Verein für Heimatkunde - Nr. 32

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Mitteilungsblatt des Vereins für Orts- und Heimatkunde Attendorn e.V. für Geschichte und Heimatpflege

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IMPRESSUM ATTENDORN – GESTERN UND HEUTE Mitteilungsblatt des Vereins für Orts- und Heimatkunde Attendorn e.V. für Geschichte und Heimatpflege HERAUSGEBER Verein für Orts- und Heimatkunde Atten-dorn e.V., Hansastraße 4, 57439 Attendorn Mail [email protected]

REDAKTION Birgit C. Haberhauer-Kuschel (BCHK), Wesetalstraße 90, 57439 Attendorn, Tel. 02722-7473, Mail [email protected] DRUCK Frey Print & Media, Bieketurmstraße 2, 57439 Attendorn Erscheint in zwangloser Reihenfolge. Alle Rechte vorbehalten, auch des auszugswei-sen Nachdrucks. Bezugspreis im Jahresbeitrag [2010: 20,- € für Einzelmitglieder/ 5,- € für Ehegatten] inbegriffen. Für namentlich gekennzeichnete Beiträge sind die Verfasser persönlich verantwort-lich. ISSN-Nr. 1864-1989 Dieses Jahresheft erscheint im Juni 2010 und trägt die Nr. 32. TITELABBILDUNG: Mahnmal für die Opfer von Krieg und Ge-walt an der Außenwand des Rathauses am Klosterplatz in Attendorn. Foto: Martin Kuschel Ein herzlicher Dank gilt den AUTOREN DIESER AUSGABE: Brigitte Flusche, Josef Hormes (), Dipl.Ing Michael Jolk, Eva und Otto Kersting, Rein-hard König, Monika Löcken, Claus Ort-mann, Georg Ortmann, Josefine Wagener-Zeppenfeld () VORSTAND DES VEREINS (Stand Juni 2010) Geschäftsführender Vorstand: Vorsitzender: Reinhard König Stellv. Vorsitzender: Karl-Hermann Ernst Schriftführer: Peter Prentler

Schatzmeister: Markus Kaufmann Geschäftsführerin: Gabriele Schmidt, Erweiterter Vorstand: Brigitte Flusche, Ludwig Müller, Ulrich Selter, Dieter Thys. Mitglieder kraft Amtes: Birgit C. Haberhauer-Kuschel, Monika Löcken ANSPRECHPARTNER FÜR ALLE BE-LANGE DER HEIMATPFLEGE IN AT-TENDORN UND UMGEBUNG: Verein für Orts- und Heimatkunde Atten-dorn e.V., Hansastraße 4, 57439 Attendorn Sprechstunde: Montags 18.00 – 20.00 Uhr Ortsheimatpflegerin für Attendorn: Birgit C. Haberhauer-Kuschel Ortsheimatpfleger für Mecklinghausen: Albert Schnepper Ortsheimatpfleger für Neu Listernohl: Ludwig Müller INHALT Impressum 2 Erinnerung – Gedenken – Mahnung (Birgit Haberhauer-Kuschel) 3 Meine Kriegsjahre und meine Gefangen-schaft (Josef Hormes) 6 Elend in den Gefangenenlagern am Rhein (Georg Ortmann) 13 Glocke und Glockenturm der Waldenburger Kapelle (Michael Jolk) 15 Die Heiligentracht in Attendorn (Reinhard König) 17 Das Turmkreuz St. Johannes Baptist Renovierung 2009 (Claus Ortmann) 29 Eynmal noch ... (Josefine Wagener-Zeppenfeld) 31 Rückläufer (Brigitte Flusche) 34 75 Jahre Familie Kersting in Attendorn (Eva und Otto Kersting) 38 Neuzugänge des Museums 2009 (Monika Löcken) 43

www.heimatverein-attendorn.de

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Erinnerung – Gedenken – Mahnung Erinnerungsstätte und Dokumentation zum Gedenken

an die Opfer von Krieg und Gewalt auf dem Klosterplatz und im Foyer des Rathauses

Am 15. Juni 2010, auf den Tag genau 65 Jahre nach dem Explosionsunglück im sog. Kreuzbündnis (Verbindungs-trakt zwischen alter Franziskanerkirche und Rathaus), wird in einer Feierstun-de die Dokumentation zum Gedenken an die Opfer von Krieg und Gewalt im Foyer des Attendorner Rathauses ein-geweiht. Bereits im vergangenen Jahr wurde das Mahnmal an der Außenwand des Rathauses am Klosterplatz seiner Be-stimmung übergeben. In der äußeren Form eines überdimensionalen Bom-bensplitters erinnert es an den Bom-benangriff auf Attendorn am 28. März 1945, der 140 Todesopfer forderte. Hatte der Zweite Weltkrieg Attendorn bis dahin im Großen und Ganzen ver-schont, so brachten vor allem zwei Er-eignisse den Krieg und seine Folgen nach Attendorn: Noch 6 Wochen vor Kriegsende erfolgte ein Bombenangriff, dessen Folgen noch heute an der Nachkriegsbebauung im Stadtbild er-kennbar sind. 2 Monate nach dem En-de des Krieges erschütterte dann die Explosion der eingesammelten Muniti-onsreste im Keller des sog. Kreuz-bündnisses mit 36 Todesopfern und zahlreichen Verletzten erneut die Be-völkerung. Zu den Opfern, die Attendorn seit 1933 zu beklagen hatte, gehören zum Einen die durch das NS-Regime verfolgten jüdischen Mitbürger, zahlreiche Opfer in der Zivilbevölkerung, die dem Bom-benangriff und dem Munitionsunglück zum Opfer fielen, zum Anderen aber auch die in Attendorner Betrieben be-schäftigten und in Attendorn verstor-benen Zwangsarbeiter, denen auf dem Friedhof an der Windhauser Straße ein

Ehrenmal errichtet wurde. Dazu kom-men die über 430 Angehörigen des Militärs, die zu Beginn des 2. Weltkrie-ges im September 1939 in der Atten-dorner Kernstadt ihren Wohnsitz hat-ten, von hier aus in den folgenden 6 Jahren eingezogen wurden und den Kriegshandlungen bis zum 8. Mai 1945 zum Opfer fielen. Diese Zahl erhöht sich noch um die der vermissten Sol-daten und derer, die nach Kriegsende in Gefangenschaft ihr Leben lassen mussten. Im Dezember 2007 konstituierte sich bei einer ersten Zusammenkunft im Rathaus der „Seniorenkreis Geden-ken“, der die Planung einer Erinne-rungsstätte zum Gedenken an die To-ten des Krieges 1939/45 aufnahm und Spenden für die Errichtung des Mahn-mals sammelte. Neben den drei Initiatoren aus der Ge-neration der Gefallenen waren Vertre-ter des Schul- und Kulturamtes, der Stadtarchivar und im Folgenden auch Kommunalpolitiker und die Ortshei-matpflegerin an den Planungen betei-ligt. In mehreren Treffen, bei denen kontro-vers diskutiert wurde, kam man zu der Überzeugung, dass ein zu errichtendes Mahnmal allen Opfern von Krieg und Gewalt, die Attendorn im Zweiten Weltkrieg zu beklagen hatte, gewidmet werden sollte. Neben einem Mahnmal, das in seiner Form auf den Bomben-angriff im März 1945 und durch seine Platzierung an das Munitionsunglück vom Juni 1945 erinnert, sollte die Erin-nerungsstätte durch eine Präsentation im Foyer des Rathauses ergänzt wer-den.

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Stadtarchivar Otto Höffer erarbeitete verschiedene Entwürfe zur Aufarbei-tung des Geschehens, die im zustän-digen Ausschuss für Schulen, Kultur und Angelegenheiten des Denkmal-schutzes in mehreren Sitzungen kon-trovers diskutiert wurden. Diskutiert wurde vor allem, ob sich die Präsenta-tion auf eine bloße Nennung der Op-fernamen auf großen Namenstafeln beschränken solle oder ob die Opfer-namen durch das Hinzufügen von Fo-tomaterial und erläuternden Texten in das örtliche historische Geschehen eingebettet werden sollten. Die Initiatoren des „Seniorenkreises Gedenken“ sahen ihr Konzept in der reinen Präsentation der Opfernamen eindrucksvoll umgesetzt. Das von der Stadtverwaltung, einigen Ratsmitgliedern und der Ortshei-matpflegerin favorisierte Konzept sah dagegen vor, die Präsentation zum Gedenken an die Opfer von Krieg und Gewalt auch um die auf dem Dachbo-den des Rathauses aufgefundene Ge-denktafel für die Opfer des Ersten Weltkriegs zu ergänzen und auf einer weiteren Wand die Verfolgungen der Attendorner Bevölkerung in der NS-Zeit mit Fotos und Texten zu themati-sieren. Daran sollte sich auf der größ-ten Wand des Foyers die Präsentation der Opfernamen mit den das Kriegs-geschehen in Attendorn erläuternden Fotos und Texten anschließen. In der Abstimmung des Stadtrates im Februar 2010 setzte sich schließlich dieses zweite Konzept durch. Dabei wurde in der Diskussion deutlich, dass eine derartige Präsentation zum Ge-denken an Attendorner Kriegs- und Gewaltopfer nicht allein auf der Na-mensnennung beruhen kann. Vielmehr kann der gegenwärtigen und den zu-künftigen Generationen nur durch die Einbindung in den historischen Kontext verdeutlicht werden, was die Kriegser-

eignisse für bleibende Auswirkungen in den Familien und im Stadtbild gehabt haben. Im Zeitalter von Computer und Internet vermittelt nur eine visualisierte Darstellung der Ereignisse den Zugang zur Geschichte. Die im Rat vertretenen Fraktionen wa-ren sich dabei einig, dass eine umfas-sende Aufarbeitung der Geschehnisse der NS-Zeit und des Zweiten Weltkrie-ges durch eine Multi-Media-Säule er-reicht werden könnte. Diese soll eben-falls im Foyer des Rathauses aufge-stellt werden und mit dem gesamten Bild- und Textmaterial ausgestattet werden, das zum Zeitraum von 1933 bis 1945 für Attendorn vorhanden ist. Dabei könnten auch die Namen der über 5000 in Attendorn beschäftigten Zwangsarbeiter genannt und die Ver-folgung der jüdischen Mitbürger aus-führlich dokumentiert werden. Ebenso könnte die umfangreiche Sammlung von Totenzetteln ziviler wie militäri-scher Attendorner Opfer hier Eingang finden und damit Auskunft geben, wie sehr manche Attendorner Familie in dieser schweren Zeit gelitten hat. Eine solche zeitgemäße PC-Präsentation stände damit jedem Interessierten und vor allem den Attendorner Schulen zur Verfügung, die damit dieses Kapitel in der deutschen Geschichte für ihre Schüler „begreifbar“ machen können. Da die finanzielle Situation der Stadt Attendorn zur Zeit die Anschaffung einer solchen PC-Präsentation nicht ermöglicht, soll die zunächst zu erstel-lende bildliche und textliche Präsenta-tion zum Gedenken an die Opfer von Krieg und Gewalt möglichst umfassend sein. Mitte April stellte die Verwaltung den Fraktionsvertretern die Vorlagen der Präsentation in Originalgröße am Ort der Umsetzung im Foyer des Rathau-ses vor. Dabei fanden die vorgesehe-nen Tafeln zur Verfolgung in der NS-

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Zeit aus jüdischer, kirchlicher, politi-scher und aus der Sicht der Zwangs-arbeiter sowie die Darstellung der Ge-schehnisse im Frühjahr 1945 breite Zustimmung. Es bleibt zu hoffen, dass die Präsenta-tion im Foyer des Rathauses, die am Jahrestag des Munitionsunglücks ihrer

Bestimmung übergeben wird, zahlrei-che Besucher anziehen wird. In ihr wird ein Stück Attendorner Geschichte lebendig und mit ihr auch das Anden-ken an die Opfer von Krieg und Gewalt bewahrt.

Birgit C. Haberhauer-Kuschel

Informationstafel vor dem Mahnmal am Klosterplatz. Foto: BCHK

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Meine Kriegsjahre und meine Gefangenschaft

von Josef Hormes ()

Um mein Erinnerungsvermögen und meine Schreibmaschine in Bewegung zu halten, schreibe ich heute über die-se Zeit. Die damals übliche Landser-sprache habe ich auch gebraucht. Am 20. Januar 1940 wurde ich einge-zogen. Stellen mussten wir uns in Iser-lohn auf der damals gut bekannten Wilhelmshöhe. Am nächsten Tage ging's nach Oldenburg. Unsere erste Unterbringung war in einer Schule. Das Nachtlager bestand aus Stroh. Unsere Einheit wurde zu einer Bau-kompanie zusammengestellt. Nach wenigen Tagen erfolgte unsere Verlegung nach Lüneburg. Wir waren in der Nähe des Flugfeldes unterge-bracht. Wir hatten die Aufgabe den Flugplatz vom Schnee zu befreien, damit die Bomber nachts zum Angriff auf England starten konnten. Was heu-te mit Baggern gemacht würde, war damals alles Handarbeit. Die Bauern der gesamten Umgebung mussten mit Pferdewagen kommen und für den Ab-transport sorgen. Nun gab’s für uns den ersten Drill. Ein kleiner Gefreiter, der bereits als Aus-bilder tätig war, zeigte uns mit seiner Körperfülle und einem Organ wie ein röhrender Hirsch, wo es lang ging! Er hatte uns mehr auf der Schnauze lie-gen, als in einer Marschformation. In der letzteren brachte er sogar Landser zum Singen, die ihr ganzes Leben nichts damit anzufangen wussten. Die Hauptsache: Laut! Nach einer kurzen Unterbrechung in Wittenberg ging’s weiter nach Chem-nitz. Unsere Schreibstube war im o-bersten Stockwerk eines Hochhauses. Natürlich ohne Aufzug.

Unsere Versetzung erfolgte nun nach Berlin-Marienfelde und Adlershof in eine Kaserne. Hier wollte man uns den Umgang mit Scheinwerfer, Horchgerät und Maschinensatz beibringen. Das wurde ein hartes, von Schikanen be-gleitetes Jahr. Einer der Offiziere glaubte sogar, uns den Parademarsch beibringen zu müssen. Am Ende unserer Ausbildung wurde dann gefragt: “Wer wird mit der Schreibmaschine fertig?“ Jetzt war meine Stunde gekommen. Von nun an bis Kriegsende habe ich dann in der Schreibstube verbracht. Mein Glück! Ich war einfach unter den "armen Landsern" weg. Wir wurden jetzt die zweite Batterie der dritten Abteilung 130 und waren dem 84ten Flak-Regiment und der siebten Flak-Division unterstellt. Nach einer Zeit meiner Einweisung in die Schreibstube durch unseren Spieß übernahm ich die so genannte IIb-Abteilung - für Personalfragen. Auch in der Schreibstube gab’s Beförderungen. Ich habe es hier bis zum Stabsgefrei-ten gebracht. Wer diese letzte Beförde-rung hinter sich hatte, dem waren wei-tere Türen verschlossen. Leider hat man mich aber 6 Wochen vor Kriegs-ende zum Unteroffizier befördert. Das wurde mir, wie ich später noch erwäh-ne, in der Gefangenschaft zum Ver-hängnis. Mittlerweile wurde mir die Aufgabe des Ia-Schreibers zugewiesen. Hoch lebe der Papierkrieg, selbst noch im Kriege! Ob nun ein Unteroffizier, ein Wacht-meister oder wer auch immer zur Schreibstube kam, hatte er es mit mir zu tun und nicht umgekehrt.

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Ein anderes Beispiel möchte ich noch anführen (auf keinen Fall um aufzu-schneiden). Wenn unser Batterie-Chef nicht anwesend war und etwa der Reg.-Kommandeur erschien, musste der gerade in der Schreibstube anwe-sende Leutnant aus einer Stellung ru-fen: "Achtung!“ Die Meldung an den Kommandeur erfolgte allerdings von mir: „Schreibstube der 2ten Batterie, ohne besondere Vorkommnisse, Schreiber vom Dienst Gefr. Hormes.“ Ich hatte also in der Schreibstube schon eine Macht, auch als kleiner O-Gefreiter. Von Chemnitz aus ging’s dann für etwa 1 Jahr nach Leipzig. Feindliche Flug-zeuge haben wir nie gesehen. Am 21. Mai 1941 wurden wir dann nach Köln verlegt und im Schloss Falkenlust (in der Nähe des Brühler Schlosses) un-tergebracht. Das Schloss selber war schon ziemlich verkommen. Auf dem Schloss war unser Befehlsstand bei einem Angriff feindlicher Flugzeuge. Hier wurden wir dann gleich in der ers-ten Nacht mit dem Kriege vertraut ge-macht. Wir bangten um unser Leben. Aber, diese Aufregung legte sich bald. Gewöhnung ist scheinbar auch im Här-tefall möglich. Von hier aus wurden wir immer wieder im Raume Köln verlegt: Rodenkirchen, Dünnwald, Leverkusen, Schildgen, Selsheide, Berzdorf, Scheiderhöhe im Aggertal. Unsere Batterie bestand zu etwa 55% aus Berlinern, 40% aus Österreichern und 5% Westfalen. An flotter Unterhal-tung zwischen Berlinern und Österrei-chern hat es nie gefehlt. Wir hatten oft viel zu lachen! Wenn nun einer von den Österreichisch/Ungarischen den Mund auftat, um einen Satz zu formu-lieren, so hatte der Berliner mit seiner großen Klappe fast ein Buch geschrie-ben.

Die Vorgesetzten aus Österreich hat-ten aber auch oft eine drollige Rede-wendung, z.B. „der, wo da rückwärts steht, raustreten“ usw. mehr. Ein Grin-sen war dann nicht immer zu vermei-den. Für die Berliner war dieses das gefundene „Fressen“. Mit meinen Batterie-Chefs und dem jeweiligen Spieß kam ich immer sehr gut aus. Aber die armen Landser (auch kleinere Vorgesetze) mussten man-chen Anschiss schlucken. Einer meiner Chefs hatte ein besonderes Hobby. Bei den Kontrollen in unseren Stellungen, Neun an der Zahl, fasste er bald jedes Mal einen auf Posten stehenden Land-ser bei einem Wachvergehen und sei’s, dass er sich nur an einer Bara-cke kurz anlehnte. Auf der Schreibstu-be zurück: „Ich habe wieder einen für Klingelpütz erwischt.“ Klingelpütz war der Knast für Landser (mitten in Köln, besonders einladend für Fliegerangrif-fe). Nun musste der bei so genannten Wachvergehen Geschnappte am an-deren Morgen in voller Uniform mit Stahlhelm in der Schreibstube erschei-nen. Unser Chef rief: "Achtung!“ - auch wir mussten Haltung einnehmen – „Den Gefreiten oder je nach Dienst-grad Betroffenen... bestrafe ich mit drei Tagen Arrest oder auch mit geschärf-tem Arrest.“ Je nach der Schwere des Vergehens. Als Schluss der Szene: „Rührt euch!“ Wie ein begossener Pu-del ging dann der Landser - natürlich zu Fuß - in seine Stellung zurück. Meine Aufgabe war es nun, in Klingel-pütz einen freien Platz für den Verur-teilten zu finden. Nach der telefoni-schen Festlegung eines Termins wur-de das "Opfer“ mit einem Motorrad dorthin gebracht und wurde auch prompt auf demselben Wege wieder abgeholt. Wenn man sich diese Dinge und viele andere Unmöglichkeiten durch den Kopf gehen lässt, dann versteht man

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die Welt von damals nicht mehr. Diese Menschen sollten nun auch noch hel-fen, dass wir den Krieg gewinnen. Aber "Führer befiehl, wir folgen dir!“ Und das haben oft genug noch die kleinsten Vorgesetzten „wörtlich“ genommen. Hier eine Zwischenbemerkung: Immer wieder mussten wir unserer vorgesetz-ten Dienststelle alle Soldaten melden, die 1908 und später geboren waren. Sie gingen alle nach Russland. Mein Chef hat mich bei dieser Meldung stets unterschlagen. Sitze hier wahrschein-lich daher noch an meiner Schreibma-schine! Nun zur Bombardierung von Köln. Ich habe die totale Zerstörung der Stadt hautnah miterlebt. Unsere "Feinde" waren immer pünktlich. Nach Einbruch der Dunkelheit wurde die Stadt zu-nächst einmal mit den so genannten „Christbäumen“ erhellt, damit die Bom-ber ihre Ziele ausmachen konnten. Aber ganz kurz darauf kamen die Flug-zeuge mit ihren kleinen und großen Bomben oder auch mit einer genügen-den Anzahl von Brandbomben und machten „reinen Tisch". Mit etwas Schlaf sah es da nicht gerade rosig aus. Ich erinnere mich: Bei einem Angriff (das war in Rodenkirchen) blieb ich einfach im Bett liegen. Mein Spieß kam und sagte: "Bist Du wahnsinnig?“ Ich gab zur Antwort: "Mir ist alles sch...egal.“ Zu diesem Thema noch eine Erinnerung: Sobald es hieß „Bom-ber im Anflug auf Köln“ wurde mein Feldfernspecher L 33 für die Stellun-gen abgeschaltet. Sonst stand das Ding den ganzen Tag bei mir in greif-barer Nähe. Da habe ich mich dann an die Schreibmaschine gesetzt und ei-nen Brief nach Hause geschrieben. U.a. wörtlich: „Wir haben gerade Flie-geralarm, darum habe ich die beste Zeit und Ruhe zum Schreiben!“ Dieser Brief liegt noch in meinen Akten. Also,

man war doch inzwischen ziemlich ab-gehärtet. Der größte Angriff auf Köln, den ich erlebte, war in der Nacht vom 30. zum 31. Mai 1942. Hier wurde die Stadt mit tausend Flugzeugen angegriffen. Den Erfolg kann man sich wohl denken. So ging’s dann laufend weiter. Die letz-ten Monate vor Kriegsende ließen uns die Amerikaner und Engländer wirklich keine Ruhe mehr. Angriffe fast die gan-ze Nacht und morgens um 9 Uhr legte die "Bande" wieder los. Dann den gan-zen Tag die Tieffliegerangriffe. Beim Anflug gab’s von vorne "Feuer" und beim Abflug auch noch vom Heck. An einer Böschung fanden wir dann we-nigstens etwas Schutz. Man kannte ja die Taktik! Beim Fliegeralarm haben mir am meis-ten die Mütter mit ihren Kindern (soweit diese nicht evakuiert waren) leid getan, die fast jede Nacht im Luftschutzbun-ker oder Keller verbringen mussten. Zuletzt nur noch bei Kerzenschein. Und dann in der Weihnachtsnacht: Stil-le Nacht...! Und der Mann, auch Papa, in der Weite Russlands! Ein Kind hatte mal bei einem Alarm zu seiner Mutter gesagt: „Lass uns doch im Bett blei-ben.“ Waren selbst die Kinder schon so abgehärtet? Diese Menschen sind auch heute noch m. E. die größten Leidtragenden des Krieges gewesen. Wenn ein Denkmal, dann diesen Ärms-ten! Übrigens die Kölner waren damals schon so weit, dass sie bereits vor dem ersten Alarm in die Bunker und Keller liefen, um einen geeigneten Platz zu finden. In Selsheide untergebracht, hatte der Krieg wohl bald seinen Höhepunkt er-reicht. Jeder musste sich ein so ge-nanntes "Einmannloch" buddeln, worin man gerade in Hockstellung Platz hat-te. Als Abschluss zog man sich einen

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Deckel aus Holz über den Kopf. Man wollte also versuchen, diese Leute nach einem Bombenangriff noch le-bend aus der Erde heraus holen zu können. Einmal habe ich doch gezit-tert. Da waren die Angriffe um uns herum so stark, dass wir einfach mit einem Volltreffer rechneten. Ich kann mich noch erinnern, dass ich mit mei-nem Fingernagel ein kleines Kreuz in die Wand geritzt habe. Nun noch zu den Flak-Helferinnen. Etwa Anfang 1944 wurden alle meine Kameraden nach Russland verlegt. Das Stammpersonal – also der Tross - wozu ich auch gehörte, verblieb noch mit ca. 20 Männern. Ich war der jüngs-te. Dank der Unterschlagung meines Batt.-Chefs bei der namentlichen Mel-dung all derer, die 1908 und später geboren waren. Ich kam mir vor (wie man heute sagen würde) wie ein "schwarz" gehaltener Landser. Hier mal meine Meinung: Ob das Gebet meiner Mutter geholfen hat? Jeder möge hierüber denken wie er will. Ich habe den Krieg jedenfalls lebend über-standen! Nun wurden uns 240 Flak-Helferinnen zugeteilt. Diese mussten denselben harten Dienst - am Scheinwerfer, Horchgerät und Maschinensatz - ver-richten wie die Männer. Dass da den Deutschen nicht endlich der Kragen geplatzt ist, verstehe ich heute nicht mehr. Aber selbst diese Maiden (wie man sie auch nannte) hatten bei uns in der Schreibstube ihre Vorgesetzte. Mir fällt sogar der Name noch ein: Frl. Baum. Wir hätten sie wegen der Schi-kane ihren Maiden gegenüber am liebsten auf den Mond geschossen. Sie glaubte da immer noch fest an den Endsieg. In jeder Batterie gab’s einen Sicher-heitsoffizier. Beim geringsten Wider-stand hätte er uns dahin gebracht, wo keiner hin wollte. Hier denke ich auch

an den Nachkriegsvorwurf der jünge-ren Generation: Warum habt Ihr Euch nicht gewehrt? Nun ging’s langsam aber sicher - und laut - dem Kriegsende entgegen. Hier möchte ich noch etwas aufs Papier bringen. In unserer Batterie beim Tross hatten wir einen Gefreiten (von Hause aus Sauerkrautfabrikant in Neuss), der sich mit unserem Chef einfach „duzte". Es hatte wohl etwas mit Beziehungen zu tun. Unser Hauptmann hatte seiner Frau inzwischen ein kleines Haus in Niederdollendorf gebaut mit großer Unterstützung dieses Gefreiten. Dieser kleine Gefreite bestimmte nun in den letzten Monaten des Krieges, wann das Abhören des bekannten engli-schen Senders zu erfolgen hatte. Nicht unser Boss! Das Abhören des Senders war unter Todesstrafe verboten! Kurz vor der Selbstauflösung unserer Batte-rie haben wir dann noch sämtliche Ak-ten verbrannt. Hat man es damals mit der Literatur der Juden auch so ge-macht?! Um den 15. April 1945 erfolgte dann endgültig die Selbstauflösung unserer Einheit. Einige Tage haben wir uns noch bei Privatleuten eine Bleibe ge-sucht, wo wir annahmen, man könnte sich noch in die Heimat durchschlagen. Der Marsch in die Gefangenschaft: Etwa um den 20. April landete ich mit meinen Kameraden auf der Höhe des Aggertals. Ich hatte die Absicht, zwei kleine Dörfer weiter zu gehen, um hier bei einer mir im vorigen Einsatz be-kannten Familie Zivilkleidung zu be-sorgen. Später hat man allerdings er-fahren, dass die Amerikaner auch alle Männer in Zivil gefangen nahmen, das kam durch den Einsatz des Volks-sturms. In dem vorletzten Dorf meines Zieles stand ich nun mit einigen Män-nern auf einem Platz, wo man erklärte, der Amerikaner stehe noch etwa 500 Meter von hier entfernt. Ich fragte

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dann: "Kann ich mit in ein Haus ge-hen?“ „Nein“, war die Antwort! „Wir nehmen keinen Soldaten mit.“ So stand ich dann allein vor verschlosse-nen Haustüren. Konnte man vielleicht den Glauben an die Menschheit verlie-ren? Ich ging nun, mir blieb nichts an-deres übrig, den Amis entgegen. Ich wurde also allein von einer ganzen Kompanie gefangen genommen. Ich musste nun mit der Kompanie in unser vorletztes Dorf gehen, wo auch die übrigen Kameraden kassiert wurden. Wir wurden gefilzt. Uhren, sogar die letzten Rasierklingen flogen auf einen Haufen. Nun erfolgte eine Einzelvernehmung. Die erste Nacht verbrachten wir auf einem Dachboden (Lehmboden). Die nächste Nacht fanden wir uns in einem Pferdestall (zum Glück noch mit fri-schem Stroh ausgelegt) wieder. Am anderen Morgen waren die Amis kurz großzügig. Sie schenkten uns von ih-rem Frühstück Hefeplätzchen. Da-neben stand ein Sack mit Zucker, den wir mit bloßen Händen überfielen. Schluss jetzt!!! Wir mussten uns nun an eine alte Scheune an die Wand stellen. Mit MG in der Hand gab man uns Anweisung: mehr nach rechts oder nach links! Nun kam uns der Gedanke: Müssen wir doch noch für Führer, Volk und Vater-land sterben? Das Herz hing uns in der Hose. Plötzlich tauchte noch ein ein-zelner Flieger auf und warf ganz in der Nähe eine Bombe. Die Amis waren die ersten, die im Keller verschwanden, wir natürlich hinterher. Unser Glück? Weiter ging’s nach Honnef. Hier stan-den etliche große offene Laster, auf denen wir verladen wurden. Wenn’s hochkam, 60 Landser. Es wurden aber 100. Keine Zeitung hätte mehr Platz zwischen uns gehabt. In den Kurven drehte der Fahrer dann richtig auf. Ei-nige Laster sind dabei umgestürzt. Die

Folgen? Wir nannten diese Fahrten: Propagandafahrt mit dem Rest der deutschen Wehrmacht. Nach 1 Stunde Fahrt kamen wir dann in dem großen Lager an. Nach dem Absteigen kannte einer den anderen nicht wieder! Schwarz war gar kein Ausdruck. In der Nähe sah ich einen unserer früheren Offiziere. Oh Gott! Und ausgerechnet er hielt es in Punkto Sauberkeit immer so genau. In dem Lager waren wir mit 100 000 Landsern zusammengepfercht. Liegen konnten wir die ersten Nächte nicht, entweder aneinander sitzen oder ste-hen, denn man brachte ja laufend mit überfüllten Lastern weitere „Kriegsop-fer" in das Lager. Bald wurde das La-ger vergrößert. Meine Kameraden hat-te ich inzwischen verloren. Jetzt kam die erste Nacht auf freiem Feld. Voll-kommen unter fremden Landsern. Auf einer kleinen Anhöhe hatte ich einen Blick über die große "Versammlung". Unsere Hungerlager waren Sinzig, An-dernach und Rheinberg.

Gefangenenlager. Bleistift-Zeichnung von

Clemens Ortmann Von nun an gab’s nur ein Thema: "Fressen“! Durchweg bekamen wir in der ersten Zeit am Tage nur eine Scheibe Semmel. Die Gefangenen hatten kleine Gruppen gebildet, damit die Ausgabe bei den Massen wenigs-tens in etwa klappte. Zum Glück war das Wetter in dem Frühjahr gnädig mit uns. In der Sonne rösteten wir die

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Scheibe Semmel, damit man etwas länger zum Kauen hatte. Die Amis wurden jetzt nach und nach in die Heimat transportiert. Hier saus-ten die Flugzeuge im Tiefflug über un-sere Köpfe hinweg, die wir einzogen. Scheinbar wollte man das „Schauspiel“ wenigstens gesehen haben! Noch zu dem zweiten Abschnitt oben: Und nachts auf die Löcher der Latri-nen? Eine Katastrophe war bei Weitem untertrieben! Mann an Mann - und da durchzukommen? Nur ein Brüllen und Toben: „Du stehst auf meinen Beinen oder auf dem empfindlichsten Teil des Körpers.“ Um dann endlich zu den Sch... häusern zu kommen, gingen wir einfach dem Geruch nach. Morgens, wenn die Laster mit den Semmeln kamen, konnten wir schon feststellen, ob es eine oder anderthal-be Semmelscheibe gab. Ich traf nun folgende Attendorner: Alf-red Schulte, Günter Keseberg, Karl Hoffmann (Purra) und Erwin Klewes. Jeder besaß noch ein Stück von einer Zeltplane. Diese knöpften wir zusam-men, buddelten uns ein Loch in die Erde und hatten somit wenigstens ein Dach über dem Kopf. Aber ... die breite Masse stand im Regen! Wenn wir nun nachts versuchten zu schlafen, so ging das nur so, dass wir fünf auf einer Sei-te lagen, nahe aneinander. Nach etwa einer Stunde hieß es dann: "Rumle-gen!“ Nun lieg mal mit wenig Fleisch auf hartem Boden! Als Latrine hatte man einen Graben von 2 m Tiefe und etwa 10 m Länge geschaufelt, ohne Donnerbalken natür-lich. Leider ist da einer herein gefallen und ertrunken! Bald tauchte auch noch Clemens Ort-mann auf, der mich zweimal beim Schlaf skizziert hat (wir schliefen auch am Tage vor Schwäche). Diese Skiz-

zen habe ich heute noch im Besitz. Das war mein Erinnerungsstück von den Rheinwiesen.

Josef Hormes. Bleistift-Zeichnung von Cle-mens Ortmann am 1. Juli 1945 Zwischendurch führte man einen Teil von uns an einen anderen Lagerplatz. Dabei kamen wir an einer Runkelrü-ben-Miete vorbei. Alle krabbelten mit bloßen Händen danach und probierten auch. Günter Keseberg: "Finger davon, das macht der Magen und auch der Darm nicht mit!" Er hatte recht. Ein Teil der Landser kamen von der Latrine nicht mehr weg. Von Zeit zu Zeit stan-den wir vor den noch vorhandenen Gras-Resten. "Solln wir, oder solln wer nicht?" Günter: "Lieber verhungern!“ Übrigens, er war es, der uns immer wieder Mut und Hoffnung zusprach.

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Nach etwa 6 Wochen bekamen wir dann täglich noch ein kleines Döschen Corned Beef dazu. Die leeren Dosen sammelte man zum Wasserempfang. Verschiedene besaßen auch noch ein Kochgeschirr. Es waren ganz warme Tage und ausgerechnet da gab es drei Tage keinen Tropfen Wasser. Man war bald der Verzweiflung nahe. Einige kamen auf die Idee, eine Art Demonst-ration zu veranstalten. Wenn man dann drei oder fünfhundert Mann in Reih und Glied hatte, löste sich dieser "Festzug" wieder auf. Als es dann end-lich wieder Wasser gab, hatte man ei-nem meiner Kameraden das Kochge-schirr geklaut. Das waren zwar kleine Dinge, aber für diese Zeit weltbewe-gend. Wie sah es nun mit dem Wäsche wechseln aus? Oh je! Läuse wurden unsere nächsten Nachbarn. Verschie-dentlich wurden diese Viecher auch geknackt. Endlich kam man mit den Pulverkanonen, dann gab’s kein Zwi-cken mehr. Einer der Wachsoldaten sagte mir mal am Rande des Lagers: “Hier müssen erst noch 50.000 Soldaten verre.. .“ Auf 7 000 hat man es dann gebracht. Inzwischen wurden dann einige Ziga-retten ins Lager hineingeschmuggelt. Jetzt ging’s ans Tauschen! Man hat für zwei Zigaretten seinen Ehering ge-tauscht! Es kam vor, dass Frauen, die ihren Mann oder Sohn bei uns vermuteten, zu Hause ein kleines Päckchen mit Adresse fertig machten. Sie versuch-ten nun das kleine Päckchen über die Umzäunung zu werfen, was in den sel-tensten Fällen gelang. Kam ein Päck-chen dann doch an, so fielen 300 hungrige Landser darüber her. Und was blieb übrig: Gar nichts! Am 8. Mai 1945 morgens kam dann

über Lautsprecher die Durchsage: "Die deutsche Wehrmacht hat kapituliert, der Krieg ist zu Ende!“ Kein Jubeln! Große Stille im ganzen Lager. Jeder hatte seine eigenen Gedanken! Die meisten wohl: Eine sinnlos verbrachte Zeit ist nun vorbei. Keine Bomber mehr am Himmel. Endlich Frieden!

Lagerleben. 25. Mai 1945. Bleistift-Zeichnung von Clemens Ortmann Nach Wochen hatte es einer der Geist-lichen (auch diese gab es hier) möglich gemacht, Hostien und Wein und Pa-ramente zu besorgen. Er feierte nun mit uns die Hl. Messe. Er hatte wohl genug Hostien konsekriert, so dass vielleicht 10 übrig blieben. Diese muss-ten dann von dem Celebranten zusätz-lich genossen werden. Da tat einer nach der Messe den Ausspruch: "Er hat sie alle gefressen!" Das war nichts anderes als ein Wort der Verzweiflung, denn uns interessierte ja nur das eine Wort: „Fressen"! Mit der Zeit traten mal unter den Ge-fangenen Männer auf, die ob ihres Be-rufes versuchten, uns etwas Freude zu machen. Es gab viel zu lachen. Aber die meisten mussten weggehen, weil uns das Lachen in den erschlafften Kinnladen Schmerzen bereitete. So sah also die Wirklichkeit aus. Mehrere Landser hatten in der Küche (nur für die Amis) etwas Zucker ge-klaut. Was machte man mit denen? Sie mussten so lange Zucker essen, bis

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das es ihnen bald aus den Ohren he-rauskam. Einer sagte später: "Hungern ist nichts dagegen.“ Andere "Übeltäter" sperrte man in einen kleinen Käfig - 2 x 2 m und nicht hoch genug. Er konnte nur in gebückter Haltung stehen oder sitzen. Am 10. Juni hieß es dann: "Alle Män-ner (außer ab Unteroffizier aufwärts) werden morgen entlassen.“ Das hatte ich von meiner Beförderung kurz vor Kriegsende! Somit musste ich mit mei-nen Attendorner Kameraden noch 4 Wochen aushalten. Am 10. Juli erfolgte dann auch unsere Entlassung. Auf der Bahnstrecke Finnentrop - At-tendorn sagte man zu Günter Kese-berg: "Euer Haus musste für die Amis geräumt werden, Deine Eltern wohnen

in der Nachbarschaft!" Er sprach kein Wort mehr! Und was hatte uns Günter immer wieder ermuntert. Jetzt diese traurige Nachricht. Auch das will nicht jeder verstehen, wenn ich heute noch sage: Die Ameri-kaner haben uns vom Nationalsozia-lismus befreit und vor den Kommunis-ten bewahrt! Wenn mir nach dem Krie-ge einmal einer von seinen Erlebnis-sen in Russland berichtete, dann wur-de ich klein wie ein Heftzweck. Und trotzdem habe ich auch "etwas" er- und überlebt. Josef Hormes Dezember 2003 Bei der Beurteilung dieser Zeilen seid mir ob meines Alters (87) mit der Grammatik, dem Stil u. den Tippfehlern etwas gnädig.

Elend in den Gefangenenlagern am Rhein von Georg Ortmann

Nach dem Zerfall des Widerstandes auch im Raum Mittelelbe löste sich die Luftsperrgruppe 202 auf. Clemens Ortmann erwischte ein altes Fahrrad und fuhr auf verschlungenen Wegen Richtung Attendorn. Zwischen Schmallenberg und Winter-berg wurde er beim Überqueren eines Waldweges von den Amerikanern ge-stellt und ins Durchgangslager Sinzig gebracht. Nach einigen Tagen ging es weiter ins Gefangenenlager Rheinberg. Hier wurden bis zu 100.000 Gefangene unter freiem Himmel festgehalten. In dieser Menge von mittlerweile stark abgemagerten Gefangenen einen Be-kannten zu erkennen, war fast nicht möglich. Ein Notizblock DIN A 6 und ein kleiner Bleistiftrest dienten zum Entwurf einer Katze. Sie wurde mit Nadel und Faden auf die Feldmütze gestickt.

Bleistift-Entwurf einer Katze als Erkennungs-zeichen für Attendorner im Gefangenenlager Rheinberg. Zeichnung: Clemens Ortmann Der Erfolg stellte sich bald ein. Eine Gruppe Attendorner hatte sich in kur-zer Zeit gefunden. Mit einer Nagel-schere schnitten sie aus dünnem Blech nach und nach kleine Blechkatzen und befestigten sie an ihren Mützen oder

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Jacken. Nach einiger Zeit war die Gruppe auf neun Mann angewachsen. Es fanden sich: Alfred Schulte, Schneidermeister Josef Hormes, Kirchenküster Otto Bicher, Eltwerk (Stadtwerke) Josef Heuel, Post Toni Reuber, Stadtverwaltung Clemens Ortmann, Malermeister Günter Keseberg, Apotheker Karl Hoffmann (Purra) Erwin Klewes, Apotheker

Otto Bicher. Bleistift-Zeichnung von

Clemens Ortmann Auch andere Attendorner wurden an-getroffen, sie hatten sich anderen Gruppen oder Kameraden ange-schlossen. Bekannt sind: Heinrich Albus, Schneidermeister Heinrich Kolter, Kaufmann Hugo Kost, Spediteur Johannes Schmidt, selbständiger Schreiner Albert Stumpf Einen Teil des Geschehens skizzierte Clemens Ortmann in seinem Block, den er aus der Gefangenschaft arg zerzaust in die Heimat gerettet hat.

Deckblatt des kleinen Notizblocks, den Cle-mens Ortmann, mit Skizzen gefüllt,

zurück in die Heimat brachte Noch Jahre später hat man sich bei Neuss Ede im „Löwen“ oder im „Rau-ch“ am „Kläppchen“ getroffen. Das letzte Treffen fand im August 1970 statt. Thema dieser Treffen war immer wieder der Hunger und die zurückge-bliebenen Krankheiten, aber auch das Glück, in westlicher und nicht in östli-cher Gefangenschaft gelandet zu sein.

Josef Hormes. Bleistift-Zeichnung

von Clemens Ortmann Nachweise: Josef Hormes – Meine Kriegsjahre und meine Gefangenschaft (Dez. 2008) Clemens Ortmann – Notiz- u. Zeichenblock, DIN A 6 (1943 – Ende 1945)

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Glocke und Glockenturm der Waldenburger Kapelle von Michael Jolk

Über die Waldenburger Kapelle ist schon einiges geschrieben worden, über den kleinen Glockenturm mit Glo-cke jedoch noch nicht. Das Dach der Kapelle war nicht immer so, wie es sich uns heute zeigt. Bis zum Jahr 1848 befand sich kein Glo-ckenturm auf dem Dach. Eine erst jetzt verzeichnete Akte im Archiv des Frei-herrn v. Fürstenberg zu Schloss Herdringen gibt uns Auskunft.1 Am 14. Januar 1840, also vor genau 170 Jahren, sandte der Rentmeister Clemens Graf v. Schmiesing-Kerssenbrock2 auf der Burg Schnel-lenberg einen Brief an das Paderbor-ner Generalvikariat mit folgendem In-halt: „An Ew. hochwürdiges General-Vikariat zu Paderborn. Die Kapelle zu Waldenburg entbehrt eine Glocke und wäre es sehr zu wünschen, daß eine solche beschafft und dort aufgehängt werde. Ich bin gesonnen, deren An-schaffung zu besorgen, und bitte Ew. hochwürdiges General Vikariat daher ergebenst, die Erlaubniß zum Aufhän-

1 AFH 18598 2 Graf Schmiesing-Kerssenbrock war mit der Tochter Carolina des Erbdrosten Friedrich Leopold Freiherr von Fürsten-berg vermählt. Bei Abfassung des Ehe-vertrages wurde ihm die Nutzung des Hauses Schnellenberg als Pachtgut und die Verwaltung der Rentei Schnellenberg übergeben. Allerdings kam es nicht zu einer Ratifizierung der Eheverträge, da Friedrich Leopold Freiherr von Fürsten-berg am 25.10.1835 starb, ohne die Ver-träge unterschrieben zu haben. Trotz-dem verwaltete Graf Schmiesing-Kerssenbrock die Rentei Schnellenberg definitiv in der Zeit vom 1.9.1832 bis 15.6.1843.

gen und Gebrauche der Glocke zu ertheilen.“ Das Generalvikariat hat den Gebrauch der Glocke bei Gottesdiensten mit Brief vom 29. Januar 1840 erlaubt, so dass der Rentmeister Graf v. Schmiesing-Kerssenbrock den Chef der Herdringer Zentralverwaltung, Premierleutnant Risse, um Genehmigung zur Anschaf-fung einer Glocke bat. Ihm lag ein An-gebot von August Hönig aus Köln vor, der pro Pfund Gewicht 18 Silbergro-schen haben wollte. Die Kosten für eine 30 bis 40 Pfund schwere Glocke wollte der Rentmeister dem Kapellen-fonds entnehmen. Aus Herdringen kam dann die Frage, ob nicht eine Glocke auf Burg Schnel-lenberg oder dem Hospital übrig sei. Die Antwort war, dass die Glocke im Schnellenberger Hospital nicht ent-behrt werden könnte und sonst keine Glocke da wäre. Risse rügte Graf v. Schmiesing-Kerssenbrock, weil dieser ohne Autori-sation und Nachfrage einfach von sich aus um Genehmigung beim Generalvi-kariat nachgesucht hatte. Das hätte von Herdringen aus erledigt werden müssen, es hieß „Die Angelegenheit solcher Art unmittelbar einzuschreiten und aufzutreten, gehört um so weniger zu dem Wirkungskreise der Rentei…“. Des Weiteren sollte Risse erklärt wer-den, warum die Schnellenberger Glo-cke nicht entbehrt werden könne? Das konnte schnell mit den dort abgehalte-nen Gottesdiensten erklärt werden. Im Juli 1840 hat Risse die Glocke im-mer noch nicht genehmigt, weil es „dringendere Bedürfnisse gibt“.

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Somit war das Thema erst einmal erle-digt. Wahrscheinlich war der forsche und selbstherrliche Auftritt des Grafen – ohne Absprache – Risse ein Dorn im Auge und er gab dem Antrag deshalb keine Chance. Sieben Jahre später hieß der Rent-meister-Nachfolger des Grafen Martin Schneidersmann, dieser erhielt am 9. Dezember 1847 durch Risse die Ge-nehmigung, die Glocke3 vom Schnel-lenberger Hospital zur Waldenburger Kapelle zu bringen und wollte den Wert der Glocke wissen. Gleichzeitig fragte „der katholische Missionair Herr Ma-chez zu Plettenberg“ an, ob die Glocke der Kirche zu Plettenberg geschenkt oder geliehen werden könnte? Die An-frage kam nun aber zu spät, da sie für die Waldenburger Kapelle vorgesehen war.4 Wieder ein halbes Jahr später schreibt Rentmeister Schneidersmann, dass die Glocke immer noch im Hospital hängt, da auf dem Dach der Walden-burger Kapelle erst ein Glockentürm-chen gebaut werden müsse. Die Dachbauarbeiten haben Schreiner Hufnagel aus Dünschede und Schrei-ner Werthmann aus Heggen im Okto-ber 1848 erledigt. 3 In AFH 4051 wird zum Jahre 1747 folgendes erwähnt: Bei Meister Bartholomäus Gunter zu Köln werden 2 Glocken gegossen; von altem, zerbrochenen Kupfer werden 259 Pfund ge-nommen, der Glockengießer gibt 17 1/2 Pfund dazu, außerdem werden 22 Pfund Blockzinn benötigt; der Gießlohn beträgt 20 Rtl. 44 Schil-linge 3 Pfennige. Von der übrig bleibenden Glockenspeise ist ein Mörser gegossen wor-den. Ob eine von diesen Glocken nun in der Waldenburger Kapelle hängt, konnte noch nicht geklärt werden, dies sollte ein neues Forschungsgebiet sein, dessen sich jemand annehmen müsste. 4 AFH 15931

Ausschnitt aus einem Gemälde von A. Hunold, vor 1966. Schloss Herdringen

Gemäldesammlung

Glockengießer Isphording aus Atten-dorn taxierte die Glocke auf 36 Taler und 24 Silbergroschen. Sehr lange war das neu erbaute Türm-chen nicht auf dem Dach. 1853 bekam die Kapelle ein gänzlich neues Dach, da das alte durch und durch verfault war, so dass es an mehreren Stellen durchregnete. Die Schieferdeckerar-beiten führte Wolff zu Neheim aus.5 Innerhalb von fünf Jahren, von 1848 – 1853, hatte sich das Aussehen des Daches der Kapelle geändert und eine Glocke mit Glockenturm wurde instal-liert. So sieht es auch heute noch aus. Die letzten größeren Dachbauarbeiten fanden im Zuge der Umsetzung der gesamten Kapelle im Jahre 1966 statt, die Dachform wurde jedoch beibehal-ten. 5 AFH 15931

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Die Heiligentracht in Attendorn von Reinhard König

Aus einer Haushaltsauflösung übergab man mir den folgenden Bericht über die Heiligentracht in Attendorn aus dem Jahr 1932. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, diesen in unserem Jahresheft zu veröffentlichen. Diese Niederschrift war in keinem gu-ten Zustand, so dass ich einiges nach-recherchieren musste. Da zu diesem Text kein Bildmaterial vorhanden war, habe ich verschiedene Familien in At-tendorn und Ennest dazu befragt. Da-bei ist es mir gelungen, einige Bilder zu dieser Prozession aus früheren Jahren zu bekommen. In der Chronik der Stadt Attendorn von Josef Brunabend fand ich hierzu fol-genden Text: „Die „Heiligentracht“ findet am Sonntag vor „Christi Himmelfahrt“ statt. Auf Für-bitten der Heiligen soll die Saat vor Unwetter und Hagel geschützt werden, um eine gute Ernte zu erhalten. Früher wurden die Figuren der Heiligen bei der Prozession mitgeführt; heute sind es das Allerheiligste und mehrere Kir-chenfahnen. Während ehemals der Prozessionsweg durch die gesamte Flur der Kirchengemeinde ging, ist er heute wesentlich verkürzt. Er führt von der Kirche zum Wassertor, Südwall, Kölner Straße bis zum Ewiger Hohl. Dort wird der erste Segen erteilt, der zweite am „Hambeul“. In Ennest ist Hochamt. Nach dem dritten Segen am „Heiderbaum“ geht es über den Graf-weg, Ostwall, Wasserstraße zurück in die Kirche, wo der letzte Segen ge-schehen wird.“ 6 6 Brunabend/Pickert/Boos:

Nachstehend der mir übergebene Text: Die Heiligentracht in Attendorn 1932 Von einem alten Attendorner Wohl an keinem Abend des Jahres zieht es den in der Ferne weilenden heimattreuen Attendorner mit Gewalt nach seiner Vaterstadt, wie am Oster-abend. Die einzigartigen Osterfeuer, die Jahr für Jahr mehr Fremde anzie-hen und durch Verfilmung jetzt auch weiteren Kreisen bekannt geworden sind, suchen wohl ihres gleichen. Vor den vier Toren der Stadt lodern auf den Bergen die Osterfeuer mit dem flammenden Kreuz in der Mitte. Hun-derte von Knabenhand geschwenkte Fackeln aus Birkenstamm erhellen die dunkle Nacht, während unten im Tal von dem höchsten Kirchturme des Sauerlandes in schwindelnder Höhe das Kreuz im Glanz elektrischer Birnen erstrahlt. Unter dem jubelnden Klang der Glocken, vor allem der durch den Krieg verschont gebliebenen Sankt Johannes Glocke ziehen von den vier Toren die Prozessionen mit den nur einmal im Jahr benutzten, mannsho-hen Osterlaternen zur Pfarrkirche mit dem Gesang des Liedes: „Das Grab ist leer der Held erwacht!“ Die Straßen sind festlich beleuchtet; auch der kleinste Mann läßt es sich trotz der bitteren Not der Zeit nicht nehmen, jedes Fenster nach der Straße vom Dachgiebel bis zur Erde mit Kerzen zu besetzen. In der Pfarrkirche lauscht die Gemeinde „gefeilt in drangvoll fürchter-licher Enge“ der Predigt ihres Dechan-

„Attendorn, Schnellenberg, Waldenburg und Ewig“, Aschendorff Verlag, Münster, 1958, S. 215)

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ten und singt danach begeistert die Lauretanische Litanei. Nach der Feier erfreut der M. G. V. „Cäcilia“ auf dem Marktplatz durch einige zum Tage passende, weltliche Lieder und dann zerstreut sich die Menge, um sich mit dem traditionellen Oster- Eierpfannku-chen und dem am Karsamstagmittag gesegneten Osterbrot (mit Kümmel) weiter zu stärken. Durch verständnis-volle Pflege, seitens der Pfarrer und der Ortsgeistlichkeit, bei der sich ganz besonders der hochselige Weihbischof Dr. Hillebrand, der von 1920 bis 1926 unser Pastor war, hervorgetan hat, sind die alten Sitten und Gebräuche unverändert fortgepflanzt worden zur Freude und Erhebung nicht allein der Gemeinde, sondern der ganzen Stadt. --- Nachdem es mir seit mehreren Jahren vergönnt gewesen war, diese einzig schöne Osterfeier mit zu begehen, reg-te sich von Jahr zu Jahr mehr in mir der Wunsch, nach 47 Jahren auch noch einmal die „Heiligentracht !“ mit-zugehen, die große Feldprozession am Sonntag Rogate. Bestärkt wurde ich in diesem Verlangen, als mir der + Weih-bischof Hillebrand im September ver-gangenen Jahres im Beisein des in Attendorn unvergessenen Pastor Tusch die Attendorner Heiligentracht als eine der herrlichsten Prozessionen hinstellte, die er je kennen gelernt ha-be, er nannte sie „unseres lieben Herr-gotts Frühlingsspaziergang“. Der hochwürdigste Herr und auch Herr Pastor Tusch gedachten, sich mit mir später mal mit mir zu verabreden, um die Heiligentracht zusammen zu be-gleiten. Der Weihbischof ruht nun schon Monate auf dem Kapitelfriedhof im Schatten des hohen Doms zu Pa-derborn. Mir aber ist Gott sei Dank die Verwirklichung meines langgehegten

Wunsches über Erwarten schnell mög-lich geworden. Ich habe am 1. Mai die Heiligentracht mitgehen können und will den in der Ferne weilenden Atten-dornern, die auch wohl gern mal wie-der daran teilnehmen möchten, zur Auffrischung ihrer Jugenderinnerun-gen den diesjährigen Verlauf der Pro-zession kurz schildern. Zunächst, woher kommt der Name „Heiligentracht“ für eine Prozession, die doch seit unendlichen Zeiten eine theophorische Prozession mit dem Sanktissimum ist ? Ich kann mir nicht anders erklären, als daß in alter Zeit die großen Heiligenstatuen, insbeson-dere die der Gottesmutter mitgetragen sind, wie ich dies auch schon in Ober-bayern, Tirol und im Allgäu gesehen habe. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich offenbar einiges geändert, wie das Mitnehmen der Statuen, so auch der Antritt der Prozession. Früher hat sie wegen des viel weiter ausgedehnten Prozessionsweges z.B. bis dicht an Heggen heran schon um 2 Uhr nachts begonnen, worauf noch die an der Spitze des Zuges jetzt von Messdie-nern getragenen vier ovalen großen Handlaternen mit brennenden Kerzen hindeuten, die in alter Zeit von unbe-scholtenen Jungfrauen getragen wer-den mussten.( Eine davon wurde von Brunabends Hause, unmittelbar neben der Pfarrkirche gestellt, seit mehr als 50 Jahren mein elterliches Haus.) Um 4 Uhr in der Frühe rief die Johannis-glocke zur Kirche, die ich beim betre-ten schon voll gefüllt fand. Die Bewoh-ner von Windhausen, Keseberg, En-nest usw. waren nach stundenlangen Marsch schon zur Stelle, sie mußten also kurz nach Mitternacht schon auf-gestanden sein. Nach der hl. Messe betete der Dechant, wie immer zu-nächst die Allerheiligenlitanei, stimmte

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dann das Pange lingua gloriosi an, und die Prozession verließ mit dem Glo-ckenschlag fünf den „Sauerländer Dom“. Die ganze Nacht hindurch hatte es in Strömen gegossen und der Sturm getobt, das hinderte aber die Attendor-ner nicht, zu mindestens 500 bis 600 Teilnehmern zur Stelle zu sein.

„Kommt her ihr Kreaturen all“, hallte es von den Häusern des Marktplatzes wieder, über dem im Osten über dem Schnellenberg sich im Regen ein blut-roter Himmel zeigte, eine eigenartige Naturerscheinung!

Hospitalkirche

Foto: Archiv Verein für Orts- und Heimatkunde Attendorn Am Wassertor empfing uns das altver-traute Glöcklein der Hospitalkirche, welches manchen unserer Vorfahren den allerletzten Heimweg geläutet hat. Um das altersgraue Kirchlein zwischen den Gräben unserer Voreltern und an dem hervorragenden Kreuz vorbei, zu dessen Füßen unser alter guter De-chant Pielsticker ruht, geliebt und ver-ehrt von allen, die ihn gekannt haben.

Auf seinem Grabe prangte ein frischer Strauß Osterluzei, zu seinen Füßen war mit Schlüsselblumen ein großes Herz ausgebreitet. Welch sinnige Eh-rung, welch ein Beweis liebevollen Ge-denkens an den schon vor beinahe 50 Jahren Verblichenen. Es geht nichts über die treue Anhänglichkeit echter Sauerländer!

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Osterluzei-Gewächs Um die Promenade, hinter deren Fens-tern hier und da ein verschlafenes Ge-sicht zwischen den Gardinen hervor-lugte. Durch das Kölnertor, an Hütte-manns vorbei – überall stießen noch neue Teilnehmer zu uns – ging es über die Kölner-Chaussee, die vor den Häusern mit bunten Frühlingsblumen bestreut war, zum Ohl. Mittlerweile hatten sich über den Rap-pels- und dem Dünneckenberg finstere Wolken derartig zusammen geballt, daß man das schlimmste befürchten musste. So begann der Herr Dechant Schwunk seine Predigt im Ohl auch mit Worten des Dankes für die unerwartet zahlreiche Teilnahme trotz des denk-bar ungünstigen Wetters, der beste Beweis, daß die Attendorner die from-men Sitten und Gebräuche zu ehren verständen sei diese Prozession seit vielen Jahrhunderten trotz der Zeiten Sturm und Drang nachweislich nicht ein einziges Mal ausgefallen. Von manchen der heutigen Teilnehmer sei sie Jahr für Jahr mitgemacht. Neben mir stand eine bekannte Persönlich-keit, von der ich wusste, daß sie in un-

unterbrochener Folge seit 47 Jahren, einmal sogar aus dem Felde von Brest Litowsk kommend, mitgegangen war. Der Herr Dechant mahnte in seiner Predigt, am Gebete festzuhalten „wis-se doch keiner, wann die Stunde komme“, wie verschiedene plötzliche Todesfälle in der Gemeinde aus der letzten Zeit wieder bewiesen. Wie musste ihm dabei ums Herz sein, da er erst am Tage vorher seine unerwartet heimgegangene Schwester, die lang-jährige treue Verwalterin seines Hau-ses zu Grabe getragen hatte. Auf den Bitt-Sonntag und den heute beginnen-den Maienmonat hinweisend mahnte er in sichtlich zu Herzen gehenden Worten, das Gebet zu pflegen und nicht nur in der Not zu beten. Das alte Sprichwort „Not lehrt beten“ habe ei-nen üblen Beigeschmack, wir sollten nicht nur in der Not beten sondern auch das Lob- und Dankgebet nicht vergessen, sowie das Gebet für unsere Mitmenschen und für das allgemeine Wohl von Volk und Vaterland. Nach dem Segen, während dessen die Böl-lerschüsse aus dem mindestens ¾ Stunden entfernten Ennest über meh-rere Hügel hinweg zu uns herüber-dröhnten, ging es durch die nassen Wiesen auf schmalen Steg über ein gurgelndes Bächlein an der Stesse und dem Heimberg vorbei zur Modschlade. „O mein Christ lass Gott nur walten... Wer auf ihn sich ganz ver-lässt, dessen Glück steht felsenfest“ hatten wir zuletzt gesungen. Beim Erklettern der Anhöhe in der Modschlade bekamen wir Sänger Ru-he, jetzt wurde wie alljährlich der Ro-senkranz von einem der ältesten Teil-nehmer („dem alten Sch.“) ( ? ) vorge-betet, während das silberhelle Glöck-chen von der Kuppel des nahen Ursu-linenklosters den segnend über die

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Felder dahinziehenden Heiland freudig begrüßte.

Ursulinenkloster, um 1930.

Foto: Archiv Verein für Orts - u. Heimatkunde Attendorn Auf der Höhe angelangt, führte die Waller der weitere Weg über die Wipeskuhle und den Musebieter zum Hettmecker Teich. Am Musebieter mussten wir an einem steilen hohen Hang herunter, der lehmige nasse Bo-den war so schlupfrig und glatt gewor-den, das wir für den daß Hochwürdigs-te tragenden Vikar T (Tampier) fürchte-ten, der obendrein unter Fußbe-schwerden zu leiden hat (er hat jahre-lang als Artillerieoffizier im Felde ge-standen). Es ging aber alles gut. Am Hettmecker Teich war vor der Tür ei-nes Hauses ein prächtiger Altar errich

tet, ein nicht weniger schön ge-schmückter zeigte sich uns später am Plassmannshof; vor beiden breitete sich ein kunstvoll gestreuter Teppich aus gelben Himmelsschlüsseln, wei-ßen Anemonen und blassblauen Wie-senschaumkraut aus. Alle Hochach-tung vor den frommen Verfertigern die-ser Ehrung des eucharistischen Hei-lands! Vom Hettmecker Teich gelang-ten wir, den Steger Weg überquerend , auf die Höhe des Hahnbeuls. An dem alten Wegkreuz war der Altar für den 2. Segen errichtet.

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Ehrenpforte Hahnbeul. Foto: Manfred Bock

Nach diesem verließen uns etwa 20 bis 80 Teilnehmer, die der Höhe nach Windhausen und Keseberg zustrebten. Sie wurden mittlerweile recht müde geworden sein, nachdem sie fast 6 Stunden von Hause waren. Wir setzten unseren Weg über den Bremger Pfad, Plassmannshof zum Lob fort, mit dem sich für mich so manche Jugendher-bergserinnerungen verknüpfen. Rechts neben uns sahen wir den Funkenberg, wo vor einigen Jahren die viel besuch-ten Freilichtspiele, u.a. Wilhelm Tell, aufgeführt worden sind. Der nur noch leise rieselnde Regen hatte inzwischen ganz aufgehört; zwischen durchsichti-gen Gewölk zeigte sich hier und da schon ein Fleckchen Himmelblau. Die Lerche stieg tirilierend, ihren Schöpfer lobend zum Himmel, aus den Tannen am Loh erfreute uns der Schlag der

Singdrossel. Ein herrlicher Maiensonn-tag mit allen seinen Wundern zog her-auf. Die junge grüne Saat, die wir durchschritten, die blumigen Wiesen, Baum und Strauch im bunten Früh-lingsschmuck, der erhebende Gesang der z.T. lange nicht mehr gehörten al-ten Kirchenlieder, alles war dazu ange-tan, die ohnehin freudige Stimmung zu erhöhen. Nicht unerwähnt darf ich las-sen, daß jedes der Lieder Jahr für Jahr an der selben Stelle angestimmt wird; ein schwacher Versuch am Loh, die von jeher bestehende Reihenfolge der Lieder zu durchbrechen, wurde von unsern Vorgängern M und B energisch zurückgewiesen. Als wir über den Nu-acken kamen, grüßte uns von weitem schon eine mächtige Ehrenpforte, die, wie mir erzählt wurde, von glau-benstreuen arbeitslosen Walzwerkar-

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Ehrenpforte Holzweg. Foto: Rudolf Hellner

beitern usw. vom Holzweg mit vieler Mühe in großer Pracht aufgebaut war. Die nächste Ehrenpforte dicht vor En-nest hatte der Sturm in der letzten Nacht umgeworfen. Die Glocken von Ennest entboten uns jetzt den ersten Willkommensgruß. Wir stimmten zum Dank und zum Lob der Ennester Kir-chenpatronin Margarethe das Lied „Zu Dir schick ich mein Gebet...Hl. Marga-rethe“ an, das beim Betreten des fest-lich geschmückten Dorfes durch das jedes Mal wieder von neuem packende Hohelied „Großer Gott wir loben Dich“ abgelöst wurde. Den Ennestern war der Heiligentrachtstag früher ein ganz außergewöhnlicher Freudentag, an dem der Heiland das einstigste mal im

Jahre im Dorfe Einkehr hielt. Seit län-geren Jahren hat es einen Geistlichen und eine eigene Kirche, die es wie auch Listernohl, Listerscheid, Wind-hausen und Lichtringhausen dem ver-storbenen Domkapitular Dr. Alexander Schnütgen, Ehrenbürger der Stadt Köln und des Amtes Attendorn, ver-dankt. Dieser hat nicht eher geruht, bis alle diese Dörfer, die, vor dem zum Teil stundenweite Wege nach der Atten-dorner Pfarrkirche zurückzulegen hat-ten, ihre eigenen Kirchen besaßen. In der Heimat seiner Väter zwischen sei-nen geliebten Sauerländer Bergen hat Sch. Seinem Wunsche gemäß in Listernohl seine letzte Ruhestätte ge-funden. Ein dankbares Angedenken ist ihm in der Attendorner Landgemeinde für immer gesichert.

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Pfarrkirche St. Margaretha Ennest. Foto: Archiv Verein für Orts- und Heimatkunde Attendorn

In Ennest begann sodann das Hoch-amt. Die Kirche konnte die Besucher bei weitem nicht fassen, obwohl ein sehr großer Teil der Waller, die mor-gens um 4 Uhr in Attendorn die hl. Messe schon besucht hatten, zu denen auch wir gehörten, von vornherein ausschied. Mein Attendorner Jugendfreund lud mich ein, mit ihm zu dem gastfreien Hause S. zu gehen, wo er alljährlich bei der Heiligentracht aufs freundlichs-te bewirtet werde. Mein anfängliches Sträuben nutzte mir wenig, nach kaum 10 Minuten saß ich in der Sofaecke, von Familie S. aufs freundlichste will-kommen geheißen. Man konnte mit Humor sagen, „die Tafel bog sich unter der Menge der aufgetragenen Spei-sen“. Kaffee mit Torten, Kuchen und Eierwaffeln, unübertrefflicher Sauer-

länder Schinken, Wurst mancherlei Art usw. erfrischten die Prozessionsleute und bald war das Gespräch über die gemeinsamen Erinnerungen längst verflossener Zeit in vollem Zuge. Man fühle sich schnell unter so lieben Landsleuten wie zu hause. Die Spra-che kam erklärlicher Weise auch auf die Not der Zeit. Das deutsche Bauern-tum trägt schwer an den Sorgen unse-rer Gegenwart, die Wirtschaftsnot legt ihre sengende Hand auf seine Höfe und sucht auch die seelischen Wider-standskräfte zu zermürben. Aber Gott-lob hält das helfende Gottvertrauen unserer sauerländischen Bauern stand. Wie hat doch der Kulturbeirat des Westfälischen Bauernvereins, der Kapuzinerpater Dr. Chrysostomus Schulte jüngst auf der Generalver-sammlung des Vereins in Arnsberg gesagt: „Trotz vieler Gegensätze und trotz aller Not der Zeit sei das westfäli-

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sche Bauerntum in seinem inneren Kern gesund“. Es bilde das stärkste Bollwerk gegenüber einer neuzeitli-chen, unchristlichen, liberalistischen Weltanschauung. Die mancherlei Ver-bindungen, die Ennest mit Attendorn von jeher verknüpfen, haben es zu Wege gebracht, das jeder bei der Hei-ligentracht in Ennest ein gastliches unterkommen findet, wobei die En-nester sich selbst zu übertreffen su-chen. Auch an dieser Stelle sei ihnen nochmals für alles freundliche Entge-genkommen herzlichst gedankt. Am Tage darauf erfuhr ich erst, daß ich auch noch in zwei anderen Häusern zur Bewirtung erwartet worden war, darunter auch von unserer nun beina-he 80jährigen „Ennester Maria“, die mich vor 60 Jahren als Kind verwahrt hatte. Ich war ganz gerührt von solcher treuen Anhänglichkeit. Nach 1 ¼ stündigen erquickendem Aufenthalt begaben wir uns zum Kirch-lein, aus dem gerade die Prozession heraustrat. Das Hochwürdigste, dem jetzt eine Schar weiß gekleideter Engelchen aus Ennest voranschritt, wurde nunmehr von dem Ennester Pfarrvikar St. (Stef-fensmeier) Getragen. Beim durch-schreiten einer großen, turmartig auf-gebauten Ehrenpforte erschall das bei keiner Prozession fehlende Lied „Geist vom Vater und dem Sohne“, dem sich auf dem Milstenauer Weg das eigent-lich zum Tage am besten passende Wallfahrtslied anschloss „Strenger Richter aller Sünder... voll von findli-chem Vertrauen wollen wir die Felder bauen, öffne Deine milde Hand, segne unser Vaterland“. So drang es aus mindestens 1000 Kehlen ( viele neue Teilnehmer waren von Ennest aus hin-zugekommen) zu dem tiefblauen Him-mel, von dem strahlender Sonnen-

schein uns anlachte, als wir den Heg-gener Weg überschritten. Am Askey wurde der 3. Segen wie immer still ge-geben, dann kletterten wir ins „Jam-mertal“ herab, das seinen Namen da-von bekommen haben soll, daß hier regelmäßig das Lied ertönt „O Maria hilf uns all, hier in diesem Jammertal“. Manchmal hatten wir schon vorher un-sern Gesang im Echo von den Bergen widerhallen hören, nirgendwo aber so deutlich wie hier, als die Schulkinder und Frauen am Anfang der Prozession die Anhöhe zum Heider Baum anstie-gen, die Mitte im Jammertal war und das Ende des Zuges seinen kräftigen Männergesang vom Askey ertönen ließ. Am festlich hergerichteten Heili-genhäuschen unter dem Jahrhunderte alten gewaltigen Heider Baum empfing uns sein Besitzer Dr. K. Wenn dieser vorbildlich Heimattreue Mann der für die Aufrechterhaltung alter Sitte, z.B. auch als „Poskevatter“ des Wasserto-res, schon so viele Opfer gebracht hat, dem verlockenden Angeboten der At-tendorner Kalkwerke, die den Boden zur Erweiterung ihrer dicht bis an das Heiligenhäuschen reichenden Kalkbrü-che dringend benötigen, nicht stets so standhaft widerstanden hätte, dann wäre die Stätte mit samt der wunder-baren Linde längst verschwunden. Es hätte dann der Weg der Prozession verlegt werden müssen. Nicht mehr hätte hier an dieser schönen Stelle mit der herrlichen Aussicht in das Biggetal und auf den Schnellenberg der 4. Se-gen gegeben und das Johannisevan-gelium gelesen werden können. Hier-auf kehrten die Ennester größtenteils mit ihrem Geistlichen durch ihre Fluren nach Ennest zurück.

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Heiligenhäuschen Heiderbaum. Foto: Archiv Verein für Orts- und Heimatkunde Attendorn

Während die Prozession über das Schild weiterzog, fingen die sämtlichen Glocken zu Ehren der heimkehrenden an zu läuten. Am Niedersten Tor be-grüßte uns ehrerbietig eine große Volksmenge und auf der Promenade

nahe der Spülbrücke kam uns der Herr Dechant mit den sämtlichen Fahnen der kirchlichen Vereine und der Zünfte entgegen. Alle Müdigkeit war verges-sen, als wir nach 11 Uhr mit dem alten

St. Johannes Baptist. Foto: Archiv Verein für Orts- u. Hei-

matkunde Attendorn.

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Lobgesang „Gott wir loben und be-kennen Dich den Herrscher aller Welt“ in unsere Pfarrkirche hochbefriedigt von dem durchaus würdigen Verlauf der Heiligentracht von 1932 unseren Einzug hielten. Mir wird diese an machtvollen und er-habenen Eindrücken reiche Feier un-vergesslich bleiben, hoffentlich kann ich trotz meiner mehr als 60 Jahre und der weiten Entfernung von meiner Va-terstadt später nochmals mich daran beteiligen! Bedauert habe ich nur das eine, daß die oberen Schichten der Einwohnerschaft verhältnismäßig so schwach vertreten waren. Ihre Vorvä-ter betrachteten die Teilnahme an der zur Zeit schwerster Heimsuchungen gelobten Prozession als eine Gewis-sens- und Ehrensache. Im Vergleich dazu nachstehend der Bericht von Johannes Höffer über den heutigen Weg der Heiligentracht, die heute auch Feldprozession, Bittpro-zession oder Flurprozession genannt wird: Beginn mit der Sonntagsmesse 8.00 Uhr im „Sauerländer Dom“. Danach Auszug der Prozession durch das Hauptportal. Die Prozession geht bei jedem Wetter! Zwischen den Häusern Keimer und Frey hindurch führt der Weg Richtung Schüldernhof. Über den Schüldernhof entlang der ehemaligen Vikarie Sankti Sebastiani rechts, heute Caritasstation, und der Sparkasse und dem Rathaus links geht es über den Seewerngraben, die Ev. Kirche links liegen lassend, und mit der Überquerung des Westwalls auf den Hohlen Weg.

Die Prozession nimmt den Anstieg Hohler Weg über die Hansastraße hinweg bis zur Höhe des Hauses Wö-renkämper vor dem Stappenweg links. Am Haus Wörenkämper 1. Station mit Segen. Die Familie Wörenkämper stellt und schmückt den Altar. Danach geht es rechts in die Straße Wippeskuhlen und nach wenigen Metern halbrechts in den Fußweg, der im weiteren Verlauf die Straße Auf den Peulen überquert und - bei trockenem Wetter - die Pro-zession geradeaus weiter bergab bis in die Straße Am Hettmecker Teich führt; - bei feuchtem Wetter wird wegen der Rutschgefahr auf den Abstieg über den Fußweg verzichtet und es geht rechts über die Straße Auf den Peulen, dann links die Bergstraße herunter und nach 40 Metern wieder links in die Straße Am Musebieter, bis ebenfalls die Stra-ße Am Hettmecker Teich erreicht wird, über die der Weg bergab bis zum Ende zur Überquerung der Windhauser Straße und bergauf über die Friedens-straße bis hin zum Hahnbeuler Kreuz führt. Am Hahnbeuler Kreuz 2. Station mit Segen. Die Nachbargemeinschaft Mühlhardt - Bremger Weg – Hahnbeul stellt und schmückt den Altar. Zu Ehren der Verstorbenen und in Memoriam nimmt die Prozession durch das Hauptportal des Waldfriedhofes hindurch, die Friedhofshalle links lie-gend lassend, den unteren Friedhofs-weg bis zu dem Ausgang wieder auf die Friedensstraße. Den Bremger Weg überquerend geht es rechts in die Mühlhardt und wieder rechts in die Straße Am Hellepädchen,

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und hier nach 100 Metern links abbie-gend im weiteren Verlauf bis zu dem Feldweg Richtung Ennest. In der Friedensstraße, der Mühlhardt, Am Hellepädchen und für das Stück bis zu dem Feldweg begleiten die Pro-zession links und rechts liebevoll auf-gestellte Prozessionsfähnchen und das frische Grün der Birkenbüsche. Der kontinuierliche Anstieg über den Feldweg führt bis kurz vor Ennest zu der Straße Im Wiebusch, von wo aus es rechts in den Fußweg geht, gleich-zeitig auch Wanderweg X24, durch das Baugebiet Osterschlah hindurch, den Zweiling links liegend lassend, bis zu dem Wegekreuz an der Attendorner Straße. Hier zieht die Prozession rechts über den Kreisverkehr in die Wiesbadener Straße, die an der hier aufgestellten Kirchturmspitze beginnt. Diese gilt quasi als Mahnmal und erinnert an die Geschichte der Franziskaner und an die ehemalige Franziskanerkirche in Attendorn. Über die Wiesbadener Straße nimmt die Prozession an den Sportplätzen und der Rundturnhalle einerseits und den Schulen andererseits entlang den Weg bis zum Gemeindezentrum Seli-ger Adolf Kolping. Im Gemeindezentrum Seliger Adolf Kolping 3. Station mit Segen während der Sonntagsmesse. Von dem Gemeindezentrum aus ver-läuft der weitere Weg bis zum Ende der Wiesbadener Straße und da links in die Stettiner Straße, die Hauptschule links liegend lassend, in Richtung Stadthalle, und nach 180 Metern wie-der links in die Lübecker Straße.

Diese führt am Ende rechts über die Danziger Straße am Kreisverkehr in die Straße Im Schwalbenohl in Rich-tung Stadtkern. Am Öhlchen nimmt die Prozession am Kreisverkehr links abbiegend den Weg abwärts über den Stürzenberg und zieht nach 100 Metern wieder links unter festlichem Glockengeläut zu den Schlussbitten und zum sakramentalen Segen in die Josefskirche ein. In der Josefskirche als 4. Station endet ca. zwischen 11.00 u. 11.30 Uhr die Feldprozession, ein sehr alter Brauch, der auf Grund seiner segens-reichen Qualität einer vor allem auch die Jugend ansprechenden Aktualisie-rung bedarf. Hier muss ein Weg zu wieder mehr breitgefächerter Begeiste-rung in der Gemeinde gefunden wer-den. Die Zahl der Prozessionsteilnehmer geht nämlich leider von Jahr zu Jahr immer weiter zurück, und das nicht nur bei dieser Prozession. (s. u. a. Brand- u. Pestprozession) Aufgestellt: 31.01.2010 Johannes Höffer, seit frühester Kindheit begeisterter und praktizierender Anhänger dieses wun-derbaren Aktionspunktes im Attendor-ner Kirchenjahr.

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Das Turmkreuz St. Johannes Baptist Renovierung 2009

von Claus Ortmann Am Donnerstag, dem 28. Mai 2009, wurde das Turmkreuz mit Hilfe eines Kranes von der Turmspitze abgenom-men. Die Rostschäden, vor allem an den Bünden, hatten so zugenommen, dass ein Herabstürzen von Teilen drohte und somit eine Renovierung notwendig wurde. 1948 wurde das Kreuz mit Hahn in der Schlosserei Alois König (Appel-König) hergestellt. Das alte Kreuz hatte zwar dem Bombenangriff 1945 erst stand-gehalten, war aber nach dem unmittel-bar danach entstandenen Dachstuhl-brand vom Turm gefallen. Der Entwurf von Otto Greitemann (siehe Zeich-nung) wurde von Alois König, Kurt Mül-ler, A. Schauder, Walter Schmidt und E. Krönig umgesetzt.

Zeichnung von Otto Greitemann Die Initialen und Nachnamen sind in der offenen Kugel und im Hahn einge-stanzt. Der Anstrich erfolgt durch die Firma August Schulte.

Arbeiten zur Aufsetzung des Turmkreuzes 1948

1980, im Zuge der großen Außenreno-vierung der Pfarrkirche, erhielt das Kreuz seine erste Überarbeitung. Der Hahn und die Kugel, die bis dahin Kup-ferfarben waren, wurden erstmals ver-goldet. 2009, nach 61 Jahren, war es nun not-wendig geworden, das Kreuz vom „Kaiserstiel“ zu entfernen und gründlich zu überarbeiten. Hochbau-Ingenieur Martin Walter, Mitglied des Kirchenvor-standes, koordinierte den Bauablauf. Die Schlosserei Vollmer aus Drolsha-gen entfernte alte Farbschichten, an-schließend wurde das Kreuz in der

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Verzinkerei Lennestadt feuerverzinkt. Am 22. Juni 2009 brachte die Firma Vollmer das Kreuz fertig überarbeitet an die Kirche zurück. Der Hahn und die offene Kugel wurden zeitgleich von der Firma Claus Ortmann renoviert. Nach Abnahme der alten schadhaften Schichten und nach erforderlichen Grundierungen, wurde eine Ölvergol-dung mit Blattgold /23 ¾ Karat aufge-bracht. Die neue LED Beleuchtung ersetzt die alte Glühbirnenkonstruktion, die jedes Jahr zu Ostern an- und abmontiert werden musste. Sie macht es möglich, das Kreuz auch außerhalb der österli-chen Zeit leuchten zu lassen, so wie erstmals dieses Jahr auf Silvester und Neujahr. Zu diesen Arbeiten der Firma Hippauf gehörte auch die ordnungs-gemäße Anbindung des Kreuzes an das vorhandene Blitzableitersystem. 1996 schlug der Blitz ins Kreuz und verursachte erhebliche Schäden im Schaltkasten der Sakristei. Nachdem die Stahlkugellager des Hah-nes gefettet und die verschiedenen Elemente zusammengeführt waren, segnete Pastor Josef Vorderwülbeke das Kreuz. Unter den Augen von zahlreichen At-tendorner Bürgern wurde das Kreuz mit einem Kran zurück auf die Spitze des Turmes gehoben.

Segnung des Kreuzes durch Pastor Josef Vorderwülbeke.

Foto: Andrea Vollmert, Sauerlandkurier Die Firma Karl Hoffmann befestigte das Kreuz und deckte die Turmspitze neu ein. Am 23. Juni2009 waren alle Arbeiten abgeschlossen. (Gesamtkosten rund 25 000 €)

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Eynmal noch .... von Josefine Wagener-Zeppenfeld (), genannt Kannengeiters Fine

Manniges Mol geyt miene Sehnsucht doji-en, Noch eynmol ase Kind ter Heyme te sin. Eynmol noch met Hiattekloppen de Schulbank drücken. Imme Fröijohr in der Stesse Schlü-ettelblaumen plüggen. Eynmol noch en Leierwagen no der Blaike trecken, Eynmol noch in der Noveskopp Panhas lecken. Op stiller Stroote noggemol em Versaihgang begian, Der Missedainer met em Glöckelken, der Pastoer met unsem Häärn. Eynmol noch met em Avsatz Kühlchen dreggen Un si-ek üewwern Büel voll Knicker fröggen. Eynmol noch met em gesunden Rüggen Wolperten, Himperten, Bremmerten plüggen. Eynmol noch met em Opa diar de Wäller strieken, Op sienen Schullern in en Vuelsnest kieken. Eynmol noch wippend op der Schopsbrügge stohn Un dann ungerm Schnellmerich diar de Leime gohn. Eynmol si-ek noch op Fronlichnam fröggen, Ase Engelken am Altore Blaumen ströggen. Eynmol noch „töle, töle“ singen Un fiar de Ehrenpoote Girlanden bingen. Eynmol noch bi der Bischofsvisite en Gedicht opsi-en, Un van der Lehrin dann en schöin Bi-elleken kri-en. Eynmol noch op der Listersperre Schlittschau föern Un unse Ante sellig de Kapelle dirigeyern. Eynmol si-ek noch amme Hai-Houpen ruggen, Eynmol noch üewwer de Guatte en Brückelken buggen. Eynmol noch imme Fallenrock Ski-föern gohn, Wo ve em Berge raff ase ne Prima Ballerina utso-en. Eynmol noch et Glökelken kleppen hören, Dat ve ouk frouh genaug in der Kerke wören. Eynmol noch imme Herwest en Auwer flämmen, un dai Nout dann, et Fü-er wier intedämmen! Eynmol op em Schaulplatz met dian Kingern, dian vi-ellen Noch Ringelreihen un Hüppekästchen spi-ellen.

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Eynmol noch op diam Karussel en Perreken ri-en, Owends met der Puppe noggemohl im Kingerberre li-en. Eynmol noch Lichtmess en Christboum „avsingen“ Un „plündern“ – doch wor viell dodran nit mehr te fingen. Geng unse Kampschulte noggemol met der Schelle diar de Staadt: „Achtung! Achtung!, - was der Bürgermeister euch mitzuteilen hat“. Eynmol noch en Zigarrenkistchen voll Baukenbliar Un drin krupende Maikäfer – owwer et jiett keine mehr. Sou vi-elles is nit mehr, wat frögger wor, Un sind unse Enkel eys 70 Johr, Dann wuennt se oppem Mond un siat mitleidsvoll: Wie altmodisch unsere Vorfahren doch lebten – woll? Und hier für die des Attendorner Platt nicht Mächtigen die Übersetzung ins Hochdeutsche:

Einmal noch... Manches Mal geht meine Sehnsucht dahin, noch einmal als Kind zu Hause zu sein. Einmal noch mit Herzklopfen die Schulbank drücken, im Frühjahr in der Stesse (Wiese in Attendorn) Schlüsselblumen pflücken. Einmal noch einen Leiterwagen zur Bleiche ziehen, einmal noch in der Nachbarschaft Blutwurst essen. Auf ruhiger Straße noch einmal einem Versehgang (Krankenbesuch des Pfarrers) begegnen, der Messdiener mit dem Glöckchen, der Pastor mit unserem Herrn. Einmal noch mit dem Absatz Kuhlen drehen (Löcher auskratzen) und sich über einen Beutel voll Klicker freuen. Einmal noch mit einem gesunden Rücken Waldbeeren, Himbeeren, Brombeeren pflücken. Einmal noch mit dem Opa durch die Wälder streifen, auf seinen Schultern in ein Vogelnest gucken. Einmal noch wippend auf der Schafsbrücke (Brücke über die Bigge für Schafe) ste-hen und dann unter der Burg Schnellenberg durch die Leime (bekannter Fußweg) gehen. Einmal sich noch auf Fronleichnam freuen, als Engelchen am Altar Blumen streuen.

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Einmal noch „töle, töle“ (Lied, das am Altar gesungen wurde, wenn die Bäume für die Prozession aufgestellt wurden) singen und für die Ehrenpforte (eins der vier Stadttore von Attendorn) Girlanden binden. Einmal noch beim Besuch des Bischofs ein Gedicht aufsagen, und von der Lehrerin dann ein schönes Heiligenbildchen bekommen. Einmal noch auf der Listertalsperre Schlittschuh laufen und unser Ante (Attendorner Kapellmeister) selig die Kapelle dirigieren. Einmal sich noch am Heuhaufen ausruhen, einmal noch über die Gosse ein Brückchen bauen. Einmal noch im Faltenrock Skifahren gehen, wo man vom Berge herab wie eine Prima Ballerina aussah. Einmal noch das Glöckchen (das zur Heiligen Messe ruft) läuten hören, dass wir auch früh genug in der Kirche wären. Einmal noch im Herbst ein Ufer flämmen (abbrennen), und die Not dann, das Feuer wieder einzudämmen! Einmal noch auf dem Schulhof mit den Kindern, den vielen Ringelreihen und Hippekästchen spielen. Einmal noch auf dem Karussell ein Pferdchen reiten, abends mit der Puppe noch mal im Kinderbette liegen. Einmal noch Lichtmess den Weihnachtsbaum „absingen“ und plündern – doch war nicht mehr viel daran zu finden. Ging unser Kampschulte (Angestellter des Bürgermeisters) noch mal mit der Schelle durch die Stadt: „Achtung! Achtung! Was der Bürgermeister euch mitzuteilen hat!“ Einmal noch ein Zigarettenkistchen voll Buchenblätter und drin krabbelnde Maikäfer – aber es gibt keine mehr. So vieles ist nicht mehr, was früher war, und sind unsere Enkel erst 70 Jahre, Dann wohnen sie auf dem Mond und sagen mitleidsvoll: Wie altmodisch unsere Vorfahren doch lebten – nicht wahr? Entnommen dem Band „Heymot“ - Gedichte aus Attendorn - mit freundlicher Genehmigung der Fami-lie Wagener, Bensberg.

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Rückläufer von Brigitte Flusche

Vor rund 140 Jahren wanderten viele Attendorner Bürger nach Amerika aus. Auch Mitglieder der Familie Flusche suchten in Übersee eine neue Heimat. Viel konnten die Auswanderer sicher nicht auf die große Reise mitnehmen. Aber die Kochrezepte, die die Haus-frauen auswendig wussten, haben sie untereinander ausgetauscht und flüch-tig auf irgendein Stück Papier notiert.

Solche Aufzeichnungen wurden jetzt vom Urenkel des damals ausgewan-derten Wilhelm Flusche und seiner Frau Augusta geb. Theisen, Karl Flu-sche, im Nachlass seines verstorbenen Vaters Donald Flusche gefunden. Die Nachfahren der Auswanderer kön-ne die alte Schrift nicht mehr lesen, wüssten aber gerne, wie die Rezepte lauten.

Zum Beispiel:

Originalrezept „Pannast“

Pannast Man kocht ... ... ganz und Zunge ... ... mit Salz und Gewürz – Lorbeer-blätter ... ... Brühe abschütten und nachts ste-hen

und alles abfüllen. Fleisch mahlen mit 2 – 4 Zwiebeln mit der Fleischbrühe aufkochen und Korn (Mais) und Weizenmehl dazu und anständig rühren. Und ine Schüssel füllen.

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Die gesalzenen Gurken 24 Stunden auswässern und dann auf 4 Tassen Essig 1 Tasse Wasser – 3 Tassen Zucker mit Gewürz kochen erst die Gurken darin aufkochen 3 Mi-nuten darin aufkochen

und heiß in die Gläser, unten im Glas, in die Mitte und oben Dill, einen Strauß. Quer: Ich koche in Scheiben geschnit-tene Zwiebeln mit, in jedes Glas 3 – 4.

Originalrezept „Die gesalzenen Gurken“ auf der Rückseite eines Briefumschlages

chow-chow 1 Gallone gemahlene grüne Tomaten 1 ‚, ,, ? 1 Quart Pickles 1 ,, Zwiebeln 3 grüne / 1 hot Pfeffer Essig genug zum darüber stehen 2 Eßlöffel Mostartmehl (Senfmehl) 1 ,,Zimt Alspice u. Nelken 3 Pfund (?) brauner Zucker In die gemahlenen Tomatos, tags vor-her leicht salzen und in Mehlsack

schütten und abtropfen lassen, dann (?) Kagst (?) Pickles, Zwiebeln und Pfeffer mahlen und mit Gewürzen, Zu-cker und Essig mischen und eine Stunde kochen und heiß in Gläser. Rote Beete – Relish – 1 Quart Beets – frische aus Garten oder auch eingemachte. Gehackte 2 große Zwiebeln 2 süßen rothen Pfeffer – 2 Theelöffel Salz, 1/2 Tasse Horsre-dish (horse-radish = Meerrettich)

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1 Pint Essig und ¾ Tasse Zucker, 1 Eßlöffel Salz.

Alles zusammengekocht oder in Wür-fel, alles gut gar kochen.

Originalrezepte „Chow Chow“ und

„Rote Beete – Relish“

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Aber auch ein ganz handfestes Erinne-rungsstück fand sich in der Kiste mit alten Schätzen:

Ein Briefbeschwerer, gefertigt aus einem Stück Holz, in das die Worte

MISSIONS KREUZ WAMGE

1851

eingeritzt bzw. gestempelt sind.

Die Bedeutung des Kreuzes, das wohl im letzten Wohnort der Flusches, Wamge, seinen Platz hatte, ist nicht mehr bekannt.

Und so kommen Fotos des gefunde-nen Stückes wieder zurück nach At-tendorn mit der Frage nach dem An-lass, ein solches Kreuz aufzustellen bzw. es wieder zu entfernen.

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75 Jahre Familie Kersting in Attendorn von Eva und Otto Kersting

Am 1. April 1934 zogen die Eheleute Caspar und Maria Kersting mit ihren Kindern Heinrich, Änne, Mia, Otto und Paul von Eslohe nach Attendorn. Sie traten die Unternehmensnachfolge der Wirtsleute Knecht im „Hotel zur Post“ an. Caspar Kersting, geb. am 24.10.1888 in Westfeld bei Schmallenberg-Oberkirchen war als Hufschmied in Eslohe und verweigerte als ehemaliger Ortsvorsteher seinem NSDAP–Nachfolger die politische Gleichschal-tung. Zusammen mit seiner Ehefrau Maria, geborene Schwermann, Tochter aus der damals gut gehenden Gast-stätte „Zur Heilquelle“ mit 7 Fremden-zimmern mit Bad in Klosterbrunnen, betätigte er sich als Festwirt für Schüt-zenfeste. (Zu den besten Zeiten richte-ten sie 26 Schützenfeste in einer Sai-son aus.) Als Ortsvorsteher konnte Caspar Kersting den Bau der ersten Kanalisation und des ersten Schwimmbades in Eslohe begleiten.

Caspar und Maria Kersting Die erste Initiative zur Übernahme des „Hotel zur Post“ in Attendorn ergab sich im Sommer 1933: Caspar Kersting verabredete sich zur Abrechnung des Windhauser Schützenfestes mit der Vertreterin der Dortmunder Union Brauerei, Frau Schürmann, genannt

„Union-Treschen“ im „Hotel zur Post“ bei der Familie Knecht. Hier stellte sich heraus, dass Wilhelm und Maria Knecht, die 35 Jahre das „Hotel zur Post“ bewirtschafteten und deren Töchter beide kein Interesse an der Weiterführung hatten, Nachfolger suchten.

Das „Hotel zur Post“ im Jahre 1935

Man wurde sich sehr zügig einig und der Umzug wurde alsbald vorbereitet. In der Zwischenzeit verstärkte sich der politische Druck in Eslohe auf Caspar Kersting, der stets zu seinem jüdi-schen Freund, dem Viehhändler Ro-bert Goldschmidt hielt und sogar den neuen Ortsvorsteher mit einem Schubs die Treppe hinab des Hauses verwies. Caspar Kersting erhielt ein einwand-freies polizeiliches Führungszeugnis, jedoch kein tadelloses politisches. Aus diesem Grunde erhielt er in Attendorn nur eine befristete Schankerlaubnis (damit ein Jahr sein Betragen „getes-tet“ werden konnte). Als Wirt im „Hotel zur Post“ bewirtete er zahlreiche Vereine, hatte Abonnen-ten zum Mittagtisch, Geschäftsreisen-de und Erholung suchende Gruppen.

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Vor dem Hause in den Gehweg einge-lassen befand sich bis in die 50er Jah-re eine Brückenwaage.

Auf der Brückenwaage vor dem Hotel

Vor allem zu Zeiten der belgischen „Besatzung“ in den Nachkriegs-Wirren ranken sich Geschichten und Anekdo-ten um dieses Wiege-Instrument: Beispielsweise durften die Bauern nur begrenzt Schweine selbst schlachten und verarbeiten. So mussten die Tiere unter polizeilicher Aufsicht gewogen werden. Dem Dienst tuenden Amt-mann ging es vor dem „Hotel zur Post“ recht gut (diverse Getränke wurden gereicht). Der Wagen mit dem Vieh wurde gewogen und das Gewicht no-tiert; danach wurde das Vieh abgela-den, der Wagen mit Bleiplatten bela-den und anschließend das „Leerge-wicht“ festgestellt. So begab es sich, dass bei einer La-dung der „leere“ Wagen schwerer war als der befüllte. Der lakonische Kom-mentar des vereidigten Wiegemeisters Caspar Kersting: „Dis hässe övertrie-ven!“

Fest steht, dass in der „schlechten Zeit“ vor dem Hause Kersting durch Schnaps und geschlossene Augen manch gutes Werk getan werden konnte. Zunächst gab es im „Hotel zur Post“ nur das Dortmunder Union Bier

Thekenansicht in der Gaststätte im Ausschank; durch die enge Freund-schaft Caspar Kerstings mit Carl Vel-tins, welche durch nachbarschaftliche Beziehungen, sowie gute Zusammen-arbeit bei der Bewirtschaftung von Schützenfesten geschlossen wurde, gab es später auch Veltins Pilsener im Ausschank. Mangels Nachfrage seitens der Gäste wurde das Dortmunder Bier zum Ende der 80er Jahre aus dem Ausschank genommen, kurz nachdem die Zu-sammenarbeit sich zum 50. Mal ge-jährt hatte.

Caspar Kerstings Sohn Otto 1937 vor dem Neubau Ennester Straße 2

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Ein besonders Faible zeigte Caspar Kersting mit dem Bau und der Moder-nisierung seines Hauses. Zahlreiche An-, Um- und Neubauten sind ihm zu verdanken: Auf dem angrenzenden Grundstück wurde 1936/1937 das Haus Ennester Straße 2 gebaut, welches zunächst Garagen und 2 Wohnungen enthielt. Das vordere Haus wurde 1951/1952 um eine dritte Etage aufgestockt; im hinteren Teil des Gebäudes wurden Fremdenzimmer gebaut. Der Festsaal wurde nach hinten her-aus vergrößert und eine freitragende Stuckdecke eingebaut.

Das vordere Gebäude nach der Aufstockung 1951/1952

“Menschen im Hotel“ – Eines der er-zählenswerten, zahlreichen Gescheh-nisse im Hause gehört in diese Epo-che: Zur Unterbringung von Gästen aus Ägypten, die Attendorner Armaturen-hersteller besuchten, wurden die neu erstellten Zimmer der aufgestockten Etage eiligst möbliert. Hier befand sich ein für diese Zeit hochmodernes Eta-genbad mit Duscheinrichtung, Wanne und Toilette. Am Abend, der Hausherr saß mit Gästen beim beliebten Whist-kartenspiel am Stammtisch, tropfte es plötzlich und durchaus unerwartet aus

der Stammtischlampe. Um der Ursa-che auf den Grund zu gehen lief Sohn Paul Kersting nach oben und musste zu seiner Verwunderung erblicken: Ein Ägypter stand in der Badewanne und duschte die vergnügt vor der Wanne auf den Dielen tanzenden „Söhne des Nils“, die vor Freude über das nicht enden wollende Wasserwunder juchz-ten. 1955 eröffnete Caspar Kersting das Kino im „Tangel“ mit dem Film „3 Män-ner im Schnee“ mit Paul Dahlke. Das Anno–Haus, das Kino an der Fin-nentroper Straße, wurde nach Ge-schäftsaufgabe des Betreibers Breide-bach angepachtet und solange fortge-führt, wie es mit dem zunehmenden Aufkommen des Fernsehers und der Videotechnik noch rentabel war. Caspar Kersting übergab den Hotelbe-trieb an seinen Sohn Paul mit Ehefrau Elfriede, geborene Hamberger, aus dem „Hotel zur Post“ in Reit im Winkl. Die Weiterführung des Kinos übergab Caspar an seinen Sohn Heinrich und Frau Gertrud, geborene Sangermann, aus Attendorn; Heinrichs Sohn Michael Kersting führt seit 1994 mit seiner Frau Annette, geborene Rohmann, aus Alstätte das Dom-Café im Herzen der Altstadt.

Höffers Ecke – links das Kino-Programm des Anno-Hauses

Sohn Paul erbte wie viele Nachkom-men Caspars die Leidenschaft für em-

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sige Bautätigkeiten: Um den zahlrei-chen Reisegruppen, die vor allem aus dem Ruhrgebiet und den Benelux – Ländern kamen, mehr Komfort bieten zu können, erweiterte er das Hotel um ein Schwimmbad, baute im Gebäude Ennester Straße 7 Doppelzimmer mit Bad, baute angrenzend an das Grund-stück Niederste Straße 9 eine Garage sowie darüber 4 Doppelzimmer mit Bad; er verlegte die Toiletten in das Erdgeschoss und renovierte Restau-rant und Saal. Seine letzte große Bautätigkeit war der Einbau eines Personenaufzuges im Jahre 1991. Mit Geschäftsaufbau der Biergroß-handlung von Fritz Halberstadt, einem Cousin Paul Kerstings, wurde auch das Bitburger Pils in den Ausschank genommen. Diese Besonderheit, dass ein Haus zwei Pils der besten Qualität im Ausschank hat, ist bis heute erhal-ten geblieben. Unter den Gästen, aber auch den Mit-arbeitern im „Hotel zur Post“ befand sich so manches Attendorner Original und oftmals ging es hoch her. Gerne erinnern wir an: Carlo Dinger-kus, Hülter’s Herbert, Fehr’s Imel, Zen-ker’s Friedel, Rauterkus’ Grigoli, Else Hesse, Graf’s Agnes, Beul’s Rudi, Kniep’s Karl, Sondermann’s Bübchen, König’s Fritz, Heuel’s Kalla, Müller’s Micki, Beul’s Stacho, Qinker’s Quab-bel, Harnischmacher’s Albert, um nur einige Namen zu nennen. Allen voran, der dem Hause sein Leb-tag zutiefst verbundene Caesar, Paul Roll, der täglich im Ausschank half, sowie die erst kürzlich verstorbene Thea Annen.

Heinrich Kersting und Paul Roll,

genannt Caesar.

1992 verpachtete Paul den Hotelbe-trieb an seinen Sohn Otto und dessen Frau Eva, geborene Heller, aus Atten-dorn. Ihre Kinder Felix, Lukas und Pau-la besuchen Attendorner Schulen. Um den immer höheren Ansprüchen an Ausstattung und Qualität gerecht zu werden, haben Eva und Otto zahlrei-che Renovierungen und Modernisie-rungen vornehmen müssen. Die untere Etage wurde komplett um-gebaut: Um Hotelgäste in einer Rezep-tion entsprechend begrüßen zu kön-nen, wurde die beliebte Gaststätte

Ansicht des Saals in einer Werbebroschüre vor

dem Umbau

zur Rezeption umgebaut. Die Gaststät-te wurde in das vormalige Restaurant verlegt und der Saal von Grund auf renoviert. Etwas später wurde die Kü-che umgebaut und optimiert, sodass Platz für ein kleines Restaurant ent-stand. Aus einem ehemaligen Vorrats-keller wurde der beliebte Restaurant-raum „Gewölbekeller“ mit dicken Bruchsteinmauern, von denen vermu-

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tet wird, dass sie aus dem 14./15. Jahrhundert stammen. In der Gaststätte freuen sich Otto und Eva Kersting darauf, viele Stammti-sche regelmäßig begrüßen zu dürfen. Auch zahlreiche Vereine, Kegelclubs, Chöre und Karnevalsgruppen halten dem Haus die Treue. Während Paul und Elfriede Kersting zumeist Kurzurlauber, Reisegruppen und Vertreter als Außendienstler ver-schiedenster Unternehmen im Hotel begrüßen durften, zählen Otto und Eva Kersting schwerpunktmäßig Ge-schäftsreisende und Monteure, die in der heimischen Industrie tätig sind, zu ihren Hotelgästen. Um deren Ansprüchen an Komfort und Technik gerecht zu werden, blieben durch Zimmervergrößerungen und Einbau von Badezimmern von vormals 40 Zimmern mit 70 Betten 24 Zimmer mit 41 Betten übrig. Um den moderns-ten Erfordernissen des Brandschutzes gerecht zu werden, wurden sämtliche Treppenhäuser und Türen erneuert, sowie ein elektronisches Brandmelde-system installiert. Die letzte Qualifizie-rung 2008 durch den Hotel- und Gast-stättenverband, DEHOGA, verlieh dem Stammhaus 3 Sterne und wegen der überdurchschnittlich hohe Servicequa-lität den Zusatz „superior“.

Heinrich und Änne Kersting, im Hintergrund das Ores Haus, Schemperstr. 6

Eva Kerstings Eltern, Rudolf und Karo-la Heller kauften Ende der 90er Jahre

das Grundstück Schemperstraße 6, das so genannte „Ores-Haus von der Erbengemeinschaft Viegener–Ores/ Richardshagen, aus Opladen. Hier errichteten sie 1999/2000 nach modernsten Gesichtspunkten geplant, das Gästehaus „Postkutsche“ mit 4 Einzel-, 4 Doppelzimmern und 3 the-matisch gestalteten, luxuriös ausges-tatteten Suiten. Das Gästehaus bekam bei der letzten, turnusgemäßen Klassifizierung im Herbst 2008 durch den DEHOGA wie-derum 4 Sterne „garni“ verliehen. Im immer schnelleren Wandel der Technik wird das Haus laufend auf dem neuesten Stand gehalten, so zum Beispiel durch Umstellung in der Kü-che auf Induktionstechnik und mo-dernste Garverfahren und Installierung mehrerer WLAN – Systeme auf den Fremdenzimmern. Über die betriebliche Tätigkeit hinaus engagieren sich Otto und Eva Kersting ehrenamtlich zum Wohle der Stadt At-tendorn. Otto steht dem Wirteverein vor und Eva ist Mitglied der CDU-Fraktion im Rat der Stadt Attendorn sowie Vorsitzende des Verkehrsver-eins. Die Familientradition bewahren und modernen Anforderungen unserer Zeit gerecht zu werden muss kein Gegen-satz sein: Wir sind gerne Gastgeber in Attendorn! Wir freuen uns, Sie begrüßen zu dür-fen, ob als Attendorner Bürger oder als Besucher unserer schönen Heimat-stadt! Eva und Otto Kersting Unser herzlicher Dank gilt Mia und Heinrich Kersting, die uns mit fami-liengeschichtlichen Erzählungen und Familienfotos versorgt haben!

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Neuzugänge des Museums 2009 von Monika Löcken

Im Jahre 2009 wurde die Sammlung des Museums um 505 Zugänge erwei-tert. Fachsystematisch stammen die Gegenstände aus den folgenden Spar-ten: Naturkunde, Archivalien, Kunst, Schusswaffen und Kunsthandwerk. Dabei handelte sich um Ankäufe, Leih-gaben und Schenkungen. Die wichtigs-ten und interessantesten Neuzugänge sollen hier kurz vorgestellt werden. 1. Naturkunde - Verschiedene naturkundliche Fun-de Calcit-Kristalle aus Höhlen in Heggen und Attendorn sowie in Gestein einge-bettete Spuren von devonischen Fossi-lien, wie rugose Korallen, Bödenkoral-len, Trilobiten und Muscheln kamen als Schenkung in das Museum. - Fundstücke aus dem Kirschhollen-loch, Attendorn7 1974 wurde in Attendorn der Zugang zum Kirschhollenloch wieder entdeckt. Erstmalig wurde die Höhle aber bereits 1869 beschrieben. Die Höhle gewann an Bedeutung, da sie eine Lagerstätte für pleistozäne Säugetierknochen - vor allem Höhlenbären - darstellt. Die Erforschung der Höhle erfolgte 1974 unter fachwissenschaftlicher Be-teiligung des Amtes für Bodendenk-malpflege, so dass besonders präg-nante Fundstücke analysiert wurden. Hierzu gehörten damals auch zwei menschliche Unterkiefer, deren Alter

7 Brückner, A.; Zygowski, D.: Das Kirschhollenloch in Attendorn (Südsauerland) unter besonderer Be-rücksichtigung seiner pleistozänen Fauna, in: Karst und Höhle 1982/83, hrsg. vom Verband der Deut-schen Höhlen- und Karstforscher e.V. ,München 1983, S. 51-70

zunächst unklar war. Man entschloss sich dazu, die in unmittelbarer Nähe gefundenen, in Höhlensinter einge-schlossenen Bärenknochen einer C14 Altersbestimmung zu unterziehen. Die Radiokohlenstoff Datierung ist ein Ver-fahren zur radiometrischen Datierung von kohlenstoffhaltigen organischen Materialien. Das Verfahren beruht dar-auf, dass bekannt ist, in welchem Zeit-raum das Kohlenstoff-Isotop C14 zer-fällt. Das Maß des Zerfalls gibt Aus-kunft über das Alter des Materials, der zeitliche Anwendungsbereich erstreckt sich auf 300 bis 60.000 Jahre. Die Messung der Höhlenbärenknochen ergab ein Alter von 45.750 Jahren. Die menschlichen Unterkiefer erwiesen sich jedoch als neuzeitlich.

Calzitblock mit eingebackenem Bärenknochen, Längsschnitt

375 Knochenteile von Höhlenbären, die 1974 von dem Höhlenforscher Ar-nulf Bruckner aus der Höhle geborgen wurden, sind durch den Forscher als Schenkung an das Museum überge-ben worden. 2. Archivalien - Konvolut Archivalien aus dem Besitz der Familie Klennert aus Heggen, der Familie Schrör, sowie Betriebsbücher

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der Firma Franz Böttenberg, Attendorn (Jahrestagebücher, Wanderbuch, Rechnungen, Arbeitsbücher, Ge-schäftspost, Baupläne) wurden als Schenkung bzw. Dauerleihgabe über-geben. - Angekauft wurde auch eine seltene historische Karte aus der Zeit, als das kurkölnische Westfalen zum Großher-zogtum Hessen (vor 1803 Landgraf-schaft Hessen-Darmstadt) gehörte. Es handelt sich um eine Druckgraphik aus dem Jahre 1803 -1816 mit dem Titel „Teil von Hessen-Darmstadt, Sect 66, Herzogtum Westphalen“. 3. Kunst Das Südsauerlandmuseum unterstützt die heimische Kunstszene und ver-sucht die Sammlung von Werken hei-mischer Künstler auszubauen. Dazu gehören auch die Arbeiten der Kultur-preisträger des Kreises Olpe. „Brand- oder Feuerzeichen“, 2000, Volker Schnüttgen Es handelt sich um ein Werk aus der gleichnamigen Serie. Die drei Arbeiten auf Papier reflektieren das bildhaueri-sche Thema der Bedrohung und ge-waltsamen Behauptung. Stahlplatten wurden zurechtgeschnitten und im Feuer erhitzt. Glühend heiß auf Blätter handgeschöpften, weißen Papiers ge-presst, hinterließen sie Signaturen. Das Papier wurde gebrandmarkt und steht nun als Sinnbild für die Verlet-zungen und Verbrennungen von Men-schen in einer von Glaubenskriegen geprägten Zeit.8

8 Pfeiffer, M.: Volker Schnüttgen, in: Monreal, U. u.a. Kunst und Künstler im Kreis Olpe, Olpe 2001, S. 210 ff.

„Brandzeichen“, Volker Schnüttgen (2000) - „ausgegrenzt“, 2001, Marlies Backhaus Das Gemälde, das in Acrylmisch-Technik auf drei Leinwandsegmenten entstand, zeigt schemenhaft menschli-che Silhouetten. Marlies Backhaus wurde im Jahre 2008 mit dem Kultur-preis des Kreises Olpe ausgezeich-net.9 - Schiff am Fluss, 1955 Jupp Stein-hoff Das Gemälde, Öl auf Leinwand 70,5 X 60,5 cm, kam als Schenkung in das Museum. Es stammt aus dem Besitz des Reichsbankdirektors Dr. Paul We-nig, dessen Frau Paula Schulte in Olpe geboren wurde. Mitte der 1950er Jahre löste sich Steinhoff von der Darstellung der Kriegsfolgen, er begann zu reisen und es entstanden Szenen, die seine Reiseziele abbildeten. Thematisch lässt sich das Bild in diese Schaffens-phase einordnen. - Tafelbild Hl Antonius Das gerahmte Tafelbild mit den Ma-ßen 165 X 65,5 cm wurde für das Franziskanerkloster an der Hansa-straße gemalt und im Jahre 1927 fer- 9 Katalog Marlies Backhaus „diesseits“ mit einem Essay von Ulrike Monreal, hg. Kunstverein Südsau-erland 2001

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tig gestellt. Es handelt sich um die lin-ke Seitentafel eines Retabels für das Refektorium. Die rechte Tafel mit der Hl. Klara ist verschollen. Der Mittelteil mit der Kreuzigungsszene dient heute als Fronleichnamsaltar am Wassertor. Das Bild wurde in der Ausstellung „Franziskaner in Attendorn“ 1986 ge-zeigt. Gemalt wurde das Bild von Bru-der Damascen (Aloysius Hähnel).

- Heilige Familie Das Gemälde stammt von dem Maler und Kirchenexpressionisten Heinrich Windelschmidt10 und ist eine Schen-kung an das Museum. Windelschmidts Werke finden sich vor allem im Rhein-land in der Gegend um Köln herum. Von Papst Johannes XXIII wurde Win-delschmidt zum Ritter des Silvesteror-dens ernannt.

„Heilige Familie“, Heinrich Windelschmidt (Öl auf Leinwand)

- Glaskunstfenster Im Jahre 1928 wurde beim Bau des St.-Barbara-Krankenhauses auch eine kleine Krankenhauskapelle errichtet, die zusammen mit dem Krankenhaus im Jahre 2001 abgerissen wurde. Die zehn in das kleine Gotteshaus ein-gebauten Glaskunstfenster wurden gerettet und eingelagert. Ein Fenster verblieb im Eigentum der Rhön-AG, 6 Fenster fanden einen neuen Platz im

10 Peters, Elisabeth: Kirchliche Wandmalerei im Rheinland 1920-1940. Zur Geschichte des Kölner Institut für religiöse Kunst.

Seniorenzentrum Attendorn, ein Fens-ter erhielt das Stadtmuseum Münster, die übrigen zwei übergab Uwe Beul, der Leiter des Seniorenheimes als Dauerleihgabe an das Südsauerland-museum. Es handelt sich zum einen um eine Abbildung des heiligen Vinzenz von Paul und zum anderen um das so ge-nannte Vigener Fenster. Letzteres ist versehen mit der Widmung „Gestiftet von der Vereinigung der Familie Vige-ner“. Darauf sind drei Personen abge-bildet, eine Ordensschwester und zwei Männer. Hier könnte es sich zum einen um die Darstellung von Personen der Familie Vigener handeln, die im karita-tiven Bereich tätig waren, wie auch um Mater Maria Vigener, die von 1915 bis 1922 Präfektin der Ursulinen in Atten-dorn war. Zum anderen könnte hier auch die Auferweckung des Lazarus dargestellt sein. Eine abschließende Klärung steht noch aus.11 Der Maler und Glasmaler Theodor Junglas (1893- 1964) gehörte zur Münsteraner Sezes-sion und schloss sich der Schanze an. - Porträt Dingerkus, 18. Jh. Der abgebildete Mann ist zwar frontal wiedergegeben, doch ist der Oberkör-per leicht nach links und der Kopf leicht nach rechts gedreht, so dass die Per-son im Ganzen in auffälliger Ver-schränktheit dargestellt wird. Es han-delt sich um einen Herren mit weißer Perücke und kräftigen Gesichtszügen. Er trägt schwarze Kleidung, deren Strenge durch ein weißes Hemd und durch weiß umsäumtes Beffchen auf-gelockert wird. Auf diese Art und Wei-se wurden im 18. Jh. häufig Geistli-che12 dargestellt, jedoch gehörte seit den 1680er Jahren eine Halsbinde mit zwei auf die Brust hinunterhängenden breiten Leinenstreifen auch zur Klei- 11 Nach Recherchen der Ortsheimatpflegerin Birgit Haberhauer-Kuschel, niedergelegt in einer Presse-mitteilung zur Übergabe der Fenster an das Muse-um. 12 Vergl.: Südsauerlandmuseum II 170, Porträt G.J.B. Hundt, Pfarrer in Rahrbach

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dung bürgerlicher Männer. An seinem schwarzen Umhang ist schemenhaft ein breiter angesetzter Kragen erkenn-bar, so dass die Vermutung nahe liegt, dass es sich um einen Gelehrten oder durch ein Studium geschulten Mann handeln könnte. Die Ähnlichkeit mit dem Porträt des Johannes Everhardus Dingerkus13 legt nahe, dass es sich auch hier um den Kanzleidirektor der Reichsabtei Werden bei Essen han-deln könnte. Die Malschicht ist beschädigt und die Firnis stark nachgedunkelt, nach einer Restaurierung wird eine genauere Zu-schreibung möglich sein.

Öl auf Leinwand, 83 X 65 cm, ohne erkennba-re Signatur, rechts oben Wappen der Atten-

dorner Familie Dingerkus.

Erzbischof Ferdinand, Kupferstich aus dem Jahre 1602 von Domenicus Custos, einem Verleger aus Augsburg. Brustbildnis des Wittelsbacher Herzogs und späteren Erzbischof von Köln Fer-dinand (1577 - 1650) im Harnisch mit spanischer Halskrause, darunter der

13 Abgebildet in HSO, 18/1955, S 1007

Titel: FERDINANDUS VTRIVSQVE BAVARIA DUX.

Ferdinand von Bayern

4. Kunsthandwerk - Zinnfigurensammlung Militärische Motive 19. und 20. Jh., aus bekannten Manufakturen wie „Kieler Zinnfiguren“, „Hinchliffe Models“, „HM Hudersfield, Metham“

Musketier aus Zinn

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5. Kirchengemeinde Dünschede Der Kirchenvorstand der kath. Pfarr-gemeinde Dünschede entschloss sich, dem Museum liturgische Geräte, die alte Kirchturmuhr sowie die abgebaute Kanzel aus der Werkstatt der Atten-dorner Bildschnitzerfamilie Sasse als Dauerleihgabe zu übergeben. - Gefäße für heilige Öle aus Zinn 1) Zwei miteinander verbundene, klei-ne, zylindrische Behälter, abgedeckt mit einem gemeinsamen 8-eckigem Deckel mit passigem Rand, verbunden durch eine Halbkugel und doppeltes, ineinander liegendes Scharnier. Eckig ansetzende Daumenrast, die auf der einen Seite wie eine Muschel geformt ist und auf der anderen Seite ein "Bartmann?"-Gesicht trägt. Außen auf den Deckeln: O: CATECH , CHRISMA; mit gravierten Blattranken. Innen: CH, CA. 2) Kleines Döschen mit einem Durch-messer von 3 cm. Deckel: S:OLEUM JNFIRMORUM, Kreuz in der Mitte, umlaufend Blattranke. 3) Teller mit einem Durchmesser von 23,6 cm und flachem Spiegel, umlau-fende Profilrille auf der Fahne. Kleiner Teller mit leicht vertieftem Spiegel mit einem Durchmesser von 5,5 cm, durchbrochene hellgrüne Fah-ne, die durch Stäbchen und Kreise ge-bildet wird und nach außen hin in ei-nem gezackten Rand endet. Die Fahne ist mit einer goldenen Linie zum Spie-gel hin abgesetzt. - Kirchturmuhr Stahl, Eisen, um 1900, Hersteller: C. Heuser, Elberfeld Seit der Mitte des 19. Jh. fanden beim Bau von Kirchturmuhren auch Fabrik-gefertigte Einzelteile Verwendung. Sie brachten eine Reihe von Neuerungen

mit sich. Die Gestelle wurden nun meist aus Gusseisen, die Räder aus Bronze, Achsen und Hebel aus Stahl hergestellt. Zur Verbindung der Einzel-teile dienten nun ausschließlich Schrauben.14 Die Turmuhr der Martinkirche in Dün-schede ist ein Werk der Elberfelder Turmuhrenfabrik des Carl-Wilhelm Heuser jun., ihr Herstellungsjahr ist zur Zeit nicht genau zu ermitteln, es dürfte sich aber um die Zeit zwischen 1880 und 1900 handeln.

Kirchturmuhr aus St. Martin-Dünschede

Die Uhr war bereits in den alten Turm eingebaut, fand während der Neubau-phase zwischen 1924 und 1928 im Pastorat einen vorübergehenden Platz 14 Peter, Claus: Zur Entwicklung des Turmuhren-baues in Westfalen, in: Westfalen, Hafte für Ge-schichte, Kunst und Volkskunde, 62. Ba, 1984, S. 216 ff, hier 222.

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und wurde nach der Einweihung der Kirche 1928 in den neuen Turm über-nommen. Alle halbe Stunde machte die Turmuhr durch Glockenschläge auf sich auf-merksam und jede volle Stunde melde-te sie weithin hörbar die Zeit. Da die schweren Gewichte über zwei Turm-stockwerke hinab hingen, musste sie nur ein Mal im Monat aufgezogen wer-den. 15 Ein gusseiserner Rahmen hält das Rä-derwerk, die Seiltrommeln und die He-bel für das Uhrwerk und die zwei Schlagwerke. Seile und Stangen ver-banden das Uhrwerk mit den Zeigern und den Hämmern an den Glocken weiter oben im Kirchturm. Das Herz der Turmuhr ist ein von Ge-wichten angetriebenes klassisches Pendeluhrwerk. Bei der Pendeluhr macht man sich zu Nutze, dass ein mechanisches Pendel bei kleinen Aus-lenkungen sehr gleichmäßig hin und her schwingt. Über einen Hebel mit Sperrklinken, den "Anker", sorgt das Pendel dafür, dass sich ein bestimmtes Zahnrad im Getriebe, das "Ankerrad", bei jeder Schwingung nur um einen Zahn wei-terdreht. Die Sperrklinken sind gegen-über den Zähnen des Ankerrads ver-setzt angeordnet. Wenn die eine Sperrklinke durch die Bewegung des Pendels angehoben wird und den Zahn freigibt, kann sich das Zahnrad nur eine halbe Zahnbreite weiterdre-hen, bevor es von der anderen Sperr-klinke, die sich mittlerweile zwischen zwei Zähne abgesenkt hat, angehalten wird. Es verharrt so lange in dieser Position, bis das Pendel nach der an-deren Seite schwingt und jetzt diesen Zahn freigibt. Das Rad dreht wiederum um eine halbe Zahnbreite weiter, wird 15 Herrn Karl Baumhoff ist für diese Auskunft ganz herzlich zu danken..

nun auf der ersten Seite gestoppt und der Zyklus beginnt von vorne. Damit ist die Ganggeschwindigkeit der Uhr durch die Pendelschwingung genau festgelegt. Die Hemmung hat aber noch eine an-dere Aufgabe. Jedes Pendel kommt irgendwann zur Ruhe. Um es in Gang zu halten, muss man es im richtigen Moment ein klein wenig anschieben. Diese Uhr hat eine Graham-Hemmung, benannt nach ihrem Erfinder, dem eng-lischen Uhrmacher George Graham (1673-1751). Wenn man genau hin-sieht, erkennt man, dass die Enden der beiden Sperrklinken angeschrägt sind. In dem Moment, wo die Sperrklinke durch ihre Aufwärtsbewegung den Zahn des Ankerrades freigibt, gleitet der Zahn unter der Sperrklinke hinweg. Die Keilwirkung der abgeschrägten Fläche gibt dem Anker einen kleinen zusätzlichen Anschub nach oben und verstärkt dadurch zum richtigen Zeit-punkt die Bewegung des Pendels. 6. Interessante Fundstücke aus dem Altbestand Der Umbau des Museums machte es Ende 2006 notwendig, das gesamte Museum samt allen Kellern und Dach-magazinen leer zu räumen. Die Um-zugsvorbereitungen beförderten Ge-genstände wieder ans Licht, die vor Jahren hier eingelagert worden waren, unter anderem ein großformatiger, ge-rahmter Druck, über dessen Herkunft im Museum nichts mehr bekannt ist. Möglicherweise kann einer der Leser Hinweise geben, in welchem Haushalt das repräsentative Bild hing?

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König Friedrich II. Tafelrunde in Sanssouci, 1750, 122,5 x 104 cm, Druck nach 1901. Im Lichtdruckverfahren nach einem gleichnami-gen Gemälde von Adolph Menzel 1850 ( 204 x 175 cm) hergestellt, Lichtreflexe mit der Hand retuschiert. Original ehemals Nationalgalerie, 1945 verbrannt. Heute Südsauerlandmuseum Attendorn, Herkunft ist unbekannt, es handelt sich um einen Altbestand des Museums.

Signatur: links unten: cLc W

Der großformatige Druck ist hinter Glas in einen vergoldeten historistischen

Plattenrahmen ohne Passepartout montiert. Ein auf die Rückwand gekleb-tes Etikett informiert über die Herkunft des Rahmens: „H. Großhennig, Köln a. Rh., Langgasse 6, Fernsprecher 9241, Rahmenfabrik - Vergolderei, Spezial-geschäft für Einrahmungen in feinster Ausführung und Stilart, Kunsthandlung. Reichhaltiges Lager in klassischen und modernen Kunstblättern.“ Es handelt sich um die Reproduktion eines Ölgemäldes von Adolph Menzel, das 1850 in den Maßen 2,04 x 1,75 m fertig gestellt wurde. Menzel bildet eine Tafelrunde um den preußischen König Friedrich II. im runden Speisesaal des Schlosses Sanssouci ab, wie sie sei-ner Meinung nach statt gefunden ha-ben könnte. Der König sitzt in der Bildmitte, er trägt eine blaue Uniformjacke und wendet sich Voltaire zu, der auf dem zweiten Stuhl, links von Friedrich sitzt. Voltaire beugt sich über den Tisch und führt ein Gespräch mit dem Grafen Algarotti, der sich ebenfalls über den Tisch lehnt. Zwischen dem König und Voltaire sitzt General von Stille, links von Voltaire sitzt Lordmarschall Georg Keith, der sich mit seinem nur in Rückenansicht präsentierten Nachbarn unterhält. Rechts vom König ist der Marquis d’Argens porträtiert, es folgen der schon genannte Graf Algarotti, dann Feldmarschall James Keith, Graf Ro-thenburg, der in ein Gespräch mit dem im Profil erkennbaren Herrn de la Mettrie vertieft ist.16 Damit hat Menzel den König Friedrich II. mit einer illustren Runde umgeben. Das Gemälde gehört zu einem Zyklus von Bildern aus dem Leben Friedrichs des Großen, mit dem Adolph Menzel 1848 begann und der ihn bis in die

16 Vergl.: Königliche National-Galerie, Ausstellung von Werken Adolph von Menzels 1905 II. Auflage. Berlin o.J. (1905) S. 1.

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1860er Jahre in Anspruch nahm.17 An-ders als damals üblich, stellte Menzel den Herrscher nicht in glorifizierender Herrscherpose dar. Stattdessen bevor-zugte er Szenen, in denen Friedrich als „Privatmann“ (Tafelrunde, Flötenkon-zert) oder als volkstümlicher, gütiger König erscheint („Die Bittschrift“, „Friedrich der Große auf Reisen“).18 Menzel hatte bereits zu seinen Lebzei-ten in Berlin als Maler des preußischen Königtums Karriere gemacht.19 Der bis heute anhaltende und überragende Bekanntheitsgrad des Malers gründet nicht zu Letzt auf einer schnellen, frü-hen und flächendeckenden Populari-sierung seines Werkes. Menzel selber wusste, als Lithograf, Kenner des Lichtdrucks und Beförderer der Foto-grafie, um die Wirkung von Reproduk-tionen.20 Er hatte bereits früh auch die Vervielfältigung seiner Ölbilder in Far-be befürwortet.

17 Schuster, Peter-Klaus (Hg): Die alte Nationalgale-rie, Berlin/Köln 2003. 18 Das war aber nicht die Absicht gewesen. Auch war Menzel in seinem Herzen keineswegs (vor allem in seinen späteren Jahren nicht) der preußi-sche Patriot, für den seine Bewunderer ihn hielten. Das zeigen seine Äußerungen zur Revolution von 1848 ebenso wie der Umstand, dass es sich mehr-fach Anweisungen seines Königs bzw. Kaisers widersetzte. 19 Ausstellungen von Werken Adolph Menzels ha-ben eine lange Tradition. Wer das Findbuch über die Akten der Berliner Nationalgalerie (1874-1945) durchsieht, stößt allenthalben auf Ausleihanfragen von Bildern des Berliner Malers. Bereits in der zwei-ten Hälfte des 19. Jahrhunderts präsentierten Kunstvereine zwischen Königsberg und Düsseldorf, zwischen Malmö und Mülheim an der Ruhr ihrem Publikum in zahlreichen Ausstellungen besonders gern Menzels Zeichnungen. Zwischen 1886 und 1888 liehen sich die Dresdner Kunstgenossen-schaft, der Leipziger Kunstverein und die Genos-senschaft der Bildenden Künstler Wiens Bilder aus. In Malmö zeigte man 1914 Zeichnungen für die Kunstabteilung der Baltischen Ausstellung. Die Kunstsammlungen der Stadt Königsberg baten 1935/36 um Ausleihungen für eine Ausstellung mit Studien für das Krönungsbild (Krönung Wilhelm I., 1861-65, Neues Palais, Potsdam). Bernhard Maaz (Hg.): Adolph Menzel. radikal real. 20 - Dorgerloh, A.: Verzeichnis der durch Kunstdruck vervielfältigten Arbeiten Adolph Menzels, Leipzig : Seemann, 1896.

Die "Tafelrunde Friedrichs des Großen in Sanssouci" (1850) gehört zu den ersten Gemälden, die Anfang der acht-ziger Jahre des 19. Jahrhunderts als Farbdruck von der "Vereinigung der Kunstfreunde der Nationalgalerie" he-rausgegeben wurden. In der Literatur zu den druckgraphi-schen Reproduktionen nach Werken der Malerei wird betont, dass sie für ein gebildetes, kunstverständiges Pub-likum hergestellt wurden.21 Mit dem wirtschaftlichen, politischen und kultu-rellen Aufstieg des Bürgertums hatte sich der Kreis der Interessierten stetig vergrößert. Die Reproduktionsgraphik griff populäre Sujets auf, war für viele bezahlbar und wurde so zum bürgerli-chen Wandschmuck schlechthin. 22

21Overdick, Michael, Wackerbarth, Julia: Abendmahl und Elfenrein, Populäre Wandbilddrucke 1830-1930, Staatliche Museen Kassel (Hg), Kassel 2005, S.28 ff. , S. 66. 22 Pieske, Christa: Bilder für Jedermann, Wandbild-drucke 1840 – 1940 (=Schriften des Museums für Deutsche Volkskunde Berlin Bd 15), Berlin 1988.

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Vereinsziele

Unser Hauptaugenmerk gilt satzungsgemäß der Dokumen-tation Attendorner Geschichte, der Sammlung und Bereit-stellung von Informationen über das hiesige Brauchtum und der Suche nach Attendorner Wegen in die Welt.

Wir verstehen uns dabei als wissenschaftlicher Verein außerhalb des Fol-kloristischen.

Unser Einsatz für Bau-, Natur- und Kunstdenkmäler macht uns notwendi-gerweise zu überparteilichen Teilnehmern der Lokalpolitik.

So können sie uns finden:

Sie können uns - je nach Wohnort - bequem über die Hauptverkehrs-straßen der Stadt erreichen, sowohl über die Ennester Straße als auch die Windhauser Straße (jeweils die Abzweigung Hansastraße benutzen) oder längst das städtische Krankenhaus. Eine Parkmöglichkeit (P) be-findet sich in Nähe unserer Geschäftsstelle, direkt auf der gegenüber-liegenden Straßenseite.

Wir freuen uns auf Ihren Besuch!

Unsere Geschäftsstelle in der Hansastraße 4Sprechstunde: Montags 18.00 – 20.00 Uhr (außer an Feiertagen) oder nach Vereinbarung: Tel.: 02722 / 634165

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VOH

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