Update Medizinprodukterecht: Was ist neu für Anwender und Betreiber?

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Update Medizinprodukterecht: Was ist neu für Anwender und Betreiber? In den letzten Jahren hat sich das Recht der Medizinprodukte zu einem der wichtigsten Anwendungs- gebiete des Haftungsrechts entwickelt. Der Grund dafür liegt auf der Hand: das Gefährdungspotenzial von Medizinprodukten. Fehler und Mängel bei Medizinprodukten oder eine falsche Bedienung bedeuten nicht nur eine Gefahr für die Anwender, sondern vor allem auch für die Patienten. Dr. Tobias Weimer // Bochum D as Recht der Medizinprodukte ist an Komplexität kaum zu überbieten. Dies beruht nicht zuletzt auf der hohen Zahl der einschlägigen gesetzlichen und Verordnungsregelwerke sowie dem Umstand, dass eine Vielzahl von unterschiedlichen Produkten wie etwa Herzklappen, Säuglingsinkubatoren, Haſtkleber für Zahnim- plantate und Infusionspumpen sowie deren Zubehör notgedrun- gen erfasst werden müssen. Bei Fehlern oder Mängeln können sie statt einem erhoen therapeutischen oder diagnostischen Nut- zen dann zu gesundheitlichen Schäden und auch zu Todesfällen führen. Nach Untersuchungen werden ungefähr zwei Drittel aller Zwischenfälle mit Medizinprodukten durch falsche Bedienung und Wartung hervorgerufen. Daneben führen insbesondere Kom- patibilitätsprobleme von Original- und sonstigen Ersatzteilen, Originalgerät und Fremdzubehör beziehungsweise Hersteller- oder Fremdservice zu haſtungsträchtigen Zwischenfällen. Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber dem Betreiber sowie Anwender von Medizinprodukten und damit auch dem Zahn- arzt einen umfassenden Pflichtenkatalog aufgegeben, um dem Patienten, sich selbst und Dritte bei dem Gebrauch zu schützen. Der Zahnarzt als Betreiber eines Medizinprodukts darf nur Personen mit der Anwendung von Medizinprodukten beauf- tragen, die über die dafür erforderliche Ausbildung oder erfor- derlichen Kenntnisse und praktischen Erfahrungen verfügen. Der Anwender hat sich vor der Anwendung von der Funkti- onsfähigkeit und dem ordnungsgemäßen Zustand zu überzeu- gen. Aktive Medizinprodukte der Anlage 1 (wie zum Beispiel Dialysegerät, Infusionspumpen) darf der Betreiber nur nutzen, wenn vor der erstmaligen Inbetriebnahme des Medizinprodukts eine Einweisung und Funkti- onsprüfung am Einsatzort durch den Hersteller oder eine dazu befugte Person vorgenommen wurden. Werden Geräte kombiniert, wird es heikel Weiter erstreckt sich die Verantwortung des Betreibers auf die Überprüfung anhand der Gebrauchsanweisung sowie weiterer Herstellerangaben, ob Kombinationen von Medizinprodukten überhaupt zulässig sind. Ein Medizinprodukt darf nicht einfach umfunktioniert werden, da Medizinprodukte nicht entgegen ihrer Zweckbestimmung betrieben werden dürfen. Die Zweck- bestimmung ergibt sich wiederum regelhaſt aus der Gebrauchs- anweisung des Herstellers. Doch gerade die Frage der Kompati- bilität lässt sich nicht pauschal, sondern nur im Einzelfall über- prüfen. Eine eindeutige haſtungsrechtliche Situation liegt nur vor, wenn der den Schaden verursachende Fehler ausschließlich auf ein Produkt zurückgeht, ohne dass ein Zusammenhang mit dem kombinierten Produkt besteht. Schließt der Hersteller die Kompatibilität mit Zubehör aus oder wird dies nicht in der Posi- tivliste genannt, wird die Kompatibilitätserklärung des Zube- hörherstellers zweifelhaſt. In diesen Fällen sind Betreiber und Anwender zu erhöhter Sorgfalt verpflichtet, wenn sie jegliche Haſtung vermeiden wollen, denn Patienten, Anwender oder Drit- te dürfen letztlich durch den Betrieb und die Anwendung von Medizinprodukten nicht gefährdet werden. In die Zuständigkeit des Zahnarztes als Betreiber fallen auch die regelmäßige Wartung, Instandsetzung und hygienische Auf- bereitung beziehungsweise die Sicherstellung dieser Aktionen. Dazu dürfen nur Personen, Betriebe oder Einrichtungen beauf- tragt werden, die fachlich qualifiziert sind und über die notwen- dige räumliche sowie technische Ausstattung verfügen. Gera- de im zahnärztlichen Bereich landen hier immer wieder Verfeh- lungen vor Gericht. So bestätigte das Verwaltungsgericht Gel- senkirchen die Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen einen Zahnarzt, der ein Handstück nicht im Rahmen eines validierten Auereitungsverfahrens, wie vom Gesetz gefordert, instand set- zen ließ, obwohl es der Kategorie „kritisch B“ zuzuordnen war. Das bedeutet, der Erfolg dieser Verfahren muss nachvollziehbar gewährleistet sein, was wiederum eine nachvollziehbare Doku- mentation voraussetzt. Will man also von Herstellerangaben bei den Auereitungsverfahren abweichen, ist dies zu begründen und zu dokumentieren. Nicht ausreichend ist, dass der Zahnarzt für sich davon ausgeht, dass das auereitete Medizinprodukt auch ohne ein validiertes Verfahren steril ist. Letztlich postuliert die praxis 44 DER JUNGE ZAHNARZT 04 | 2013

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Update Medizinprodukterecht: Was ist neu für Anwender und Betreiber? In den letzten Jahren hat sich das Recht der Medizinprodukte zu einem der wichtigsten Anwendungs-gebiete des Haftungsrechts entwickelt. Der Grund dafür liegt auf der Hand: das Gefährdungspotenzial von Medizinprodukten. Fehler und Mängel bei Medizinprodukten oder eine falsche Bedienung bedeuten nicht nur eine Gefahr für die Anwender, sondern vor allem auch für die Patienten.

Dr. Tobias Weimer // Bochum

Das Recht der Medizinprodukte ist an Komplexität kaum zu überbieten. Dies beruht nicht zuletzt auf der hohen Zahl der

einschlägigen gesetzlichen und Verordnungsregelwerke sowie dem Umstand, dass eine Vielzahl von unterschiedlichen Produkten wie etwa Herzklappen, Säuglingsinkubatoren, Ha�kleber für Zahnim-plantate und Infusionspumpen sowie deren Zubehör notgedrun-gen erfasst werden müssen. Bei Fehlern oder Mängeln können sie statt einem erho�en therapeutischen oder diagnostischen Nut-zen dann zu gesundheitlichen Schäden und auch zu Todesfällen führen. Nach Untersuchungen werden ungefähr zwei Drittel aller Zwischenfälle mit Medizinprodukten durch falsche Bedienung und Wartung hervorgerufen. Daneben führen insbesondere Kom-patibilitätsprobleme von Original- und sonstigen Ersatzteilen, Originalgerät und Fremdzubehör beziehungsweise Hersteller- oder Fremdservice zu ha�ungsträchtigen Zwischenfällen. Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber dem Betreiber sowie Anwender von Medizinprodukten und damit auch dem Zahn-arzt einen umfassenden P�ichtenkatalog aufgegeben, um dem Patienten, sich selbst und Dritte bei dem Gebrauch zu schützen.

Der Zahnarzt als Betreiber eines Medizinprodukts darf nur Personen mit der Anwendung von Medizinprodukten beauf-tragen, die über die dafür erforderliche Ausbildung oder erfor-derlichen Kenntnisse und praktischen Erfahrungen verfügen. Der Anwender hat sich vor der Anwendung von der Funkti-onsfähigkeit und dem ordnungsgemäßen Zustand zu überzeu-gen. Aktive Medizinprodukte der Anlage 1 (wie zum Beispiel Dialysegerät, Infusionspumpen) darf der Betreiber nur nutzen, wenn vor der erstmaligen Inbetriebnahme des Medizinprodukts eine Einweisung und Funkti-

onsprüfung am Einsatzort durch den Hersteller oder eine dazu befugte Person vorgenommen wurden.

Werden Geräte kombiniert, wird es heikelWeiter erstreckt sich die Verantwortung des Betreibers auf die Überprüfung anhand der Gebrauchsanweisung sowie weiterer Herstellerangaben, ob Kombinationen von Medizinprodukten überhaupt zulässig sind. Ein Medizinprodukt darf nicht einfach umfunktioniert werden, da Medizinprodukte nicht entgegen ihrer Zweckbestimmung betrieben werden dürfen. Die Zweck-bestimmung ergibt sich wiederum regelha� aus der Gebrauchs-anweisung des Herstellers. Doch gerade die Frage der Kompati-bilität lässt sich nicht pauschal, sondern nur im Einzelfall über-prüfen. Eine eindeutige ha�ungsrechtliche Situation liegt nur vor, wenn der den Schaden verursachende Fehler ausschließlich auf ein Produkt zurückgeht, ohne dass ein Zusammenhang mit dem kombinierten Produkt besteht. Schließt der Hersteller die Kompatibilität mit Zubehör aus oder wird dies nicht in der Posi-tivliste genannt, wird die Kompatibilitätserklärung des Zube-hörherstellers zweifelha�. In diesen Fällen sind Betreiber und Anwender zu erhöhter Sorgfalt verp�ichtet, wenn sie jegliche Ha�ung vermeiden wollen, denn Patienten, Anwender oder Drit-te dürfen letztlich durch den Betrieb und die Anwendung von Medizinprodukten nicht gefährdet werden.

In die Zuständigkeit des Zahnarztes als Betreiber fallen auch die regelmäßige Wartung, Instandsetzung und hygienische Auf-bereitung beziehungsweise die Sicherstellung dieser Aktionen. Dazu dürfen nur Personen, Betriebe oder Einrichtungen beauf-tragt werden, die fachlich quali�ziert sind und über die notwen-dige räumliche sowie technische Ausstattung verfügen. Gera-de im zahnärztlichen Bereich landen hier immer wieder Verfeh-lungen vor Gericht. So bestätigte das Verwaltungsgericht Gel-senkirchen die Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen einen Zahnarzt, der ein Handstück nicht im Rahmen eines validierten Au�ereitungsverfahrens, wie vom Gesetz gefordert, instand set-zen ließ, obwohl es der Kategorie „kritisch B“ zuzuordnen war. Das bedeutet, der Erfolg dieser Verfahren muss nachvollziehbar gewährleistet sein, was wiederum eine nachvollziehbare Doku-mentation voraussetzt. Will man also von Herstellerangaben bei den Au�ereitungsverfahren abweichen, ist dies zu begründen und zu dokumentieren. Nicht ausreichend ist, dass der Zahnarzt für sich davon ausgeht, dass das au�ereitete Medizinprodukt auch ohne ein validiertes Verfahren steril ist. Letztlich postuliert die

praxis

44 DER JUNGE ZAHNARZT 04 | 2013

Empfehlung des Robert Koch-Instituts (RKI, Stand 2012) einen Vorrang der maschinellen Reinigung bei Kritisch-B-Produkten gegenüber der manuellen Reinigung. Dies gilt es zu beachten, denn die Einhaltung der RKI-Empfehlung bewirkt eine Vermu-tung der „Ordnungsmäßigkeit des Verfahrens“.

Regelmäßig die Lagerbestände kontrollierenFür aktive nichtimplantierbare Medizinprodukte hat der Betrei-ber ein Bestandsverzeichnis und regelha� ein Medizinprodukte-buch zu führen. Regelmäßig schreibt der Hersteller sicherheits-technische Kontrollen (STK) vor, die in bestimmten Fristen durchgeführt werden müssen. Letztlich dürfen Medizinpro-dukte, deren Verfalldaten abgelaufen sind, nicht mehr betrieben werden. Der Zahnarzt als Betreiber und Anwender von Medi-zinprodukten sollte folglich die Lagerbestände regelmäßig auf das Verfalldatum überprüfen.

Nach alledem ergeben sich für die Zahnärzte als Betreiber und Anwender von Medizinprodukten umfangreiche P�ichten. Um hier nicht unnötig ein Ha�ungsrisiko zivilrechtlich und auch strafrechtlich einzugehen, wird dringend angeraten, diese Ver-p�ichtungen ernst zu nehmen. Tritt durch die Anwendung eines mangelha�en oder durch den fehlerha�en Einsatz eines Medi-zinprodukts verschuldet ein Gesundheitsschaden ein, kann der verletzte Patient Schadensersatz und Schmerzensgeld verlangen, da der fehlerha�e Einsatz und die nichtordnungsgemäße Ver-wendung eines Medizinprodukts grundsätzlich einen Behand-lungsfehler darstellen. Der Zahnarzt ist aufgrund des geschlos-senen Behandlungsvertrags dazu verp�ichtet, dass Medizinpro-dukt sorgfaltsgemäß einzusetzen beziehungsweise kein fehler-ha�es Produkt zu verwenden. Es handelt sich dabei um eine ver-tragliche Nebenp�icht in Form der Beachtung sogenannter Ver-kehrssicherungsp�ichten. Verkehrssicherungsp�ichten beruhen auf dem Gedanken, dass jeder, der Gefahrenquellen scha�, die notwendigen Vorkehrungen zum Schutze Dritter zu tre�en hat. Verstößt der Betreiber/Anwender schuldha� gegen diese P�icht, ist er vertraglich zum Schadensersatz und Schmerzensgeld ver-p�ichtet. Das Verschulden des jeweils behandelnden zahnärzt-lichen Personals wird dem Arbeitgeber „Zahnarzt“ zugerechnet, da diese als seine Erfüllungsgehilfen handeln. Darüber hinaus stellen die Vorschri�en des Medizinproduktegesetzes (MPG) und der Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV) Schutz-gesetze dar und sind damit Ausdruck der allgemeinen Verkehrs-sicherungsp�icht, andere vor Schaden durch eine gescha�ene

Gefahrenquelle zu bewahren. Schuldha�e, das heißt, auch schon leicht fahrlässige Verstöße gegen diese P�ichten führen daher ohne Weiteres zu einer Betreiber-, Anwenderha�ung des Zahnarztes.

Zudem ist seit dem 01.01.2013 die sogenannte MPG-Ver-waltungsvorschri� in Kra�. Sie normiert Überwachungs- und Inspektionsp�ichten der Überwachungsbehörden. Danach darf die Überwachungsbehörde:→ vor Ort, angekündigt oder unangekündigt Inspektionen

durchführen, zum Zwecke der Feststellung, ob insbesonde-re die Voraussetzungen

→ zur Inbetriebnahme, → zum Errichten, Betreiben, Anwenden und Instandhalten

von Medizinprodukten und → zur Au�ereitung von Medizinprodukten, die bestim-

mungsgemäß keimarm oder steril zur Anwendung kommen,

→ erfüllt sind,→ anlassbezogene Inspektionen durchführen, insbesondere

aufgrund von Verbraucherbeschwerden, sonstigen Bean-standungen oder Berichten und Meldungen über mögliche Gefährdungen durch Medizinprodukte.

Das sagt der Coach

Wenn die zuständige Behörde den Verdacht einer Straftat hat, also zum Beispiel einer möglichen

Gefährdung durch ein mangelha�es Medizinprodukt, ist die zuständige Staatsanwaltscha� zwingend zu informie-ren. Das heißt, im Fall der Fälle drohen dem beschuldig-ten Zahnarzt hohe Strafen – bis hin zur Betriebsschließung oder gar Freiheitsentzug. Dies macht den Ernst der Sache und die deshalb nötige sachverständige Beratung deutlich.

Dr. Tobias Weimer // M.A. Fachanwalt für Medizinrecht WEIMER I BORK – Kanzlei für Medizin- & Strafrecht www. kanzlei-weimer-bork.de

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45DER JUNGE ZAHNARZT 04 | 2013