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  • Vater Sergej Originaltitel: Otez Sergij Produktion: Mosfilm, 1978 Buch: Igor Talankin, nach Motiven der Erzhlung Vater Sergius1 von Lew Tolstoi. Regie: Igor Talankin. Kamera: Georgi Rerberg, Anatoli Nikolajew. Musik: Alfred Schnittke Darsteller: Sergej Bondartschuk (Vater Sergej), Valentina Titowa (Mary Korotkowa), Wladislaw Strelczyk (Nikolai I.), Nikolai Grizenko (General), Boris Iwanow (Abt) u. a. (Normal, Farbe, 2763 m, 98 min; fr Kinder unter 14 Jahren nicht zugelassen) Ersteinsatz: 2. November 1979 Inhalt: Frst Stepan Kassatzki, Gardeoffizier, ist ein Gnstling des Zaren Nikolai I. Er hat eine glnzende Karriere vor sich, steht kurz vor der Hochzeit mit der attraktiven Hofdame Korotkowa. Als er erfhrt, da sie die Geliebte des Zaren war, fhlt er sich verraten, quittiert den Dienst und geht ins Kloster. Dort wird er Priester und erhlt den Namen Vater Sergej. Doch er findet den ersehnten inneren Frieden nicht und wird Einsiedler. Bald hlt man ihn fr einen Heiligen. Menschen pilgern zu seiner Einsiedelei, wollen Rat und Trost, glauben, da er ihre Krankheiten heilen kann. So gro ist der Zustrom, da neben Sergejs Einsiedelei eine Kirche und ein Gasthaus entstehen, die dem Kloster betrchtliche Einnahmen bringen. Sergej empfindet das als Heuchelei, er verlt die Einsiedelei und zieht als Bettelmnch ruhelos durchs Land. Dabei trifft er eines Tages eine Jugendfreundin, die Musiklehrerin Paschenka. Auf Sergejs Bitte erzhlt sie ihm die Geschichte ihres Lebens: es war schwer und oft bitter, doch sie hat nie resigniert, sondern die Kraft gefunden, Schwcheren zu helfen. Diese Begegnung ffnet Sergej die Augen: der Lebenssinn, den er so verzweifelt gesucht hat, liegt im ttigen Einsatz fr andere. Er geht nach Sibirien, um Kranke zu pflegen und Kinder zu unterrichten. Aktenbefund: BArch/FA O. 5824 Bemerkungen: Vater Sergej war die Verfilmung einer Erzhlung von Lew Tolstoi, produziert aus Anla seines 150. Geburtstages 1978. In der Sowjetunion war diese recht konventionelle Adaption ein Publikumserfolg, nicht zuletzt wegen des Hauptdarstellers Sergej Bondartschuk, auf den sie zugeschnitten war. Der Zulassungsantrag des Verleihs vom 12. Februar 1979 (Dokument 1) stellt den Film in eine Reihe mit anderen sowjetischen Tolstoi-Verfilmungen, betont aber auch: Der Film gibt auch zu erkennen, da die Flucht vor der weltlichen Macht, ihrer verlogenen Moral und Heuchelei in ein Kloster keinen Ausweg fr den Helden bedeutete, da die Kirche auf eine andere Weise diese Macht manifestierte und da ein Mensch, der einem sittlichen Ideal folgt, von beiden mibraucht werden kann. Wie eine versteckte Kritik an der Stoffwahl wirkt das im Antrag enthaltene Lenin-Zitat: Der Kampf gegen die offizielle Kirche ging bei [Tolstoi] Hand in Hand mit der Predigt einer neuen gereinigten Religion, das heit eines neuen, gereinigten, verfeinerten Giftes fr die unterdrckten Massen. 1 Sergius ist die bliche deutsche bertragung des kirchenslawischen Namens Sergij. In der deutschen Kinofassung wurde die russische Form Sergej wohl aus Synchronisationsgrnden gewhlt.

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    Dokument 1 Zulassungsantrag des PROGRESS Film-Verleih v. 12. Februar 1979. Ausgearbeitet von Gisela Seigewasser. Gekrzt. BArch/FA O. 5824 Publikumsgruppe: 4 Verfilmte Werke der Weltliteratur Film wurde whrend der Ankaufsreise Moskau 17. - 26.10.78 bernommen. Sein Einsatz ist in den Theatern der Kategorie I b2 vorgesehen. [...] Einsatzbegrndung: Der Film entstand nach Motiven der gleichnamigen Erzhlung von Leo Tolstoi. Er wurde dem 150. Geburtstag des russischen Schriftstellers, Philosophen und Aufklrers gewidmet. Seit ihrem Bestehen sieht die sowjetische Filmkunst eine wichtige Aufgabe in der Aneignung des Tolstoischen Erbes. Generationen von Regisseuren widmeten sich ihr und waren bemht, die einzelnen Werke in einem zeitgenssischen Kontext zu interpretieren. Die Erzhlung Vater Sergij diente erstmalig 1917 dem Regisseur Jakow Protasanow zum Vorwurf, der zu dieser Zeit besonders die zaristische Willkrherrschaft attackierte. In den sechziger Jahren entstanden die Filme Auferstehung3 ([Regie: Michail] Schweizer), Krieg und Frieden4 ([Sergej] Bondartschuk), Anna Karenina5 ([Alexander] Sarchi), Der lebende Leichnam6 ([Wladimir] Wengerow). Die Erzhlung Vater Sergij wurde erst nach dem Tode Tolstois verffentlicht. Sie war sein letztes Werk. Er schrieb sie mit Unterbrechungen in seinen letzten Lebensjahren. Die Erzhlung Vater Sergij war fr Tolstoi ein Credo. Sie umfat alle Betrachtungen, Zweifel und Forschungen des Autors von Krieg und Frieden, Anna Karenina, Auferstehung und vielen anderen berhmten Werken. (Talankin) In seiner filmischen Interpretation der Erzhlung hebt Regisseur Igor Talankin (Tagessterne7, Tschaikowski8, Wahl des Ziels9) deutlich hervor, da die Konflikte seines Helden, seine Zweifel, seine Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Realitt, seine Suche nach Wahrheit, die Konflikte des Schpfers dieser Figur waren, da sich Tolstoi im Wesentlichen mit ihr identifizierte. Der Film gibt auch zu erkennen, da die Flucht vor der weltlichen Macht, ihrer verlogenen Moral und Heuchelei in ein Kloster keinen Ausweg fr den Helden bedeutete, da die Kirche auf eine andere Weise diese Macht manifestierte und da ein Mensch, der einem sittlichen Ideal folgt, von beiden mibraucht werden kann. Zur philosophischen Position Tolstois schrieb Lenin (1910) nach dessen Tode: Leo Tolstoi ist tot. Seine Weltbedeutung als Knstler, seine Weltberhmtheit als Denker und Verknder, das eine wie das andere spiegelt auf seine Art die Weltbedeutung der russischen Revolution wider. ... Der Kampf gegen die offizielle Kirche ging bei ihm Hand in Hand mit der Predigt einer neuen gereinigten Religion, das heit eines neuen, gereinigten, verfeinerten Giftes fr die unterdrckten Massen. Die Verneinung des Privateigentums am Grund und Boden fhrte bei ihm nicht etwa zur Konzentration des ganzen Kampfes gegen den wirklichen Feind, gegen den feudalen Grundbesitz und dessen politisches Machtmittel, die Monarchie, sondern zu 2 Studiokinos = Filmkunsttheater. 3 Originaltitel: Woskressenje; Prod. 1961. Ersteinsatz: Teil 1: 6. Oktober 1961; Teil 2: 4. Januar 1963. 4 OT: Woina i mir; Prod.: 1965-67. Ersteinsatz: Teil I: 3. Februar 1967; Teil II: 17. Mrz 1967; Teil III u. IV: 27. September 1968. 5 Prod. 1967. Ersteinsatz: 24. Dezember 1971. 6 OT: Shiwoj trup. Prod.: 1968. Ersteinsatz: 20. Mrz 1970. 7 OT: Dnewnije swjosdy. Prod.: 1968. 8 Prod. 1970. Ersteinsatz: 7. Mai 1971. 9 OT: Wybor zeli. Prod.: 1975. Ersteinsatz: 10. September 1976.

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    vertrumten, verschwommenen, kraftlosen Schwrmereien. Die Blostellung des Kapitalismus und der von diesem den Massen zugefgten bel vertrug sich bei ihm mit einer vllig gleichgltigen Beziehung zu jenem universalen Befreiungskampf, den das internationale sozialistische Proletariat fhrt. Die Widersprche in den Anschauungen Tolstois sind nicht lediglich solche seines persnlichen Denkens, sondern die Widerspiegelung der im hchsten Mae komplizierten, widerspruchsvollen Verhltnisse, sozialen Einflsse und historischen Traditionen, die die Psychologie der verschiedenen Klassen und Schichten der russischen Gesellschaft in der Periode nach den Reformen, aber vor der Revolution bestimmten. ... Tolstoi ist tot, und mit ihm ist auch das alte vorrevolutionre Ruland dahingegangen, dessen Schwche und Ohnmacht in der Philosophie des genialen Knstlers ihren Ausdruck und in seinen Werken ihre Darstellung gefunden haben. Doch sein Erbe enthlt Unvergngliches, das der Zukunft gehrt. Die Handlung des Films wird in Episoden erzhlt, die bestimmte Lebensabschnitte, Entwicklungs- und Entscheidungssituationen des Helden wiedergeben. Innerhalb dieser Episoden werden Szenen aus seiner Kindheit eingeblendet, die seine sptere Haltung psychologisch motivieren. Trotz dieser Erzhlstruktur bleibt die Handlung berschaubar, folgt sie im Wesentlichen dem Aufbau des Originals: Die Erzhlung ist lakonisch, fast asketisch abgefat. Ich habe versucht, diese einfache Strenge beizubehalten, und habe den Film deshalb in der ruhig-traditionellen Art inszeniert. Das ganze Augenmerk ist dem Innenleben der Zentralgestalt zugewandt. (Talankin) Die Szene der Begegnung des Helden mit der Musiklehrerin Paschenka wurde in Schwarz-wei aufgenommen, um deren inhaltliche Bedeutung fr die Wandlung des Helden hervorzuheben, seiner Desillusionierung und seiner Erkenntnis der realen Werte menschlichen Lebens. In Sergej Bondartschuk fand Talankin einen hervorragenden Interpreten der Titelfigur mit einer groen Skala an Ausdrucksmglichkeiten. Zur Geschlossenheit des Films trugen auch seine wirkungsvolle optische Gestaltung, Bilder, die oft an Gemlde erinnern, und seine Musik, die auf der Grundlage eines Walzers von Tolstoi entstand, bei. Der Erfolg, den der Film in der Sowjetunion hat, wird sich bei uns nicht wiederholen. Dennoch wird er auch hier auf Interesse stoen. Sein Einsatz sollte daher vorzugsweise, aber nicht allein, den Studiofilmtheatern vorbehalten bleiben.