen umtrie-big und alibimässig viele Anstrengungen, die kaum struktu-rell zum Tragen kommen. Wichtig ist ein gesellschaftliches Verständnis, natürliche Ressourcen nur so zu belasten, dass sie sich rechtzeitig rege-nerieren können. Politische Verbindlichkeiten sind entspre-chend zu vereinbaren – und konsequent umzusetzen. In un-serem persönlichen Umfeld dürfen wir schon heute freiwillig mehr realisieren.

Wasser als Menschenrecht

Die UNO-Vollversammlung vom 28. Juli 2010 erklärte auf Antrag Boliviens den Zugang zu sauberem Trink-wasser und zur sanitären Grundversorgung zu Menschenrechten. 122 Länder stimmten zu, es gab keine Gegenstimme, aber 41 Enthaltungen, darunter jene der USA, Kanadas und 18 EU-Staaten. Menschenrechte sind nach Völkerrecht nicht einklagbar. Deshalb ergeben sich vorerst keine unmittelbaren rechtlichen Konsequenzen. Der Status des Menschenrechts kann nun aber die Auffassung stützen, dass sauberes Wasser und Sanitäranlagen zu einem « angemessenen Lebensstandard » gehören. Das Recht auf einen solchen « angemessenen Lebensstandard » wiederum ist im völkerrechtlich bindenden Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte enthalten. Gestützt darauf könnten somit sauberes Wasser und sanitäre Grundversorgung eingeklagt werden. Einzelne Länder wie Südafrika und Ecuador haben das Recht auf Wasser in ihre Verfassung übernommen.

Prof. Ueli Mäder ist Professor für Soziologie an der Universität Basel und an der Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz.

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Verunreinigtes Trinkwasser in Slums Die Wasserqualität in Slums südlicher Länder ist oft sehr schlecht. Die Bevölkerung weiss wenig über den Zusammenhang

solcher nachteiligen Umweltbedingungen mit der eigenen Gesundheit. Wie diese Situation verbessert werden könnte, zeigt

eine Forschungsarbeit an der Universität Basel, die in Slumgebieten einer Stadt im Westen Indiens durchgeführt wurde.

Fiona Mera-Wieland

Gerade in Slumgemeinschaften sind die von der Umwelt beeinflussten gesundheitlichen Bedingungen meist sehr schlecht. Oft fehlen sanitäre Einrichtungen, eine genügende Wasserversorgung und eine effiziente Abfallbewirtschaftung. Trotz globaler Anstrengungen haben immer noch Hunder-te von Millionen Menschen weltweit keinen Zugang zu sau-berem Trinkwasser, und weit über zwei Milliarden müssen ohne sanitäre Einrichtungen auskommen. Anstrengungen in Sachen Wasserversorgung und Abfallentsorgung kann die Gesundheitssituation armer Gemeinschaften deutlich ver-bessern.

Vier Slumgebiete

Wie diese Probleme im Detail aussehen und wie sie angepackt werden können, hat eine Studie des Fachbereichs Humangeo-grafie der Universität Basel in vier Slumgemeinschaften in der indischen Stadt Bhuj nahe der Grenze zu Pakistan unter-sucht, in der rund 150’000 Einwohner leben. Im Zentrum der Arbeit stand die Bestimmung von Schlüsselvariablen, welche die Wasserqualität der untersuchten Haushalte beeinflussen. Durch mikrobiologische Analysen wurde die hygienische Qualität der Wasserversorgung sowie des in den Haushal- ten vorgefundenen Trinkwassers bestimmt, wobei E.coli-Bakterien als Indikatoren dienten. Neben der Beschreibung der vorherrschenden Wasserversorgung, der Abwasserent-sorgung und der sanitären Einrichtungen wurden Karten der vier Slumgebiete erstellt, welche die räumliche Verteilung der Trinkwasserqualität darstellen. Darauf wurden Indika-torvariablen für die Wasserqualität und Gebiete mit drin-genden Trinkwasserproblemen identifiziert und Massnah-men festgelegt.

Ein Stoffstück als Filter

Um zu prüfen, ob Abhängigkeiten zwischen der Wasserqua-lität eines Haushalts und Faktoren demografischer, sozialer oder finanzieller Art existieren, wurden für die Studie rund

100 Wasserproben entnommen und analysiert. Ergebnis : Die meisten Familien, die in den vier untersuchten Slum-gemeinden leben, konsumieren täglich mit E.coli-Bakterien verunreinigtes Wasser. Diese Bakterien weisen auf eine fä-kale Verunreinigung des Wassers und damit auf eine erhöhte Ansteckungsgefahr der Bevölkerung für bestimmte Krank-heiten hin. Ein Vergleich der getesteten Wasserproben nach Slumge-meinschaften ergab grosse Unterschiede : In einzelnen Gebie-ten war die Trinkwasserqualität nicht nur schlecht, sondern gar alarmierend. Dies kann nur mit einer sehr schlechten Wasserversorgung oder mangelndem hygienischem Um-gang mit Wasser erklärt werden – wahrscheinlich trifft je-weils beides zu. Um diese These zu erhärten, wurden zudem Wasserproben untersucht, die von den Haushalten zuvor be-handelt worden waren : Von den 77 analysierten Haushalten gaben knapp 73 % an, ihr Trinkwasser vor dem Gebrauch durch ein Stück Stoff zu filtern, 6,5 % von ihnen kochten ihr Wasser vor dem Trinken ab und 26 % behandelten ihr Wasser gar nicht. Ein grosser Teil der Wasserproben, die nur mit einem Stoffstück behandelt wurden, stellen ein hohes Risiko dar – diese Methode der Wasserreinigung kann nicht als sicher be-trachtet werden, und eine Familie, die ihr Trinkwasser mit dieser Methode « reinigt », kann nicht davon ausgehen, nach der Behandlung sauberes Wasser zu trinken.

Effiziente PET-Flaschen

Andere Behandlungsmethoden sind weitaus wirksamer, wie weitere Tests ergaben ; dabei wurden je drei Wasserproben von gemeinschaftlichen Brunnen und von Handpumpen ent-nommen. Eine Probe wurde ohne Behandlung getestet, die zweite Probe wurde mit Chlortabletten und die letzte Probe mithilfe von Sodis behandelt und danach getestet. Sodis ist eine kostengünstige Wasserreinigungsmethode, welche die Sonnenenergie nutzt, um mikrobiologisch verunreinigtes

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Wasser zu desinfizieren. Dabei wird das Wasser in durch-sichtige PET-Flaschen abgefüllt und während sechs Stunden an die Sonne gelegt ; die im Sonnenlicht enthaltenen UV-Strahlen töten Krankheitserreger wie Viren, Bakterien und Parasiten ab. Die Wasserbehandlung mit Chlortabletten und Sodis zeigte im Vergleich zum Filtern durch ein Stück Stoff sehr gute Ergebnisse. Beide Methoden eliminierten die vorhan-denen Keime in allen getesteten Wasserproben mit einem Wirkungsgrad von 100 %. Chlortabletten sind jedoch recht teuer, komplex in der Dosierung und hinterlassen einen schlechten Nachgeschmack im Wasser. Sodis dagegen eignet sich sehr gut für eine Anwendung in Slumgemeinschaften : PET-Flaschen sind vor Ort verfügbar, die benötigte Sonnen-bestrahlung ist meist gegeben und Wasser mit einer hohen Trübung kann zuvor noch durch ein Stück Stoff gefiltert werden. Die Studie untersuchte auch demografische, soziale und finanzielle Faktoren, welche die Wasserqualität beeinflussten. Resultat : Die finanzielle Situation scheint die Wasserversor-gung und die Sanitärsituation eines Haushalts mehr zu be-einflussen als das soziale Umfeld. Die einzige soziale Varia-ble, welche in Sachen Wasserqualität einen konstanten Trend aufweist, ist die Variable « Anzahl der Familienmitglieder » : Je mehr Mitglieder eine Familie aufweist, desto schlechter ist die Qualität ihres Trinkwassers. Ab einer bestimmten Haus-haltsgrösse verschlechtert sich die Wasserqualität deutlich ; dies wohl vor allem wegen der wachsenden Gefahr einer Re-kontamination und der schwächeren Finanzlage einer grös-seren Familie. Tatsächlich ist das Verhältnis zwischen der Wasserquali-tät eines Haushalts und dem monatlichen Einkommen signi-fikant. In einem Haushalt mit hoher finanzieller Sicherheit steigt die Bereitschaft deutlich, in die Wasserversorgung und in die Sanitäreinrichtungen zu investieren. Dies nicht zuletzt, weil Familienoberhäupter mit hohen Einkommen auch eine höhere Ausbildung aufweisen. Je höher das Bildungsniveau des Familienoberhaupts, desto besser ist das Bewusstsein der Familie um die Zusammenhänge zwischen umweltbezogener und persönlicher Gesundheit – und desto besser die Wasser-qualität.

Drei Aktionsansätze

Die vorhandenen Umweltbedingungen haben einen grossen Einfluss auf die Wasserqualität des untersuchten Haushalts. So können die persönlichen Anstrengungen zum Schutz vor Krankheiten durch die Bereitstellung sauberen Trinkwassers, adäquater sanitärer Einrichtungen und eines funktionie-renden Abfallentsorgungssystems entscheidend unterstützt werden. Die Studie zeigt auch, dass die meisten Slumbewoh-ner nur ein geringes Verständnis bezüglich der Abhängig-keit ihrer eigenen Gesundheit von den Umweltbedingungen aufweisen. Bildung und Aufklärung sind daher entscheidend

und ein wichtiger Schritt, um Menschen aus ihrer Armut zu befreien. Drei Aktionsbereiche und Lösungsansätze bieten sich an. Die Wasserversorgung und die sanitäre Situation in den Slumgemeinschaften sind unzureichend. Viele Haushalte haben keinen Zugang zu einer privaten Wasserquelle und ei-ner eigenen Toilette. Die bestehenden privaten Toiletten sind nicht an eine ausreichende Kanalisation angeschlossen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Wasserqualitätstests eine ungenügende Trinkwassersituation ergaben. Nur knapp 32 % aller untersuchten Haushalte können ihr Wasser sicher oder mit niedrigen Gesundheitsrisiken konsumieren. Die übrigen konsumieren Wasser, das mit E.coli-Bakterien stark verunreinigt ist, und erhöhen damit ihr Infektionsrisiko für verschiedene Krankheiten. Verbesserungen in diesem Be-reich sind entscheidend : Sie bilden das Fundament für besse-re Lebensbedingungen in den Slums und ermöglichen einen individuellen Krankheitsschutz. Der zweite Aktionsbereich betrifft Bildungsanstrengungen und Veränderungen der Verhaltensmuster. Der direkteste Weg zu einer besseren umweltbezogenen Gesundheit ist eine bessere Hygiene. Menschen müssen den Zusammenhang zwischen umweltbezogener Gesundheit und ihren persön-lichen Gesundheitskonditionen kennen. Sie sollen sensibi-lisiert werden für die Übertragungswege von Krankheiten und die Art und Weise, wie sie sich selbst und ihre Familien vor Infektionen schützen können. Ein idealer Ort, um diese Informationen und Verhaltensmuster zu kommunizieren, ist die Schule. Wenn Kinder lernen, ihr Trinkwasser und ihre Nahrung in hygienisch geeigneter Weise zu behandeln und sich ihre Hände nach dem Stuhlgang zu waschen, dürften sie dies auch tun, wenn sie später als Erwachsene ihr Wissen an ihre Kinder weitergeben. Eine weitere Möglichkeit sind Gemeinschaftsworkshops, die auch die erwachsene Bevölke-rung erreichen. Der dritte Aktionsbereich schliesslich bezieht sich auf die Unwissenheit, wie schlechtes Trinkwasser angemessen be-handelt werden kann. Obwohl etwa 77 % der Haushalte ihr Trinkwasser behandeln, verwenden sie keine wirksamen Me-thoden. Sie müssen geeignete Reinigungsmethoden kennen, wissen, wie sie funktionieren und welche Vor- und Nachteile sie haben. Anwendungstrainings und Unterstützung wäh-rend der Anwendung zu Hause können die Menschen er-mutigen, ihr Trinkwasser auch nach einer experimentellen Anfangsphase zu behandeln. Wasserreinigungsmethoden können auch in der Schule gelehrt werden. In der Regel sind jedoch die Eltern und vor allem die Mütter verantwortlich für die Wasseraufbereitung im Haushalt. Ihre Ausbildung ist daher ein wesentlicher Faktor für die Verbreitung von effizi-enten Reinigungsmethoden.

Fiona Mera-Wieland ist diplomierte Geografin, Doktorandin im Fach-bereich Humangeografie der Universität Basel und Mitarbeiterin eines Raumplanungsbüros in Zürich.

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Einsatz für das Recht auf Gesundheit 150‘000 Haushalte in Aktion: Ein vom Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut (Swiss TPH) durchgeführtes Pro-

jekt der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) in Burundi setzt sich aktiv für eine Verbesserung der Gesund-

heitsprävention in einem der ärmsten Länder der Welt ein. Im ländlichen Burundi sind die Verbesserung des Trinkwassers

und der Kampf gegen Krankheiten, die durch mangelnde Hygiene ausgelöst werden, die Hauptanliegen des Projekts. Leah F.

Bohle, Désiré Ndayisaba, Barbara Pose, Joëlle Schwarz, Manfred Zahorka

Burundi gehört zu den kleinsten und gleichzeitig am dich-testen besiedelten Staaten Afrikas. Im Südwesten begrenzt durch den Tanganyikasee, wird es von Ruanda, Tansania und der Demokratischen Republik Kongo umgeben. Über 90 % der Bevölkerung sind in der Landwirtschaft tätig. Bu-rundi ist laut der Weltbank das Land mit dem niedrigsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt. Zudem schwelten bis 2005 über ein Jahrzehnt anhaltende bewaffnete Auseinanderset-zungen, die das Land vor weitere Herausforderungen stellten.

Hygiene als Hauptproblem

Auch über 30 Jahre nach der Deklaration von Alma-Ata ( 1978 ) ist die Bevölkerung Burundis noch weit von deren Ziel entfernt : dem Recht auf Gesundheit. Bis zu 80 % der Konsul-tationen in Gesundheitseinrichtungen des Landes erfolgen wegen mangelnder Hygiene. Durchfallerkrankungen, Darm-parasiten und akute Infektionen der Atemwege gehören zu-sammen mit Malaria zu den häufigsten Krankheiten ; beson-ders betroffen sind Kinder unter dem fünften Lebensjahr. In der burundischen Provinz Ngozi hat das Swiss TPH mit seinem Swiss Centre for International Health seit 2006 das Deza-Projekt « Health System Support Programme » ( PASS ) und dessen Hygiene-Komponente mit Ausrichtung auf Krankheitsprävention und Trinkwasserversorgung er-folgreich umgesetzt. Die Provinz Ngozi liegt im Norden des Landes an der Grenze zu Ruanda und hat mit ihren 770’000 Einwohnern eine Bevölkerungsdichte von 448 Ein-wohner pro Quadratkilometer. Nur 35’000 Menschen leben in der Provinzhauptstadt Ngozi, dem urbanen Zentrum der zu 95 % ländlichen Region. Die sanitäre Grundversorgung eines Haushalts 2010 lag in der Provinz bei 42 %. Die Verbesserung des Trinkwassers in Gesundheitsein-richtungen, Haushalten und Schulen sowie der Kampf gegen durch Hygienemängel ausgelöste Krankheiten mittels Mobi-lisierung der Bevölkerung sind Hauptziele der Projektkom-ponente. Wie eine Studie zeigte, hatten nur 6 % der Haushalte

eine Toilette, die alle hygienischen Mindeststandards erfüllte. Die Verbesserung von Hygienestandards und der Wasserauf-bereitung hat somit hohe Priorität : Dies kann sowohl die Ge-sundheitsausgaben einer Familie senken und die Gesundheit der Menschen massgeblich verbessern als auch langfristig zu einer erhöhten Produktivität und wirtschaftlichem Wachs-tum in der Bevölkerung beitragen.

Gemeinschaftlicher Wettbewerb

Um das Verhalten der Bevölkerung positiv zu beeinflussen, wurde zusammen mit den lokalen Behörden eine Kampagne ins Leben gerufen, die die Verbesserung des öffentlichen Be-wusstseins im Bereich guter Hygienepraktiken zum Ziel hat-te. Im März 2012, im Rahmen des Weltwassertages, war der offizielle Start der Aktion. Während der zwölf Monate dau-ernden Kampagne traten jeder Haushalt und jede Gemeinde in einem gemeinschaftlichen Wettbewerb gegeneinander an. Dieser Gemeinschaftsaspekt hatte auch zum Ziel, zu einer langfristigen Mobilisierung der Bevölkerung beizutragen. Mithilfe von Fachleuten und einem speziell entwickelten Handbuch erhielten 760 Dorfgesundheitshelfer Schulungen über Gesundheitsförderung und Hygiene. Sie sollten darauf rund 150’000 Haushalte mit Informationen über Krankheits-prävention und Hygiene versorgen. Herausforderungen in diesem Bereich wurden thematisiert und die Bevölkerung sensibilisiert, mobilisiert und bei der Lösung ihrer Probleme unterstützt, etwa beim direkten Besuch von Haushalten und Gesprächen in der Nähe von Wasserstellen. Die Schlüsselbotschaften, die zu verschiedensten Tages-zeiten an die Bevölkerung gelangten, wurden von speziell entwickeltem Bildmaterial unterstützt. Ebenfalls eingebun-den waren lokale Radiostationen, die die wichtigsten Hygie-nebotschaften verbreiteten. Am Ende der Kampagne wurden bei einer von Regierungsvertretern besuchten Veranstaltung die besten Teilnehmenden geehrt. Um den Einfluss der Kam-pagne auf Haushalts-, Dorf- und administrativer Ebene und

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ihre möglichen Erfolge messen zu können, führten Mitarbei-tende während der Kampagne drei Studien durch, die eine Berechnung der Veränderungen der Hygienemassnahmen erlaubten – mit vielversprechenden Ergebnissen : Die Schlüs-selbotschaften der Kampagne, wie etwa das Händewaschen, wurden von 65 % aller Haushalte in der Provinz Ngozi um-gesetzt – vor der Kampagne waren es nur 4 %. Neben der deutlichen Verbesserung der persönlichen Hygiene und dem Tragen von Schuhen – zur Vermeidung von Wurmerkran-kungen – konnte das Team auch Verbesserungen am Haus und in der Wasseraufbewahrung für den alltäglichen Ver-brauch verzeichnen, ebenso eine Verbesserung der sanitären Anlagen.

Mit Tieren unter einem Dach

Weitere Herausforderungen für das Projekt waren die hygi-enische Aufbewahrung von Nahrungsmitteln, die Müllent-sorgung und die Nutztierhaltung im Wohnbereich. Seife und Wasser nahe einer Toilette waren zu 4,9 % vor und zu 22,6 % nach der Kampagne verfügbar. Auch die Toiletten ent-sprachen vor der Studie nur zu 6,4 % und danach zu 22,6 % den Mindestansprüchen. Zwar konnte das Projekt in allen Bereichen Erfolge verzeichnen, für die Zukunft sind jedoch weitere Stärkungen und Interventionen notwendig.

Dr. des. Leah F. Bohle, Joëlle Schwarz, Dr. Manfred Zahorka vom Swiss TPH, Sexual and Reproductive Health Unit, arbeiten am « Health System Support Programme » mit. Désiré Ndayisaba ist Koordinator für Gesundheitspro-motion und Hygiene in der Gesundheitsverwaltung der Provinz Ngozi ( Bu-rundi ) und Dr. Barbara Pose ehemalige Projektmitarbeiterin am Swiss TPH.

60.2

%

90.0

%

29.8

%

53.3 %

79.7

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26.4

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20.8

%

6.4 %

26.5 %

20.1 %

Persönliche Hygiene und Kleidung entsprechen Hygienestandards

Tragen von Schuhen

Fenster und Türen entsprechen Mindestgrösse und können geöffnet werden

Wasser wird in geschlossenen Behältern aufbewahrt

Toilette mit Mindeststandards vorhanden

Situation vor und nach der Studie und die grössten Erfolge (Zuwachs in Prozent), gemessen am Ausgangswert über einen Zeitraum von 12 Monaten (Grafik: Swiss TPH).

Weit über 50 % der Bevölkerung leben unter einem Dach samt ihren Nutztieren. Dies mag zahlreiche Gründe haben : Unter anderem bieten diese ihren Besitzern Schutz und um-gekehrt die Besitzer den Tieren. In einem Land mit gros-ser Ressourcenknappheit haben Tiere zudem oft einen un-schätzbaren Wert und müssen vor Diebstahl gesichert wer-den. Neue Ansätze müssen hier entwickelt werden, um den Schutz von Eigentum an Nutztieren mit der Gesundheit der Menschen zu verbinden. Geeignetes Material für den Ausbau von Toiletten aufzutreiben, ist eine weitere Herausforderung, denn Holz ist nur schwierig zu beschaffen und Zement zu teuer für die Mehrheit der Bevölkerung. Das Projekt und die Kampagne zeigen, wie ein positiver Beitrag zur Verbesserung der Gesundheit einer grossen Bevölkerungsschicht geleistet werden kann. Die partizipa-tive Einbeziehung breiter Bevölkerungsschichten sowie die gleichzeitige Stärkung der primären Gesundheitsversorgung, wie bereits in den Grundsätzen von Alma-Ata 1978 gefordert, wurden direkt umgesetzt – und die Erfolge sprechen für sich.

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Von den Risiken der WanderarbeiterWie sich veränderte Umweltbedingungen auf die Gesundheit der Bevölkerung auswirken, untersuchen Forschende aus Basel

an einem Beispiel in Südamerika : an den Wanderarbeitern im Gebiet zwischen Anden und Amazonas. Esther Schelling

Im südwestlichen Amazonasgebiet Brasiliens und Perus er-leichtert die neue Autobahn als Korridor zwischen dem At-lantik und dem Pazifik die Mobilität der Menschen. Doch der « Transpacific Highway » könnte auch zum Einfallstor für die Ausbreitung von übertragbaren Krankheiten werden. Dies nicht nur wegen der steigenden Migration, sondern auch durch die Umweltveränderungen, die durch menschliche Siedlungen und die Abholzung des Walds entstehen, haupt-sächlich durch Kleinbergbau und den Anbau der Paranuss.

Durch Insekten übertragen

Die ganze Region leidet unter zahlreichen Krankheiten, die durch Insekten übertragen werden. Von der Leishmanio-se etwa sind hier zwölfmal mehr Menschen mit Neuanste-ckungen betroffen als im nationalen Durchschnitt. Diese Erkrankung, aber auch die Bartonellose ( oder Carrión-Krankheit, vom Bakterium Bartonella bacilliformis ) und andere vernachlässigte Tropenkrankheiten ( « Neglected tro-pical diseases » ) in der Anden-Amazonas-Region werden mit schlechten Wohnverhältnissen, fehlenden Sanitäranlagen sowie der Nähe zu abgeholzten Waldflächen am Rand von Städten in Verbindung gebracht. In diesen Umgebungen brü-ten Sandmücken, die durch ihre Bisse Leishmaniose und Bar-tonellose übertragen ; beides sind beim Menschen vermehrt auftretende und den Organismus schwächende Krankheiten. Ein neues Forschungsprojekt, finanziert vom « Swiss Net-work for International Studies », möchte herausfinden, ob Wanderarbeiter in dieser Region einem höheren Risiko aus-gesetzt sind, an Leishmaniose und Bartonellose zu erkranken, als andere Bevölkerungsgruppen. Wanderarbeiter suchen oft Arbeit in sehr entlegenen Gegenden, in denen die Gesund-heitsversorgung wenig entwickelt ist. Seit einem Jahr ist ein interdisziplinäres Team aus Anthropologie, Sozialgeografie, Epidemiologie und Biologie an der Arbeit und setzt dabei qualitative wie auch quantitative Methoden ein. Während die Forschung zu vernachlässigten Tropenkrankheiten frü-

her hauptsächlich auf epidemiologischer Ebene, also quan-titativ, betrieben wurde, soll auch nach neuen qualitativen Einsichten und Zusammenhängen zu den Krankheitsrisiken gesucht und der Frage nachgegangen werden, wie diese ge-mildert werden können.

Prävention und Strategien

Der Austausch zwischen den Forschungsgruppen, den Ge-sundheitsdiensten, der Bevölkerung und den Migrationsbe-hörden beider Länder ist im Projekt sichergestellt. Die Ge-sundheitsdienste sind mit dem Problem konfrontiert, dass ihre Patienten meist nur einige Monate in der gleichen Re-gion bleiben ; Folgebehandlungen werden somit sehr schwie-rig. Für das Projekt wurden zunächst spezifische regionale Probleme wie Wohnsituation, Wanderungsrouten und Mo-tive zur Migration identifiziert. Untersucht werden nun die Risiken, an Leishmaniose und Bartonellose zu erkranken, je nachdem ob die Arbeiter in der Nähe von bewaldeten oder aber von abgeholzten Gebieten wohnen und arbeiten. Anhand der beiden Krankheiten können wichtige Infor-mationen zur Prävention erarbeitet und gezielte Strategien für die Bevölkerung in gefährdeten Regionen entwickelt wer-den. Die Forscher hoffen, dadurch bessere Kontrollmecha-nismen für von Insekten übertragene Krankheiten zu entwi-ckeln, zu denen auch Malaria, Denguefieber und Gelbfieber gehören.

Dr. Esther Schelling ist Leiterin der Forschungsgruppe « Mobile Populati-ons and Health » am Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut ( Swiss TPH ). Das Projekt wird in einer Forschungspartnerschaft mit der Universität Peruana Cayetano Heredia in Peru sowie den Universitäten de Franca und Federal de Goiás in Brasilien durchgeführt.

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Auch in der Schweiz besteht ein sogenannter « Gender gap » in der Lebenserwartung und der Sterblichkeitsrate zwischen Männern und Frauen. Männer leben etwa fünf Jahre kür-zer und sterben in allen Lebensphasen häufiger. Dies hat vor allem verhaltensbedingte Ursachen : Männer weisen ein stär-keres gesundheitliches Risiko- und Belastungsverhalten auf, zum Beispiel in ihrem Alkohol- und Tabakkonsum, ihren Se-xualpraktiken, in Beruf, Sport und Freizeit. Sie nehmen weni-ger Vorsorgeuntersuchungen wahr und beanspruchen meist erst sehr spät ärztliche Hilfe. Dieses Verhalten wird in der Forschung vermehrt mit Männlichkeit in Zusammenhang gebracht. In einem Projekt mit der Sozial- und Präventivme-dizinerin Elisabeth Zemp untersuchen wir das Gesundheits-handeln von Schweizer Männern im Alltag. Was verstehen sie unter Gesundheit ? In welcher Weise sorgen sie dafür ? Und inwiefern hat das mit Männlichkeit zu tun ? Als ein be-deutsamer Faktor kristallisiert sich in den Interviews eine enge Verbindung von Männlichkeit und Schmerz-Aushalten heraus. Das ist wenig überraschend; eher ist es die spürbare Ambivalenz darin. Es scheint, dass diese Verbindung in Be-wegung geraten ist, zögerlich nur und widersprüchlich. Fast liesse sich sagen : Viele Männer ringen geradezu um ein neues Verhältnis zum Schmerz. So hören wir Heldengeschichten von körperlichen Belastungen, die bis an die äusserste Gren-ze ausgereizt, und von grossen Schmerzen, die über Stunden oder gar Tage ausgehalten werden. Diese Geschichten werden mit gewissem Stolz erzählt. Es geht um männliche Diszipli-nierung des Körpers, um eine « Steigerung seiner Leistungs-kraft » durch « Ausreizung seiner Schmerzgrenzen », um ak-tives Herr-seiner-selber-Sein ( Foucault ). Zugleich sind diese Geschichten keineswegs ungebrochen. Sie werden häufig von verlegenem Schmunzeln oder Lachen begleitet und mit der Feststellung : « Es war auch blöd. »

Andrea Maihofer : Geschlechterverhältnisse II

Männlichkeit und Schmerz

Diese Ambivalenz prägt auch die Äusserungen zur Bedeu-tung des Sprichworts « Ein Indianer kennt keinen Schmerz ». Nicht wenige Männer « orientieren » sich ausdrücklich daran, es ist « ( eigentlich ) wie eine Normierung ». Sie haben sie « ver-innerlicht », üben, gegenüber ihren Schmerzen « indifferent zu sein », sie auszuhalten, seien es körperliche oder psychische, ihr Weinen und ihre Trauer « herunterzuschlucken ». Auch wenn sie später lange lernen müssen, « Trauer zuzulassen ». Dies gehört zu « einem echten Mann », zu einem « Macho im positiven Sinne … man will ja kein Weichei sein » und « nicht wegen jedem Wehwehchen zum Arzt rennen ». Zugleich findet sich noch eine andere Rede vom Schmerz. In ihr wird die Selbstvergewisserung autonomer Subjektivität infrage gestellt. Hier wird Schmerz mit Krankheit und kör-perlichem Verschleiss verbunden. Dies ruft Ängste auf vor der « Vergänglichkeit », dem Schwinden der körperlichen Leis- tungsfähigkeit und der « männlichen Potenz », vor « Schutz-losigkeit » und « Verletzlichkeit ». Man( n ) könnte zum « Opfer werden » oder zum Objekt von Mitleid und Fürsorge, was als « unmännlich » gilt. Das Ringen um ein neues Verhältnis und die innere Widersprüchlichkeit werden besonders deutlich, wenn es um die eigenen Söhne geht. Sie sollen sich nicht mehr nach der alten Norm richten : « Aber ich möchte nicht, dass meine Jungs das machen. Also, sie sollten ihre Schmerzen schon zeigen. » Aber Wehleidigkeit geht auch nicht : « Also, da wäre ich froh, wenn mein grosser Sohn ( … ) ein bisschen weniger seine Schmerzen zeigte und ein bisschen mehr Indi-aner wäre. » Die Söhne sollen es anders machen. Und doch leben ihnen die Väter das Alte vor, wünschen es auch für ihre Söhne und tun es zugleich in aller Skepsis. Eine schwierige Aufgabe für die nächste Generation, hier eine angemessene Balance zu finden und dieser neuen Norm von Männlichkeit gerecht zu werden.

Prof. Dr. Andrea Maihofer ( *1953 ) ist seit 2001 Professorin für Geschlechterforschung und Leiterin des Zentrums Gender Studies an der Universität Basel. Sie studierte Philosophie, Germanistik und Pädagogik in Mainz, Tübingen und Frankfurt/M., wo sie 1996 in Soziologie habilitierte.

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Universität in Kürze

Kompetenzzentrum für Energie

Die Universität Basel leitet eines der neuen Kompetenzzentren, mit denen der Bund die Energieforschung stärken möchte. Das Zentrum wird sich mit öko-nomischen, rechtlichen und sozialwissenschaftlichen Aspekten der Energiewende befassen. Dafür erhält es von der Kommission für Technologie und Innovation des Bundes 11 Mio. Franken. Das Zentrum wird an der Universität Basel an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät angesiedelt und eng mit dem Fachbereich Nachhaltigkeitsforschung und der Forschungsstelle Nachhaltige Energie- und Wassernutzung der Universität Basel zusammenarbeiten. Geleitet wird es vom Basler Umweltökonomen Prof. Frank Krysiak und Prof. Bettina Furrer von der ZHAW School of Engineering. Mit dem Ziel, sich aus der Abhängigkeit von nicht erneuerbaren Energieträgern zu befreien, stellt der Bund 72 Mio. Franken für den Aufbau von sieben Energie-Kompetenzzentren in der Schweiz bereit; durch den Aufbau von zusätzlichen wissenschaftlichen Kompetenzen sollen sie eine wichtige Voraussetzung für die angestrebte Energiewende erarbeiten.

Forschungserfolge

Forscher der Universität Basel, des Universitätsspitals Basel und der ETH Zürich haben einen der begehrten Synergy Grants des Europäischen For-schungsrats (ERC) erhalten. Sie be-kommen 13,7 Mio. Franken für ein Pro-jekt, das klären möchte, wie Tumoren Resistenz gegen eine Medikamentenbe-handlung entwickeln. Prof. Micha-el Hall vom Biozentrum (Bild), Prof. Gerhard Christofori und Prof. Markus Heim vom Departement Biomedizin sowie Prof. Niko Beerenwinkel vom ETH-Departement Biosysteme in Basel konnten sich in einem europaweiten Auswahlverfahren durchsetzen. Je einen ERC Consolidator Grant von 2,5 Mio. Franken erhalten zudem die Biologen Prof. Christoph Handschin und Prof. Thomas Mrsic-Flogel vom Biozentrum, der Zoologe Prof. Walter Salzburger sowie Prof. Jennifer Keiser vom Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut zugesprochen. Noch einen Erfolg kann der Bioche-miker Prof. Michael Hall verzeichnen: Er wurde in den USA mit dem Break-through Prize in Life Sciences 2014 ausgezeichnet, und zwar für die Ent-deckung von Tar-get of Rapamycin (TOR), einem zentralen Steuerelement des Zellwachstums und Stoffwechsels; der Preis ist mit drei Millionen Dol-lar dotiert.

Ein Neubau mit fünf Ecken

Der Life-Sciences-Campus auf dem Schällemätteli-Areal nimmt Gestalt an: Mit dem Entwurf eines fünfeckigen Forschungs- und Lehrgebäudes hat ein Münchner Architekturbüro den Wettbewerb um einen Neubau für das ETH-Departement Biosysteme in Basel für sich entschieden. Bis 2020 soll nun in der südlichen Ecke des Campus-Areals ein modernes Forschungs- und Lehrge-bäude mit sechs oberirdischen Geschossen entstehen, in dem 400 bis 500 Menschen auf 15’500 Quadratmetern lernen, arbeiten und forschen. Das ETH-Departement für Biosysteme, heute im Rosentalareal in Basel, wird das Gebäude als Mieter beziehen. Das Siegerprojekt überzeugte durch sein städtebauliches Konzept, die Ausrichtung und Massstäblichkeit zu den benachbarten Gebäuden sowie die gute Verbindung zum Campus-Areal in unmittelbarer Nachbar-schaft von Biozentrum und klinischer Forschung. Besonders gelobt wurden auch die interne Organisation des Gebäudes sowie die Anordnung der wissen-schaftlichen Einheiten, welche die Betriebsabläufe und die Kommunikation optimal unterstützen. Die Gesamtkosten für den Neubau belaufen sich auf rund 200 Mio. Franken.

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Universität

Nach dem Vorbild der Natur

Aus Molekülen kleinste künstliche Maschinen und Fabriken zu entwickeln, die sich an den Vorgängen in der Natur orientie-

ren, das ist das Ziel des neuen Nationalen Forschungsschwerpunkts ( NFS ) « Molecular Systems Engineering ». Er startet in

diesem Sommer und wird von der Universität Basel geleitet. Christoph Dieffenbacher

Der designierte NFS-Direktor Prof. Wolfgang Meier vom Departement Chemie der Universität Basel ( links ) und Co-Direktor Prof. Daniel Müller vom Departement Biosysteme der ETH Zürich mit Sitz in Basel ( Bild : Peter Schnetz ).

Im Inneren von Zellen, den Baustei-nen des Lebens, finden auf kleinstem Raum komplexe chemische Synthese-prozesse statt. Mit einer gemeinsa-men, interdisziplinären Anstrengung möchten nun Forschende von Life Sciences, Chemie, Physik und Ingeni-eurswissenschaften nicht nur die Syntheseverfahren der Zellen besser verstehen lernen, sondern sie auch auf ganze molekulare Systeme über-tragen. Solche synthetischen Systeme gleichen im Grunde Miniaturfabri-

ken, die neue Stoffe und Substanzen herstellen. Diese könnten in der Ener-gieversorgung, aber auch in der me-dizinischen Diagnostik und Therapie zum Einsatz kommen.

Künstliche Systeme

« In der Natur sieht man, dass biolo-gische Systeme sehr schnell Mole-küle herstellen, sie an andere Orte transportieren und gezielt auch wieder freisetzen », erläutert der Chemiker Prof. Wolfgang Meier von der Univer-

sität Basel. So lässt sich beispielswei-se die Zuckerart Glukose sehr effizient und über mehrere Reaktionsschritte durch Enzyme zum Reaktionsprodukt Alkohol ( Ethanol ) abbauen. Parallel dazu entstehen unter anderem moleku-lare Energieträger, die auch für ande-re Anwendungen zur Verfügung stehen. Der 49-jährige Meier ist Direktor des neuen NFS « Molecular Systems Engineering », der sich Fragen wie diesen widmen wird : Wie lassen sich

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Schnittstelle von Chemie, Biologie

und Physik

Am Departement Chemie der Univer-sität Basel freut man sich : « Der neue NFS erlaubt den Aufbau eines inno-vativen und hochaktiven Forschungs-gebiets, das möglicherweise viele neue Anwendungen mit sich bringt », sagt Meier, der seit gut 20 Jahren mit der Universität Basel verbunden ist und hier 2003 zum Ordinarius gewählt wurde. Spannend sei vor allem, dass an der Schnittstelle von Chemie, Bio-logie und Physik anwendungsorientiert geforscht wird. Das wirtschaftliche Potenzial solcher Anwendungen sei in den nächsten Jahren sehr vielverspre-chend. Dabei wird es in Basel zum Beispiel auch Kontakte zu den Nanowissen-schaften geben, denen ebenfalls ein NFS zugesprochen wurde. Hier wurden beispielsweise die Grundlagen für die Herstellung, die Untersuchung und die Charakterisierung von nanome-tergrossen Bausteinen entwickelt, bei-spielsweise Nanoreaktoren. Meier : « Dies wäre ein ‹einfacher› Ansatz, der gezielt weiterentwickelt werden könn-te – zum Beispiel, indem man gleich-zeitig mehrere Nanoreaktoren mitei-nander verknüpft und sie ganze Reak-tionskaskaden durchführen lässt. » Auch Prof. Edwin Constable, Vize-rektor Forschung der Universität Basel und ebenfalls Chemieprofessor, begrüsst den Entscheid des Bundes, den NFS nach Basel zu vergeben : « Dieser Nationale Forschungsschwer-punkt vereinigt drei der thematischen Schwerpunkte, welche die Univer-sität in ihrer Strategie 2014 bezeichnet hat : die Nachhaltigkeits- und Ener-gieforschung, die Life Sciences und die Nanowissenschaften. » Nicht nur werde damit ein erster Schritt zu den molekularen Fabriken der Zukunft getan, meint Constable. Es würden darüber hinaus auch « Konzepte entwickelt, welche die Art und Weise grundlegend verändern, in der wir Wissenschaft angehen – sowohl in der Schweiz wie auch weltweit ».

Der neue Basler

Forschungsschwerpunkt

Der neue NFS « Molecular Systems Engineering » wird für die Jahre 2014 bis 2017 vom Schwei-zerischen Nationalfonds mit Bundesmitteln von 16,9 Mio. Franken unterstützt. Direktor ist Prof. Wolfgang Meier vom Departement Chemie der Universität Basel, Co-Direktor Prof. Da-niel Müller vom Departement Biosysteme der ETH Zürich mit Sitz in Basel. An dem Forschungsverbund mit mehreren Kooperationspartnern in einem nationalen Netz-werk sind laut Meier rund 20 bis 25 Professuren beteiligt. Offizieller Start des NFS ist am 1. Juli 2014. Mit den NFS fördert der Bund über mehre-re Jahre angelegte Forschungsvorhaben zu Themen, die für Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft von strategischer Bedeutung sind. Unterstützt werden Forschungsnetzwerke von höchster Qualität, mit besonderer Gewich-tung von interdisziplinären Ansätzen, aber auch neuen, innovativen Fragestellungen innerhalb einzelner Disziplinen. Seit 2001 wurden 28 NFS errichtet, darunter an der Universität Basel bisher der NFS Nanowissenschaften, der NFS Bildkritik und der 2009 eingestellte NFS Sesam. Die nun bewilligten neuen NFS sind das Ergebnis der vierten Ausschreibung, die 2011 lanciert worden war ; insgesamt waren rund 60 Gesuche eingegangen. Nach der wissenschaft-lichen Prüfung durch den Schweizerischen Nationalfonds hat das Eidgenössische Departe-ment für Wirtschaft, Bildung und Forschung im Dezember 2013 die Lancierung von acht neu-en NFS beschlossen.

künstliche Systeme herstellen, die solche komplizierten mehrstufigen Re-aktionen wie etwa die Energiege-winnung durch Glukose nachahmen können ? Kann man damit reaktive Molekülbausteine entwickeln ? Und daraus sogar komplexe syntheti-sche oder zelluläre Systeme nachbau-en ? « Man könnte beispielweise aktive Verbindungen – wie etwa Enzyme und Katalysatoren – in einem winzi-gen Volumen unterbringen, zum Beispiel in einer nanometergrossen Hohlkugel, und dann die Abgabe darin hergestellter Produkte nach Be-darf und vor Ort kontrollieren », sagt Meier. Dies mache eine zwar kom-plizierte, aber sehr effiziente Produk-tion bestimmter nützlicher Verbin-dungen möglich, die selbst in lebenden Zellen freigesetzt werden können.

Komplexere Konstruktionen

« Erste Untersuchungen haben gezeigt », so Meier, « dass sich solche Nano-reaktoren wie künstliche Organellen verhalten können, die in der Lage sind, in biologischen Zellen bestimmte Moleküle herzustellen und freizuset-zen – wie beispielsweise Antibioti-ka ». Der NFS « Molecular Systems Engi-neering » möchte daher die bisherige – auf einzelne Moleküle gerichtete – Perspektive ausweiten und neue, kom-plexere Konstruktionen entwickeln. Dieser Ansatz soll zeigen, wie die mole-kularen Einzelmodule zu funktionie-renden Systemen zusammengefügt werden können – zu eigentlichen win-zig kleinen produzierenden Maschi-nen oder Fabriken. Das ist zwar noch weitgehend Zukunftsmusik, aber offenbar eine vielversprechende. Wird es wirklich möglich sein, solche molekularen Maschinen in indus-triellem Massstab herzustellen ? Meier ist optimistisch : « Ja, durchaus. Zur Herstellung solcher Maschi-nen könnten mehrere Reaktionsschrit-te gezielt miteinander verknüpft werden, womit man dann komplexere Reaktionsprodukte erzeugen kann. »

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Universität/Universitätsspital

Doppelführung für klinische Forschung

Doppelleitung mit Christiane Pauli-Magnus ( links ) und Mirjam Christ-Crain ( Bild : Univer-sitätsspital ).

Wissenschaftliche Studien mit neuen Medikamenten, Therapien und Behandlungsformen durchzuführen, sind wichtige

Aufgaben von Universität und Universitätsspital Basel. Nun wurde die klinische Forschung innerhalb der Life Sciences

noch gestärkt : Anfang Jahr haben zwei renommierte Medizinerinnen die gemeinsame Führung dieses Bereichs übernom-

men.

Seit mehreren Jahren leitet die Ärztin Prof. Mirjam Christ-Crain eine kli-nische Studie, um herauszufinden, ob Kortison, ein entzündungshemmendes Medikament, gegen Lungenentzün-dungen in Spitälern eingesetzt werden könnte. Denn trotz immer wieder neuen Antibiotika liegt die Sterblich-keit in den letzten Jahrzehnten kons-tant bei 10 bis 15 %. Erste Hinweise auf eine positive Wirkung von Kortison bei Lungenentzündungen liegen aus kleinen Studien bereits vor. In einer

randomisierten Doppelblindstudie mit rund 800 erwachsenen Patienten – von denen die Hälfte ein Placebopräpa-rat erhält – wird getestet, ob der Stoff zu einer schnelleren Genesung und zur Reduktion der Sterblichkeit führt. Solche Studien werden Christ-Crain, ausgewiesene Forscherin, Trägerin des Nationalen Latsis-Preises 2009 und Mutter von drei kleinen Kindern, auch weiterhin beschäftigen. Doch mit der Berufung zur Professorin für klini-sche Forschung und Endokrinologie hat sie am Departement Klinische For-schung ( DKF ) auch die wissenschaft-liche Leitung und die Nachwuchsförde-rung übernommen. Dies zusammen mit ihrer Kollegin Prof. Christiane Pauli-Magnus, klinische Pharmakologin und ihrer-seits vierfache Mutter, die für die Service-Plattform sowie die Aus- und Weiterbildung zuständig ist ; zuvor war sie führend am Konzept für die Clinical Trial Unit am Universitäts-spital Basel beteiligt und hat diese Abteilung, die Forschende methodisch bei der Planung und Durchführung von klinischen Studien unterstützt, in den vergangenen Jahren aufgebaut und geleitet. Das DKF wird vom

Universitätsspital und der Medizi-nischen Fakultät gemeinsam geführt. Dass dessen Leitung vom 40 %- auf ein Vollpensum aufgestockt wurde, ist ein nur äusseres Zeichen, hinter dem mehr steckt : Denn mit der weib-lichen Doppelführung hat das DKF auch ein neues Konzept erhalten und ist damit deutlich gestärkt worden. Die klinische Forschung wird auch in der Strategie 2014 der Universität als wichtiger Bereich innerhalb der Life Sciences auf Exzellenz ausgerich-tet und prioritär behandelt. Das Departement soll in der kli-nischen und methodischen Forschung, der Nachwuchsförderung und der Aus- und Weiterbildung in den nächs-ten zehn Jahren an die Spitze der universitären klinischen Forschungs-institutionen der Schweiz kommen. Die Unterstützung vor allem für mul-tizentrische und translationale For-schung wird ausgebaut, ebenso auch die niederschwellige Beratung. Ein weiteres Ziel ist die konsequente Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, etwa durch eine pro-minentere Verankerung der klini-schen Forschung im Medizinstudium und durch spezielle Programme.

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Ute Holl, Professorin für Medienästhetik, interessiert sich dafür, wie Wahrnehmung und Wissen durch Medien wie Radio

und Film beeinflusst werden. Die heutigen technischen Medien verlangen neues Wissen sowie eine andere Körpertechnik,

wie sie sagt. Sie bieten für sie auch Chancen, durch eine Vernetzung zu einem globalen Ressourcenausgleich zu kommen.

Anna Wegelin

Porträt Ute Holl

Die Medien, die Ränder und die Wissenschaft

Das Seminar für Medienwissenschaft befindet sich heute in einer renovierten, topmodern eingerichteten Liegenschaft in Gehdistanz zum Kollegienhaus am Petersplatz. Der Weg zu Ute Holls Arbeitsplatz im zweiten Stock führt durch ein Grossraumbüro. Die 53-jährige Professorin öffnet die Tür zu ihrem durch eine Glasscheibe abgetrennten Büro und meint mit Blick auf den kollektiven Arbeitsraum davor : «Seit wir hier sind, reden wir mehr miteinander. Es ist kommunika-tiver geworden.»

Geschichte, Theorie, Ästhetik

Gegründet wurde das Seminar für Medienwissenschaft im Herbst 2002, zunächst mit einem kulturwissenschaftlichen, später ergänzt durch einen kultursoziologischen Ansatz. Holl kam im August 2009 auf die dritte Professur nach Basel : «Die Medienästhetik setzt sich damit auseinander, wie Medien Wissen und Wahrnehmung formieren», definiert sie ihren Schwerpunkt, der sich vor allem mit Geschichte, Theorie und Ästhetik der alten Medien Kino, Fotografie und Radio befasst, aber auch mit deren Entwicklungen unter den Bedingungen des Digitalen. Mit der vierten Professur decke das Seminar nun das breite Spek-trum der Medienwissenschaft exzellent ab, sagt Holl. «Wir erforschen nicht al- lein, was, sondern auch, wie kommu- niziert wird», erläutert sie. Es sei ein Unterschied, ob ein Film im klassischen dunklen Kinosaal zu sehen ist oder, wie heute üblich, unterwegs, auf unter-schiedlichsten Bildschirmen, allein oder unter Freunden : «Das verändert die Äs-

thetik der Filme und Bildoberflächen. Das Wie spielt sich jedoch meist unterhalb der Schwelle des Bewusstseins ab.» Medien-wissenschaft sei für sie daher eine «Wissenschaft der Ränder». Holls Interesse gilt der Geschichte der Wahrnehmung technischer Medien im 19. Jahrhundert und der Geschich-te des Wissens, wie es durch Medien bestimmt ist. Mit der Fotografie, dem Film und dem Radio erhielt die Buchkultur Konkurrenz und wurde als eigene Kultur mit eigenen Sozi-alisationstechniken sichtbar. Während man das Lesen und Schreiben in einem langwierigen Prozess erlernen müsse, er-fordern die technischen Medien zunächst wenig Wissen und Körpertechnik, so Holl : «Wir schalten das Radio an und hö-ren Musik, wir gehen ins Kino und sehen uns einen Film an.» Die «Initiation in diese Kultur» sei uns weniger präsent, da diese Medien «den Anschein erwecken, mit unseren Sinnen unmittelbar zu kooperieren».

Praktische Medienerfahrung

Doch treten wir mit jeder Mediengeneration auch «in eine neue soziale Ordnung ein», sagt sie : «Subjektivität, Identität

und auch Politik haben sich mit den al-ten und dann mit den digitalen Medi- en fundamental verändert.» Durch die enorme Beschleunigung der Datenüber- tragungen habe ein weiteres Kapitel der Wissenschaftsgeschichte begonnen : «Wenn wir zum Beispiel telefonieren, spannen wir nicht nur einen Kom-munikationskanal zwischen uns und jemand anderem auf, sondern geben auch Daten über uns an Dritte weiter.»

Prof. Ute Holl ist seit 2009 Ordinaria für Medi-enwissenschaft an der Universität Basel. Geboren 1960 in Lübeck und aufgewachsen in Deutsch-land und Südafrika, studierte sie Germanistik, Geschichte und Philosophie in Freiburg/Br. und Rom. Darauf war sie unter anderem Fernsehre-daktorin, promovierte 2001 und habilitierte sich 2009 in Berlin. Ihre Forschungsgebiete sind die Geschichte und die Theorie audiovisueller Wahr- nehmung mit dem Schwerpunkt auf Akustik unter Bedingung technischer Medien, die Poli-tik medialer Menschen- und Massenbilder und die Wahrnehmungsgeschichte des frühen Kinos. Holl ist verheiratet und Mutter eines Sohnes.

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Diese Struktur zu erkennen, erfordere Aufmerksamkeit für das Unmerkliche, Unwesentliche, das sich oft nur als Irritati-on bemerkbar macht: «Wenn ein Film in bestimmten Szenen nur noch weisses Licht zeigt, wenn Hörspiele mit dem Rau-schen des Radios arbeiten, wenn das Kino Oberflächenästhe-tiken von Computerspielen adaptiert, verweisen Medien auf sich selbst.» Das zu erkennen, einzuordnen und die Bedin-gung der eigenen Wahrnehmung kritisch zu erfassen, lehre die Medienwissenschaft. Eigentlich habe sie in Freiburg im Breisgau Romanistik studieren wollen, erzählt Holl, sei dann jedoch von den neuen Perspektiven und Fragestellungen einer für sie noch unbekannten Wissenschaft überrascht worden, wie sie von Leuten wie Klaus Theweleit oder Friedrich Kittler gegen etablierte Disziplinen betrieben wurde. Der vor drei Jahren verstorbene Literaturwissenschaftler und Medientheoretiker Kittler war damals Assistent am Deutschen Seminar in Frei-burg. Er habe, wenn auch parallel zu vielen anderen, die Medienwissenschaft als Fach gewissermassen erfunden. «Die beunruhigende Erfahrung, methodische und terminolo-gische Grundlagen fundamental zu hinterfragen, sowie das Forschen an den Rändern der Disziplinen prägt mein Wis-senschaftsverständnis bis heute», meint sie. Damals habe sie auch begriffen, dass die Universität keine Wissenschaft im Elfenbeinturm betreiben müsse : «Wissenschaft, Politik und ein entschieden ökologischer Zugang zur Welt gehören für mich zusammen.» Nach dem Germanistik-Studium sammelte sie zunächst berufliche Erfahrungen in der praktischen Arbeit mit Me-dien. So erlernte sie das filmische Handwerk in der Doku-mentarfilm-Kooperative «Medienwerkstatt Freiburg». Von dort ist es ein Katzensprung nach Basel, wo sie zu jener Zeit wegen der Originalversionen regelmässig ins Kino gegangen sei. Danach wurde sie in Hamburg Fernsehredaktorin und Filmjournalistin. Doch die Wissenschaft liess sie nicht mehr los : 2001 verteidigte sie an der Humboldt-Universität zu Ber-lin ihre Dissertation «Kybernetik und Kino» über die Geburt des Experimentalfilms aus den psychophysischen Labora-torien des 19. Jahrhunderts. Es folgten mehrere Assistenzen und Vertretungsprofessuren in Deutschland ; bevor sie mit ihrer Familie nach Basel zog, war sie Professorin für Medien-philosophie an der Bauhaus-Universität Weimar.

Medien organisieren Wissen

Derzeit bietet Holl unter dem Titel «Knoten, Kanten, Zeilen, Bilder» ein Seminar zu mediengeschichtlichen und bildthe-oretischen Hintergründen elektronischer Künste an ; dies in Zusammenarbeit mit dem Schaulager und dem Haus für elektronische Künste. «Es ist mir wichtig, dass wir an die reichhaltige Kultur und Kunstszene von Basel anschliessen», sagt sie. Zu ihren weiteren Kooperationspartnern gehört ne-ben zahlreichen andern das Zentrum für Afrikastudien der Universität Basel. Vielleicht hege sie auch deshalb ein «wis-

senschaftliches Interesse für die Unruhe, die an Rändern und Peripherien spürbar wird und das System als Ganzes erst in den Blick rückt», meint Holl, die einen Teil ihrer Kindheit in Südafrika verbracht hat. Kommunikation werde von medialen Konstellationen bestimmt : «Wir müssen die Struktur des Wissens selber zum Thema machen und erklären, inwiefern diese durch bestimmte Medien organisiert ist.» In Basel könne sie die-ses Interesse pflegen : «Mein Beruf gestattet es, einerseits in die entlegensten Archive zu steigen und anderseits Jugend-liche dabei zu beobachten, wie sie an Computerspielen sit-zen – und wie sie sich dabei verbinden mit Techniken, deren Schnittstellen zum menschlichen Körper ich bis in Experi-mente des vergangenen Jahrhunderts zurückverfolgen kann.» Allerdings habe die Freiheit einer Wissenschaftlerin auch ihren Preis : «Der Aufwand einer Professur überschreitet al-les, was ich mir je vorgestellt habe», meint sie lachend. Zeit für sich selber und für ihre Familie – Holl und ihr Mann haben einen 16-jährigen Sohn – bleibe da kaum. Dennoch erzählt sie : «Manchmal schnappen wir uns einen Film aus unserer Videothek und gucken ihn zusammen an.» Also zu Hause und nicht im Kino, das ihr wichtigstes Forschungsgebiet ist.

Nichts gegen Computerspiele

Was hält sie eigentlich von den Mediengewohnheiten junger Menschen ? «Die hochkomplexe Integration von Auge und Daumen, von Geste und Wahrnehmung, die Kinder und Ju-gendliche in Video- und Computerspielen von früh auf trai-nieren, kommt einem Sprung in der Menschheitsgeschichte gleich.» Man könne ihnen nicht mehr raten, auf Videospiele zu verzichten. Denn «über kurz oder lang werden unsere be-ruflichen und privaten Verrichtungen so und ähnlich funk-tionieren», sagt sie, «auch wenn die Spiele in militärischen Kontexten entwickelt wurden». Holl arbeitet mit einer Kolle-gin an einem Buchprojekt, das die fundamentale Restruktu-rierung der Lehre unter diesen Bedingungen reflektiert. Sie selber hingegen beherrsche die Kunst des Multitaskings eher schlecht. Aber : «Ich fühle mich auch befreit, wenn ich nicht Tag und Nacht erreichbar bin.» Sie könne sehr viel von den Studierenden lernen, die sie als Expertinnen und Experten in Sachen Geräte und Gadgets wahrnimmt. Im Gegenzug könne sie die jungen Menschen mit der Geschichte und auch mit den nicht realisierten Mög-lichkeiten dieser heute alltäglichen Geräte vertraut machen. Die digitalen Medien würden es sogar erlauben, gesellschaft-liche Prozesse ganz anders zu optimieren, als es derzeit ge-schieht. So liesse sich die elektronische Vernetzung zum Bei-spiel dazu nutzen, einen «globalen Ausgleich der Ressourcen zu berechnen, der sich für jeden sofort und überall wahrneh-men liesse», sagt Holl : «Ich habe immer noch den Anspruch, eine politische Ästhetik der Medien zu lehren.»

Anna Wegelin ist freie Journalistin in Basel.

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Bedingung der eigenen Wahrnehmung kritisch erfassen: Medienwissenschaftlerin Ute Holl im Stadtkino Basel (Bild: Andreas Zimmermann).

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Als die Schweizer Seen verdreckt und überdüngt waren, ging die Vielfalt ihrer Bewohner mehr und mehr zurück – so mussten

zahlreiche Fischarten ihre Lebensräume aufgeben und verschwanden. Nun gibt es am Beispiel der Felchen im Bodensee

erstmals Hinweise dafür, dass die Diversität der Wasserlebewesen wieder zunehmen könnte. Philipp Hirsch

Umweltwissenschaften

Die Wiederentdeckung der Fischvielfalt

Aus den Schweizer Seen kamen lange schlechte Nachrichten : Über Jahrzehnte hinweg waren sie immer dreckiger gewor-den, und übermässiger Nährstoffeintrag aus der Landwirt-schaft und von Haushaltsabwässern führte zu einer Über-düngung. Dies wirkte sich deutlich auf die Artenvielfalt aus. Die durch den Dünger im Wachstum begünstigten Kleinst-lebewesen sanken massenhaft zu Boden, und ihre Zerset-zung verbrauchte allen Sauerstoff. In den Tiefenschichten der Seen gab es nur wenig oder gar keinen Sauerstoff mehr. Am Ufer lebende Arten gaben ihre Spezialisierung auf, um sich ausschliesslich an den Mengen an Kleinstlebewesen im Freiwasser gütlich zu tun. Aber auch Fischarten, die sich auf die Tiefe als Lebens- oder Laichgrund spezialisiert hatten, verschwanden.

Einseitige Spezialisierung

Besonders eindrücklich beschrieben wurde das Verschwin-den von Formen der uferspezialisierten Felchen in den Schweizer Seen. Im Bodensee blieben von fünf unterschied-lichen Tiefen-, Flach- und Freiwasserspezialisten nur zwei im Freiwasser lebende Felchenformen übrig. Vor der Überdün-gung waren noch Uferspezialisten beobachtet worden, deren hochrückiger Körperbau das Manövrieren und damit die effiziente Nahrungsaufnahme zwischen Steinen und Pflan-zen des Ufers ermöglichte. Tiefer unten spezialisierten sich grossäugige Felchen-Zwergenformen auf ein Leben auf dem Seeboden. Dagegen waren die torpedoförmigen Körper der Freiwasserspezialisten perfekt an das ausdauernde Schwim-men auf der Jagd nach Kleinstlebewesen angepasst. Die ein-seitige Spezialisierung auf den Lebensraum im Freiwasser liess die Ufer- und Tiefenspezialisten und damit die Vielfalt der Felchen verschwinden.

Seit einigen Jahren ist jedoch die Überdüngung unserer Seen rückläufig. Durch Abwasserreinigungsanlagen und andere Bemühungen wie den Ersatz von Phosphaten in den Waschmitteln wurde der Nährstoffeintrag in die Gewässer deutlich reduziert. Das Ergebnis : Die Nährstoffe erreichten vielerorts wieder die Ausgangswerte, und die Menge der Kleinstlebewesen im Freiwasser ging zurück. Dadurch wur-den auch die Tiefenschichten wieder reich an Sauerstoff, da keine Massen an verwesenden Kleinstlebewesen mehr den Sauerstoff aufbrauchten. Nun «lohnte » sich auch eine Spezialisierung auf die Ufer-zone als Lebensraum wieder. Hier könnten spezialisierte Individuen quasi einen neu entstandenen, unbesetzten Le-bensraum finden. Bedingungen also, die aus evolutionsbio-logischer Sicht eine erneute Spezialisierung wahrscheinlich machen. Wo besser sollte man nach dieser erneuten Vielfalt Ausschau halten als bei den Felchen mit ihren vielen speziali-sierten Formen ?

Der Hinweis des Fischers

Ein Forschungsteam der Universitäten Basel und Konstanz begab sich also auf die Suche nach den Spezialisierungen der Felchen. Doch wo sollte man ansetzen ? Ein Berufsfischer gab den entscheidenden Hinweis : Er fange wieder mehr und mehr Gangfische im ganz flachen Uferbereich, ganz so wie früher, sagte er. Gangfische waren früher eine der Felchenarten im Bo-densee. Eigentlich Freiwasserspezialisten, lebten sie aber vorwiegend in Ufernähe und nicht in der Seemitte. Gleich-zeitig laichten Gangfische am Boden, und in historischen Untersuchungen wurden bodenbewohnende Nährtiere in ihren Mägen gefunden. Die Gangfische wären somit die ers-

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ten Kandidaten, die die Lücke der Uferspezialisten wieder füllen könnten. Die Forschungsgruppe fing während der Laichzeit Gangfische aus unterschiedlichen Tiefen, von ganz flach ( zwei Meter ) bis zu 50 Meter tief, und untersuchte sie auf Lebensraumspezialisierungen wie zum Beispiel auf den Körperbau. Der Befund war eindeutig : Die Fische, die in zwei Metern Tiefe gefangen wurden, hatten einen hochrückigeren Körper als die tiefer laichenden Fische, die den torpedoför-migen Körperbau einer Freiwasserform aufwiesen. Auch die Nahrungswahl deutete auf eine Nutzung des Ufers als Lebensraum hin. Dass die Tiere beim Laichen im Flachen gefangen wurden, kann zudem als Hinweis darauf gewertet werden, dass sie auch dort laichen, wo sie fressen. Ob sie das tatsächlich tun, müssen weitere Untersuchungen zeigen. Genetische Untersuchungen zu den Verwandtschafts-beziehungen zwischen Gangfischen aus unterschiedlichen Laichtiefen geben aber erste Hinweise. In der Tat sind im Flachwasser laichende Gangfische miteinander stärker ver-wandt als mit den aufs Freiwasser spezialisierten, tiefer lai-chenden Artgenossen. Das ist eine wichtige Beobachtung. Denn sie deutet darauf hin, dass Spezialisierungen auf be-stimmte Lebensräume auch zu Spezialisierungen in der Part-nerwahl führen. So kann auch der Prozess der ( Wieder- )Aufspaltung in mehrere Felchenformen beschleunigt wer-den : Wenn Merkmale wie der Körperbau nicht nur die Wahl des Lebensraums, sondern – durch das Zusammenfallen von Nahrungs- und Laichgründen – indirekt auch die Wahl des Partners beeinflussen, können sich erbliche Unterschiede, die bei nur wenigen Individuen entstehen, besonders schnell in der Population manifestieren. Damit ist es wahrscheinlicher, dass eine erbliche Spezialisierung in beiden Elternteilen des Felchennachwuchses existiert.

Eine Entdeckung mit Potenzial

Was also kann getan werden, um der Spezialisierung der Fel-chen auf die Sprünge zu helfen – und wieso sollte man das tun ? Die Vielfalt spezialisierter Felchen ist nicht nur wichtig für die Funktion eines Ökosystems, das Trinkwasserspei-cher und Erholungsgebiet zugleich ist. Die Vielfalt unserer Gewässer ist auch Teil unseres soziokulturellen Erbes, und die Gangfische sind dafür ein Paradebeispiel. Einst war ihr gezielter Fang eine stolze Tradition von Dörfern im schwei-zerischen Teil des Bodensees : Fischerfamilien taten sich zu-sammen und knüpften gemeinsam ein Netz für den Fang der uferlaichenden Gangfische, die geräuchert eine besondere Spezialität waren, die bis nach Italien exportiert wurde. So prominent waren die Gangfische für die Bodenseege-meinden, dass noch heute eines der grössten Schützenfeste der Schweiz – in Erinnerung an die früher verliehenen Preise in Form von geräucherten Gangfischen – ihren Namen trägt : das Gangfischschiessen in Ermatingen TG. Auch Sportang-ler, die für den Tourismus am Bodensee immer wichtiger werden, wären bestimmt begeistert über die Wiederkehr der Uferspezialisten unter den Felchen. Die Entdeckung der Viel-falt, die noch in den Gangfischen steckt – ob sie nun Zeuge der Vergangenheit oder Bote der Zukunft ist –, ist in jedem Fall eine Entdeckung mit Potenzial.

Dr. Philipp E. Hirsch ist Postdoktorand und führt seine Projekte an der Forschungsstelle für nachhaltige Energie und Wasserversorgung ( FoNEW ) und dem Institut Mensch-Gesellschaft-Umwelt des Departements Umwelt-wissenschaften der Universität Basel durch. Für seine Arbeit in Koopera-tion mit der Universität Konstanz erhielt er den Nachwuchspreis 2013 der Deutschen Gesellschaft für Limnologie.

Die Körperform innerhalb der Gangfische ( Coregonus ma-crophtalmus ), einer Felchenart des Bodensees, zeigt deutliche Anpassungen an unterschiedliche Lebensräume. Der hochrückigere Körperbau ( oben ) erleichtert das Manövrieren und damit die effiziente Nahrungsaufnahme zwischen Steinen und Pflanzen in der Uferzone. Die torpedoför-mige Körperform ( unten ) dagegen reduziert den Strömungswider-stand beim ausdauernden Jagen nach Kleinstlebewesen im Freiwas-ser ( Bilder : Reiner Eckmann ).

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Im Markusevangelium zeichnet der Autor nach dem Jahr 70 das Leben Jesu Christi als Gegenevangelium zum Aufstieg Ves-

pasians als neuem Herrscher Roms. Umfassende Analysen zeigen nun erstmals, dass der Evangelist reichlich Anleihen beim

militärischen Vokabular wie auch beim Hofhistoriker Flavius Josephus macht. Gabriella Gelardini

Theologie

Christus und der Krieg

Den Autor des ältesten Evangeliums des Neuen Testaments nennen wir in altkirchlicher Tradition Markus. Auf den ersten Blick scheint er die schmähliche Niederlage seines Helden Jesus Christus einzugestehen : Der Aspirant auf das höchste Amt Judäas erlangt die Königswürde nicht, sondern stirbt, als Aufrührer gebrandmarkt, durch römische Hand am Kreuz. Doch erschliesst sich der Inhalt des Evangeliums auf den zweiten Blick als « Anfang des Evangeliums Jesu Christi » ( Markus 1,1 ), nämlich als « Anfang einer guten, einer Siegesbotschaft des gesalbten Königs Jesus ». Damit macht der Evangelist eine politische Aussage, welche – angesichts der Tatsache, dass Herrschaft nur über Militär zu erlangen und zu halten war – auch eine hochbrisant militärische ist.

Kriegerischer Alltag

Mit diesen gegensätzlichen Aussagen taten sich Exegeten in der Vergangenheit schwer. Im Bemühen, Aussagen über Jesus Christus als Herrscher so weit wie möglich von Gewalt und Krieg zu entfernen, gaben sie der Botschaft des Evangeliums eher einen spirituellen Sinn. Krieg jedoch gehörte in der Anti-ke zum Alltag, und so wird er im Neuen Testament direkt wie auch indirekt zur Sprache gebracht. Besonders einschneidend war der erste jüdisch-römische Krieg, der in den Jahren 66 bis 74 in Galiläa und Judäa und teilweise auch in den angren-zenden Provinzen Syrien und Ägypten geführt wurde. Die Niederlage der Aufständischen hatte nicht zuletzt das Ende des jüdischen Kultzentrums, des Jerusalemer Tempels, zur Folge. Diese Katastrophe war offenbar auch für den Autor des Markusevangeliums von einschneidender Bedeutung. Das hat die Forschung schon länger erkannt. Meine Untersu-chung hat bislang nicht benannte Dimensionen hinzugefügt ; denn erst wenn dieser zeitgeschichtliche Hintergrund konse-

quent kontextualisiert wird, lassen sich die paradoxen Aussa-gen von Sieg und Niederlage des Herrschers Jesus Christus in tiefgründiger Weise versöhnen. Es war das Jahr 71. Nachdem der Flavier Vespasian vom römischen Senat als neuer Kaiser bestätigt worden war, fei-erte er gemeinsam mit seinem Sohn Titus durch die Nieder-schlagung des noch unter Nero entflammten Aufstandes der Judäer gegen Rom einen Triumph. Als Oberbefehlshaber der syrischen Truppen Roms hatte er sich – unterstützt durch Titus – als militärisch so geschickt erwiesen, dass ihn seine Truppen angesichts der Bürgerkriegswirren und ungeachtet seiner gemeinen Herkunft zum neuen Herrscher ausriefen. Nach den erhaltenen Zeugnissen des Flavius Josephus, der im Auftrag der Flavier die Geschichte des ersten Feldzugs der Römer gegen die Judäer niedergeschrieben hatte, soll dies in Cäsarea Maritima, der römischen Verwaltungsstadt Judäas, erfolgt sein. Und wie ein Lauffeuer habe sich diese gute Bot-schaft, dieses Evangelium – der ( Militär- )Historiker verwen-det dasselbe Wort wie der Evangelist Markus – im römischen Reich verbreitet. Diese lexikalische Übereinstimmung dürfte kein Zufall sein, vielmehr gezielte Absicht des Evangelisten und Zeitgenossen des flavischen Hofhistorikers.

Jesus als Gegenherrscher

Denn auch Markus schreibt wohl, wie schon in altkirchlicher Tradition angenommen und gegenwärtig in der Forschung weithin vertreten wird, in Rom und – das ist eine ebenso wichtige Hypothese – in Kenntnis der Kriegsgeschichte des Josephus. Aus dieser Perspektive gelesen, konstruiert er die Vita Jesu als die eines Gegenherrschers und sein Evangelium als judäisches Gegenevangelium zur römischen Kaiserpro-paganda. Dass das Markusevangelium gattungsmässig anti-

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Martialischer Christus im Feldherrenmantel : Mosaik in der Capella di Sant’Andrea des erz-bischöflichen Museums in Ravenna aus dem 5./6. Jahrhundert ( Bild : Gabriella Gelardini ).

ken Herrscherviten verwandt ist, ist seit einiger Zeit Konsens. Dass es im Kontext römischer Kaiserviten auch als Teil eines « geistigen Widerstands gegen Rom » – so der Titel der be-rühmten Vorlesung des Basler Latinisten Harald Fuchs von 1933 ! – zu lesen ist, ist von Bedeutung. Unter Einbezug nicht nur römischer Historiker ( wie etwa Tacitus, Sueton und Cassius Dio ), sondern erstmals auch an-tiker Militärhistoriker ( neben Josephus etwa auch Onasan-der, Frontinus, Polyainos und Vegetius ) haben aufwendige Vergleiche zahlreiche linguistische und narrative Parallelen vor allem zwischen dem Text des Josephus und dem Markus-evangelium zutage gefördert. So folgt die Geschichte Jesu im Evangelium im Wesentlichen den Etappen des von Josephus festgehaltenen Feldzugs der beiden Flavier. Wie Vespasian etwa lässt Markus Jesus in Cäsarea ( nicht Maritima, sondern Philippi ) durch seine engsten Nachfolger als König erkennen und ausrufen. Wie Titus lässt Markus ihn vor dem « Angriff » auf Jerusalem eine « Feldherrenrede » halten. Und prospek-tiv in Reaktion auf das den heiligen Bezirk verunreinigende Kriegsgemetzel lässt Markus Jesus den Tempel « reinigen ».

Tod und Auferstehung

Den Tod Jesu schliesslich zeichnet der Evangelist als Tri-umph, angesichts des flavischen Siegs vordergründig freilich als Spotttriumph. Doch der römische Triumph war nicht nur Siegesfeier, sondern auch Kriegsbeendigungsritual, verbun-den mit die Kriegsschuld sühnenden Elementen. Da Titus den Tempel Jerusalems zerstörte, wird der die Kriegsschuld sühnende Akt Jesu in den verbliebenen himmlischen Tempel verlagert. Damit sind Tod und Auferstehung nicht als Nie-derlage zu verstehen, sondern als notwendige Voraussetzung, um Gott zu versöhnen.

Es ist diese Leistung, die ihm nach Markus – wie dem rö-mischen Kaiser auch – Gottessohnschaft verleiht. Wie dort, legitimiert sie auch Jesu Königsherrschaft religiös und ver-spricht eine siegreiche Rückkehr des Protagonisten als Sieger, aber eben auch als « Christus militans ». Ein Versprechen, das der Evangelist wiederholt für die Zukunft in Aussicht stellt. In diesem Sinne soll sich erfüllen, was Markus eingangs verspricht, nämlich, dass Jesu Leben und Tod Anfang einer hochbrisanten Siegesbotschaft sind. Das Motiv des militanten Christus und auch der streiten-den Kirche ( Ecclesia militans ) entfaltete eine Wirkungsge-schichte bis in die Gegenwart, man denke etwa an die Heils-armee. Es fand literarische Aufnahme bei den Kirchenvätern und später auch in der Kunst. Ein besonders schönes Beispiel findet sich in der Capella di Sant’Andrea des erzbischöflichen Museums in Ravenna. Das aus dem 5./6. Jahrhundert stam-mende Mosaik zeigt eine martialische Christusfigur mit Pa-ludamentum, dem Soldatenmantel, wie er üblicherweise von Feldherren und/oder Herrschern getragen wurde. Dass sich das Mosaik in unmittelbarer Nähe des wichtigsten Kriegs-hafens des antiken Italiens befindet, von wo aus Rom seine östlichen Regionen kontrollierte, darunter auch Judäa, dürf-te kein Zufall sein.

PD Dr. Gabriella Gelardini ist Privatdozentin für Neues Testament an der Universität Basel. Ihre Habilitationsschrift « Christus militans : Studien zur politisch-militärischen Semantik im Markusevangelium vor dem Hinter-grund des ersten jüdisch-römischen Krieges » wird voraussichtlich 2014 erscheinen.

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Die Schweiz im Ersten Weltkrieg

1914 – es sind 100 Jahre her seit dem Beginn des Ersten Weltkriegs. Die Schweiz blieb von Kriegsereignissen verschont. Stand früher die Frage im Vordergrund, wie es dem kleinen Land gelungen ist, sich aus dem grossen Krieg herauszuhalten, wird heute nach dem allge-meinen Betroffensein gefragt. Das Buch von Prof. Georg Kreis gibt, basierend auf den neusten Forschungen, einen allgemeinen Über-blick über die Kriegsjahre und wirft aus heu-tigem Interesse einen Blick auf diese Periode. Wie wirkte sich der Krieg auf die schweizerische Gesellschaft aus ? In welchem Mass hat das Land damals seine Offenheit und Verbunden-heit mit der umgebenden Welt eingebüsst ? Nahm das Reduitdenken, das später im Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg weiterlebte, bereits damals seinen Anfang und erschwerte damit bis heute die Beziehungen zu Europa ? Die Mehrheit der Bevölkerung begrüsste den Sonderstatus ihres Landes. Neben Sicher-heitsgründen sahen es viele auch als die Pflicht für die Schweiz an, zwischen den Kriegspar-teien zu vermitteln und ihre Guten Dienste anzubieten. Sehr ausgeprägt war schon damals die Vorstellung von der Schweiz als einer Insel, als einem geschützten Ort inmitten von Verwüstung und Verderben. Gerade deswegen empfand man das Umland als bedrohlich und feindlich – dass man sich davor schützen wollte, war nur logisch. Doch gerade die An-fänge der Grenzbesetzung wirken im Rückblick oft eher dilettantisch. Der Autor des teilweise mit neuem Bildmaterial reich illustrierten Buchs ist emeritierter Professor für Neuere All-gemeine Geschichte an der Universität Basel.

Georg Kreis, Insel der unsicheren Geborgenheit. Die Schweiz in den Kriegsjahren 1914–1918. Verlag NZZ Libro, Zürich 2013. Klappenbroschur, 304 S., 140 Abb., 44 Fr.

Vom gleichen Autor : Schweizer Postkarten aus dem Ersten Weltkrieg. hier + jetzt, Baden 2013. 176 S., 111 Abb., 49 Fr.

Literarische Wanderungen

Die Zentralschweiz ist eine reiche literarische Landschaft. In zahlreichen Werken wird die teils raue, teils liebliche Gegend um den Vierwaldstättersee zum Schauplatz aufregen-der Geschichten : August Strindberg gelingt es, mythische Stimmungen mit der harten Realität des Gotthardtunnelbaus zu verbinden, Thomas Hürlimann und Tim Krohn loten die Tiefen des Zugersees aus, Mark Twain und Alphonse Daudet besteigen die Rigi. Fried-rich Schiller stellt sich an seinem Weimarer Schreibtisch eine Überquerung des Surenenpas-ses vor, Meinrad Inglin versetzt uns rund um Schwyz zurück in die Zeit der Völkerwan-derungen, und mit F. H. Achermann erleben wir einen Wildhüter-Wilderer-Showdown am Schwalmis. Cécile Lauber und Gertrud Leu-tenegger verfremden den Urnersee auf poe-tische Weise, und Christina Viragh scheint auf Heinrich Federer zu antworten, wenn beide über den Pilatus schreiben und dem Luzerner Hausberg eine Spur von Rätselhaftigkeit ver-leihen. Die beschriebenen 14 literarischen Wan-derungen eröffnen überraschende Zugänge zu diesen erzählten Welten – die Spuren führen in Bergtäler, zu Wasserfällen, auf Alpwiesen, über Pässe und zu Seeufern, in Kavernen und Stollen. Das Lese- und Wanderbuch versucht, Themen der Literaturgeografie einem breiteren Publikum nahezubringen. Dr. Barbara Piatti ist Literaturwissenschaftlerin, Leitungsmit-glied des Kompetenzzentrums Kulturelle Topo-graphien und Lehrbeauftragte an der Uni-versität Basel sowie Forschungsgruppenleiterin an der ETH Zürich, wo sie an einem « Litera-rischen Atlas Europas » ( www.literaturatlas.eu ) arbeitet.

Barbara Piatti, Es lächelt der See. Literarische Wanderungen in der Zentralschweiz, Luzern–Vierwaldstättersee–Gotthard. Rotpunktverlag, Zürich 2013. Farbfotos, Karte und Serviceteil. 448 S., Klappenbroschur, 45 Fr.

Bücher

Juden in der Schweiz

In den sich ausdifferenzierenden Lebenswelten der Jüdinnen und Juden in der Schweiz sind in den letzten Jahrzehnten vermehrt neue Kon-fliktfelder zutage getreten : etwa die Stellung der jüdischen Frauen in Gemeinden und Gottesdiensten, der Umgang mit Ehen zwischen jüdischen und nichtjüdischen Partnern und ihren Kindern sowie die jüdische Milieugesell-schaft der streng orthodoxen Gemeinschaf-ten ausserhalb der Einheitsgemeinden. Dass heute in Israel beinahe so viele jüdische Schwei-zerinnen und Schweizer leben, wie es Juden und Jüdinnen in schweizerischen Gemeinden gibt, macht ihr Bild noch vielfältiger. Das Buch beleuchtet erstmals umfassend die inner-jüdischen Entwicklungen in der Schweiz seit den 1950er-Jahren. Im Zentrum stehen die sogenannten Einheitsgemeinden, unter deren Dach die unterschiedlichen religiösen Rich-tungen unter Führung eines zumeist ortho-doxen Rabbinats stehen. In diesen Gemeinden fühlt sich ein grosser Teil der schweizerischen Juden und Jüdinnen beheimatet. Die Ausei-nandersetzungen zwischen orthodoxen, konser-vativen und liberalen Flügeln des Judentums haben diesen Willen zur Einheit immer wieder vor die Frage von Integration oder Ausschluss gestellt. Der Sammelband basiert auf Forschun-gen am Zentrum für Jüdische Studien der Universität Basel sowie weiteren Instituten der Universitäten Basel und Bern. Die Herausge-ber sind Prof. Jacques Picard, Ordinarius für Allgemeine Jüdische Geschichte und Kulturen der Moderne an der Universität Basel, und Dr. Daniel Gerson, ehemaliger wissenschaftli-cher Mitarbeiter am Zentrum für Jüdische Studien der Universität Basel, jetzt am Institut für Judaistik der Universität Bern und Lehr-beauftragter an der Universität Salzburg.

Jacques Picard, Daniel Gerson ( Hg. ), Schweizer Judentum im Wandel. Religion und Gemein-schaft zwischen Integration, Selbstbehauptung und Abgrenzung. Chronos Verlag, Zürich 2014. Brosch., 344 S., 48 Fr.

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Webtipp

Meret Hornstein

Meret Hornstein, geboren 1984, arbeitet seit vier Jahren an der Universität Basel. Sie studierte hier zuvor Nanowissenschaften mit Bachelor- und Masterabschluss und ist heute Leiterin der Kom-munikations- und PR-Abteilung sowie Eventma-nagerin am Swiss Nanoscience Institute ( SNI ) an der Universität Basel. Neben der Arbeit am SNI war sie auch einige Jahre als Gymnasiallehrerin tätig. Sie interessiert sich für die vielfältigen As-pekte der Naturwissenschaften allgemein und besonders für deren Vermittlung. Das SNI ging 2006 aus dem Nationalen For-schungsschwerpunkt ( NFS ) Nanowissenschaf-ten hervor und ist inzwischen ein thematischer Schwerpunkt der Universität Basel. Am SNI ist Meret Hornstein zuständig für die Promotion der Nanowissenschaften an eine breite Öffent-lichkeit und engagiert sich besonders in der Nach- wuchsförderung auf diesem interdisziplinären Gebiet. Sie organisiert Besuche von Gruppen am Institut, hält Vorträge und Workshops an Schu-len verschiedener Stufen und vertritt das SNI an zahlreichen Wissenschaftsfestivals im In- und Ausland.

Swiss Nano-Cubewww.swissnanocube.ch/homeWas ist Nano und wie funktionierts ? Das Team von Swiss Nano-Cube versucht, das Interesse und das Verständnis für Mikro- und Nanotechnolo-gien zu wecken. Auch für Lehrpersonen wird auf dieser bunten Web-Plattform spannendes Unter- richtsmaterial rund um die Nanotechnologien zur Verfügung gestellt.

SNI Update www.nanoscience.chDie Webseite des Swiss Nanoscience Institute an der Universität Basel liefert Informationen zur aktuellen Forschung. Der vierteljährlich erschei-nende Newsletter SNI update bietet Porträts von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die zum Netzwerk des SNI gehören, sowie eine Zu-sammenfassung der Geschehnisse der vorherge-henden Monate am SNI.

Science Days im Europa-Parkwww.science-days.deNaturwissenschaften zum Anfassen : Die Science Days im Europa-Park Rust bei Freiburg sind mit über 70 Ausstellern das grösste Wissenschaftsfes- tival Deutschlands. Es will hauptsächlich Schü-lerinnen, Schüler und Jugendliche ansprechen. Die Besucherinnen und Besucher erforschen, lernen und basteln an betreuten Ständen. Auf der Webseite finden Interessierte Informationen zum Programm, zusätzliche Projekte und Semi-nare für Gross und Klein sowie Experimente zum Selbermachen.

Nano in der Schweizwww.satw.chAuf der Webseite der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften ( SATW ) wird unter anderem über aktuelle Themen und Nach-wuchsförderung in diesem Bereich informiert. Zusätzlich werden kommende Events und Pu-blikationen in den MINT-Fächern ( Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik ) ange-kündigt und beschrieben.

SimplySciencehttp ://simplyscience.chMit ihrer Webseite will die Stiftung SimplySci-ence bei Jugendlichen das Verständnis für Na-turwissenschaften fördern. Verschiedene Expe-rimente, ein Lexikon, Rätsel, Wettbewerbe und informative Texte helfen dabei. Zusätzlich wird über mögliche Ausbildungs- und Laufbahnmög-lichkeiten in den Naturwissenschaften infor-miert.

Komm, mach MINT www.komm-mach-mint.deDiese Webseite aus Deutschland bietet Angebote, News und Projekte für Frauen in MINT-Berufen. Dabei werden Schülerinnen, Jugendliche und be-rufstätige Frauen gleichermassen angesprochen und mit Informationen bedient.

Biogeografie : Ein Spiel

Warum jagt der Jaguar keine Gazellen ? Diese Frage lässt sich in einem Online-Spiel be-antworten, das in der Forschungsgruppe Bioge-ografie der Universität Basel entstanden ist – in Deutsch und Englisch. Spielerisch kann man seine Kenntnisse über die Säugetiere und ihre Verbreitung erweitern – eine Voraussetzung zum Verständnis der Entstehung und Gefähr-dung der Biodiversität. Auch als Lern-Tool nutz-bar, vermittelt das Spiel die zoogeografischen Regionen der Erde mit ihrer charakteristischen Fauna, und die Expeditionen machen einen mit zahlreichen Tierarten bekannt, die man in ihre Heimatregion begleiten soll. Dabei ste-hen über 1500 Säugetierarten zur Verfügung, eine Auswahl, die noch erweitert wird. Nach der Anmeldung mit Benutzername und Passwort müssen die Teilnehmer der Expeditionen auf einer Weltkarte eine zufällige Auswahl von Tieren ihren Verbreitungsge-bieten zuordnen. Je nach Modus ( Standard oder Fortgeschritten ) haben sie dafür mehr oder weniger Zeit und bekommen unterschiedlich viele Informationen. Zudem sind die Tiere in die drei Levels Leicht, Mittel und Schwer ein-geteilt. Im Spiel-Modus beginnt man automa-tisch mit den leichten Fragen und arbeitet sich langsam nach oben. Das Ziel ist erreicht, wenn man sich nach dem dritten, schwierigsten Level das wohlverdiente Diplom ausdrucken kann. Im Trainings-Modus lässt sich ein Level direkt anwählen, und man kann ohne Zeit-druck üben. Es ertönen zuweilen Tierlaute, man kann zwischendurch ein Tierartenlexikon konsultieren und seine Fortschritte in der Spiel-statistik verfolgen. Und was ist nun mit dem Jaguar ? Da er in Süd- und Mittelamerika und die Gazelle in Afrika zu Hause ist, muss er unter natürlichen Bedingungen auf diese Beute ver-zichten – obwohl sie ihm bestimmt ausgezeich-net schmecken würde.

https ://game.biogeography.unibas.ch

Universität Basel im Web

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UNI NOVA, Wissenschaftsmagazin der Universität Basel. Herausgegeben von der Universität Basel, Kommunikation & Marketing (Leitung: Matthias Geering). UNI NOVA erscheint zweimal im Jahr, die nächste Ausgabe im September 2014. Das Heft kann zum Preis von 18 Fr./Euro im Jahr abonniert werden; Bestellungen per E-Mail an [email protected] oder an die Redaktion. Kostenlose Exemplare liegen an mehreren Orten innerhalb der Universität Basel und weiteren Institutionen in der Region Basel auf. Redaktion: Christoph DieffenbacherAdresse: UNI NOVA, Universität Basel, Kommunikation & Marketing, Postfach, 4003 Basel. Redaktion: Tel. +41 (0)61 267 30 17, Fax: +41 (0)61 267 30 13. E-Mail: [email protected], Abos: [email protected] UNI NOVA im Internet: http://www.unibas.ch/uninova, http://www.issuu.com/unibasel/docs Gestaltungskonzept und Gestaltung: Lukas Zürcher, Visuelle Gestaltung, Riehen.UNI NOVA gibt es auch in einer englischen Ausgabe. Übersetzungen: Sheila Regan und Team, Uni Works (www.uni-works.org)Mitarbeit an dieser Nummer:Leah F. Bohle, Charlotte Braun-Fahrländer, Gabriella Gelardini, Philipp Hirsch, Meret Hornstein, Tanja Klein, Nino Künzli, Philipp Latzin, Ueli Mäder, Andrea Maihofer, Fiona Mera-Wieland, Désiré Ndayisaba, Barbara Pose, Nicole Probst-Hensch, Martin Röösli, Esther Schelling, Joëlle Schwarz, Anna Wegelin, Manfred Zahorka.Fotografie: Andreas Zimmermann (Seiten 5, 13, 32, 39, 45).Korrektorat: Birgit Althaler (deutsche Ausgabe), Lesley Paganetti (englische Ausgabe).Druck: Werner Druck & Medien AG, Basel Inserate: Universität Basel, Leitung Kommunikation & Marketing, E-Mail: [email protected], [email protected] Go! Uni-Werbung AG, Rosenheimstrasse 12, 9008 St. Gallen, www.go-uni.com, Tel. 071 544 44 80.UNI NOVA ist Mitglied des Swiss Science Pools (www.swiss-science-pool.com)Auflage dieser Ausgabe: 11’500 Exemplare deutsch, 1500 Exemplare englischAlle Rechte vorbehalten. Nachdruck nur mit Genehmigung der Herausgeberin.ISSN 1661-3147 (gedruckte Ausgabe deutsch) ISSN 1661-3155 (Online-Ausgabe deutsch)ISSN 1664-5669 (gedruckte Ausgabe englisch) ISSN 1664-5677 (Online-Ausgabe englisch)

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ImpressumTermine

Mensch und MikrobeBis 8. MaiMenschMikrobe. Das Erbe Robert Kochs und die moderne InfektionsforschungAusstellung mit Führungen und Vorträgen. Montag bis Freitag 9 bis 17 Uhr, Samstag 11 bis 17 Uhr, Sonn- und Feiertage geschlossen. Kollegienhaus, 1. Stock, Petersplatz 1, Basel. Weitere Infos : www.menschmikrobe.de/info.html

Ringvorlesungen Frühlingssemester 2014Verantwortung Interdisziplinäre Aeneas-Silvius-Ringvorlesung zum Thema Verantwortung. Jeweils dienstags, 4. und 25. März, 15. April, 6. und 27. Mai, 18.15 Uhr, im Anschluss Apéro. Kollegienhaus der Universität, Hörsaal 115, Petersplatz 1, Basel.

basel : kultur/ topographischFächerübergreifende Ringvorlesung über Basel als kulturtopografisch vielschichtiges Phänomen. Jeweils dienstags, 18.15 bis 20 Uhr, Kollegienhaus, Hörsaal 001, Petersplatz 1, Basel.

Bewegende MomenteVortragsreihe des Departements Sport, Bewegung und Gesundheit der Universität Basel. Jeweils 4. und 18. März, 8. und 29. April, 8. und 22. Mai, 18.30 Uhr. Kollegien-haus, Hörsaal 102, Petersplatz 1, Basel.

Kantonsfusion28. MärzAus zwei mach eins ? Juristische Knacknüsse einer Fusion der Kantone BS und BLÖffentliche Tagung mit Vorträgen und Panel-diskussion. Juristische Fakultät der Universität Basel. 13 bis 18 Uhr, Pro-Iure-Auditorium, Parterre, Peter-Merian-Weg 8, Basel. Weitere Infos : ius.unibas.ch/news/veranstaltungen

Nationalpark10. AprilVom Kahlschlag zum Naturreservat – Forschung im Schweizerischen Nationalpark Vortrag von Prof. Bruno Baur, Departement Umweltwissenschaften der Universität Basel, organisiert von der Naturforschenden Gesellschaft Baselland. 20 Uhr, Museum BL, Zeughausplatz 28, Liestal. Weitere Vorträge : www.ngbl.ch

Erziehung heute23. AprilStreng, tolerant oder gewährend ? Wie Eltern heute erziehen Vortrag von Prof. Jutta Ecarius, Professorin für Erziehungswissenschaft, Universität zu Köln, veranstaltet von der Universität Basel /Pädagogische Hochschule der FHNW ( Vortragsreihe : Brennpunkte der Pädagogik – Antworten der Erziehungswissenschaft ). 18.15 bis 19.45 Uhr, Kollegienhaus der Universi-tät, Hörsaal 116, 1. Stock, Petersplatz 1, Basel.

Künste29. April Bild, Film, Malerei. Zur Verbindung und zur Differenz der Künste Antrittsvorlesung von Prof. Markus Klammer, Assistenzprofessor für Kunsttheorie. 18.15 Uhr, Aula der Museen, Augustinergasse 2, Basel.

Psychotherapie 12. MaiPsychotherapie zwischen Szientismus und Humanismus Vortrag von Prof. Jens Gaab, Abt. Klinische Psychologie und Psychotherapie, Fakultät für Psychologie der Universität Basel. 12.30 bis 13.30 Uhr, Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel, Direktionsgebäude, 1. Stock, Hörsaal, Wilhelm Klein-Strasse 27, Basel.

Geschichte( n )13. Mai« Die Schüsse von Sarajevo ». Geschichten und Geschichte ? Öffentliche Habilitationsvorlesung von PD Dr. Boris Previsic Mongelli, Privatdozent für Neuere Deutsche und Vergleichende Litera-turwissenschaft. 18.15 Uhr, Aula der Museen, Augustinergasse 2, Basel.

Architektur und Medien 20. MaiBauformen des Gewissens. Architektur und Medien der Stunde null Öffentliche Antrittsvorlesung von Prof. Markus Krajewski, Professor für Medienwissenschaft. 18.15 Uhr, Aula der Museen, Augustinergasse 2, Basel. Erster Weltkrieg 27. August Der Erste Weltkrieg in der Region BaselThemenabend der Universitätsbibliothek Basel mit Dr. David Tréfás, Universitätsbibliothek Basel. 18.00 bis ca. 19.15 Uhr, Universitätsbiblio-thek, Treffpunkt : Vortragssaal, 1. Stock, Schönbeinstrasse 18–20, Basel. Weitere Themen-abende : www.ub.unibas.ch

Weitere öffentliche Veranstaltungen und Infos : www.unibas.ch > alle Veranstaltungen

neutralDrucksache

No. 01-12-853775 – www.myclimate.org© myclimate – The Climate Protection Partnership

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EUROPEAN INTEGRATIONFINANZWIRTSCHAFT

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GESUNDHEITSWESENINFORMATIK

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