Urner Reusstal: Autobahn als Hochwasserschutz

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Urner Reusstal: Autobahn als Hochwasserschutz Das Urner Reusstal gleicht einem Nadelöhr, das sowohl die Autobahn als auch die Reuss passieren müssen. Der Platzmangel erfordert es, die vorhandene Infrastruktur in die Massnahmen des Hochwasserschutzes zu integrieren. So wird im Extremfall die Autobahn zum Entlastungsgerinne. SG ZG ZG UR UR TI TI GL GL AI AI AR AR Liechtenstein Liechtenstein GR GR SZ SZ OW OW NW NW LU LU ZH ZH SH SH TG TG SO SO AG AG BL BL BS BS BE BE FR FR NE NE VS VS GE GE VD VD JU JU SG SG UR UR

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Urner Reusstal: Autobahn als Hochwasserschutz

Das Urner Reusstal gleicht einem Nadelöhr, das sowohl die Autobahn als auch die Reuss passieren müssen. Der Platzmangel erfordert es, die vorhandene Infrastruktur in die Massnahmen des Hochwasserschutzes zu integrieren. So wird im Extremfall die Autobahn zum Entlastungsgerinne.

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Süd-Verbindungen – teilweisegesperrt. Allein im Urnerland belie-fen sich die Schäden auf knapp 500 Millionen Franken.

Die Ursachen

Eine breit angelegte Ursachenana-lyse und der Blick in die Archive der Klimageschichte zeigten, dasssolche Starkregen und Hochwasserin den Alpen nichts Neues sind.Und die Statistik verrät, dass alle 75 bis 100 Jahre mit einem ver-gleichbaren Ereignis zu rechnen ist.Dass im Jahr 1987 grössere Schä-den anfielen als je zuvor, ist dennauch weniger der Unberechen-barkeit der Natur zuzuschreiben alsdem Umstand, dass während derletzten Jahrzehnte in denAlpentälern kostspielige Anlagenerrichtet wurden: In Strassen-,Eisenbahn- und Stromnetz wurdenMillionen investiert.

Auch im Reusstal hat sich dieNutzung intensiviert, und die Auto-bahn – Hauptverkehrsachse vomNorden in den Süden – dominiert dasTal. Dort, wo sich hohe Sachwerteballen, muss das Schadenausmasszwangsläufig umso grösser aus-fallen. Die Bewohner wiegen sich intrügerischer Sicherheit – zumal siein die Dämme vertrauten, die vor150 Jahren errichtet worden waren.

Die Massnahmen

Kostspielige Infrastruktur schafftSachzwänge, denn man kann sienicht einfach verschieben. So auchdie Autobahn N2, die zwischenAttinghausen und Seedorf dichtneben der Reuss verläuft und nureinen begrenzten Ausbau desKanals zuliess. Die Hochwasser-schutzmassnahmen im UrnerReusstal beruhen daher auf mehre-ren Elementen.

So wurde die Kapazität des Reuss-kanals um rund einen Drittel ver-grössert, indem er um bis zu 5 Meter verbreitert und seine Dämme bei der Sanierung um etwa 1 Metererhöht wurden. Das Fassungsver-mögen des Kanals reicht nun ausfür ein Ereignis, wie es alle 50 Jahreeintritt. Übersicht über die Massnahmen des Hochwasserschutzes im Urner Reusstal

Ein Dammbruch im Hochwasser 1987

Hochwasserschutzmauer

Durchlass Rampe N 4

Gerinneausbau

SekundärmassnahmenAltdorfer Giessen

Entlastung ReussdeltaSekundärdamm Reussdelta

EntlastungsanlageAltdorf

Das Ereignis

Dass sich das Jahr 1987 zum eigent-lichen Katastrophenjahr entwickelnwürde, kündete sich bereits MitteJuli an, als sintflutartiger Regen dieKantone Graubünden und Tessinverwüstete. Gut einen Monatspäter brachen vom 24. auf den 25.August extreme Niederschlägeüber dem Gotthardgebiet nieder.Die Reuss führte Wassermengenvon 820 Kubikmetern pro Sekundestatt der sonst zu dieser Jahreszeitüblichen rund 150.

Die Folgen waren verheerend. Andrei Stellen durchbrach die Reussihre Dämme. Die Wassermassenuntergruben Eisenbahnschienen,rissen ganze Häuser weg undspülten bei Wassen einen Auto-bahnpfeiler frei, so dass die Natio-nalstrassenbrücke um mehr als ei-nen Meter absackte. 270 HektarenLand standen unter Wasser, rund500 Wohn- und 200 Wirtschafts-gebäude wurden überschwemmt,und es ertranken 800 Nutztiere.Während Wochen blieb die Auto-bahn – eine der wichtigsten Nord-

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Um bei noch grösseren Abfluss-mengen Dammbrüche zu verhin-dern, wurde bei Altdorf eine soge-nannte Entlastungsanlage errichtet.Das Bauwerk, das bei Hochwasserdie geballte Kraft eines Abflussesvon 120 Kubikmeter pro Sekundeverkraften muss, ist robust kon-struiert und lässt die Wassermassenkontrolliert über den Damm auf dieAutobahn strömen. Diese wird zumEntlastungsgerinne – natürlich erst,nachdem sie gesperrt wurde undfrei von Autos ist. Nahe den Auto-bahnbrücken führen weitere Ent-lastungskanäle am linken FlussuferWasser ins Reussdelta ab, damitsich das Treibholz an den Brücken-pfeilern nicht verkeilt und den Flussstaut.

Bei 100-jährlichen und seltenerenHochwasserabflüssen wird indesselbst die Nationalstrasse als Ent-lastungsgerinne nicht ausreichenund Wasser auch in die Ebene aus-treten. In solchen Fällen würde dasWasser die Mauer längs der Auto-bahn überströmen, die als Lärm-und Hochwasserschutz gleicher-massen dient, und landwirtschaft-lich genutzte Flächen überfluten. Ineinem breiten Abflusskorridor, derrechtsufrig durch einen sekundärenSchutzdamm entlang dem Altdor-fer Giessen begrenzt wird, fliesstdas Wasser dem See zu. Damit sicham Nationalstrassenzubringer keinWasser stauen kann, wurde derAutobahndamm der N4 mit einemDurchlass versehen. Der AltdorferGiessen, der zuvor in einenschnurgeraden Kanal gezwängtwar, verläuft nun leicht geschwun-gen. An Prall- und Gleitufer ent-stehen abwechslungsreiche Lebens-räume für Tiere und Pflanzen.

Zugleich schützt sein höher gelege-nes Ufer die überbauten Gebietevon Altdorf und Flüelen vor Hoch-wasser. Eine Überflutung derDörfer, wie sie 1987 eintrat, wirddadurch verhindert.

Das System zur Hochwasseralar-mierung, ein zentraler Bestandteilder Schutzmassnahmen, ist unab-dingbar, um die Autobahn recht-zeitig für den Verkehr sperren zu können. Denn viel Zeit steht nichtzur Verfügung – fliesst erst einmalWasser über die Dämme, bildet sich auf der Fahrbahn in wenigenMinuten eine 1,5 Meter hohe Flutwelle. Daher wird der Pegel derReuss ständig gemessen, und dieWerte werden direkt in die Kom-mandozentrale bei Flüelen übertra-gen. Bei einem Abfluss von 350 Kubikmeter pro Sekunde ertönt einAlarmhorn – es verbleiben dannnoch drei Stunden bis zur Über-flutung. Bei 450 Kubikmeter pro Sekunde wird die Autobahn ge-sperrt und der Verkehr umgeleitet.

Wenn die Abflusskapazität des Reusskanals nicht ausreicht, werden die Wassermassen kontrolliert auf die Autobahn geleitet, die dann als Entlastungsgerinne dient.

Das renaturierte Bett des Giessen verläuft heute sanft geschwungen.

ReussdammEntlastungs-anlage

A2SchutzmauerReussebene

Wasser auf Autobahn Wasserstand bei Überströmen

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BauherrschaftBaudirektion Kanton Uri, Altdorf

ProjektleitungAmt für Tiefbau Uri, Abteilung Wasser-bau, Altdorf

Planung, Ausarbeitung technischerBerichteIngenieurgemeinschaft Projekta AG/Basler & Hofmann, Altdorf

Beteiligte Unternehmungen, Institutionen und Personen

Externe FachstellenETH Zürich, Versuchsanstalt für Wasser-bau (VAW), Zürich; Martin Jäggi, Ebmattingen (Beratender Ingenieur für Flussbau und Flussmorphologie); Büro für Gewässer- und FischereifragenAG, Solothurn

Zuständiger Experte BWG Hans Peter Willi

Die Bilanz

Von einem grossen Hochwasserwurden die Schutzmassnahmennoch nicht geprüft. Das Alarm-konzept wurde jedoch schon aufdie Probe gestellt. Wassermengen(430 m3/s), wie sie der ReusskanalMitte November 2002 verkraftenmusste, vermochten den saniertenDämmen nichts anzuhaben.

Ein Wasserbaulehrpfad entlang derReuss erklärt das vorbildliche Hoch-wasserschutzkonzept, das aufeinfallsreiche Art die vorhandeneInfrastruktur einbindet, und stelltdie einzelnen Elemente daraus «inNatura» vor.

Ausgangslage

EinzugsgebietA=832 km2; Höchster Punkt: 3630 m ü.M. (Dammstock), tiefster Punkt: 434 m ü.M. (Urner See)11% Vergletscherung, 11% Waldanteil,54% Ödland (einschliesslich Vergletsche-rung), 26% Weidegebiet, 8% Wiesenund Äcker, 1% Siedlungsflächen

Eckdaten

Geologischer UntergrundSchwemmebene

GewässercharakterWildbach in Talebene bis Einmündungs-delta Urnersee

GefälleMittleres Gefälle im Unterlauf (Reusskanal): 5,5%

Niederschlag und ProzesseStarkregen über dem Gotthardmassiv auf bereits stark durchnässten Boden(starke Vorregen und spät einsetzendeSchneeschmelze), Andermatt: 152 l/m2

Schadenereignis 24./25. August 1987

FolgenHochwasser im ganzen Kanton Uri,Dammbrüche, Murgänge

Schadensumme (geschätzt)500 Mio. CHF im Kanton Uri

Massnahmen

Wasserbauliche Massnahmen• Entlastungsbauwerke zur Verhütung

unkontrollierter Dammbrüche (Kaskadensystem)

• Dammsanierung • Durchlass zum See zur Verhinderung

eines Rückstaus• Hochwasserschutzmauer, die gleich-

zeitig auch als Lärmschutzwand dient• Hochwasserschutz Flüelen• Alarmierungssystem

Weitere Massnahmen• Renaturierung Giessen kombiniert mit

sekundären Dämmen

Gesamtkosten• Gesamtkosten: 29 Mio. CHF

(Kostenvoranschlag lag bei 56 Mio. CHF)• Wasserbau – Bund: 13 Mio. CHF (45%)• Nationalstrasse – Bund: 9 Mio. CHF

(31%)• Besonders bevorteilte Dritte

(SBB, VBS, PTT): 3 Mio. CHF (10%)• Kanton: 4 Mio. CHF (14%)

Abfluss

Kapazität Spitze Kapazitätvor Ausbau während Ereignis nach Ausbau

550–600 m3/s 820 m3/s 720 m3/s (100-jährliches Ereignis)(Reusskanal) (Reusskanal) im kritischen Bereich

Impressum

Herausgeber Bundesamt für Wasser und Geologie BWG

Konzept, Text Egger Kommunikation Bern,Lucienne Rey

Gestaltung Scarton+Stingelin SGD, Bern

Fachliche Simone Hunziker,Begleitung Ernst Philipp,

Hans Peter Willi

Bildnachweis Amt für Tiefbau Uri, Abtei-lung Wasserbau, Altdorf;Bildagentur AURA, EmanuelAmmon; Bundesamt für Wasser und Geologie BWG

Internethinweis Die Publikation ist im PDF-Format auf der BWG-Internet-site www.bwg.admin.chals Download verfügbar

Copyright © BWG, Biel, Dezember 2004