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Historisches Lernen im Internet Geschichtsdidaktik und Neue Medien WOCHEN SCHAU GESCHICHTE Uwe Danker, Astrid Schwabe (Hrsg.) FORUM HISTORISCHES LERNEN © Wochenschau Verlag, Schwalbach/Ts.

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Historisches Lernen

im InternetGeschichtsdidaktik und Neue Medien

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FORUM H ISTORISCHES LERNEN

Zu diesem Buch:

Das Internet ist ein fest etablierter und rasant wachsender Raum historischen Lernens. Der Umgang mit digitalen Medien findet dabei allerdings weitgehend ungesteuert, ja anarchisch statt. Der Band systematisiert und bündelt die aktu-elle fachdidaktische Diskussion und gibt Anregungen für die Unterrichtspraxis.Die Autorinnen und Autoren stammen aus der Geschichtsdidaktik, der Museo-logie, den Medienwissenschaften, dem Verlagswesen und der Medienproduk-tion.

Zur Reihe:

FORUM HISTORISCHES LERNEN ist eine Reihe, in der in unregelmäßigen Abständen grundlegende theoretische und praxisorientierte Beiträge zu Fragen des histo-rischen Lernens und der historisch-politischen Bildung erscheinen. Diese Bei-träge sollen einen neuen Geschichtsunterricht und neue Mittel und Wege his-torischen Lernens begründen.

FORUM HISTORISCHES LERNEN wird herausgegeben von Ulrich Mayer, Hans-Jürgen Pandel, Gerhard Schneider und Bernd Schönemann in Verbindung mit Michele Barricelli und Peter Gautschi.

Zu den Herausgebern:

Dr. Uwe Danker, geb. 1956, ist Professor und Direktor am Institut für Geschichte und ihre Didaktik der Universität Flensburg sowie Direktor am Institut für schleswig-holsteinische Zeit- und Regionalgeschichte an der Universität Flensburg.

Astrid Schwabe M.A., geb. 1977, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für schleswig-holsteinische Zeit- und Regionalgeschichte an der Universität Flensburg.

ISBN 978-3-89974441-5

© Wochenschau Verlag, Schwalbach/Ts.

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Geschichtsdidaktikund Neue Medien

FORUM HISTORISCHES LERNEN

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HistorischesLernen im

Internet

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Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf inirgendeiner Form (Druck, Fotokopie oder einem anderenVerfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlagesreproduziert oder unter Verwendung elektronischerSysteme verarbeitet werden.

Die Reihe „Forum Historisches Lernen“wird herausgegeben vonUlrich MayerHans-Jürgen PandelGerhard SchneiderBernd Schönemann

in Verbindung mit

Michele BarricelliPeter Gautschi

Umschlaggestaltung: Klaus OhlGesamtherstellung: Wochenschau VerlagISBN 978-3-7344-0053-7

© WOCHENSCHAU Verlag, Dr. Kurt Debus GmbHSchwalbach/Ts. 20141. Auflage 2008 erschienen unter der ISBN 978-3-89974441-5

www.wochenschau-verlag.de

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Datensind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

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Inhalt

Uwe Danker und Astrid SchwabeEinleitung .................................................................................................... 5

Waldemar GroschDas Internet als Raum historischen Lernens – eine Bestandsaufnahme ..... 13

Gerhard Henke-BockschatzEinführender Kommentar: Geschichtsdidaktik und Neue Medien ........... 36

Andreas KörberKompetenzorientiertes Geschichtslernen in virtuellen Räumen? ............... 42

Uwe Danker und Astrid SchwabeNormative fachdidaktische Anforderungen an virtuelle Geschichts-präsentationen. Möglichkeiten und Grenzen der Umsetzungam Projektbeispiel eines ‚Virtuellen Museums‘ ......................................... 60

Oliver NäpelHistorisches Lernen im Internet? Legitimation, Anspruchund Wirklichkeit geschichtsdidaktischer Normativefür Geschichtsangebote im Cyberspace ..................................................... 90

Vadim OswaltVirtuelle Gedenkstätten, hypertextuelle Lernwelten und enzyklopädischeWissensspeicher – Unterrichtsorientierte Software zur Neuerenund Neuesten Geschichte ........................................................................ 108

Christoph SchäferGeschichtswissenschaft und Medienproduktion –Versuch einer Synthese am Beispiel einer didaktischen DVD ................. 123

Thomas HilmerProjektorientiertes und entdeckend-forschendes Lernenim und mit dem Internet mithilfe der ‚WebQuest‘-Methode .................. 131

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Sabrina Keit und Karl Heinrich PohlEinführender Kommentar: Historische Narrationen im Hypertext ......... 147

Werner SchweibenzDas virtuelle Museum im Internet als Lernort. Konstruktivismus,‚Flow‘, Narration und digitales Storytelling ............................................. 154

Jakob KrameritschHypertext reloaded. Wunschmaschine oder Medium für Historikerund Historikerinnen? .............................................................................. 169

Jan HodelHistorische Narrationen im digitalen Zeitalter ........................................ 182

Peter HaberAnmerkungen zur Narrativität und zur Medialität von Geschichteim digitalen Zeitalter ............................................................................... 196

Julia HornigDie Anbieterseite: Multimedia-Anwendungen –das Konzept des ‚Willy-Brandt-Hauses Lübeck‘ ...................................... 205

Uwe SeemannProjektbericht ,Memorial Museums – Interactive and Online‘:Oral History und Gedenkkultur zwischen Datenbanken und,World Wide Web‘ am Beispiel des ‚Orts der Information‘ .................... 218

Ralf KasperDie Unterrichtssoftware ,Erlebte Geschichte: Nationalsozialismus‘ ........ 225

Karl WilschkyGeschichte und Geschehen multimedial – ,Das 20. Jahrhundert –Die Jahre 1914-1949‘ .............................................................................. 237

Peter LautzasEin bilanzierender Kommentar zur Konferenz ,Das Internetals Raum historischen Lernens‘ ............................................................... 249

Autorinnen und Autoren ......................................................................... 254

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Uwe Danker und Astrid Schwabe

Einleitung

Die ‚Neuen Medien‘, und zwar in erster Linie das Internet, sind aus dem Alltagnicht mehr wegzudenken; in der Bundesrepublik gehen im Jahr 2007 fast 63Prozent aller Personen über 14 Jahre zumindest gelegentlich ‚online‘, also mehrals 40 Millionen Menschen.1 Die allermeisten von ihnen, nämlich 91 Prozent,geben an, sie nutzten vor allem das ‚World Wide Web‘ jedenfalls auch zurInformationsbeschaffung. Oft umfasst dies aktuelle Nachrichten, Serviceinfor-mationen und Freizeithinweise; doch annähernd die Hälfte der Befragten der„ARD/ZDF-Online-Studie 2007“ geben ebenfalls an, Informationen aus Wis-senschaft, Forschung und Bildung einzuholen.2 Auch wenn belastbare empiri-sche Daten über die Nutzung historischer Ressourcen im Internet und derenEinfluss auf die Geschichtskultur und das individuelle Geschichtsbewusstseinihrer ‚Userinnen‘ und ‚User‘ noch ausstehen, gilt auf der Anbieterseite: Stetigund in zunehmender Anzahl entstehen neue multimediale Geschichtsdarstel-lungen für die geschichtswissenschaftliche Community, die schulische Verwen-dung und für die breite Öffentlichkeit. Wir wissen: Diese Sektoren außerschu-lischer Geschichtskultur beeinflussen das individuelle und kollektive Ge-schichtsbewusstsein maßgeblich.3 Vor allem das Internet muss als fest etablier-ter, in seiner Bedeutung fraglos weiter wachsender Raum historischer Recher-chen und historischen Lernens begriffen werden. Wir meinen: Die Fachdidak-tik Geschichte sollte unter Akzeptanz dieser Realität sowohl analytische Aufga-ben formulieren als auch eine normative Rolle wahrnehmen.

Die begleitete schulische Nutzung der digitalen Medien spielt in der Realitätnur eine blasse Randrolle: Recherchen und historisches Lernen mit diesen

1 Vgl. Birgit von Eimeren/Beate Frees: Internetnutzung zwischen Pragmatismus undYouTube-Euphorie. ARD/ZDF-Online-Studie 2007. In: Media Perspektiven 2007, H. 8,S. 362-378, hier S. 363. Nahezu 60% der ‚Userinnen‘ und ‚User‘ verfügen in der Zwi-schenzeit über einen Breitband-Internet-Anschluss; vgl. a.a.O., S. 365.

2 Vgl. von Eimeren/Frees: Internetnutzung (Anm. 1), S. 367f. Bemerkenswert ist auch, dass30% der ‚User‘ von Regionalangeboten im Internet Bestandteile, die sich mit der Ge-schichte der Region befassen, als interessant einstuften; vgl. a.a.O., S. 368f.

3 Frühere Untersuchungen haben ergeben, dass außerunterrichtliche Medien mehr Einflussauf das Geschichtsbewusstsein ausüben als schulischer Geschichtsunterricht. Vgl. Bodovon Borries/Andreas Körber: Jugendliches Geschichtsbewusstsein im zeitgeschichtlichenProzess. In: Jörn Rüsen (Hrsg.): Geschichtsbewusstsein. Psychologische Grundlagen,Entwicklungskonzepte, empirische Befunde (Beiträge zur Geschichtskultur, 21). Köln2001, S. 317-404.

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Medien, wir denken wieder in erster Linie an das Internet, finden stark über-wiegend selbstständig, ungesteuert, ja anarchisch statt. Genau derart ungeregel-te, massenmediale Prozesse historischen Lernens finden unser besonderes Inter-esse; wir wollen sie als eine analytische wie normative Herausforderung für dieGeschichtsdidaktik begreifen!

Wie ein Blick in die einschlägige Literatur zeigt, ist ‚Geschichte und Internet‘ein inzwischen häufig beachtetes Thema. Die überwiegend an forschendeHistoriker und Historikerinnen sowie historische Informationen Suchendegerichteten Publikationen enthalten zumeist technische Einführungen, Hin-weise auf Recherche- und Kommunikationsmöglichkeiten, ‚Vernetzungen‘und Informationsportale, Potenziale der Publikation von Quellen, Diskussi-onsbeiträgen und Rezensionen, außerdem medienbezogene Schneisen durchden Dschungel des ‚World Wide Web‘ mit wertvollen kommentierten undgeordneten ‚Linksammlungen‘.4 Eigentümlicherweise aber wird in diesemExperimentierfeld in aller Regel auf eine didaktische Kritik und ausdrücklichformulierte fachdidaktische Ansprüche verzichtet. Nur einige jüngere Publika-tionen befassen sich tiefgreifender mit dem Wechselverhältnis von ‚Internetund Geschichte‘. Sie verfolgen vornehmlich die Fragestellung, welchen Einflussdie digitalen Medien und das Charakteristikum ‚Hypertext‘ auf die Geschichts-schreibung und die historische Narration haben; auch reflektieren mancheAutoren die Besonderheit des gemeinschaftlichen Schreibens in Hypertext-Projekten oder so genannten ‚Wikis‘.5

4 Vgl. Christian v. Ditfurth: Internet für Historiker. Frankfurt a.M./New York 3. aktual.Aufl. 1999; Stuart Jenks/Paul Tiedemann: Internet für Historiker. Eine praxisorientierteEinführung. Darmstadt 2. überarb. u. erw. Aufl. 2000; zahlreiche instruktive Beiträge inder Tagungsdokumentation Peter Haber/Christophe Koller/Gerold Ritter (Hrsg.): Ge-schichte und Internet. „Raumlose Orte – Geschichtslose Zeit“ (Geschichte und Informa-tik, 12). Zürich 2002; Stuart Jenks/Stephanie Marra (Hrsg.): Internet-Handbuch Ge-schichte. Köln/Weimar/Wien 2001; Waldemar Grosch: Geschichte im Internet. Tipps,Tricks und Adressen. Schwalbach/Ts. 2002; Thomas A. Schröder: Historisch relevanteRessourcen in Internet und WorldWideWeb. Angebot, Bewertung und Ausblick. In:Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 44, 1996, H. 1-3, S. 465-477; Ralf Blank: NeuesteGeschichte und Zeitgeschichte. In: Jenks/Marra (Hrsg.): Internet-Handbuch, S. 91-116;Georg Köglmeier/Daniel Schlögl: Landes- und Regionalgeschichte. In: Jenks/Marra(Hrsg.): Internet-Handbuch, S. 117-138 und weitere Beiträge in Jenks/Marra (Hrsg.):Internet-Handbuch fallen unter diese Kategorie, wie auch einige Beiträge aus dem BandAngelika Epple/Peter Haber (Hrsg.): Vom Nutzen und Nachteil des Internet für diehistorische Erkenntnis. Version 1.0 (Geschichte und Informatik, 15). Zürich 2005, z.B.Stephanie Marra; Geschichtsangebote im Internet: Populäre Rezeption und wissenschaft-liche Vermittlung, a.a.O, S. 131-138, oder auch die Mehrheit der Aufsätze in demumfänglichen Werk Daniel Burckhardt/Rüdiger Hohls/Claudia Prinz (Hrsg.): Geschich-te im Netz: Praxis, Chancen, Visionen. Beiträge der Tagung .hist 2006 (HistorischesForum, 10). Berlin 2006 (verfügbar unter http://edoc.hu-berlin.de/e_histfor/10_I/ und

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Das historische Lernen steht indes nicht im Mittelpunkt. Aktuelle Handbü-cher des Geschichte-Lehrens wie jene von Gautschi und Sauer berücksichtigenInternetangebote und CD-ROMs ihrer Anlage entsprechend kurz, aber gleich-rangig mit anderen Medien des Geschichtsunterrichts; Sauer moniert dabei diehäufig anzutreffende Vernachlässigung fachlicher Standards.6 Anderswo findensich medienpädagogische Reflexionen und Hinweise zum konkreten schuli-schen Einsatz für Lehrkräfte7 sowie gezielt für den schulischen Geschichtsun-

http://edoc.hu-berlin.de/e_histfor/10_II/ (Stand: 07.12.2007); Gudrun Gersmann: NeueMedien und Geschichtswissenschaft. Ein Zwischenbericht. In: GWU 50, 1999, H. 4, S.239-249; Stuart Jenks: Das Internet und die universitäre Lehre: Spielzeug, Werkzeug, oderTeufelszeug? Ein Erfahrungsbericht aus der Sicht eines Dozenten und seiner Studenten.In: GWU 49, 1998, H. 1, S. 30-34; ein sehr instruktiver, klar durchdachter Beitrag vonChristine Arbogast: Neue Wahrhaftigkeiten oder das endgültige Ende der Geschichte?Historika auf CD-ROM. In: Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für HistorischeSozialwissenschaft 24, 1998, H. 4, S. 633-674; auch Franz X. Eder/Heinrich Berger/JuliaCasutt-Schneeberger u.a.: Geschichte online. Einführung in das wissenschaftliche Arbei-ten. Wien u.a. 2006; Stefanie Samida: Wissenschaftskommunikation im Internet. NeueMedien in der Archäologie (Internet Research, 26). München 2006.

5 Vgl. Angelika Epple: Verlinkt, vernetzt, verführt – verloren? Innovative Kraft undGefahren der Online-Historiographie. In: Epple/Haber (Hrsg.): Vom Nutzen undNachteil des Internet (Anm. 4), S. 15-32; Jakob Krameritsch: Geschichte(n) im Hyper-text. Von Prinzen, DJs und Dramaturgen. A.a.O, S. 33-57; besonders zu berücksichtigenist die Monografie von Krameritsch: Geschichte(n) im Netzwerk. Hypertext und dessenPotenziale für die Produktion, Repräsentation und Rezeption der historischen Erzählung(Medien in der Wissenschaft, 43). Münster u.a. 2007; Peter Haber: Collaboratories. DasSchreiben der Geschichte im vernetzten Zeitalter. In: Burckhardt/Hohls/Prinz (Hrsg.):Geschichte im Netz (Anm. 4); Jakob Voß: Gemeinschaftliche Schreibprozesse in derWikipedia. In: Burckhardt/Hohls/Prinz (Hrsg.): Geschichte im Netz (Anm. 4); JanHodel: hist.collaboratory – Werkstatt für die Historische Online-Kompetenz. In: Burck-hardt/Hohls/Prinz (Hrsg.): Geschichte im Netz (Anm. 4).

6 Vgl. Peter Gautschi: Geschichte lernen. Lernwege und Lernsituationen für Jugendliche.Bern 1999, S. 144-146; Michael Sauer: Geschichte unterrichten. Eine Einführung in dieDidaktik und Methodik. Seelze-Velber 2. Aufl. 2003, S. 229-234; Hilke Günther-Arndt:Computer und Geschichtsunterricht. In: Dies. (Hrsg.): Geschichtsdidaktik. Praxishand-buch für die Sekundarstufe I und II. Berlin 2003, S. 219-232.

7 Vgl. u.a. Jens Hildebrand: Internet-Ratgeber für Lehrer. Köln 6. aktual. Aufl. 2001/2002;Christian A. Gertsch: Lernen und lehren. Eine Einführung ins Internet für das Selbststu-dium und den Unterricht. Aarau 2. überarb. Aufl. 2000; Josef Rave: Computereinsatz. In:Hans-Jürgen Pandel/Gerhard Schneider (Hrsg.): Handbuch Medien im Geschichtsunter-richt. Schwalbach/Ts. 2. Aufl. 2002, S. 591-618; Walter M. Plett: Computer im Ge-schichtsunterricht. Ein neues Medium mit neuen Möglichkeiten oder überflüssige tech-nische Spielerei? – Ein Erfahrungsbericht. In: GWU 49, 1998, H. 1, S. 22-29; FriedrichVelber: Hypermedien und Geschichtsunterricht. Ein Annäherungsversuch. In: Computer+ Unterricht Bd. 7, 1997, S. 28-30; Thomas Hilmer: WebQuest zur Bibliothek vonAlexandria. Eine internet- und quellenkritische Analyse. In: Geschichte lernen 2007, H.115, S. 29-33.

Einleitung

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terricht herausgegebene ‚Wegweiser‘. 8 Zeitschriften wie GWU, ‚GeschichteLernen‘ und ‚Praxis Geschichte‘ verfügen über hilfreiche Rubriken, die inhalt-lich strukturiert Rezensionen von Internetangeboten bieten: praxisbezogenfundiert, aber wieder keine ausdrücklich didaktisch orientierten Bewertungs-kriterien beinhaltend.9 Einige Publikationen geben ein einfaches, von MartinSachse für Schüler und Schülerinnen zum Aussortieren ,rechter ‘ Homepagesentwickeltes Bewertungsmodell wieder. 10 Es beschränkt sich allerdings aufformale, äußere (,Quellen-‘)Kritik der Internetangebote, fragt beispielsweisenach Angaben zur Autorenschaft, nach den Formen der Darstellung, nach derBeschaffenheit des Materials, nach Zitiermöglichkeiten usw. Derartige Bewer-tungsmodelle bieten wichtige Orientierungshilfe, didaktische Qualifizierun-gen jedoch nicht.

Die fachdidaktische Literatur wird von der pragmatisch praxisorientierten,aber einseitigen Perspektive auf die Nutzbarkeit des Mediums im schulischenUnterricht beherrscht,11 wenn auch die Hochschuldidaktik und Chancen undPotentiale des ‚E-Learning‘ in der letzten Zeit stärker in den Mittelpunktrücken.12 Doch die davon abweichende, sehr breite Zielgruppenorientierung

8 Vgl. Thomas A. Schröder: Geschichte im Internet: Möglichkeiten für den Unterricht. In:GWU 49, 1998, H. 1, S. 4-21; Uta Hartwig: Internet im Geschichtsunterricht. Stuttgart2001; die Themenhefte Geschichte Lernen 15, 2002, H. 89 und Praxis Geschichte 14,2001, H. 5; Klaus Fieberg: Wegweiser durch das Internet für den Geschichtsunterricht.Braunschweig 2001 (CD-ROM); gezielt für die Grundschule: Gregor Horstkemper:Geschichte lernen mit Hilfe der „Neuen Medien“. In: Waltraud Schreiber (Hrsg.): ErsteBegegnungen mit Geschichte. Grundlagen historischen Lernens (Bayrische Studien zurGeschichtsdidaktik, Bd. 1). Neuried 1999, S. 545-560; Ulrich Kröll: Digitale Werkstattfür Geschichtspädagogen. Mit Neuen Medien Geschichte lehren und lernen (ZFL Digital,3). Münster 2007 (CD-ROM).

9 Vgl. Start der CD-ROM-Rezensionen in GWU durch Gregor Horstkemper/GudrunGersmann/Robert Erber: Geschichte digital? CD-ROMs mit historischem Schwerpunkt.In: GWU 49, 1998, H. 1, S. 48-68; vgl. auch Stephanie Marra: Online-Angebote zwischenPopularität und Wissenschaft. In: Jenks/Marra (Hrsg): Internet-Handbuch (Anm. 4), S.249-264; eine Ausnahme: Vadim Oswalt: Elektronische Speichermedien Teil I und II. In:GWU 57, 2006, H. 10, S. 604-618 und H. 11, S. 677-690.

10 Martin Sachse: Rechts im Netz. Kritischer Umgang mit dem Internet. In: Geschichtelernen 15, 2002, H. 89, S. 38-41.

11 Vgl. das allerdings sehr instruktive Buch von Vadim Oswalt: Multimediale Programme imGeschichtsunterricht (Geschichte am Computer, Bd. 1). Schwalbach/Ts. 2002.

12 Vgl. u.a. Beiträge von Jan Hodel wie Historische Online-Kompetenz. Überlegungen zueinem hybriden Kompetenzmodell. In: Epple/Haber (Hrsg.): Vom Nutzen und Nachteildes Internet (Anm. 4), S. 139-162; Franz X. Eder/Eduard Fuchs: Lernmodelle und NeueMedien. Historischen Lehren und Lernen am Beispiel von „Geschichte Online“ (GO). In:Epple/Haber (Hrsg.): Vom Nutzen ... (Anm. 4), S. 163-181; Eva Pfanzelter-Sausgruber:Neue Medien in der Krise? Von der Online-Lehrveranstaltung zur Online-Lehre. In:Burckhardt/Hohls/Prinz (Hrsg.): Geschichte im Netz (Anm. 4) und weitere Beiträge zum‚E-Learning‘ in Burckhardt/Hohls/Prinz (Hrsg.): Geschichte im Netz (Anm. 4).

Uwe Danker und Astrid Schwabe

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der Produzenten historischer Angebote in den ‚Neuen Medien‘ wird mit ab-wertenden Formulierungen wie „für den Hausgebrauch“ eindeutig negativkonnotiert.13 Und fachdidaktische Bewertungskriterien wird man – fast – ver-geblich suchen.14

Berücksichtigt man das Selbstverständnis der gegenwärtigen Geschichtsdi-daktik mit ihren zentralen Begriffen ‚Geschichtsbewusstsein‘ und ‚Geschichts-kultur‘, so erscheint diese partielle Missachtung der Vermittlungswirklichkeitals ein beachtenswerter Aspekt.

Der Fachdidaktik Geschichte bieten sich unserer Ansicht nach in der Ausein-andersetzung mit den ‚Neuen Medien‘ drei Handlungsfelder an:• Natürlich ist der Versuch zu unternehmen, innerhalb des schulischen (auch

universitären und sonstigen) Geschichtsunterrichts spezifische Medien-kompetenz zu vermitteln. Zugrunde liegt die programmatische Hoffnung,dass einmal erworbene Kompetenz im kritisch-reflektierten Umgang mitGeschichte in ‚Neuen Medien‘ übertragen werde auf deren private und un-begleitete Nutzung. (Pragmatische Aufgabe der Fachdidaktik Geschichte)

• Zum Zweiten sind empirisch abgesicherte Studien über die Nutzung ‚NeuerMedien‘ beim historischen Lernen gefragt.15 Beispielsweise muss nach erstenErfahrungen davon ausgegangen werden, dass assoziatives Navigieren inhypertextuellen Strukturen eine ganz eigene Fertigkeit – oder gar neue

13 Horstkemper/Gersmann/Erber: Geschichte digital? (Anm. 9), S. 49; vgl. z.B. Sauer:Geschichte unterrichten (Anm. 5), S. 231; Marra: Online-Angebote (Anm. 9).

14 Vgl. Horstkemper/Gersmann/Erber: Geschichte digital? (Anm. 9), S. 50.; vgl. auch denKriterienkatalog bei Marra: Online-Angebote (Anm. 9), S. 261-264. Eine gewichtigeAusnahme mit ersten strukturierten Überlegungen für „geschichtsdidaktische Anforde-rungskriterien“ lieferte Mario Riemann: Historisches Lernen mit Hypermedia. Methodi-sche Grundüberlegungen. In: Bernd Schönemann/Uwe Uffelmann/Hartmut Voit (Hrsg.):Geschichtsbewusstsein und Methoden historischen Lernens (Schriften zur Geschichtsdi-daktik, 8). Weinheim 1998, S. 120-137, hier S. 126–133. Riemann formuliert und ordnetein sehr instruktives Kriterienraster mit vielen Bedingungen: „Allgemeine Anforderungs-kriterien“ (komplexe und authentische Situationen, Einnahme mehrere Perspektiven,‚Learning by doing‘) sowie „Geschichtsdidaktische Anforderungskriterien“, geordnetnach „Inhaltsstruktur“ (Mehrdimensionalität, Multiperspektivität, Problemorientierung,Quellenintegration) und „Lernstruktur“ (Problemlösung, Wert-, Identitätsaufbau); rudi-mentäre Ansätze für ein Kriterienraster finden sich bei Schröder: Geschichte im Internet(Anm. 8), S. 20; die wichtigen Kriterien der Mehrdimensionalität und Multiperspektivitätbei Robert Erber: Medienkompetenz und Geschichtswissenschaft. Konsequenzen einerveränderten Medienwelt für wissenschaftliches Studium und fachdidaktische Ausbildung.In: GWU 49, 1998, H. 1, S. 35-43, hier S. 39; vgl. Oswalt: Multimediale Programme(Anm. 11) sowie im Ansatz auch Andreas Körber: Geschichte im Internet. ZwischenOrientierungshilfe und Orientierungsbedarf. In: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik Jah-resband 2004, H. 3, S. 184-197.

15 Vgl. Andreas Körber: Neue Medien und Informationsgesellschaft als Problembereich

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Kulturtechnik – darstellt, die unabhängig von Verständnisfähigkeit und derErfahrung systematischer Lektüre entfaltet werden kann. Weiterhin schei-nen von fachdidaktischen Kriterien geleitete einschlägige Analysen histori-scher Angebote und deren Hintergründe in den ‚Neuen Medien‘ sinnvollund geboten. (Analytische Aufgabe der Fachdidaktik Geschichte)

• Aber wir meinen: Auch die Angebotsseite ist zu diskutieren. Zu leicht, somutet es an, neigt die Geschichtswissenschaft dazu, eine mindere Qualitätdes historischen Vermittlungsangebots in digitalen Medien zu beklagen,aber doch als gegeben hinzunehmen. Man scheint zu kapitulieren, wo Kritik,Auseinandersetzung und ‚Einmischung‘ angesagt wären. Gerade weil markt-orientierte massenmediale Geschichtsvermittlung uns so wirkmächtig scheint,ist der Versuch einer fachdidaktischen Normensetzung – oder jedenfallsVerbesserung – der kommerziellen oder ‚freien‘ Angebote sinnvoll. Auchsollten akademische und bildungsorientierte Vermittler die kritisierte Kon-kurrenz nicht scheuen, sondern gegebenenfalls durch eigene Produkte zuübertreffen versuchen. (Normative Aufgabe der Fachdidaktik Geschichte)

Die eingehende Diskussion über die Möglichkeiten und Grenzen fachdidakti-scher Ansprüche an die Vermittlung von Geschichte durch ‚Neue Medien‘ unddie Entwicklung solcher normativer geschichtsdidaktischer Konzepte – unterBerücksichtigung und Akzeptanz der spezifischen Charakteristika, Regeln undBedingungen dieser Medien – scheint überfällig. Geschichtsdidaktikerinnenund -didaktiker sollten sich einmischen, das Gespräch mit Produzentinnen undProduzenten entsprechender Angebote suchen, ihnen konstruktive Kritik undaktive Mitarbeit anbieten – auch wenn sie nicht immer gefragt werden.

Im Rahmen der Konferenz „Das Internet als Raum Historischen Lernens“(Universität Flensburg 8.-10. Februar 2007 im IZRG/LA Schleswig) haben wiruns fast ausschließlich mit dem dritten hier benannten Handlungsfeld beschäf-tigt und im interdisziplinären Austausch normative Ansprüche diskutiert: In dreiSektionen referierten Vertreterinnen und Vertreter aus der Geschichtsdidaktik,aus dem Referenzbereich Museologie, den Medienwissenschaften, dem Ver-lagswesen und der Medienproduktion. Ziel der Zusammenführung sehr unter-schiedlicher ‚Fachleute‘ und Interessen war es, erste Bedingungen dafür zu be-nennen, wie Vermittlungsangebote produziert werden könnten, die die Rah-menbedingungen der ‚Neuen Medien‘ berücksichtigen, sich an ein breites Pub-likum richten, sich am Markt als konkurrenzfähig erweisen, zugleich aberfachdidaktisch hochwertige Produkte darstellen.

geschichtsdidaktischer Forschung. In: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik Jahresband2002, H. 1, S. 165-181, hier S. 171. Bettina Alawi und Jan Hodel berichten in ihrenBeiträgen in der sich in Vorbereitung befindenden Dokumentation zu der Fachtagung derFachhochschule Nordwestschweiz „Geschichtsdidaktisch empirisch 07“, die im August2007 in Basel stattfand, über empirische Studien.

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Wir spüren die angedeuteten Zielkonflikte und Widersprüche zwischenAnforderungen der Fachdidaktik und der Produzentenseite, zwischen norma-tiver Theorie und medialer Praxis, zwischen den hehren Zielen an die Ge-schichtsvermittlung und den Anforderungen an ‚Usability‘ und Attraktivität inunserer täglichen Arbeit. Denn wir sind – nach dem vorläufigen politischenEnde der Planung eines realen ‚Hauses der Geschichte‘ für Schleswig-Holsteinin der Moderne – in einem konkreten Vorhaben virtueller Präsentation derjüngeren regionalen Geschichte im deutsch-dänischen Grenzraum engagiert,das wir in einem gesonderten Beitrag auch näher vorstellen werden: Beteiligt ander Erstellung dieser in einigen Bereichen neuartigen Homepage sind Wissen-schaftler und Wissenschaftlerinnen von vier Hochschulen. In dem mit EU-Fördermitteln ausgestatteten Projekt ‚Virtuelt Museum‘ sind wir also gezwun-gen, unsere hehren, theoretischen Ansprüche ab Frühjahr 2008 an der Praxis,nämlich dem Produkt ‚www.vimu.info‘ messen zu lassen. – Diese Realitätsein-bindung könnte erklären, dass wir manche unserer Ideen mit ein wenig Demutund Defensive verkoppeln ...

Dem Konzept der Konferenz folgend fassen zwei Kommentatoren dieBeiträge der beiden theoretischen Sektionen jeweils knapp zusammen undwerten vorsichtig, während Peter Lautzas (Mainz) am Ende des Bandes eineGesamtbilanz der Tagung vornimmt. Die Sektionskommentare leiten hier inder Druckfassung in den entsprechenden Abschnitt ein, der Gesamtkommen-tar des Schulpraktikers und Repräsentanten des Geschichtslehrerverbandesfindet sich, dem Tagungsverlauf entsprechend, am Ende des Bandes. Deshalbwollen wir hier auf eine weitere Vorstellung der Beiträge verzichten; einige sehrknapp gehaltene Hinweise sollen im Folgenden genügen.

In seinem ursprünglich als Eröffnungsvortrag konzipierten Beitrag liefertWaldemar Grosch (Weingarten) in Form von zehn Thesen eine Bestandsauf-nahme zum Thema der Konferenz ‚Das Internet als Raum historischen Ler-nens‘. Sie mündet in einen klaren Appell an Fachwissenschaft, Geschichtsdi-daktik und Schulpraxis, normativ in das Feld der Geschichtsvermittlung in denund durch die ‚Neuen Medien‘ hinein zu wirken.

Die Beiträge zu der Sektion „Geschichtsdidaktik und die Neuen Medien“kommentiert Gerhard Henke-Bockschatz (Frankfurt) und ergänzt sie um eineReflektion geschichtsdidaktischer Ansprüche an historische Angebote im Inter-net im Verhältnis zu den Bedürfnissen ihrer potentiellen Nutzerinnen undNutzer. Andreas Körber (Hamburg), Uwe Danker/Astrid Schwabe (Flens-burg), Oliver Näpel (Münster), Vadim Oswalt (Gießen), Christoph Schäfer(Hamburg) und Thomas Hilmer (Frankfurt) richten das Augenmerk vor allemauf die theoretische Auseinandersetzung mit dem historischen Lernen in denund durch die ‚Neuen Medien‘. Welche Anforderungen stellen multimedialehistorische Darstellungen an die Geschichtsdidaktik? Wie kann, ja muss dieseauf diese Herausforderungen reagieren? Ergänzt werden diese theoretischen,

Einleitung

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teilweise auch normativen Überlegungen durch die analytische Präsentationverschiedener multimedialer Produkte zur Geschichtsvermittlung, an derenGestaltung ausdrücklich Geschichtsdidaktikerinnen und -didaktiker mitwirk(t)en.

Die Aufsätze von Werner Schweibenz (Konstanz), Jakob Krameritsch (Wien),Jan Hodel (Aarau) und Peter Haber (Basel) in der von Karl-Heinrich Pohl undSabrina Keit (Kiel) kommentierten Sektion „Historische Narrationen imHypertext“ konzentrieren sich stärker auf medientheoretische Überlegungen:Welchen Einfluss hat das digitale Zeitalter auf die historische Narration? Wieverändern Hypertext, ‚Wikis‘ oder ‚Weblogs‘ historische Sinnstiftungsprozes-se? Welche Chancen und Gefahren bergen die ‚Neuen Medien‘ in dieserHinsicht?

Konkrete historische multimediale Produkte von professionellen Anbieternpräsentieren Autorin und Autoren in der dritten Sektion „Geschichte multime-dial – die Anbieterseite“: Während Julia Hornig und Uwe Seemann (beideBerlin) den Einsatz von Multimedia-Anwendungen im musealen Bereichthematisieren, stellen Ralf Kasper (Berlin) und Karl Wilschky (Leipzig) alsRepräsentanten von Schulbuchverlagen jeweils eine historische DVD vor.

Wir möchten allen Kolleginnen und Kollegen danken, die auf der Konferenzim Februar 2007 referierten, kommentierten und diskutierten und damit zuihrem Gelingen beitrugen. Dass quasi alle – zudem in selten erreichter Kurzfri-stigkeit und Verlässlichkeit – überarbeitete Beiträge für den hiermit vorgeleg-ten Tagungsband lieferten, erfüllt uns mit besonderer Dankbarkeit.

Die Tagung fand finanzielle Unterstützung durch die Europäische Unionmit ihrem „Interreg 3A-Programm“, das unser Projekt ‚Virtuelt museum‘mitfinanziert. Tagung und Tagungsband können ohne eine ganze Riege vonHelferinnen und Helfern, die an Vorbereitung und Durchführung mitwirken,nicht gelingen: Wir danken allen aktiven und ehemaligen Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter unseres Instituts für schleswig-holsteinische Zeit- und Regio-nalgeschichte sowie unseren studentischen Hilfskräften für ihre tatkräftigeUnterstützung. Es sind Florian Ahmer, Arne Bewersdorff, Bernhard Fox, UtaHess, Sebastian Lehmann, Ilona Schadow, Hilke Schwardt und FriederikeSteiner. Auch über die spontane Aufnahme in die Reihe „Forum HistorischesLernen“ im Wochenschau Verlag freuen wir uns.

Uwe DankerAstrid Schwabe

Schleswig/Flensburgim Mai 2008

Uwe Danker und Astrid Schwabe

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Waldemar Grosch

Das Internet als Raum historischenLernens – eine Bestandsaufnahme

Es dürfte kaum nötig sein, auf die allgemeine Bedeutung des Internets und derdigitalen Medien hinzuweisen: Der Alltag ist voll davon, man kann ihnen nichtentkommen. In der akademischen Sphäre hat sich besonders das Interneteindrucksvoll etabliert und auch die Schulen konnten sich diesem Trend nichtverschließen. Die Euphorie ist groß, doch haben sich nicht alle Erwartungenauch wirklich erfüllt. ‚Schulen ans Netz‘ oder der ‚Chip-Award‘ für die besteLernsoftware – vieles, was mit großem Schwung begonnen wurde, scheint imAlltagsgeschäft unterzugehen. Könnte es vielleicht daran liegen, dass unsereHoffnungen zu weit gespannt waren?

Welche Erwartungen haben wir überhaupt an das computerunterstützte histo-rische Lernen?• Es soll selbstbestimmt sein in der Richtung des Lernens wie in der Zeitein-

teilung (und entspricht damit etwa der traditionellen Freiarbeit mit ihrenVorzügen, aber auch dem Nachteil der nur eingeschränkt möglichen Super-vision).

• Es soll multimedial sein (aber das soll der traditionelle Geschichtsunterrichtdoch auch sein).

• Es soll differenzierte Aufgaben für die verschiedenen Leistungsniveaus be-reitstellen (kommt aber fast regelmäßig nicht über einfache ‚Multiple Choi-ce‘-Aufgaben hinaus).

• Es soll schülernah und motivierend sein (doch hat sich jede Sensation beimUmgang mit Computern bei den Schülern längst verflüchtigt).

• Es soll kommunikationsfördernd wirken (aber für viele Schülerinnen undSchüler erschöpft sich dies im ‚ICQ‘-Chat).

• Es soll materialreich sein und Recherchemöglichkeiten bieten (also wie eingutes Schulbuch und die Handbibliothek).

• Es soll zur Medienerziehung beitragen (findet aber oft in den abgegrenztenSchonräumen fertiger Lernplattformen statt oder besteht in einem reinenTraining der Internet-Benutzung).

Wenn man die in Klammern gesetzten kritischen Bemerkungen ernst nimmt,ist der Mehrwert des computerunterstützten Lernens gegenüber dem traditio-

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nellen Unterricht gar nicht so groß, und man könnte sich durchaus sorgen, dassdie teuren Computerausstattungen der Schulen das gleiche Schicksal erleidenwerden wie die einst so gepriesenen Sprachlabore. Zur Bestandsaufnahme, aberauch als Perspektive sollen folgende Thesen aufgestellt werden:

1. Das Internet hat sich als eine zentrale Möglichkeitzur Informationsgewinnung etabliert –auch und gerade beim Historischen Lernen

Es liefert, wie wir alle aus eigener Erfahrung wissen, einen unerschöpflichenSchatz an Wissen zu allen nur denkbaren Bereichen. Die ‚Online-Gemeinde‘wächst immer noch rapide: 2006 sind allein in Deutschland 1,1 Millionenneuer Nutzer hinzugekommen, 38,6 Millionen Erwachsene (das entspricht59,6%) sind durchschnittlich 48 Minuten täglich im Netz.1 Für viele wissen-schaftlich tätige Menschen ist die Nutzung des Internet eine Selbstverständlich-keit geworden – beispielsweise der ‚Karlsruher Virtuelle Katalog ‘, der sich zueinem unentbehrlichen Hilfsmittel entwickelt hat.

Dies ist schon lange eine Binsenweisheit, doch hat sich ein recht neuerAspekt ergeben, der mit der Glaubwürdigkeit der im Netz stehenden Informa-tionen zu tun hat: wer hat beispielsweise noch nie Reisekatalog-Aussagen überein Urlaubshotel mit den Bewertungen in den einschlägigen Foren verglichen?Eine informelle Umfrage unter Studierenden ergab, dass sich 80,8% der Be-fragten im Internet über ihr Urlaubsreiseziel informierten. 2 Könnte dies be-deuten, dass wir den Auskünften professioneller Reisekaufleuten weniger ver-trauen als dem Internet – obwohl wir dort teilweise über hundert Hotelbewer-tungen mit widersprüchlichen Aussagen vorfinden? Deren Relevanz und Pro-venienz sind aber völlig unklar – könnten nicht vielleicht die Hotelbetreiberselbst dafür gesorgt haben, dass sie durch positive Aussagen vor wirtschaftli-chem Schaden bewahrt bleiben? Wirtschaftliche Überlegungen spielen dabeiselbstverständlich eine bedeutende Rolle – aber auch das ‚Ansehen‘, das einAnbieter selbst im Web genießt. Wer einmal gesehen hat, wie ein ‚Ebay‘-Verkäufer vor einer negativen Bewertung zittert, weiß, was damit gemeint ist.

Vielleicht ist dieses Ansehen einer der Gründe, weshalb (vermeintlich) nicht-kommerzielle Internet-Angebote – neben ihrer großen Aktualität – eine soerstaunliche Glaubwürdigkeit besitzen. Ist aber ein von wirtschaftlichen Inter-

1 Online-Studie 2006 von ARD und ZDF. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ),6.9.2006, S. 44.

2 Vgl. Umfrage an der Pädagogischen Hochschule Weingarten 2007; demgegenüber in-formieren sich 6% aller deutschen Touristen im Internet. Ein Reisebüro wird von 36,5%der Studierenden und 35% aller Touristen zur Beratung genutzt. In: Albrecht Steinecke:Tourismus. Braunschweig 2006, S. 51.

Waldemar Grosch

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essen angeblich freier Laie wirklich glaubwürdiger als ein Profi? Die ‚zweiteMeinung‘ nach einem Arztbesuch im Internet einzuholen – vielen Medizinernist dies überhaupt nicht recht – mag eine sinnvolle Sache sein, doch kann mandabei auch an recht fragwürdige Wunderheiler geraten.

Überträgt man dies auf historische Themen, so steht das Wort des Ge-schichtslehrers gegen die überaus zahlreichen fragwürdigen Amateurarbeiten,gegen die vielen Sektierer und auch gegen die bewusst geschichtsfälschendenRadikalen, welche sich im Web so ungeniert tummeln. Zwar hat die Geschichts-didaktik mehrfach Kriterienkataloge entwickelt, mit denen auch Laien ‚gute‘von ‚schlechten‘ Angeboten unterscheiden lernen sollen, 3 doch gibt es auchreichlich unseriöse Seiten, die den stark auf formale Merkmale abhebendenKriterienkatalogen durchaus zu genügen scheinen.

Dass auch Fortgeschrittene damit ihre Probleme haben, soll ein Beispiel auseiner akademischen Lehrveranstaltung zeigen: Ein Student hatte den Auftrag,über das von SS-Leuten 1944 verübte Massaker von Oradour zu berichten.Seine Suchanfrage bei der Suchmaschine ‚Google‘ führte ihn auf eine (inzwi-schen vom Netz genommene) Internetpräsentation, die auf den ersten Blickrecht seriös wirkte: sehr ausführlich, textlastig, mit Quellenzitaten, Fußnotenund einem Literaturverzeichnis ausgestattet und mit dem Namen des Verfassersgekennzeichnet. Allerdings vertrat dieser die Auffassung, dass die EinwohnerOradours nicht von SS-Angehörigen, sondern von der französischen Résistanceermordet worden seien. Ohne die nötige Vorkenntnis war der Student bereit,diese Darstellung einfach zu übernehmen und sie seinen Kommilitonen alsStand der Forschung zu präsentieren. Diese Beinahe-Katastrophe wäre durchden Blick in andere Publikationen (oder selbst auf andere Web-Seiten) ver-meidbar gewesen. Schülerinnen und Schüler müssen aber erst lernen, dass (undwie) Informationen bewertet werden müssen – die Fähigkeit, ‚Gutes‘ von‚Schlechtem‘ zu unterscheiden, kann nicht einfach vorausgesetzt werden.Äußerliche Kriterien sind dabei eine Hilfe, aber sie reichen letztlich nicht aus.

So hat mich ein Schüler einer 9. Realschulklasse auf das folgende Beispielaufmerksam gemacht, das er bei seinen Recherchen zum Flugzeug-Modellbauentdeckt hat: demnach seien die in der ganzen Welt angeblich beobachtetenUFOs von Hitlers Ingenieuren erfunden worden und würden, ausgehend voneinem geheimen Stützpunkt in der Antarktis, noch heute von SS-Männerngeflogen. Absurdes Zeug? Sicherlich, aber die Suche bei ‚Google‘ nach derangeblichen Typenbezeichnung dieser Flugmaschinen ‚Haunebu‘ ergibt unge-fähr 80.900 Treffer, knapp 1.000 davon aus Deutschland. Die entsprechendenSeiten zeigen Fotos der Flugmaschinen oder ‚Faksimiles‘ von mit ‚GeheimeKommandosache‘ gestempelten und mit Aktenzeichen der SS-Entwicklungs-

3 Vgl. Martin Sachse: Quellenkritik im Internet. In: Praxis Geschichte, 2001, H. 5, CD-Beilage.

Das Internet als Raum historischen Lernens

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abteilungen versehenen ‚Originaldokumenten‘; sie verbinden den Bau dergeheimen Hangars geschickt mit der realen deutschen Antarktisexpedition von1938 und der angeblich als Gegenmaßnahme entsandten ‚Byrd-Expedition‘von 1946/47, die aber nach dem (realen) Verlust von vier Flugzeugen erfolglosabgebrochen worden sei. Der als reines Ablenkungsmanöver angezettelte Irak-krieg habe in Wirklichkeit nur dazu gedient, einen Nuklearschlag gegen dieBasis der SS-Ufos zu führen, wie abgebildete seismographische Protokolle be-legen sollen. 4 Diese Verquickung von Fakten und äußerst fantasievollen Erfin-dungen ist typisch für eine ganze Zahl solcher Web-Angebote, die sich teilweisesogar den Anschein einer Auseinandersetzung mit Kritikern geben. So vermerkteine der ‚Haunebu‘-Seiten sogar: „Der berühmte Haunebu-Ausflug nach Neu-schwabenland (Antarktis) ist unter Historikern umstritten.“5 Die zahlreichenDiskussionsforen zu diesem Thema zeigen, dass es nicht nur viele Zweifler gibt,sondern auch eine recht starke Gruppe von überzeugten Anhängern. Was sollnun ein unbedarfter Nutzer damit anfangen? Ein Mitdiskutant bringt es auf denPunkt: „Wem kann man heute noch trauen?“ 6

Jan Hodel schreibt dazu: „Das Internet für wissenschaftliche Zwecke zunutzen ist vergleichbar mit dem Versuch, in der Straßenbahn eine Diskussionüber ein philosophisches Traktat Heideggers zu führen. Wenn man Glück hat,ist ein Professor der Philosophie dabei, oder ein Assistent, der über Heideggerpromoviert. Vielleicht meldet sich auch ein Hobbyphilosoph zu Wort (…).Unter Umständen berichten einige Schüler von ihrer letzten Philosophiestun-de.“ 7 Könnte es sein, das die Fachwissenschaftler, Geschichtsdidaktiker, dieLehrerinnen und Lehrer dabei sind, ihre Deutungsmacht über historische Phä-nomene zugunsten ‚numinoser‘ Anbieter zu verlieren? Wäre es vielleicht eineLösung, wenn wir – um im Bild zu bleiben – wüssten, in welchem Straßen-bahnwagen der Philosophieprofessor sitzt?

4 Inzwischen gibt es sogar mehrere gedruckte Publikationen in deutscher Sprache zu diesemKomplex. Z.B. Heiner Gehring/Karl-Heinz Zunneck: Flugscheiben über Neuschwaben-land. Die Wahrheit über „Vril“, „Haunebu“ und die Templer-Erbengemeinschaft.Rottenburg 2005. Natürlich ist dieses Buch auch im ‚Karlsruher Virtuellen Katalog‘verzeichnet.

5 So in: http://riesenmaschine.de/index.html?nr=20060123164800 (Stand: 05.02.2007).6 R.A.K. (Nickname des Verfassers) In: http://www.pmmagazin.de/forum/thema.asp?forum=

43&thema=26443 (Stand: 07.02.2006; die Adresse hat sich während der Bearbeitung desBeitrags mehrfach geändert, ist aber bei ‚Google‘ unter den Suchbegriffen „Haunebu“ und„R.A.K“ auffindbar).

7 Jan Hodel: Heidegger in der Straßenbahn oder Suchen in den Zeiten des Internet. In:Peter Haber/Christophe Koller/Gerold Ritter (Hrsg.): Geschichte und Internet: Raumlo-se Orte – Geschichtslose Zeit/Histoire et Internet: Espace sans lieu – Histoire sans temps.Zürich 2002, S. 36.

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2. Die oft beklagte chaotische Struktur des Internets und diedamit verbundene Unübersichtlichkeit haben sich durch„anerkannte“ Hilfsmittel scheinbar reduziert

Es ist natürlich ein Irrtum anzunehmen, das permanent wachsende Web seiwirklich übersichtlicher geworden – das Gegenteil ist der Fall. Inzwischenhaben sich aber einige Web-Adressen als Quasi-Standards etabliert: So ist zumBeispiel ‚Google‘ zu der beherrschenden Suchmaschine geworden, welche sichbei der mit weitem Abstand größten Zahl der deutschsprachigen Benutzerdurchgesetzt und alle Konkurrenten weit hinter sich gelassen hat. In einermeiner Lehrveranstaltungen haben sich besonders die weniger computeraffi-nen Studenten von der Tatsache verblüfft gezeigt, dass es nicht nur eine einzigeSuchmaschine gibt. Die damit verbundenen Probleme (vor allem das Zensur-Problem und die mangelnde Transparenz des Ranking) treten erst nach undnach ins Bewusstsein. So unterdrückt ‚Google‘ – Historiker, die sich mit derNS-Zeit befassen, haben dies sicherlich schon bemerkt – „aus Rechtsgründen“bestimmte Seiten und verweist in der Begründung8 darauf, Beschwerden überdie ausgefilterten URLs erhalten zu haben, „that are alleged to be illegal underU.S. or local law.“ Ein Beispiel: Bis vor kurzem erbrachte die ‚Google‘-Bil-dersuche bei der Eingabe des Namens ‚Dönitz‘ als ersten Treffer einen Link aufdie Seite der ‚NSDAP-Auslandsorganisation‘ in den USA, inzwischen steht einfranzösischer Blog an der ersten Stelle.

Mag es auch sinnvoll sein, rechtsradikale Seiten nicht anzuzeigen, so bleibtdoch bei der Bezugnahme auf ‚local law‘ ein schaler Beigeschmack, wie er spä-testens seit den Beschwerden chinesischer Dissidenten nicht mehr vergehenwill. Pornographie, illegale Musik- und Spieledownloads oder extremistischeInhalte sind auch für Schülerinnen und Schüler immer nur wenige Mausklicksentfernt, und Zensurmaßnahmen und Filterprogramme können zwar Tausen-de unerwünschter Seiten abblocken, doch gibt es im Internet Millionen davon.

Ein weiterer Quasi-Standard ist inzwischen mit der ‚Wikipedia‘ entstanden,die von meinen Studenten mit großer Regelmäßigkeit als die erste Anlaufstellegenannt wird, wenn sie Seminararbeiten vorbereiten. Viele der Artikel sind vonanständiger bis guter Qualität, einzelne ragen sogar positiv heraus. Dennochgibt es auch hier Nischen, in denen sich rechtes Gedankengut ziemlich unge-stört entfalten kann – man suche dort nur einmal nach ‚Frithjof Elmo Porsch‘,der fünf kriegsverherrlichende Bücher über seine Zeit als Waffen-SS-Kämpferverfasst hat (sie wurden sämtlich beim sattsam bekannten Schütz-Verlagverlegt). ‚Wikipedia‘ leitet sogar auf eine seine Einheit rühmende Seite weiter.9

8 Bei http://www.chillingeffects.org (Stand: 12.09.2007).9 Sicherheitshalber im südpazifischen Inselstaat Vanuatu gehostet: http://www.zbv500.de.vu

(Stand: 16.07.2007). Im Diskussionsforum dieser Seite ist immer wieder vom „Kamera-den“ Porsch die Rede.

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Das Vertrauen in die ‚Wikipedia‘ ist dennoch immens: Eine Lehrerkolleginerzählte mir unlängst von einer Kontroverse mit einem Zwölftklässler, welchersein Referat ohne Änderungen aus der ‚Wikipedia‘ kopiert hatte. Plagiate sindan sich kein seltenes Problem, doch hatte dieser Schüler überhaupt kein Ver-ständnis dafür, dass die Kollegin auch Kritik am Inhalt übte: Es stand so dochin der ‚Wikipedia‘, und wie kann eine einfache Lehrerin deren Qualität in Fragestellen?

Diese Quasi-Standards verdecken den Blick auf die große Zahl qualifizierterInformationsangebote (zum Beispiel ‚Vimu‘, ‚Lemo‘, ‚Deuframat‘), welche jadurchaus existieren, aber eben nicht immer unter den ersten 20 Treffern bei‚Google‘ aufgelistet werden – und mehr berücksichtigt bekanntlich kaum einBenutzer. Auf diese Art findet eine Flurbereinigung statt: Was nicht auf derersten ‚Google‘-Seite steht, führt allenfalls ein verschwiegenes Dasein als Ge-heimtipp, und darunter leider auch eine große Zahl sehr nützlicher Angebote.

3. Der Glaube, Hauptproblem der unterrichtlichen Internet-Nutzung sei die apparative Ausstattung, hat sich verflüchtigt

Als die ersten Konzepte zur Nutzung des Internets in der Fachliteratur vorge-stellt wurden, kritisierte man regelmäßig die als utopisch bezeichnete Voraus-setzung, jeder Schüler müsse Zugang zu einem eigenen PC haben. Inzwischengibt es zahlreiche ‚Laptop-Klassen‘, in denen tatsächlich jeder über einensolchen eigenen Rechner verfügt und diesen auch permanent im Unterricht wiebei der häuslichen Arbeit nutzen kann. Die Klagen mancher Kolleginnen undKollegen, die darin einen stark erhöhten Aufwand bei der Planung vonUnterricht, der Erstellung von Materialien und der technischen Wartungsehen, sind völlig berechtigt, treffen aber nicht das Kernproblem – vielmehr hatsich die anfängliche Euphorie aus ganz anderen Gründen reduziert. An einermeiner Praktikumsschulen wurden vor einigen Jahren zwei solcher ‚Laptop-Klassen‘ eingerichtet; die Eltern haben dies ausdrücklich gewünscht und auchdie Finanzierung der Geräte übernommen. Die Schule hat sich entschlossen, esbei diesen beiden Klassen bewenden zu lassen und das Projekt anschließendstillschweigend zu beerdigen. Als Gründe wurden mir neben den bereits auf-geführten genannt:• das als ärgerlich empfundene ‚Statusgehabe‘ der Laptop-Besitzer gegenüber

den nicht damit ausgestatteten Klassen (das aber wegfiele, wenn alle Klassenso ausgerüstet wären);

• die unterrichtsfremde Nutzung der Rechner, welche letztlich nicht zukontrollieren sei; wenn der Laptop in jeder Stunde auf dem Tisch steht undseine Benutzung ausdrücklich gewünscht ist, dann kann nicht ausgeschlos-sen werden, dass die Schüler nebenbei surfen, downloaden oder chatten(eine Unsitte, die man auch bei den Sitzungen von Hochschulgremien zu-

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nehmend beobachten kann). Dennoch dürfte dieses Problem eher ein orga-nisatorisches sein, das man entweder mit technischen Mitteln (geblockteund offene Links, Offline-Phasen etc.) oder zur Not auch durch Einsatz päd-agogischer Autorität lösen kann;

• die fehlenden Materialien: Natürlich kann man einen Quellentext oder einArbeitsblatt auch am PC bearbeiten, ohne ihn ausdrucken zu müssen –sicherlich eine Erleichterung bei der Unterrichtsvorbereitung. Eine Nut-zung der Möglichkeiten des PCs ist das aber nicht. Medial angemesseneMaterialien gibt es aber fast nur in Gesamtpaketen (kommerzielle CDs,DVDs), aus denen man sie allenfalls mit viel Mühe heraus montieren kann.Es bleiben nur die mit riesigem Aufwand, aber eben doch auf Laienniveauprogrammierten Materialien, welche die Kolleginnen und Kollegen selbsterstellen oder mit anderen Kollegen tauschen;

• das fehlende Gesamtkonzept: Die informationstechnische Grundbildungfür alle Schüler, im Fächerkanon schon längst verankert, hat die früher ver-langten Grundkenntnisse in Programmiersprachen schon überwiegend auf-gegeben, und die Nutzung eines Office-Programms zum Erstellen vonHausaufgaben und Referaten kann man leicht nebenher erlernen. Es istalbern, wenn man Schülerinnen und Schülern, die mit Computerspielenaufwachsen und nicht mehr an ihren Fahrrädern oder Mofas, sondern anihren PCs herumschrauben, die Grundlagen der PC-Nutzung erklären will.Inzwischen ist die Bedienung eines Windows-Rechners oder eines Office-Paketes einfacher als die einer Waschmaschine, und in den von mir befragtenKlassen brauchen nur ganz vereinzelte Personen diesbezüglich Nachhilfe –und falls doch, lässt sich dies in kurzer Zeit quasi nebenher erledigen.

4. Die Kommunikationsmöglichkeiten haben sich grundsätzlichbewährt, sollten aber einer Kontrolle unterzogen werden

Über E-Mail sind Kontakte zu Menschen in aller Welt rasch und billig möglich– das haben inzwischen auch unerwünschte Trittbrettfahrer entdeckt: relevan-te Nachrichten müssen nicht selten erst zwischen den vielen ‚Spam-Mails‘herausgesucht werden (oder werden versehentlich gleich mit gelöscht). Auchfür allerlei Unfug wird die E-Mail missbraucht: etliche der oft nur lästigen,manchmal aber auch zerstörerischen oder schlicht kriminellen Viren, Würmeroder Trojaner werden als E-Mail-Anhänge verbreitet.

Aber selbstverständlich bieten sich auch eine Reihe interessanter Nutzungs-möglichkeiten im Geschichtsunterricht. E-Mail-Projekte mit Partnerschulen,häufig in Fremdsprachen geführt, gehören hier sicherlich dazu. Auch News-groups, Chatrooms oder offene Foren können erstaunliche Ergebnisse zeitigen.Eine meiner Studentinnen hat im Rahmen einer Arbeit über die Wahrnehmungdes Sezessionskrieges in der modernen US-Gesellschaft einfach eine Anfrage in

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einem entsprechenden Forum ,gepostet‘. Die Antworten darauf füllten ausge-druckt einen dicken Aktenordner und gaben ein breites Spektrum der Meinun-gen aus ganz unterschiedlichen Bevölkerungskreisen wieder. Darunter warenauch solche von renommierten Forschern, deren Werke in unserem Seminar-apparat standen – die ausführlichste über drei Textseiten lang!

Mit wem kann man aber überhaupt via Internet reden? In der Regel wedermit Zeitzeugen noch mit Fachleuten, und wenn letztere doch einmal eine Mailvon einer Schulklasse erhalten sollten – hätten sie die Zeit zu einer angemesse-nen Antwort? Betrachtet man die realen Chat-Gewohnheiten von Schülerin-nen und Schülern, so muss es einem Pädagogen schaudern: sprachliche Ver-wahrlosung, Nichtigkeit der ausgetauschten Informationen, aber dabei dieständige Bereitschaft, einen Arbeitsprozess (beispielsweise die Hausaufgaben)zu unterbrechen, wenn ‚ICQ‘ aufblökt.

5. Der Glaube an die ‚Schwarmintelligenz‘ verringertAutonomie und gefährdet Emanzipation

In der Robotik-Forschung wurde 1989 der Begriff der ‚Schwarmintelligenz‘geprägt,10 welcher stark vereinfacht ein Konzept zur konsensbasierten Entschei-dungsfindung darstellt. Grundgedanke ist dabei, dass die Intelligenz einerGruppe größer ist als die bloße Summe der Intelligenz der ihr zugehörigenIndividuen – wiederum vereinfacht: Ohne zentralisierte Form der Oberaufsichtist das Ganze also mehr als die Summe der Teile. Entsprechende Anregungendazu hat man aus der Beobachtung von Fisch- und Vogelschwärmen oder vonAmeisenstaaten bezogen.

Der Biologe Rupert Sheldrake hat dies nun auf menschliche Gesellschaftenübertragen, und seine Theorien werden von den Kulturwissenschaften rechtbereitwillig aufgenommen – es existieren sogar schon längst Vorschläge für eineNutzung dieses Phänomens im Unterricht. 11 Bei Ameisen oder Fischschwär-men spricht manches für dieses Konzept, wendet man es aber auf das Histori-sche Lernen an, so entsteht ein meines Erachtens falscher Eindruck. Zumindestmuss man bei Menschen konzedieren, dass es auch so etwas wie eine ‚Schwarm-dummheit‘ gibt.

Es gilt aber gerade als Qualitätskennzeichen der ‚Wikipedia‘, dass vieleAutoren an den einzelnen Artikeln mitarbeiten und deshalb durch zahllose Be-arbeitungsstufen am Ende ein uneingeschränkt konsensfähiger Beitrag ent-steht. Manchen Befürwortern erscheint eine solche Vorgehensweise viel demo-

10 Durch Gerardo Beni und Jing Wang, 1989.11 So seit 1982 durch Jean-Pol Martin mit seinem Konzept des „Lernens durch Lehren“ im

Fremdsprachenunterricht. Vgl. Jean-Pol Martin: Zum Aufbau didaktischer Teilkompe-tenzen beim Schüler. Fremdsprachenunterricht auf der lerntheoretischen Basis des Infor-mationsverarbeitungsansatzes. (masch. Diss.) Tübingen 1985.

Waldemar Grosch

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kratischer und zuverlässiger als beispielsweise die einer letztlich anonymen‚Brockhaus‘-Redaktion zu sein. Tatsächlich gibt es eine ganze Reihe sehrordentlicher, ja sogar richtig gelungener ‚Wikipedia‘-Artikel, die historischeThemen multiperspektivisch in ihrer Interdependenz aufarbeiten. Es ist aberhöchst zweifelhaft, ob eine demokratische Konsensbildung bei historischenThemen überhaupt möglich ist: Man kann über die Kriegsschuldfrage 1914(die übrigens in einem der guten ‚Wikipedia‘-Artikel behandelt wird) zwartrefflich streiten, aber man kann nicht die Mehrheit darüber entscheiden lassen,welche Position die ‚richtige‘ ist. Der Konstruktcharakter der Geschichte ver-schwindet, abweichende Meinungen werden einem Mainstream untergeord-net, und letztlich erhält man das von den Geschichtsdidaktikern so intensiv be-kämpfte geschlossene, kaum reflektierte Geschichtsbild: Die ‚Wikipedia‘ sagtuns am Ende doch, „wie es wirklich gewesen ist“.

Obwohl man sich darauf verlassen kann, dass eine evident falsche Aussagenicht lange unbemerkt bleibt (man denke nur an die vielen naturwissenschaft-lichen oder überhaupt faktenorientierten Artikel), spielen sich im Hintergrund(genauer: auf den Diskussionsseiten) regelrechte ‚Edit Wars‘ ab, bei denenArtikel von den Kontrahenten permanent umgeschrieben werden. Besondersgut kann man dies an den Artikeln beobachten, die sich mit historischen Fragenbefassen: So hat es bis vor kurzem nicht nur eine ‚Wikipedia‘-Seite zum deut-schen Orden gegeben, sondern auch eine komplette Gegendarstellung der janoch heute existierenden religiösen Gemeinschaft; inzwischen sind aber beidein einem ausgewogenen (bis schwammigen) Artikel aufgegangen.

Besonders heikel wird es, wenn die historischen Themen bis in die Gegen-wart hineinwirken – dies hat in letzter Zeit sogar die Beachtung der ‚FAZ‘gefunden. Zwei Beispiele sollen dies illustrieren:• Die ‚Tibet Initiative Deutschland‘ (TID) warf der ‚Wikipedia‘ im Februar

200612 vor, unter dem Stichwort ‚Tibet‘ unkritisch die offizielle chinesischeSichtweise zu verbreiten, also einseitig zu informieren. Entsprechende Ände-rungen, welche die TID an dem monierten Artikel vornahm, wurden vomAutor gleich wieder getilgt. Das ‚Wikipedia‘-Presseteam erklärte dazu, dassdie Eingaben der TID unbelegt gewesen seien. In der Diskussion im‚FAZ.NET‘ vertrat ein Leserbriefschreiber die Ansicht, es gebe halt zweiWahrheiten zu Tibet, die beide ihre Berechtigung hätten. Die nahe liegende,nicht ausgesprochene Folgerung: Wahrscheinlich liege die ‚richtige‘ Wahr-heit so ziemlich in der Mitte.

• Noch krasser wird das Bild, wenn man ‚Wikipedia‘-Ausgaben unterschied-licher Länder miteinander vergleicht: So hat wiederum die ‚FAZ‘ daraufaufmerksam gemacht, dass der Artikel über den LiteraturnobelpreisträgerOrhan Pamuk in der türkischen ‚Wikipedia‘ eine deutlich negative Wertung

12 Klemens Ludwig: Bestenfalls Blauäugigkeit. In: FAZ, 17.04.2006, S. 36.

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enthält – schließlich haben seine klaren Worte zum Armenier-Genozid ihmeine Klage wegen „öffentlicher Herabsetzung des Türkentums“ eingebracht.Der türkische ‚Wikipedia‘-Artikel zu Pamuk veränderte sich seit dem12.10.2006, dem Tag der Bekanntgabe der Nobelpreis-Entscheidung, prak-tisch im Minutentakt, und Karen Krüger listet die Entwicklung recht de-tailliert auf. So schrieb ein Bearbeiter: „Seine [Pamuks] Ideen über die tür-kische Geschichte erfindet er aus dem Nichts, tut aber so, als seien sie ein-hellige Wahrheit“. Dieser Passus wurde am 16.10. nach heftiger Diskussionaus dem Artikel gestrichen. Dafür schrieb ein anderer, anonymer Bearbeiteram 17.10.: „Pamuk hat den Nobelpreis nicht seinem literarischen Schaffenzu verdanken, sondern der armenischen Diaspora“. Noch am gleichen Tagergänzte ein weiterer ‚Wikipedianer‘: „Dieser ehrlose Mensch kann keinTürke sein. Man sollte seine DNS testen. Diesen französischen Idioten (hierspielt er darauf an, dass in Frankreich die Leugnung des Armenier-Genozidszum Straftatbestand erklärt worden ist) empfehle ich seine Bücher, ich werdeeines Tage die Häuser der Armenier damit anzünden.“ Der Schreiber dieserZeilen wurde daraufhin mit der ‚Wikipedia‘-Höchststrafe belegt, der Sper-rung seines Zugangs. Inzwischen heißt es in der aktuellen Version, Pamuksei „wegen seiner Äußerungen über Armenier und Kurden“ angeklagtworden – die Worte Genozid oder Völkermord werden vermieden.13

Es ist deutlich, dass der Glaube an eine „demokratisch produzierte, verbindlicheWeltbeschreibung“14 vielleicht doch etwas naiv ist. Auf jeden Fall ist einNachschlagewerk, in dem sich ein Artikel minütlich verändern kann, von einemsehr eigenen Charakter. So interessant es für uns sein mag, Diskurse über Ge-schichtsdeutungen zu verfolgen, so ist für Schülerinnen und Schüler dochVorsicht geboten, jedenfalls nicht blindes Vertrauen, auch wenn – es sei gernenoch einmal bekräftigt – die ‚Wikipedia‘ insgesamt eine große Bereicherungdarstellt. An eine Zensur durch Fachleute ist überhaupt nicht zu denken, da diesdem Grundgedanken der ‚Wikis‘ diametral entgegengesetzt wäre.

Dass es auch anders gehen kann, beweist ein Beispiel aus der Literaturwis-senschaft: inzwischen gibt es ein ‚Wiki‘ zu ‚Thomas Pynchon‘ – eigentlich sogardrei, die jeweils einem seiner Werke gewidmet sind.15 Sie enthalten Annotatio-nen zu den einzelnen Seiten, erläutern Begriffe und geben weiterführendeLeseempfehlungen. Aber es handelt sich dabei ja auch um ein Thema, bei demnicht in ähnlicher Weise Minenfelder lauern wie im Fach Geschichte. Histori-sche Phänomene kann man nicht mit Mehrheitsentscheidungen klären undgleichzeitig die Gefahren des Mainstreaming und der konsensbasierten Ideolo-gisierung vermeiden.

13 Karen Krüger: Unworte, türkisch. In: FAZ, 09.12.2006, S. 40.14 Ebd.15 Vgl. http:/pynchonwiki.com (Stand: 12.09.2007).

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6. Didaktische Konzepte zur unterrichtlichen undaußerunterrichtlichen Nutzung des Internets existieren ingroßer Zahl, doch wirken sie sich in der Realität wenig aus

Informelle Umfragen unter Lehrerinnen und Lehrern zeigen ein recht engesSpektrum der Internet-Nutzung. An erster Stelle steht die eigene Recherche zurUnterrichtsvorbereitung – und hier haben ‚Google‘ und die ‚Wikipedia‘ wiederdie Nase vorn. Im Unterricht dominiert eindeutig die Nutzung zur (meistfreien) Recherche, wieder mit Hilfe der gleichen Adressen. Die professionellenAngebote mit Unterrichtsbezug sind aber wenig bekannt und werden, wennüberhaupt, meist anders als geplant eingesetzt: Lehrerinnen und Lehrern anbilingualen Schulen, welche das deutsch-französische Internet-Portal ‚Deufra-mat‘ nutzen, haben mir erklärt, dass sie die geeigneten Materialien gerne aus-drucken und als Arbeitsblätter austeilen, die Schülerinnen und Schüler aber vielseltener – oft mit einem Aspekt der Belohnung – selbst im Unterricht onlinearbeiten lassen.

Dabei sind die besseren unter diesen Angeboten hervorragend: in sichmultidisziplinär und multimedial, besonders die „delinearen Hypertext-Netz-werke“.16 Krameritsch und Schmale haben in der GWU ihr inhaltlich um das16. Jahrhundert kreisende Projekt www.pastperfect.at vorgestellt, das „keinschlicht reproduzierbares Wissen“ bietet, sondern „Kreativität als Weg zurselbstständigen Produktion von historischen Sinneinheiten“ fordert.17 Es „er-öffnet dem Geschichtsunterricht [...] neue inhaltliche, insbesondere aber auchneue didaktische und Motivations-Perspektiven“.18 Die Inhalte lassen sich jenach Interesse der ‚User‘ flexibel kombinieren und rezipieren, der Schwerpunktliegt nicht auf dem fertigen Produkt, sondern der Prozessualität.

Ohne Zweifel ist dies ein vielversprechender und interessanter Ansatz, indiesem konkreten Fall unter anderem auch deshalb, weil das zu Grundeliegende ‚Content Management System‘ es erleichtert, auch eigene Inhalte zuerstellen.

Abgesehen davon, dass nach meinen Befragungen Lehrerinnen und Lehrersolche Internet-Angebote nur recht zögerlich aufgreifen (wofür es viele, nichtzuletzt auch immer noch technisch-organisatorische Gründe geben mag),könnte aber auch in diesem Fall die Bedeutung des Mediums überschätztwerden.

Zunächst: Es ist eindeutig, dass sich die Rolle der Lehrerin oder des Lehrersbei der Arbeit mit einem solchen webbasierten Angebot verändert. Letztlich

16 Jakob Krameritsch/Wolfgang Schmale: Hypertext und Hypertexten im schulischenGeschichtsunterricht und im Geschichtsstudium. In: Geschichte in Wissenschaft undUnterricht (GWU), 2007, H. 1, S. 20-35.

17 Krameritsch/Schmale: Hypertext und Hypertexten (Anm. 16), S. 20.18 Ebd., S. 21.

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ähnelt sie der in der Freiarbeit; den Schülern werden Materialien zur Verfügunggestellt, und sie können sich frei damit auseinandersetzen. Allerdings dürfte esbei dem Umfang eines solchen Web-Angebotes (Krameritsch und Schmalesprechen von an die 700 „Geschichten“ und über 78.000 Links)19 kaum mög-lich sein, alle Einzelelemente und Vernetzungsmöglichkeiten im Rahmen derUnterrichtsvorbereitung zu erschließen, damit Schülerinnen und Schüler auf‚wesentliche‘ Aspekte oder besonders gelungene Beispiele hingewiesen werdenkönnen. Wenn man nun nicht nur die vorher erkundeten Bausteine auswähltund die Schüler dorthin führt, liefert man sich als Unterrichtender dem Web-Angebot letztlich aus; man muss sich auf seine Qualität blind verlassen. Dasvorgefertigte Hypertext-Angebot beinhaltet aber ein didaktisches Konzept – esentspricht damit im Kern doch einem Schulbuch, erweitert um eine Handbib-liothek zum Nachschlagen und Stöbern. Wir wissen aber doch alle von demweit verbreiteten Unbehagen, sich im Geschichtsunterricht vollkommen aufein Schulbuch einzulassen.

Zudem müssen solche Web-Angebote motivierend gestaltet sein – dies hatzur Folge, dass auf spröde Textquellen ein geringerer Wert gelegt wird als aufoptisch gut aufbereitete Grafiken und manchmal eher überflüssige Animatio-nen. Sie tendieren dazu, den Schwerpunkt auf sehr kurze, darstellende Texte zulegen (so auch ‚pastperfect.at‘), die in ihrem Umfang möglichst der Bildschirm-größe angepasst sind – ‚Scrollen‘ ist ja bekanntlich abschreckend. Letztlichverknüpfen diese Hypertext-orientierten Lernumgebungen bei all ihren Vortei-len also die Nachteile zweier inzwischen als überholt verworfenen Schulbuch-typen: mit dem klassischen Lehrbuch der 1950/60er Jahre verbindet sie dieautoritative Darbietung von als gültig und verbindlich anzusehenden Informa-tionen, und mit dem reinen Arbeitsbuch Heinz Dieter Schmids („Fragen an dieGeschichte“) haben sie gemein, dass sie kein geordnetes, sondern ein letztlichdisparates Wissen vermitteln. Daran ändern auch eingefügte Quellen kaumetwas: Texte werden von ‚Usern‘ gern übersprungen, Bilder nur kurz ange-schaut – wenn man dies nicht mit Arbeitsaufträgen verbindet, die aber wie-derum eine ins Einzelne gehende Planung der Vorgehensweise bedingen, sollteman sich von einem jeweils eigenen ‚roten Faden‘, den die ‚User‘ sich selbstsuchen, nicht zu viel versprechen. Was ist gewonnen, wenn Schülerinnen undSchüler selbstbestimmt von einem Stichwort zum nächsten springen, die Dar-stellungstexte aber nur (wenn überhaupt) überfliegen und Bilder nur kurz be-trachten? Ist damit wirklich ein Beitrag zur Entwicklung eines Geschichtsbe-wusstseins geleistet?

Krameritsch und Schmale weisen selbst auf dieses Problem hin, wenn sieerklären, dass Geschichte selbstverständlich nur fragmentarisch erfasst werdenkann und es darauf ankommt, diese Fragmente, Perspektiven und unterschied-

19 Krameritsch/Schmale: Hypertext und Hypertexten (Anm. 16), S. 25.

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lichen Zugangsweisen jedes einzelnen Nutzers in einer Folgephase auch zuthematisieren20 – und, damit kommen wir zu dem Kernproblem, das Wesent-liche, Typische oder Problematische einer Epoche oder eines historischen Phä-nomens durch die Erkenntnis der Bedeutung und Relevanz der Einzelinforma-tionen zu begreifen und damit aus den durch das Surfen in der Lernplattformvermittelten Kenntnissen Einsichten zu gewinnen – mit anderen Worten, diedabei entstehenden Geschichtsbilder zu einem Geschichtsbewusstsein weiter-zuentwickeln.

Die Versuchung ist groß, dann eben auf das auch von Krameritsch undSchmale vorgeschlagene Verfahren zurückzugreifen und ganz konkrete Arbeits-aufträge zu stellen: „Welches Wort ruft der Matrose Rodrigo de Triana amMorgen des 12. Oktobers 1492 aufgrund einer besonderen Entdeckung aus?“21

Aber welche Funktion übernimmt dann eigentlich das Web-Angebot? DieVermittlung von Medienkompetenz auf jeden Fall – aber auf einer ziemlichbescheidenen Ebene. Schließlich bewegen sich die ‚User‘ ja in einer geschlosse-nen Lernumgebung, deren Inhalte von Fachleuten verfasst und überprüftworden sind, und das bloße Navigieren dürfte für unsere Internet-erfahreneJugend keine Herausforderung mehr darstellen.

7. Die Möglichkeiten des E-Learning werden wohl überschätzt

Auch eingefleischte Befürworter des E-Learning erkennen an, dass das neu-deutsch ‚face-to-face‘ genannte Lernen Möglichkeiten beinhaltet, die sich amComputer nicht umsetzen lassen. Deshalb wird meist erklärt, dass sich E-Learning an bestimmte, eng umrissene Zielgruppen richtet. So hat sich ‚Web-Acad‘, eine der führenden E-Learning-Firmen, auf Fälle spezialisiert wie den‚Fachverband Friseur und Kosmetik‘ oder den Autokonzern ‚Honda‘, welchevor den seltenen, immer nur wenige Tage dauernden Weiterbildungen fürHaarstylisten oder Mechaniker Lernprogramme verschicken, mit deren Hilfeman sich auf die Tagung vorbereiten und so einen einheitlichen Kenntnisstandschaffen kann. Sicherlich sind auch Bohrinselbesatzungen oder die im austra-lischen Outback verstreuten Schülerinnen und Schüler eine sinnvolle Zielgrup-pe. Ob es aber gewinnbringend ist – wie an manchen Hochschulen geplant –Teile der akademischen Ausbildung ohne Not aus den Hörsälen herauszuver-lagern, möchte ich doch bezweifeln.

Trotz des modernen Gewandes sind viele, vor allem die kommerziellen E-Learning-Angebote, methodisch vorsintflutlich: sie orientieren sich am Fakten-lernen – was für die ‚Honda‘-Mechaniker ja durchaus sinnvoll sein kann, aber

20 Vgl. Krameritsch/Schmale: Hypertext und Hypertexten (Anm. 16), S. 26.21 Ebd., S. 25, bezugnehmend auf die von Uta Hartwig unter http://www.lehrer-online.de/url/

zeitenwende (Stand: 12.09.2007) veröffentlichten Arbeitsblätter.

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