Valentins-Chemie

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Nachrichten aus der Chemie | 59 | Februar 2011 | www.gdch.de/nachrichten Valentins-Chemie Manche Forschungsgebiete stür- men so schnell voran, dass sie sich geradezu überschlagen. Nahezu täglich lesen wir von einem neuen „Gen für“ eine Eigenschaft (Intelli- genz, Faulheit, Fettsucht ... ), so dass die Zahl dieser berichteten Ge- ne vermutlich bald die Zahl der im menschlichen Genom real existie- renden Gene übersteigen wird. In anderen, nicht minder wichti- gen Bereichen der Erkenntnis kommt die Forschung hingegen nur schleppend voran. So ist zum Bei- spiel die chemische Natur der zwi- schenmenschlichen Anziehungs- kräfte bis heute nicht geklärt, ob- wohl diese Kolumne die überragen- de Bedeutung des Problems bereits hervorgehoben hat [Nachr. Chem. 2006, 54, 103]. Eine Pionierin in diesem Gebiet ist die italienische Neuropsychiate- rin Donatella Marazziti, die im Jahr 2000 für ihre Erkenntnis, dass Ver- liebtsein auf neuronaler Ebene so ähnlich funktioniert wie andere Ob- sessionen, mit dem Ignobel-Preis ausgezeichnet wurde. Offenbar sind Forschungsgelder für die Lie- besforschung nur mühsam zu er- gattern, denn Marazzitis Arbeits- gruppe an der Universität Pisa pro- duziert trotz anhaltender Bemü- hungen und lebhaftem Interesse von Seiten der Presse (insbesondere in den ersten beiden Februar- wochen) im Durchschnitt nur eine Originalarbeit pro Jahr zur zwi- schenmenschlichen Chemie. Bemerkenswert an Marazzitis Vorgehensweise ist vor allem, wie unerschrocken interdisziplinär sie harte biochemische und neuroche- mische Analysemethoden mit eher geisteswissenschaftlichen Ansät- zen wie Fragebogenauswertungen verbindet. So beschreibt sie in ihrer jüngsten Publikation zur Liebesche- mie die Wirkungen von männlichen Achselschweiß-Extrakten auf Frau- en. 1) Dafür analysierte ihre Arbeits- gruppe einerseits Hormonreaktio- nen im Blut der schnüffelnden Frau- en, ermittelte andererseits aber auch deren Impulsivität mit dem Barratt Impulsiveness Scale, einer im Jahr 1959 entwickelten Befra- gungsmethode. Fündig wurden die italienischen Forscherinnen in beiden Analysen: Offenbar verändert der geruchlose Achselschweiß-Extrakt, wenn er ei- ne Stunde lang auf der Oberlippe der Probandinnen bleibt, die Affini- tät ihrer Serotonin-Rezeptoren. Se- rotonin (5-Hydroxy-Tryptamin) ist eigentlich ein Neurotransmitter, die Medien bezeichnen die Verbindung aber oft als „Glückshormon“, da sie die Stimmung verbessert. Der Ex- trakt beeinflusst zudem einige der mit psychologischen Methoden er- mittelten Impulsivitätsmarker. Doch wie das für diesen Effekt mut- maßlich verantwortliche Pheromon nun aussieht, und welchen Rezep- tor es anspricht, wissen wir immer noch nicht. Leichter zu erforschen sind die visuellen Reize bei der Paarung, ins- besondere bei Tieren, die hinrei- chend dumm sind, um sich von For- schern hereinlegen zu lassen. Von der Universität Bonn kommt die Nachricht, dass Buntbarsch-Männ- chen eine Vorliebe für Weibchen mit einer großen Bauchflosse ha- ben. Nachgewiesen hat man das mit computeranimierten Fisch- weibchen (Nemo lässt grüßen), die sich ausschließlich in der Flossen- größe unterschieden. Diese Art der Tiertäuschung hat schon eine jahr- Rasier' Dich happy! Optimist Aftershave mit weiblichen Phe- romonen – mit 24-Stunden-Glücks- garantie! (Cartoon: Roland Wengenmayr, Frankfurt) zehntelange Tradition und geht auf Niko Tinbergen zurück, der gerne mal mit Pinsel und Farbe die visuel- len Stimuli von Tieren modifizierte, um die Wirkungen auf das Verhal- ten zu beobachten. Ungewöhnlich ist dieses neue Beispiel der sexuellen Selektion vor allem deshalb, weil hier das Männ- chen die Wahl trifft. Da im allgemei- nen Spermien billig und Eizellen teu- er sind, ist es in den meisten Fällen so, dass das Weibchen wählt. Im Zeitalter des Online-Dating dürfte es natürlich leicht fallen, das Buntbarsch-Experiment auf Menschen zu übertragen: Frauen- profile mit identischen Eigenschaf- ten und manipulierter Oberweite oder Haarfarbe ins Netz stellen – wer bekommt die meisten Klicks? Marazziti und Kollegen könnten dann die zugehörigen Hormonpegel messen. Aber diese Spielereien lenken uns nur unnötig von dem wirklich drin- genden liebeschemischen Problem ab, dass nämlich sowohl die menschlichen Pheromone als auch deren Rezeptoren noch nicht gefun- den wurden. Liebe Analytiker, strengt euch mal ein bisschen an, bis zum nächsten Valentinstag will ich Ergebnisse sehen. Michael Groß www.michaelgross.co.uk 1) Physiol. Behaviour 2010, 100, 364. Forschung und Bildung Notizen111 AUSGEFORSCHT

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Nachrichten aus der Chemie | 59 | Februar 2011 | www.gdch.de/nachrichten

Valentins-Chemie � Manche Forschungsgebiete stür-men so schnell voran, dass sie sich geradezu überschlagen. Nahezu täglich lesen wir von einem neuen „Gen für“ eine Eigenschaft (Intelli-genz, Faulheit, Fettsucht ... ), so dass die Zahl dieser berichteten Ge-ne vermutlich bald die Zahl der im menschlichen Genom real existie-renden Gene übersteigen wird.

In anderen, nicht minder wichti-gen Bereichen der Erkenntnis kommt die Forschung hingegen nur schleppend voran. So ist zum Bei-spiel die chemische Natur der zwi-schenmenschlichen Anziehungs-kräfte bis heute nicht geklärt, ob-wohl diese Kolumne die überragen-de Bedeutung des Problems bereits hervorgehoben hat [Nachr. Chem. 2006, 54, 103].

Eine Pionierin in diesem Gebiet ist die italienische Neuropsychiate-rin Donatella Marazziti, die im Jahr 2000 für ihre Erkenntnis, dass Ver-liebtsein auf neuronaler Ebene so ähnlich funktioniert wie andere Ob-sessionen, mit dem Ignobel-Preis ausgezeichnet wurde. Offenbar sind Forschungsgelder für die Lie-besforschung nur mühsam zu er-gattern, denn Marazzitis Arbeits-gruppe an der Universität Pisa pro-duziert trotz anhaltender Bemü-hungen und lebhaftem Interesse von Seiten der Presse (insbesondere in den ersten beiden Februar-wochen) im Durchschnitt nur eine Originalarbeit pro Jahr zur zwi-schenmenschlichen Chemie.

Bemerkenswert an Marazzitis Vorgehensweise ist vor allem, wie unerschrocken interdisziplinär sie harte biochemische und neuroche-mische Analysemethoden mit eher geisteswissenschaftlichen Ansät-zen wie Fragebogenauswertungen verbindet. So beschreibt sie in ihrer jüngsten Publikation zur Liebesche-mie die Wirkungen von männlichen Achselschweiß-Extrakten auf Frau-en.1) Dafür analysierte ihre Arbeits-gruppe einerseits Hormonreaktio-nen im Blut der schnüffelnden Frau-en, ermittelte andererseits aber auch deren Impulsivität mit dem

Barratt Impulsiveness Scale, einer im Jahr 1959 entwickelten Befra-gungsmethode.

Fündig wurden die italienischen Forscherinnen in beiden Analysen: Offenbar verändert der geruchlose Achselschweiß-Extrakt, wenn er ei-ne Stunde lang auf der Oberlippe der Probandinnen bleibt, die Affini-tät ihrer Serotonin-Rezeptoren. Se-rotonin (5-Hydroxy-Tryptamin) ist eigentlich ein Neurotransmitter, die Medien bezeichnen die Verbindung aber oft als „Glückshormon“, da sie die Stimmung verbessert. Der Ex-trakt beeinflusst zudem einige der mit psychologischen Methoden er-mittelten Impulsivitätsmarker. Doch wie das für diesen Effekt mut-maßlich verantwortliche Pheromon nun aussieht, und welchen Rezep-tor es anspricht, wissen wir immer noch nicht.

Leichter zu erforschen sind die visuellen Reize bei der Paarung, ins-besondere bei Tieren, die hinrei-chend dumm sind, um sich von For-schern hereinlegen zu lassen. Von der Universität Bonn kommt die Nachricht, dass Buntbarsch-Männ-chen eine Vorliebe für Weibchen mit einer großen Bauchflosse ha-ben. Nachgewiesen hat man das mit computeranimierten Fisch-weibchen (Nemo lässt grüßen), die sich ausschließlich in der Flossen-größe unterschieden. Diese Art der Tiertäuschung hat schon eine jahr-

Rasier' Dich happy!

Optimist Aftershave

mit weiblichen Phe-

romonen – mit

24-Stunden-Glücks-

garantie!

(Cartoon: Roland

Wengenmayr,

Frankfurt)

zehntelange Tradition und geht auf Niko Tinbergen zurück, der gerne mal mit Pinsel und Farbe die visuel-len Stimuli von Tieren modifizierte, um die Wirkungen auf das Verhal-ten zu beobachten.

Ungewöhnlich ist dieses neue Beispiel der sexuellen Selektion vor allem deshalb, weil hier das Männ-chen die Wahl trifft. Da im allgemei-nen Spermien billig und Eizellen teu-er sind, ist es in den meisten Fällen so, dass das Weibchen wählt.

Im Zeitalter des Online-Dating dürfte es natürlich leicht fallen, das Buntbarsch-Experiment auf Menschen zu übertragen: Frauen-profile mit identischen Eigenschaf-ten und manipulierter Oberweite oder Haarfarbe ins Netz stellen – wer bekommt die meisten Klicks? Marazziti und Kollegen könnten dann die zugehörigen Hormonpegel messen.

Aber diese Spielereien lenken uns nur unnötig von dem wirklich drin-genden liebeschemischen Problem ab, dass nämlich sowohl die menschlichen Pheromone als auch deren Rezeptoren noch nicht gefun-den wurden. Liebe Analytiker, strengt euch mal ein bisschen an, bis zum nächsten Valentinstag will ich Ergebnisse sehen.

Michael Groß www.michaelgross.co.uk

1) Physiol. Behaviour 2010, 100, 364.

Forschung und Bildung �Notizen� 111

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