Unser Original Heidelberger Zylinder druckt nicht Die ... · Unser Original Heidelberger Zylinder...

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S Ein Buch ist erst ein Buch, wenn es ein Buch geworden ist

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Unser Original Heidelberger Zylinder druckt nicht so schnell wie moderne Offsetmaschinen, dafür aber mit kräftig schwarzer Farbe. ❺ Beim Druck der hochstehenden Buchstaben in das Papier bricht sich das Licht an den Rändern und schafft eine winzige Reflexion, die unserem Auge schmeichelt. ❻

Die gedruckten Bogen kommen zum Buch­binder, der sie falzt ❼ und die einzelnen Lagen mit Fäden zusammenheftet. ❽ Der Buchdeckel besteht aus einer Pappe, die mit dem Einband­papier beklebt ist. ❾ Der komplette Buchblock wird an drei Seiten auf das Endformat be­schnitten, in den Deckel ein gehängt und hinter das Vorsatzpapier geklebt. ❿ Ein farbiges Kapitalband schützt den Kopf des Buchblocks und ein Leseband ist Schmuck und Orientierung gleichermaßen.

Die Edition SUHRKAMP LETTERPRESS ist in Zusammenarbeit mit dem Typografen Erik Spiekermann und der SÜPERGRÜP, einer Gruppe von sieben ausgezeichneten deutschen Designern – neben Erik Spiekermann sind das Mirko Borsche, Johannes Erler, Lars Harmsen, Sarah Illenberger, Eike König und Mario Lombardo –, entstanden ist: sieben herausragen-de Werke des 20. Jahrhunderts, alle erschienen im Suhrkamp Verlag, wurden neu gestaltet, gesetzt und von digital belichteten Platten im Buchdruckverfahren auf einem Original Heidelberger Zylinder bei p98a berlin gedruckt.

Erik Spiekermann und Sophie Bunge haben den Text zum Herstellungs- prozess verfasst, Ferdinand Ulrich hat ihn aus den Schriften FF Real und Questa gesetzt und mit Zeichnungen versehen. Der Druck erfolgte bei GALLERy PRinT auf 60 g/m2 Alster-Papier.

© Suhrkamp VerlagBerlin 2017

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Die fertig gebundenen Bücher werden ein­geschweißt und auf Paletten abgesetzt. Aus der Buchbinderei gehen sie in die Verlagsaus­lieferung, von dort in den Buchhandel und aus dem Buchhandel dann zu den Leserinnen und Lesern.

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Ein Buch ist erst ein Buch, wenn es ein Buch geworden ist

Die »ausgeschossenen« Seiten schicken wir vom Computer gleich an den Belichter, ❹ der mit Laserstrahlen die Nylonplatten bebildert. Die belichtete Druckplatte wird ohne Chemie zusätze nur mit Wasser ausgewaschen und dann ge­trocknet. Ein Magnetfundament hält sie in der Druckmaschine fest.

Am Anfang war das Wort. Das kommt, meistens als ❶ Word­Dokument, von Autorin oder Autor direkt oder über eine Literaturagen­tur in den Verlag oder wird gemeinsam erarbeitet. Der Verlag prüft den Publika­tionsvorschlag auf die Qualität des Textes, auf die Kompatibilität mit der programmatischen Ausrichtung des  Verlages und auf die Verkäuflichkeit hin.

Soll der Text publiziert werden, erwirbt die Abteilung für Rechte & Lizenzen die Rechte und schließt einen Vertrag ab. Dieser regelt  Honorare und Modalitäten: Beispielsweise wird die Ausstattung des Buches festgelegt (Hard­cover oder Taschenbuch) und festgehalten, dass der Verlag für Übersetzungen in Fremd­sprachen sorgt.

Der inhaltliche Austausch mit dem Lektorat beginnt meist lange vor Fertigstellung der Manu­ skripte, aber erst wenn Autorin oder Autor die Arbeit am Text abgeschlossen haben, beginnt die

Seit mehr alS 500 Jahren druckt der Buch­druck erhabene Buchstaben direkt in das Papier, ohne Umweg über Gummitücher und die che­mische Reaktion zwischen Wasser und Fett. Mit satter Farbe entsteht beim Drucken ein leichter Hof zwischen Abbild und Papier. Die Unschärfe schmeichelt unserem Auge wie Wolle der Haut. Für diesen angenehmen Effekt brauchen wir nicht länger Druckschriften aus Blei, die man als kiloschwere Formen in die Maschine heben und für jede Korrektur wieder aus­ und einbauen musste. Die Arbeit am Computer ermöglicht uns typografische Finessen und eine riesige Schrift­auswahl, die früher unvorstellbar waren und auf die wir nicht verzichten wollen. Die fertig aus­geschossenen Seiten schicken wir vom Compu­ter gleich an den Belichter, der mit Laserstrahlen die Polymerplatten bebildert. Sie werden mit Wasser ausgewaschen, ohne Chemie und weitere aufwendige Arbeitsschritte. Ein Magnetfunda­ment fixiert sie in der Druckmaschine. Zwar druckt ein Original Heidelberger Zylinder von 1965 nicht wie eine moderne Offsetmaschine mit 20 000 Touren in der Stunde. Aber wer will und kann Bücher in Auflagen drucken, die  solche Geschwindigkeiten rechtfertigen? Suhrkamp letterpreSS will keinen biblio­philen Markt bedienen, der Bücher bevorzugt (und  entsprechend bezahlt), die mindestens in

Ziegenleder gebunden und von echten Bleibuch­staben gedruckt sind. Wir wollen Werke her­stellen, die über den Lesegenuss am Text auch die anderen Sinne befriedigen. Ein Buch muss sich angenehm in der Hand halten lassen, es riecht gut und nimmt es nicht übel, wenn es einmal auf­geschlagen die Nacht neben dem Bett ver bringen muss. Wir sind keine Bilderstürmer und keine Sozialromantiker. Doch wir wollen das Wissen nicht in Vergessenheit geraten lassen um die vielen Gewerke, die nötig sind, ein Buch herzu­stellen. Denn ein Buch ist erst ein Buch, wenn es ein Buch geworden ist. Den langen Weg vom Manuskript zum fertigen Band zeigen wir in dieser kleinen Drucksache.

Ein Buch ist erst ein Buch, wenn es ein Buch geworden ist zitiert den Titel eines Aufsatzes von Huib van Krimpen. Die Originalfassung dieses Textes erschien in nieder ländischer Sprache unter dem Titel Een boek is pas een boek als het een boek is bei De Buitenkant, Amsterdam, im Herbst 1986.

In der Zwischenzeit hat die Buchgestalterin oder der Buchgestalter die fertige Textdatei aus dem Lektorat übernommen und macht einen Entwurf für Inhaltsseiten ❷ und Einband. Sobald die Seitenzahl anhand des Layouts ermittelt ist, gibt die Buchbinderei die Rücken stärke an, damit der Einband mit Vorder­ und Rückseite gestal­tet werden kann. Der Satz des Inhalts durchläuft einige Korrekturen – das Lektorat mag inhalt­liche Anmerkungen haben, sogenannte Autoren­korrekturen. Im Satz müssen Schreib weisen, Trennungen und Satzfehler kontrolliert werden, die beim Übertragen der Textdatei entstehen können.

Nach allen Korrekturdurchgängen werden die einzelnen Seiten als druckfertige Datei ab gespeichert. Für den Druck auf der Original Heidelberger Zylinderdruckmaschine wer­den diese Dateien in Druckbogen ❸ zusammen­gestellt.

intensive Phase der Lektoratsarbeit, den Text auf formale und inhaltliche Konsistenz und lite rarischen Stil hin auszuarbeiten und in seine endgültige Form zu bringen.

Verleger, Programmleitung und Lektorat dis­kutieren unter Einbindung der Vertriebs­ und Marketingbereiche die Positionierung der Bücher in den Programmsegmenten des Verlages, den Veröffentlichungszeitpunkt und die Vermarktungs ­strategien. Das zuständige Lektorat stellt alle begleitenden Materialien und Texte zusammen: Rechtenachweise für das Impressum, Vita, werbende Texte für den Buchrücken, für die Buch­klappe, den Programmkatalog, für die Verlags­homepage und weitere digitale Kanäle. Diverse Metadaten wie Schlagworte oder Warengruppen werden erarbeitet und in Datenbanken ein­gespeist. Alle Bereiche des Verlages diskutieren gemeinsam Strategien für Veranstaltungen, Pressearbeit, Webauftritt und Online­Vermark­tung. Es werden viele, viele Mails getippt.

Die Abteilung Verkauf/Vertrieb vergibt nun iSBn­ und ean­Nummern, koordiniert die Verlagsauslieferung, sorgt für die Auswahl der geeigneten Vertriebskanäle und kalkuliert gemeinsam mit der Herstellungsabteilung die Preise. Sie plant mit der Werbeabteilung die gewünschten Werbemittel und beginnt mit dem Verkauf in den Buchhandel.

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zu verbessern. Namen aus ganz Europa in den Fried-höfen der kleinsten Badeorte, sage ich. Geehrter Herr, tatsächlich bin ich, in meinem Alter, stellen Sie sich vor, noch auf den Bäderscharlatanismus hereingefallen. Zum Fuhrmann sage ich: die Bäder sind ein Betrug. Man läßt sich eine Kur einreden, und das heißt, kurzen tödlichen Prozeß, der ein Vermögen kostet. Der Mensch geht in eine Kur wie in eine Falle, denke ich, und die größte Unsinnigkeit ist das Bäderaufsuchen, und jähr-lich gehen Millionen in die Bäder und reden sich ein, daß das gut ist. Tatsächlich ist mein Zustand jetzt ein viel schlimmerer als vor der Kur, denke ich, ich sage zum Fuhrmann: Sie haben mich ja selbst auf die Bahn gebracht, wann bin ich denn nach Bad Hall gefah ren?, der Fuhrmann sagt: vor einem halben Jahr. Ja, sage ich, vor einem halben Jahr. Kurz darauf hat sich der Papier -macher umgebracht. Vor Bad Hall, sage ich zum Fuhr-mann, habe ich durchaus einen ganzen Vormittag und einen ganzen Nachmittag gleichmäßig atmen und das heißt, gleichmäßig gehen können, das ist mir aber zuwenig erschienen, und ich bin nach Bad Hall gefahren, vor Bad Hall bin ich tatsächlich noch leicht in die Schottergrube hineingekommen, tatsächlich in der größten Hitze, in der größten Kälte tatsächlich. Vor Bad Hall ist es mir die größte Leichtigkeit gewesen, das größte Vergnügen, bis zur faulen Fichte zu gehn, während ich nach Bad Hall die faule Fichte überhaupt nicht mehr habe erreichen können, geschweige denn in die Schottergrube hineingehen, watten gehn, sage ich.

was mir aber nicht gelingt. Ich ziehe mich zusammen, strecke mich aber nicht aus, denke ich. Der Fuhrmann beobachtet mich, während ich denke: ich ziehe die Beine ein, ich ziehe den Kopf ein in der Körperverkramp-fung, die die Ursache meiner Geistesverkrampfung ist. Gleichmäßig atmen, denke ich auf dem Bett, denke ich, und ich versuche auf dem Bett gleichmäßig zu atmen. Dazu fallen mir meine Schriften ein, die ich vollkommen vernachlässigt habe. Gleichmäßig atmen, denke ich, aber ich kann nicht gleichmäßig atmen, weil man ja auch nicht gleichmäßig gehen kann, wie Sie wissen, wenn man denkt: gleichmäßig gehen. Beob achtet man, wie man geht, ist das ein Gehüpfe, kein Gehen auf der Straße. Daß ich im Luftschöpfen nicht die erforderliche regel-mäßigkeit erlernt habe, ist deprimierend.

Diese Unfähigkeit habe ich durch einen Aufenthalt inBad Hall auszugleichen versucht, denke ich. Aber der Aufenthalt in Bad Hall hat mir nicht genützt, denke ich. Mein Zustand hat sich verschlimmert. Was ich erwar-ten kann, habe ich schon von Kind an immer denken müssen, ist nichts als Verschlimmerung. Aber ich habe doch die Kraft gehabt, nach Bad Hall zu fahren, denke ich. Sehen Sie, auch die Bäder sind völlig sinnlos, sage ich zum Fuhrmann. Ein solches Bad wie Bad Hall ist voll-kommen nutzlos. Ja, die Leute trifft schon nach kurzem Aufenthalt in einem solchen Badeort der Schlag, und es ist bekannt, daß die Friedhöfe der Badeorte die größten sind. Lauter Leute liegen da, die von weit her in den Badeort gekommen sind, um ihren Gesundheitszustand

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Diese Ausgabe von Watten ist Teil der Edition Suhrkamp LetterpreSS, die in Zusammenarbeit mit dem Typographen Erik Spiekermann und der SÜperGrÜp, einer Gruppe von sieben ausgezeichneten deutschen Designern – neben Erik Spiekermann sind das Mirko Borsche, Johannes Erler, Lars Harmsen, Sarah Illenberger, Eike König und Mario Lombardo – entstanden ist: sieben herausragende Werke des 20. Jahrhunderts, alle erschienen im Suhrkamp Verlag, neu gestaltet, gesetzt und von digital belichteten Platten im Buchdruckverfahren auf einem Original Heidelberger Zylinder gedruckt.

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gänzlich mit den Bemühungen beschäftigt bin, aus allen Krankheiten eine Philosophie zu machen. Was der Fuhrmann nicht versteht. Aber ich sage zum Fuhrmann: da gehe ich, dort gehe ich, von allen Seiten komme ich in den Wald herein, gehe ich in den Wald hinein, um watten zu gehn. Tatsächlich komme ich mitten im Wald von allen Seiten auf mich zu, um watten zu gehn. Tatsächlich gehen alle diese in den Wald hereinkommenden Ich watten. Und haben nichts im Kopf als den Gedanken, watten zu gehn. Das ist aber das Merkwürdige, sage ich: alle haben den Gedanken im Kopf, watten zu gehn, gehn aber nicht watten. Wollen watten gehn, gehn watten, gehn aber nicht watten, sage ich. Immer die Vorstellung, vor allem immer während ich mit Krank-heiten beschäftigt bin, ich ginge watten, ich gehe watten, Hunderte, Tausende gehen gleichzeitig als ich selbst auf mich zu, watten. Tatsache ist, sage ich zum Fuhrmann, daß auch der Lehrer diese Vorstellung hat. Während er zu Hause Hefte korrigiert, hat er die Vorstellung, watten zu gehn, in mehreren. Während in meiner Vorstellung aber der Selbstmörder Siller fehlt, sage ich, geht in der Vorstellung des Lehrers auch der Selbstmörder Siller watten. In der Vorstellung des Lehrers sitzt auch der Siller am Tisch, während er in meiner Vorstellung nicht am Tisch sitzt. Auch ich sitze in der Vorstellung des Lehrers am Wattisch. Kann er nicht einschlafen, sage ich zum Fuhrmann, stellt sich der Lehrer vor, daß wir alle watten gehn, alle, auch der Selbstmörder Siller, was doch sehr interessant ist, weil in

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an den Eisenhändler Urban, sage ich. Und mich bedrän-gen Sie, ich solle wieder watten. Ich ver stehe nicht, daß Sie sich in den Kopf gesetzt haben, ich solle wieder watten. Wenn ich nicht mehr watte, so heißt das ja nicht, daß die ganze runde nicht mehr wattet. Ein Mann für den Selbstmörder Siller und ein Mann für mich, wie leicht sind zwei, die watten, gefunden. Gehn Sie zum Eisenhändler Urban, sage ich. Mir ist bekannt, daß der Urban besser als alle wattet. Und Sie verstehen sich doch ausgezeichnet mit dem Eisenhändler, sage ich, auch der Lehrer versteht sich mit dem Urban gut, auch der Wirt, alle. Ich watte nicht mehr, sage ich, aber der Fuhrmann reagiert vollkommen anders, als erwartet, er sagt: Kommen Sie Mittwoch watten, Herr Doktor! Ich antworte: Ich gehe nicht mehr watten. Ich bin fest entschlossen, nicht mehr watten zu gehn. Scheinbar ordne ich meine Papiere, in Wirklichkeit aber bringe ich eine immer noch größere Unordnung in die Papiere. Die Anwesenheit des Fuhrmanns bewirkt eine voll kom-men unsinnige Handlungsweise meinerseits. Dieser ganze Haufen rezepte, Zettel, Notizen, Gedanken, sage ich. Wahr ist, denke ich gleichzeitig, daß ich die besten Einfälle, Gedanken immer auf dem Weg zum Watten gehabt habe. Ich muß Ord nung in den Haufen Papiere bringen, sage ich zum Fuhrmann, während ich denke: jedesmal wenn der Fuhr mann kommt, ist die Unordnung auf dem Schreibtisch größer. Tatsächlich habe ich, geehr ter Herr, auf dem Weg zum Watten, immer eine klare Vorstellung von der Materie gehabt, Außen- und

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Innenwelt entzogen sich mir, während des Wattengehens nicht fortgesetzt. Ein Kopf voll Wissenschaft!, wissen Sie, was das heißt?, sage ich zum Fuhrmann. Der Fuhr-mann sagt: der Wirt hat neue Bänke gekauft. Der Wattisch habe neue Bänke, sagt er. Schon am Montag beruhigte ich mich an dem Gedanken, daß ich Mittwoch watten gehe, geehrter Herr, der Dienstag ist nichts als Vorbereitung auf den Mittwoch gewesen. Ich sage zum Fuhrmann: watten ist immer entscheidend für mich gewesen. Und entscheidend vor allem, denke ich, in dem Augenblick, in welchem man mir die Praxis gesperrt hat. Unter diesem Verdacht, wissen Sie, sage ich zum Fuhrmann. Das Gesetz, sage ich. Morphium, sage ich. Daran ist etwas wahr, sage ich, aber die Tatsache, daß man mir die Praxis gesperrt hat, ist eine Gemeinheit. Die Praxis sperren, den Nerv töten, sage ich. Man sperrt die Praxis und tötet den Menschen, geehrter Herr, vernichtet ihn. Anstatt in die Ordination, geehrter Herr, bin ich, wie man mir die Praxis gesperrt hat, watten gegan-gen. Ich hatte eine Zuflucht, geehrter Herr. Faule Fichte, Schottergrube, watten. Den Obersten Gerichtshof bemühen wollte ich nicht. Widerwärtigkeiten von höchs ter Stelle herunter. Zweifellos ein sehr guter Arzt, hätte ich ohne weiteres sagen können, wäre nicht ich selbst dieser Arzt gewesen. Andere haben gesagt, ich sei ein guter Arzt. Die Praxis sperren, den Konkurrenten treffen, sagte ich. Der Fuhrmann saß die ganze Zeit unbeweglich, wie wenn er von der Tatsache, daß er heute zum ersten Mal in dem Jahr wieder den Winterkotzen

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Zeilen in die Hand bekommen haben, vorausgegangen ist. Wie Sie wissen, ist die Aufforderung zu einer solchen Selbstbeschreibung von mir immer nur an Persönlich-keiten gerichtet, die ich als zweifellos außerordent-liche und für meine wissenschaftlichen Zwecke durchaus ideal empfinde. Vorzüglich Undt. Da meine Arbeit über die chronisch-subchronische Nephritis (morbus Brightii) nicht abgeschlossen ist, zögerte ich zuerst, leistete aber dann der Aufforderung Undts unverzüglich Folge. Ich drehte mich auf dem Sessel um und benutzte das Fensterbrett, nicht den Schreibtisch, als geeignete Unter-lage und schrieb: Geehrter Herr, im Aufwachen denke ich gewöhnlich: warum lebe ich?, darauf: warum lebe ich in der Baracke?, und die Leute fragen, warum leben Sie in der Baracke?, und ich antworte: weil ich in der Baracke lebe, geehrter Herr. Im Aufstehen denke ich, daß es mir die längste Zeit nicht mehr möglich ist, bis in die Schotter-grube zu gehen, ja, ich komme auch in der größten Anstrengung nicht einmal mehr zur faulen Fichte. Mit erschreckender regelmäßigkeit bin ich in den letzten zwanzig Jahren den Weg gegangen: Baracke, faule Fichte, Schottergrube, faule Fichte, Baracke. Ab und zu machte ich den Umweg über den Tüm pel, geehrter Herr. Mitten in der Schottergrube, an nichts als an das Luftschöpfen denkend, schöpfte ich Luft. Ich atmete tief ein und tief aus. Daß mir diese Gewohnheit das Leben gerettet hat, denke ich. Ich gehe, und während ich gehe, zähle ich meine Schritte. Viertausend zur faulen Fichte, acht-tausend bis in die Schotter grube. In großer Hitze.

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 »Watten ist ein Kartenspiel […]. Ein Arzt schreibt dieses Buch, der – man könnte sagen – verkommen ist, sich zurückzieht. Zuletzt hat er nichts mehr gehabt als eben das Watten, das er regelmäßig gespielt hat mit drei, vier Hauptwattern und Ersatzwattern, wie das im Dorf ist. Man hat ja verschiedene Perioden, einmal im Leben spielt man, dann spielt man nicht mehr, dann glaubt man, man kann wieder spielen, und er glaubt jetzt, er ist in der Situation, wo man überhaupt nicht mehr spielt.

Es kommt ein Fuhrmann, ein Wattkumpan, zu ihm, an diesem Tag, den dieses Buch beschreibt, der ihn überreden will, einfach wieder watten zu gehen und er sagt immer, also ich gehe nicht mehr watten, es hat keinen Sinn. Er kann das zwar nicht erklären warum. Auch in diesem Buch kann man es eben nicht erklären, weil man ja in einem Buch im Grunde überhaupt nichts erklären kann, das ist ganz logisch.«

Thomas Bernhard über Watten, 1969.

thomaS Bernhard (1931–1989) zählt international zu den bedeutendsten österreichischen und deutschsprachigen Schriftstellern und wurde unter anderem 1970 mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet. Watten ist 1969 erschienen.

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wie ich glaube, nicht gänzlich er folglos arbeite, zur Ver fügung stellen, bitte ich Sie, mir den Betrag umge-hend anzuweisen. Mit vorzüglicher Hochachtung, F. Undt. Noch am gleichen Tag veranlaßte ich die Über-weisung des Geldes an Undt. Zwei Tage später bestä-tigte der Em pfänger, daß er die eineinhalb Millionen erhalten habe, er schrieb: Sehr geehrter Herr, die Summe, die ich heute erhalten habe, verwende ich sofort für die Adaptierung des Schlosses Thunau, das Ihnen bekannt ist und in welchem ich noch vor Winteranfang achtzig aus Suben entlassene Männer unterzubringen gedenke. Mit vorzüglicher Hochachtung, F. Undt. Zwei Monate später, am 17. November, beantwortete Undt einen von mir am 13. November aufgegebenen Brief, in welchem ich ihn um die Titel der Schriften unter sei-nem Namen ersuchte, die Undt zwar veröffentlicht hat, die mir aber durch die Umstände der Abgeschlossen-heit, in welcher ich lebe, bis zu diesem Zeitpunkt unbe-kannt geblieben waren. Er schrieb: Sehr geehrter Herr, meine wichtigsten Arbei ten, und nur diese nenne ich, sind: Bücher/Verwahrlosung I, Verwahrlosung II, Verwahr losung III, Artikel/Haftentschädigung, Abge-urteilte und Verurteilte, Aufsatz/Körper und chaos. Vorzüglich Undt. Am nächsten Tag (gestern) bekam ich von Undt folgende Zeilen: Sehr geehrter Herr, da Sie, wie ich annehme, meine Geistesarbeit kennen, wird es Sie nicht überraschen, wenn ich Sie bitte, mir über mehrere Stunden andauernde Wahrnehmungen Ihrerseits des Tages zu berichten, der dem Tag, an welchem Sie diese

Am Anfang war das Wort. Das kommt, meistens als ❶ Word­Dokument, von Autorin oder Autor direkt oder über eine Literaturagen­tur in den Verlag oder wird gemeinsam erarbeitet. Der Verlag prüft den Publika­tionsvorschlag auf die Qualität des Textes, auf die Kompatibilität mit der programmatischen Ausrichtung des  Verlages und auf die Verkäuflichkeit hin.

Soll der Text publiziert werden, erwirbt die Abteilung für Rechte & Lizenzen die Rechte und schließt einen Vertrag ab. Dieser regelt  Honorare und Modalitäten: Beispielsweise wird die Ausstattung des Buches festgelegt (Hard­cover oder Taschenbuch) und festgehalten, dass der Verlag für Übersetzungen in Fremd­sprachen sorgt.

Der inhaltliche Austausch mit dem Lektorat beginnt meist lange vor Fertigstellung der Manu­ skripte, aber erst wenn Autorin oder Autor die Arbeit am Text abgeschlossen haben, beginnt die

Seit mehr alS 500 Jahren druckt der Buch­druck erhabene Buchstaben direkt in das Papier, ohne Umweg über Gummitücher und die che­mische Reaktion zwischen Wasser und Fett. Mit satter Farbe entsteht beim Drucken ein leichter Hof zwischen Abbild und Papier. Die Unschärfe schmeichelt unserem Auge wie Wolle der Haut. Für diesen angenehmen Effekt brauchen wir nicht länger Druckschriften aus Blei, die man als kiloschwere Formen in die Maschine heben und für jede Korrektur wieder aus­ und einbauen musste. Die Arbeit am Computer ermöglicht uns typografische Finessen und eine riesige Schrift­auswahl, die früher unvorstellbar waren und auf die wir nicht verzichten wollen. Die fertig aus­geschossenen Seiten schicken wir vom Compu­ter gleich an den Belichter, der mit Laserstrahlen die Polymerplatten bebildert. Sie werden mit Wasser ausgewaschen, ohne Chemie und weitere aufwendige Arbeitsschritte. Ein Magnetfunda­ment fixiert sie in der Druckmaschine. Zwar druckt ein Original Heidelberger Zylinder von 1965 nicht wie eine moderne Offsetmaschine mit 20 000 Touren in der Stunde. Aber wer will und kann Bücher in Auflagen drucken, die  solche Geschwindigkeiten rechtfertigen? Suhrkamp letterpreSS will keinen biblio­philen Markt bedienen, der Bücher bevorzugt (und  entsprechend bezahlt), die mindestens in

Ziegenleder gebunden und von echten Bleibuch­staben gedruckt sind. Wir wollen Werke her­stellen, die über den Lesegenuss am Text auch die anderen Sinne befriedigen. Ein Buch muss sich angenehm in der Hand halten lassen, es riecht gut und nimmt es nicht übel, wenn es einmal auf­geschlagen die Nacht neben dem Bett ver bringen muss. Wir sind keine Bilderstürmer und keine Sozialromantiker. Doch wir wollen das Wissen nicht in Vergessenheit geraten lassen um die vielen Gewerke, die nötig sind, ein Buch herzu­stellen. Denn ein Buch ist erst ein Buch, wenn es ein Buch geworden ist. Den langen Weg vom Manuskript zum fertigen Band zeigen wir in dieser kleinen Drucksache.

Ein Buch ist erst ein Buch, wenn es ein Buch geworden ist zitiert den Titel eines Aufsatzes von Huib van Krimpen. Die Originalfassung dieses Textes erschien in nieder ländischer Sprache unter dem Titel Een boek is pas een boek als het een boek is bei De Buitenkant, Amsterdam, im Herbst 1986.

In der Zwischenzeit hat die Buchgestalterin oder der Buchgestalter die fertige Textdatei aus dem Lektorat übernommen und macht einen Entwurf für Inhaltsseiten ❷ und Einband. Sobald die Seitenzahl anhand des Layouts ermittelt ist, gibt die Buchbinderei die Rücken stärke an, damit der Einband mit Vorder­ und Rückseite gestal­tet werden kann. Der Satz des Inhalts durchläuft einige Korrekturen – das Lektorat mag inhalt­liche Anmerkungen haben, sogenannte Autoren­korrekturen. Im Satz müssen Schreib weisen, Trennungen und Satzfehler kontrolliert werden, die beim Übertragen der Textdatei entstehen können.

Nach allen Korrekturdurchgängen werden die einzelnen Seiten als druckfertige Datei ab gespeichert. Für den Druck auf der Original Heidelberger Zylinderdruckmaschine wer­den diese Dateien in Druckbogen ❸ zusammen­gestellt.

intensive Phase der Lektoratsarbeit, den Text auf formale und inhaltliche Konsistenz und lite rarischen Stil hin auszuarbeiten und in seine endgültige Form zu bringen.

Verleger, Programmleitung und Lektorat dis­kutieren unter Einbindung der Vertriebs­ und Marketingbereiche die Positionierung der Bücher in den Programmsegmenten des Verlages, den Veröffentlichungszeitpunkt und die Vermarktungs ­strategien. Das zuständige Lektorat stellt alle begleitenden Materialien und Texte zusammen: Rechtenachweise für das Impressum, Vita, werbende Texte für den Buchrücken, für die Buch­klappe, den Programmkatalog, für die Verlags­homepage und weitere digitale Kanäle. Diverse Metadaten wie Schlagworte oder Warengruppen werden erarbeitet und in Datenbanken ein­gespeist. Alle Bereiche des Verlages diskutieren gemeinsam Strategien für Veranstaltungen, Pressearbeit, Webauftritt und Online­Vermark­tung. Es werden viele, viele Mails getippt.

Die Abteilung Verkauf/Vertrieb vergibt nun iSBn­ und ean­Nummern, koordiniert die Verlagsauslieferung, sorgt für die Auswahl der geeigneten Vertriebskanäle und kalkuliert gemeinsam mit der Herstellungsabteilung die Preise. Sie plant mit der Werbeabteilung die gewünschten Werbemittel und beginnt mit dem Verkauf in den Buchhandel.

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zu verbessern. Namen aus ganz Europa in den Fried-höfen der kleinsten Badeorte, sage ich. Geehrter Herr, tatsächlich bin ich, in meinem Alter, stellen Sie sich vor, noch auf den Bäderscharlatanismus hereingefallen. Zum Fuhrmann sage ich: die Bäder sind ein Betrug. Man läßt sich eine Kur einreden, und das heißt, kurzen tödlichen Prozeß, der ein Vermögen kostet. Der Mensch geht in eine Kur wie in eine Falle, denke ich, und die größte Unsinnigkeit ist das Bäderaufsuchen, und jähr-lich gehen Millionen in die Bäder und reden sich ein, daß das gut ist. Tatsächlich ist mein Zustand jetzt ein viel schlimmerer als vor der Kur, denke ich, ich sage zum Fuhrmann: Sie haben mich ja selbst auf die Bahn gebracht, wann bin ich denn nach Bad Hall gefah ren?, der Fuhrmann sagt: vor einem halben Jahr. Ja, sage ich, vor einem halben Jahr. Kurz darauf hat sich der Papier -macher umgebracht. Vor Bad Hall, sage ich zum Fuhr-mann, habe ich durchaus einen ganzen Vormittag und einen ganzen Nachmittag gleichmäßig atmen und das heißt, gleichmäßig gehen können, das ist mir aber zuwenig erschienen, und ich bin nach Bad Hall gefahren, vor Bad Hall bin ich tatsächlich noch leicht in die Schottergrube hineingekommen, tatsächlich in der größten Hitze, in der größten Kälte tatsächlich. Vor Bad Hall ist es mir die größte Leichtigkeit gewesen, das größte Vergnügen, bis zur faulen Fichte zu gehn, während ich nach Bad Hall die faule Fichte überhaupt nicht mehr habe erreichen können, geschweige denn in die Schottergrube hineingehen, watten gehn, sage ich.

was mir aber nicht gelingt. Ich ziehe mich zusammen, strecke mich aber nicht aus, denke ich. Der Fuhrmann beobachtet mich, während ich denke: ich ziehe die Beine ein, ich ziehe den Kopf ein in der Körperverkramp-fung, die die Ursache meiner Geistesverkrampfung ist. Gleichmäßig atmen, denke ich auf dem Bett, denke ich, und ich versuche auf dem Bett gleichmäßig zu atmen. Dazu fallen mir meine Schriften ein, die ich vollkommen vernachlässigt habe. Gleichmäßig atmen, denke ich, aber ich kann nicht gleichmäßig atmen, weil man ja auch nicht gleichmäßig gehen kann, wie Sie wissen, wenn man denkt: gleichmäßig gehen. Beob achtet man, wie man geht, ist das ein Gehüpfe, kein Gehen auf der Straße. Daß ich im Luftschöpfen nicht die erforderliche regel-mäßigkeit erlernt habe, ist deprimierend.

Diese Unfähigkeit habe ich durch einen Aufenthalt inBad Hall auszugleichen versucht, denke ich. Aber der Aufenthalt in Bad Hall hat mir nicht genützt, denke ich. Mein Zustand hat sich verschlimmert. Was ich erwar-ten kann, habe ich schon von Kind an immer denken müssen, ist nichts als Verschlimmerung. Aber ich habe doch die Kraft gehabt, nach Bad Hall zu fahren, denke ich. Sehen Sie, auch die Bäder sind völlig sinnlos, sage ich zum Fuhrmann. Ein solches Bad wie Bad Hall ist voll-kommen nutzlos. Ja, die Leute trifft schon nach kurzem Aufenthalt in einem solchen Badeort der Schlag, und es ist bekannt, daß die Friedhöfe der Badeorte die größten sind. Lauter Leute liegen da, die von weit her in den Badeort gekommen sind, um ihren Gesundheitszustand

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Diese Ausgabe von Watten ist Teil der Edition Suhrkamp LetterpreSS, die in Zusammenarbeit mit dem Typographen Erik Spiekermann und der SÜperGrÜp, einer Gruppe von sieben ausgezeichneten deutschen Designern – neben Erik Spiekermann sind das Mirko Borsche, Johannes Erler, Lars Harmsen, Sarah Illenberger, Eike König und Mario Lombardo – entstanden ist: sieben herausragende Werke des 20. Jahrhunderts, alle erschienen im Suhrkamp Verlag, neu gestaltet, gesetzt und von digital belichteten Platten im Buchdruckverfahren auf einem Original Heidelberger Zylinder gedruckt.

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gänzlich mit den Bemühungen beschäftigt bin, aus allen Krankheiten eine Philosophie zu machen. Was der Fuhrmann nicht versteht. Aber ich sage zum Fuhrmann: da gehe ich, dort gehe ich, von allen Seiten komme ich in den Wald herein, gehe ich in den Wald hinein, um watten zu gehn. Tatsächlich komme ich mitten im Wald von allen Seiten auf mich zu, um watten zu gehn. Tatsächlich gehen alle diese in den Wald hereinkommenden Ich watten. Und haben nichts im Kopf als den Gedanken, watten zu gehn. Das ist aber das Merkwürdige, sage ich: alle haben den Gedanken im Kopf, watten zu gehn, gehn aber nicht watten. Wollen watten gehn, gehn watten, gehn aber nicht watten, sage ich. Immer die Vorstellung, vor allem immer während ich mit Krank-heiten beschäftigt bin, ich ginge watten, ich gehe watten, Hunderte, Tausende gehen gleichzeitig als ich selbst auf mich zu, watten. Tatsache ist, sage ich zum Fuhrmann, daß auch der Lehrer diese Vorstellung hat. Während er zu Hause Hefte korrigiert, hat er die Vorstellung, watten zu gehn, in mehreren. Während in meiner Vorstellung aber der Selbstmörder Siller fehlt, sage ich, geht in der Vorstellung des Lehrers auch der Selbstmörder Siller watten. In der Vorstellung des Lehrers sitzt auch der Siller am Tisch, während er in meiner Vorstellung nicht am Tisch sitzt. Auch ich sitze in der Vorstellung des Lehrers am Wattisch. Kann er nicht einschlafen, sage ich zum Fuhrmann, stellt sich der Lehrer vor, daß wir alle watten gehn, alle, auch der Selbstmörder Siller, was doch sehr interessant ist, weil in

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an den Eisenhändler Urban, sage ich. Und mich bedrän-gen Sie, ich solle wieder watten. Ich ver stehe nicht, daß Sie sich in den Kopf gesetzt haben, ich solle wieder watten. Wenn ich nicht mehr watte, so heißt das ja nicht, daß die ganze runde nicht mehr wattet. Ein Mann für den Selbstmörder Siller und ein Mann für mich, wie leicht sind zwei, die watten, gefunden. Gehn Sie zum Eisenhändler Urban, sage ich. Mir ist bekannt, daß der Urban besser als alle wattet. Und Sie verstehen sich doch ausgezeichnet mit dem Eisenhändler, sage ich, auch der Lehrer versteht sich mit dem Urban gut, auch der Wirt, alle. Ich watte nicht mehr, sage ich, aber der Fuhrmann reagiert vollkommen anders, als erwartet, er sagt: Kommen Sie Mittwoch watten, Herr Doktor! Ich antworte: Ich gehe nicht mehr watten. Ich bin fest entschlossen, nicht mehr watten zu gehn. Scheinbar ordne ich meine Papiere, in Wirklichkeit aber bringe ich eine immer noch größere Unordnung in die Papiere. Die Anwesenheit des Fuhrmanns bewirkt eine voll kom-men unsinnige Handlungsweise meinerseits. Dieser ganze Haufen rezepte, Zettel, Notizen, Gedanken, sage ich. Wahr ist, denke ich gleichzeitig, daß ich die besten Einfälle, Gedanken immer auf dem Weg zum Watten gehabt habe. Ich muß Ord nung in den Haufen Papiere bringen, sage ich zum Fuhrmann, während ich denke: jedesmal wenn der Fuhr mann kommt, ist die Unordnung auf dem Schreibtisch größer. Tatsächlich habe ich, geehr ter Herr, auf dem Weg zum Watten, immer eine klare Vorstellung von der Materie gehabt, Außen- und

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Innenwelt entzogen sich mir, während des Wattengehens nicht fortgesetzt. Ein Kopf voll Wissenschaft!, wissen Sie, was das heißt?, sage ich zum Fuhrmann. Der Fuhr-mann sagt: der Wirt hat neue Bänke gekauft. Der Wattisch habe neue Bänke, sagt er. Schon am Montag beruhigte ich mich an dem Gedanken, daß ich Mittwoch watten gehe, geehrter Herr, der Dienstag ist nichts als Vorbereitung auf den Mittwoch gewesen. Ich sage zum Fuhrmann: watten ist immer entscheidend für mich gewesen. Und entscheidend vor allem, denke ich, in dem Augenblick, in welchem man mir die Praxis gesperrt hat. Unter diesem Verdacht, wissen Sie, sage ich zum Fuhrmann. Das Gesetz, sage ich. Morphium, sage ich. Daran ist etwas wahr, sage ich, aber die Tatsache, daß man mir die Praxis gesperrt hat, ist eine Gemeinheit. Die Praxis sperren, den Nerv töten, sage ich. Man sperrt die Praxis und tötet den Menschen, geehrter Herr, vernichtet ihn. Anstatt in die Ordination, geehrter Herr, bin ich, wie man mir die Praxis gesperrt hat, watten gegan-gen. Ich hatte eine Zuflucht, geehrter Herr. Faule Fichte, Schottergrube, watten. Den Obersten Gerichtshof bemühen wollte ich nicht. Widerwärtigkeiten von höchs ter Stelle herunter. Zweifellos ein sehr guter Arzt, hätte ich ohne weiteres sagen können, wäre nicht ich selbst dieser Arzt gewesen. Andere haben gesagt, ich sei ein guter Arzt. Die Praxis sperren, den Konkurrenten treffen, sagte ich. Der Fuhrmann saß die ganze Zeit unbeweglich, wie wenn er von der Tatsache, daß er heute zum ersten Mal in dem Jahr wieder den Winterkotzen

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Zeilen in die Hand bekommen haben, vorausgegangen ist. Wie Sie wissen, ist die Aufforderung zu einer solchen Selbstbeschreibung von mir immer nur an Persönlich-keiten gerichtet, die ich als zweifellos außerordent-liche und für meine wissenschaftlichen Zwecke durchaus ideal empfinde. Vorzüglich Undt. Da meine Arbeit über die chronisch-subchronische Nephritis (morbus Brightii) nicht abgeschlossen ist, zögerte ich zuerst, leistete aber dann der Aufforderung Undts unverzüglich Folge. Ich drehte mich auf dem Sessel um und benutzte das Fensterbrett, nicht den Schreibtisch, als geeignete Unter-lage und schrieb: Geehrter Herr, im Aufwachen denke ich gewöhnlich: warum lebe ich?, darauf: warum lebe ich in der Baracke?, und die Leute fragen, warum leben Sie in der Baracke?, und ich antworte: weil ich in der Baracke lebe, geehrter Herr. Im Aufstehen denke ich, daß es mir die längste Zeit nicht mehr möglich ist, bis in die Schotter-grube zu gehen, ja, ich komme auch in der größten Anstrengung nicht einmal mehr zur faulen Fichte. Mit erschreckender regelmäßigkeit bin ich in den letzten zwanzig Jahren den Weg gegangen: Baracke, faule Fichte, Schottergrube, faule Fichte, Baracke. Ab und zu machte ich den Umweg über den Tüm pel, geehrter Herr. Mitten in der Schottergrube, an nichts als an das Luftschöpfen denkend, schöpfte ich Luft. Ich atmete tief ein und tief aus. Daß mir diese Gewohnheit das Leben gerettet hat, denke ich. Ich gehe, und während ich gehe, zähle ich meine Schritte. Viertausend zur faulen Fichte, acht-tausend bis in die Schotter grube. In großer Hitze.

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 »Watten ist ein Kartenspiel […]. Ein Arzt schreibt dieses Buch, der – man könnte sagen – verkommen ist, sich zurückzieht. Zuletzt hat er nichts mehr gehabt als eben das Watten, das er regelmäßig gespielt hat mit drei, vier Hauptwattern und Ersatzwattern, wie das im Dorf ist. Man hat ja verschiedene Perioden, einmal im Leben spielt man, dann spielt man nicht mehr, dann glaubt man, man kann wieder spielen, und er glaubt jetzt, er ist in der Situation, wo man überhaupt nicht mehr spielt.

Es kommt ein Fuhrmann, ein Wattkumpan, zu ihm, an diesem Tag, den dieses Buch beschreibt, der ihn überreden will, einfach wieder watten zu gehen und er sagt immer, also ich gehe nicht mehr watten, es hat keinen Sinn. Er kann das zwar nicht erklären warum. Auch in diesem Buch kann man es eben nicht erklären, weil man ja in einem Buch im Grunde überhaupt nichts erklären kann, das ist ganz logisch.«

Thomas Bernhard über Watten, 1969.

thomaS Bernhard (1931–1989) zählt international zu den bedeutendsten österreichischen und deutschsprachigen Schriftstellern und wurde unter anderem 1970 mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet. Watten ist 1969 erschienen.

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wie ich glaube, nicht gänzlich er folglos arbeite, zur Ver fügung stellen, bitte ich Sie, mir den Betrag umge-hend anzuweisen. Mit vorzüglicher Hochachtung, F. Undt. Noch am gleichen Tag veranlaßte ich die Über-weisung des Geldes an Undt. Zwei Tage später bestä-tigte der Em pfänger, daß er die eineinhalb Millionen erhalten habe, er schrieb: Sehr geehrter Herr, die Summe, die ich heute erhalten habe, verwende ich sofort für die Adaptierung des Schlosses Thunau, das Ihnen bekannt ist und in welchem ich noch vor Winteranfang achtzig aus Suben entlassene Männer unterzubringen gedenke. Mit vorzüglicher Hochachtung, F. Undt. Zwei Monate später, am 17. November, beantwortete Undt einen von mir am 13. November aufgegebenen Brief, in welchem ich ihn um die Titel der Schriften unter sei-nem Namen ersuchte, die Undt zwar veröffentlicht hat, die mir aber durch die Umstände der Abgeschlossen-heit, in welcher ich lebe, bis zu diesem Zeitpunkt unbe-kannt geblieben waren. Er schrieb: Sehr geehrter Herr, meine wichtigsten Arbei ten, und nur diese nenne ich, sind: Bücher/Verwahrlosung I, Verwahrlosung II, Verwahr losung III, Artikel/Haftentschädigung, Abge-urteilte und Verurteilte, Aufsatz/Körper und chaos. Vorzüglich Undt. Am nächsten Tag (gestern) bekam ich von Undt folgende Zeilen: Sehr geehrter Herr, da Sie, wie ich annehme, meine Geistesarbeit kennen, wird es Sie nicht überraschen, wenn ich Sie bitte, mir über mehrere Stunden andauernde Wahrnehmungen Ihrerseits des Tages zu berichten, der dem Tag, an welchem Sie diese

Am Anfang war das Wort. Das kommt, meistens als ❶ Word­Dokument, von Autorin oder Autor direkt oder über eine Literaturagen­tur in den Verlag oder wird gemeinsam erarbeitet. Der Verlag prüft den Publika­tionsvorschlag auf die Qualität des Textes, auf die Kompatibilität mit der programmatischen Ausrichtung des  Verlages und auf die Verkäuflichkeit hin.

Soll der Text publiziert werden, erwirbt die Abteilung für Rechte & Lizenzen die Rechte und schließt einen Vertrag ab. Dieser regelt  Honorare und Modalitäten: Beispielsweise wird die Ausstattung des Buches festgelegt (Hard­cover oder Taschenbuch) und festgehalten, dass der Verlag für Übersetzungen in Fremd­sprachen sorgt.

Der inhaltliche Austausch mit dem Lektorat beginnt meist lange vor Fertigstellung der Manu­ skripte, aber erst wenn Autorin oder Autor die Arbeit am Text abgeschlossen haben, beginnt die

Seit mehr alS 500 Jahren druckt der Buch­druck erhabene Buchstaben direkt in das Papier, ohne Umweg über Gummitücher und die che­mische Reaktion zwischen Wasser und Fett. Mit satter Farbe entsteht beim Drucken ein leichter Hof zwischen Abbild und Papier. Die Unschärfe schmeichelt unserem Auge wie Wolle der Haut. Für diesen angenehmen Effekt brauchen wir nicht länger Druckschriften aus Blei, die man als kiloschwere Formen in die Maschine heben und für jede Korrektur wieder aus­ und einbauen musste. Die Arbeit am Computer ermöglicht uns typografische Finessen und eine riesige Schrift­auswahl, die früher unvorstellbar waren und auf die wir nicht verzichten wollen. Die fertig aus­geschossenen Seiten schicken wir vom Compu­ter gleich an den Belichter, der mit Laserstrahlen die Polymerplatten bebildert. Sie werden mit Wasser ausgewaschen, ohne Chemie und weitere aufwendige Arbeitsschritte. Ein Magnetfunda­ment fixiert sie in der Druckmaschine. Zwar druckt ein Original Heidelberger Zylinder von 1965 nicht wie eine moderne Offsetmaschine mit 20 000 Touren in der Stunde. Aber wer will und kann Bücher in Auflagen drucken, die  solche Geschwindigkeiten rechtfertigen? Suhrkamp letterpreSS will keinen biblio­philen Markt bedienen, der Bücher bevorzugt (und  entsprechend bezahlt), die mindestens in

Ziegenleder gebunden und von echten Bleibuch­staben gedruckt sind. Wir wollen Werke her­stellen, die über den Lesegenuss am Text auch die anderen Sinne befriedigen. Ein Buch muss sich angenehm in der Hand halten lassen, es riecht gut und nimmt es nicht übel, wenn es einmal auf­geschlagen die Nacht neben dem Bett ver bringen muss. Wir sind keine Bilderstürmer und keine Sozialromantiker. Doch wir wollen das Wissen nicht in Vergessenheit geraten lassen um die vielen Gewerke, die nötig sind, ein Buch herzu­stellen. Denn ein Buch ist erst ein Buch, wenn es ein Buch geworden ist. Den langen Weg vom Manuskript zum fertigen Band zeigen wir in dieser kleinen Drucksache.

Ein Buch ist erst ein Buch, wenn es ein Buch geworden ist zitiert den Titel eines Aufsatzes von Huib van Krimpen. Die Originalfassung dieses Textes erschien in nieder ländischer Sprache unter dem Titel Een boek is pas een boek als het een boek is bei De Buitenkant, Amsterdam, im Herbst 1986.

In der Zwischenzeit hat die Buchgestalterin oder der Buchgestalter die fertige Textdatei aus dem Lektorat übernommen und macht einen Entwurf für Inhaltsseiten ❷ und Einband. Sobald die Seitenzahl anhand des Layouts ermittelt ist, gibt die Buchbinderei die Rücken stärke an, damit der Einband mit Vorder­ und Rückseite gestal­tet werden kann. Der Satz des Inhalts durchläuft einige Korrekturen – das Lektorat mag inhalt­liche Anmerkungen haben, sogenannte Autoren­korrekturen. Im Satz müssen Schreib weisen, Trennungen und Satzfehler kontrolliert werden, die beim Übertragen der Textdatei entstehen können.

Nach allen Korrekturdurchgängen werden die einzelnen Seiten als druckfertige Datei ab gespeichert. Für den Druck auf der Original Heidelberger Zylinderdruckmaschine wer­den diese Dateien in Druckbogen ❸ zusammen­gestellt.

intensive Phase der Lektoratsarbeit, den Text auf formale und inhaltliche Konsistenz und lite rarischen Stil hin auszuarbeiten und in seine endgültige Form zu bringen.

Verleger, Programmleitung und Lektorat dis­kutieren unter Einbindung der Vertriebs­ und Marketingbereiche die Positionierung der Bücher in den Programmsegmenten des Verlages, den Veröffentlichungszeitpunkt und die Vermarktungs ­strategien. Das zuständige Lektorat stellt alle begleitenden Materialien und Texte zusammen: Rechtenachweise für das Impressum, Vita, werbende Texte für den Buchrücken, für die Buch­klappe, den Programmkatalog, für die Verlags­homepage und weitere digitale Kanäle. Diverse Metadaten wie Schlagworte oder Warengruppen werden erarbeitet und in Datenbanken ein­gespeist. Alle Bereiche des Verlages diskutieren gemeinsam Strategien für Veranstaltungen, Pressearbeit, Webauftritt und Online­Vermark­tung. Es werden viele, viele Mails getippt.

Die Abteilung Verkauf/Vertrieb vergibt nun iSBn­ und ean­Nummern, koordiniert die Verlagsauslieferung, sorgt für die Auswahl der geeigneten Vertriebskanäle und kalkuliert gemeinsam mit der Herstellungsabteilung die Preise. Sie plant mit der Werbeabteilung die gewünschten Werbemittel und beginnt mit dem Verkauf in den Buchhandel.

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zu verbessern. Namen aus ganz Europa in den Fried-höfen der kleinsten Badeorte, sage ich. Geehrter Herr, tatsächlich bin ich, in meinem Alter, stellen Sie sich vor, noch auf den Bäderscharlatanismus hereingefallen. Zum Fuhrmann sage ich: die Bäder sind ein Betrug. Man läßt sich eine Kur einreden, und das heißt, kurzen tödlichen Prozeß, der ein Vermögen kostet. Der Mensch geht in eine Kur wie in eine Falle, denke ich, und die größte Unsinnigkeit ist das Bäderaufsuchen, und jähr-lich gehen Millionen in die Bäder und reden sich ein, daß das gut ist. Tatsächlich ist mein Zustand jetzt ein viel schlimmerer als vor der Kur, denke ich, ich sage zum Fuhrmann: Sie haben mich ja selbst auf die Bahn gebracht, wann bin ich denn nach Bad Hall gefah ren?, der Fuhrmann sagt: vor einem halben Jahr. Ja, sage ich, vor einem halben Jahr. Kurz darauf hat sich der Papier -macher umgebracht. Vor Bad Hall, sage ich zum Fuhr-mann, habe ich durchaus einen ganzen Vormittag und einen ganzen Nachmittag gleichmäßig atmen und das heißt, gleichmäßig gehen können, das ist mir aber zuwenig erschienen, und ich bin nach Bad Hall gefahren, vor Bad Hall bin ich tatsächlich noch leicht in die Schottergrube hineingekommen, tatsächlich in der größten Hitze, in der größten Kälte tatsächlich. Vor Bad Hall ist es mir die größte Leichtigkeit gewesen, das größte Vergnügen, bis zur faulen Fichte zu gehn, während ich nach Bad Hall die faule Fichte überhaupt nicht mehr habe erreichen können, geschweige denn in die Schottergrube hineingehen, watten gehn, sage ich.

was mir aber nicht gelingt. Ich ziehe mich zusammen, strecke mich aber nicht aus, denke ich. Der Fuhrmann beobachtet mich, während ich denke: ich ziehe die Beine ein, ich ziehe den Kopf ein in der Körperverkramp-fung, die die Ursache meiner Geistesverkrampfung ist. Gleichmäßig atmen, denke ich auf dem Bett, denke ich, und ich versuche auf dem Bett gleichmäßig zu atmen. Dazu fallen mir meine Schriften ein, die ich vollkommen vernachlässigt habe. Gleichmäßig atmen, denke ich, aber ich kann nicht gleichmäßig atmen, weil man ja auch nicht gleichmäßig gehen kann, wie Sie wissen, wenn man denkt: gleichmäßig gehen. Beob achtet man, wie man geht, ist das ein Gehüpfe, kein Gehen auf der Straße. Daß ich im Luftschöpfen nicht die erforderliche regel-mäßigkeit erlernt habe, ist deprimierend.

Diese Unfähigkeit habe ich durch einen Aufenthalt inBad Hall auszugleichen versucht, denke ich. Aber der Aufenthalt in Bad Hall hat mir nicht genützt, denke ich. Mein Zustand hat sich verschlimmert. Was ich erwar-ten kann, habe ich schon von Kind an immer denken müssen, ist nichts als Verschlimmerung. Aber ich habe doch die Kraft gehabt, nach Bad Hall zu fahren, denke ich. Sehen Sie, auch die Bäder sind völlig sinnlos, sage ich zum Fuhrmann. Ein solches Bad wie Bad Hall ist voll-kommen nutzlos. Ja, die Leute trifft schon nach kurzem Aufenthalt in einem solchen Badeort der Schlag, und es ist bekannt, daß die Friedhöfe der Badeorte die größten sind. Lauter Leute liegen da, die von weit her in den Badeort gekommen sind, um ihren Gesundheitszustand

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SS

Diese Ausgabe von Watten ist Teil der Edition Suhrkamp LetterpreSS, die in Zusammenarbeit mit dem Typographen Erik Spiekermann und der SÜperGrÜp, einer Gruppe von sieben ausgezeichneten deutschen Designern – neben Erik Spiekermann sind das Mirko Borsche, Johannes Erler, Lars Harmsen, Sarah Illenberger, Eike König und Mario Lombardo – entstanden ist: sieben herausragende Werke des 20. Jahrhunderts, alle erschienen im Suhrkamp Verlag, neu gestaltet, gesetzt und von digital belichteten Platten im Buchdruckverfahren auf einem Original Heidelberger Zylinder gedruckt.

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THOMASBErNHArD

WATTENEIN NAcHLASS

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gänzlich mit den Bemühungen beschäftigt bin, aus allen Krankheiten eine Philosophie zu machen. Was der Fuhrmann nicht versteht. Aber ich sage zum Fuhrmann: da gehe ich, dort gehe ich, von allen Seiten komme ich in den Wald herein, gehe ich in den Wald hinein, um watten zu gehn. Tatsächlich komme ich mitten im Wald von allen Seiten auf mich zu, um watten zu gehn. Tatsächlich gehen alle diese in den Wald hereinkommenden Ich watten. Und haben nichts im Kopf als den Gedanken, watten zu gehn. Das ist aber das Merkwürdige, sage ich: alle haben den Gedanken im Kopf, watten zu gehn, gehn aber nicht watten. Wollen watten gehn, gehn watten, gehn aber nicht watten, sage ich. Immer die Vorstellung, vor allem immer während ich mit Krank-heiten beschäftigt bin, ich ginge watten, ich gehe watten, Hunderte, Tausende gehen gleichzeitig als ich selbst auf mich zu, watten. Tatsache ist, sage ich zum Fuhrmann, daß auch der Lehrer diese Vorstellung hat. Während er zu Hause Hefte korrigiert, hat er die Vorstellung, watten zu gehn, in mehreren. Während in meiner Vorstellung aber der Selbstmörder Siller fehlt, sage ich, geht in der Vorstellung des Lehrers auch der Selbstmörder Siller watten. In der Vorstellung des Lehrers sitzt auch der Siller am Tisch, während er in meiner Vorstellung nicht am Tisch sitzt. Auch ich sitze in der Vorstellung des Lehrers am Wattisch. Kann er nicht einschlafen, sage ich zum Fuhrmann, stellt sich der Lehrer vor, daß wir alle watten gehn, alle, auch der Selbstmörder Siller, was doch sehr interessant ist, weil in

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an den Eisenhändler Urban, sage ich. Und mich bedrän-gen Sie, ich solle wieder watten. Ich ver stehe nicht, daß Sie sich in den Kopf gesetzt haben, ich solle wieder watten. Wenn ich nicht mehr watte, so heißt das ja nicht, daß die ganze runde nicht mehr wattet. Ein Mann für den Selbstmörder Siller und ein Mann für mich, wie leicht sind zwei, die watten, gefunden. Gehn Sie zum Eisenhändler Urban, sage ich. Mir ist bekannt, daß der Urban besser als alle wattet. Und Sie verstehen sich doch ausgezeichnet mit dem Eisenhändler, sage ich, auch der Lehrer versteht sich mit dem Urban gut, auch der Wirt, alle. Ich watte nicht mehr, sage ich, aber der Fuhrmann reagiert vollkommen anders, als erwartet, er sagt: Kommen Sie Mittwoch watten, Herr Doktor! Ich antworte: Ich gehe nicht mehr watten. Ich bin fest entschlossen, nicht mehr watten zu gehn. Scheinbar ordne ich meine Papiere, in Wirklichkeit aber bringe ich eine immer noch größere Unordnung in die Papiere. Die Anwesenheit des Fuhrmanns bewirkt eine voll kom-men unsinnige Handlungsweise meinerseits. Dieser ganze Haufen rezepte, Zettel, Notizen, Gedanken, sage ich. Wahr ist, denke ich gleichzeitig, daß ich die besten Einfälle, Gedanken immer auf dem Weg zum Watten gehabt habe. Ich muß Ord nung in den Haufen Papiere bringen, sage ich zum Fuhrmann, während ich denke: jedesmal wenn der Fuhr mann kommt, ist die Unordnung auf dem Schreibtisch größer. Tatsächlich habe ich, geehr ter Herr, auf dem Weg zum Watten, immer eine klare Vorstellung von der Materie gehabt, Außen- und

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Innenwelt entzogen sich mir, während des Wattengehens nicht fortgesetzt. Ein Kopf voll Wissenschaft!, wissen Sie, was das heißt?, sage ich zum Fuhrmann. Der Fuhr-mann sagt: der Wirt hat neue Bänke gekauft. Der Wattisch habe neue Bänke, sagt er. Schon am Montag beruhigte ich mich an dem Gedanken, daß ich Mittwoch watten gehe, geehrter Herr, der Dienstag ist nichts als Vorbereitung auf den Mittwoch gewesen. Ich sage zum Fuhrmann: watten ist immer entscheidend für mich gewesen. Und entscheidend vor allem, denke ich, in dem Augenblick, in welchem man mir die Praxis gesperrt hat. Unter diesem Verdacht, wissen Sie, sage ich zum Fuhrmann. Das Gesetz, sage ich. Morphium, sage ich. Daran ist etwas wahr, sage ich, aber die Tatsache, daß man mir die Praxis gesperrt hat, ist eine Gemeinheit. Die Praxis sperren, den Nerv töten, sage ich. Man sperrt die Praxis und tötet den Menschen, geehrter Herr, vernichtet ihn. Anstatt in die Ordination, geehrter Herr, bin ich, wie man mir die Praxis gesperrt hat, watten gegan-gen. Ich hatte eine Zuflucht, geehrter Herr. Faule Fichte, Schottergrube, watten. Den Obersten Gerichtshof bemühen wollte ich nicht. Widerwärtigkeiten von höchs ter Stelle herunter. Zweifellos ein sehr guter Arzt, hätte ich ohne weiteres sagen können, wäre nicht ich selbst dieser Arzt gewesen. Andere haben gesagt, ich sei ein guter Arzt. Die Praxis sperren, den Konkurrenten treffen, sagte ich. Der Fuhrmann saß die ganze Zeit unbeweglich, wie wenn er von der Tatsache, daß er heute zum ersten Mal in dem Jahr wieder den Winterkotzen

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Zeilen in die Hand bekommen haben, vorausgegangen ist. Wie Sie wissen, ist die Aufforderung zu einer solchen Selbstbeschreibung von mir immer nur an Persönlich-keiten gerichtet, die ich als zweifellos außerordent-liche und für meine wissenschaftlichen Zwecke durchaus ideal empfinde. Vorzüglich Undt. Da meine Arbeit über die chronisch-subchronische Nephritis (morbus Brightii) nicht abgeschlossen ist, zögerte ich zuerst, leistete aber dann der Aufforderung Undts unverzüglich Folge. Ich drehte mich auf dem Sessel um und benutzte das Fensterbrett, nicht den Schreibtisch, als geeignete Unter-lage und schrieb: Geehrter Herr, im Aufwachen denke ich gewöhnlich: warum lebe ich?, darauf: warum lebe ich in der Baracke?, und die Leute fragen, warum leben Sie in der Baracke?, und ich antworte: weil ich in der Baracke lebe, geehrter Herr. Im Aufstehen denke ich, daß es mir die längste Zeit nicht mehr möglich ist, bis in die Schotter-grube zu gehen, ja, ich komme auch in der größten Anstrengung nicht einmal mehr zur faulen Fichte. Mit erschreckender regelmäßigkeit bin ich in den letzten zwanzig Jahren den Weg gegangen: Baracke, faule Fichte, Schottergrube, faule Fichte, Baracke. Ab und zu machte ich den Umweg über den Tüm pel, geehrter Herr. Mitten in der Schottergrube, an nichts als an das Luftschöpfen denkend, schöpfte ich Luft. Ich atmete tief ein und tief aus. Daß mir diese Gewohnheit das Leben gerettet hat, denke ich. Ich gehe, und während ich gehe, zähle ich meine Schritte. Viertausend zur faulen Fichte, acht-tausend bis in die Schotter grube. In großer Hitze.

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 »Watten ist ein Kartenspiel […]. Ein Arzt schreibt dieses Buch, der – man könnte sagen – verkommen ist, sich zurückzieht. Zuletzt hat er nichts mehr gehabt als eben das Watten, das er regelmäßig gespielt hat mit drei, vier Hauptwattern und Ersatzwattern, wie das im Dorf ist. Man hat ja verschiedene Perioden, einmal im Leben spielt man, dann spielt man nicht mehr, dann glaubt man, man kann wieder spielen, und er glaubt jetzt, er ist in der Situation, wo man überhaupt nicht mehr spielt.

Es kommt ein Fuhrmann, ein Wattkumpan, zu ihm, an diesem Tag, den dieses Buch beschreibt, der ihn überreden will, einfach wieder watten zu gehen und er sagt immer, also ich gehe nicht mehr watten, es hat keinen Sinn. Er kann das zwar nicht erklären warum. Auch in diesem Buch kann man es eben nicht erklären, weil man ja in einem Buch im Grunde überhaupt nichts erklären kann, das ist ganz logisch.«

Thomas Bernhard über Watten, 1969.

thomaS Bernhard (1931–1989) zählt international zu den bedeutendsten österreichischen und deutschsprachigen Schriftstellern und wurde unter anderem 1970 mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet. Watten ist 1969 erschienen.

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wie ich glaube, nicht gänzlich er folglos arbeite, zur Ver fügung stellen, bitte ich Sie, mir den Betrag umge-hend anzuweisen. Mit vorzüglicher Hochachtung, F. Undt. Noch am gleichen Tag veranlaßte ich die Über-weisung des Geldes an Undt. Zwei Tage später bestä-tigte der Em pfänger, daß er die eineinhalb Millionen erhalten habe, er schrieb: Sehr geehrter Herr, die Summe, die ich heute erhalten habe, verwende ich sofort für die Adaptierung des Schlosses Thunau, das Ihnen bekannt ist und in welchem ich noch vor Winteranfang achtzig aus Suben entlassene Männer unterzubringen gedenke. Mit vorzüglicher Hochachtung, F. Undt. Zwei Monate später, am 17. November, beantwortete Undt einen von mir am 13. November aufgegebenen Brief, in welchem ich ihn um die Titel der Schriften unter sei-nem Namen ersuchte, die Undt zwar veröffentlicht hat, die mir aber durch die Umstände der Abgeschlossen-heit, in welcher ich lebe, bis zu diesem Zeitpunkt unbe-kannt geblieben waren. Er schrieb: Sehr geehrter Herr, meine wichtigsten Arbei ten, und nur diese nenne ich, sind: Bücher/Verwahrlosung I, Verwahrlosung II, Verwahr losung III, Artikel/Haftentschädigung, Abge-urteilte und Verurteilte, Aufsatz/Körper und chaos. Vorzüglich Undt. Am nächsten Tag (gestern) bekam ich von Undt folgende Zeilen: Sehr geehrter Herr, da Sie, wie ich annehme, meine Geistesarbeit kennen, wird es Sie nicht überraschen, wenn ich Sie bitte, mir über mehrere Stunden andauernde Wahrnehmungen Ihrerseits des Tages zu berichten, der dem Tag, an welchem Sie diese

Unser Original Heidelberger Zylinder druckt nicht so schnell wie moderne Offsetmaschinen, dafür aber mit kräftig schwarzer Farbe. ❺ Beim Druck der hochstehenden Buchstaben in das Papier bricht sich das Licht an den Rändern und schafft eine winzige Reflexion, die unserem Auge schmeichelt. ❻

Die gedruckten Bogen kommen zum Buch­binder, der sie falzt ❼ und die einzelnen Lagen mit Fäden zusammenheftet. ❽ Der Buchdeckel besteht aus einer Pappe, die mit dem Einband­papier beklebt ist. ❾ Der komplette Buchblock wird an drei Seiten auf das Endformat be­schnitten, in den Deckel ein gehängt und hinter das Vorsatzpapier geklebt. ❿ Ein farbiges Kapitalband schützt den Kopf des Buchblocks und ein Leseband ist Schmuck und Orientierung gleichermaßen.

Die Edition SUHRKAMP LETTERPRESS ist in Zusammenarbeit mit dem Typografen Erik Spiekermann und der SÜPERGRÜP, einer Gruppe von sieben ausgezeichneten deutschen Designern – neben Erik Spiekermann sind das Mirko Borsche, Johannes Erler, Lars Harmsen, Sarah Illenberger, Eike König und Mario Lombardo –, entstanden ist: sieben herausragen-de Werke des 20. Jahrhunderts, alle erschienen im Suhrkamp Verlag, wurden neu gestaltet, gesetzt und von digital belichteten Platten im Buchdruckverfahren auf einem Original Heidelberger Zylinder bei p98a berlin gedruckt.

Erik Spiekermann und Sophie Bunge haben den Text zum Herstellungs- prozess verfasst, Ferdinand Ulrich hat ihn aus den Schriften FF Real und Questa gesetzt und mit Zeichnungen versehen. Der Druck erfolgte bei GALLERy PRinT auf 60 g/m2 Alster-Papier.

© Suhrkamp VerlagBerlin 2017

❾ ❿

Die fertig gebundenen Bücher werden ein­geschweißt und auf Paletten abgesetzt. Aus der Buchbinderei gehen sie in die Verlagsaus­lieferung, von dort in den Buchhandel und aus dem Buchhandel dann zu den Leserinnen und Lesern.

SS

Ein Buch ist erst ein Buch, wenn es ein Buch geworden ist

Die »ausgeschossenen« Seiten schicken wir vom Computer gleich an den Belichter, ❹ der mit Laserstrahlen die Nylonplatten bebildert. Die belichtete Druckplatte wird ohne Chemie zusätze nur mit Wasser ausgewaschen und dann ge­trocknet. Ein Magnetfundament hält sie in der Druckmaschine fest.

Unser Original Heidelberger Zylinder druckt nicht so schnell wie moderne Offsetmaschinen, dafür aber mit kräftig schwarzer Farbe. ❺ Beim Druck der hochstehenden Buchstaben in das Papier bricht sich das Licht an den Rändern und schafft eine winzige Reflexion, die unserem Auge schmeichelt. ❻

Die gedruckten Bogen kommen zum Buch­binder, der sie falzt ❼ und die einzelnen Lagen mit Fäden zusammenheftet. ❽ Der Buchdeckel besteht aus einer Pappe, die mit dem Einband­papier beklebt ist. ❾ Der komplette Buchblock wird an drei Seiten auf das Endformat be­schnitten, in den Deckel ein gehängt und hinter das Vorsatzpapier geklebt. ❿ Ein farbiges Kapitalband schützt den Kopf des Buchblocks und ein Leseband ist Schmuck und Orientierung gleichermaßen.

Die Edition SUHRKAMP LETTERPRESS ist in Zusammenarbeit mit dem Typografen Erik Spiekermann und der SÜPERGRÜP, einer Gruppe von sieben ausgezeichneten deutschen Designern – neben Erik Spiekermann sind das Mirko Borsche, Johannes Erler, Lars Harmsen, Sarah Illenberger, Eike König und Mario Lombardo –, entstanden ist: sieben herausragen-de Werke des 20. Jahrhunderts, alle erschienen im Suhrkamp Verlag, wurden neu gestaltet, gesetzt und von digital belichteten Platten im Buchdruckverfahren auf einem Original Heidelberger Zylinder bei p98a berlin gedruckt.

Erik Spiekermann und Sophie Bunge haben den Text zum Herstellungs- prozess verfasst, Ferdinand Ulrich hat ihn aus den Schriften FF Real und Questa gesetzt und mit Zeichnungen versehen. Der Druck erfolgte bei GALLERy PRinT auf 60 g/m2 Alster-Papier.

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Unser Original Heidelberger Zylinder druckt nicht so schnell wie moderne Offsetmaschinen, dafür aber mit kräftig schwarzer Farbe. ❺ Beim Druck der hochstehenden Buchstaben in das Papier bricht sich das Licht an den Rändern und schafft eine winzige Reflexion, die unserem Auge schmeichelt. ❻

Die gedruckten Bogen kommen zum Buch­binder, der sie falzt ❼ und die einzelnen Lagen mit Fäden zusammenheftet. ❽ Der Buchdeckel besteht aus einer Pappe, die mit dem Einband­papier beklebt ist. ❾ Der komplette Buchblock wird an drei Seiten auf das Endformat be­schnitten, in den Deckel ein gehängt und hinter das Vorsatzpapier geklebt. ❿ Ein farbiges Kapitalband schützt den Kopf des Buchblocks und ein Leseband ist Schmuck und Orientierung gleichermaßen.

Die Edition SUHRKAMP LETTERPRESS ist in Zusammenarbeit mit dem Typografen Erik Spiekermann und der SÜPERGRÜP, einer Gruppe von sieben ausgezeichneten deutschen Designern – neben Erik Spiekermann sind das Mirko Borsche, Johannes Erler, Lars Harmsen, Sarah Illenberger, Eike König und Mario Lombardo –, entstanden ist: sieben herausragen-de Werke des 20. Jahrhunderts, alle erschienen im Suhrkamp Verlag, wurden neu gestaltet, gesetzt und von digital belichteten Platten im Buchdruckverfahren auf einem Original Heidelberger Zylinder bei p98a berlin gedruckt.

Erik Spiekermann und Sophie Bunge haben den Text zum Herstellungs- prozess verfasst, Ferdinand Ulrich hat ihn aus den Schriften FF Real und Questa gesetzt und mit Zeichnungen versehen. Der Druck erfolgte bei GALLERy PRinT auf 60 g/m2 Alster-Papier.

© Suhrkamp VerlagBerlin 2017

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Die fertig gebundenen Bücher werden ein­geschweißt und auf Paletten abgesetzt. Aus der Buchbinderei gehen sie in die Verlagsaus­lieferung, von dort in den Buchhandel und aus dem Buchhandel dann zu den Leserinnen und Lesern.

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Ein Buch ist erst ein Buch, wenn es ein Buch geworden ist

Die »ausgeschossenen« Seiten schicken wir vom Computer gleich an den Belichter, ❹ der mit Laserstrahlen die Nylonplatten bebildert. Die belichtete Druckplatte wird ohne Chemie zusätze nur mit Wasser ausgewaschen und dann ge­trocknet. Ein Magnetfundament hält sie in der Druckmaschine fest.