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unkorrigierte, maschinelle Abschrift 1 NDR Info Podcast 05.06.2021 /19.35-20.00 Uhr STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN 06.06.2021 /12.35-13.00 Uhr Andreas Flocken/Kai Küstner E-Mail: [email protected] www.ndr.de/streitkraefte Themen: SCHWERPUNKT Vor der Präsidentenwahl im Iran - Atomdeal vor dem Aus? SICHERHEITSPOLITISCHE NOTIZEN - Wie defensiv sind Defensiv-Waffen? Streit um Habecks Ukraine-Äußerung - Afghanistan-Abzug - Was wird aus den Ortskräften der Bundeswehr? - Erneuter Mali-Putsch - Ohne Folgen für Bundeswehr-Einsätze? Abschrift Schwerpunkt Zur Verfügung gestellt vom NDR Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für private Zwecke des Empfängers benutzt werden. Jede an- dere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors zulässig. Die Verwendung für Rundfunkzwecke bedarf der Genehmigung des NDR. Flocken: Jetzt also zum Atomdeal mit dem Iran. Die USA sind unter Präsident Trump 2018 aus dieser Vereinbarung ausgestiegen, weil Donald Trump behauptete, sie sei ungeeignet, eine Atommacht Iran zu verhindern. Die Europäer sehen das anders und wollen an diesem Deal festhalten. Seit der Präsidentenwahl gibt es bei ihnen wieder Hoffnung, denn Joe Biden will zum Atomdeal von 2015 zurückkehren. Seit Monaten wird in Wien darüber verhandelt. Zugeschaltet aus Düsseldorf ist jetzt Jerry Sommer. Er hat sich in den vergangenen Wochen in- tensiv mit diesem Thema befasst. Hallo Jerry. Sommer: Hallo Andreas, hallo Kai.

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NDR Info Podcast 05.06.2021 /19.35-20.00 Uhr

STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN 06.06.2021 /12.35-13.00 Uhr

Andreas Flocken/Kai Küstner E-Mail: [email protected]

www.ndr.de/streitkraefte

Themen:

• SCHWERPUNKT

Vor der Präsidentenwahl im Iran - Atomdeal vor dem Aus?

• SICHERHEITSPOLITISCHE NOTIZEN - Wie defensiv sind Defensiv-Waffen? Streit um Habecks Ukraine-Äußerung - Afghanistan-Abzug - Was wird aus den Ortskräften der Bundeswehr? - Erneuter Mali-Putsch - Ohne Folgen für Bundeswehr-Einsätze?

Abschrift Schwerpunkt Zur Verfügung gestellt vom NDR

Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur

für private Zwecke des Empfängers benutzt werden. Jede an-

dere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in

der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Übersetzung)

ist nur mit Zustimmung des Autors zulässig. Die Verwendung

für Rundfunkzwecke bedarf der Genehmigung des NDR.

Flocken:

Jetzt also zum Atomdeal mit dem Iran. Die USA sind unter Präsident Trump

2018 aus dieser Vereinbarung ausgestiegen, weil Donald Trump behauptete,

sie sei ungeeignet, eine Atommacht Iran zu verhindern. Die Europäer sehen

das anders und wollen an diesem Deal festhalten. Seit der Präsidentenwahl

gibt es bei ihnen wieder Hoffnung, denn Joe Biden will zum Atomdeal von 2015

zurückkehren. Seit Monaten wird in Wien darüber verhandelt. Zugeschaltet aus

Düsseldorf ist jetzt Jerry Sommer. Er hat sich in den vergangenen Wochen in-

tensiv mit diesem Thema befasst. Hallo Jerry.

Sommer:

Hallo Andreas, hallo Kai.

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Flocken:

Bevor wir einen Rückblick wagen, zunächst mal eine sehr aktuelle und bren-

nende Frage: Am 18. Juni wird im Iran gewählt - hältst du es für realistisch,

dass ein Abkommen bis dahin zustande kommt?

Sommer:

Ja, das ist durchaus möglich. Aber es könnte auch später passieren, noch un-

ter dem jetzigen Präsidenten Rohani. Der ist nämlich bis Ende August im Amt

und erst danach kommt der wahrscheinliche Gewinner, ein Erzkonservativer,

ins Amt. Wenn der allerdings weiter verhandeln muss, könnte es schwieriger

werden. Man muss aber auch dazu sagen, bei den Verhandlungen gegenwär-

tig und in Zukunft, hat der Nationale Sicherheitsrat Irans das Sagen - und darin

letztlich vor allem der religiöse Führer Chamenei. Und der tritt für die Rückkehr

zum Nuklearabkommen ein.

Küstner:

Das ist ja eine sehr eigentümliche Situation bei den Verhandlungen in Wien,

weil die Iraner und die USA – noch muss man vielleicht sagen – nicht direkt

miteinander sprechen findet so eine Art Diplomaten-Ballett statt. Die Europäer

shutteln zwischen dem Verhandlungshotel und den Amerikanern hin und her

um sie auf dem laufenden zu halten – Russen und Chinesen sind auch mit da-

bei. Kann das so eigentlich überhaupt etwas werden?

Sommer:

Ja. Ich glaube schon. Das glauben ja auch alle Beteiligten. Days es diese indi-

rekten Verhandlungen gibt, das liegt vor allem an den USA, die unter Trump

aus dem Vertrag ausgetreten sind. Und die Iraner sagen mit einem gewissen

Recht, erst wenn die Amerikaner die Trump-Sanktionen aufgehoben haben und

wieder Vertragspartner sind, dann können wir mit ihnen verhandeln.

Flocken:

Lass uns doch einmal zurückblicken. Um 2015 zu dieser Atomvereinbarung zu

kommen, waren jahrelange Verhandlungen notwendig. Denn das gegenseitige

Misstrauen war sehr groß...

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Sommer:

Ja, der Islamischen Republik wurde vorgeworfen, nach Atomwaffen zu streben.

Das stritt der Iran zwar immer ab - aber die Sorge war vor allem im Westen

groß, dass die Urananreicherungsanlage, die der Iran seit Anfang der 2000er

Jahre stetig ausgebaut hatte, und auch der im Bau befindliche Schwerwasser-

reaktor in Arak dazu dienen könnten, Ausgangsmaterial für einen Atomspreng-

kopf herzustellen. Das kann entweder hochangereichertes Uran oder Plutoni-

um sein. Die USA haben jahrelang gefordert, dass der Iran auf jegliche Urana-

nreicherung verzichtet, auch für zivile Zwecke, zum Beispiel für die Produktion

von Kernbrennstäben, für zivile Kernkraftwerke, obwohl so eine Forderung dem

Atomwaffensperrvertrag widerspricht. bei dem der Iran Mitglied ist. Denn der

Vertrag erlaubt jede zivile Nutzung der Kernenergie. Als aber die USA unter

Obama ihre Forderung nach einem Verbot jeglicher Urananreicherung fallenge-

lassen haben, dann ist es nach jahrelangen Verhandlungen 2015 zu dem Ab-

kommen gekommen.

Küstner:

Aber das war ein weiter Weg bis dahin, der von viel gegenseitigen Misstrauen

geprägt war. Hilf uns noch mal auf die Sprünge: Wo liegen die Wurzeln dieses

Misstrauens? Denn der Iran versuchte sein Atomprogramm so gut es ging zu

verheimlichen. Und warum das eigentlich reichlich mit Öl gesegnete London

ein Atomprogramm zur friedlichen Nutzung benötigen sollte, erschließt sich ja

vielen auch nicht so ganz. Wie gerechtfertigt war und ist aus deiner Sicht die

Befürchtung im Westen, Teheran könnte Atomwaffen entwickeln?

Sommer:

Also zuerst noch einmal zu den Wurzeln des Misstrauens und der gegenseiti-

gen Feindschaft. Das begann von Seiten der USA 1953, als sie zusammen mit

dem britischen Geheimdienst einen Putsch gegen die demokratisch gewählte

Regierung Irans durchgeführt haben, weil diese demokratisch gewählte Regie-

rung die Ölkonzerne verstaatlicht hatte. Danach unterstützen die USA jahr-

zehntelang das nun eingesetzte brutale Regime des Schahs. 1979, kurz nach

der iranischen Revolution, wurde die US-Botschaft besetzt. Ein Jahr lang wa-

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ren US-Bürger Geiseln. Das hat natürlich tiefe, emotionale Wunden in den USA

hinterlassen. Und dann kommt noch dieses Atomprogramm hinzu, was in den

USA immer als Streben nach Atomwaffen interpretiert wurde und wo sogar der

Bau eines zivilen Atomkraftwerks jahrzehntelang verhindert wurde durch die

USA.

Flocken:

Jerry, du hast es angesprochen. Es war auch oft das Argument zu hören, das

zivile Atomprogramm des Iran sei quasi nur ein Vorwand, um an das Know-

how für den Bau einer Atombombe zu kommen. Kai hat es eben schon mal

angesprochen: denn eigentlich hat der Iran ja genug Öl und andere Ressour-

cen, um die Energieversorgung des Landes zu sichern.

Sommer:

Zivile Nutzung als Vorwand - das kann man sicherlich nicht ausschließen. Aber

man muss auch berücksichtigen, Öl ist eine endliche Ressource und das ist die

Haupteinnahmequelle des Irans. Wie viele andere Länder hat der Iran unter

dem Schah ein ziviles Atomprogramm begonnen. Und insofern denke ich, ist

es ein legitimes Argument zu sagen, ein ziviles Atomprogramm, das ja auch

entsprechend dem Atomwaffensperrvertrag erlaubt ist, das muss möglich sein,

um den Ölreichtum auf längere Zeit zu strecken.

Küstner:

Aber wenn jetzt die iranische Führung behauptet, sie strebe nicht den Bau von

Atomwaffen an, das widerspricht ja eigentlich Geheimdiensterkenntnissen, die

schon aus den 2000er-Jahren stammen. Der berüchtigte pakistanische Atom-

wissenschaftler Khan hat zugegeben, dem Iran Anleitungen zur Anreicherung

weitergegeben zu haben. Und erhebliche Zweifel an diesen iranischen Behaup-

tungen hat man ja nicht nur im Westen und offenbar auch in China und Russ-

land, sondern in der Region fühlt sich vor allem Israel akut bedroht - ein Land,

das selbst über Nuklearwaffen verfügt. Genauso wie Donald Trump lehnt auch

die Regierung in Jerusalem den Atomdeal mit dem Iran ab. In Israel ist man

offenbar fest davon überzeugt, der Iran wolle die Bombe. Warum?

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Sommer:

In Israel gehen die Meinungen darüber auseinander, ob der Iran eine existen-

zielle Bedrohung ist, wie Netanjahu zum Beispiel sagt. Da ist insbesondere das

rechte Lager und Netanjahu ist schon seit vielen Jahren dabei, den Iran zu dä-

monisieren. Dabei werden Halbwahrheiten erzählt, und ich glaube auch richtige

Lügen. Zum Beispiel, dass der Iran vorhat, Israel auszulöschen und dafür eine

Atombombe entwickeln wolle.

Küstner:

Aber es ist denn wirklich so von der Hand zu weisen? Der Iran spricht Israel

tatsächlich das Existenzrecht ab, unterstützt die Terrororganisationen Hisbollah

und Hamas, die Israel bekämpfen und am liebsten auslöschen würden. Also,

das kann man jetzt nicht wegwischen.

Sommer:

Na ja, aber nicht auslöschen mit einer Atombombe, da muss man, glaube ich,

unterscheiden.

Küstner:

Aber es erklärt ja die Befürchtungen in Israel.

Sommer:

Weder die Hamas noch Hisbollah haben eine Atombombe. Und auch der israe-

lische Verteidigungsminister vor paar Jahren, Barak, hat gesagt die Iraner sind

ja nicht verrückt. Die würden, selbst wenn sie eine Bombe hätten, genau wis-

sen, wenn sie angreifen, dann sind sie als Nächste ausgelöscht. Das Verhältnis

des Irans zu Israel ist natürlich gespannt ist, weil der Iran, wie eine Reihe von

islamischen Ländern, in Israel nicht anerkennen will. Und weil der Iran eine Ab-

stimmung aller Bewohner des Gebietes des ehemaligen Palästinas über diese

Frage Ein-Staaten-Lösung oder Zwei-Staaten-Lösung fordert. Von einer Auslö-

schung Israels mittels einer Atombombe, wie es Netanjahu auch gerade in den

letzten Tagen wieder formuliert hat - davon war im Iran nie die Rede und ist

auch jetzt nicht die Rede. Das wird aber seit Jahren behauptet. Ich glaube, vor

allen Dingen hat das damit zu tun, dass die israelische Regierungspolitik mit

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ihren völkerrechtswidrigen Siedlungsbau in den besetzten Gebieten Palästinas,

mit den Annexionen, mit den Sabotageangriffen und Mordanschlägen auf irani-

sche Atomwissenschaftler meint, so am besten die politische und militärische

Unterstützung der USA sichern zu können, wenn sie auf den Iran als Feind und

Gegner verweist.

Flocken:

Jerry, du sprichst von der Dämonisierung des Iran durch Israel. Die Regierung

in Jerusalem würde das mit Sicherheit anders sehen. Dort fühlt man sich eben

vom iranischen Atomprogramm bedroht - sei es zivil oder militärisch. Dafür will

man ja auch Beweise haben. Ob sie allerdings stichhaltig sind - das werden wir

hier mit Sicherheit nicht klären können.

Küstner:

Das hat sicher auch nicht zur Vertrauensbildung beigetragen, dass der Iran der

Atomenergiebehörde die Existenz von mindestens zwei Atomanlagen lange

verheimlicht hatte. Aber noch einmal zurück zur Vergangenheit: Vor sechs Jah-

ren war es so weit. 2015 wurde der Atomdeal zwischen dem Iran und den fünf

ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates sowie Deutschland und unter

Vermittlung der EU unterzeichnet. Nebenbei bemerkt, ausgehandelt federfüh-

rend von der deutschen Diplomatin Helga Schmid, der vielleicht größte außen-

politische Erfolg der EU-Geschichte. Jerry, was waren die zentralen Punkte

dieser Vereinbarung?

Sommer:

Der Iran wiederholte seine Absicht, niemals Atomwaffen herstellen zu wollen,

was er ja auch schon als Mitglied des Nichtweiterverbreitungsvertrag versichert

hatte. Und Teheran stimmte konkret zu, den Schwerwasserreaktor umzubauen

und permanent auf den Bau einer Wiederaufbereitungsanlage zu verzichten.

Damit verzichtete er auf einen Weg zur Atombombe - nämlich über den Pluto-

niumpfad. Gleichzeitig stimmte der Iran zu, seine Urananreicherung radikal zu-

rückzufahren. Das vorhandene, leicht angereicherte Uran wurde außer Landes

gebracht. Von den 19.000 Zentrifugen, die bis dahin Urananreicherung betrie-

ben haben, wurden nur 6.100 übriggelassen. Und der Iran erklärte sich in dem

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Abkommen auch bereit, bis mindestens 2031 Uran nicht über 3,6 Prozent an-

zureichern und maximal 300 Kilogramm solch niedrig angereichertes Uran in

seinem Inventar zu haben. Aber lass mich noch zwei wichtige Dinge zu dem

Abkommen ergänzen: Die Internationale Atomenergiebehörde hat nämlich

durch diesen Nukleardeal das Recht zu permanenten und sehr scharfen Kon-

trollen der iranischen Atomanlagen bekommen, den schärfsten, die es bis dato

in der Welt gab und gibt. Und der Iran stimmte dem zu, weil auf der einen Seite

sein grundsätzliches Recht auf Urananreicherung gewahrt blieb und weil auf

der anderen Seite auch alle UN-Sanktionen, die den Ölexport und die Gasex-

porte bzw. überhaupt den Handel, entscheidend beeinträchtigt hatten, mit die-

sem Abkommen aufgehoben wurden.

Flocken:

Man muss sagen der Atomdeal wurde damals während der Amtszeit von Prä-

sident Obama geschlossen. Und der Iran hat sich offenbar an die Vereinbarung

gehalten. Jedenfalls hat die Internationale Atomenergiebehörde IAEA keine

Verstöße festgestellt. Trotzdem hat Trump dieses Abkommen 2018 gekündigt,

gegen den erklärten Willen der anderen Unterzeichnerstaaten - also Deutsch-

land, Frankreich, Großbritannien, Russland und China. Trump hielt das Atom-

abkommen für untauglich, eine nukleare Bewaffnung des Iran zu verhindern.

Die USA verhängten damals zahlreiche Wirtschaftssanktionen gegen Teheran.

Washington verfolgte eine Politik des „maximalen Drucks“ gegen den Iran. Was

wollte die Trump-Administration damals mit dieser Strategie erreichen? Die

Aufgabe des kompletten iranischen Atomprogramms?

Sommer:

Die Ziele waren dreierlei: Sie wollten einerseits die Urananreicherung auch für

zivile Zwecke für alle Zeit verbieten. Und er wollte das iranische Raketenpro-

gramm und die Unterstützung Irans für Assad in Syrien sowie für die Hisbollah

im Libanon und die Hamas im Gazastreifen beenden.

Küstner:

Das ist eine Forderung, die die Bundesregierung letztlich auch so erhoben hat.

Hier in Berlin glaubt man aber, dass das einfacher zu bewerkstelligen ist, wenn

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man ein funktionierendes Abkommen hat mit dem Iran. Mancher hat aber auch

gesagt, die USA strebten letztlich einen Regimewechsel in Teheran an. Also

man wollte den Sturz der iranischen Führung. Was ist an dem Vorwurf dran?

Sommer:

Das trifft auf Trump und den Teil des Establishments in den USA sicherlich zu,

dass sie einen Regimewechsel wollten und zwar auch ein Regimewechsel von

außen. Man muss dabei aber sehen, dass alle Sanktionen, die Trump danach

wiedereingesetzt hat - das sind 1.500 - dass diese Sanktionen hauptsächlich,

wie immer, den Hardlinern genutzt haben, weil sie nationalistische Stimmung

aufgeheizten.

Flocken:

Das Versprechen, die Wirtschaftssanktionen gegen den Iran aufzuheben,

konnte ja nach dem Ausstieg der USA nicht erfüllt werden. Und obwohl die

Trump-Strategie des „maximalen Drucks“ Teheran nicht zur Aufgabe des

Atomprogramms bewegen konnte - die Verschärfung der US-Sanktionen unter

Trump bekamen die Menschen im Iran auf jeden Fall zu spüren…

Sommer:

Ja, die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Sanktionen waren gravierend.

Human Rights Watch hat sie sogar als Menschenrechtsverletzung verurteilt.

Gerade auch in der jetzigen Zeit, wo die Covid-Pandemie herrscht, da haben

die US-Sanktionen das Volk sehr getroffen. Und der Zugang zum insgesamt 90

Milliarden Dollar schweren Geldtopf, den die Iraner aus verkauftem Öl haben,

der wurde ihnen verwehrt - sogar bei dem Versuch, damit Impfstoffe zu kaufen.

Küstner:

Und die Ölexporte des Iran sind ja wirklich drastisch eingebrochen - um etwa

80 Prozent. Das Regime hat also weit weniger Geld zur Verfügung, und die

wirtschaftliche soziale Lage hat sich verschlechtert - du hast es gesagt. Aber ist

Trump denn damit seinen Zielen eigentlich näher gekommen? Oder hat er da-

mit, wie du auch schon angedeutet hast, eigentlich nur die Hardliner im Land

gestärkt?

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Sommer:

Ich glaube, er ist eindeutig seinem Ziel nicht näher gekommen - im Gegenteil.

Ich habe mit dem Iran-Experten Trita Parsi vom Kinsey Institute in Washington

gesprochen - einem Institut, das eine interventionskritische und auf Diplomatie

setzende US-Außenpolitik befürwortet. Mit Parsi habe ich gesprochen, und er

hat mir deutlich gesagt, seiner Einschätzung nach sind die Sanktionen gegen-

über der Bevölkerung hart gewesen. Das Regime haben sie aber weniger ge-

troffen. Er hat auch ergänzt, Sanktionen mögen zwar im ökonomischen Sinne

effektiv sein, aber sie haben nicht zum Erfolg geführt im Sinne der Ziele von

Trump. Im Gegenteil.

O-Ton Parsi:

„On the contrary, as many people had predicted under this type of sanctions pressure, the Iranians would double down on their nuclear program, as well as on other activities in the region that the United States claimed it opposed.”

Sommer:

Er sagt, der Iran habe - wie viele vorausgesagt hätten - den Sanktionen etwas

entgegengestellt und seinerseits das Nuklearprogramm hochgefahren.

Flocken:

Ja, das Nuklearprogramm hochgefahren - das heißt, Teheran hat schrittweise

gegen die Bestimmungen der Atomvereinbarung verstoßen - sehr zum Ärger

der Europäer, die diesen Deal gerade noch retten wollten. Das heißt aber

dann, dass sich offenbar auch der Iran von der Atomvereinbarung verabschie-

den wollte, zumindest wurde das mit diesen Vertragsverletzungen signalisiert.

So kann man es doch sehen…

Sommer:

Nein. Ich glaube, das passt überhaupt nicht zu den Fakten. Der Iran wollte und

will nicht aus der Atomvereinbarung aussteigen. Dafür gibt es wirklich keine

Hinweise. Die Iraner haben zwar, wie du richtig gesagt hast, die Bestimmungen

des Nuklearabkommens in Bezug auf die Urananreicherung verletzt - weil sie

die Urananreicherung ausgeweitet haben. Ein Jahr lang haben sie übrigens gar

nichts gemacht und auf die Europäer gewartet, die sich aber den US-

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Wirtschaftssanktionen nichts entgegengestellt haben. Aber sie haben von An-

fang an gesagt, wenn die USA zum Abkommen zurückkehren und die Trump-

Sanktionen aufgehoben werden, dann nehmen wir alle diese Übertretungen

wieder zurück. Die Übertretungen sind eindeutig ein Druck-Potenzial gegen die

Trump-Sanktionen. Wozu das inzwischen geführt hat, ist allerdings sichtbar:

Statt 300 Kilogramm leicht angereicherten Urans hat der Iran jetzt 5.000 Kilo.

Flocken:

Das ist ziemlich viel…

Sommer:

Das ist ziemlich viel. Und 90 Kilogramm an 20 Prozent angereicherten Uran

und auch ein paar Kilo an 60 Prozent angereicherten Urans. Die Menge könnte

theoretisch bei weiterer Anreicherung auf 90 Prozent für mehrere Atomspreng-

köpfe reichen. Aber das bedeutet nicht, dass der Iran prinzipiell nach Atomwaf-

fen strebt oder jetzt entschieden hat, Atomwaffen herzustellen.

Küstner:

Also Du sagst, die Iraner wollten lediglich den Preis hochtreiben. Aber 20 Pro-

zent oder gar 60 Prozent angereichertes Uran - die sind doch viel näher dran

an den für Atomwaffen benötigten 90 Prozent. Es wäre doch absurd zu glau-

ben, dass die für irgendeine andere Verwendungen gedacht wären als für eine

militärische Verwendung - zumal die Bombe die Iran-Stellung in der Region

stärken würde, den Iran sozusagen immunisieren würde gegen Einflussnahme

von außen. Das haben ja auch die Beispiele Nordkorea und Pakistan gezeigt,

die ja Atomstaaten sind.

Sommer:

Also lass uns da ein paar Themen auseinanderhalten. Das eine Thema ist:

würde eine Atombombe die Stellung des Irans in der Region stärken. Ich glau-

be, das ist nicht der Fall. Es würde alle anderen Länder in der Region gegen

das iranische Regime zusammenschweißen und die Militärpräsenz der USA in

der Region erhöhen. Also die Sicherheitslage wäre nicht besser, sondern

schlechter für den Iran. Aber zum anderen Teil deiner Frage, ob es absurd sei,

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20 prozentiges Uran anzureichern, wenn man damit keine militärischen Absich-

ten verfolgt. Also du hast natürlich völlig recht, soweit angereichertes Uran nä-

her dran an den für Atomwaffen nötigen 90 Prozent. Aber für die 20-prozentige

Anreicherung gibt es durchaus eine zivile Verwendung. Und das hat der Iran

auch schon gemacht. De Iraner stellen nämlich damit Brennstoffplatten für den

Teheraner Forschungsreaktor her, indem Röntgenstrahlen für Krebstherapien

erzeugt werden. Und wenn man dieses auf 20 Prozent angereicherte Uran in

Brennstoffplatten umwandelt, dann kann man es nicht weiter anreichern, also

nicht zu 90 Prozent, wie es für eine Bombe nötig wäre. Man kommt damit also

der Bombe nicht näher, sondern weiter weg. Das hat mir der US-Atomwaffen-

Ingenieur Robert Kelley in einem Gespräch sehr genau erklärt. Er war jahre-

lang für die Internationale Atomenergiebehörde in Wien tätig und ist nun Mitar-

beiter beim Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI. Er meint auch, die

Entscheidung, sogar kleine Mengen auf 60 Prozent angereichertes Uran zu

produzieren, sei ausschließlich politisch motiviert. Das sei passiert, nachdem

im April dieses Jahres, wahrscheinlich von Israel zu verantworten, ein Sabota-

geanschlag auf die Urananreicherungsanlage in Natanz verübt worden ist.

O-Ton Kelley:

„After that sabotage, they felt they had to respond in some way. I think enrich-ing to 60 percent is clearly a political decision designed to show that they are not beholden to any other party.“

Sommer:

Nach dem Sabotageanschlag hätte die iranische Führung sich genötigt gefühlt

zu reagieren und mit der politischen Entscheidung, auf 60 Prozent anzurei-

chern, wollten sie deutlich machen, dass sie nicht wehrlos alles hinnehmen

können, so Robert Kelley.

Küstner:

Ist das nicht ein bisschen naiv? Also die westlichen Mächte gehen davon aus,

dass der Iran nach der Bombe strebte oder strebt. Genau deshalb braucht man

dieses Abkommen, sonst müsste man ja kein Atomabkommen mit dem Iran

schließen.

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Sommer:

Es gibt eindeutige Aussagen, zum Beispiel der US-Geheimdienste, dass der

Iran zwar bis 2003 tatsächlich ein strukturiertes Atomwaffenprogramm betrie-

ben hat, aber das wurde dann gestoppt. Und ich will mal aus dem jüngsten US-

Geheimdienstbericht vom April zitieren: „Unsere Einschätzung ist nach wie vor,

dass der Iran gegenwärtig keine Aktivitäten unternimmt, die wir für notwendig

halten, um einen Atomsprengkopf zu produzieren“.

Küstner:

Wie wir wissen, können Geheimdienste auch mal irren. Das wäre nicht das ers-

te Mal, siehe Irak. Aber der Iran hat doch offenbar die Fähigkeit, Uran auf 90

Prozent anzureichern. Und damit könnte er das Material herstellen, das für die

Atombombe nötig ist. Die Frage ist, hat er damit auch die Fähigkeit, einen

Atomsprengkopf herzustellen, was ja noch einmal eine andere Sache ist…

Sommer:

Genau, das ist eine andere Sache. Also die Fähigkeit, Uran anzureichern auf

90 Prozent haben auch Brasilien, Japan, Deutschland und andere Länder. Und

dieses Know-how hat der Iran sicherlich schon jetzt. Aber es benötigt eben

auch die Fähigkeit, einen Atomsprengkopf herzustellen - und das ist technisch

etwas ganz anderes. Die Experten gehen davon aus, dass das prinzipiell für

den Iran möglich ist Aber man nicht weiß, in welchen Zeitraum - man weiß

nicht, wie weit die Forschung bis 2003 wirklich gediehen war. Der Atomwaffen-

Ingenieur und SIPRI-Experte Robert Kelley geht davon aus, dass diese irani-

schen Experimente mit hochexplosivem Sprengstoff, die sicherlich für einen

Bau eines Sprengkopfes notwendig sind, nicht sehr weit gediehen waren, sagte

er mir in dem Interview:

O-Ton Kelley:

„They were very crude and very preliminary. So if they stopped in 2003, then we would say that they are at a low level of weaponization knowledge.”

Sommer:

Das Wissen, sagt er, zur Entwicklung einer Atomwaffe war 2003 gering, als sie

damals diese Forschung beendet haben. Kelley geht auch davon aus, dass der

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Iran die umstrittene Urananreicherung nach 2003 vor allem aus Prestigegrün-

den nicht beendet hat. Denn auf das Know-how zur Urananreicherung sind vie-

le Iraner stolz. Und die Führung wollte das nicht einfach aufgeben.

Flocken:

Nur aus Prestigegründen haben die Iraner die Urananreicherung fortgesetzt

und immer weiter ausgeweitet? Ich finde, das ist schon eine ziemlich steile

These - denn der Preis dafür ist durch die verhängten US-Sanktionen doch

ganz erheblich. Ich denke, man kann es auch anders sehen: Möglicherweise

hat die Führung in Teheran nach dem Sturz des Regimes von Saddam

Hussein 2003 durch die USA eine Atombombe bewusst angestrebt - quasi als

Sicherheitsgarantie gegen einen möglichen US-Angriff auf den Iran. Also die

Atomwaffe als Sicherheits- und Überlebensgarantie für das Regime - also eine

ähnliche Zielsetzung wie das Nordkorea von Kim Jong un.

Sommer:

Diese Behauptung, dass der Iran nach 2003, nach dem Sturz von Saddam

Hussein, eine Atombombe bewusst angestrebt hat, so hast du es ja formuliert...

Flocken:

…oder die Bemühungen fortgesetzt hat…

Sommer:

Nein, du hast formuliert „bewusst angestrebt hat“ – das habe ich bisher von

niemandem gehört oder davon gelesen. Und noch einmal zur Klarstellung:

nicht einmal die schärfsten Kritiker behaupten, dass der Iran ein Crash-

Programm zur Bombe nach 2003 aufgelegt hat. Was bekannt ist, belegt eigent-

lich genau das Gegenteil, Saddam Hussein hat acht Jahre lang einen brutalen

Krieg gegen den Iran geführt. In dieser Zeit begann Iran wohl ein Atomwaffen-

programm. Und als die USA 2003 in ihrem völkerrechtswidrigen Krieg den Erz-

feind des Irans, Saddam Hussein, weggebombt haben, da hat der Iran sein

Atomwaffenprogramm eingestellt, so schätzen es sowohl die US- als auch die

europäischen Geheimdienste ein. Den nordkoreanischen Weg ist der Iran nicht

gegangen. Ich habe auch Sascha Lohmann von der Berliner Stiftung Wissen-

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schaft und Politik nach seiner Einschätzung der Ambition und der schon gefäll-

ten Entscheidung der Islamischen Republik gefragt. Er antwortete folgendes:

O-Ton Lohmann:

„Der Iran ist sicherlich strategisch zu der Entscheidung gekommen, dass zu-mindest die Möglichkeit einer nuklearen Ausbruchsfähigkeit, also einer Ent-wicklung einer Atomwaffenmöglichkeit innerhalb relativ kurzer Zeit den eigenen Sicherheitsinteressen dienlich ist.“ Küstner:

Aber das widerspricht doch genau deiner Einschätzung, dass die Bombe dem

Iran nicht dienlich wäre. Und es widerspricht auch der Einschätzung des Exper-

ten Robert Kelley, den du vorhin zitiert hast - nämlich, dass der Iran den Bau

eines Atomsprengkopfes noch nicht beherrschen würde. Wie passt das denn

jetzt zusammen?

Sommer:

Ich denke, man muss Sascha Lohmann da genau zuhören. Sascha Lohmann

sagte nicht, dass die Atombombe dem Iran dienlich wäre oder dass der Iran

schon entschieden habe, eine Atombombe zu bauen. Er sagt nur, dass die

technologische Fähigkeit, eine Atomwaffe herzustellen, wenn der Iran das be-

schlösse, den Sicherheitsinteressen Irans dienlich wäre.

Küstner:

Er sagte „strategische Entscheidung“ – also „ist zu einer strategischen Ent-

scheidung gekommen“.

Sommer:

…für eine Entwicklung einer Atomwaffenmöglichkeit, also nicht der Atomwaf-

fen-Herstellung, sondern den technologischen Fähigkeiten, um diese herzustel-

len. Und wie weit diese technologischen Fähigkeiten vorangekommen sind, vor

allen Dingen bis 2003, als das Programm eingestellt wurde, da gehen die Mei-

nungen auseinander zwischen Robert Kelley und Sascha Lohmann. Ich habe

auch zu diesem Punkt den Iran-Experten aus den USA Trita Parsi befragt.

Auch er glaubt, dass die Atombombe selbst sicherheitspolitisch den Iranern

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eher schaden als nutzen würde. Denn sie würde eben ihre Gegner zusammen-

führen und die US-Präsenz in der Region noch weiter erhöhen. Und auch Trita

Parsi geht, wie die US-Geheimdienste, davon aus, dass der Iran bisher nicht

die Entscheidung getroffen hat, eine Atombombe zu bauen. Aber: die iranische

Führung habe sich dafür entschieden, wie Brasilien oder Japan, die Option zu

haben, eine Bombe zu bauen, wenn sich die sicherheitspolitischen Umstände

entscheidend ändern. Und er weist auch noch auf etwas anderes in dem Inter-

view hin: nämlich, dass Pakistan nur neun Jahre gebraucht hat, um ein Atom-

programm zu beginnen und eine Atombombe zu bauen, weil es Indien neben

sich hatte, das die Atombombe schon hatte. Der Iran hat aber seit 60 Jahren

ein Nuklearprogramm und immer noch keine Atombombe, sagte Trita Parsi:

O-Ton Parsi:

„The Iranians have had a nuclear program since the late 1960s and still do not have a weapon. If their intent truly was to get a nuclear weapon. The likelihood is that they actually would have had a nuclear weapon.”

Sommer:

Wenn der Iran wirklich das Ziel gehabt hätte, eine Atomwaffe zu bauen, sagt

er, hätten sie es auch längst geschafft. Und ich möchte ergänzen: wenn es das

vorrangige Ziel der iranischen Führer gewesen wäre, eine Atomwaffe zu entwi-

ckeln, dann ist es auch nicht zu erklären, warum sie sich 2015 auf den Nukle-

ardeal eingelassen haben. Der hat ihre Fähigkeiten drastisch reduziert und für

viele Jahre beschnitten und zudem die internationale Kontrolle durch die Inter-

nationale Atomenergieorganisation ganz erheblich und für immer ausgeweitet.

Flocken:

Ich denke, das liegt auf der Hand, warum man sich 2015 auf den Nukleardeal

eingelassen hat: Teheran wollte eine Aufhebung der Wirtschaftssanktionen

erreichen, denn die behinderten zunehmend und bis heute die wirtschaftliche

Entwicklung des Landes. Deshalb 2015 die Bereitschaft, Einschränkungen

beim iranischen Atomprogramm hinzunehmen.

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Sommer:

Aber sie haben sich darauf eingelassen, das einzuschränken, was ja belegt,

dass es nicht das vorrangige Ziel war, Atomwaffen herzustellen.

Flocken:

Gut - jetzt aber mal zum Präsidentenwechsel in den USA. Der neue US-

Präsident Joe Biden hat gesagt, er wolle die Kündigung des Atomabkommens

rückgängig machen und wieder der Vereinbarung beitreten. Nun wird seit eini-

gen Wochen in Wien indirekt verhandelt. Russland, China, Deutschland, Groß-

britannien und Frankreich sprechen mit dem Iran, und mal mit den USA, um die

Nuklearvereinbarung wieder vollständig in Gang zu setzen. Der Iran hat sich

dagegen gesperrt, mit den USA direkt in einem Raum zu verhandeln, weil die

USA die Atomvereinbarung gekündigt haben. Was sind denn im Augenblick,

aus deiner Sicht, die Knackpunkte dieser indirekten Gespräche? Warum dauert

das alles so lange?

Sommer:

Also das hat viele Gründe. Ein wesentlicher scheint mir zu sein, dass es starke

Kräfte in den USA gibt - nicht nur bei den Republikanern, sondern es gibt auch

einen kleinen Teil in der demokratischen Partei - , die lieber einen Regime-

wechsel in Teheran anstreben statt einen Kompromiss mit der Islamischen Re-

publik. Es gibt Kräfte, die weiterhin die Urananreicherung im Iran entweder

ganz verbieten oder zumindest auch [dieses Verbot] über den Zeitraum von

2031 hinaus in Kraft lassen wollen. Diese Kräfte setzen die beiden Regierun-

gen unter Druck. Biden hat deshalb wohl auch nicht gleich am Anfang seiner

Amtszeit von sich aus Schritte des guten Willens unternommen - obwohl es ja

die USA waren, die aus dem Abkommen ausgetreten sind. Er hätte Gelder, die

in Südkorea gebunkert sind - iranische Gelder - die wegen den Trump-

Sanktionen eingefroren sind, von mehreren Milliarden Dollar, freigeben können.

Aber das hat er eben nicht gemacht. Er hätte sich, das meint auch Sascha

Lohmann von der Stiftung Wissenschaft und Politik, er hätte sich viel früher

anders verhalten können:

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O-Ton Lohmann:

„Man könnte ja einen ersten Schritt machen, wenn man im Wahlkampf ankün-digt, dass man zurück in das Atomabkommen möchte. Man könnte bestimmte Schritte einleiten dahin, das heißt, man könnte guten Willen zeigen. Was wir aber stattdessen sehen, ist eher, dass dieses sehr verlockende Druckpotenzial, was unter dieser sogenannten Strategie des maximalen Drucks unter der Trump-Administration aufgebaut wurde, dass man das versucht zu nutzen.“

Küstner:

Jetzt haben am Anfang die beiden Regierungen immer betont, dass gleichzeitig

mit der Rückkehr zum Nuklearabkommen auch Folgeverhandlungen beschlos-

sen werden müssten. Bei diesen Folgeverhandlungen müssten dann die Dauer

der Begrenzung für die Urananreicherung verlängert werden, das Raketenpro-

gramm und die regional destabilisierende Rolle des Iran, also Unterstützung

von Terrororganisationen, von Syriens Herrscher Assad und so weiter, einge-

hegt werden. Davon hört man aktuell jetzt nicht mehr so viel. Das heißt all die-

se Punkte, die sind nicht ausdrücklich Teil der Verhandlungsmasse…

Sommer:

Ja, also die beiden Regierungen haben zum Glück den Schluss gezogen, dass

jegliche weitere Verhandlungen nur möglich sind, wenn man wirklich zu dem

Nuklearabkommen zurückkehrt.

Flocken:

Du sagst „zum Glück“. Das kann man auch anders sehen. Denn die Nichtein-

beziehung des iranischen Raketenprogramms in den Atomdeal von 2015 wird

von manchen als ein schwerer Verhandlungsfehler gesehen. Außerdem ver-

stößt Teheran damit doch auch gegen UN-Resolutionen…

Sommer:

Nein, das iranische Raketenprogramm verstößt nicht gegen UN-Resolutionen.

Die Raketen sind mit konventionellem Sprengstoff bestückt und das ist mit dem

Iran-Nukleardeal nicht verboten. - Aber jetzt zu der Frage der Kopplung ver-

schiedener Themen: Es war ja schwer genug, sich nur über die Frage des

Atomprogramms zu einigen - das ist es jetzt immer noch der Fall. Aber ich

glaube, es ist deshalb richtig zu sagen, es war kein Fehler, nicht alle anderen

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Fragen auch auf einmal auf den Tisch zu legen und lösen zu wollen. Da wäre

überhaupt nichts bei rausgekommen. Und noch etwas: Ich glaube, diejenigen,

die meinen, man hätte die Raketen wegverhandeln müssen, das sind vor allen

Dingen diejenigen, die das Nuklearabkommen generell ablehnen - die keine

Kompromisse mit Gegnern wollen, sondern eine totale Durchsetzung eigener

Forderung wollen und sogar über völkerrechtswidriger Angriffskriege gegen

den Iran nachdenken. Deshalb glaube ich, dass es total richtig von Biden war,

diese weitergehenden Forderungen erst einmal zurückzustellen. Und bei den

Raketen muss man auch noch folgendes berücksichtigen: Wenn die USA da

etwas fordern, dann müssen sie doch auch bereit sein, etwas zu geben. An-

ders funktioniert Diplomatie nicht. Und da haben sie bisher noch kein Wort zu

gesagt. Der Iran hat nämlich tatsächlich viele konventionell bestückte Raketen.

Die können den gesamten Nahen Osten, Israel, Saudi-Arabien, die US-

Militärbasen treffen. Allerdings: Der Iran hat praktisch keine Luftwaffe und die

Raketen sind auch nach Einschätzung des US-Militärs zur Abschreckung ge-

gen einen Angriff gedacht. Schauen wir auch auf die Iran-Gegner in der Regi-

on. Die USA haben Militärstützpunkte. Die USA exportieren modernste Kampf-

flugzeuge und Waffensysteme jährlich im Wert von vielen Milliarden Dollar

nach Saudi-Arabien, in die Vereinigten Emirate, nach Israel. Und wenn man es

ernst meint mit Verhandlungen über Rüstung in der Region, müsse man dieses

bestehende konventionelle Ungleichgewicht berücksichtigen, meint Trita Parsi

vom Washingtoner Kinsey-Institut.

O-Ton Parsi:

„The imbalance of power is already very significant. If you are going to try to take the missiles away from the Iranians while continuing to make billions of arms sales to the Saudis, it simply is not realistic.”

Sommer:

Es sei einfach nicht realistisch, die iranischen Raketen weg haben zu wollen,

aber weiterhin milliardenschwere Rüstungsexporte mit den Saudis zu vereinba-

ren, sagt Parsi. Also Verhandlungen über Rüstungskontrolle in der Region sind

tatsächlich sehr wichtig für eine Deeskalation - aber wenn man es ernst meint,

darf man nicht ausschließlich auf die iranischen Raketen starren.

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Küstner:

Also ich habe ein bisschen Probleme damit, muss ich gestehen, weil sich das

alles so anhört, als sei der Iran der Stabilitätsanker in der Region und er sei

von Feinden umzingelt. Ganz so ist es dann doch nicht.

Sommer:

Na gut, aber er ist auch nicht der böse Bub in der Region, wo alle anderen gut

sind. Denke an Saudi-Arabien, denke an manche Aspekte der israelischen Be-

satzungspolitik…

Küstner:

Wir haben im Iran ein autoritäres Regime und wir kennen die Destabilisie-

rungspolitik, Unterstützung von Terrororganisation. Das haben wir schon alles

besprochen - das werden wir jetzt nicht klären können. Aber wir können noch

einmal auf die Rivalität zwischen dem Iran und Saudi-Arabien gucken - das

hast du gerade angedeutet. Das ist offenbar eines der Kernprobleme in der

Region. Eine Entspannung zwischen Teheran und Riad - hätte das möglicher-

weise Auswirkungen auf eine Neuauflage der Atomvereinbarung?

Sommer:

Ja, ohne Zweifel. Man sieht jetzt schon, dass nur noch Israels Netanjahu gegen

den Nukleardeal und eine Rückkehr wettert. Die Saudis nicht mehr, weil sich

das Verhältnis zwischen Iran und Saudi-Arabien zu verbessern scheint. Es gab

Geheimgespräche in Bagdad und das erleichtert sicherlich eine Rückkehr zum

Nuklearabkommen und auch irgendwann zu Folgeabkommen.

Flocken:

Teheran hatte schon vor einiger Zeit eine regionale Sicherheitsarchitektur ins

Gespräch gebracht und sich dafür eingesetzt. Gedacht ist an so etwas wie in

Europa die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit – OSZE heißt sie

heute. Aber noch einmal zurück zu den Verhandlungen in Wien. Über die

Knackpunkte haben wir ja schon gesprochen, also zum Beispiel die Aufhebung

der US-Sanktionen. Aber gibt es denn auch gemeinsame Interessen?

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Sommer:

Das grundlegende gemeinsame Interesse scheint zu sein, dass man zum Nuk-

learabkommen zurückkehren will. Wenn man auf die iranische Seite schaut, da

teile ich die Einschätzung von Iran-Experten, dass die Kraftzentren innerhalb

der iranischen Führung, und vor allen Dingen der iranische Revolutionsführer

Chamenei, die Trump-Sanktionen vom Tisch haben will, um insbesondere Öl

zu verkaufen und die Wirtschaft zu entwickeln. Und das geht nur mit einer

Rückkehr zum Nuklearabkommen. Und auch die strategischen Partnerschaften

des Irans mit Russland und China, die sich bisher allerdings mehr rhetorisch

als real entwickeln, brauchen ein Ende der US-Sanktionen.

Küstner:

Aber ist das wirklich so? Gerade was China angeht? Peking ist bereits jetzt der

wichtigste Handelspartner des Iran. Und kürzlich haben beide Seiten erst ein

auf 25 Jahre angelegtes Kooperationsabkommen unterzeichnet. China will

rund 400 Milliarden Dollar investieren, unter anderem in den iranischen Ener-

giesektor. Im Gegenzug will Teheran Erdöl zu günstigen Preisen liefern. Inso-

fern haben die US-Sanktionen den Iran eher noch mehr in die Arme Chinas

getrieben. Wie abgekoppelt ist der Iran, selbst wenn es ein neues Abkommen

gibt?

Sommer:

Dem Iran scheint gar nichts anderes übrig zu bleiben, angesichts der US-

Sanktionen von Trump und möglicher vorsichtiger Investitionspolitik europäi-

sche Unternehmen, als sich nach Osten zu wenden. Aber auch diese Hinwen-

dung nach Osten – nach China, Russland, Südkorea, Japan - all das wird be-

lastet durch die Trump-Sanktionen. Insofern würde also eine Rückkehr zum

Nuklearabkommen, eine Rücknahme dieser Trump-Sanktionen, den Handel

und auch die Umsetzung des Kooperationsabkommens mit China wesentlich

erleichtern. Das Nuklearabkommen wird zwar von manchem Hardliner im Iran

kritisiert, aber das Machtzentrum mit dem Revolutionsführer an der Spitze hat

ja schon 2015 dieses Abkommen gebilligt und auch jetzt die Verhandlung zur

Rückkehr unterstützt. Insofern kann man, glaube ich, davon ausgehen, dass

die iranische Seite an einer Einigung und auch zu Kompromissen bereit ist,

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allerdings nicht zu einem Kniefall, nicht zu einer Kapitulation. Zum Beispiel

wenn man die Trump-Entscheidung, die iranischen Revolutionsgarden zur Ter-

rororganisation zu erklären, also wenn diese Entscheidung nicht zurückge-

nommen wird und dann möglicherweise jeglicher Handel auch mit Firmen, die

den Revolutionsgarden gehören, verboten bleibt, könnte das auch eine Eini-

gung behindern.

Flocken:

Aber offenbar gibt es Hinweise darauf, dass die Revolutionsgarden Drahtzieher

von Terroranschlägen sind. Das ist ja nicht nur die Sichtweise der USA.

Küstner:

Auch die EU hat den Anführer der Revolutionsgarden, Soleimani, den Trump

durch eine Drohne ausschalten ließ, auf eine Sanktionsliste gesetzt, unter an-

derem wegen der Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien und der Hilfe

bei der brutalen Niederschlagung der Demonstrationen im Land.

Flocken:

Aber generell gibt es in den USA weiterhin heftigen Widerstand gegen ein Wie-

deraufleben des Atomdeals, insbesondere wenn er noch nicht einmal nachge-

bessert wird. Warum aber will die Biden-Regierung trotz der innenpolitischen

Widerstände zurück zur Atomkraft?

Sommer:

Ich glaube, die Biden-Regierung weiß, dass das bestehende Nuklearabkom-

men noch zehn Jahre die Urananreicherungsfähigkeiten des Irans drastisch

beschränkt. Und damit bleibt viel Zeit, um die politischen Beziehungen zu ent-

spannen. Und auch darüber hinaus, weiß die Biden-Regierung, dass das irani-

sche Atomprogramm auch weiterhin unter strenger internationaler Kontrolle

stehen würde. Ein anderer Grund ist, glaube ich, dass die Biden-Regierung

wirklich zu der Einschätzung gekommen ist, die auf der Hand liegt, dass die

Politik des maximalen Drucks gescheitert ist, und dass eine Fortsetzung die

Spannungen in der Region erhöht, eine Eskalation möglich ist, selbst eine mili-

tärische Eskalation. Und das widerspricht den erklärten Zielen von Biden, die

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USA im Inneren zu stärken und sich mehr außenpolitisch auf die Auseinander-

setzung mit China zu konzentrieren. anstatt mit dem Nahen und Mittleren Os-

ten beschäftigt zu sein. Allerdings, wie du schon gesagt hast, Biden muss den

Kurs im Iran-Konflikt gegen Republikaner und auch ein paar demokratische

Politiker durchsetzen. Ich habe den Eindruck, er wird es riskieren, so wie er

auch einen Abzug aus Afghanistan, gegen einigen Widerstand im außenpoliti-

schen Establishment Washingtons, durchgezogen hat.

Küstner:

Jetzt gibt es großen Widerstand gegen eine Neuauflage des Atomdeals, aber

auch im Iran selbst, insbesondere bei den Revolutionsgarden. Das hat kürzlich

der iranische Außenminister Zarif auch in einem Interview eingeräumt. Präsi-

dent Rohani gilt als Pragmatiker. Er will offenbar eine Einigung. Er darf bei den

Wahlen am 18. Juni aber nicht erneut antreten, weil die Verfassung nur zwei

Amtszeiten gestattet. Viele andere gemäßigte Kandidaten - Stichwort autoritä-

res Regime - wurden aber nicht zugelassen. Werden dann nicht die Kritiker mit

aller Macht versuchen, ein neues Abkommen zu blockieren?

Sommer:

Nach meinen Informationen gibt es im Nationalen Sicherheitsrat Irans, indem ja

auch die Revolutionsgarden sitzen, und auch vom Revolutionsführer, der das

letzte Sagen hat - anders als du in der Frage formuliert hast - keinen Wider-

stand gegen die Neuauflage des Atomdeals. Wie schon ausgeführt fordern sie,

dass die Trump-Sanktionen zurückgenommen werden, damit der Iran wieder

halbwegs normal Handel mit der Welt betreiben kann. Ich rechne deshalb auch

nicht damit, dass Teile des iranischen Herrschaftssystems mit aller Macht, so

hast du es formuliert, versuchen werden, eine Rückkehr zum Abkommen zu

blockieren. Was einige Hardliner kritisieren, um sich auch innenpolitisch zu pro-

filieren gegen die jetzige Regierung, das ist, dass die versprochenen wirtschaft-

lichen Erleichterungen nach dem Nukleardeal nicht eingetreten sind und dass

man auch der USA generell nicht trauen kann. Trump sei Dank, dass die so

argumentieren können. Und sie behaupten meiner Meinung nach zu Unrecht,

dass die gegenwärtige Regierung zu lasch verhandelt und sich unterbuttern

lässt.

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Flocken:

Ja in der Tat. Also, dass sich die iranischen Verhandler unterbuttern lassen,

diesen Eindruck wird vermutlich nicht jeder teilen. - Du hast mit vielen Iran-

Experten gesprochen - wie es denn deren Einschätzung? Wie sehen sie die

Chancen, dass es doch noch zu einer Einigung vor der Präsidentenwahl in die-

sem Monat kommt.

Sommer:

Sascha Lohmann von der Stiftung Wissenschaft und Politik ist da eher skep-

tisch. Trita Parsi vom Washingtoner Kinsey-Institut hingegen hält eine Einigung

für wahrscheinlich - ob nun vor oder nach den Präsidentschaftswahlen. Rohani

ist ja noch bis zum September im Amt. Ich denke auch, dass es bis dahin zu

einer Einigung kommen wird - vielleicht noch vor dem 18. Juni, obwohl ich das

eher für unwahrscheinlich halte. Aber vor dem September, vor der Amtsüber-

gabe an den vermutlichen Sieger bei diesen keineswegs freien Wahlen, näm-

lich den erzkonservativen jetzigen Justizchef Raisi. Der tritt ja erst, wie gesagt,

im September sein Amt an.

Küstner:

Aber wenn jetzt ein Gegner des Atomdeals die Präsidentenwahl gewinnt, dann

wird der doch eine in Wien ausgehandelte Neuauflage nicht umsetzen. Im Ge-

genteil, er würde wahrscheinlich alles tun, genau das zu verhindern, oder?

Sommer:

Also das sehe ich völlig anders. Die Lage im iranischen Establishment ist so,

dass auch der erzkonservative Raisi kein Gegner des Irandeals ist. Er hat zum

Beispiel gesagt Zitat „das ist ein nationales Dokument, das man respektieren

muss“. Ich glaube, die Einschätzung ist falsch, dass es zwei Linien im irani-

schen Machtsystem gibt - pro Atomdeal, der jetzige Präsident Rohani - contra

Atomdeal, der wahrscheinliche nächste Präsident Raisi. Das entspricht nicht

dem Wissen über das iranische Machtgefüge, wo der oberste Revolutionsfüh-

rer das letzte Wort hat und wo man im Nationalen Sicherheitsrat auch zu einer

Art Konsens gekommen ist, zum Nukleardeal wie er 2015 ausgehandelt wor-

den, zurückzukehren - weil er dem Iran nützt. Die Präsidentschaftswahlen im

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Iran, das hat jüngst auch der US-Außenminister Blinken gesagt, haben keine

so große Bedeutung für die Atomverhandlungen. Letztlich liegt es jetzt vor al-

lem an den USA, an der Biden-Administration, inwieweit sie bereit ist, die

Trump-Sanktionen zurückzunehmen.

Flocken:

Das ist eine interessante These, dass der Ausgang der Präsidentenwahl im

Iran am 18. Juni praktisch keine Auswirkungen auf die Atomverhandlungen hat.

Wir werden sehen, was nach dem 18.Juni passiert. Das Thema wird uns mit

Sicherheit weiter beschäftigen - mit oder ohne Einigung.

Küstner:

Und es wird uns auch weiter kontrovers diskutieren lassen. Soweit also unser

Schwerpunkt zum iranischen Atomprogramm. Danke, Jerry Sommer für die

Recherche. Das Interview mit Trita Parsi steht auf der Internetseite von Streit-

kräfte und Strategien unter ndr.de/streitkraefte. Dort gibt es auch weitere Infor-

mationen in den Shownotes zu diesem Thema.