VALENTIN TOMBERG - DIE GROSSEN ARCANA DES TAROT - Band 3

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Tomberg – Arcana des Tarot – Band-3 371

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3. Band:13. Brief - Der Tod - Das Arcanum des ewigen Lebens;14. Brief - Die Mäßigkeit - Das Arcanum der Inspiration;15. Brief - Der Teufel - Das Arcanum der Gegeninspiration;16. Brief - Das Gotthaus - Das Arcanum des Bauens;17. Brief - Der Stern - Das Arcanum des Wachstums und der Mutter

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    Dreizehnter Brief

    DER TOD

    Das Arcanum des ewigen Lebens

    Vergessen, Schlaf und Tod Erinnern, Erwachen und Geburt Vier Arten vonGedchtnis Die Auferweckung des Lazarus Wunder und Freiheit Tunund Funktionieren Die Schpfung durch das Wort Das nachtodlicheLeben der Heiligen Schutzengel Zwei Arten der Geburt Kristallisationoder Ausstrahlung Das Versprechen der Schlange Phantome undGespenster Zwei Arten der Unsterblichkeit Konzentration, Meditation,Kontemplation Glaube, Hoffnung, Liebe Luterung, Erleuchtung,Vereinigung Erzengel Michael Turmbau zu Babel und Herabkunft deshimmlischen Jerusalem Zum Sinn des Todes.

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    DER TOD

    Das Arcanum des ewigen Lebens

    Das Weib antwortete der Schlange:Von den Frchten der Bume des Gartens drfen wiressen. Nur von den Frchten des Baumes, der mitten imGarten steht, hat Gott gesagt: Ihr sollt nicht davon essenund nicht daran rhren, damit ihr nicht sterbetDarauf sprach die Schlange zu dem Weibe: Keineswegs,ihr werdet nicht sterben. Vielmehr wei Gott, da an demTage, da ihr davon esset, euch die Augen aufgehen und ihrsein werdet wie Gtter, die Gutes und Bses erkennen(Genesis 3, 2-5).

    Ihr drren Gebeine, hret das Wort Jahwes(Ezechiel 37, 4).

    Lieber Unbekannter Freund,

    sind Sie niemals betroffen gewesen ber die widersprchlichenAussagen, die Gott und die Schlange im Bericht der Genesis vomSndenfall ber den Tod machen? Denn Gott sagt dort: Du sollstnicht vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bsen essen, denn amTage, da du davon issest, wirst du sterben! Und die Schlange sagt:Keineswegs, ihr werdet nicht sterben! Gott ist hier deutlich; dieSchlange ist es auch.

    Hat die Schlange ganz einfach gelogen? Oder handelt es sich umeinen grundlegenden Irrtum der Schlange? Oder hat sie eine Wahrheitausgesprochen, in der Ordnung der dem Bereich der Schlange eigenenWahrheiten, die Lgen sind im Bereich der Wahrheiten Gottes? Mitanderen Worten: Gibt es zwei Unsterblichkeiten und zwei verschiedneTode die einen vom Standpunkte Gottes und die anderen von dem derSchlange? Ist es nicht so, da die Schlange unter Tod das versteht, wasGott unter Leben versteht, und da sie das unter Leben versteht, wasGott unter Tod versteht?

    Nun fordere ich Sie auf, lieber Unbekannter Freund, sich an die Arbeit zubegeben, um die Antwort auf diese Frage zu finden, wobei ich IhrerAufmerksamkeit die Frchte jener Arbeit unterbreite, die ich zu demselbenZweck getan habe. Denn die Antwort auf diese Frage ist das Arcanum desdreizehnten Kartenbildes des Tarot Der Tod, das ein Skelett darstellt, dasnur abmht, was aus dem schwarzen Boden hervortreibt und sich ber ihnerhebt, Hnde, Kpfe ...

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    Unsere uere Erfahrung vom Tode ist das Verschwinden der Lebewesenvom physischen Plan. Das ist die Erfahrung unserer fnf Sinne. DasVerschwinden als solches beschrnkt sich aber nicht auf den Bereich derueren Sinneserfahrung, es wird auch im Bereich der inneren Erfahrungerlebt in dem des Bewutseins; dort verschwinden Bilder undVorstellungen ebenso, wie Lebewesen es tun fr die Erfahrung der Sinne. Wirnennen es Vergessen". Und dieses Vergessen breitet sich jede Nacht berdie Gesamtheit unseres Gedchtnisses, Willens und Verstndnisses aus, soda wir uns vollstndig vergessen. Das nennen wir Schlaf.

    Fr unsere Erfahrung im ganzen (die uere und innere) sind Vergessen,Schlaf und Tod drei Erscheinungsformen desselben Vorganges nmlichdes Verschwindenlassens. Man sagt, da der Schlaf der jngere Bruder desTodes ist. Man mu noch hinzufgen: das Vergessen ist der Bruder desSchlafes.

    Vergessen, Schlaf und Tod sind drei im Grade verschiedeneErscheinungsformen eines einzigen Prinzips oder einer einzigen Kraft, diedie intellektuellen, seelischen und krperlichen Phnomene zumVerschwinden bringt. Vergessen verhlt sich zum Schlaf wie der Schlafzum Tod. Oder auch: Vergessen verhlt sich zur Erinnerung wie der Schlafzum Bewutsein, und der Schlaf verhlt sich zum Bewutsein wie der Todzum Leben.

    Man vergit, man schlft ein, und man stirbt. Man erinnert sich, manerwacht, und man wird geboren. Die Erinnerung verhlt sich zumVergessen wie das Erwachen zum Schlafe, und das Erwachen verhlt sichzum Schlafe wie das Geborenwerden zum Tode. Man vergit sich, wenn maneinschlft, und man erinnert sich seiner selbst, wenn man aufwacht.Wiederum ist es der Mechanismus des Vergessens, der am Werk ist, wennman stirbt, und der Mechanismus der Erinnerung ist es, der bei der Geburtwirkt. Wenn die Natur uns vergit, sterben wir; wenn wir uns selbstvergessen, schlafen wir ein; wenn wir das lebhafte Interesse an einer Sacheverlieren, vergessen wir sie.

    Was wir allerdings nicht vergessen drfen, ist, da die Bereiche vonVergessen, Schlaf und Tod weitreichender und tiefer sind als dasverstandesmige Vergessen, der organische Schlaf und der klinischeTod. Auer dem verstandesmigen Vergessen gibt es noch ein seelischesVergessen und ein willentliches Vergessen ebenso wie es auer derverstandesmigen Erinnerung eine seelische und eine willentliche Erinnerunggibt. So kann man z. B. eine klare und genaue verstandesmige Erinnerungan einen frheren Freund behalten, ihn aber gleichzeitig seelisch vlligvergessen haben. Man erinnert sich seiner, aber ohne das lebhafteFreundschaftsgefhl von frher. Ebenso kann man sich eines Menschen imVerstand und in der Seele erinnern, d. h. mit einem lebhaften Gefhl, aberihn zugleich im Bereich des Willens vergessen haben. Man erinnert sich

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    seiner vielleicht mit Zrtlichkeit, aber man tut nichts fr ihn.Auer dem organischen Schlaf, wo man zu Bett liegt und alles vergit

    einschlielich seiner selbst, gibt es einen seelischen Schlaf und einen Schlafdes Willens. Whrend der sechzehn oder achtzehn Stunden, die wir imWachzustande verbringen, gibt es Schichten in unserem Seelenwesen, die imSchlaf liegen. Man schlft whrend des Wachzustandes fr viele Dinge fr Tatsachen, Menschen, Ideen, Gott ...

    Wenn der Buddha angesehen und verehrt wird als vllig erwacht frdie Tatsachen des menschlichen Lebens, wie Krankheit, Alter und Tod, sogeschieht dies, weil diejenigen, die keine Buddhas sind, wissen, da siehinsichtlich dieser Tatsachen schlafen nicht verstandesmig, aber seelischund in ihrem Willen. Sie wissen es, und zugleich wissen sie es nicht.Denn man wei in Wahrheit nur dann, wenn man begreift, was man wei,wenn man fhlt, was man begriffen hat, und wenn man in die Tat umsetzt,was man verstanden und gefhlt hat.

    Ebenso gibt es auer dem klinischen Tod einen seelischen und einenmoralischen Tod. Whrend der siebzig oder achtzig Jahre unseres Lebenstragen wir in unserem Inneren tote Schichten in unserem Seelenwesen. Es gibtDinge, die unserem seelischen und moralischen Dasein fehlen. DerAbwesenheit von Glauben, Hoffnung und Liebe kann man durch keineArgumente, keine Ermahnungen und auch nicht durch das lebendige Beispielabhelfen. Es bedarf einer Handlung der gttlichen Magie oder der Gnade ,um dem, was tot ist, Leben einzuflen.

    Wenn Christus als der Auferstandene verehrt wird, geschieht es, weildiejenigen, die in sich den Tod tragen, wissen, da nur die gttliche Magieauferwecken kann, was in ihnen erstorben ist, und da der auferstandeneChristus dafr die Brgschaft ist.

    Vergessen, Schlaf und Tod ebenso wie Erinnerung, Aufwachen und Geburt haben ihnen eigene bildhafte oder symbolische Ausdrcke: die Schwrze ist dasBild fr Vergessen, die Krautbschel sind das Bild des Schlafes, und dasSkelett mit der Sense ist das Bild des Todes.

    Die Schwrze ist das Symbol fr Vergessen, sowohl fr das ungewollteund natrliche, wie fr das willentliche und bernatrliche Vergessen, vondem der hl. Johannes vom Kreuz spricht jene dreifache Nacht der Sinne, desVerstehens und des Willens, in der sich die Vereinigung der Seele mit Gottvollzieht. Die Krautbschel oder Bltter sind Symbol fr den Schlaf, weilder Tiefschlaf der Zustand ist, wo wir vegetativ leben. Das organischeLeben Atmung, Kreislauf, Verdauung und Wachstum luft dabei weiter ab,ohne da Tierheit und Menschheit gegenwrtig sind. Wir sind Pflanzen,wenn wir in den Schlaf eingetaucht sind.

    Und das Skelett ist Symbol fr den Tod, weil es die Erscheinung desbewuten, beweglichen, lebenden und materiellen Menschen zurckfhrt aufdas, was mineralisch an ihm ist das Skelett.

    Das natrliche Vergessen fhrt den Menschen auf das Tierhafte zurck, der

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    natrliche Schlaf reduziert ihn auf das Pflanzenhafte, und der natrliche Todfhrt ihn zurck auf das Mineralische. Das ganze Problem des Todes mitseinen drei Stufen des Vergessens, des Schlafes und des eigentlichen Todes oder das Arcanum des Todes stellt sich uns also dar als das Bild einerschwarzen Sphre, unterhalb deren es Krautbschel gibt, ber denen sich einSkelett befindet.

    Und genau dieses Bild fhrt uns die dreizehnte Karte des Tarot vor Augen.Der Zusammenhang des Kartenbildes ist der von der dreifachenErscheinungsform des Prinzips der Subtraktion Vergessen, Schlaf undTod. Wir haben hier den schwarzen Boden, die blauen und gelbenKrautbschel und ebenso das mhende Skelett.

    Das Bild enthlt noch ein viertes Element, das auf der Karte durchmenschliche Kpfe, Hnde und einen Fu dargestellt wird. Darauf werdenwir spter zurckkommen.

    Das dreizehnte Arcanum des Tarot ist also das des Prinzips der Subtraktionoder des Todes, das das Gegenteil von dem Prinzip der Addition oder desLebens ist. Man mu das Ich vom astralischen Leib, vom therleib und vomphysischen Leib abziehen, um den Mechanismus des Vergessens zuverstehen; man mu das Ich und den Astralleib vom therleib und vomphysischen Leib abziehen, um den Zustand des Schlafes zu erhalten, undman mu den therleib vom physischen Leib abziehen, um den Leichnamvor sich zu haben d. h. die Tatsache des Todes.

    Diese drei Stufen der Subtraktion bilden zusammen den Proze derEntkrperung, so wie die drei Stufen der entsprechenden Addition zusammenden Proze der Verkrperung bilden. Denn Verkrperung ist dieHinzufgung des Astralleibes zum Ich, des therleibes zum Astralleibund zum Ich, und schlielich des physischen Leibes zum therleib,Astralleib und Ich.

    Nun stellt die Sense, die das Skelett auf dem Kartenbild hlt, denVorgang der Subtraktion dar. Sie symbolisiert die Kraft der Entkrperung, diedie Bande durchtrennt zwischen Ich und Astralleib (Vergessen), zwischenAstralleib und therleib (Schlaf) und zwischen dem therleib und demphysischen Leib (Tod).

    Welches sind die Bande zwischen der Seele und dem Leib oder vielmehrzwischen der Seele und den Leibern die die Sense des dreifachen Prinzipsder Subtraktion durchtrennt? Was vereint das Ich mit dem Astralleib, denAstralleib mit dem Lebens- oder therleib und den Lebensleib mit demphysischen Leib? Oder: Wie und warum erinnern wir uns der Vergangenheit,wie und warum erwachen wir am Morgen, wie und warum leben wirwhrend einiger Jahrzehnte?

    Sehen wir zuallererst ab von der enormen Literatur, in der diese Fragenbehandelt worden sind, und versuchen wir, eine meditative Arbeit zu leisten,d. h. unmittelbar nachzudenken ber den Gegenstand, der uns beschftigt,ohne die Vermittlung von irgendwelchem Material, das aus anderen Quellen

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    als aus unserer Erfahrung und unserer unmittelbaren Fassungskraft entlehntist. Meditieren ist Denken im Hinblick darauf, Gewiheit im inneren Forumzu erreichen unter Verzicht auf jeden Anspruch, zu Dingen von allgemeinerGltigkeit zu gelangen, die ein Beitrag zur Wissenschaft wren. In derMeditation und diese Briefe sind reine Meditationen handelt es sich vorallem um die in aller Redlichkeit an unser eigenes Gewissen und durchunser eigenes Gewissen gestellte und beantwortete Frage: Was weiich? und nicht um die Frage: Was wei man?

    Sehen wir also im Augenblick ab, lieber Unbekannter Freund, von dem,was man wei, und dem, was man gesagt hat und zu sagen hat ber dieBande zwischen der Seele und den Leibern, und versuchen wir unsRechenschaft zu geben wir selbst uns selbst ber das, was wir davonwissen und wissen knnen.

    Betrachten wir zuerst den Bereich des Vergessens und den der Erinnerung das Gedchtnis. Das Gedchtnis ist die Magie im subjektiven Bereich, die dasWachrufen von Dingen aus der Vergangenheit bewirkt. Sie machtVergangenes gegenwrtig. Ebenso wie ein Zauberer oder Nekromant dieGeister der Verstorbenen beschwrt, indem er sie erscheinen lt, ebensobeschwrt das Gedchtnis Dinge der Vergangenheit und lt sie vor unsereminneren mentalen Blick erscheinen. Die gegenwrtige Erinnerung ist dasErgebnis einer magischen Operation im subjektiven Bereich, wo es mirgelungen ist, aus dem schwarzen Nichts des Vergessens ein lebendiges Bildder Vergangenheit hervorzurufen. Ein lebendiges Bild der Vergangenheit ...Abdruck? Symbol? Kopie? Phantom?

    Alles zugleich. Es ist ein Abdruck, insofern es einen in der Vergangenheiterhaltenen Eindruck wieder hervorbringt; es ist Symbol, insofern es sichmeiner Vorstellungskraft bedient hat, um eine Realitt zuvergegenwrtigen, die mehr ist als die imaginre Vorstellung; es ist Kopie,insofern es nur das Original des Vergangenen wiedergeben will; es istPhantom, insofern es eine Erscheinung aus dem schwarzen Abgrund desVergessens ist und es die Vergangenheit wiederaufleben lt, indem es siemeinem inneren Blick vergegenwrtigt. Welche Kraft ist am Werk bei dersubjektiven magischen Operation des Zurckrufens, der Erinnerung? Es gibtvier Arten von Gedchtnis, von denen ich Erfahrung besitze: dasautomatische oder mechanische, das logische, das moralische und dasvertikale oder offenbarende Gedchtnis.

    Das automatische oder mechanische Gedchtnis lt kaum den bewutenAbruf einer Erinnerung zu. Die Erinnerung tritt einfach ein. Es findet gemden Gesetzen des Automatismus der Assoziationen statt, d. h. derhnlichkeiten, Verwandtschaften, Verbindungen usw. der Dinge, die dasZurckrufen bewirken, ohne da ich daran anders beteiligt bin denn alsBeobachter. Diese Art von Gedchtnis liefert mir aus Anla jedesEindruckes, den ich empfange, eine Menge Bilder der Vergangenheit,zwischen denen ich whlen kann. So habe ich, wenn ich eine Pfeife sehe,

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    die Wahl zwischen den Bildern aus der Vergangenheit, die sich meinemGeist von selbst darbieten: ein alter Seebr, den ich in B. im Jahre 19..gesehen habe; ein Buch ber die Indianer, in dem es um das Ritual derFriedenspfeife ging; mein Freund S., der alle Welt in die Flucht schlug,wenn er sich seine Pfeife mit selbstangebautem und -zubereitetem Tabakanzndete, als es whrend des zweiten Weltkrieges keinen Tabak zu kaufengab usw., usw.

    Beim logischen Gedchtnis bin ich mehr beteiligt als im Falle desautomatischen Gedchtnisses. Da mu ich nachdenken, um mich der Dingezu erinnern. So frage ich mich zum Beispiel, wenn ich mich an die Hindu-Trinitt erinnern will, von der ich einen der drei Namen vergessen habe:Wenn es den Schpfer und den Zerstrer gibt, Brahma und Shiva,welches mte sich als drittes Prinzip zwischen Schpfer und Zerstrerbefinden? Ich konzentriere mich auf den leeren Platz zwischen den beidenund strenge mich an, ihn logisch auszufllen. Ah ja, es ist das Prinzip desErhalters, es ist Vishnu, wohlgemerkt! sage ich mir. Im logischen Gedchtnisgibt es weniger Automatismus und mehr bewute Anstrengung.

    Beim moralischen Gedchtnis gibt es kaum einen Automatismus. Hierist die Erinnerung nicht mehr etwas, das von selbst eintritt, sondern ein echtermagischer, obwohl subjektiver Akt. Liebe ist es, die im moralischenGedchtnis am Werk ist, wenn es sich an Vergangenes erinnert.Bewunderung, Hochachtung, Freundschaft, Dankbarkeit, Zuneigung undtausend andere unvergeliche, also jederzeit hervorrufbare Dinge derVergangenheit. Je mehr man geliebt hat, desto mehr erinnert man sich durchdas moralische Gedchtnis.

    Im allgemeinen besitzen junge Menschen ein sehr starkes mechanischesGedchtnis. Es schwcht sich mit zunehmendem Alter ab, und das logischeoder verstandesmige Gedchtnis kommt zu Hilfe. Das erfordert dieAnstrengung des Denkens und die intellektuelle Bemhung. DiejenigenMenschen, die versumt haben, den Geschmack am Denken und anintellektueller Anstrengung zu entwickeln, werden im reifen AlterSchwierigkeiten mit ihrem Gedchtnis haben. Das mechanische Gedchtniswird ihnen mehr und mehr verlorengehen, und das logische Gedchtnis, dasdazu berufen ist, es zu ergnzen, wird ihnen dann fehlen.

    Das moralische Gedchtnis ersetzt vor allem im vorgerckten Alter mehrund mehr nicht nur das mechanische, sondern auch das logische oderverstandesmige Gedchtnis. Dann liefert das Herz die Kraft, die dasGedchtnis ernhrt und unterhlt und die zunehmende Schwche desmechanischen und verstandesmigen Gedchtnisses ersetzt. Die Schwchedes senilen Gedchtnisses rhrt von der Tatsache her, da der Mensch, derdarunter leidet, versumt hat, rechtzeitig die Funktion desverstandesmigen Gedchtnisses, ganz zu schweigen vom mechanischenGedchtnis, zu ersetzen durch diejenigen des moralischen Gedchtnisses. DieMenschen, die es vermgen und verstehen, allem einen moralischen Wert

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    beizumessen, und die in allem einen moralischen Sinn sehen, werdennichts vergessen und werden ein normales, wenn nicht ausgezeichnetesGedchtnis im weit vorgerckten Alter haben.

    Das moralische Gedchtnis das alles ohne Ausnahme verstehen kann ist um so wirksamer, je weniger man moralisch indifferent ist.Gleichgltigkeit, Mangel an moralischem Interesse, ist die Grundursache derGedchtnisschwche, die oft im vorgerckten Alter vorkommt. Je wenigergleichgltig man ist, desto mehr erinnert man sich der Vergangenheit, destofhiger ist man, neue Dinge zu lernen.

    Auer den drei Arten von Gedchtnis dem mechanischen, logischen undmoralischen , von denen bisher die Rede war, gibt es noch eine ArtGedchtnis, die wir als vertikales oder offenbarendes Gedchtnisbezeichnet haben. Es ist nicht das Gedchtnis an die Vergangenheit im Sinneder horizontalen Linie: heute, gestern, vorgestern usw., sondern vielmehr imSinne der vertikalen Linie: hier, hher, noch hher usw. Es ist dasGedchtnis, das nicht die Gegenwart mit der Vergangenheit auf der Ebenedes leiblichen, seelischen und verstandesmigen Lebens verbindet, sonderndas die Ebene des gewhnlichen Bewutseins mit den Ebenen hhererBewutseinszustnde als des gewhnlichen verbindet. Es ist die Fhigkeitdes niederen Ich, die Erfahrung und das Wissen des transzendenten Ichwieder hervorzubringen oder, wenn Sie so wollen, die Fhigkeit destranszendenten Ich, dem Bewutsein des niederen Ich seine Erfahrungund sein Wissen einzuprgen. Es ist das Band zwischen dem oberenAuge und dem unteren Auge, das uns in echter Weise religis, weiseund widerstandsfhig gegenber den Angriffen des Skeptizismus, desMaterialismus und des Determinismus macht. Es ist auch die Quelle derGewiheit nicht allein von Gott und der geistigen Welt mit ihrenhierarchischen Wesen, sondern auch von der Unsterblichkeit unseres Wesensund der Wiederverkrperung, in dem Falle, da man sich wiederverkrperthat.

    Die Morgenrte ist die Freundin der Musen und hnlicheSprichwrter der Vlker wie Morgenstund hat Gold im Mund oder(russisch) Utro vechera mudrenneja Der Morgen ist klger als der Abendusw. beziehen sich auf die Wohltaten des vertikalen Gedchtnisses, derenman sich am Morgen nach der Rckkehr des Bewutseins von der Ebene dernatrlichen Ekstase oder des Schlafes erfreut.

    Das vertikale Gedchtnis ist in dem Mae wirksam, wie die dreigeheiligten Gelbde Gehorsam, Armut, Keuschheit den unterenMenschen fhig machen, auf die Dinge von oben zu hren, siewahrzunehmen und sie aufzunehmen, ohne sie zu verunstalten. Dasvertikale Gedchtnis ist im Grunde nur das in seiner Entwicklung auf einehhere Stufe gebrachte moralische Gedchtnis. Darum zhlt im Falle desvertikalen Gedchtnisses nur die moralische Luterung, wie sie die Ausbungder drei geheiligten Gelbde mit sich bringt. Intellektuelle Interessen als

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    solche zhlen dabei berhaupt nicht.Soweit die skizzierte Bestandsaufnahme der Gebiete unseres

    Gedchtnisses.Kehren wir nun zu der Frage zurck: Welche Kraft ist am Werk bei der

    subjektiven magischen Operation des Zurckrufens?Zuerst mu man sich von der Tatsache Rechenschaft ablegen, da es

    sich bei der von uns soeben erstellten Stufenleiter: mechanisches verstandesmiges moralisches vertikales Gedchtnis um Gradeder Annherung und der Entfernung handelt mit Bezug auf das unmittelbareErfassen der Gedchtnisfunktion durch das Bewutsein, mit der Klarheitder Evidenz des Wie und Warum. In der Tat, je mechanischer eine Sacheist, desto weiter entfernt ist sie davon, unmittelbar vom Bewutsein erfat zuwerden, und je entfernter sie von diesem ist, desto mysteriser undunbegreiflicher ist sie. Die rein mechanische Erklrung ist eigentlich garkeine Erklrung, denn sie entfernt das zu erklrende Objekt aus demBereich, wo das Verstehen stattfindet, indem sie es aus der Region derVerstndlichkeit, d. h. der Denkbarkeit und der Fhlbarkeit, in die Regiondes Unbewuten, also der Unverstndlichkeit versetzt. Wer zum Beispiel dasPhnomen des Lchelns erklren will durch die Zusammenziehung derMuskeln in der Gegend des Mundes und der Backen, und dieZusammenziehung wiederum durch elektrische Impulse, welche durch dieNerven jener Zentrale vermittelt werden, die man Gehirn nennt, gibtdurchaus nicht die Erklrung fr das Phnomen Lcheln, auch wenn ernoch so genau den ganzen mechanischen Vorgang in den Muskeln undNerven beschreibt, aus dem einfachen Grunde, weil er von der Heiterkeitabsieht, deren Offenbarung das Lcheln ist und die sowohl die elektrischenImpulse der Nerven als auch die Muskeln des Mundes in Bewegung gesetzthatte. Denn nicht Nerven und Muskeln offenbaren sich im Lcheln, sondernvielmehr die Heiterkeit.

    Und ebenso, wie die Beschreibung des mechanischen Vorganges derMuskeln und Nerven keine Antwort ist auf die Frage: Was ist Lcheln? ebenso ist jede mechanische Erklrung, von was auch immer, berhaupt keineErklrung, sondern das Zum-verstummen-bringen der Frage, indem manihren Gegenstand aus dem Bereich der Verstndlichkeit in den derUnverstndlichkeit versetzt aus dem Licht des Bewutseins in die Finsternisdes Unbewuten. Denn was wir mechanisch nennen, ist in Wirklichkeitnur das Unbewute oder vielmehr das des Bewutseins Beraubte, unddaher unzugnglich fr das Bewutsein, also unverstndlich undenkbar undunfhlbar.

    Das Mechanische ist also nicht etwa die Region der Antworten, sondernder Friedhof der wirklichen Fragen. Darum drfen und knnen wir nicht aufder erwhnten Stufenleiter des Gedchtnisses die Operation der Erinnerungin demjenigen Bereich zu verstehen suchen, wo sie unbegreifbar undunverstndlich ist, d. h. in dem des mechanischen Gedchtnisses.

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    Wir mssen sie im Gegenteil am anderen Ende der Leiter suchen dort,wo sie am wenigsten in die Finsternis des Mechanischen getaucht ist undwo sie am meisten ihr Wesen im Lichte des Bewutseins offenbart, d. h.im Bereich des moralischen Gedchtnisses und ganz besonders in dem desvertikalen Gedchtnisses. Denn der Zustand der vollstndigenEntwicklung ist es, der die frheren Entwicklungsstufen erklrt undverstndlich macht, und nicht umgekehrt. Das Minimum ist nichts als dasreduzierte Maximum, und durch das Maximum versteht man das Minimum,nicht umgekehrt. Das Bewutsein ist es, das das Mechanische und dasUnbewute verstndlich macht, da das letztere nur das auf das Minimumreduzierte Bewutsein ist, und nicht umgekehrt. Der Mensch ist derSchlssel der biologischen Evolution der Natur, und nicht die primitiveorganische Zelle.

    Wir mssen also den Schlssel zur Operation des Ins-Gedchtnis-Zurckrufens auf der hchsten Stufe der Entwicklung des Gedchtnissessuchen im moralischen Gedchtnis und im vertikalen Gedchtnis.Welches nun ist die Kraft, die am Werk ist bei der subjektiven magischenOperation des Zurckrufens, wie sie sich im vertikalen Gedchtnis und immoralischen Gedchtnis enthllt?

    Im folgenden enthllt sie sich auf ihrer hchsten, uns noch verstndlichenStufe, whrend die brigen Stufen nur abgeschwchte analogeManifestationen davon sind:

    Jesus liebte aber Martha und ihre Schwester und Lazarus ... Bei seinerAnkunft fand ihn Jesus schon vier Tage begraben ... Da weinte Jesus ...Abermals wurde Jesus in seinem Innern erschttert und kam zum Grabe. Eswar eine Hhle, und ein Stein lag davor. Jesus sagte: ,Hebt den Stein weg...

    Nun hoben sie den Stein weg ... (Jesus) rief mit lauter Stimme: Lazarus,komm heraus Da kam der Verstorbene heraus, Fe und Hnde in Bindengewickelt, und sein Gesicht war mit einem Schweituch umbunden (Jo 11,5 35-38 f 43 f).

    Da haben wir die Kraft des Zurckrufens auf ihrer vollstndigsten,hchsten Stufe. Es ist die Liebe: Denn Jesus liebte Martha und ihreSchwester und Lazarus.

    Die Operation des ins Leben Zurckrufens oder der Auferweckung umfatdrei Stufen: das Kommen, das Fortwlzen des Steines und das Rufen mitlauter Stimme.

    Zuerst das Kommen Kommen und Ankommen ist die Ttigkeit, diedas letzte Tor, das den Zurckrufenden vom Zurckgerufenen trennt, suchtund findet. Die ungefhr fnfzehn Stadien zwischen Bethanien undJerusalem, die der Meister zurckgelegt hat, um beim Grab des Lazarusanzukommen, stellen die erste Bemhung der ganzen Operation desZurckrufens dar: diejenige, die auf die Annherung und Ankunft des

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    Zurckrufenden gerichtet ist.Dann das Fortwlzen des Steines eine Anstrengung, die den Zweifel, die

    Niedergeschlagenheit, die Ermdung und die schlielicheHoffnungslosigkeit berwindet, die wie ein Stein vor der Grabeshhle demZurckgerufenen den Weg versperren. In Analogie dazu ist man im Bereichdes vertikalen Gedchtnisses und des moralischen Gedchtnisses, unfhig,sich Dinge zurckzurufen, die man fr immer verloren glaubt, oderhinsichtlich deren man glaubt, da es unmglich ist, sie in die Helle desBewutseins zu rufen. Dieser Zweifel und dieser Mangel an Glauben lhmendie Bemhung des Zurckrufens und sind wie ein vor das Grab gewlzterStein. Dieser Stein ist oft wenn nicht immer die Ursache fr dieAbwesenheit von jedem lebendigen und berzeugenden Gefhl bei vielen,ganz zu schweigen von genauen und konkreten Erinnerungen an frhereLeben, d. h. an die Reinkarnation. Die Erinnerungen mgen noch so sehr andie Tr klopfen; der vor ihr liegende Stein erlaubt ihnen nicht, aus ihrerTiefe hervorzukommen und in die Helle des Bewutseins zu treten.

    Schlielich der Ruf. Das Rufen mit lauter Stimme ist die hchste undletzte Anstrengung, wenn man durch die Kraft der Liebe zurckruft, sei esins Leben, wie es bei Lazarus der Fall war, sei es ins Gedchtnis, wie esbeim Zurckrufen in das vertikale und moralische Gedchtnis der Fall ist.

    Eine Stimme ist um so lauter, d. h. um so hrbarer in der physischenWelt, je intensiver die Vibrationen sind, die sie in der Luft erzeugt.

    Anders verhlt es sich damit in der geistigen Welt. Dort ist eine Stimmeum so hrbarer, d. h. um so lauter, je mehr sie von der zugrunde liegendenBemhung und dem zugrunde liegenden Leiden ausdrckt. Arbeit und Leidensind es, die unsere Stimme hrbar machen fr die geistige Welt und in dergeistigen Welt. Sie rufen in der geistigen Welt die gengend starkenVibrationen hervor, um unsere Stimme hrbar zu machen. Das ist derGrund, warum der dreifache Rosenkranz hundertfnfzigmal das Ave Mariaund fnfzehnmal das Vaterunser wiederholt. Denn wie das Leiden dasStogebet eines einzigen Wortes, z.B. Jesus!, hrbar macht, macht dieBemhung die Bitten des dreifachen Rosenkranzgebetes hrbar. Ich wrde esan Respekt vor der Wahrheit fehlen lassen, wenn ich nicht sagte, da die aufLeiden begrndete Bemhung des Rosenkranzgebetes daraus ein mchtiges,manchmal fast allmchtiges Mittel der geheiligten Magie macht.

    Nun soll das Rufen mit lauter Stimme, das der entscheidende Akt derganzen Operation des Zurckrufens ist, laut sein von Mhe und Leid:

    Da weinte Jesus ... Abermals wurde Jesus in seinem Innern erschttertund kam zum Grabe ... (Jesus) rief mit lauter Stimme: ,Lazarus, kommheraus! (Jo 11, 38 43).

    Es ist die Liebe, die weint und sich mht, die das Wunder desZurckrufens sowohl aus der Vergessenheit des Gedchtnisses wie vom Todezum Leben vollbringt.

    Das Zurckrufen ist also ein Wunder?

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    Ja, ein Wunder. Erlauben Sie mir, lieber Unbekannter Freund, einigesber das Wunder zu sagen, von dem ich glaube, da es von hchsterTragweite ist und worber jeder christliche Hermetiker und jeder Kabbalistsich Rechenschaft ablegen sollte: nmlich, da es keine Freiheit auerhalbdes Wunderbaren gibt und da der Mensch nur Mensch ist, sofern er vomWunder, durch das Wunder und fr das Wunder lebt.

    Alles, was nicht Maschine ist leiblich, seelisch und intellektuell , istWunder, und alles, was nicht Wunder ist, ist nur Maschine leiblich,seelisch und intellektuell. Die Freiheit ist Wunder, und der Mensch ist nurfrei, sofern er nicht Maschine ist leiblich, seelisch und intellektuell. Wirhaben keine andere Wahl als jene zwischen der Maschine und derVersklavung einerseits und dem Wunder und der Freiheit andererseits.

    Die menschliche Maschine sie funktioniert nach dem determiniertenProgramm Maximum an Lust bei Minimum an Kosten, so da sie sichdazu hergibt, bei gegebenen Umstnden in ihren Reaktionen genauvorherbestimmbar zu sein. Im Bereich des Intellekts verwirft sie jeden Begriffund jede Idee, die sich nicht mit dem in ihr etablierten intellektuellen Systemvertragen; auf seelischem Gebiet verwirft sie alles, was nicht mit dem in ihrfestgesetzten Glcks-Komplex vereinbar ist. Und im leiblichen Bereichfolgt sie automatisch den Befehlen, die von dem in ihr wohnenden KomplexInstinkt ausgehen.

    Wenn ein Reicher sich als Antikommunist und ein Armer sich alsProkommunist erklrt, so ist es nur das Funktionieren der menschlichenMaschine. Es ist aber ein Wunder d. h. ein Akt der Freiheit , wenn einReicher seine Besitztmer verlt und die Armut whlt, wie es der hl.Antonius der Groe tat und wie es viele andere Heilige taten, ebenso wiezahlreiche Karmeliter, Franziskaner, Dominikaner usw., die das Gelbdeder Armut ablegten. Das Wunder des hl. Franziskus ist nicht nur die Heilungeines Ausstzigen, sondern auch seine Liebe zu der Dame Armut.Kulminieren die Wunder Jesu Christi in der Auferweckung des Lazarus oderim Kreuz auf dem Kalvarienberg, wo er, mitten im Todeskampf derHinrichtung, sagte:

    Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun! (Lk 23, 34)?Alles, was man tut, ist Wunder; alles verstandesmige, seelische und

    leibliche Funktionieren von Natur aus, d. h. aus menschlichemAutomatismus, ist Maschine. Die Bergpredigt ist die Unterweisung im Tunund im Sieg ber das Funktionieren.

    Liebet eure Feinde; tut Gutes denen, die euch hassen!Segnet, die euch fluchen; und betet fr die, welche euch verleumden ... und ihrwerdet Shne des Hchsten sein (Lk 6, 27 ff. 35).

    Ist das nicht die Unterweisung, die hinzielt auf die Befreiung von derMaschine, von jedem Funktionieren, und ist es nicht die Schule des Wunders?

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    Denn denjenigen segnen, der Sie verflucht, ist ein Wunder vomStandpunkt des normalen und natrlichen Funktionierens der Reaktionender menschlichen Maschine. Das geht nicht von selbst, das wird getan(geschaffen); und ich wiederhole: man tut nur Wunder, man schafft sie,und alles, was getan wird, ist Wunder, und nichts wird getan, ohne da esWunder wre. Alles, was kein Wunder ist, wird nicht getan, nicht geschaffen es geschieht als Teil des automatischen Funktionierens. Nur durch dasWunder drckt sich das wahre Wesen aus, offenbart sich sein schpferischesWort.

    Es ist daher falsch, die Anfangsworte des Johannesevangeliums als Lehreeiner Art von kosmischem Rationalismus auszulegen, analog der stoischenLehre vom nus usw. nein, die Anfangsworte desJohannesevangeliums verknden mit Nachdruck die kosmische Rolle desWunders und da die Welt dem Wunder verdankt wird, d. h., da siegemacht ist durch das schpferische Wort und da sie nicht auf irgendeinFunktionieren zurckgeht, auf irgendeinen automatischen Proze, wiehochgradig vernunftmig er immer sein mag.

    Alles ist durch (das Wort) geworden, und ohne es ist nichts geworden,was geworden ist (Jo 1, 3),

    sagt das Evangelium ber das Wort, und was wir soeben ber das Wunderund die Maschine gesagt haben, das Tun und das Funktionieren, ist nurdie mikrokosmische Analogie des Wortlautes von makrokosmischerTragweite des Johannesevangeliums.

    Nun schlieen alle Dinge, die durch das Wort geschaffen sind, auch dasZurckrufen in das vertikale und moralische Gedchtnis mit ein. Der Aktdes Zurckrufens gehrt zur Sphre des Tuns, also zu der des Wundersund nicht zur Sphre des Funktionierens. Das Zurckrufen in das logischeGedchtnis ist eine Mischung von Tun und Funktionieren (d. h. dermoralische Akt des Zurckrufens ist auf ein Minimum reduziert). DasZurckrufen schlielich in das mechanische Gedchtnis ist bloesFunktionieren.

    Wenn das Sicherinnern ein analoges Tun zur Auferweckung des Lazarusist, was ist dann das Vergessen?

    Das Vergessen deutet auf eine Stufenleiter analog der des Sicherinnerns.Es kann automatisch, halb-automatisch und auf eine freie, bewute Weisegeschehen, ja nach der Art des Gedchtnisses, in dem es sich ereignet. Immechanischen Gedchtnis vergit man automatisch. Da vergessen sich dieDinge. Im logischen Gedchtnis entfernen sich die Dinge und verblassennach und nach, wenn man sie nicht von Zeit zu Zeit in das Feld bewuterAufmerksamkeit zurckruft. Im moralischen Gedchtnis und im vertikalenGedchtnis schwindet nichts von selbst; das Vergessen ist dort einmoralischer Akt des Willens.

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    Wenden wir dasselbe Verfahren an wie im Falle des Sicherinnerns, d.h., beginnen wir am Ende der Stufenleiter, wo das Vergessen ein Akt desBewutseins ist, und wo es verstndlich wird, da es in der Helle desBewutseins stattfindet.

    Nun gibt es wohl niemanden, der nicht aus Erfahrung wte, da jedebewute Bemhung eine Konzentration oder Sammlung erfordert und daKonzentration oder Sammlung das bewute und gewollte Vergessen vonvielen Dingen bedeutet, die sich nicht auf den Gegenstand der Konzentrationoder der Sammlung beziehen. Man wei: wenn man das Vaterunser betet,vergit man fr die Dauer dieses Gebets die alltglichen Angelegenheiten undauch alle anderen Gebete.

    Ebenso ist es mit den geistigen und gttlichen Werten und denen derErscheinungswelt. Die drei Stufen des Weges zur Vereinigung der Seele mitGott die der Luterung, Erleuchtung und Vereinigung sind nichts anderesals die Geschichte einer einzigen wachsenden Bemhung der Konzentrationder ganzen Seele auf Gott hin. Der hl. Johannes vom Kreuz sagt ber dieWirkung der Erfahrung, die man bei der wirklichen Vereinigung derSeelenkrfte mit Gott macht:

    ... sie (die Seele) hat in dieser Vereinigung die erhabenste WeisheitGottes getrunken, die sie alle Dinge dieser Welt vergessen lt. Es kommtihr vor, als wren die vereinten menschlichen Kenntnisse und all ihr eigenesWissen eine reine Unwissenheit im Vergleich mit dem, was sie jetzt zuwissen bekommt

    und weiter:

    ... in je hherem Grade sich das Gedchtnis mit Gott vereint, desto mehrtreten die Einzelerkenntnisse zurck, bis sie vllig verschwinden. Letzteres trittbesonders dann ein, wenn die Vollkommenheit in den Zustand oder in dasWesen der Vereinigung bergeht. Darum ist es zumal bei Eintritt diesesZustandes unausbleiblich, da die Seele ihre Umgebung allmhlich ganzvergit, da alle Bilder und Erinnerungen aus dem Gedchtnis entschwinden ...das Gedchtnis so ganz in Gott versenkt ist. Sobald indes die Vereinigung,dieses unschtzbare Gut, eine dauernde geworden ist, kommt in Sachen dessittlichen und natrlichen Verhaltens kein solches Vergessen mehr vor; imGegenteil, die der Seele entsprechenden und notwendigen Handlungenerlangen jetzt eine viel grere Vollkommenheit, da die Anregung zudenselben nicht mehr von den Bildern und Erinnerungen des Gedchtnissesausgeht ...

    Ich fge hinzu, da die Meister des Raja-Yoga, Bhakti-Yoga und Inana-Yoga die Praxis des vlligen Vergessens der Erscheinungswelt lehren, umdadurch zur vollkommenen Sammlung zu kommen. Die Unterweisung imVergessen findet sich auch in der mystischen Kabbala und in dermoslemischen Mystik, wie z. B. im Sufismus.

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    Nun ist das Vergessen das Mittel zum bergang von einemBewutseinszustand in einen anderen. Selbst im Falle des Schlafes, der alseine natrliche Ekstase angesehen werden kann, mu man die Welt desTages vergessen, um in die Welt der Nacht bergehen zu knnen. Umeinzuschlafen, mu man vergessen knnen. Schlaflosigkeit ist eine Folge derUnfhigkeit zu vergessen.

    Und das Erwachen?Erwachen ist der gleichzeitige Vorgang des Sichererinnerns an die Welt

    des Tages und des Vergessens der nchtlichen Welt. Das Erwachen wreunvollstndig wie es brigens hufig ist , wenn man nicht die Erfahrung dernchtlichen Welt verge. Die Nacht wrde sich dann mit dem Tagvermischen, und das menschliche Bewutsein wre in seiner Verfassung frdie Aufgaben und Pflichten des Tages beeintrchtigt, da seine Konzentrationdurch das Herumspuken nchtlicher Reminiszenzen gestrt wre.

    Und Tod und Geburt?Wenn die mystische Vereinigung der Seele mit Gott das Vergessen der

    Erscheinungswelt und die Erinnerung an Gott ist, so ist der Tod zugleich derRuf von oben und das Vergessen von unten. Die drei Stufen, die zurVereinigung der Seele mit Gott fhren Luterung, Erleuchtung undVereinigung , wiederholen sich nach dem Tode: das Fegefeuer ist dieLuterung (Katharsis), die der Erleuchtung oder dem Himmel vorausgeht, undder Himmel ist der Zustand der Seele, wo sie die Vereinigung mit Gotterreicht analog der Vereinigung, die die Mystiker whrend ihres irdischenLebens erfahren. Diese Vereinigung, dort wie hier, wird zur Gewohnheit was fr die Seele das hchste Gut ist , und dann erinnert sie sich von neuemder Erde und ihrer Prfungen. Das Gedchtnis bekundet dann eine grereVollkommenheit (wie Johannes vom Kreuz es von den quasiwiederauferweckten Funktionen des Gedchtnisses im Falle der Seele sagt,die die Gewohnheit der Vereinigung hat) in all seinen Handlungen. Fgenwir hinzu: in all seinen auf die Erde gerichteten Handlungen.

    Da haben Sie den Grund fr die Verehrung der Heiligen. Die Heiligen,das sind Seelen, die die Gewohnheit der Vereinigung haben und also imBesitz des hheren, vergttlichten Gedchtnisses sind, von dem Johannes vomKreuz spricht. Sie suchen nicht die Vereinigung mit Gott; sie sind mit Gottvereint. Darum handeln sie da ihre Gesichter zur Erde und nicht zu Gottgewandt sind im Namen Gottes auf der Erde. Sie handeln, da sie mit Gottvereint sind, als Organe seines Willens.

    Ebenso ist es mit den himmlischen Hierarchien, den Engeln zum Beispiel.Die Schutzengel knnten niemals Hter der Menschen sein, wenn ihre Blickezu Gott gewandt wren, wenn sie ganz in die Kontemplation Gottes versenktwren. Dank ihrer gewohnten Vereinigung mit Gott, d. h. dank dervollendeten Tatsache der Vereinigung ihres Willens mit dem gttlichenWillen, sind sie imstande, ihre Aufgabe als Hter der Menschen zu erfllen.Sie kennen blind den gttlichen Willen durch die verborgene Intuition ihres

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    eigenen Willens, d. h. durch vollkommenen Glauben whrend das, was siesehen, die Erde und das menschliche Leben auf der Erde ist. Ihre Antlitze sindebenso wie die der Heiligen der Erde zugewandt. Das ist der Grund fr dieVerehrung der Schutzengel.

    Was die Geburt betrifft, so kann auch sie entweder heilig oder natrlichsein, d. h., sie kann entweder ein Akt des Gehorsams gegenber dem gttlichenWillen sein oder sich infolge des Rufs der Erde vollziehen. Eine Seele kannauf die Erde gesandt sein, und sie kann von der Erde angezogen worden sein.Im ersteren Fall ist es ein Akt, analog dem Zurckrufen des vertikalen undmoralischen Gedchtnisses, d. h. analog dem Wunder der Auferweckung desLazarus; im letzteren Fall ist es ein halb freiwilliges, halb unfreiwilligesEreignis, wo die Seele manchmal, ohne da sie es bemerkt, in die Sphre derirdischen Anziehung fllt, die sie zur Geburt trgt, indem sie die Seele nachund nach ihre Erfahrungen von oben vergessen lt. Die Geburt ist alsozugleich das Vergessen des Himmels und das Erinnern der Erde.

    So ist es aber nicht bei der heiligen Geburt. Da ist die Erinnerung desGttlichen die Kraft, die die Inkarnation vollzieht. Hierbei verkrpert sichdie Seele nicht dank dem Vergessen des Gttlichen, sondern dank seinerErinnerung. Im Zustand der gewohnten Vereinigung mit Gott verkrpertsich die Seele. Ihr Wille verliert dann nicht die Erinnerung an das Gttliche.Vielmehr wirkt diese Erinnerung, die in den Willen der Seele eingeprgt ist,in ihr whrend des ganzen irdischen Lebens, das auf die heilige Geburtfolgt. Man spricht dann von einer Mission oder einer Erwhlung. Undmit vollem Recht, weil eine Mission vorliegt die einzige, die existiert.Denn die wahre Mission besteht nicht in dem, was der Mensch sichvornimmt, auf der Erde zu tun nach seinen Neigungen, Interessen und selbstseinen Idealen, sondern in dem, was Gott will, das er tun soll. Diewillkrlichen Missionen, auch wenn sie den besten Absichten der Weltentspringen, haben nur zur Verwirrung der Menschheitsgeschichtebeigetragen. Diesen ungelegenen Missionen verdanken wir manche Krisen,die das Leben der lebendigen Traditionen der Menschheit erschtterten undwie vorbergehende Kometen den friedlichen und aufbauenden Verlauf deswahren Fortschrittes unterbrachen.

    Die wahre Mission auf Erden dient der Veredelung und der Vergeistigungdessen, was ist, d. h. dessen, was als Tradition lebt. Sie bringt den Antrieb, derdie Verjngung und Intensivierung der Tradition bewirkt. Die willkrlichenMissionen dagegen zielen darauf hin, den Lauf der Geschichte derMenschheit zu revolutionieren und wesentliche Neuerungen an die Stelledessen zu setzen, was als Tradition lebt. Auf die Spitze getrieben, knnteman sagen: Die wahre Mission vervollkommnet alles, was es anMenschlichem auf Erden gibt Familie, Zivilisation, Kultur, Religion usw. ,whrend die willkrlichen Missionen dazu fhren knnen, da sie dieIntervention von Mars- oder Venuswesen herbeirufen, damit diese dieAngelegenheiten der Erde in die Hand nehmen!

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    Nun bilden Geburt, Aufwachen und Erinnerung einerseits und Tod, Schlafund Vergessen andererseits sozusagen zwei Kraftsulen der Wirklichkeit.Sie uern sich ebenso in der Atmung der Organismen, in der Blutzirkulationund in der Ernhrung, wie auch im Gedchtnis, dem Rhythmus von Schlaf undErwachen und dem von Geburt und Tod. Sie sind das Ja und das Nein injedem Bereich ob mental, seelisch oder leiblich.

    Die Maxime im Evangelium:

    Ja (sei) Ja, Nein (sei) Nein. Was darber hinausgeht, ist vom Bsen(Mt 5, 37)

    enthllt in diesem Zusammenhang seine Tragweite. Das Ja und das Neinist das Wesentliche der Wirklichkeit, d. h. die reine und einfache Wahrheit,whrend das Darber hinaus vom Bsen kommt, d. h. der Sphre derSchlange angehrt. Denn die Schlange der Genesis hat ihr Wort fr sich,das Wort des Darber hinaus jenseits von ja und nein. Sie ist imBesitz eines dritten Ausdruckes.

    Und hier kommen wir zurck auf die Frage, die wir uns am Anfang diesesBriefes gestellt haben, nmlich: Hat die Schlange einfach gelogen, als siesagte: Keineswegs, ihr werdet nicht sterben, oder hat sie eine Wahrheitverkndet aus der Ordnung der dem Bereich der Schlange eigenenWahrheiten?

    Mit anderen Worten: Welches ist das Darber hinaus, das dieSchlange dem Ja und dem Nein, verstanden als Leben und Tod, hinzufgt?

    Wenn Sie dem zustimmen, lieber Unbekannter Freund, was wir in denvorhergehenden Briefen ber den grundstzlichen Unterschied zwischenLeben und Elektrizitt, zwischen dem Prinzip der Jungfrau und dem derSchlange gesagt haben, so werden Sie imstande sein, das von der Schlangeder Menschheit angebotene und versprochene Darber hinaus zu ergrnden,insofern es sich auf das Ja und das Nein bezieht, verstanden als Lebenund Tod.

    Das Geheimnis ist dies: Die Schlange bietet an und verspricht eine solcheKristallisation des menschlichen Wesens nach dem Prinzip der Einrollung,da es sich dem Tode widersetzen und da es, wie man im Englischen sagenwrde, death-proof, widerstandsfhig gegen den Tod werden wird. DieseKristallisation wird bewirkt durch Reibung, d. h. durch elektrischeEnergie, die durch den Kampf des Ja und des Nein im Menschenerzeugt wird.

    Sie wissen zweifellos, lieber Unbekannter Freund, da es Schulen gibt okkulte und andere , die die Kristallisation lehren und praktizieren, undandere Schulen, die die Ausstrahlung lehren und praktizieren, d. h. dievollstndige Ent-kristallisierung des menschlichen Wesens und seineUmwandlung in Sonne, d. h. in ein Zentrum der Ausstrahlung.

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    Dann werden die Gerechten leuchten wie die Sonne im Reiche ihresVaters (Mt 13, 43).

    Das ist das praktische Ziel der Schulen der Ausstrahlung, zu denen dieder christlichen Hermetik gehrt.

    Die Schulen der Kristallisation sind ziemlich zahlreich und verbreitet.Es gibt solche, die ganz geheim sind und mit sehr bedeutsamen Leistungen;es gibt andere, die als beinahe volkstmliche Bewegungen fr Gesundheit,Verjngung und Langlebigkeit bekannt sind. Ich werde hier nicht von denPraktiken der ganz geheimen Schulen sprechen; denn ihr Geheimnis ist nichtmein Geheimnis, sondern das Geheimnis anderer. Ich werde auch nicht von denfast volkstmlichen Bewegungen sprechen, da es leicht ist, ihr Ziel und ihreMethode zu verstehen, wenn man Ziel und Methode einer okkulten Schuleverstanden hat, die ich als veranschaulichendes Beispiel ausgesucht habe,weil sie die Mitte hlt zwischen den geheimen Schulen und den fastvolkstmlichen Bewegungen und weil sie selbst den Entschlu gefat hat, sicham hellichten Tage zu zeigen, wodurch sie mich berechtigt, darber zusprechen und ihre jedermann zugnglichen Dokumente zu zitieren. Ich habedabei die Schule von G. J. Gurdjieff im Auge und zitiere aus dem Werk von P.D. Ouspensky. Im folgenden nun die Lehre von Gurdjieff ber die praktischeAufgabe des berlebens, so wie sie von Ouspensky aufgenommen undwiedergegeben wurde:

    Bei einer Gelegenheit in einer dieser Versammlungen fragte jemand nachder Mglichkeit der Wiederverkrperung und ob man Fllen vonVerstndigung mit Toten Glauben schenken knne.

    Vieles ist mglich, sagte G. (Gurdjieff), aber zuerst ist es notwendig zuverstehen, da das Sein eines Menschen, im Leben und nach dem Tode wenn er nachher berhaupt noch weiter besteht , von sehr verschiedener Qualittsein kann. Die Maschine Mensch, bei der alles von ueren Einflssenabhngt, mit der alles geschieht, die in einem Augenblick eine ist und imnchsten eine andere und wieder im nchsten eine dritte, hat berhaupt keineZukunft irgendwelcher Art; sie wird begraben und das ist alles. Staub wirdwieder zu Staub. Das trifft auf sie zu. Um berhaupt von irgendeinemzuknftigen Leben sprechen zu knnen, mu eine gewisse Kristallisationstattfinden, ein gewisses Verschmelzen der inneren Eigenschaften desMenschen und eine gewisse Unabhngigkeit von ueren Einflssen erreichtwerden. Wenn es im Menschen irgend etwas gibt, was fhig ist, uerenEinflssen zu widerstehen, dann kann eben dieses mglicherweise auch demTod des physischen Krpers widerstehen ... Aber auch wenn etwas weiterlebt,kann seine Zukunft sehr verschieden sein. In einigen Fllen vonfortgeschrittener Kristallisation kann das, was die Menschen Reinkarnationnennen, nach dem Tode mglich sein, in wieder anderen Fllen das, was dieMenschen als ,Leben im Jenseits bezeichnen.

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    In beiden Fllen geschieht das Weiterleben im ,Astralleib oder mit Hilfedes Astralleibes. Sie wissen, was der Ausdruck ,Astralleib bedeutet. Aberdie Ihnen bekannten Systeme gebrauchen diesen Ausdruck, als ob jederMensch einen ,Astralleib habe. Das ist ganz falsch. Was man den,Astralleib nennt, wird durch innere Fusion erreicht, das heit durchfurchtbar harte innere Arbeit und inneren Kampf. Der Mensch wird nichtdamit geboren. Und nur wenige Menschen erlangen einen ,Astralleib`. Wenner gebildet worden ist, kann er den physischen Tod berdauern und kannsogar in einen neuen physischen Krper hineingeboren werden ...

    Die Verschmelzung, die innere Einheit, wird durch Reibung erreicht,durch den Kampf zwischen dem Ja und dem Nein im Menschen. Wenn einMensch ohne inneren Kampf lebt, wenn alles ohne Widerspruch in ihmgeschieht, wenn er berall hingeht, wohin er gezogen wird oder wohin derWind blst, wird er bleiben, wie er ist. Aber wenn ein Kampf in ihm beginntund wenn vor allem dieser in einer bestimmten Richtung verluft, dannbeginnen sich allmhlich dauernde Zge zu formen, er beginnt zukristallisieren ...

    Kristallisierung ist auf jeder Grundlage mglich. Nehmen wir zumBeispiel einen Ruber, einen wirklich guten, echten Ruber. Ich habe solcheRuber im Kaukasus gekannt. Er wird mit seinem Gewehr acht Stunden amStraenrand hinter einem Stein stehen, ohne sich zu rhren. ... Ein andererist ein Mnch. Er hat Angst vor dem Teufel. Die ganze Nacht schlgt er denKopf gegen den Boden und betet. Auf diese Weise wird die Kristallisierungerreicht. ... Solche Menschen knnen unsterblich werden.

    Geben wir uns jetzt Rechenschaft ber die wesentlichen Punkte des zitiertenTextes. Da ist zunchst der physische Leib, der gebiert, was dort Astralleibgenannt wird, der der Trger des berlebens sein wird. Weiter: Unsterblichkeitist weder etwas, worauf die menschliche Seele von Geburt an ein Anrecht hat,noch das Geschenk der gttlichen Gnade sie wird durch die Kristallisationeines neuen Leibes im physischen Leib geschaffen, der dem Tod widerstehenund die Zerstrung des physischen Leibes berleben kann. Die von Gottgeschaffene Seele gibt es nicht; sie mu durch den Menschen geschaffenwerden, der dabei von dem menschlichen physischen Leib auszugehen hat.Sie ist eine Ansammlung von kristallisierter Energie innerhalb desmenschlichen physischen Leibes und durch diesen erzeugt, d. h.hervorgebracht durch Reibung oder durch den Kampf zwischen Ja undNein im Menschen. Denn Ruber, Mnch oder Okkultist knnen unsterblichwerden durch die Energie, die sie durch ihre Anstrengung hervorbringen.

    Es handelt sich danach um den Bauplan eines Turms aus vier Etagen, derenunterste der physische Leib bildet, eines Turms, der sich aus der Sphre derSterblichkeit zu der der Unsterblichkeit erhebt, von der Erde zum Himmel.

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    Nun kennt die Bibel die Methode, einen Turm zu bauen, dessenSpitze bis zum Himmel reicht, und sich einen Namen zu machen, damitwir uns nicht ber die ganze Erde zerstreuen (Gen 11, 4). Es ist das Ideal unddie jahrtausendealte Methode des Turmbaus zu Babel. Der Turmbau zuBabel ist eine sehr alte Methode. Hier, was Gurdjieff darber sagt:

    Nach einer alten Lehre, von der sich in vielen alten und neuen SystemenSpuren finden, besteht ein Mensch, der seine mgliche Entwicklungvollendet hat, also ein Mensch im eigentlichen Sinne des Wortes, aus vierKrpern. Diese vier Krper bestehen aus Stoffen, die allmhlich immer feinerwerden, einander durchdringen und vier unabhngige Organismen bilden; siestehen in einer bestimmten Beziehung zueinander, sind aber fhig,unabhngig voneinander zu handeln.

    Der Grund, warum die vier Krper zusammen existieren knnen, ist, dader menschliche Organismus, das heit der physische Leib, eine so komplexeOrganisation hat, da unter bestimmten Bedingungen ein neuer unabhngigerOrganismus in ihm wachsen kann, der ein viel vorteilhafteres und lenkbareresInstrument fr die Bewutseinsttigkeit abgibt als der physische Krper. ... Indiesem zweiten Krper kann unter gewissen Bedingungen ein dritter Krperwachsen, der wiederum ihm eigene Eigenschaften hat. ... In dem dritten kann,wiederum unter gewissen Bedingungen, sich ein vierter entwickeln, der sichim gleichen Mae von dem dritten unterscheidet wie der dritte vom zweitenund der zweite vom ersten.

    Eine stliche Lehre beschreibt die Funktionen der vier Krper, ihrallmhliches Wachstum und die Bedingungen fr dieses Wachstum auffolgende Weise:

    Stellen wir uns ein Gef oder eine Retorte vor, die mit verschiedenenmetallischen Pulvern gefllt ist. Die Pulver sind in keiner Weise miteinanderverbunden, und jeder zufllige Wechsel in der Lage der Retorte verndert dieLage der Pulver zueinander ...

    Es ist unmglich, die Wechselbeziehungen von Pulvern im Zustandmechanischer Mischung zu festigen. Aber die Pulver knnen verschmolzenwerden, ihr Wesen macht dies mglich. Dazu mu eine besondere Art Feuerunter der Retorte angezndet werden, das sie durch Erhitzen und Schmelzenschlielich miteinander verbindet. Auf diese Weise verschmolzen, bilden sieeine chemische Verbindung ... Der Inhalt der Retorte ist unteilbar,,individuell geworden. Das ist ein Bild der Bildung des zweiten Krpers.Das Feuer, durch das die Verbindung erreicht wird, wird durch Reibungerzeugt, die wiederum im Menschen durch den Kampf zwischen Ja undNein hervorgerufen wird ...

    Der Vorgang, der Verbindung neue Eigenschaften zu verleihen, entsprichtder Bildung des dritten Krpers ...

  • Tomberg Arcana des Tarot Band-3

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    Der Vorgang der Festigung dieser erworbenen Eigenschaften entsprichtder Bildung des vierten Krpers.

    Nur der Mensch im Besitz aller vier vollentwickelten Krper kann einMensch im vollen Sinne dieses Wortes genannt werden. Ein solcher Menschhat viele Eigenschaften, die der durchschnittliche Mensch nicht besitzt. Einedieser Eigenschaften ist Unsterblichkeit.

    Nun wird das besondere Feuer, das unter der Retorte angezndet wird,der Reibung verdankt, die ihrerseits das Produkt des Kampfes zwischen Jaund Nein ist. Jenes Feuer ist also, was wir unter Elektrizitt verstehen.Dank der Elektrizitt oder der durch Reibung erzeugten Energie vollzieht sichalso der Vorgang der Kristallisation.

    Die Baumeister des Turmes zu Babel bedienten sich ebenfalls des Feuers zurBereitung der Baumaterialien.

    ,Wohlan, wir wollen Ziegel formen und sie brennen! Der Ziegel dienteihnen als Stein, und das Erdpech diente ihnen als Mrtel (Gen 11, 3).

    Das Wesentliche bei der Methode des Turmbaus zu Babel ist dieumgekehrte Kristallisation. Die normale Kristallisation der Stein ist derEndzustand des Prozesses des berganges vom gasfrmigen in den flssigenZustand und vom flssigen Zustand in den festen. So wird der Dampf zuWasser, und das Wasser zu Eis. Eis ist kristallisierter Dampf. Ebenso wird eineallgemeine, aber heie Intention zum Strom diskursiven Denkens, welcherseinerseits zu einer ganz bestimmten Formulierung fhrt. Oder mit nochanderen Worten: Das Geistige wird seelisch, und das Seelische wird leiblich.Der Vorgang der normalen Kristallisation ist also derjenige der Verdichtungvon oben nach unten:

    Der Vorgang der als Turmbau zu Babel bezeichneten Kristallisation findetdagegen von unten nach oben statt:

    Da handelt es sich um die Umformung des Seelischen und des Geistigen inLeib. Und so will man den Tod besiegen und die Unsterblichkeitverwirklichen ... die Unsterblichkeit des Krpers. Denn wenn das Geistigeund das Seelische bei der Verleiblichung sterblich werden, wre es dann nichtmglich, da das Leibliche, indem es sich zum Seelischen und Geistigenerhebt, unsterblich wird?

  • Tomberg Arcana des Tarot Band-3

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    Lt sich dieser Plan verwirklichen, oder ist er schlicht und einfach eineIllusion?

    Obwohl diese Frage in den Rahmen der Probleme des sechzehnten GroenArcanums des Tarot gehrt und so im sechzehnten Brief zu behandeln ist,lassen Sie uns dennoch einige Tatsachen betrachten, um eine Antwort zuerhalten.

    Die Tatsachen, die ich im Auge habe, sind die des krperlichen berlebens,d. h. die physischen Manifestationen, die man mit Recht oder Unrecht verstorbenen Personen oder Gespenstern zuschreibt. Gespenster existieren.Das ist keine Angelegenheit des Glaubens, das ist eine Tatsache. Darber gibtes eine ungeheure Menge Literatur, ganz zu schweigen von den Tatsachen, dieman im Bereich der persnlichen Erfahrung finden kann, die die Existenz vonGespenstern bezeugt. Es handelt sich heute nicht mehr um Glauben oderLeugnen, sondern lediglich darum, zu verstehen und zu erklren, Gespenstergibt es. So geschieht es von Zeit zu Zeit, da nach dem Tode einer Persondiese Person oder etwas von ihr oder ihr hnliches sich auf uere undphysische Weise als aktive Energie kundgibt (Gerusche, Bewegungen usw.).Es ist, als ob eine gewisse Menge an Energie, die durch den Tod freigeworden, aber verdichtet geblieben und nicht zerstreut worden ist, sich alsWesen oder als individueller Krper manifestiert.

    Die Analyse der Erscheinungen von Gespenstern erlaubt mir, folgendecharakteristische Zge darzulegen:

    1. Das Gespenst ist ein aus elektrischer psychophysiologischer Energiegebildetes Wesen mit einem niedrigeren Bewutsein als dem einer normalenmenschlichen Persnlichkeit.

    2. Das Bewutsein, das sich durch die Handlungen des Gespenstes unddurch sein eigenes allgemeines Verhalten enthllt, ist sehr begrenzt unduerst spezialisiert. Man ist versucht, es als manisch zu charakterisieren, daes sich als Kristallisation einer einzigen Leidenschaft, einer einzigenGewohnheit oder einer einzigen fixen Idee kundgibt.

    3. Die Energie, die das Gespenst bildet, schwcht sich mit der Zeit ab,vorausgesetzt, da sie nicht durch zustimmendes und begnstigendesVerhalten der menschlichen Umgebung genhrt wird; sie erschpft sich. Mankann sie zum Verschwinden bringen, sei es durch das Ritual des Exorzismusder Kirche, sei es durch individuelles Gebet, sei es endlich durch einebesondere Handlung, die Mut verlangt und die darin besteht, das Gespenstfest an sich zu drcken und einzuatmen, so da man es in sich selbst aufnimmtund die elektrische Energie des Gespenstes in sich zerstreut. Ich wagenicht, letztere Methode zu empfehlen, weil sie die Erfahrung eineselektrischen Schocks mit sich bringt der bermig sein knnte imAugenblick, da die Energie des Gespenstes in Ihren Organismus bergeht.

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    Ich fge aber hinzu, da diese Erfahrung des elektrischen Schocks es ist, dieeine absolute Gewiheit ber die elektrische Natur des Krpers desGespenstes ermglicht. Zugleich kann sie den Beweis liefern im innerenForum selbstverstndlich , da das Gespenst nicht die Seele desVerstorbenen ist und da es eine Last fr den Verstorbenen bedeutet, dadieses Gespenst mit seiner Seele durch ein peinigendes Band derVerantwortlichkeit verbunden ist.

    In dem Falle, den ich erwhnt habe, drckte der Verstorbene demHandelnden, bald nachdem dieser die elektrische Energie des Gespenstesdurch ihre Aufnahme in sich selbst zum Verschwinden gebracht hatte, seineDankbarkeit fr die Befreiung von dieser peinigenden Last durch einen sehrlebhaften und sehr klaren Traum aus. Was ist also ein Gespenst? Es istgenau das, was Gurdjieff lehrt als Produkt der seelischen Kristallisation, dashervorgebracht wird, indem man vom physischen Krper ausgeht, und dasdem Tod des letzteren widerstehen kann. Es ist der sogenannte Astralleib(der wohlgemerkt nichts zu tun hat mit dem Astralleib der Hermetik, der,genau gesagt, nur die Gesamtheit der psychischen Erinnerungen der Seeleist), von dem Gurdjieff sagt, da er,

    wenn er gebildet worden ist, ... den physischen Tod berdauern (kann) ...Wenn er nicht wiedergeboren wird, dann stirbt er im Verlauf der Zeit. Er istnicht unsterblich, kann aber den Tod des physischen Krpers langeberleben.

    Ein Gespenst bildet sich immer durch Kristallisation, d. h. infolge einesWunsches, einer Leidenschaft oder einer Absicht von groer Intensitt, dieeinen Komplex an Energie im menschlichen Wesen erzeugen. Ein echterRuber, der sich, Gewehr in der Hand, acht Stunden lang ohne eineBewegung am Straenrand hinter einem Felsen aufhlt, oder ein Mnch, deraus Furcht vor dem Teufel die ganze Nacht den Kopf gegen den Bodenschlgt und betet, kristallisieren tatschlich in sich einen Komplex an Energie,einen seelisch-elektrischen Doppelgnger, der als dichter Komplex dem Todewiderstehen kann.

    Und dasselbe, was bei den Menschen geschieht, die von starken Wnschen,Leidenschaften und Absichten besessen sind, kann methodisch erreichtwerden, nmlich, indem man die wissenschaftliche Methode des Turmbauszu Babel anwendet. So knnte man den kristallisierten Doppelgnger nichtnur mit einem Wunsch, einer Leidenschaft oder einer beherrschenden Absichtbeseelen, sondern ihn auch mit einem intellektuellen Apparat mit weitfortgeschrittenen Funktionen versehen und ebenso mit einem menschlichenGedchtnis, worin alle Tatsachen der Erfahrung des physischen Planesaufgespeichert sind. Das Ich eines solchen Okkultisten knnte sich dann mitdiesem Doppelgnger verbinden, der Trger seines Gedchtnisses und seinesIntellektes ist, und sich von neuem verkrpern, wobei er das Fegefeuer undden ganzen Weg der Luterung, Erleuchtung und Vereinigung, der das

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    Schicksal der menschlichen Seele nach dem Tode ist, vermieden hat.Es handelt sich also im Falle des Ideals und der Methode des Turmbaus zu

    Babel nicht um eine bloe Illusion. Es handelt sich dabei vielmehr um eineandere Art der Unsterblichkeit, nmlich diejenige, die die Schlange der Genesisim Auge hatte, als sie sagte: Keineswegs werdet ihr sterben, wenn ihr von derFrucht des Baumes der Erkenntnis des Guten und des Bsen esset. Denn dieFrucht des Baumes der Erkenntnis des Guten und des Bsen erzeugt dieinnere Reibung im Menschen beim Kampf zwischen Ja und Nein, unddiese Reibung ihrerseits bringt das elektrische Feuer hervor, das dieKristallisation bewirkt, deren Produkt dem Tode widerstehen wird.

    Das ist der Sinn des Versprechens oder vielmehr des Programms derSchlange. Dieses Programm liegt der jahrtausendealten Methode desTurmbaus zu Babel zugrunde und bildet den esoterischen Kern oder dasverborgene Geheimnis der materialistischen Wissenschaft schlechthin.

    Wir haben Gurdjieff (und Ouspensky) als Beispiel fr das Ideal und fr dieMethode des Turmbaus zu Babel gewhlt; aber Gurdjieff der ganz offenund im wahren Sinne des Wortes Materialist und ohne jeden Sinn fr Mystikist spricht nur im Namen Unzhliger. Er gibt sich lediglich klarRechenschaft darber, was auf unbewute oder halb bewute Weise Tausendeund Abertausende Wissenschaftler anregt und treibt, die sich der Sache derLanglebigkeit widmen, dem Sieg der menschlichen Wissenschaft ber denTod, ohne Gott und ohne Mystik der universalen Sache des Turmbaus zuBabel.

    Gurdjieff ist nur ein Vertreter der Sache der materialistischen Wissenschaft,der wei, was diese in Wirklichkeit will, und der auch wei, was er selberwill. Er war brigens ein Mensch mit guter Veranlagung und einem feinenSinn fr Humor, ein guter Sohn, ein guter Kamerad und sehr intelligent, wasden gesunden Menschenverstand anbelangt um nur auf die am meisten insAuge springenden Eigenschaften hinzuweisen, die er besa. Es wre alsofalsch, in ihm einen Propheten der Finsternis zu sehen oder das Instrumenteiner besonderen satanischen Mission. Nein, er war einfach ein guterReprsentant der Weisheit dieser Welt, d. h. des gesundenMenschenverstandes und der empirischen Erfahrung ohne jeden Sinn frMystik. Gurdjieff ist keineswegs mehr Satanist als der berhmte russischePhysiologe Pawlow oder irgendein anderer Vertreter der materialistischenWissenschaft.

    Ganz sicher ist seine praktische und theoretische Lehre von der Kristallisationvon unten nach oben weder mit dem Individuationsproze nach Carl G. Jungnoch mit der christlichen Hermetik und der Kabbala vereinbar. Denn dieHermetik lehrt zwar ebenfalls eine Kristallisation, aber es ist die Kristallisationvon oben nach unten, d. h. die Kristallisation, deren Produkt als Philosophieund Wissen die Hermetik selbst ist, denn die kristallisierte Mystik ist Gnosis,die kristallisierte Gnosis Magie und die kristallisierte Magie jene Philosophieund jenes Wissen, das unter dem Namen Hermetik bekannt ist.

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    So kann man wenn man von Zwischenstufen absieht sagen, da dieHermetik kristallisierte Mystik ist, whrend der materialistische Okkultismusvon Gurdjieff die Mystik abschafft und durch die kristallisierte materialistischeWissenschaft ersetzt.

    Wenn wir nun auf die am Anfang dieses Briefes gestellte Fragezurckkommen: Hat die Schlange der Genesis einfach gelogen? so sind wirjetzt imstande zu antworten: Nein, sie hat nicht gelogen. Sie hat der gttlichenUnsterblichkeit eine andere Unsterblichkeit gegenbergestellt diejenige derKristallisation von unten nach oben oder den Turm zu Babel.

    Sie hatte das vermessene, aber wirkliche und realisierbare Programmaufgestellt, das auf eine Menschheit hinzielt, die aus Lebenden undGespenstern zusammengesetzt ist, wobei die letzteren sich fast unverzglichwiederverkrpern und dabei den Weg vermeiden, der durch das Fegefeuerzum Himmel fhrt.

    Sie sehen jetzt, lieber Unbekannter Freund, warum die Kirche der Lehreder Wiederverkrperung feindlich gegenberstand, obwohl die Tatsache derwiederholten Inkarnation durch eine groe Anzahl kirchentreuer Personen mitechter geistiger Erfahrung bekannt war und nicht unbekannt bleiben konnte.Die Gefahr der Wiederverkrperung auf dem Wege des Gespenstes, wobeiman den Weg der Luterung durch das Fegefeuer, der Erleuchtung und derhimmlischen Vereinigung vermeidet, ist dafr der tiefere Grund. Denn dieMenschheit knnte der Versuchung unterliegen, sich whrend des irdischenLebens auf ein knftiges irdisches Leben vorzubereiten anstatt auf dasFegefeuer und den Himmel. Sich auf ein knftiges irdisches Lebenvorzubereiten, anstatt auf die Gegenberstellung mit der Ewigkeit, luft aufdie Kristallisation im Sinne der Bildung eines elektrischen Doppelgngershinaus des Krpers des Gespenstes , der seinerseits als Brcke von einerInkarnation zur anderen dienen und so die Mittel zur Flucht vor dem Fegefeuerund vor der Gegenberstellung mit der Ewigkeit sein knnte. Man hat sichwhrend des irdischen Lebens vorzubereiten auf die Begegnung mit dem vollerwachten Gewissen dem Fegefeuer und auf die Erfahrung der Allgegenwartdes Ewigen dem Himmel und nicht auf das knftige Erdenleben was aufdie Kristallisation des Krpers des Gespenstes hinauslaufen wrde. Es isthundertmal besser, nichts von der Tatsache der Wiederverkrperung zu wissenund die Lehre der Wiederverkrperung zu leugnen, als die Gedanken undWnsche auf das knftige Erdenleben zu richten und so versucht zu sein, zuMitteln zu greifen, die die Schlange durch ihr Versprechen der Unsterblichkeitangeboten hat. Darum stand, wiederhole ich, die Kirche von Anfang an derIdee der Wiederverkrperung feindlich gegenber und tat alles, was siekonnte, damit sie nicht Wurzeln schlgt im menschlichen Bewutsein undvor allem im menschlichen Willen.

    Ich bekenne, da ich mich nur nach einigem auf sehr ernsten moralischenEinwnden beruhenden Zgern dazu entschlossen habe, ber die Gefahr zu

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    schreiben, die die Lehre von der Wiederverkrperung mit sich bringt, undvor allem ber den Mibrauch, den man mit ihr treiben kann und in der Tatmit ihr treibt. Ich glaube, da Sie, lieber Unbekannter Freund, die Last derVerantwortung verstehen werden, die auf sich nimmt, wer auf den Gedankenkommt, die Wiederverkrperung nicht als etwas zu behandeln, das zumBereich der esoterischen, d. h. intimen Erfahrung gehrt, sondern als eineexoterische Lehre, die man allgemein verbreiten und von der man die Weltberzeugen mte; dies hat mich dazu bestimmt, von dem praktischenMibrauch der Tatsache der Wiederverkrperung zu sprechen. Ich bitte Siealso, lieber Unbekannter Freund, im Licht des moralischen Bewutseins dieFrage nachzuprfen, ob es gerechtfertigt und wnschenswert ist, dieWiederverkrperung exoterisch zu lehren, so wie es sowohl dieReprsentanten der franzsischen okkultistischen Bewegungen des 19. und20. Jahrhunderts als auch die Theosophen, Anthroposophen, die Rosenkreuzerund andere getan haben und tun.

    Ich fge hinzu, da es sich dabei in letzter Konsequenz nicht nur um diemoralische Gefahr handelt, dem Fegefeuer und der Erfahrung der Ewigkeit zuentrinnen, sondern auch um die Gefahr, eine Unsterblichkeit durch eine anderezu ersetzen, nmlich diejenige Gottes durch die der Schlange. Denn es gibtzwei Tode und zwei Unsterblichkeiten.

    Der Tod, von dem der Vater im Gleichnis vom Verlorenen Sohn spricht:

    ... dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er warverloren und ist wiedergefunden worden (Lk 15,24),

    ist die Entfernung vom Vater und von seinem Haus, whrend der Tod desphysischen Leibes die Entfernung vom physischen Plan und vom elektrischenFeld der irdischen Gravitation bedeutet (von der im zwlften Brief ber dasArcanum Der Aufgehngte die Rede war). Nun luft die Weigerung, denWeg des Fegefeuers und des Himmels zu nehmen, auf die Weigerung hinaus,in das Haus des Vaters zurckzukehren, d. h. auf den Entschlu, fern vomVater zu bleiben. Und das ist genau der Tod im gttlichen Sinne. Dievollstndige Kristallisation ist also vom gttlichen Standpunkte aus dervollstndige Tod, whrend das vollstndige Leben der Zustand des Strahlenswie die Sonne ist, d. h. derjenige der vlligen Entkristallisation. Sobesagen die gttlichen Worte: Du sollst nicht vom Baum der Erkenntnis desGuten und Bsen essen, denn am Tage, wo du davon essen wirst, wirst dusterben, da am Tage, wo du vom Baum der Erkenntnis des Guten undBsen essen wirst, du dich von mir entfernst.

    Und das Versprechen der Schlange: Keineswegs, ihr werdet nichtsterben, will sagen: Ihr werdet in Entfernung von Gott leben, und ich werdees sein, die sich um die ununterbrochene Fortsetzung eures Lebens in derHorizontalen kmmert, denn ich werde das Fehlen der gttlichen Weisheit undLiebe ersetzen, indem ich an ihre Stelle den Intellekt und die seelisch-leibliche Elektrizitt setze, die die Quellen eures Lebens sein werden.

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    Die Schlange versteht also unter Leben, was Gott unter Tod versteht und umgekehrt.

    Nun vertrat sowohl die alte vorchristliche als auch die christlicheHermetik immer die grundlegende These aller wahren Mystik, wahren Gnosisund wahren geheiligten Magie, da es Leben und Tod vertikal gibt und daes Leben und Tod horizontal gibt:

    und da das Kreuz der Menschheit das Kreuz auf dem Kalvarienberg dasjenige von zwei entgegengesetzten Leben und Toden ist. Die Auferstehung istalso nicht allein der Triumph des Lebens ber den Tod, sondern darberhinaus der Triumph des Lebens ber das Leben. Sie ist der Sieg derVertikalen ber die Horizontale, der Ausstrahlung ber die Kristallisation.Darum fanden die Frauen, die sich am frhen Morgen zum Grabe begaben,nicht den Leib des Herrn Jesus, und darum sagten ihnen zwei Mnner, dieihnen in leuchtenden Gewndern erschienen: Was sucht ihr den Lebendigenbei den Toten? (Lk 24, 5).

    Lat also auch uns nicht den Lebenden unter den Toten suchen, und latuns vor allem nicht die Unsterblichkeit des Lebens im Bereich des Todessuchen im Bereich des durch Elektrizitt getragenen Intellekts oder, um einder Kabbala entlehntes Bild zu gebrauchen, im Bereich des Erzengels Samael,der auf dem Drachen reitet.

    Nicht Phantome und Gespenster sind die Quelle der Gewiheit desberlebens, der Unsterblichkeit. Ihre Quelle findet sich anderswo. Wo also? In der Erfahrung des menschlichen Wesenskernes und seiner Beziehung zumHauch, zum Licht und zur Wrme Gottes.

    Die Gewiheit der Unsterblichkeit rhrt von der erfahrenen Teilhabe andemjenigen her, was innerlich unzerstrbar und unvergnglich, alsounsterblich ist. Wer die Erfahrung seines Wesenskernes gemacht hat, d. h.,wer einmal wahrhaft er selbst gewesen ist, durchstrmt vom Gttlichen Hauch,gebadet in das Gttliche Licht und glhend von Gttlicher Wrme, der wei,was Unsterblichkeit ist und da er unsterblich ist. Sie knnten ihm noch so sehrdie epiphnomenale Natur des Bewutseins erklren, d. h., da dasBewutsein nur die Funktion des Gehirns und des Nervensystems ist und daes dem Regenbogen gleicht ein Farbenspiel aufgrund der Brechung und derWiderspiegelung der Sonnenstrahlen auf den Wolken; Sie knnen all dassagen er wird nicht im geringsten daran zweifeln, da das alles falsch unddas Gegenteil wahr ist.

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    Er wrde vielleicht keine fr Sie gltigen Grnde gegen denEpiphnomenalismus finden, aber er hatte sie auch nicht ntig.

    Denn nicht den Argumenten verdankt er seine Gewiheit, sondern derErfahrung.

    Stellen Sie sich die Reaktion eines hl. Johannes vom Kreuz oder einer hl.Teresa von vila auf eine an sie gerichtete Rede vor, die ihnen, ausgestattetmit allen Argumenten der modernen Wissenschaft, beweisen wollte, da dieSeele nur eine Tuschung ist, hervorgerufen durch chemische und elektrischeEinwirkungen des Organismus! Das ihnen beweisen wollen, ihnen, die somanches Mal aus ihrem Krper herausgegangen waren, den sie im Zustandvlliger Gefhllosigkeit zurcklieen und in den sie zurckkehrten vollerLeben und Licht, das sie geschpft hatten jenseits nicht nur von allenchemischen und elektrischen Reaktionen, sondern auch von allem Bildwerkder Sinne und aller intellektuellen Aktivitt! Ich glaube, da sie den Urhebersolchen Geredes entweder zu einem Psychiater oder zu einem Exorzistengeschickt htten.

    Die Gewiheit der Unsterblichkeit kann absolut sein, d. h. weder vonRichtigkeit oder Unrichtigkeit von Argumenten noch von gut oder schlechtbezeugten ueren Tatsachen abhngen. Und sie ist dies in der Tat, wenn derMensch die Erfahrung seines eigenen Wesenskernes und dessen essentiellerBeziehung zu Gott gemacht hat.

    Ich kenne wohl die logische, philosophische und psychologische Kritik amCartesianischen Argument Cogito ergo sum Ich denke, also bin ich, undich nehme sie ohne Vorbehalt vor dem Tribunal der Wissenschaft (in foroscientiae) an; aber es war nicht die Kraft dieses Argumentes vor dem Tribunalder Wissenschaft, die Ren Descartes die Gewiheit des transzendenten Ichgab, des Kernes seines Wesens, sondern vielmehr die Erfahrung vor demTribunal des Bewutseins (in foro conscientiae), wo er, auf diebewunderungswrdige Art denkend, die ihm eigen war, vom diskursivenDenken ausging und sich pltzlich als Denker der Gedanken fand! Es war alsodurchaus nicht ein logisches Argument, sondern eine wirkliche intime Erfahrungdes Denkers beim Vorgang des Denkens, die Descartes die vollkommeneGewiheit der Wirklichkeit des Ich bin gab, die sich im Ich denkekundtut.

    Der deutsche Philosoph Immanuel Kant (eine Seele von kindlicherReinheit und von bemerkenswerter Rechtschaffenheit und Sorgfalt) machteaus der spontanen Erfahrung Descartes eine neue Methode innererErkenntnisbemhung, nmlich die transzendentale Methode. Diese Methodeluft auf die Bemhung hinaus, das Denken, in das der Denker gewhnlichuntergetaucht ist, zu transzendieren, indem er sich von ihm freimacht und sichber es erhebt, um das Denken zu beobachten oder das Denken zu denken von einem Punkt der Beobachtung aus, der oberhalb des diskursiven Denkensliegt.

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    Die kopernikanische Entdeckung Kants besteht vor allem in derLoslsung des Denkers vom naiven Denken, d. h. von dem Zustand, worinder Denker sich im Vorgange des Denkens verliert, indem er darin versunkenist, und in der Einnahme eines oberhalb des Denkens gelegenen Punktes, vondem aus der Denker das auf eine vllig losgelste Weise und mitunerbittlicher und unbestechlicher Wahrhaftigkeit gedachte Denkenberprfen kann denn darin besteht der transzendentale KritizismusKants. Seine Werke Kritik der reinen Vernunft und Kritik derUrteilskraft sind die Frchte der Anwendung dieser Methode im Sinne einerRevision der Gesamtheit unserer Erkenntnisse und einer Richtigstellung inbezug auf die Ansprche des Intellekts und der Sinne, ber metaphysischeAngelegenheiten und Gegenstnde urteilen zu knnen, wie Gott, dieUnsterblichkeit der Seele und die moralische Freiheit. In seiner Kritik derpraktischen Vernunft finden wir ber die Ergebnisse des kritischen Blicksdes Denkers hinaus, womit er sich auf den Bereich des diskursiven Denkensund der Sinneswahrnehmung richtete, in die er zuvor versunken gewesen war,dasjenige, was der Denker, der eigentliche Kern des menschlichen Wesens,selbst zu sagen hat. Und das lt sich wie folgt zusammenfassen:

    Ich mte meine eigene Natur von Grund auf verndern oder michzunichte machen, wenn ich sagen wrde, da Gott nicht existiert, da ichnicht frei bin und da ich nicht unsterblich bin. Die Struktur meines Wesens istsolcherart, da sie kategorisch die Existenz Gottes oder der unendlichenVervollkommnungsfhigkeit, der Freiheit oder der Moralitt als solcher undder Unsterblichkeit der Seele oder der Mglichkeit der unendlichenVervollkommnung postuliert.

    Es versteht sich von selbst, da ebenso wie das Argument von RenDescartes Ich denke, also bin ich zum Gegenstand der vernichtenden Kritikder Logiker, Philosophen und Psychologen geworden ist auch dasgrundlegende, von Immanuel Kant in seiner Kritik der praktischen Vernunftvorgebrachte Argument Gegenstand einer nicht minder strengen Kritik ist undnicht weniger begrndet in foro scientiae, als es bei dem ArgumentDescartes der Fall ist. Auch hier mu man darauf hinweisen, da es durchausnicht der logische Schlu oder das Argument des diskursiven Denkens ist, dasKant die Gewiheit von Gott, der Freiheit und der Unsterblichkeit gegebenhat, sondern vielmehr die wirkliche und intime Erfahrung, die er machte, alser seine transzendentale Methode anwandte. Diese Methode namentlich hatsich als eine echte geistige bung erwiesen, die Kant zur Erfahrung seinesWesenskernes gelangen lie so wie Descartes dorthin gelangte und die ihndie dreifache Gewiheit von der Wirklichkeit Gottes, der Wirklichkeit dermoralischen Freiheit und der Wirklichkeit der Unsterblichkeit der Seele zuschpfen ermglichte.

    Ebenso wie im hinduistischen Inana-Yoga der Yogi zum transzendentenIch gelangt, indem er zuerst seinen Krper kritisch beobachtet und dabei dieErfahrung macht:

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    Dieser Krper ist nicht mein Ich, sodann sein Seelenleben Wnsche,Gefhle, Gedchtnisbilder usw. kritisch prft, um zur Erfahrung zugelangen: Dieses Seelenleben ist nicht mein Ich, und endlich, indem erkritisch auch sein Denken prft, von dem er sich loslst und sich so als Denkererfhrt ebenso kamen Descartes und Kant zu der Erfahrung destranszendenten Ich, indem sie sich vom Denken zum Denker erhoben. Vondaher stammt ihre Gewiheit des Ich bin und des Ich bin frei, unsterblichund in der Gegenwart Gottes.

    Wenn doch die Kritik an Descartes und an Kant endlich verstummen undsich damit begngen wrde zu begreifen, da sie nicht heranreicht an das,wohin diese beiden Geister gelangt sind, nmlich an die innere Erfahrung desKerns ihres Wesens, des transzendenten Ich! Wenn man doch einmal aufhrenwrde, bis zum berdru zu wiederholen, da Kant sich seiner eigenenMethode gegenber als untreu erwiesen und seine eigenen Prinzipienverraten habe, da er, alt und senil geworden, in den Fideismus seinerKindheit zurckgefallen sei! Denn die Wahrheit ist, da Kant im Alter nichtsverraten hat und da er nicht zurckgefallen ist, sondern bei der reifen Fruchtseines Lebens und seines Werkes angekommen ist. Oder mchte man lieber,da er nirgendwo angelangt wre und da er sein Leben nur als Meister derKritik und des Zweifels beendet htte? Da die rechtschaffene und beharrlicheBemhung seines Lebens ihm keinerlei Erfahrung und also keinerleiGewiheit hinsichtlich der Dinge aus dem Reiche der Metaphysik eingetragenhtte? Anstatt sich zu freuen und diese Tatsache zu rhmen, spricht man vonseinem Schwachwerden und beschuldigt ihn der Untreue! Mein Gott, wiekleinlich!

    Sie sehen also, lieber Unbekannter Freund, da unsere groen westlichenDenker ganz wie die hinduistischen Yogis bis zur Erfahrung desmenschlichen Wesenskernes gelangten, bis zum transzendenten Ich; und dieseErfahrung gab ihnen die Gewiheit der Unsterblichkeit.

    Die christliche Hermetik, die die Synthese von Mystik, Gnosis undgeheiligter Magie ist, bietet der Menschheit drei Methoden der Erfahrung an,auer der eben skizzierten philosophischen Methode, um zur Gewiheitder Unsterblichkeit zu gelangen.

    In erster Linie ist es der traditionelle mystische Weg der Luterung,Erleuchtung und Vereinigung, der die freiwillige und bewute Erfahrung derdrei Stufen des Weges der menschlichen Seele nach dem Tod ist: durch dasFegefeuer zum Himmel, und durch den Himmel zu Gott. Sie finden ihn nichtnur bei den groen christlichen Mystikern wie Dionysius Areopagita,Bonaventura, Teresa von vila und Johannes vom Kreuz; nicht nur in denvorchristlichen Lehren der hermetischen Abhandlungen, die HermesTrismegistos zugeschrieben werden, wie der Poimandres, sondern auch inden Groen heidnischen Mysterien, den gyptischen und den anderen, in denendie drei Stufen der Katharsis (Luterung), des Photismos (Erleuchtung)und der Henosis (Vereinigung oder Identifikation mit dem Gttlichen) die

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    Erkenntnis der Zustnde nach dem Tode und die Gewiheit der Unsterblichkeitmglich machten. Jean Marques Rivire sagt darber:

    Hier die wesentliche Lehre sowohl der griechischen wie gyptischenEsoterik: die Kenntnis der Zustnde nach dem Tode, um die Furcht vor diesemTode zu besiegen, die physiologische und menschliche Furcht. DerEingeweihte wute, was ihn erwartete; was konnte er frchten?

    Wie die Praxis der Konzentration die Kunst des Vergessens ist und diePraxis der tiefen Sammlung oder der Meditation die Beherrschung derKunst des Schlafens, ebenso bedeutet die Kontemplation der echtenEinweihung die Beherrschung der Kunst des Sterbens. Durch dieBeherrschung des Vergessens, des Schlafes und des Todes konnte man in derVergangenheit und kann man heute und in der Zukunft zur mystischenErfahrung der mit Gott vereinigten Seele, also zur absoluten Gewiheit derUnsterblichkeit gelangen. Und der Weg dorthin fhrte und fhrt heute wie inder Zukunft durch die drei Stufen der ewigen Mystik: die Luterung,Erleuchtung und Vereinigung. Der hl. Johannes vom Kreuz zeigt, da es derechte Glaube ist, der in der Luterung offenbar wird, handelt und wchst; daes die Hoffnung ist, die gleichzeitig das Agens und die Frucht der Erleuchtungist; und da es endlich die barmherzige Liebe ist, die die Vereinigung mit Gottvollendet.

    Das ist der ewige Weg, und niemand kann einen anderen weder erfindennoch finden. Man kann ihn wohl in dreiunddreiig Wegstrecken einteilen oder sogar in neunundneunzig, wenn man will; man kann ihn in intellektuelleoder in schne oder einfache symbolische Gewnder einkleiden; man kann ihnin verschiedenen Terminologien darstellen kabbalistisch, griechisch,lateinisch oder in Sanskrit usw.; aber man wird es dabei immer mit demeinzigen und stets demselben Weg der ewigen Mystik zu tun haben demWeg der Luterung, der Erleuchtung und der Vereinigung, weil es keinenanderen gibt und niemals einen anderen gab und geben wird.

    Auch die Hermetik hat keinen anderen Weg anzubieten als den der ewigenMystik, da die gnostischen, magischen und philosophischen Methoden auf siegesttzt sind. Mit anderen Worten: Man kann nicht auf die Luterungverzichten, wenn man Gnostiker, Magier oder auch Philosoph werden will imwahren und alten Sinne dieses Wortes. Man kann in der Gnosis, in dergeheiligten Magie und in der Philosophie auch nicht auf Erleuchtung verzichten ebenfalls im wahren und alten Sinne dieses Wortes. Denn ein nichterleuchteterGnostiker wre gar kein Gnostiker, sondern ein Phantast; ein nichterleuchteterMagier wre blo ein Zauberer; und ein nichterleuchteter Philosoph wrenur entweder ein vollkommener Skeptiker oder ein Liebhaber vonintellektuellen Spielereien. Was die erste Quelle anbetrifft, aus der derGnostiker seine Offenbarung, der Magier seine Macht und der Philosophseine Erleuchtung schpft, so gibt es nur eine einzige: den mehr oder minderunmittelbaren Kontakt der Seele mit Gott.

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    Es ist also stets derselbe Weg, auf dem man vorwrtskommt, gleichgltig,ob man die mystische, gnostische, magische oder philosophische Methodegebraucht.

    Es gibt mehrere Pfade, aber es gibt nur einen einzigen Weg, d. h., da man was immer man auch tut nur vorankommt und wchst im Sinne der Luterung,Erleuchtung und Vereinigung. Was man auch wei und welcherlei Erfahrungman auch haben mag: das Kriterium fr den wahren Fortschritt ist allein derFortschritt in der Luterung, Erleuchtung und Vereinigung. Man beurteilt denBaum nach seinen Frchten, den Mystiker, den Gnostiker, den Magier und denPhilosophen nach ihrem Glauben, ihrer Hoffnung und ihrer barmherzigenLiebe, d. h. nach ihrem Fortschritt in der Luterung, Erleuchtung undVereinigung.

    Die geistige Gre, das Format der Seele, bemit sich nur durch denGlauben, die Hoffnung und die Liebe oder Barmherzigkeit. Buddha hat wohlgesehen, da die Welt krank ist und da er sie als unheilbar ansah, lehrte erdie Mittel, aus ihr herauszukommen. Christus sah auch, da die Welttodkrank ist, aber er hielt sie fr heilbar und setzte die Kraft der Heilung derWelt ins Werk diejenige, die sich in der Auferstehung kundtut. Darinunterscheiden sich Glaube, Hoffnung und Liebe des Meisters des Nirwanaund des Meisters der Auferstehung und des Lebens. Der erstere sagt zur Welt:Du bist unheilbar; hier das Mittel, deinem Leiden deinem Leben ein Endezu setzen. Der letztere sagt zur Welt: Du bist heilbar, hier ist das Mittel, umdein Leben zu retten. Zwei rzte, die gleiche Diagnose, aber eine Welt desUnterschiedes in der Behandlung!

    Die Tradition lehrt und jeder ernsthafte Esoteriker und Okkultist wei, dadem so ist , da der Erzengel Michael der Erzheerfhrer ist, d. h., da er derhimmlischen Heerschar vorgesetzt ist. Warum ist er ihr Anfhrer? Weil seinGlaube, seine Hoffnung und seine Liebe so sind, da sie ihn zum Anfhrermachen. Denn Anfhrer sein bedeutet in der geistigen Welt, weniger alsdie anderen dem Zweifel, der Verzweiflung und der Neigung zumVerurteilen ausgesetzt zu sein.

    Die Tradition lehrt, da der Erzengel Michael die Sonne reprsentiert,ebenso wie die Erzengel Gabriel den Mond, Raphael den Merkur, Anael dieVenus, Zachariel den Jupiter, Oriphiel den Saturn und Samael den Mars.

    Warum die Sonne? Weil die Sonne das sichtbare Symbol, das Abbild desGlaubens, der Hoffnung und der Liebe ist. Sie leuchtet den Guten und denBsen, unermdlich und ohne ihre zentrale Stellung zu verlassen.

    Ja, die Gre Gottes selbst, d. h. dessen, was in unseren Augen in ihm gttlichist, ist nicht seine Macht in dem Sinne, da er strker ist als die Gesamtheitaller Krfte des Universums, noch sein Vorherwissen in dem Sinne, da er alsvollkommener Ingenieur das knftige Funktionieren der vorherberechnetenund vorbestimmten Krfte der Weltmaschine voraussieht, und auch nicht dieTatsache, da er als Mittelpunkt jeder geistigen, seelischen und leiblichenGravitation des Universums absolut unentbehrlich ist nein, was wahrhaft

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    gttlich an Gott ist, d. h., was jedes Knie sich vor ihm beugen lt, das ist seinGlaube, seine Hoffnung und seine Liebe. Denn ebenso wie wir an Gottglauben, ebenso glaubt Gott an uns aber mit einem gttlich viel greren,viel erhabeneren Glauben; seine Hoffnung hinsichtlich dieser ungeheurenGemeinschaft freier Wesen, die wir die Welt nennen, ist unendlich, ebensowie seine Liebe fr diese Wesen unendlich ist.

    Wir beten Gott nicht an, weil er mehr kann und weil er mehr wei als wir,sondern weil er mehr Glauben, mehr Hoffnung und mehr Liebe besitzt als wir.Unser Gott ist unendlich edel und gromtig und nicht nur allmchtig undallwissend!

    Gott ist gro durch seinen Glauben, seine Hoffnung und seine Liebe unddie Gottesfurcht ist im Grunde Furcht davor, solchen Edelmut und solcheGromut zu verletzen!

    Die christliche Hermetik sttzt sich auf den Weg der ewigen Mystik. Dortist ihre Grundlage und ihr Ausgangspunkt, insofern sie praktisch ist.Ausgangspunkt wohin? In den Bereich der Gnosis und den der geheiligtenMagie, ebenso wie in den Bereich der hermetischen Philosophie.

    Die Gnosis die selbstverstndlich nichts zu tun hat mit der Methode, Lehrenvon gnostischen Sekten zu entlehnen und daraus Glaubensartikel zu machen ist der Beitrag der mystischen Erfahrung fr das Begriffsvermgen und dasGedchtnis. Sie unterscheidet sich von der reinen Mystik darin, da diese aufdie Erfahrung zurckgeht, in der der gereinigte und erleuchtete Wille inVereinigung mit dem Gttlichen ist, whrend das Begriffsvermgen und dasGedchtnis davon ausgeschlossen sind und vor der Schwelle mystischerErfahrung verbleiben. Und es ist genau die Tatsache der Nichtteilhabe desBegriffsvermgens und des Gedchtnisses an der mystischen Erfahrung, diesie unausdrckbar und unmitteilbar macht. Die Gnosis dagegen ist dieselbemystische