Vera Kattler - Krähenformung

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Vera Kattler Krähenformung

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Der Katalog zur Abschlußausstellung von artmix7 im KuBa, Saarbrücken. Januar 2013.

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Vera KattlerKrähenformung

artmix7 Künstleraustausch in Luxemburg und Saarbrücken2012 / 2013

Vera Kattler • Chantal Maquet • Alexander Minor • Letizia RomaniniKrähenformung

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Zwei Monate und 100 Kilometer – was heißt hier Grenze

Wohnen und Arbeiten mit artmix Kunst zu ermöglichen, ist immer nobel. Ihr zu Sichtbarkeit zu verhelfen genauso. Beides ist der Fall beim artmix. Das Setting : Zwei Kunsträume, dazwischen 100 Kilometer und eine Landesgrenze, zwei Monate, ein Katalog, eine Ausstellung, dazu etwas Geld und etwas Publikum. Seit sieben Jahren verbinden sich auf diese Art Ausstellung und Austausch, am Rand zweier Länder. Was bedeutet es, grenz-überschreitend Kunst schaffen bzw. fördern zu wollen ? Statt sich der Vorstel-lung eines florierenden Import-Export Handels mit Fördergeldern und kreativen Potentialen hinzugeben, halten wir lieber fest : Kunst ist im besten Fall immer grenzüberschreitend. Kunst zu ermöglichen, ist immer nobel. Ihr zu Sichtbarkeit zu verhelfen genauso. Und es gibt es eine gute Busverbindung zwischen Luxem-burg und Saarbrücken : Neun Euro, ein Weg.

Das Residenz-Programm artmix bietet vier Künstlern eine kurzfristige Produk-tionsstruktur. In zwei Phasen arbeiten Menschen an zwei Orten auf eine Aus-stellung hin. Das Luxemburger Kunsthaus beim Engel ist vier Wochen lang für Besucher geöffnet. Die Künstler anwesend. Was können wir über diese Arbeit, oder anhand von ihr, erfahren ? Was ist ihre Motivation, ihr Anliegen, ihr Ziel, wie die Schritte ? Das Bild improvisierter Ateliers unterscheidet sich deutlich von dem einer Ausstellung, sei es der bevorstehenden Abschlussausstellung im Kul-turBahnhof Saarbrücken oder sonst einer Gruppenausstellung. Auf den zweiten Blick lässt sich dafür einiges erkennen.

Vier Positionen : viermal KunstDas gängige Modell von Gruppenausstellungen hat mit Ähnlichkeit, Verwandtschaft und Vergleichbarkeit zu tun: Kunst von verschiedenen Autoren begegnet uns an einem Ort. In der Gemeinsamkeit erkennen wir, worum es geht. Meist weist uns der Ausstellungstitel unmissverständlich auf den entscheidenden gemeinsamen Aspekt hin. Liegt die Gemeinsamkeit nicht auf der inhaltlichen Ebene, dann ist sie in den Begleitumständen zu finden. In unserem Fall fördert ein schneller Blick Folgendes zu Tage: Vera Kattler, 1965, lebt in Saarbrücken, malt. Hauptmotiv : Tiere und noch mehr Unheimliches. Chantal Maquet, 1982, lebt in Hamburg, malt. Hauptmotive : Brote, Menschen und Bilder. Letizia Romanini, 1980, lebt in Straß-burg, installiert. Haupt-motiv : die wertvolle Lücke. Minor, 1981, lebt in Saarbrü-cken, macht alles. Haupt-motiv : Urinale und die Kunst / Kunst und Urin.

Wo bleiben die Gemeinsamkeiten ? Nichts springt ins Auge, weder das Alter noch der Wohnort, nicht das Motiv, noch der Lebensweg, nicht Ansätze, Arbeitsmaterialien, Vorbilder, Ausbildung, Nationalität. Auch der Titel verweigert Rat – artmix7. Also nutzen wir diese Erkenntnislücke, um zurück zu kehren zur Kunst, und den besag-ten zweiten Blick zu werfen. Aus einem anderen Winkel, mit großen Augen : für die Details, für das Ganze und die Ränder.

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Auge um Auge

Ein einzelnes Auge ist unheimlich, erst recht, wenn es uns auf Augenhöhe be-gegnet : Es bannt den Blick und lässt ein Wegschauen kaum zu ; wir sind mit der Beweglichkeit unserer zwei hilflos. Schwarzes Fell, blauschwarze Federn – oder gar Schuppen ? Eine Krähe ? Eine Ratte ? Ein Wesen, irgendwie pelzig, soviel ist sicher. Mit seinem einen Auge blickt es uns an. Wir sehen mit zwei Augen und ge-mischten Gefühlen zurück, unsicher suchend : Nach Eindeutigkeit, nach Halt. Aber da, wo wir das Ende der Kreatur suchen, eine Begrenzung, die Klarheit schaffen würde, finden wir nichts. Noch bevor das eine endet, taucht ein zweites Wesen auf, noch eins und noch eins : Das ungeheure Mischwesen wird zur fortlaufenden Verlängerung seiner selbst, über den Bildrand hinaus. Vera Kattler füllt Papiere und unsere Vorstellungsräume mit endlosen, anders- artigen Tieren. Ob das im ersten Moment harmlos wärmende Haustiere wie Hamster sind, oder solche, nach denen man nicht gern die Hand ausstreckt, wie etwa Kröten oder Kanalratten : Spätestens im zweiten Moment wird es unange-nehm. Die Tiere scheinen angriffslustig und suchen die Konfrontation.

Vera Kattler hat im Umgang mit verschiedenen Malmaterialien eine Technik ent-wickelt, die ähnliche Untiefen birgt wie ihre Motive. Unter ihren Händen breitet sich Schatten aus. Die Farben entwickeln ein unheimliches Eigenleben. Neben Tusche und Kohle arbeitet sie vor allem mit Ölfarbe : Minutiöse und doch locker – mitunter mit dem Finger – aufgetragene Schichten von Farbe erzeugen ein Vo-lumen, welches das dünne Papier kaum zu tragen scheint. Mal sitzen ihre Tiere

– ganz körperlich – auf den Blättern und dehnen sich in die Tiefe der Wand aus, mal drohen sie uns von der Papieroberfläche, frontal, bereit zum Sprung.

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Der Pelz der Tierchen schluckt alles Licht, das auf sie fällt. In manchen Momenten tut er das auch im wörtlichen Sinn : Die Luxemburger Lichtverhältnisse lassen Vera Kattler nicht wie gewohnt arbeiten. Keine Chance, das feine Spiel von kaum sichtbaren Nuancen, von angedeuteten Reflexen im Tiefdunklen zu entwerfen und zu bearbeiten, wenn man wirklich kaum etwas sieht. Im Luxemburger Atelier herrscht Zwielicht. So hat sie sich für die Zeit im Kunsthaus beim Engel auf einen anderen, älteren Ansatz verlegt und ihre Arbeit mit Schattenwürfen fortgesetzt. Die Konturen von Vögeln baumeln ausgeschnitten von der Decke und malen sich, immer wieder neu bis zur Unkenntlichkeit verzogen und verformt, als Schatten-risse an die Wand. In einem nächsten Arbeitsschritt installiert die Künstlerin von diesen Schatten abgenommene Scherenschnitte als Wandarbeit im Raum. Gleich-zeitig entsteht dabei neues Rohmaterial, auch für ihre Malerei. Mit jedem leichten Luftzug verändern sich die Formen und Gestalten : Ein nicht endender Prozess, der in seiner Assoziationsvielfalt an den Rorschachtest erinnert, beweist vor unseren Augen sein quasi unendliches Formenrepertoire.

Die endlose, und dabei oft minimale, Variation ist seit jeher Thema der Künstlerin. Das Tier taucht in ihren Bildern nicht als einzelnes auf, sondern in rauen Mengen. Es beinhaltet die Vervielfältigung seiner selbst, es ist Rudel, Schwarm und Masse : Über 100 Gesichter von Menschenaffen blicken uns von der Wand an ; unzähli-ge Nagetiere scheinen, dicht an dicht, auf uns zuzurennen. Vera Kattler arbeitet in Wiederholungen, um vielfältige Abweichungen hervorzubringen. Von Schritt zu Schritt, von Blatt zu Blatt variiert, verformt sich das Motiv. Es wuchert und wächst, dehnt sich aus, verliert ein Maul oder ein Organ, gewinnt ein anderes. Der Schnabel ist plötzlich dunkel behaart und ähnelt dem dritten Bein : Monströse Zugewinne in einem Fall, totaler Formverlust im anderen.*

Pelzige Zellklumpen wecken in uns Erinnerungen an schlechte Träume. Und mit einem Mal sind es nicht mehr bedrohliche, sondern verdrängte, unglückliche, ge-triebene Wesen, die geradewegs aus dem Bodensatz unseres Unterbewusstseins zu stammen scheinen. Die Kreaturen werden Projektionsfläche, nehmen stellver-tretend, und vorübergehend, Form an für eine vage und diffuse Beunruhigung in uns. Das Getriebensein ist unser eigenes. Die Ängste, sich im Übergangslicht der Dämmerung zu verlaufen und zu verlieren, verschmelzen mit dem Bild geworde-nen Gedanken, nicht aus sich heraus, das heißt: nicht aus seiner Haut zu können.

Mirjam Bayerdörfergeboren 1984, beendet derzeit ihr Masterstudium „Kuratieren“ an der Hoch-schule der Bildenden Künste Saar. Die Vorsitzende des Neuen Saarbrücker Kunst-vereins lebt und arbeitet in Saarbrücken.

*Dabei verschwimmen auch die Grenzen zwischen einzelnen Serien und zwischen verschiedenen Phasen jahrelanger Produktion : Die Arbeiten sind gruppiert nach minimalen technischen Angaben, z.B. „o.T., 30 x 40 cm, Öl auf Papier, 2010/13“: Zu dieser Werkgruppe zählen die aktuellen Krähenbilder, um die der Text haupt-sächlich kreist.

8Installation im Konschthaus beim Engel, 2012

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V E R A K A T T L E R

1965 geboren in Wadgassen / Saar1999 - 2005 Studium der Freien Kunst an der Hochschule der bildenden Künste Saar bei Prof. Bodo Baumgarten und Prof. Daniel Hausig2005 Diplom (mit Auszeichnung) bei Prof. Daniel Hausig im Fachbereich Mixed Media / Malerei Meisterschülerin von Prof. Daniel Hausig

A U S S T E L L U N G E N ( Auswahl )

2013 Kunsthaus Frankenthal nahezu menschlich (E)2012 Kunstverein Frechen 2011 Kunstverein Norden Phänomene des Anderen (E)2011 Kunstverein Trier Das kleine Monströse (E)2011 Haus der Kunst, München Grosse Kunstausstellung München tierisch (K)2010 Kunstverein Worms / Schwetzingen Animal Art (K)2010 Kulturspeicher, Würzburg Les Secteurs2010 Galerie Besch, Saarbrücken …was schaut zurück? (E) 2009 Stadtmuseum St. Wendel vis-a-vis2008 Esch sur Alzette, Luxemburg Videofestival Octobrerouge 2008 Galerie Besch, Saarbrücken Artig saraviensis2008 Saarländisches Künstlerhaus, Saarbrücken Dein Land macht Kunst, Landeskunstausstellung (K)2008 Kulturfoyer, Kulturamt Saarbrücke Seltsam vertraut (E)2007 Saarbrücken Das inszenierte Fenster in der nächtlichen Stadt (K)2006 K4 forum, Bliesgau KochKunst & EssKultur, Prolog zur Bliesgau-Lammwoche, (E)2006 Finanzministerium Saarbrücken Frauenkulturmonat Von hier aus2006 St. Andreasberg, Harz 12. Kunstausstellung Natur-Mensch (K)2005 Saarbrücken Robert Schuman Kunstpreis (K)2005 Galerie K4, Saarbrücken Aus der Serie 32004 T-Systems, Saarbrücken Zoom 2004 (K)2004 Museum Schloß Fellenberg, Merzig Im Augenblick, Kunstszene Saar (K)2004 Kulturamt Saarbrücken SCHWEINE! (E)2003 Völklingen YTIC Kunstparcours A U S Z E I C H N U N G E N U N D S T I P E N D I E N

2005 Kulturpreis des Stadtverbandes Saarbrückem2004 Nominierung zum Kunstpreis Robert Schuman2008 Förderstipendium der Landeshauptstadt Saarbrücken 20062011 Stipendium Künstlerhaus Schloß Wiepersdorf, Brandenburg2012 / 13 artmix7 Künstleraustausch Saarbrücken / Luxemburg

A R B E I T E N I N Ö F F E N T L I C H E N B E S I T Z Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft des SaarlandesLandeshauptstadt Saarbrücken

Teil 1 von 4 des Begleitkatalogs zur Ausstellung vom 31. Januar bis 17. Februar 2013 im KuBa Saarbrücken.

Porträtfotos : Rich Serra

Layout : Chantal Maquet

Für die Initiation von artmix7 möchten sich Vera Kattler, Chantal Maquet, Alexander Minor und Letizia Romanini beim Ministère de la Culture, Luxembourg und der Landeshauptstadt Saarbrücken bedanken.

Ein besonderer Dank gilt den freundlichen Unterstützern der Ausstellung, ohne die der Katalog in dieser Form nicht möglich gewesen wäre:

Mehr über Vera Kattler unter : www.verakattler.blogspot.de

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