Verein für Heimatkunde - Nr. 33

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Verein für Orts- und Heimatkunde Attendorn e.V. seit 1898 ATTENDORN - GESTERN UND HEUTE Mitteilungsblatt des Vereins für Orts- und Heimatkunde Attendorn e.V. für Geschichte und Heimatpflege Nr. 33 - 2011 Greifen-Motiv — Ratsloge Pfarrkirche St. Johannes

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Mitteilungsblatt des Vereins für Orts- und Heimatkunde Attendorn e.V. für Geschichte und Heimatpflege

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Umschlag Verein f�r HK.fh11 06.04.2011 16:00 Uhr Seite 1

Verein für Orts- und Heimatkunde Attendorn e.V. seit 1898

ATTENDORN - GESTERN UND HEUTEMitteilungsblatt des Vereins für Orts- und Heimatkunde Attendorn e.V.

für Geschichte und Heimatpflege

Nr. 33 - 2011

Greifen-Motiv — Ratsloge Pfarrkirche St. Johannes

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IMPRESSUM ATTENDORN – GESTERN UND HEUTE Mitteilungsblatt des Vereins für Orts- und Heimatkunde Attendorn e.V. für Geschich-te und Heimatpflege HERAUSGEBER Verein für Orts- und Heimatkunde At-tendorn e.V., Hansastraße 4, 57439 At-tendorn, Tel. 0 27 22-63 41 65, Mail: [email protected] REDAKTION Birgit C. Haberhauer-Kuschel (BCHK), Wesetalstraße 90, 57439 Attendorn, Tel. 02722-7473, Mail: [email protected] DRUCK Frey Print & Media, Bieketurmstraße 2, 57439 Attendorn Erscheint in zwangloser Reihenfolge. Alle Rechte vorbehalten, auch des auszugs-weisen Nachdrucks. Bezugspreis im Jahresbeitrag [2011: 20,- € für Einzelmitglieder/ 5,- € für Ehegatten] inbegriffen. Für namentlich gekennzeichnete Beiträge sind die Verfasser persönlich verantwort-lich. ISSN-Nr. 1864-1989 Dieses Jahresheft erscheint im April 2011 und trägt die Nr. 33. TITELABBILDUNG: Ausschnitt aus dem Gemälde „Blei-chergasse“, (ca. 1925) von Walter Koch-Isphording. Repro: Brigitte Puth Ein herzlicher Dank gilt den AUTOREN DIESER AUSGABE: ULI JOHANNES, GUIDO & NICOLE KOST, DR. MARKUS KÖSTER, MONIKA LÖCKEN, MEINOLF LÜTTECKE, GEORG ORTMANN, DR. MED. KLAUS PFEIFER, BRIGITTE PUTH, ANDREAS SCHLIEBENER, GABRIELE SCHMIDT. VORSTAND DES VEREINS (Stand April 2011) Geschäftsführender Vorstand: Vorsitzender: Reinhard König

Stellv. Vorsitzender: Karl-Hermann Ernst Schriftführer: NN Schatzmeister: Markus Kaufmann Geschäftsführerin: Gabriele Schmidt Erweiterter Vorstand: Brigitte Flusche, Ludwig Müller, Ulrich Selter, Dieter Thys. Mitglieder kraft Amtes: Birgit C. Haberhauer-Kuschel, Monika Löcken ANSPRECHPARTNER FÜR ALLE BE-LANGE DER HEIMATPFLEGE IN AT-TENDORN UND UMGEBUNG: Verein für Orts- und Heimatkunde At-tendorn e.V., Hansastraße 4, 57439 At-tendorn Sprechstunde: Montags 18.00 – 20.00 Uhr Ortsheimatpflegerin für Attendorn: Birgit C. Haberhauer-Kuschel Ortsheimatpfleger für Mecklinghausen: Albert Schnepper Ortsheimatpfleger für Neu Listernohl: Ludwig Müller INHALT Impressum 2 Sie haben auch Sara Else, Helene und Lothar geheißen – Auf den Spuren der Familie Guth-mann 3 Das Vermächtnis des Johann Baptist Molitor und Johann Heinrich Jung, gen. Stilling 23 Attendorn, die sehenswerte alte Stadt 28 100 Jahre Traditionshaus „Schnaps-Kost“ am Kirchplatz 36 125 Jahre Feuerwehr Attendorn 42 33 Jahre Plattdeutscher Kreis in Attendorn – Von der Entstehung bis zur heutigen Zeit 54 Das Doppeljubiläum des SGV im Jahre 2010 58 Zum Abriss des Hauses Breite Straße 16 62 Eine kleine ökumenische Weihnachtsgeschich-te 66 Sammlungszugänge im Südsauerlandmuseum im Jahre 2010 71 Jahresprogramm Südsauerlandmuseum für 2011 78

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Sie haben auch Sara Else, Helene und Lothar geheißen* - Auf den Spuren der Familie Guthmann

Von Brigitte Puth

Dies ist ein Bericht über die Suche nach der verschollenen Attendorner Familie Albert und Karolina Guthmann aus der Bleichergasse 329. An diese Familie, die eine Metzgerei besaß und bis Ende der 1930er Jahre in Attendorn lebte, erinnert sich heute kaum jemand. Obwohl Attendorn in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahr-hunderts eine überschaubare Stadt war, deren Bewohner, christliche wie jüdische, sich untereinander kannten, schien später niemand zu wissen, was während der Zeit des Nationalsozia-lismus mit der Familie Guthmann ge-schehen war. Als vor einigen Jahren Stolpersteine für die verfolgten und ermordeten Attendorner Juden gelegt werden sollten, begann ich mir Gedan-ken über ihren Verbleib zu machen. An den Namen Guthmann erinnerte ich mich aus Gesprächen, die ich als Ju-gendliche mit meinen Eltern über die Juden und die Judenverfolgung in At-tendorn geführt hatte. Mein Vater, der Buchhalter war, hatte einen kleinen Nebenverdienst, er führte bis ins Jahr 1937 die Geschäftsbücher für den Metzgermeister Albert Guthmann. Da-rum wollte ich gerne etwas über das Schicksal dieser vergessenen Familie erfahren, wusste aber noch nicht, wie viele Puzzlesteine ich würde zusam-menfügen müssen.

Ich beginne die Geschichte der Familie Guthmann mit ihrer Vorgeschichte.

Albert Adolph1 Guthmanns Eltern hie-ßen Moses und Sophie geb. Klein. 1 Albert Guthmann wird in seiner Geburtsur-kunde (siehe Fn 6) als Adolf benannt. Aus späteren Dokumenten ab Anfang des 20. Jahrhunderts geht hervor, dass er selbst meist den Namen Albert verwendete. Auf seinem Grabstein auf dem Friedhof am Weinberg in Wuppertal steht ebenfalls Albert Guthmann. Im

Moses Guthmann wurde in Berchum/ Kreis Iserlohn am 14. Dezember 1812 geboren. Sein Vater Uri Guthmann war von Beruf Handelsmann, der Name der Mutter ist nicht bekannt. In dem kleinen Dorf Berchum lebte zu dieser Zeit eine große jüdische Gemeinde von 36 Per-sonen. Sie besaß einen eigenen Friedhof mit dem Namen „Auf den lich-ten Böcken“. 2

Sophie Klein war die Tochter von Jo-seph Moses und Rebekka geb. Bär Stierstadt, beide geboren in Lenhau-sen. Sie heirateten 1806 und wohnten in Dünschede. Bis 1825 wurden acht Kinder geboren, deren Namen in ei-nem Antwortschreiben des Bürger-meisters Belke zu Attendorn an den Landrat vom 31. März 1830 aufgeführt sind. Sophie muss eines dieser Kinder gewesen sein, auch wenn dieser Vor-name in dem genannten Brief nicht erwähnt wird. Vermutlich ist sie darin unter einem jüdischen Vornamen ver-zeichnet. 3

Wann Moses Guthmann und Sophie Klein geheiratet haben, ist unbekannt. Auch im „Familienregister jüdischer Unterthanen im Amt Attendorn“ von Gograf Gottfried Laurenz Joanvahrs4 ist die Eheschließung nicht aufgeführt.

Das Ehepaar bekam 3 Kinder, deren Geburtsurkunden in den Aufzeichnun-gen Joanvahrs’ dokumentiert sind:

Folgenden wird er, um der besseren Lesbar-keit wegen, Albert genannt. 2 Laut Stadtarchiv Altena, telephonische Mittei-lung. 3 StAA, Akte B 256, S. 35. 4 StAA, Register der Juden. Amtsgericht Olpe, Abschrift von Otto Höffer.

* Nach einem Gedicht von Erich Fried.

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Nr. 16: Am 24. Dezember 18585 nachmittags um ein halb zwei wurde Rosalie Guthmann, Tochter des Han-delsmannes Moses Guthmann zu Dünschede und Sophie geb. Klein aus Dünschede, geboren. [...]

Nr. 19: Am 7. Mai 1860 morgens zwi-schen drei und vier Uhr wurde Joseph Guthmann, Sohn des Handelsmannes Moses Guthmann zu Dünschede und Sophie geb. Klein aus Dünschede ge-boren. [...]

Nr. 24: Am 23. April 1862 morgens um 6 Uhr wurde Adolph Guthmann, Sohn des Handelsmannes Moses Guthmann zu Dünschede und Sophie geb. Klein aus Dünschede geboren. 6

Geburtseintrag von Adolph Guthmann.

Repro: Brigitte Puth

Von Joseph Guthmann ist kein weite-rer Hinweis auf sein Leben zu finden. Die Tochter Rosalie war weder verhei-ratet, noch hat sie einen Beruf ausge-übt. Ich vermute, dass sie nach dem Tod ihrer Mutter, sie war zu dem Zeit-punkt fast 15 Jahre alt, den Haushalt ihres Vaters geführt hat. Sophie Guth-mann starb am 15. August 1873, laut Joanvahrs an Unterleibsschwindsucht. Moses Guthmann zog wenige Jahre

5 Im Sterberegister des Krankenhauses At-tendorn wird als Geburtsdatum der 15. De-zember 1859 genannt. StAA, C 756. 6 StAA, Register der Juden. Amtsgericht Olpe, Abschrift von Otto Höffer.

später, 1879, nach Attendorn. Auch Rosalie lebte in Attendorn, wahrschein-lich mit ihrem Vater und ihrem Bruder Albert im selben Haushalt. Sie starb mit 48 Jahren im Attendorner Kran-kenhaus an Influenza. Ihr Nachlass betrug 150 Mark.7

Was Moses Guthmann Ende der 1870er Jahre bewog, nach Attendorn zu ziehen, lässt sich nicht mehr rekon-struieren. Belegt ist aber, dass er in Attendorn einen Metzgerbetrieb auf-baute. Aus dem Jahr 1881 ist ein Urteil gegen Moses Guthmann wegen uner-laubten Schlachtens erhalten:

In der Strafsache

gegen

den Metzger Moses Guthmann

wegen Vergehen hat das Königliche Schöffengericht

zu Attendorn am 16ten December 1880 für Recht erkannt

der Angeklagte ist schuldig, in seiner Wohnung im Epeschen Hause [unle-serlich, ein Wort] im Laufe des letzten Jahres ohne Genehmigung der zu-ständigen Behörde eine Schlachterei errichtet und betrieben zu haben und wird derhalbe dieserhalb gemäß § 16 + 147, Nr.2 der Gewerbeordnung mit einer Geldstrafe von fünf Mark, wel-cher event. vier Tag Gefängnis zu sub-stituieren und mit den Kosten des Ver-fahrens belegt. Die Richtigkeit der Ab-schrift der Urtheilsformel wird beglau-bigt und die Vollstreckbarkeit des Ur-theils bescheinigt.

Attendorn, den 24ten Januar 1881 [Unterschrift nicht leserlich, B.P.] Gerichtsschreiber des Königlichen Amtsgericht 8

7 Vgl.: StAA, C 756. 8 StAA, Akte B 441, S. 333.

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Abschrift der Urteilsformel. Repro: Brigitte Puth

Aus dem Jahr 1883 gibt es eine Anfra-ge bei der Polizeiverwaltung Attendorn wegen eines Brandes in der Metzgerei Moses Guthmann. Die General-Agentur Dortmund Th. Lierfeld schrieb am 24. Juli:

An die Polizeiverwaltung Attendorn

Der bei unserer Gesellschaft durch Police Nr. 60385 versicherte Moses Guthmann daselbst am 28. Juni von einer Brandgefahr betroffen worden welche in Höhe von 400 Mark ermittelt worden ist.

Wir werden diesen Betrag zur Auszah-lung bringen wenn Ihrerseits auf Grund des Paragraphen 18 des Gesetzes vom 8. Mai 1837 binnen der gesetzli-chen Frist von 8 Tagen Widerruf dage-gen nicht erhoben ist.

Hochachtungsvoll die General-Agentur

Th. Lierfeld9

Moses Guthmann wird 1890 als Förde-rer der Mark-Haindorfschen Stiftung erwähnt. Diese Stiftung wurde 1855 mit dem Ziel gegründet, jüdische Ele-mentarlehrer, Handwerker und Künst-ler zu fördern.10

Am 25. Dezember 1901, vormittags um 11 Uhr, starb Moses Guthmann mit 83 Jahren im Krankenhaus Attendorn an Lungenlähmung.11 Wo er begraben wurde, habe ich nicht feststellen kön-nen.

Karolina und Albert Guthmann

Albert Guthmann zog 1879 von Gandersheim nach Attendorn. Dies geht aus seiner Meldekarte bei der Stadt Attendorn hervor, die 1923 für ihn, wie für alle deutschen Bürger an-gelegt wurde. Sein Gewerbe als Metz-germeister meldete er 1891 an.12

Im gleichen Jahr, am 3. März, heiratete er Karolina Fränkel aus Biblis. Sie wurde am 5. Mai 1866 geboren. Ihre Eltern hießen Josef und Sara, geb. Hamburger. Karolina, die Lina genannt wurde, zog bereits 1890 nach At-tendorn.13 Wo sie arbeitete und wie sie Albert kennen lernte, ist nicht mehr zu klären. Das Ehepaar lebte mit Moses und Rosalie Guthmann zusammen im Epeschen Haus, Graben 262. In der zi-tierten Strafsache gegen Moses Guth-mann wird diese Adresse 1880 ange-geben. Auch das „Adressbuch für die Stadt und den Kreis Olpe“ von 1899 führt Moses und Albert als Metzger noch mit dieser Adresse an.

9 StAA, B 681, S. 15. 10 Krause 1987, S. 270-274. 11 StAA, C 750. 12 Bürgerbüro Attendorn, Meldekarte Albert Guthmann. 13 Bürgerbüro Attendorn, Meldekarte Karolina Guthmann.

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Sara und Josef Fränkel, Schwiegereltern

von Albert Guthmann. Repro: Familie Teitel, Australien

Anhand der wenigen erhaltenen Unter-lagen und der Berichte einiger älterer Attendornerinnen und Attendorner, die sich aus ihrer Kindheit noch an die Guthmanns erinnern, lässt sich ein – wenn auch sehr lückenhaftes – Bild vom Leben der Familie entwerfen.

Die Eheleute Karolina und Albert Guth-mann bauten sich in Attendorn eine bürgerliche Existenz auf. Ein Jahr nach der Heirat wurde das erste Kind, Er-nestine Sophie am 6. Januar 1892 ge-boren.14 Kurz darauf, am 12. März 1893 um 11 Uhr, wurde Sara gebo-

14 LAV NRW OWL, Personenstandsarchiv Westfalen-Lippe, Attendorn, Geburtsurkunde Nr. 4/1892.

ren.15 Helene Hildegard kam am 10. August 1895 um 9 Uhr morgens zur Welt.16 Drei Jahre später, am 20. Juni 1898 um 11 Uhr, bekam Karolina ihr viertes und letztes Kind, Josef Lothar.17 Die Kinder wurden, wie auf den Ge-burtsurkunden vermerkt, alle zu Hause geboren.

Lina und Albert Guthmann.

Repro: Familie Teitel, Australien

Karolina und Albert hatten die gleichen Sorgen mit ihren Kindern wie ihre Nachbarn. Sara zum Beispiel berichte-te später, dass sie mit zwei Jahren an den Halspolypen operiert worden sei.18 Aber auch von Schicksalsschlägen blieb die Familie nicht verschont. Die kleine Ernestine Sophie starb schon am 6. Februar 1893, mit 13 Monaten.

Albert Guthmann war, wie sein Vater Moses und sein Großvater Josef Klein, in der Synagogengemeinde Lenhau-sen bzw. in der Untergemeinde At-tendorn aktiv. Das geht aus einem Brief an den Amtmann von Serkenrode hervor. Albert Guthmann schrieb:

15 LAV NRW OWL, Personenstandsarchiv Westfalen-Lippe, Attendorn, Geburtsurkunde Nr.23/1893. 16 LAV NRW OWL, Personenstandsarchiv Westfalen-Lippe, Attendorn, Geburtsurkunde Nr.71/1895. 17 LAV NRW OWL, Personenstandsarchiv Westfalen-Lippe, Attendorn, Geburtsurkunde Nr.67/1898. 18 LAV NRW R, BR 2182,1753.

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Attendorn, 26.3.1907

Herrn Amtmann Kaiser Wohlgeboren

[ein Wort unleserlich] erkläre daß ich mit der Wahl als Repräsentant der Sy-nagogengemeinde Lenhausen einver-standen bin.

Hochachtungsvoll Albert Guthmann19

Zwischen 1899 und 1909 konnten Karolina und Albert Guthmann das Haus der Familie Isphording, genannt Wulves, in der Bleichergasse kaufen. Das genaue Datum des Kaufs ist nicht mehr nachzuweisen. Im „Verzeichnis der alten und neuen Hausnummern und der Hauseigentümer der Stadt At-tendorn“ von 1909 wird Albert als Ei-gentümer geführt. Das Haus hatte bis 1909 die Nummer 228 und ab dann die Nummer 329.

Am rechten Bildrand das Haus Guthmann in

der Bleichergasse. Foto: Archiv Ortmann

Im Hause Guthmann wurde im De-zember 1913 Hochzeit gefeiert. Die Tochter Sara heiratete Max Neugarten aus Bad Wildungen. Ein Jahr später wurde Kurt geboren, der erste Enkel 19 Gemeindearchiv Finnentrop, Jüdische Sy-nagogenangelegenheit 1841-1937, 811.

Karolinas und Alberts. So lebten nun drei Generationen unter einem Dach. Außer Sara und ihrer Familie wohnten noch die zweite Tochter Helene und der Sohn Lothar mit im Elternhaus. Die Enkelin Margot, das zweite Kind Saras und Max’ Neugartens, wurde 1920 in Attendorn geboren.

Karolina und Albert Guthmann schei-nen um ein gutes Verhältnis zur Nach-barschaft bemüht gewesen zu sein. So ist dokumentiert, wie sie im Jahr 1915 auf ein Beschwerdeschreiben der Nachbarn bei der Stadt Attendorn rea-gierten. Diese beklagten sich über die Begleitumstände, die die Ausübung des Metzgerhandwerks in einer eng-bebauten Nachbarschaft mit sich führt. Sie fühlten sich durch das Gebrüll und den Gestank der Schlachttiere beläs-tigt. Albert und Karolina beauftragten daraufhin einen Architekten mit dem Umbau des Hauses.20

1916 feierte die Familie ein großes Fest. Karolina und Albert hatten am 3. März Silberhochzeit. Über die Feier des Jubelpaares wurde im „Attendor-ner Volksblatt“ berichtet und ihnen gra-tuliert.21 Außer den wenigen Spuren Albert und Karolina Guthmanns, die sich in den Archiven finden lassen, habe ich bei meiner Recherche auch Gespräche mit einigen älteren At-tendornerinnen und Attendornern ge-führt, die sich noch an die Familie erin-nern. Else Henkel geb. Voß wohnte als Kind direkt neben Guthmanns. Sie kannte die Enkelin Margot, die fast gleich alt war. Es war Weihnachten und sie und Margot zeigten sich ihre Weihnachtsgeschenke. Beide hatten eine Puppe bekommen. Da Elses Puppe schöner war, hat Margot sie ihr aus der Hand gerissen. Dabei ging die Puppe kaputt. An diese Episode konn-te sich Else Henkel noch gut erinnern. Sie ist ein Beispiel für die Assimilation

20 StAA, C 332 21 Hosenfeld 2006, S. 163.

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der Attendorner Juden. Auch ihre Kin-der bekamen zu Weihnachten ein Ge-schenk.

Else Voß’ Bruder Josef erzählte sei-nem Sohn von der Familie Guthmann. Sie seien gute Menschen gewesen und hätten den ärmeren Kindern, die sie kannten, Kommunionkleidung ge-kauft.

Blick vom Ostwall auf den Gerbergraben mit dem Eingang zur Bleichergasse am rechten Bildrand. Foto: M. Lützeler, Archiv Ortmann.

Gretl Jaroschewski berichtete mir, dass sie als Kinder immer durch die Bleichergasse gingen, da dies für sie der schnellste Weg in die Stadt war. Abends habe Herr Guthmann in einem schwarzen Anzug vor der Tür gestan-den, und ein gelber Hund, der den Kindern Angst einflößte, stand neben ihm. Albert Guthmann sei klein und rundlich gewesen. Er habe in seiner Metzgerei unter anderem auch Pferde-fleisch verkauft und sei preiswerter gewesen als die anderen Metzger. Diese Erinnerung wird von Josef Hor-mes bestätigt, der mir sagte, dass bei Guthmanns die ärmeren Bewohner der Stadt gekauft hätten. Frau S. erinnert

sich, dass die Metzgerei Guthmann auch Freibankfleisch verkaufte, so nannte man Fleisch von verunglückten gesunden Tieren. Wenn Herr Guth-mann wusste, wann das Fleisch kam, setzte er eine Annonce in die Zeitung. Frau S. ging dann mit ihrem Vater in das Geschäft und sie kauften Wange und Zunge. Sie erinnert sich an Albert Guthmann als einen freundlichen Mann, der zu Weihnachten den Kin-dern kleine Geschenke machte.

Herr F. erzählte, dass seine Mutter im Haushalt der Familie Guthmann aus-half und sie als Kinder öfter von Frau Guthmann zu Kaffee und Kuchen ein-geladen wurden. Die Tochter von The-rese Schwab, die auch in der Nach-barschaft der Guthmanns lebte, teilte mir mit, dass Lina Guthmann eine lie-be, gute Frau gewesen sei. Und es scheint, dass auch ihre Kinder in der Nachbarschaft gern gesehen waren. So wartete Therese Schwab nach dem 2. Weltkrieg immer darauf, dass Sara Else zurückkäme.

Mit der Regierungsübernahme durch die Nationalsozialisten änderte sich auch in Attendorn das Leben der jüdi-schen Einwohner. Auch die Metzgerei Guthmann wurde von den neuen anti-semitischen Gesetzen eingeholt. Aus dem Mai 1934 ist ein Urteil gegen Al-bert Guthmann dokumentiert: Er wurde vom Amtsgericht Attendorn „wegen Vergehens gegen das Gesetz über das Schlachten von Tieren mit 100 RM Geldstrafe ersatzweise 2 Wochen Ge-fängnis“ verurteilt.22 Dieses Gesetz war am 31. April 1933 mit dem Ziel erlas-sen worden, das rituelle Schächten, das im jüdischen Glauben verankert ist, zum Straftatbestand zu machen.23 Mit einem Beschluss vom 15. Septem-ber 1934 wurde Albert Guthmann die Reststrafe erlassen.24

22 StAA, Akte V 40, 5III. 23 Enzyklopädie des Holocaust, S. 49. 24 StAA, Akte V 40, 5III.

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Karolina Guthmann starb am 19. Au-gust 1937 in Wuppertal-Elberfeld, wo die Tochter Sara Neugarten mit ihrer Familie seit 1929 lebte, an Alters-schwäche.25 Sie wurde auf dem Fried-hof „Am Weinberg“ in einer Gruft bei-gesetzt. Der Friedhof und die Fried-hofsbücher sind erhalten geblieben, so dass sich auch heute noch das Grab dort finden lässt.26

Grabstein Guthmann auf dem jüdischen Fried-hof „Am Weinberg“ in Wuppertal. Foto: Privat.

Nachdem seine Ehefrau gestorben war, gab Albert Guthmann seine Metz-gerei auf.27 Zwei Jahre wohnte er noch alleine in der Bleichergasse. Wie aus seiner Meldekarte hervorgeht, verließ er seine Heimatstadt am 26. Juni 1939 und zog nach Rheydt in die Kirchstra-ße 22. Dieses Haus wurde wenig spä-ter, gemäß einer staatlichen Anord-nung vom 3. März 1939, als „Juden-haus“ deklariert. Viele jüdische Fami-

25 Bürgerbüro Attendorn, Meldekarte Karolina Guthmann. 26 Eingetragen im Friedhofsbuch sind: Karoline Guthmann, geb. Fränkel, bestattet laut Bele-gungsplan im Abschnitt K VI/53 und Adolf-Albert Guthmann, bestattet im Abschnitt K VI/54 27 StAMG, Akte 25 C 5899, 25 C 6127.

lien mussten daraufhin ihre Wohnun-gen und teilweise auch ihre Häuser verlassen, um isoliert in den sogenann-ten Judenhäusern zu leben. Diese Maßnahme war ein weiterer Schritt in der von 1933 an betriebenen Entrech-tung und Ausgrenzung der deutschen Juden. Sara teilte später den Wieder-gutmachungsbehörden über die Be-weggründe für den Wegzug ihres Va-ters aus Attendorn mit: ... ihr Vater ha-be ab dem Jahre 1938, nachdem er ab 1933 steten geschäftlichen und per-sönlichen Verfolgungen ausgesetzt gewesen sei und ein Verbleib in At-tendorn für ihn unmöglich gewesen sei, seine Metzgerei aufgegeben...28 Ich habe mich lange gefragt und er-gebnislos nachgeforscht, warum Albert ausgerechnet nach Rheydt gezogen ist, da sich im Stadtarchiv Möncheng-ladbach keine Verwandten feststellen ließen. So ist nur zu hoffen, dass ihn an seinem neuen Wohnort Bekannte oder Freunde empfingen, denn in den folgenden Monaten wurde es zuneh-mend einsamer um Albert Guthmann. Seine Tochter Sara emigrierte mit ih-rem Mann Max Neugarten am 1. Au-gust 1939 nach Kolumbien, zu ihrem Sohn Kurt, der Ende 1938 dorthin aus-gewandert war. Auch ihre Tochter Margot Neugarten war schon am 1. Mai 1939 nach England emigriert. Helene Teitel, die jüngere Tochter Karolinas und Alberts folgte mit den Kindern Waltraud und Isidor ihrem Ehemann Abraham, der von den Nati-onalsozialisten nach Polen deportiert worden war. Bis auf den Sohn Lothar, der in Höchheim in Franken lebte, hat-te Albert Guthmann keine nahen An-gehörigen mehr in Deutschland. Er lebte noch zwei Jahre in Rheydt, bevor er krank wurde und in das Jüdi-sche Krankenhaus Köln-Ehrenfeld ein-

28 StAMG, Akte 25 C 5899, 25 C 6127.

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geliefert wurde. Dort starb er am 12. Mai 1941. Die Belegbücher des Kran-kenhauses blieben erhalten, unter der Nr. 471/41 findet sich Albert Guth-manns Name.29 Er starb an Arterio-sklerose und wurde neben seiner Frau Karolina in der Gruft K Platz 6 Reihe 58/59 des Friedhofs Am Weinberg in Wuppertal beigesetzt.

Grabstein von Karolina und Albert Guthmann

auf dem Friedhof „Am Weinberg“ in Wuppertal. Foto: Privat

Sara Else Neugarten, geborene Guthmann

Über Sara Guthmann, die zweitälteste Tochter Alberts und Karolinas, hatte ich außer ihrer Geburtsurkunde30 lange Zeit keinerlei Information. Weder beim Internationalen Suchdienst in Bad Arolsen, noch in der Datenbank von Yad Vashem fand sich ein Hinweis, dass sie in einem Konzentrationslager ermordet worden war. Auch über ihr Leben vor der Zeit der nationalsozialis-tischen Judenverfolgung war zunächst nichts bekannt. Wie so oft bei meinen Recherchen, halfen mir drei Faktoren – Archive, Zufall und interessierte Men-schen. Das von Else Henkel erwähnte

29 Laut telephonischer Auskunft des NS-Dokumentationszentrums EL-DE-Haus, Köln. 30 LAV NRW OWL, Personenstandsarchiv Westfalen-Lippe, Attendorn, Geburtsurkunde Nr. 23/1893.

Mädchen Margot, das im Haus Guth-mann in Attendorn lebte, konnte keine Tochter Lothars oder Helenes sein, da mir deren Familienverhältnisse bereits bekannt waren. Sie musste also eine Tochter von Sara sein und es war wahrscheinlich, dass diese verheiratet war. Das erklärte, weshalb sich unter dem Namen Sara Guthmann nichts finden ließ. Der Name Max Neugarten war auf der Heiratsurkunde von Saras Schwester Helene und ihrem Mann Abraham als Trauzeuge angegeben. Aus diesen Gründen fragte ich im Bür-gerbüro nach Max Neugarten und ob seine Ehefrau eventuell Sara Guth-mann geheißen habe. Auf der Melde-karte Max Neugartens war zwar nicht Sara, aber Else Neugarten geb. Guth-mann aufgeführt. Da das vermerkte Geburtsdatum mit dem Geburtsdatum Saras identisch war, musste Else Neu-garten die langgesuchte Sara sein.31 Nun war es einfacher geworden, etwas über sie zu erfahren. Es stellte sich heraus, dass Sara und ihre Familie überlebt hatten. Durch ihre Lebensbe-schreibung in den Wiedergutma-chungsakten wurde sie als Person le-bendig. Sie scheint eine selbstbewuss-te und interessante Frau gewesen zu sein.

Sara Else besuchte die Mädchenschu-le am Neuen Markt in Attendorn. 1907 begann sie eine dreijährige Putzma-cherinnenlehre bei der Firma Willy Lehmann in Attendorn.

Nach ihrer Lehrzeit war sie als Putz-macherin und kaufmännische Ange-stellte in verschiedenen Betrieben be-schäftigt: Von 1910-11 bei einer Frau Eichengrün in Fröndenberg, dann, vom 1. September 1911 bis 15. Juni 1912, bei der Firma S. Goldschmidt in Bad Wildungen. Im Anschluss daran arbei-

31 Bürgerbüro Attendorn, Meldekarte Max Neugarten.

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tete sie bis Mai 1913 bei der Firma Sohn-Selig in Neuss.32

Wegen ihrer bevorstehenden Ehe-schließung mit dem Handlungsreisen-den Max Neugarten zog sie wieder nach Attendorn, um die Vorbereitun-gen für die Hochzeit zu treffen. Am 4. November 1913 bestellte sie das Auf-gebot. Sie musste dabei eine Aufent-haltsbescheinigung von ihrem letzten Arbeitsplatz vorlegen, in der als Beruf Modistin angegeben ist.33

Max Neugarten, sein amtlicher Name war Markus, wurde am 4. Dezember 1890 in Fritzlar geboren und lebte spä-ter mit seinen Eltern in Bad Wildungen. Es ist möglich, dass Sara Else ihn dort kennen lernte. Am 6. Dezember 1913 fand die Hochzeit statt.

Das junge Ehepaar lebte zunächst in Bad Wildungen, wo am 11. September 1914 ihr Sohn Kurt zur Welt kam. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges änderte sich auch das Leben der Neugartens. Sara Else teilte das Schicksal vieler Frauen ihrer Generation. Ihr Mann wurde als Soldat eingezogen und sie stand alleine mit einem Neugeborenen da, das sie ernähren musste. Sara El-se zog in ihr Elternhaus zurück und arbeitete von 1915 bis 1918 als Lage-ristin bei der Metallwarenfabrik Is-phording in Attendorn. Max Neugarten erkrankte während des Krieges an Ty-phus und Lungenentzündung. Erst im Februar 1920 kehrte er aus der Kriegsgefangenschaft zu seiner Fami-lie nach Attendorn zurück. Dort wurde die Tochter Margot am 28. November 1920 geboren. Ihr Bruder Kurt besuch-te die evangelische Volksschule und später das Gymnasium in Attendorn. Margot wurde in die katholische Volks-schule eingeschult. Die Neugartens blieben bis Ende der 20er Jahre in At-tendorn. 1923 eröffneten Max und Sa-

32 StAW, 250297. 33 StAW, 250297.

ra Else eine Futterstoffgroßhandlung in der Niedersten Straße. Laut Hedwig Albus befand sich das Geschäft neben der Post, im Haus der Familie Epe. Bis 1925 arbeitete Sara Else in diesem Geschäft mit, dann eröffneten die bei-den noch ein Textildetailgeschäft, das sie alleine betrieb.34

Am 1. Mai 1928 zog die Familie nach Elberfeld, in die Lagerstraße 23,35 wo sie einen Großhandel für Schneiderei-bedarf eröffneten und mit Erfolg führ-ten. Max’ Bruder Siegfried berichtete über die Lebensumstände der Familie in Elberfeld Folgendes: Sie [die Woh-nung, B.P.] bestand aus 5 Zimmern, Küche und Bad. Der Rest der Räume waren Geschäftsräume. [...] Wie hoch das Einkommen meines Bruders ge-wesen ist, kann ich nicht sagen. Ich weiss nur, dass er ein gut bürgerliches Leben führte, den Opel-Wagen unter-hielt und seine beiden Kinder zur höhe-ren Schule schickte. Die Wohnung war sehr schön ausgestattet. Die Familie ging gut gekleidet, sie hatte einen gu-ten Verkehr in guten Kreisen in Elber-feld.36

Sara Else kümmerte sich um die Büro-arbeiten,37 Max besuchte die Kunden, Schneidereien und Geschäfte im Sauerland und Südwestfalen.38 Für ihren Haushalt beschäftigten sie eine Haushälterin.

Als die Nationalsozialisten 1933 an die Regierung kamen, begann für die Fa-milie Neugarten, wie für alle Juden in Deutschland, eine schwere Zeit: Im Jahre 1935 mußte mein Mann sein selbständiges Geschäft aufgeben, da infolge der nationalsozialistischen Ver- 34 StAW, 250297. 35 Bürgerbüro Attendorn, Meldekarte Max Neugarten. 36 LAV NRW R, BR 2182, 17596, 17597, Ei-desstattliche Versicherung Siegfried Neugarten vom 3.6.1959. 37 LAV NRW R, BR 2182, 1753, Eidesstattliche Versicherung Kurt Neugarten vom 6.7.1960. 38 LAV NRW R, BR 2182, 17596, 17597.

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folgungsmaßnahmen die jüdischen selbständigen Betriebe immer mehr ausgeschaltet und zum Erliegen ge-bracht wurden. Die umgreifenden Maßnahme der nationalsozialistischen Verordnungen, die arischen Hausan-gestellten verbot, bei Juden zu arbei-ten, machten es nötig, die erforderli-chen Hausarbeiten meines Haushaltes selbst zu erledigen.39

1934 war die Familie in die Distelbeck 19 umgezogen. Als sie ihr Geschäft schließen mussten, übernahm Max Neugarten neben der Vertretung für die Firma Färber und Hecht, die er schon zuvor innehatte, noch eine wei-tere Vertretung für die Firma Rauscher und Gerhardt Nachf., um so die Fami-lie zu ernähren. Die beiden Handels-vertretungen konnte er bis zu den Pog-romen in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 ausüben. Danach wurde ihm die notwendige Legitimati-onskarte entzogen.40

Der Sohn Kurt war zu diesem Zeit-punkt 24 Jahre alt. Er hatte in Elberfeld bis zur Oberprima das städtische Re-algymnasium besucht. In einem Be-richt, den er 1960 an die Wiedergut-machungsbehörde schickte, erzählt Kurt Neugarten davon, wie unmöglich es für ihn war, als junger jüdischer Mensch eine bezahlte Arbeitsstelle zu finden, geschweige denn eine Berufs-ausbildung zu machen: Durch die nat.soz. Gesetzgebung war es mir nicht möglich, weiterhin dem Schulun-terricht beizuwohnen, trotzdem mein Vater aktiver Frontkämpfer war [...], und musste so ein halbes Jahr vor Be-endigung meines Abiturs ohne Mög-lichkeit meine geplante akademische Laufbahn zu beenden, das Realgym-nasium verlassen. So aus meiner zu-künftigen akademischen Laufbahn

39 LAV NRW R, BR 2182, 17596, 17597, Ei-desstattliche Versicherung Sara Else Neugar-tens vom 18.7.1960. 40 LAV NRW R, BR 2182, 17596, 17597.

herausgedrängt, suchte ich mir eine praktische Erwerbsmöglichkeit und trat am 1.8.1933 in die Autoreparaturwerk-statt des Herrn Erich Dings, Wuppertal-Elberfeld, Königstraße 376 ein, in der ich bis zum 14.7.1934 als Volontär ar-beitete. Ich betone dies, daß ich als Volontär arbeiten musste, da ich sonst seitens des Arbeitsamtes keine Ar-beitserlaubnis bekommen hätte, also unentgeltlich, trotzdem meine Arbeits-leistungen, wie aus beigefügter Foto-Zeugnis Kopie hervorgeht, Autorepara-turen mit selbständiger Ausführung zuließen und zur vollsten Zufriedenheit ausgeführt wurden. Auch diese Stel-lung musste ich, trotzdem sie mir als Ausbildung diente, am 14.7.1934 ver-lassen, da das Einschreiten der nat.soz. Arbeitsfront eine weitere Be-schäftigung nicht gestattete.41

In der folgenden Zeit arbeitete Kurt in einer jüdischen Firma in Wuppertal als Aushilfe für einen erkrankten Ange-stellten. Er bemühte sich aber, den-noch seine inoffizielle Ausbildung als Mechaniker und Schlosser fortzuset-zen. Vom 22. November 1935 bis 26. Juni 1936 arbeitete er deshalb wieder als Volontär, bei der Firma A.A. Ursell in Attendorn. Da auch in diesem Betrieb ein Weiter-kommen mit der entsprechenden fi-nanziellen Entlohnung trotz meiner guten Arbeitsleistungen, nicht möglich war, da sich auch hier die Arbeitsfront dagegen auflehnte, musste ich auch diese Stellung verlassen, da meine finanzielle Lage mir nicht weiter gestat-tete, ohne Entgelt zu arbeiten.42

Anschließend fand er eine Stelle bei der jüdischen Firma Besas in Berlin, zunächst als Reisebegleiter, dann als Vertreter. Aber auch hier stand Kurt bald wieder vor den gleichen Proble-men: Durch die zunehmende Arisie-rung der Geschäfte, der Verbote der

41 StAW, 250564. 42 StAW, 250564.

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nichtjüdischen Geschäfte keine jüdi-schen Vertreter mehr zu empfangen, und auch nicht mehr bei jüdischen Firmen zu kaufen, seitens der nat.soz. Partei, machten es mir dann unmög-lich, weiter meinen Lebensunterhalt zu verdienen, und sah mich so gezwun-gen, am 7.10.1938 aus Deutschland auszuwandern.43

Seiner jüngeren Schwester Margot erging es ähnlich. Bis Ostern 1935 be-suchte sie das Oberlyzeum Wuppertal-Elberfeld, das sie aufgrund des Verfol-gungsdrucks ohne Abschluss verließ. Margot wollte eigentlich Sportlehrerin werden und in Stuttgart eine Sport-schule besuchen. Stattdessen ging sie zunächst in die hauswirtschaftliche und gewerbliche Berufsschule für Mädchen in Wuppertal-Elberfeld, bevor sie ab Ostern 1936 eine kaufmännische Leh-re bei der Firma Rosenberg und Rot-schild in der Hofaue 89 begann.44

Kurt wohnte während seines Attendor-ner Volontariats bei seinen Großeltern Albert und Karolina Guthmann in der Bleichergasse. Er hatte zu dieser Zeit eine Freundin, Else St. aus Wuppertal-Elberfeld, die als Lehrerin in Wermels-kirchen arbeitete, und Kurt Neugarten für einige Tage in Attendorn besuchte. Sie wurden dort zusammen beim Spa-ziergang gesehen und denunziert. Da Else St. „Arierin“ war und Kurt Jude, kam es zu einer Anzeige wegen „Ras-senschande“, da nach den 1935 erlas-senen Nürnberger Gesetzen Bezie-hungen und Eheschließungen zwi-schen jüdischen und „arischen“ Deut-schen unter Strafe gestellt waren. Die Anzeige datiert vom 18. Juni 1936. Darin ist zu lesen: Am 5.6.36 gegen 22 Uhr ist Neugarten außerhalb der Stadt auf einer unbelebten Straße per Arm mit dem Mädchen gesehen worden. Bei den Beobachtern hat kein Zweifel bestanden, dass es sich um ein Lie-

43 StAW, 250564. 44 StAW, 250521.

bespaar handelte.45 Am Folgetag sandte der Attendorner Bürgermeister eine Kopie der Anzeige an die Krimi-nalpolizei Wuppertal, die den Wohnort Else St.s ermitteln sollte, damit diese zum Verhör vorgeladen werden könn-te.46 Kurt Neugarten schreibt in seinem Lebensbericht nichts von diesen Er-eignissen und auch anhand der noch erhaltenen polizeilichen Akten zu die-sem Verfahren, lässt sich nicht mit Si-cherheit rekonstruieren, wie die Ge-schichte endete. Es ist aber anzuneh-men, dass Kurt, wenn es zu einem Prozess und einer Verurteilung ge-kommen wäre, diesen Sachverhalt in seinem Lebensbericht an die Wieder-gutmachungsbehörden erwähnt hätte.

Aus der Anzeige geht hervor, dass Kurt bereits zu diesem Zeitpunkt daran dachte, Deutschland zu verlassen. Im antisemitischen Klima Nazideutsch-lands war es einem jungen jüdischen Menschen nicht möglich, sich ein men-schenwürdiges Leben aufzubauen. Aber auch die Auswanderung wurde zunehmend schwieriger, da nur wenige Länder überhaupt bereit waren, die verfolgten Juden aufzunehmen. Kurt gelang es jedoch, ein Visum für Ko-lumbien zu erhalten. Am 7. Oktober 1938 konnte er Deutschland verlassen.

Im November verschärfte sich die Lage der jüdischen Deutschen noch weiter. Mit der Pogromnacht erreichte die an-tisemitische Politik und Stimmung ei-nen vorläufigen Höhepunkt. Max Neu-garten wurde nach dem 9. November verhaftet und ins das KZ Dachau ge-bracht. Die Ausschreitungen und Miss-handlungen, die 91 jüdischen Men-schen das Leben kosteten, und die Zerstörung und Plünderung von Ge-schäften und Synagogen waren von den nationalsozialistischen Behörden und Organisationen lange vorbereitet und keine spontanen Reaktionen der

45 StAA, Akte D 452 V 40, I II. 46 StAA, Akte D 452 V 40, I II.

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Bevölkerung wegen des Attentats auf den Botschaftssekretär vom Rath in Paris, wie die NS-Propaganda danach verbreitete. Gestapo-Chef Heinrich Müller kündigte am Abend des 9. No-vember den Gestapo-Leitstellen per Fernschreiben die bevorstehenden Pogrome an und erteilte Verhaltens-maßregeln für die Ordnungskräfte. Auch für die Verhaftung von mehr als 30.000, meist wohlhabenden, jüdi-schen Männern bis 70 Jahren, waren die Festnahmelisten bereits geschrie-ben. Die Verhafteten wurden auf drei Konzentrationslager verteilt. Sie kamen entweder nach Buchenwald, Dachau oder Sachsenhausen, wo sie gedemü-tigt und misshandelt wurden. Um frei-gelassen zu werden, mussten die In-haftierten sich verpflichten, zu emigrie-ren und ihr Vermögen „arisieren“ zu lassen.47

Eine weitere Erklärung, die aus dem KZ ent-lassene Häftlinge zu unterschreiben hatten.

Repro: Brigitte Puth

47 Vgl. Enzyklopädie des Holocaust, S. 1205-1210.

Max Neugarten kam am 1. Dezember 1938 als kranker Mann nach Hause zurück. Sara Else schrieb darüber: Dr. Gruenberg, Wuppertal-Elberfeld, Aue, [stellte] bei meinem Mann einen Herz-defekt fest[...] und [ordnete] eine länge-re Bettruhe an[...].48 Der Arzt warnte Max, dass er wegen der Herzschwä-che auch in Zukunft nicht mehr schwer arbeiten dürfe. Sara Else bemühte sich um Visa für ihre Tochter Margot, ihren Ehemann und sich selbst. Margot konnte am 5. Mai 1939 nach England ausreisen. Dort arbeitete sie als Haus-hälterin. Ihre Eltern erhielten ein ko-lumbianisches Visum und emigrierten am 1. August 1939. Margot bemühte sich von England aus, ihrer Familie nach Kolumbien folgen zu können. Erst ein Jahr später als ihre Eltern, im Ok-tober 1940, kam sie in Cali an.

Sara Else und Max Neugarten waren krank und mittellos in Südamerika ein-getroffen. Auch Sara Else war durch die erlebten Erniedrigungen und Ver-folgungen herz- und zuckerkrank ge-worden und nicht mehr in der Lage, einem Beruf nachzugehen. Max wurde Hausierer. Die anstrengende Arbeit bei der ungewohnten tropischen Hitze ver-schlechterte seinen Gesundheitszu-stand. Nach mehreren Herz- und Schlaganfällen starb er am 6. März 1953 mit 63 Jahren.49 Den Neugartens erging es wie so vielen jüdischen Emigranten. Sie standen, nach Jahren der Verfolgung und Entrechtung, vor der großen Schwierigkeit, sich eine neue Existenz aufbauen zu müssen. In einem fremden Land und einer frem-den Sprache mussten sie sich voll-kommen neu orientieren. Wie sein Va-ter Max schlug sich auch Kurt in den ersten Jahren in Kolumbien als Hau-

48 LAV NRW R, BR 2182, 17596, 17597, Ei-desstattliche Erklärung Else Neugarten vom 4.3.1963. 49 LAV NRW R, BR 2182, 17596, 17597, Ei-desstattliche Erklärung Else Neugarten vom 28.2.1963.

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sierer durch. Erst 1942 konnte er dann ein Uhrmachergeschäft in Cali eröff-nen.50 Auch seine Schwester Margot berichtete über die großen Probleme bei der Arbeitssuche. Sie fand in Ko-lumbien keine Stelle und heiratete früh. 1954 zog Margot dann von Kolumbien nach Panama, nachdem ihre erste Ehe geschieden worden war. Sie heiratete erneut und nahm den Namen ihres zweiten Mannes an, Townshend.51 Später wohnte sie in New York und am Ende ihres Lebens in Las Vegas. Sara Else lebte bis zu ihrem Tod am 11. Juni 1966 in Cali. Sie starb an den Folgen ihrer Krankheiten, die sie durch die Verfolgung während des National-sozialismus erlitten hatte. Sie wurde 73 Jahre alt.

Vor einiger Zeit bekam ich einen Artikel aus der kolumbianischen Zeitung „El Tiempo“ von 2007 in die Hände, der im Internet veröffentlicht worden war. Da-rin wird über eine Aktion „Verzeihen und Vergeben“ in Cali berichtet. Kurt Neugarten ist in diesem Artikel als äl-tester Teilnehmer mit 93 Jahren er-wähnt. Für ihn sei Verzeihen wichtiger als Rache.

Kurt Neugarten. Foto: Privat

Helene Hildegard Teitel, geborene Guthmann

Über Helene Guthmann war mir be-kannt, dass sie am 10. August 1895 geboren wurde und dass sie auf der

50 StAW, 250564. 51 StAW, 250521.

Meldekarte ihres Vaters vom 1. Febru-ar 1923 als Tochter eingetragen ist. Weitere Lebensdaten oder Informatio-nen über ihren Tod waren zunächst nicht herauszufinden. Erst eine Suche in der Datenbank von Yad Vashem führte zum Durchbruch. Dort ist Helene als verheiratete Teitel verzeichnet. Auch im Koblenzer Gedenkbuch für die jüdischen Opfer des Nationalsozialis-mus52 steht ihr Name und die Namen ihres Mannes, einer Tochter und eines Sohnes. Durch weitere Archivrecher-chen wurde mir bekannt, dass ein wei-terer Sohn, Wolf-Werner, als vierzehn-jähriger Junge nach Australien dem Terror und Morden der Nazis entkom-men konnte. Aus dem Staatsarchiv Münster bekam ich die Erlaubnis, die Wiedergutmachungsakten einzusehen. Alles was ich über Helene erfuhr, stand in den Berichten, die ihr überlebender Sohn Wolf-Werner an die Wiedergut-machungsstelle geschickt hatte. Nur die Heiratsurkunde stammt aus dem Stadtarchiv Attendorn.

Demnach hat Helene nach dem Ersten Weltkrieg ihren Mann Abraham Teitel kennen gelernt, der als russischer Kriegsgefangener nach Deutschland gekommen und nach Ende des Krie-ges geblieben war. Abraham wurde am 17. Dezember 1891 in Sarnów, Gou-vernement Radomsk, Russland gebo-ren. Erst nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Staat Polen gegründet und so wurde Abraham polnischer Staats-bürger. Das Paar heiratete am 30. September 1923. Ihre Trauzeugen wa-ren Albert Guthmann und Max Neugar-ten. Auf der Heiratsurkunde ist für Helene kein Beruf verzeichnet, und darum ist anzunehmen, dass sie im Haushalt ihrer Eltern gearbeitet hat. Abraham Teitel war von Beruf Berg-mann und wohnte zu der Zeit in Bo-chum-Gerthe.53

52 Gedenkbuch. 53 StAA, Heiratsurkunde Helene Guthmann und Abraham Teitel.

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Das Ehepaar zog nach Herne und dort brachte Helene am 3. Juli 1924 einen Sohn zur Welt, Wolf-Werner. 1929, am 11. Februar, wurde die Tochter Wal-traud Ruth geboren. Von 1927-30 be-trieb Abraham in der Kaiser-Wilhelm-Straße einen Handel mit Obst, Gemü-se und Fisch. Die Familie Teitel besaß auch etwas Land in der Nähe des Schlosses Strünkede, von dem sie ihr Gemüse und Obst bezog. Im Oktober 1931 eröffnete Abraham zwei Fischbratstuben, eine in der Bahnhofstraße 116 in Herne und eine in Gelsenkirchen-Buer. Helene arbeite-te dort mit und eröffnete am 9. Mai 1933 eine Gemüsehandlung in Herne, die sich aber nur bis zum September halten konnte. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits die Nazis an der Regie-rung und im Raum Herne wurden be-sonders die „Ostjuden“ boykottiert. Be-reits aus dem Winter 1932/33 ist be-kannt, dass vor und in der Fisch-bratstube in Herne uniformierte SS- oder SA-Mitglieder die Kunden beläs-tigten und unter Druck setzten.54 Auch die Fischbratstuben musste das Ehe-paar wieder aufgeben, das genaue Datum lässt sich nicht mehr ermitteln.

Wolf-Werner, Abraham, Helene und

Waltraud Teitel. Repro: Familie Teitel

Zum Glück besaß die Familie Teitel inzwischen ein eigenes Haus mit meh-reren Wohnungen in der Kampstraße

54 LAV NRW W, Regierung Arnsberg – Wie-dergutmachungen, Nr. 165327.

14 in Herne. So verfügten sie in dieser schweren Zeit über ein festes Ein-kommen aus Mieteinnahmen. Albert Guthmann hatte das Haus am 31. De-zember 1931 für 2000 Goldmark ge-kauft und seiner Tochter Helene als Erbteil geschenkt.55 In den Wiedergut-machungsakten von Wolf-Werner Tei-tel befinden sich eine Abtretungsur-kunde des vorherigen Besitzers und eine Bewilligung für die Eintragung in das Grundbuch. Abraham Teitel arbei-tete nach der Machtübernahme Hitlers als Gelegenheitsarbeiter, zum Beispiel in einem Stuckgeschäft, als Kellner und in einem Fuhrbetrieb. 1938 war er als Hilfsarbeiter an der Autobahn Recklinghausen beschäftigt.56

Der Sohn Wolf-Werner besuchte die jüdische Volksschule. Helene hätte ihren Sohn 1934 gerne auf die Ober-schule geschickt, damit er Zahnarzt würde. Da aber schon zu dieser Zeit die jüdischen Kinder nur unter großen Schwierigkeiten an weiterführenden Schule angenommen wurden, blieb er bis zu seinem Abschluss 1938 auf der jüdischen Volksschule. Nach seiner Schulentlassung begann er als Arbei-ter bei einem Metzger in Essen-Steele. Die jüdischen Metzger durften in dieser Zeit keine Lehrlinge mehr ausbilden. Auch eine Fortbildungsschule durfte Wolf-Werner nicht mehr besuchen. So wurde ihm jede Möglichkeit genom-men, einen Beruf zu erlernen.57

Von seiner Schwester Waltraud sind außer zwei Photographien keine Zeugnisse erhalten. Beide Kinder Helenes und Abrahams erlebten in

55 Der Brief über diese Schenkung befindet sich laut Angaben in der in der Alte LAV NRW W, Regierung Arnsberg – Wiedergutmachun-gen, Nr. 165327 in einer Akte „Guthmann Tes-tamentsangelegenheit Reg.Nr. 797“, die nicht aufzufinden ist. 56 LAV NRW W, Regierung Arnsberg – Wie-dergutmachungen, Nr. 165327. 57 LAV NRW W, Regierung Arnsberg – Wie-dergutmachungen, Nr. 619050.

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ihrer Kindheit und Jugend die zuneh-mende Entrechtung und Diffamierung der jüdischen Bevölkerung und wuch-sen unter unsicheren Bedingungen auf. Ihr kleiner Bruder Isidor wurde am 16. Oktober 1938 geboren. 12 Tage später begannen die ersten Deportati-onen von Juden aus Deutschland.

Am 28. Oktober 1938, um fünf Uhr morgens, wurde Wolf-Werner von Kri-minalbeamten geweckt. Sie verhafte-ten ihn und internierten ihn in einer Turnhalle. Am gleichen Tag wurde auch sein Vater Abraham festgenom-men.58 Einen Tag später transportierte man sie und bis zu 17.000 weiterer Juden an die deutsch-polnische Gren-ze, wo sie von Polizisten ins Nie-mandsland getrieben wurden. Bei die-ser Aktion starben mehrere ältere De-portierte an den Strapazen, einige begingen Selbstmord. Die NS-Regierung nahm für diese Vertrei-bungsaktion ein polnisches Gesetz zum willkommenen Anlass, um eine große Zahl der in Deutschland leben-den Juden zu vertreiben. Die polnische Regierung plante, zum 30. Oktober 1938 den polnischen Staatsangehöri-gen, die im Ausland lebten, ihre Staatsangehörigkeit zu entziehen.59

Wolf-Werner Teitel schreibt, sein Vater habe vor 1933 die deutsche Staats-bürgerschaft angenommen. Aufgrund eines Gesetzes über die Aberkennung und den Widerruf von Einbürgerungen wurde ihm diese von den nationalsozi-alistischen Behörden wieder aber-kannt. Damit besaß die ganze Familie die polnische Staatsangehörigkeit.60

Zwei Tage blieben die Deportierten ohne Verpflegung im Niemandsland, da die polnischen Grenzbeamten sie

58 LAV NRW W, Regierung Arnsberg – Wie-dergutmachungen, Nr. 619050. 59 Vgl. Enzyklopädie des Holocaust, S. 1622-1625. 60 LAV NRW W, Regierung Arnsberg – Wie-dergutmachungen, Nr. 165327.

nicht nach Polen einreisen ließen. Sie wurden dann bei Zbąszyń in ein um-zäuntes Barackenlager eingewiesen. Am 20. April 1939 konnte Wolf-Werner auf Veranlassung des Polish-Jewish-Relief-Funds das Lager mit einem Kin-dertransport verlassen. Der Transport führte nach Gdynia und von dort über London nach Australien. Wolf-Werner kam am 28. Mai 1939 in Melbourne an.61

Durch diese grausame Aktion wurde die Familie Teitel auseinandergerissen. Der kleine Isidor war erst 12 Tage alt und seine Mutter krank. So konnte Helene mit dem Neugeborenen und der zehnjährigen Waltraud zunächst in Herne bleiben und sich um die zur Ausreise vorgesehenen Formalitäten kümmern. Die bürokratischen Hürden und Gesetzgebungen, wie die soge-nannte Reichsfluchtsteuer von 1934, hatten zum Ziel, die aus Deutschland Vertriebenen auch noch ihres Vermö-gens zu berauben.

Helene, Waltraud, Isidor und Abraham Teitel.

Repro: Familie Teitel, Australien

61 LAV NRW W, Regierung Arnsberg – Wie-dergutmachungen, Nr. 165326.

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Helene musste sich unter anderem bescheinigen lassen, dass sie keine Steuerrückstände hatte und beantra-gen, ihren Haushalt nach Polen schi-cken zu dürfen. Alle Gegenstände, die sie mitnehmen wollte, waren akribisch aufzulisten. Für jedes Teil, ob Kinder-hemdchen, Unterröckchen, Kleidchen, Schürzchen, Waschbrett oder Ein-machkessel mussten Preis und Zeit-punkt der Anschaffung angeben wer-den, damit das Devisenamt kosten-pflichtig prüfen konnte, ob ihr gestattet würde, diese Dinge mitzunehmen.62 Ihr Mann Abraham durfte am 1. Juli 1939 noch einmal nach Hause zurückkeh-ren, um seine Angelegenheiten zu re-geln.63 Am 30. Juli 1939 musste die ganze Familie Deutschland verlassen. Sie wohnte nun in Dombrowa (Dąbro-wa Górnicza) in der Nähe von Katto-witz. Nachdem die deutsche Wehr-macht Polen überfallen und besetzt hatte, wurde die jüdische Bevölkerung in Ghettos umgesiedelt. Auch Helene, Abraham, Waltraud und Isidor Teitel lebten nun in einem Ghetto in Dombrowa.

Wolf-Werner stand noch bis 1943 in Briefkontakt mit seinen Eltern und Ge-schwistern, danach hörte er nichts mehr von ihnen. Laut Aussagen einiger Zeugen wurde die Familie Teitel in ein Konzentrationslager verschleppt.64 Wo sie starben, ist nicht bekannt. Sie wur-

62 LAV NRW W, Regierung Arnsberg – Wie-dergutmachungen, Nr. 165327. 63 Nach einer Vereinbarung der polnischen und deutschen Regierung im Januar 1939 konnten die Deportierten für einen kurzen Zeitraum wieder nach Deutschland einreisen, um ihre finanziellen Angelegenheiten abzuwickeln und ggf. ihre Geschäfte aufzulösen. Dieses „Ent-gegenkommen“ nutzte faktisch vorrangig dem NS-Regime, da alle Einnahmen aus den Ge-schäftsauflösungen auf Sperrkonten eingezahlt werden mussten, auf die die Betroffenen kei-nen Zugriff hatten. Vgl. Enzyklopädie des Ho-locaust, S. 1624. 64 LAV NRW W, Regierung Arnsberg – Wie-dergutmachungen, Nr. 165326.

den mit Datum vom 8. Mai 1945 für tot erklärt.

Stolperstein für Helene Hildegard Teitel, geb. Guthmann, in der Bleichergasse. Foto: Birgit Haberhauer-Kuschel

Wolf-Werner Teitel, der mit 14 Jahren seine Familie verlassen und ganz al-lein in einem fremden Land zurecht-kommen musste, arbeitete in Australi-en zunächst als Hilfsarbeiter auf ver-schiedenen Farmen. Er versuchte, ei-ne Lehrstelle als Metzger zu finden, aber es ergab sich keine Möglichkeit dazu. Schließlich fand er eine Arbeit als Weber. Ab 1942 wurde er für zwei Jahre in eine Arbeitskompanie des Mi-litärs eingezogen. 1944 ging er wieder in die Textilbranche zurück und eröff-nete mit zwei Teilhabern eine kleine Strickerei in Melbourne. Im gleichen Jahr heiratete er Betty Aloni. Sie be-kamen drei Kinder: Helen Ruth, gebo-ren am 13. Juni 1945, Jeffrey, geboren am 28. Mai 1948 und Deborah Wal-traud, geboren am 8. Juni 1955. Wolf-Werner Teitel war durch die Verhaf-tung und Verfolgung erkrankt. Er litt an sein Leben lang an einem nervösen Hautleiden.65 Er war der einzige Über-lebende seiner Familie.

65 LAV NRW W, Regierung Arnsberg – Wie-dergutmachungen, Nr. 619050.

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Durch Hilfe des polnischen ehemaligen Zwangsarbeiters Herrn Zygmunds, der in Melbourne lebt, bekam ich Kontakt zu den Kindern Wolf-Werner Teitels. Helen, die älteste Tochter, erzählte von ihrem Vater, dass er niemals mehr ein Wort Deutsch gesprochen und jeden Kontakt zu Deutschland abgebrochen habe. Zu traumatisch war die Erfah-rung der Verfolgung in seiner Heimat. Auch seine Tochter Deborah erklärte, dass sie Deutschland nie besuchen würde. Helen dagegen hat nun begon-nen Deutsch zu lernen und plant, die frühere Heimat ihres Vaters zu besu-chen. Sie möchte die Städte und Orte sehen, in denen er und seine Familie zu Hause waren.

Josef Lothar Guthmann

Josef Lothar wurde als viertes und letz-tes Kind von Karolina und Albert Guth-mann am 20. Juni 1898 im Haus am Graben in Attendorn geboren. Er be-suchte die katholische Volksschule bei Lehrer Rueggenberg. Aus dieser Zeit ist ein Schulphoto erhalten und ebenso eine Photographie vom Waldfest des Männergesangvereins Cäcilia von 1921.66

Lothar erlernte, wie sein Großvater Moses und sein Vater Albert, das Metzgerhandwerk. Am 24. Oktober 1924 verließ er Attendorn und zog für zwei Monate nach Hagen. Dies ist auf seiner Meldekarte vermerkt.67 Warum er nach Hagen zog, ist nicht bekannt. Vielleicht hat er dort seine Meisterprü-fung abgelegt. Anschließend lebte er weiter im Hause seiner Eltern in At-tendorn und arbeitete wieder mit sei-nem Vater in der Metzgerei zusam-men. Lothar lernte Rosa Friedmann, geboren am 5. November 1895, aus Höchheim kennen, und sie heirateten am 23. Dezember 1928.

66 Hosenfeld 2006, S. 163-164. 67 Bürgerbüro Attendorn, Meldekarte Lothar Guthmann.

Hochzeit von Lothar und Rosa Guthmann am 23. Dezember 1928. Repro: Familie Teitel.

Auf ihrem Hochzeitsphoto sind Lothars Eltern, seine Schwester Sara Else mit ihrem Mann Max und den Kindern Kurt und Margot, Helene, die zu der Zeit schwanger mit Waltraud war, Abraham Teitel mit dem Sohn Wolf-Werner und die Schwester Rosas, Hedwig, und natürlich das Hochzeitspaar versam-melt. Die Trauzeugen waren Gustav Friedmann, der Bruder Rosas, und Josef Wolfrom, beide aus Höchheim. Die Familie Friedmann besaß in Höch-heim das Haus Nr. 41 mit Holzhalle, Viehstall, Scheuer, Wagenhalle, Äckern, Wiesen, Küchengarten und Krautland.68 Lothar und Rosa wohnten mit im Hause von Rosas Mutter Berta, wie auch Hedwig und Gustav Fried-mann. Das Ehepaar blieb kinderlos. Lothar übte auch in Höchheim das Metzgerhandwerk aus.

Mit dem Nationalsozialismus begann auch für die Juden in Franken eine Zeit der Einschränkung, Boykottierung, Dif-famierung und der Verbote. Die Re-pressalien wurden von Jahr zu Jahr entwürdigender und einschneidender. Am 17. August 1938 wurde ein Gesetz erlassen, das alle Juden zwang, bei den Standesämtern ihrer Geburtsorte den Namen Israel bzw. Sara als zwei-ten Vornamen eintragen zu lassen. Auch Lothar teilte dieses am 13. De-

68 StAWÜ, Finanzamt Würzburg, Vermögens-kontrollakten 1444, Nr. 2.

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zember 1938 dem Standesamt At-tendorn mit. Dieser Eintrag wurde 1946 wieder gelöscht. 69

Geburtsurkunde von Josef Lothar Guthmann mit Vermerken zum weiteren Vornamen „Isra-el“. PStA Detmold, Signatur P6/17 Nr. 151

Ob auch Lothar nach der Emigration seiner Schwester Sara Else und der Deportation der Familie Teitel erwog, das Land zu verlassen, lässt sich im Nachhinein nicht mehr feststellen. Nach Kriegsbeginn 1939, den Lothar als einziger Angehöriger der Familie Guthmann noch in Deutschland erleb-te, wurde die Emigration nahezu un-möglich.

1942 traf auch Lothar und Rosa Guth-mann und Gustav Friedmann das Schicksal der Deportation nach Polen. Die Außendienststelle Würzburg der Gestapostelle Nürnberg-Fürth stellte am 3. April 1942 eine „Liste der zu evakuierenden Juden aus Mainfran-ken“ zusammen. „Evakuierung“ oder auch „Umsiedlung“ bedeutete im Sprachgebrauch der Nationalsozialis-ten nichts anderes als die Deportation. Auf der Liste stehen Gustav Friedmann

69 LAV NRW OWL, Personenstandsarchiv Westfalen-Lippe, Attendorn, Geburtsurkunde Nr.63/1898.

unter der laufenden Nummer 303 und der Evakuierungsnummer 585, Lothar Guthmann unter der laufenden Num-mer 304, Evakuierungsnummer 586, und die laufende Nummer 305 mit der Evakuierungsnummer 587 bekam Ro-sa Guthmann zugeteilt. Diese Auflis-tung ist das letzte schriftliche Zeugnis über das Leben Lothar Guthmanns, seiner Frau Rosa und seines Schwa-gers. Am 25. April 1942 wurden sie mit dem 3. Transport von Juden aus Main-franken nach Ostpolen deportiert.70

Diese Deportation war die größte aus Mainfranken und führte in den Kreis Krasnystaw, nach Izbica.71 Izbica war vor dem Krieg ein jüdisches Schtetl mit 4-6.000 Einwohnern gewesen. Nach-dem die Deutschen den Ort besetzten, wurde er zum Ghetto, in das die polni-schen Juden aus der Umgebung ein-geschlossen wurden. Ab 1942 wurden auch aus Westeuropa Juden dorthin deportiert,72 so auch Rosa und Lothar Guthmann und Gustav Friedmann.

Diese Deportationen waren Teil der „Aktion Reinhard“. Die „Aktion Rein-hard“ wurde bereits am 31. Juli 1941 von Göring in Auftrag gegeben. Unter der Leitung des späteren Namensge-bers Reinhard Heydrich wurde ein Konzept zur Vernichtung der europäi-schen Juden entwickelt. Auf der Wannsee-Konferenz im Januar 1942 wurde die Umsetzung beschlossen. Schon im November 1941 hatte die SS mit dem Bau eines Vernichtungslagers bei dem kleinen Ort Bełzec im Osten Polens begonnen. Bełzec und die im Frühjahr 1942 errichteten Lager Sobi-bor und Treblinka waren keine Kon-zentrationslager, sondern ausschließ-lich Orte der industriellen Massenver-nichtung durch Gas. Um diese Zentren der „Aktion Reinhard“ herum entstan-

70 StaWÜ, Gestapostelle Würzburg, Signatur 18876. 71 Vgl. Kappner 2003. 72 Vgl. Blatt 2000.

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den eine ganze Reihe kleinerer Zwangsarbeitslager und sogenannter Durchgangsghettos, in denen die de-portierten Juden auf ihren Weitertrans-port in die Vernichtungslager warten mussten.73 Izbica wurde zu einem Zwi-schenlager für Sobibor. Das Leben, das die Deportierten dort führten, kön-nen wir uns nicht vorstellen. Erschie-ßungen waren an der Tagesordnung und der Hunger und die Wohnverhält-nisse waren katastrophal.74 Ob die Familien Guthmann und Friedmann Izbica überlebt haben, ist heute nicht mehr festzustellen. Falls sie noch ins Vernichtungslager Sobibor gekommen sind, wurden sie dort sofort mit Koh-lenmonoxyd in den hermetisch abge-schlossenen Gaskammern ermordet. Sie mussten sich ausziehen, ihr gan-zes Hab und Gut liegen lassen und nackt einen 150 Meter langen Weg, der mit Stacheldraht umzäunt war, in die Gaskammern gehen. Wenige jüdi-sche Gefangene wurden aus den an-kommenden Transporten ausgeson-dert, um die Koffer, Kleidungsstücke und Wertsachen der Ermordeten ein-zusammeln und zu sortieren und die Leichen der Opfer in Massengräbern zu vergraben und später zu verbren-nen. Diese Menschen überlebten ihre Angehörigen noch maximal um einige Monate, bevor sie selber vergast wur-den. Am 14. Oktober 1943 wagten Häftlinge dieser Arbeitskommandos einen Aufstand. Sie töteten mehrere SS-Männer und 300 Gefangene konn-ten zunächst aus Sobibor fliehen. Von diesen haben nur 46 Menschen den Krieg überlebt. Nach dem Aufstand wurden alle im Lager verbliebenen jü-dischen Gefangenen erschossen. Cir-ca 500.000 Juden wurden in Sobibor ermordet.75 Der „Aktion Reinhard“ fie-

73 Vgl. Enzyklopädie des Holocaust, S. 14-18. 74 Vgl. Blatt 2000. 75 Zum Vernichtungslager Sobibor vgl. Blatt 2000; Enzyklopädie des Holocaust, S. 1330-1334; Schelvis 1998.

len insgesamt bis zu 2.000.000 Men-schen zum Opfer.76

Rosa und Lothar Guthmann, Berta, Gustav und Hedwig Friedmann aus dem Hause 41 in Höchheim wurden am 8. Mai 1945 für tot erklärt.

Stolperstein für Lothar Guthmann in der Blei-chergasse. Foto: Birgit Haberhauer-Kuschel

Ich wollte in diesem Bericht ein Stück Attendorn und seine traurige Geschich-te während der Nazizeit darstellen. Er soll dazu beitragen, dass die Lebens-wege der fast vergessenen Familie Guthmann nicht ganz verloren gehen.

Abkürzungen

BR Behördenarchiv Rheinland LAV NRW OWL Landesarchiv NRW Ostwestfalen-Lippe, Detmold LAV NRW R Landesarchiv NRW Abt. Rheinland Standort Düsseldorf LAV NRW W Landesarchiv NRW Abt. Westfalen - Staatsarchiv Münster StAA Stadtarchiv Attendorn StAMG Stadtarchiv Mönchenglad-bach StAW Stadtarchiv Wuppertal StAWÜ Staatsarchiv Würzburg

76 Vgl. Enzyklopädie des Holocaust, S. 14-18.

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QUELLEN- UND LITERATURVER-ZEICHNIS

Mündliche Quellen/Gespräche mit Zeit-zeugen: Frau Hedwig Albus, Herr F., Frau Else Henkel geb. Voß, Herr Josef Hormes, Frau Gretl Jaroschewski, Frau S., Frau Margret Lützeler, Herr Franz-Josef Voss

Veröffentlichte Quellen: Adressbuch für die Stadt und den Kreis Olpe, 1899. Blatt, Thomas, Nur die Schatten bleiben. Der Aufstand im Vernichtungslager Sobi-bor, Berlin 2000. Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfol-gung und Ermordung der europäischen Juden, hrsg. von Israel Gutman u.a., Mün-chen/Zürich 1995.

Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-45, Bundesarchiv, Koblenz 1986.

Hosenfeld, Hartmut, Jüdisch in Attendorn. Nachsuche. Die Geschichte der ehemali-gen jüdischen Gemeinde in Attendorn. Jüdisches Leben im Kreis Olpe, Bd. IV, hrsg. vom Landrat des Kreises Olpe, Kreisarchiv, Attendorn 2006.

Kappner, Cordula, „... die sind dann ein-fach fortgekommen ...“. Jüdische Bürger im Landkreis Hassberge, Haßfurth 2003.

Krause, Jochen, Menschen der Heimat - Kreis Olpe. Teil 2: 34-60, Olpe 1987.

Schelvis, Jules, Vernichtungslager Sobi-bor. Aus dem Holländ. von Gero Deckers. (Reihe Dokumente, Texte, Materialien/ Zentrum f. Antisemitismusforschung der TU Berlin; 24), Berlin 1998.

Verzeichnis der alten und neuen Haus-nummern und der Hauseigentümer der Stadt Attendorn, 1909.

Ungedruckte Quellen: Bürgerbüro Attendorn: Bürgerbüro Attendorn, Meldekarten Albert Guthmann, Karolina Guthmann, Lothar Guthmann, Max Neugarten.

Gemeindearchiv Finnentrop: Jüdische Synagogenangelegenheit 1841-1937, 811.

Landesarchiv NRW Ostwestfalen-Lippe, Detmold: LAV NRW OWL, Personen-standsarchiv Westfalen-Lippe, Attendorn, Geburtsurkunde Nr. 4/1892, 23/1893, 71/1895, 67/1898.

Landesarchiv NRW Abt. Rheinland Stand-ort Düsseldorf: LAV NRW R, BR 2182, 17596, 17597. LAV NRW R, BR 2182, 1753.

Staatsarchiv Münster/ Landesarchiv NRW Abt. Westfalen: LAV NRW W, Regierung Arnsberg – Wie-dergutmachungen, Nr. 619050. LAV NRW W, Regierung Arnsberg – Wie-dergutmachungen, Nr. 165327. LAV NRW W, Regierung Arnsberg – Wie-dergutmachungen, Nr. 165326.

Stadtarchiv Attendorn : StAA B 256, S. 35. StAA D 452 V 40, I II. StAA V 40, 5III. StAA C 332 StAA C 756 StAA B 441 StAA B 681

Heiratsurkunde Helene Guthmann und Abraham Teitel.

Register der Juden. Amtsgericht Olpe, Abschrift von Otto Höffer.

Stadtarchiv Mönchengladbach: StAMG, Akte 25 C 5899, 25 C 6127.

Stadtarchiv Wuppertal: StAW, 250297. StAW, 250521. StAW, 250564.

Staatsarchiv Würzburg: StAWÜ, Gestapostelle Würzburg, Signatur 18876. StAWÜ, Finanzamt Würzburg, Vermö-genskontrollakten 1444, Nr. 2.

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Das Vermächtnis des Johann Baptist Molitor und Johann Heinrich Jung, gen. Stilling

Von Dr. med. Klaus Pfeifer

Der Siegerländer Johann Heinrich Jung, genannt Stilling, war ein sehr vielseitiger Mensch. Er hat in seinem Leben mancherlei Berufe ausgeübt. Dabei lernte er alle Höhen und Tiefen des Berufslebens kennen.

Eine besonders erfolgreiche und be-glückende Zeit verbrachte er in Kräh-winklerbrücke bei Radevormwald. Dort trat er im Jahre 1763 in die Dienste des Kaufmanns und Eisenfabrikanten Peter Johannes Flender. Er war dort nicht nur Kaufmannsgehilfe und Ver-walter eines Teils der Flenderschen Fabriken, sondern auch Hauslehrer der Flenderschen Kinder – also sozusagen ein „Mädchen für Alles“. Daneben bil-dete er sich selbst ständig weiter und erlernte im Selbststudium Lateinisch, Hebräisch und die griechische Spra-che. Diese Sprachstudien erforderten natürlich geeignete Lehrbücher, die nicht gerade billig waren. Aber es gab auch damals schon Bibliotheken, die solche Bücher an Interessierte auslie-hen. Eine solche Bibliothek fand Jung in erreichbarer Entfernung von Rade-vormwald, nämlich in Iserlohn. Dort lebte eine Familie Varnhagen, aus der fast 300 Jahre lang Vikare, Lehrer und sonstige Honoratioren Iserlohns stammten. Sie besaßen mit der Zeit eine Büchersammlung, die alle für Jung in Frage kommenden Bücher be-inhaltete. Diese Varnhagensche Biblio-thek besteht heute noch. Sie ist nicht groß, und wird heute von der evangeli-schen Kirche betreut. Johann Heinrich Jung war sicher ein eifriger Leser der

Büchersammlung Varnhagen, die für ihn ja noch fußläufig erreichbar war.

Circuli Westphaliae – Homann 1750. Aus-schnitt mit den Orten Radt Vorden Wald (linke Hälfte oben), Iserlohn (oberer Bildrand), At-tendorn (rechts von der Bildmitte) und Siegen (rechte Bildhälfte unten). Quelle: Die Westpha-len-Edition, K. Lindenlaub

Im Jahr 1767 riet Flender seinem flei-ßigen und tüchtigen Gehilfen Jung, er hätte doch das Zeug dazu, Medizin zu studieren und Arzt zu werden. Dieser Vorschlag muss Johann Heinrich Jung gefallen haben, und er gefiel offenbar auch seinem Paten, dem Bergmeister Johann Heinrich Jung. Dieser war, ob-wohl protestantischen Glaubens, be-freundet mit dem katholischen Priester Johann Baptist Molitor in Attendorn. Molitor suchte gerade, weil er sein En-de nahen fühlte, einen Nachfolger für seine heilkundlichen Bestrebungen, denn er war neben seinem geistlichen

Die Varnhagensche Bibliothek hat damals

noch nichts mit der späteren Salonistin Rahel Varnhagen van Ense zu tun.

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Amt noch als ein vielgesuchter und erfahrener Laienarzt tätig. Besonders erfolgreich war Molitor offenbar bei der Behandlung von Augenkrankheiten. Sein Nachfolger sollte ein am Medizin-studium interessierter Mann sein, und er wollte ihm seine in vielen Jahren entstandenen Aufzeichnungen medizi-nischer Art, sowie seine Bücher und Instrumente übergeben. Er müsse ihm dafür allerdings versprechen, Augen-kranke stets kostenlos zu behandeln.

Jung suchte Molitor in Attendorn auf, wozu er einen Fußmarsch von 10 Stunden zurücklegen musste. Sein Gönner lieh ihm dort seine Aufzeich-nungen aus, damit er sich eine Ab-schrift davon anfertigen solle. Außer-dem erhielt Jung wohl die medizini-schen Bücher Molitors zur Lektüre.

„Molitors Segen“. Kupferstich. Archiv des Stiftes Keppel

Diese Laienärzte waren keine Kurpfuscher,

sondern Gutsbesitzer, Fabrikanten oder Geist-liche, die sich medizinische Kenntnisse ange-eignet hatten, um auf dem Lande, wo es kaum studierte Ärzte gab, unentgeltliche Hilfe in Not-fällen und bei Krankheiten zu leisten.

Vier Wochen brauchte Jung, bis die Abschrift fertig war. Er machte sich danach wiederum auf den Weg nach Attendorn, das zur Abschrift ausgelie-hene Original-Manuskript Molitors und die ausgeliehenen Bücher im Gepäck. Als er Attendorn erreichte, musste er erfahren, dass sein Gönner acht Tage zuvor, am 20.07.1768, unversehens an einem Schlaganfall verstorben sei. Er habe kein Testament hinterlassen.

Seit diesem Tag waren sowohl das Original-Manuskript wie auch die Ab-schrift Jungs verschollen. In keiner Bib-liothek verzeichnete ein Katalog eine entsprechende Schrift. Der Verfasser erforscht seit 1970 Leben und Werk Jungs-Stillings, wurde aber auch nicht fündig, was das Vermächtnis Molitors anging. Ein von ihm verfasste „Jung-Stilling-Bibliographie“ erfasste nach Recherchen an 53 Bibliotheken des In- und Auslandes zwar 940 Schriften Stil-lings oder Schriften über Stilling, aber das gesuchte Manuskript Molitors war nirgends verzeichnet. Auch eine neue Recherche im Jahre 1980 hatte kein anderes Ergebnis.

Bei dieser Sachlage wurde allgemein angenommen, dass Molitors Ver-mächtnis verloren sei. Bestärkt wurde diese Meinung auch dadurch, dass Jung-Stilling, der zeitlebens einen sehr ausgedehnten Briefwechsel mit Men-schen in aller Welt führte, von Zeit zu Zeit aus Platzmangel einige Tausend beantwortete Briefe zu vernichten pflegte. Auch war früher Papier, selbst wenn es einseitig beschrieben war, immer noch wertvoll, beispielsweise

Pfeifer, Klaus: Jung-Stilling-Bibliographie.

Siegen 1993

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als Umhüllung oder als Einschlagpa-pier.

Schriftprobe Jung-Stillings von 1175. Archiv Dr. Berneaud-Kötz

Auch von anderen Autoren wurde gern und ausgiebig über den Verbleib der Molitorschen Aufzeichnungen speku-liert, so im Jahre 1924 von dem Vikar Franz Josef Tusch aus Attendorn, ei-nem Amts-Nachfolger Molitors.

Erst die genauere Kenntnis der Le-bensumstände von Johann Heinrich Jung ließ dem Verfasser die Angele-genheit aber dann in einem anderen Licht erscheinen. Bei genauer Überle-gung erschien es ihm doch ganz un-wahrscheinlich, dass ein so redlicher und frommer Mann, wie es Jung war, das ausgeliehene Original Molitors (und wohl auch dessen ausgeliehene Bücher) sich angeeignet oder in At-tendorn an irgend eine ihm unbekannte Person ausgehändigt haben könnte. Die Vermutung drängte sich auf, dass Jung vielmehr darauf bedacht gewe-sen sein müsse, Molitors Eigentum der Nachwelt zu erhalten, zumal er ja für seinen eigenen Bedarf eine Abschrift angefertigt hatte. Da lag es doch viel

Tusch, Franz Josef: Attendorn – Molitor –

Stilling – Goethe. In: Trutz Nachtigall, Jg. 1924, Bd. 6, H. 5, S. 150-156

näher, anzunehmen, dass Jung diese Materialien der ihm so gut bekannten und vertrauenswürdigen Varnhagen-schen Bibliothek in Iserlohn zur Auf-bewahrung übergeben haben könnte.

Eine Anfrage bei der Leiterin der Bib-liothek, Frau Pfarrerin Zywitz, hatte denn auch Erfolg. Sie fand tatsächlich mehrere handbeschriebene Blätter, die in einen Folianten mit allerlei Papieren zusammen eingebunden waren, und die offenbar aus dem 18. Jahrhundert stammten. Die Buchstaben dieser Handschriften gehören nämlich zu der sogenannten „deutschen Kurrent-schrift“, die im 18. Jahrhundert allge-mein verwendet wurde.

Zwei Seiten aus dem Manuskript Molitors. Bibliothek Varnhagen, Iserlohn

Der Text war teils in deutscher, teils in lateinischer Sprache abgefasst. Er ließ sogleich erkennen, dass es sich um medizinische Inhalte drehte. Das Schriftbild auf diesen Blättern war auf ihnen allen gleich. Die Blätter waren auf keinen Fall von Jung beschrieben worden, wie ein Vergleich mit einem Text aus Jungs Feder, ebenfalls aus dem 18. Jahrhundert, zeigte. Vielmehr glich das Schriftbild vollständig einem Text von Molitor, wie ein Vergleich mit zwei von ihm signierten Blättern zeigte, die das Archiv des Erzbistums Pader-

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born dem Verfasser freundlicherweise als Kopie überließ.

Entscheidend war nun aber, inwieweit es sich auch inhaltlich um das seit 1768 vermisste Manuskript Molitors handelte. Da konnte nur ein Vergleich des Inhalts mit medizinischen Äuße-rungen Jungs weiter helfen. Zum Glück hatte der Verfasser schon im Jahre 1996 die in den Schriften Jung-Stillings verstreuten Äußerungen über medizi-nische Fragen und Rezepte gesam-melt und in lexikalischer Form in einem „Jung-Stilling-Lexikon Medizin“ zu-sammengefasst.

Bei der Untersuchung der einzelnen Blätter des aufgefundenen Manuskrip-tes ergab sich nun folgendes Bild. Das erste Blatt war ohne Datum und trug die Überschrift „Sectio I ff“, also „Erster Abschnitt und folgende“. Darunter stand „Caput I“ (also: „Erstes Kapitel“). Unter dem Titel „de Febre tertiana“ (=„über das dreitägige Fieber“) stand in lateinischer Sprache der eigentliche Text. Er lautete, ins Deutsche über-setzt:

„§1. Die Heilung der Krankheiten, so-weit sie vernünftig sein soll, ist nichts anderes, als die Beseitigung ihrer Ur-sachen; schon die Alten sagten: Krankheiten zu heilen ist nichts ande-res, als ihre Ursachen zu beseitigen. Eifrig sei deshalb der Arzt, um ihre hauptsächlichen Ursachen zu erfor-schen, die sowohl durch grundsätzli-che Krankheitszustände, wie durch natürliche Einflüsse hervorgerufen werden. Aber für uns sind letztlich die Indikationen wichtig, was geschehen

Pfeifer, Klaus: Jung-Stilling-Lexikon Medizin.

Siegen 1996, 208 S.

kann, und mit deren hilfreicher Anwen-dung Änderungen erreicht werden...“ Der Rest dieser offenbar das Manu-skript einleitenden Zeilen endet leider am unteren Blattrand und ist offen-sichtlich unvollständig.

Deutsch-lateinische Schriftprobe Molitors von 1758. Archiv des Erzbistums Paderborn

Das sind Ansichten, die sich von unse-rer modernen Art der Krankheitsbe-trachtung kaum unterscheiden, obwohl sie bereits vor über 200 Jahren nieder-geschrieben worden sind. Leider bricht der Text ab, ehe die Sprache auf das „dreitägige Fieber“ kommt, das auch bei Jung-Stilling unter den Aufzählun-gen der verschiedenen Fieberarten in einem seiner Werke später eine Rolle spielt. Er unterschied außerdem noch die Faulfieber, kalte Fieber, hitzige Fieber, Ausschlagfieber und Gallenfie-ber voneinander.

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Das zweite Blatt ist überschrieben mit „Sect. II Cap.XI“ (=„zweiter Abschnitt, Kapitel 11“). Dieses Blatt ist überwie-gend in deutscher Sprache abgefasst. Sein Text behandelt die entzündlichen Augenkrankheiten. Es wird auf diesem Blatt zunächst ein Rezept für Augen-tropfen angegeben und dann ein zwei-tes Rezept für eine Augensalbe (Colly-rium).

Das dritte Blatt schließt sich inhaltlich hier unmittelbar an. Überschrieben ist es mit „de Ophtalmia sanguinea et se-rosa“ (= „von der entzündlichen und nässenden Augenkrankheit“). Wieder werden zunächst Rezepte angegeben, die nach der damaligen Rezeptierkunst abgefasst sind. Zunächst wird die Zu-bereitung einer milchartigen Emulsion angegeben, dann folgt im zweiten Re-zept als hauptsächlicher Bestandteil eine „Pulpa pomi Borsdorffioni“ (also: „Apfelmus von Borsdorfer Äpfeln“). Unter „Borsdorfer Äpfel“ ist aber im Jung-Stilling-Lexikon Medizin (in alter-tümlicher Rechtschreibung) zu lesen:

„Würde die Entzündung so stark seyn

dass alle kalte zusammenziehende

und erweichende Aufschläge nur die

Schmerzen vermehrten, so müsse

man endlich wenn die Schmerzen gar

unerträglich würden zum Borsdorfer

Apfel=Brey seine Zuflucht nehmen.

Dann steht aber der Patient in Gefahr

das Gesicht zu verlieren. Wenn das

Auge aus dem Stern zu eitern anfängt,

der Apfel wie rohes Fleisch aussieht,

und die ganze vordere Augenkammer

voller Eiter ist, so öfnet man die Horn-

haut, so wie man den Staarschnitt

macht und lässt den Eiter heraus, zu-

gleich muss man dann auch die Linse

herausnehmen, weil sie doch hernach

verdunkelt ist, und nun behandelt man

das Auge wie bei der Staaroperati-

on.“

Diese Behandlung mit Apfelmus ist in der zeitgenössischen medizinischen Literatur nur bei Jung-Stilling nachzu-lesen; er hat dies also ganz eindeutig und allein von Molitor übernommen. Damit ist aber auch bewiesen, dass er seine Augenbehandlungen nach Moli-tors Methoden übernommen hat. Er hatte seinem Gönner ja versprochen, dass er sie immer ohne Bezahlung ausführen wolle. Deshalb verwundert es wohl auch kaum, dass auf den fol-genden Blättern des Manuskriptes Dinge aufgeführt sind, die wir dann bei Jung-Stilling nirgends wiederfinden. Offenbar hat er aus dem Molitorschen Vermächtnis wirklich nur die Art über-nommen, wie Molitor Augenkrankhei-ten behandelt hat, während ihn die sonstigen medizinischen Angaben Mo-litors nicht interessiert haben, in denen dieser zum Beispiel auf den folgenden Blättern des Manuskriptes seine Art der Behandlung Rheumakranker oder an Gicht Leidender beschrieben hat.

Jung-Stilling: Methode, den grauen Staar

auszuziehen etc., Marburg 1791,. S. 122-125 Bei dieser Gelegenheit möchte ich mich

ganz herzlich für die vielfältige Hilfe und Unter-stützung bedanken, die mir Frau Pfarrerin Zywitz in Iserlohn, das Archiv des Stiftes Kep-pel und das erzbischöfliche Archiv in Pader-born gewährt haben.

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„Attendorn, die sehenswerte alte Stadt“ – Eine fotografi-sche Stadtwanderung aus dem Jahr 1932

Von Dr. Markus Köster

Die meisten werden sich noch an ihn erinnern: Den heute im Sachunterricht aufgegangenen Heimatkundeunter-richt, der bis in die 1970er Jahre hinein auf dem Stundenplan jedes Volks- bzw. Grundschulkindes stand. Die An-fänge dieses Fachs reichen gut 100 Jahre zurück.

Nachdem der Heimatgedanke schon seit dem Ausgang des 19. Jahrhun-derts zu einem zentralen Anliegen wei-ter Teile es deutschen Bildungsbürger-tums geworden war, erließ das preußi-sche Schulministerium 1908 pädagogi-sche „Weisungen“ zur Heimatkunde im Volksschulunterricht. Neben erdkundli-chen Themen sollten danach „auch die heimatlichen Geschichten, heimatli-chen Sagen, Denkmäler, Bauten u.a.“ sowie Pflanzen, Tiere und Gesteine der Heimat behandelt werden.

Nach dem Ersten Weltkrieg gewannen die Ideen der Heimatbewegung noch an gesellschaftlicher Stoßkraft: Ange-sichts der außenpolitischen Demüti-gungen und innenpolitischen Unruhen erschien vielen der „Schutz von Volk und Heimat sowie die Zurückbesin-nung auf ‚deutsche Art‘, Geschichte und Kultur“ als Voraussetzung ‚natio-naler Wiedergeburt‘. Entsprechend sah auch der Weimarer Staat in der Stär-kung der Heimatliebe ein zentrales bildungspolitisches Ziel. 1921 führte er deshalb Heimatkunde als reguläres Unterrichtsfach für die ersten vier Volksschulklassen in Preußen ein. Diese Entwicklung schuf eine große Nachfrage nach Lehrbüchern, Hand-

reichungen und auch Bildern für die Gestaltung des Heimatkundeunter-richts.

Einer der Pioniere der heimatkundli-chen Bild(ungs)arbeit in Westfalen war der Gründer und langjährige Leiter der Lichtbildstelle des Regierungsbezirks Arnsberg Heinrich Genau (1883-1942). Schon vor dem Ersten Welt-krieg begann der passionierte Lehrer und Fotograf, heimatkundliche Bildrei-hen zusammenzustellen, anfangs über die Stadt und den Kreis Soest, bald aber auch darüber hinaus im ganzen Regierungsbezirk Arnsberg und in an-deren Teilen Westfalens. Die Reihen sollten sowohl die Schulen als auch die außerschulische Jugendpflege mit hochwertigem Bildmaterial unterstüt-zen.

Als vierzigste heimatkundliche Serie seiner Verleihsammlung schuf Heinrich Genau 1932 eine eigene Lichtbildreihe über den Kreis Olpe. Sie trug den Titel „Das südwestliche Sauerland um Big-ge und Lenne, einer der schönsten Teile unserer westfälischen Heimat“ und bestand aus 83 Glasplatten, von denen im Bildarchiv des LWL-Medienzentrums 59 überliefert sind. Im Kreisarchiv Olpe ist die gleiche Bildrei-he sogar bis auf ein Foto vollständig erhalten. In beiden Archiven existiert auch noch das maschinenschriftliche Begleitheft, eine Art Vortragsmanu-skript von immerhin 54 Seiten. In den einleitenden Sätzen dieses Hefts schreibt Genau: „Ist’s zuviel gesagt, wenn das Olper Land um Bigge und

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Lenne zu den schönsten Gegenden des Sauerlands zu rechnen ist? Genau mein lieber Wanderer und Sommer-gast, Du wirst staunen, wenn Du die-ses Ländchen einmal aus eigener An-schauung kennen lernst! Nicht nur prächtige Gebirgs- und Waldlandschaf-ten gibt es hier, sondern auch sonst die Fülle des Sehens- und Bemer-kenswerten. Ganz kurz nenne ich das Biggetal oberhalb Heggen, einen Kon-kurrenten des Hönnetals; Attendorn, sie sehenswerte alte Stadt mit ihrer Attahöhle und der Burg Schnellenberg, dann die Listertalsperre, die land-schaftlich sich mit den schönstgelege-nen Sperrbecken messen kann; die schmucke Kreisstadt Olpe selbst, von wo uns das ganze obere Sauerland offen steht. Im Veischedetal erhebt sich auf hohem Felsen trutziglich die Burg Bilstein, im Lennetal recken sich die Berge 600 bis 700 m steil empor und bilden Landschaften, die unsere Bewunderung erregen, bei Oberhun-dem und Heinsberg erreichen wir bald die Kammhöhe des Rothaargebirges. Das sind nur wenige Punkte, die wir fast wahllos herausgriffen. Nun folge mir, und sieh das schöne Olper Land, wie ich es sah und selbst gestehen mußte, daß ich kaum Schöneres im Heimatland Westfalen kennen gelernt habe.“

Diese sehr freundlichen Worte über den Kreis Olpe bilden den Auftakt zu einer fotografischen „Heimatwande-rung“, die anders als die Eingangsbe-merkungen vermuten lassen, nicht rein touristische Motive präsentiert, son-dern auch wirtschafts-, industrie-, kunst-, kultur- und sozialhistorisch inte-ressante Aspekte ins Bild rückt. Nach-dem sich der Autor zunächst der

Kreisstadt Olpe und dann Drolshagen zugewendet hat, erreicht die fotografi-sche Wanderung mit Bild Nr. 12 über das Listertal das heutige Gebiet der Stadt Attendorn. Ihr bzw. den umlie-genden Dörfern sind insgesamt 37 Fo-tografien gewidmet, also fast die Hälfte der gesamten Kreisreihe. Die Fotos und ihre Begleittexte stellen einerseits eine interessante Momentaufnahme der Stadt in der politisch und wirt-schaftlich krisenhaften Endphase der Weimarer Republik dar, andererseits beleuchten sie, wie Besucher vor fast 80 Jahren unsere Heimatstadt und ihre touristisch-kulturellen Blickfänge wahr-nahmen.

Den Startpunkt bildet die Listertal-sperre, deren Maße der Autor exakt beschreibt:

„Listertalsperre, Sperrmauer“. Foto: H. Genau/ LWL-Medienzentrum für Westfalen

„Die Sperrmauer ist 265 m lang, 42 m hoch, Sohlenbreite 31,8 m, Kronen-breite 6 m. Die Mauerwerksmasse be-trägt 110 000 cbm. Das Nieder-schlagsgebiet der Sperre umfaßt 6,7 qkm, die Staufläche 1,7 qkm. Der Stauinhalt beträgt 22,5 Millionen cbm. Die Gesamtkosten der Sperre betru-gen 5 Millionen Mark. Neben dem rein wirtschaftlichen Wert fördert die ro-

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mantische Lage der Sperre auch den Fremdenverkehr. Von allen Seiten von bewaldeten Höhenzügen eingeschlos-sen, ist die Listertalsperre eine bestens bekannte Erholungs- und Ausflugsstät-te. Es ist nicht zuviel gesagt, daß die Listertalsperre eine der landschaftlich hervorragendst gelegenen Talsperren ist.“

Als nächstes stellt Heinrich Genau das heute längst in den Fluten der Bigge-talsperre versunkene Listernohl vor:

„Listernohl“. Foto: H. Genau/ LWL-

Medienzentrum für Westfalen

„Das freundliche Dorf Listernohl liegt am Ausgange des anmutigen, ab-wechslungsreichen Listertales. Se-henswert ist die mit alten Inventarstü-cken ausgestattete Pfarrkirche. Eine an der Kirche angebrachte Inschriftta-fel besagt, daß das Gut Listernohl 1423 vom Kloster Ewig gegründet, 1803 säkularisiert und 1818 verkauft wurde. 1903 hat Domkapitular Prof. Dr. Schnütgen die Gebäude für die Zwe-cke des öffentlichen Gottesdienstes wieder herstellen lassen. (Prof. Dr. Schnütgen, ein Sohn und Wohltäter der Gemeinde, war der Begründer des berühmten ‚Schnütgen-Mueums‘ in

Köln). Neben der Listernohler Pfarrkir-che liegt das ebenfalls von Schnütgen erbaute Schwesternheim, ein architek-tonisch interessanter Fachwerkbau. Die Industrie in Listernohl, die jahr-zehntelang in bester Blüte stand, ist leider in den letzten Jahren ständig zurückgegangen. Erfreulicherweise hat der Verkehr der Sommergäste, be-günstigt durch die nahe Listertalsperre, gute Fortschritte gemacht.“

Mit einem Panoramablick vom Ursuli-nenkloster aus erreicht die Wanderung Attendorn:

„Attendorn, vom Ursulinenkloster aus gese-

hen“. Foto: H. Genau/ LWL-Medienzentrum für Westfalen

Zu diesem Motiv heißt es: „Aus dem regellos gebauten Häuser-meer ragt hervor die ehrwürdige Pfarr-kirche, genannt ‚Sauerländer Dom‘. Der Dachreiterturm gehört der Franzis-kanerkirche an. Der spitze Turm weist auf die 1913 erbaute ev. Kirche. Die rauchenden Schornsteine bezeichnen das Walzwerk Charlottenhütte. Dar-über auf waldigen Bergen grüßt Schnellenberg. Hinter dem Turm des Sauerländer Domes liegt am Himmels-berg der ‚Volkspark‘. Rechts davon unter dem hellschimmernden Kalk-steinbruch erstreckt sich die berühmte Tropfsteinhöhle. Ein grüner Kranz von

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Linden bezeichnet die Promenade und die ehemalige Festungsmauer. Der Steinbruch im Hintergrunde bezeichnet die Lage der berühmten Attahöhle.“

Als erstes städtebauliches Detail hält Heinrich Genau das Portal der - be-kanntlich 1945 zerstörten - Franziska-nerkirche im Bild fest und erläutert:

„Attendorn, Portal der Franziskanerkirche“. Foto: H. Genau/ LWL-Medienzentrum für

Westfalen

Beim flüchtigen Besuch der Stadt be-sichtigen wir das Portal der Franziska-nerkirche. Erbaut wurde es um 1640 mit besonderer Hilfe des Freiherrn Jo-hann Adolf von Fürstenberg. Daher befindet sich über dem Rundbogen in barocker Einfassung das Fürsten-berg’sche Wappen. Nach dem Brande der Kirche im Jahre 1785 [richtig: 1783] wurde das Portal wieder in der alten Form hergestellt. Kloster und Kir-che aber bezogen die Franziskaner nicht wieder, da die Niederlassung 1803 der Säkularisation verfiel. Die Kirche ist, nachdem sie jahrelang welt-lichen Zwecken diente, jetzt wieder dem Gottesdienst gewidmet. In dem anschließenden Klostergebäude befin-det sich jetzt u.a. das Rathaus.“

Nach dem Inneren der Pfarrkirche

„Attendorn, Pfarrkirche, Inneres, Chor und

Kanzel“. Foto: H. Genau/ LWL-Medienzentrum für Westfalen

wendet die Bildreihe sich den Resten der alten Stadtbefestigung, Bieke- und Pulverturm, zu und erläutert:

„Attendorn, Turm der Stadtbefestigung“. Foto: H. Genau/ LWL-Medienzentrum für Westfalen

„Nach mittelalterlichen Verhältnissen war Attendorn recht stark befestigt. Zwischen dem äußeren Wall und den inneren hohen Ringmauern lagen brei-te, tiefe Gräben, die in Zeiten der Ge-fahr mit Wasser gefüllt werden konn-ten. Die vier Stadttore flankierten be-wehrte Türme. Die Ringmauern waren

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ebenfalls in regelmäßigen Zwischen-räumen mit teils runden, teils halbrun-den Türmen versehen. Zwei derselben in der Nähe des Ennester Tores sind noch vorhanden. ... Die Zahl sämtlicher Türme der Stadtbefestigung At-tendorns hat wahrscheinlich zwölf be-tragen. Die Bewachung und Verteidi-gung lag der Burgmannschaft und Bürgerschaft ob. Auf ein Zeichen der Sturmglocke scharte sich die wehrfähi-ge Mannschaft mit Waffen und Har-nisch um das Stadtbanner. Zur Erhö-hung der Wehrfähigkeit bildete sich im 15. Jahrhundert die Schützengesell-schaft, der Sitte des Mittelalters gemäß als Bruderschaft zum hl. Sebastian.“

Zwei bemerkenswerte Details halten die nächsten beiden Fotos fest: Die im Dreißigjährigen Krieg erbeuteten „Schwedenrüstungen“ sowie „Waffen aus der Schwedenzeit“.

„Attendorn, Harnische aus dem 30jährigen

Kriege“. Foto: H. Genau/ LWL-Medienzentrum für Westfalen

Dazu führt Genau aus: „Durch Erzbischof Engelbert von Köln erhielt Attendorn im Jahre 1222 Stadt-rechte. 1270 sehen wir die Stadt im Bündnis mit den Städten Soest, Dort-mund und Münster. Später wurde At-tendorn mittelbares Mitglied der Han-sa. Aber selbst im 30jährigen Kriege vermochte die Stadt sich eines Angrif-

fes der Schweden erfolgreich zu er-wehren. Siegeszeichen in Gestalt eini-ger Schwedenrüstungen sind noch heute im Besitz der Schützengesell-schaft, die 1910 ihr 500jähriges Beste-hen feiern konnte. ... Diese Panzer nebst sonstigen Waffenrüstungen aus der Zeit des 30jährigen Krieges wer-den im Heimatmuseum zu Attendorn aufbewahrt. Doch die Folgen der Krie-ge, Pest, mehrfache große Brandkata-strophen verursachten den Niedergang und Verfall der einst blühenden Stadt, bis in der neueren Zeit mit der Industrie eine neue Blüteperiode anbrach.“

„Attendorn, Waffen aus der Schwedenzeit“. Foto: H. Genau/ LWL-Medienzentrum für

Westfalen

Nicht weniger als 13 Fotografien wid-met Genau der Attahöhle, die er als „das größte Schatzkästlein der Stadt und des Kreises“ bezeichnet. Ein Motiv fällt besonders ins Auge. Während die anderen Bilder menschenleer sind, zeigt dieses ohne weitere Erläuterung einen Mann, der inmitten der Tropf-steinpracht in einer Nische hockt. Wie begeistert Genau von den Schönheiten der Höhle war, zeigt sein fast ent-schuldigender Kommentar zu seinen Schwarz-Weiß-Fotografien:

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„Partie aus der Attahöhle“. Foto: H. Genau/

LWL-Medienzentrum für Westfalen „Sie vermögen uns nur ein schwaches Bild der prächtigen Höhle mit ihren mannigfachen Gebilden zu vermitteln. Das schneeige Weiß, die Farben, das Funkeln der Kristalle, die in vollendeter Schönheit große Flächen bedecken, lassen diese Aufnahmen nur ahnen.“

Von Attendorn geht’s entlang der Burg Schnellenberg – deren Aufnahme als einzige der Serie verloren scheint – „ins fruchtbare Tal der Repe mit zahl-reichen Dörfern und Einzelgehöften, die zusammen die politische Gemein-de Helden mit rund 2500 Einwohnern bilden. Der eigentliche Ort Helden reicht mit seinen Anfängen zurück bis ins 8. Jahrhundert. Nach Sachsenart waren die Bewohner auf Einzelhöfen angesiedelt, die unteilbar waren, um die Stammgüter vor Zersplitterung und Verfall zu bewahren. Früher gehörte die Gemeinde zum Amt Bilstein, seit 1803 zum Amt Attendorn. Wie die gan-ze Gegend hatte Helden unter den Folgen der Kriege, des 30jährigen und 7jährigen Krieges, zu leiden. Die Jahre 1816 und 1817 waren Hungerjahre,

„Repetal mit Helden“. Foto: H. Genau/ LWL-

Medienzentrum für Westfalen

sodaß durch die Fürsorge König Fried-rich Wilhelm III. Brot aus Rußland her-beigeschafft werden mußte. Eine Denkmünze jener Zeit, auf der Vorder-seite eine Mutter mit zwei ausgehun-gerten Kindern darstellend, trägt auf der Rückseite die Worte: ‚O, gib mir doch Brot, mich hungert.“ Vorwiegend, wie vor Jahrhunderten, ist in Helden noch die Landwirtschaft heimisch. In-dustrielle Betriebe finden sich nur an der Grenze der Gemeinde. Ein Teil der Bevölkerung hat sich neuerdings auf Beherbergung und Bewirtung von Sommergästen eingestellt. Die schöne Lage der Dörfchen mit ihren herrlichen Waldungen wirbt in dieser Hinsicht für sich, sodaß die Besucherziffer ständig wächst. Die auf hohem Felsen erbaute Pfarrkirche gibt dem Orts- und Land-schaftsbilde die eigentliche Note.“

Neben dem von diesem langen Kom-mentar begleiteten Blick ins Repetal hält Genau eine Innenansicht der Heldener Kirche fest und erläutert diese mit einem ins Detail gehenden bau- und kunsthistorischen Kommen-tar: „Neben Erwitte und Berghausen gehört die Heldener Kirche zu den äl-testen Pfeilerbasiliken.

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„Helden, Inneres der Kirche“. Foto: H. Genau/ LWL-Medienzentrum für Westfalen

Quer- und Längsgurte des Mittelschif-fes haben den Spitzbogen des Über-gangsstils. Erzbischof Anno von Köln hat die Kirche kurz vor seinem Tode, der in Kloster Grafschaft erfolgte, ein-geweiht. Auf einem Balken über der Tür fand man 1875 die Jahreszahl 1095 eingeschnitten. Die Kirche hat den Typ der Ritterzeit, in der das hoch-liegende Chor streng abgeteilt war; bis 1886 war der Zugang nur von den Sei-ten möglich. Bemerkenswert ist die Krypta. Dort wurde in alten Zeiten der Schrein mit 37 verschiedenen Reli-quien, mit der Front zum Hochaltar, aufbewahrt. Interessant ist der lange eicherne Balken, der hinter der Haupt-tür beim Bau der Kirche eingemauert ist. Dieser verriegelte die Tür in einer Zeit, als man noch keine Türschlösser kannte. Im ‚vorderen Chörchen‘ ist ein aus Lindenholz geschnitztes Bild der schmerzhaften Mutter vom Jahre 1742 bemerkenswert.“

Von Helden kehrt die Bildreihe zurück ins Biggetal: Zum Motiv „Blick über das Biggetal von Schnellenberg aus“ heißt es:

„Blick über das Biggetal von Schnellenberg

aus“. Foto: H. Genau/ LWL-Medienzentrum für Westfalen

„Zwischen Heggen und Attendorn liegt ein schönes Stück des langen romanti-schen Tales der vielgewundenen Big-ge. Die Farbenpracht des Hochwaldes in jeder Jahreszeit, der Wiesengrund, der Lauf der Bigge, alles atmet rechte Sauerlandnatur. An Schloß Schnellen-berg vorbei führt einer der schönsten Höhenwege des Sauerlandes, unten das liebliche Biggetal mit immer wech-selnden Bildern, jenseits all die Dörf-chen und darüber die Bergkette, Aus-läufer des Ebbegebirges nach der Lenne hin. Eine große Front bildet der Kalksteinbruch Biggen, der früher bis an den Fluß reichte.“

Dass Genau auch die wirtschaftliche Situation der damaligen Gegenwart im Blick hat, verrät sein Kommentar zu gleich vier Fotos, die das stillgelegte Biggener Kalkwerk dokumentieren: „1930 war das Todesjahr der ehemals blühenden Kalkindustrie, die zahlrei-chen Arbeitern Brot gab. Notzeit, Zu-sammenschlüsse bewerkstelligten den Untergang.“

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„Biggetal, Kalkindustrie“. Foto: H. Genau/ LWL-

Medienzentrum für Westfalen

Auch das letzte Bildmotiv aus dem At-tendorner Stadtgebiet rückt die Indust-riegeschichte in den Fokus.

„Borghausen, Marmorschneiderei“. Foto: H. Genau/ LWL-Medienzentrum für Westfalen

Es zeigt die „Marmorschneiderei“ in Borghausen: „1885 erbaute eine Sie-gener Gesellschaft das Marmorwerk Borghausen, heute ist der Betrieb im Besitz der Westf. Marmor- und Granit-werke. Größere Blöcke werden zur Verarbeitung als Marmor gewonnen, Abfälle und kleinere Stücke finden Verwendung in der Kalkindustrie. Es werden dort nicht nur die einheimi-schen Marmorsorten, sondern auch sämtliche im Handel gebräuchlichen Marmorsorten des Auslandes für Ge-brauchsgegenstände der Möbel- und Bauindustrie verarbeitet.“

Mit diesen Sätzen endet eine fotografi-sche Stadtwanderung, die aus der sub-

jektiven Sicht eines interessierten Be-suchers in Bild und Schrift manches heimatkundliche Detail festgehalten hat. Obwohl von der Forschung heute an einigen Stellen überholt, entfaltet Heinrich Genaus Stadtporträt auch oder gerade fast 80 Jahre später noch einen besonderen Reiz, illustriert es doch, wie komplex das Verhältnis von Kontinuitäten und Brüchen in der Stadtentwicklung Attendorns seit den frühen 1930er Jahren gewesen ist.

Unter www.bildarchiv-westfalen.lwl.org ist die gesamte Bildreihe ebenso wie fast alle anderen heimatkundlichen Bildreihen der ehemaligen Bezirksbild-stelle Arnsberg online ansehbar. Für Hinweise, die eine exaktere Dokumen-tation der Fotografien im Hinblick auf Entstehungsdaten und dargestellte Örtlichkeiten, Persönlichkeiten oder Ereignisse ermöglichen, ist das LWL-Medienzentrum für Westfalen dankbar. Übrigens ist Attendorn auch mit ganz aktuellen Fotografien im Online-Bildarchiv Westfalen vertreten. Seit dem Frühjahr 2010 fertigt eine Foto-grafin des LWL-Medienzentrums unter Beratung der Kreisheimatpflegerin und der Vorsitzenden des Kreisheimatbun-des eine landeskundliche Fotodoku-mentation über den Kreis Olpe an. Und einige der insgesamt 2.600 Motive, die im Zuge des Fotowettbewerbs „West-falen entdecken“ im Sommer 2010 beim LWL-Medienzentrum eingingen, werden ebenfalls bald Eingang ins Bildarchiv finden. In dem Anfang De-zember erschienenen Bildband „West-falen entdecken“, der die 131 schöns-ten Fotografien des Wettbewerbs ver-eint, ist das südliche Sauerland bereits mit einer Anzahl markanter Motive ver-treten.

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100 Jahre Traditionshaus „Schnaps-Kost“ am Kirchplatz Ein Erinnerungstext von Guido und Nicole Kost

Seit der Gründung der Firma „Schnaps-Kost“ im November 1909 sind inzwischen mehr als 100 Jahre vergangen. Wussten Sie eigentlich, dass die Geschichte des Hauses „Schnaps-Kost“ am Kirchplatz 3 schon rund 25 Jahre vorher begann, also im Jahre des Herrn 1884/85. Nein? Dann laden wir Sie herzlich ein, uns auf eine kleine Zeitreise zu begleiten.

So begab es sich, dass in einer allge-meinen Pfarrkonferenz in Attendorn der damalige Dechant Bernard Pielsti-cker seinen Plan zur Errichtung eines Gymnasialkonvikts mitteilte. Mit einer Spende von 4600 Mark, die am 25. August 1885 erfolgte, wurde der Grundstock zur Gründung der Erzie-hungsanstalt gelegt. Der damalige Bi-schof von Paderborn beschloss, das Attendorner Konvikt „Bernardinum“ zu nennen.

Dechant Bernard Pielsticker

Im Sommer des Jahres 1886 erwarb Herr Dechant Pielsticker für 2100 Mark das Grundstück neben dem Pfarrhaus. Mit weiteren 6000 Mark, bereitgestellt durch den Dechanten, war der Aufbau des Hauses gesichert. Die feierliche Grundsteinlegung des Gebäudes er-folgte am 23. September 1886 und im Winter desselben Jahres war der Roh-bau fertig gestellt.

Herr Dechant Pielsticker konnte die Vollendung seiner grandiosen Idee nicht mehr miterleben, denn zum Be-dauern vieler Attendorner verstarb er am 12. April 1887 und wurde unter großer Anteilnahme zur letzten Ruhe getragen. Herr Professor Werra über-nahm die aufwändige Bauleitung des Konvikt-Gebäudes, welches schon im darauf folgenden Herbst fertiggestellt wurde. Die Einrichtung des Hauses konnte nun erfolgen.

Knabenkonvikt Bernardinum I

Schon im Sommer des Jahres 1887 erwarb Herr Professor Werra ein weite-res Haus, das sogenannte Wil-mes‘sche Haus (Bernardinum II), wel-

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ches am 23. September 1887 eröffnet wurde.

Die Leitung dieses Hauses, mit damals sechs Schülern, übernahm zu diesem Zeitpunkt Herr Professor Dr. Sasse. Weitere Leiter dieses Hauses waren der Kandidat Vente, Dr. Josef Burg (erster Geistlicher Präses) und Vikar Lex. Zur gleichen Zeit zogen nun neun Schüler in das Knabenkonvikt Bernar-dinum I ein. Für fast elf Jahre über-nahm Rektor Caspar Papencordt die Leitung des Hauses.

Nur drei Jahre später - Ostern 1890 - lebten und arbeiteten in beiden Häu-sern 47 Schüler. Durch die weiter stei-gende Schüleranzahl, sahen sich die Verantwortlichen dazu veranlasst, zum einen das Gebäude Bernardinum II im Sommer des Jahres 1891 durch einen Neubau zu erweitern (hier hatten nun insgesamt 33 Schüler ihre Unterkunft). Zum anderen wurde durch eine Ge-bäudepachtung im Jahre 1892 im Ber-nardinum I für nun insgesamt 42 Schü-ler eine Unterkunft geschaffen. Im De-zember des gleichen Jahres wurde die der Stadt gehörende Klosterkirche als weitere Unterkunft hinzugepachtet und nach Umbauarbeiten im Frühjahr 1893 bezogen.

Insgesamt 93 Schüler lebten 1895/96 nun in den beiden Gebäudekomple-xen, 43 im Bernardinum I und 50 im Bernardinum II.

1896 wurde entschieden, das Gebäu-de Bernardinum II dem Franziskaner-orden zu überlassen. Vikar Lex siedel-te mit den Jungen in das Gebäude Bernardinum I über. Von nun an wohn-ten, lebten und arbeiteten alle unter dem gleichen Dach.

Ostern 1897 wurde Seminarpriester Wilhelm Steinbrück zum neuen Präses des Konvikts ernannt und im gleichen Jahr zogen die Schwestern der Christ-lichen Liebe in das Gebäude mit ein. Durch ihre Mitarbeit konnte der rei-bungslose Verlauf des Alltags gewähr-leistet werden.

Professor Clemens August Werra (oben) Rektor Caspar Papencordt (links) Rektor Otto Lex (rechts) Präses Wilhelm Steinbrück (unten)

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Der damals amtierende Rektor Caspar Papencordt verstarb im Juli 1899. In diesem Jahr entstand der Entwurf zur Neuerrichtung eines Knabenkonviktes an einem anderen Standort. Die Ver-wirklichung dieses Planes musste noch bis 1905 ruhen. Die fehlenden Mittel, um ein solches Unternehmen ausfüh-ren zu können, stellte der damalige Reichsgraf Ignatz von Landsberg-Ahausen in Form eines Darlehens ge-gen eine mäßige Verzinsung zur Ver-fügung. Als Standort des neuen Kon-vikt-Gebäudes wurde der Himmelsberg gewählt. Schon im darauf folgenden Jahr, am 06. März 1906, erfolgte durch Pfarrer Hellhake der erste Spatenstich. Während der gesamten Bauphase kam es zu keinerlei Unfällen und am 01. April 1907 war das stolze, palastähnli-che Gebäude fertig gestellt.

Die feierliche Einweihung übernahm Dechant Sauer-Helden aus Paderborn. Präses Wilhelm Steinbrück dankte all den Helfer, die dazu beigetragen hat-ten, dass das neue Knabenkonvikt er-richtet werden konnte.

Bis zu diesem Tage hatten bereits 128 Schüler das Abitur erfolgreich abge-schlossen.

Und nun erst beginnt die eigentliche Geschichte des Hauses „Schnaps-

Kost“ am Kirchplatz. Das Haus „Schnaps-Kost“ kann seit dem 18. November des Jahres 2009 nun auch schon auf eine 100jährige Erfolgsgeschichte zurück blicken. Be-gonnen hat alles damit, dass der am 21. Mai 1877 geborene Fritz Kost nach einem Arbeitsunfall sein Schreiner-handwerk nicht mehr ausüben konnte. Deshalb musste er nach einer neuen Beschäftigung suchen. Leider wurde

nicht überliefert, warum er sich das Destillateur-Handwerk auswählte, wichtig jedoch ist, aus heutiger Sicht betrachtet, dass er dieses tat. Er be-suchte die Destillateur-Fachschule in Aschaffenburg und bestand die Ab-schlussprüfung. Mit dem Erwerb des alten Konvikt-Gebäudes am 27. Feb-ruar 1907 schuf Fritz Kost zwei wichti-ge Grundvoraussetzungen. Zum einen hatte er eine Wohnstätte für seine Fa-milie gefunden und zum anderen sei-nen neuen Arbeitsplatz geschaffen. Aber so einfach gestaltete sich sein Vorhaben, seine hergestellten Liköre zu verkaufen und in einem kleinen Schankbetrieb anzubieten, nicht. Seine offiziellen Anfragen wurden auf Grund der Nähe zur Kirche und der Vorge-schichte des Hauses „Am Kirchplatz 3“ immer wieder untersagt.

Fritz Kost. Foto: Privat

Dies änderte sich erst im Jahre 1909, denn nun wurde ihm erlaubt, seine Li-köre doch zu verkaufen. Der offizielle Startschuss fiel am 18. November 1909 in einem Verkaufsraum, der sich im Erdgeschoss des sogenannten „Turmes“ des Hauses befand. Nach einigen Jahren des Bestehens ent-

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schloss sich Fritz Kost, die Räumlich-keiten innerhalb des Gebäudes zu wechseln. Nach Umbauarbeiten wurde in die heute noch benutzten Räumlich-keiten umgezogen. Das komplette und noch voll funktionsfähige Mobiliar hatte er auf seiner Werkbank geschreinert. Diese Werkbank ist heute noch im Weinkeller zu bewundern. Er leitete dies Geschäftsgebaren bis in das Jahr 1962.

Nun übernahm sein Sohn Friedel Kost zwar die Geschäftsführung, jedoch sein Enkel Dieter Kost stellte zu die-sem Zeitpunkt schon alle Liköre und Spirituosen selbständig her.

Friedel Kost. Foto: Privat

Dieter Kost hatte, genau wie sein Großvater, das Destillateur-Handwerk in Dortmund erlernt. 1956 begann er als 16jähriger Bub seine Ausbildung, die er 1959 sehr erfolgreich abschloss. Nachdem er wieder nach Attendorn zurückgekehrt war, nahm er bauliche Veränderungen in den alten Kellerge-wölben vor. Er errichtete ein Labor, in dem er die Liköre und Spirituosen pro-fessionell herstellen konnte. In weite-ren Kellerräumen schuf er Möglichkei-ten, die notwendigen Rohstoffe einzu-lagern. Die Grundstoffe zur Herstellung seiner inzwischen rund 35 Produkte

bezog er unter anderem von der West-fälischen Essenzenfabrik in Dortmund, der Firma Haarmann und Reimer in Holzminden sowie von der Firma Teeklipper in Bremen. Der ein oder andere wird sich vielleicht noch erin-nern oder gehört haben, von den guten Dingen aus dem Hause „Schnaps-Kost“, die da reichten von Mocca-Likör bis hin zum Boonekamp und dem „At-tendorner Tropfen“.

Dieter Kost. Foto: Privat

Dieter Kost. Foto: Privat

Wie Sie den oberen Textzeilen ent-nehmen konnten, war es zwischenzeit-lich möglich, in den Räumen des Hau-ses „Schnaps-Kost“ auch die guten Tropfen zu genießen. Die Familien Kost der zweiten und dritten Generati-on hatten eine Thekenanlage mit Küh-lungsmöglichkeiten geschaffen und in einem hinteren Raum eine Trinkstube errichtet. So manches Gläschen wurde dort geleert und so manche Geschich-ten „vertellt“. Leider schweigen die

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Wände und geben keine der Geschich-ten und Anekdoten preis.

Frei nach dem Motto „Stillstand bedeu-tet Rückschritt“ entschied man sich zu weiteren Neuerungen. Anfang bis Mitte der 1970er Jahre wurde die Trinkstube in den gegenüber liegenden Raum des Geschäftes verlegt. Man hatte die Be-reiche Geschäft und Verzehr vonei-nander getrennt. Das Kaufverhalten der Kunden hatte sich verändert, so dass man ein größeres Warenangebot und damit mehr Platz benötigte. So konnte man aber auch beiden Kunden-interessen gerechter werden.

Des Weiteren wurde der Geschäfts-raum im „Turm“ des Hauses reaktiviert. Dort entstand der erste Spielsalon der Region. Dieser wurde von Jung und Alt gut frequentiert.

Destillation. Foto: Privat

Labor. Foto: Privat

Anfang der 1980er Jahre musste eine wichtige Entscheidung im Hause Kost getroffen werden: die Schließung des Herstellungsbetriebes, also des Inbe-griffs des gesamten Geschäfts-gebarens des Hauses „Schnaps-Kost“. Die Entscheidung ist damals nicht leicht gefallen, aber die steigende An-zahl der Supermärkte und die notwen-digen Umbaumaßnahmen bei Weiter-führung der Destillationsanlage ließen keinen anderen Entschluss zu.

Aber ein guter Geschäftsmann hat im-mer noch einen Plan B in der Tasche.

So auch bei Dieter und Gertrud Kost. Sie hatten sich dahingehend entschie-den ihr Warensortiment neu zu struktu-rieren und zu ergänzen. Den Bereich der Liköre und Spirituosen baute man hochwertig aus, das Weinsortiment wurde immer wieder durch aktuelle Dinge ergänzt und auf ein weltweites Sortiment erweitert. Das gesamte Wa-rensortiment wurde durch Scherzartikel und den einen oder anderen Kunstge-werbegegenstand abgerundet. Im Jah-re 1982 verstarb Friedel Kost und nun übernahmen Dieter und seine Frau Gertrud Kost die komplette Geschäfts-leitung.

Und die Geschichte ging weiter: 1992 wurde der Spielsalon geschlossen. Im Jahr 1994 folgte die Schließung der Trinkstube. In diesem Jahr wurden die beiden Räumlichkeiten vermietet. Es entstanden die Geschäfte „Damen-oberbekleidung Schäfer“ und die noch heute existierende „Geschenkestube Hömberg“. Die nächsten zehn Jahre zogen dahin und ein Geschäftsnach-folger innerhalb der Familie konnte sich nicht finden lassen, da die beiden Kinder von Dieter und Gertrud Kost in

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ganz anderen Berufsrichtungen aus-gebildet waren. Sollte so kurz vor dem hundertjährigen Firmenjubiläum Schluss sein … keine weitere, vierte Generation, die das Geschäft weiter führen wollte oder konnte?

Dieter und Gertrud Kost. Foto: Privat

Aber wie in den letzten Jahrzehnten auch, lag die Lösung ganz in der Nähe.

So übernahm im Jahre 2006 Nicole Kost geb. Rath (Frau von Sohn Guido Kost) das Geschäft „Schnaps-Kost“. Am 02. September konnte nach auf-wändigen Renovierungsarbeiten und Hinzunahme des Gewölbekellers Er-öffnung gefeiert werden.

Nicole Kost. Foto: Privat

Immer schon im Einzelhandel tätig, besuchte und besucht sie Seminare und Schulungen im In- und Ausland, die ihr das Gebiet der Weine und der Spirituosen näher bringen. Sie eignet sich entsprechendes Fachwissen an, um für ihre Kunden ein fachkompeten-ter Ansprechpartner zu sein. Neben den traditionell bekannten Produkten im Likör- und Spirituosenbereich über das weltweit reichende Weinsortiment rundet sie ihr Warenangebot mit inter-nationaler Feinkost und Kunstgewer-beartikeln, die das Leben schöner ma-chen, ab.

Mit dieser wieder neuen Geschäftsidee hat sie den Anschluss an die vorheri-gen drei Kost-Generationen gut schlie-ßen können. Und so begab es sich, dass am 18. November 2009 das hun-dertjährige Firmenjubiläum gefeiert werden konnte.

Und die Geschichte „Schnaps-Kost“ geht weiter……. Wir, also die vierte Generation Kost, sind stolz, die Ge-schichte des Hauses „Schnaps-Kost“ weiter vorantreiben zu dürfen. Wir ver-sprechen Ihnen allen, dies nach bes-tem Wissen und Gewissen ganz im Denken unserer Vorfahren zu absolvie-ren. Wir freuen uns, für unsere Hei-matstadt da zu sein, als „Das kleine Fachgeschäft um die Ecke“. Als ein wichtiger Bestandteil des Stadtbildes sind wir immer erfreut, Sie in unseren Geschäftsräumen begrüßen zu dürfen.

Es grüßen Sie herzlich Guido und Nicole Kost mit Robin, der vielleicht fünften Generation????

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125 Jahre Feuerwehr Attendorn Von Uli Johannes

Vorgeschichte Am 19. Juni 1882 trafen sich 63 At-tendorner Bürger unter dem Vorsitz des Bürgermeisters Richard Heim, um die Einrichtung »eines Vereins für frei-willige Feuerwehren« zu beraten. Nachdem der Bürgermeister einen Vortrag über den Sinn und Zweck von freiwilligen Feuerwehren gehalten hat-te, beschloss die Versammlung ein-stimmig, eine freiwillige Feuerwehr ins Leben zu rufen. Eine Kommission, be-stehend aus den Herren Eduard Vie-gener, Theodor Turwitt, Joseph Stumpf II., Julius Isphording und Bürgermeister Heim, sollte innerhalb von drei Wochen die Statuten ausarbeiten und vorlegen. Am 24. Juli trafen sich erneut 73 Per-sonen, die zusammen mit dem Bür-germeister die Gründung einer freiwilli-gen Feuerwehr vollzogen und folgen-den Vorstand wählten:

Hauptmann Eduard Viegener, 1. Stell-vertreter Friedrich Bischoff, Gerätewart Julius Isphording, Stellvertreter Bern-hard König. Der Bürgermeister bestä-tigte die Statuten und die Vorstands-wahl am 4. August.

Am 13. August konnte die erste Gene-ralversammlung der neugegründeten Wehr stattfinden, in die sich 101 Mit-glieder aufnehmen ließen. Ein Jahr später (1883) konnte das neue Sprit-zenhaus am Feuerteich übergeben werden. Jedoch zeichneten sich schon bald die ersten Krisen ab, der Bür-germeister war mit den Einsätzen im Brandfall nicht zufrieden. Schließlich löste der Magistrat die Wehr am 1. September 1883 wieder auf und for-

derte die Rückgabe der Feuerlösch-Gerätschaften innerhalb von drei Ta-gen. Nunmehr existierte, wie schon in früheren Zeiten, erneut eine Brand-wehr, die erst 1885 mit der Gründung der heutigen Jubelwehr aufgelöst wur-de.

Gründerjahre

Die seit Auflösung der ersten freiwilli-gen Feuerwehr bestehende Brandwehr war nicht schlagkräftig genug, so wur-de es dringend notwendig, erneut über die Gründung einer freiwilligen Feuer-wehr nachzudenken. Am Montag dem 27. April 1885 trafen sich im Gasthof „Ritter“ mehrere Bürger, um in einem neuen Anlauf die freiwillige Feuerwehr ins Leben zu rufen.

Am 8. Mai fand eine weitere Versamm-lung statt, in der die Satzungen festge-setzt und die Wahl des Vorstandes durchgeführt wurden. Demnach wurde der Apotheker Peiffer Hauptmann, Adolf Noll Schriftwart, Eberhard Turwitt Führer der Hydrantenmannschaft, Jo-sef Plange jr. Führer der Spritzen-mannschaft, Josef Keimer Führer der Rettungsmannschaft, Josef Wilmes Führer der Ordnungsmannschaft, J. Stumpf II Gerätewart und Bernhard König dessen Stellvertreter.

Der größte Brand, den die neu ge-gründete Wehr zu bekämpfen hatte, war am 2. September 1889, als die Burg Schnellenberg brannte. Der unte-re Teil des Schlosses brannte vollstän-dig nieder. Das Hauptgebäude konnten die Wehrmänner aber unter großem Einsatz noch retten. Als Trophäen wurden die zwei eisernen Ritter (die an

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den beiden Ecktürmen der Burg ange-bracht waren) mit heimgebracht. Sie zierten später den ersten wie den zwei-ten Steigerturm.

Der erste Steigerturm auf dem Feuer-teich wurde im Jahre 1889 fertig ge-stellt. Im Jahr 1891 erhielt die Feuer-wehr ihre erste Fahne, welche über beide Weltkriege gerettet werden konnte und noch heute existiert.

Am 15. August 1891 trat die Wehr dem Westfälischen Feuerwehrverband bei. 1894 trat die Wehr dem Altenaer Kreisverband bei, da im Kreis Olpe keine weitere freiwillige Feuerwehr existierte.

Am 5. Juni 1898 fand das Kreisver-bandsfest der freiwilligen Feuerwehren des Kreises Altena in Verbindung mit dem 13. Stiftungsfest der Attendorner Feuerwehr, in Attendorn statt.

Im Jahr 1909 wurde der erste Steiger-turm abgerissen, da er durch Witte-rungseinflüsse baufällig geworden war. Noch im gleichen Jahr wurde der zwei-te Steigerturm erbaut und stand bis zum Jahr 1957 am Feuerteich.

In den Folgejahren mussten die Wehrmänner immer wieder Brände und Hochwasser bekämpfen.

Vom Kaiserreich zum Tausendjähri-gen Reich

1935. Die Wehr rüstete sich jetzt, ihr 50. Stiftungsfest zu begehen. Sie hatte bei 98 Feuern, darunter 15 Großfeuer und bei 31 Waldbränden eingegriffen, zwei Mal wurde sie bei Hochwasser und drei Mal bei Eisgang gerufen. Auch sonst war sie immer zur Stelle, sei es im Kriege zum Abtransport von Ver-wundeten oder zu Absperrungen. Das 50jährige Bestehen der Wehr wurde,

den Umständen der Zeit entsprechend, festlich, aber doch einfach begangen.

Die angetretene Wehr zum Jubelfest 1935.

Am Samstag, dem 1. Juni 1935 fand im Dingerkus‘schen Saale ein Fest-kommers in Anwesenheit von Bürger-meister Schütte, Amtsbürgermeister Contzen, Ortsgruppenleiter Becker und den Vertretern der verschiedenen Formationen, Ratsherren, Kameraden der Altersabteilung und Jubilaren Edu-ard Bruse und Josef Keimer statt. Am Sonntag legte Oberbrandmeister Peif-fer nach dem feierlichen Hochamt im Sauerländer Dom einen Kranz am Kriegerehrenmal nieder, der planmäßig die Tagung des Kreisfeuerwehrver-bandes folgte. Ein Festzug mit über 600 Feuerwehrleuten endete mit einer großangelegten Schauübung der At-tendorner Feuerwehr auf dem Feuer-teich.

Den größten Einsatz hatte im Jahr 1937 die Wehr am 28. April zu leisten. Die städtische Chronik schreibt hierzu: »Morgens 5 Uhr erscholl Feuerlärm. Das Fabrikanwesen der Firma Matthias Kutsch stand in Flammen. Die Löscharbeiten der Feuerwehr dauerten fast den ganzen Tag. Die Dachstühle des alten und des neueren Fabrikteils und die Decken wurden vollständig vernichtet. Etwa 60 Arbeiter und Arbei-terinnen sind für einige Zeit arbeitslos. Außerdem sind große Werte, auch an

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fertigen und halbfertigen Fabrikaten, vernichtet«.

Der Zweite Weltkrieg (1939 – 1945)

Die Struktur der Wehr änderte sich insofern, als zukünftig gemäß höherer Verordnung eine Einsatztruppe für auswärtige Einsätze bestand. Sie wur-de erstmals nach einem Fliegerangriff in Wuppertal-Barmen am 30. und 31. Mai, sowie in Köln am 29. und 30. Juni eingesetzt.

Gegen Ende des II. Weltkrieges wurde der Einsatz der Feuerwehr immer här-ter und gefährlicher. So erfolgte am 16. Februar ein Fliegerangriff auf den Per-sonenzug Attendorn-Finnentrop mit Bordwaffenbeschuß, wobei 16 Men-schen starben und außerdem etliche Personen verwundet wurden. Die Feu-erwehr half, auch auf die Gefahr weite-rer Luftangriffe, mit zwei Fahrzeugen beim Verwundetentransport.

Die Wehr 1945 – 1960

»Dieses Jahr dürfte wohl das an über-wältigenden Ereignissen schwerste sein, welches wir je hatten« Mit diesen Worten beginnt der Jahresbericht des Kommandanten, Oberzugführer Josef Bieker für das Jahr 1945.

Am 2. Juni 1948 wurde das »Gesetz über den Feuerschutz im Lande Nord-rhein-Westfalen« erlassen, welches am 1. Oktober in Kraft trat, und die ge-setzlichen Grundlagen des Feuer-schutzes neu regelte.

1960 – 1969 Brandbekämpfung – Techn. Hilfeleistung – Umweltschutz

Zu Beginn der sechziger Jahre sah es allgemein im Kreis Olpe so aus, dass für die neuartigen Hilfeleistungen ent-sprechende Geräte und Ausrüstungen fehlten. Kunststoff-, Öl- und Chemikali-

enbrände traten nun immer mehr in den Vordergrund, der Brand im Gerlin-ger Walzwerk 1959 mag ein Beispiel dafür sein. Immer häufiger traten auch Ölunfälle, verbunden mit der Ver-schmutzung der Umwelt, insbesondere der Gewässer, auf. Vorbei die Zeit, in der die Feuerwehr nur ihrer eigentli-chen Aufgabe gerecht zu werden brauchte, der Bekämpfung der Natur-gewalten Feuer, Wasser und Sturm, die in unkontrolliertem Ausmaß so oft Not und Elend über die Menschen brachten.

Das große und mit Sicherheit »teuers-te« Hochwasser, welches unsere Stadt erlebte, setzte am 5. Dezember 1965 große Teile der Innenstadt unter Was-ser. In einer »Interessengemeinschaft Hochwassergeschädigter« wurden später Entstehungsursachen und Aus-wirkungen in jahrelangen Gesprächen mit der Stadtverwaltung erörtert. Hier-zu näher Stellung zu beziehen ist si-cherlich nicht Aufgabe der Feuerwehr. Über den eigentlichen Hochwasserein-satz vom 5. bis 8. Dezember 1965 gibt es einen ausführlichen Bericht des Wehrführers Höffer, welcher hier in fast ungekürzter Form wiedergegeben wird. Bericht über den Einsatz der Freiwilli-gen Feuerwehren beim Hochwasser in Attendorn am 5. bis 8. Dezember 1965:

Die erste Meldung über Hochwasser erfolgte durch einen Anwohner der Windhauser Straße im Feuerwehrhaus Attendorn um 17.48 Uhr. Die Meldung wurde vom Gerätewart an den Leiter der Wehr weitergegeben. Dieser be-sichtigte die Schadensstelle und stellte fest, dass die Deckel der Kanalisation hochgedrückt waren und das Wasser in die angrenzenden Keller floss.

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Als er durch einen Einsatz (stillen Alarm) mögliche Schäden abwenden und in die Keller eingeflossenes Was-ser auspumpen wollte, wurden von der Polizei weitere Überflutungen und durch Sturm umgestürzte Bäume als Verkehrshindernisse auf den Straßen gemeldet.

Hierauf erfolgte Alarm der gesamten Wehr am 5. Dezember 1965 um 18.04 Uhr. Jetzt stand bereits die Windhau-ser Straße ab Brücke Friedhof unter Wasser; die Wassermassen ergossen sich in die Innenstadt und überfluteten Straßen und anliegende Keller. Da die Möglichkeit bestand, dass Menschen-leben in Gefahr gerieten, wurde zuerst das Stadtgebiet mit 5 Einsatzwagen abgefahren um notwendige Rettungs-aktionen durchzuführen. Hierbei wur-den einige voll besetzte Personenwa-gen, welche in der überfluteten Wind-hauser Straße sich in einem aufgewor-fenen Graben festgefahren hatten, und sich nicht mehr retten konnten, gebor-gen.

Andere Trupps hatten die Verkehrs-hindernisse auf der Heldener- und Windhauser Straße beseitigt. In Zu-sammenarbeit mit der Polizei musste nun erreicht werden, den Straßenver-kehr durch Absperrungen der überflu-teten Straßen und Umleitungen auf-recht zu halten, welches in verhältnis-mäßig kurzer Zeit gelang. Da es durch weite Ausdehnung der Schadensstel-len nicht mehr möglich war, die Einsät-ze örtlich zu leiten, wurde zuerst im Gerätehaus, da sich dieses aber als unzulänglich und nicht geeignet er-wies, im Gasthaus »Zum Löwen« eine zentrale Einsatzleitung für die Feuer-wehr eingerichtet und von hier aus alle Einzeleinsätze angeordnet.

Von der Feuerwehr Attendorn waren im Einsatz: 56 Feuerwehrmänner so-wie folgendes Gerät: 1 LF16, 1 TLF16, 1 LF/16 TS, 1 Unimog, 1 LF8, 1 Rüst-wagen, 3 TS 8 und 1 TS 2/5. Haupt-sächlich wurde Hilfe durch Pumpen, Abdichten usw. dort geleistet, wo Aus-sicht bestand, dass der Schutz noch wirksam war. Durch Überflutung der Elektropumpen beim Hebewerk des Sammelschachtes der Kanalisation (Märchenbrunnen) wurden diese außer Betrieb gesetzt, hierdurch wurde der Abzug der Wassermassen noch weiter gehemmt.

Um einen Abzug des ansteigenden Wassers zu ermöglichen, wurde über das Grundstück Dingerkus im Nieders-ten Tor ein Graben gezogen, welcher das Wasser in den Mühlengraben ab-leitete. Durch Hilfsorganisationen her-angeschaffte und gefüllte Sandsäcke wurden an gefährdeten Stellen einge-bracht.

Eine neue Lage entstand, als die Fern-sprechverbindungen der Post durch Überflutung der Anlagen ausfielen. Die Nachrichten wurden jetzt über Polizei-funk vermittelt und die Einsatzleitung in die Polizeistation Attendorn verlegt. Durch Kontrolle wurde festgestellt, dass das Wasser an einzelnen Stellen sank, daher wurden vorerst keine wei-teren Maßnahmen angeordnet, zumal die Kellerräume der Innenstadt bereits überflutet und keine zusätzlichen Schäden zu befürchten waren. Als je-doch die Wasserhöhe wieder anstieg, wurde von der Einsatzleitung um 21.30 Uhr beschlossen, die Betondecke auf dem Biekegang zu öffnen, um den Wassermassen eine Vorflut zu schaf-fen. Nachdem ein Bagger und ein Kompressor herangeschafft waren,

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wurde gegen 23.00 Uhr die erste Öff-nung über den Biekegang am Rosen-hof hergestellt. Hierbei wurde eine Verstopfung des Bachlaufes hinter der Öffnungsstelle festgestellt. Nach der Beschaffung eines schwereren Bag-gers, wurde die Betondecke weiter abwärts geöffnet und ein Abziehen des Wassers festgestellt.

Um die Innenstadt von dem gestiegen Hochwasser frei zu machen, wurden am Sammelbrunnen 8 Pumpen mit einer Förderleistung von rd. 170 m³/min. eingesetzt. Trotz dieser Leis-tung fiel der Wasserspiegel nur sehr langsam.

Mit Tagesanbruch am Montag, 6. De-zember 1965 wurden noch die Wehren aus Olpe, Heggen, Helden, Lister-scheid und Neu-Listernohl mit 88 Mann und 12 Pumpen zur Hilfeleistung ein-gesetzt. Außerdem waren noch zwei Tauchpumpen von Bauunternehmun-gen im Einsatz. Dieser Einsatz dauerte noch bis in die Morgenstunden des 7. Dezember 1965. Die Rest- und Auf-räumungsarbeiten, sowie Kontrollgän-ge und Wachen wurden von der At-tendorner Wehr am Dienstag und Mitt-woch, 7. und 8. Dezember 1965, aus-geführt.

Attendorn, 15. Dezember 1965

gez. R. Höffer Hauptbrandmeister

Das jedoch alles beherrschende The-ma jener Jahre war der Neubau eines Feuerwehrhauses. Im Gerätehaus am Feuerteich konnten nicht mehr alle Fahrzeuge und Geräte untergebracht werden. Es standen hier die Fahrzeu-ge TLF16, LF15, LF8. Im Umkleide-raum (hier waren die persönlichen Ausrüstungsgegenstände wie Helm, Hakengurt, Arbeitsanzug etc. unterge-

bracht) stand noch der Hilfs-Rüstwagen der Wehr. Die Drehleiter war in einer unbeheizten Garage des städtischen Bauhofes am Zollstock untergebracht, das Ölwehrfahrzeug stand in einem Schuppen hinter dem Krankenhaus, Ölbindemittel etc. lager-ten bei der Stadtverwaltung und die beiden zugewiesenen ZB-Fahrzeuge, VLF-Unimog und LF16 TS, befanden sich in der ZB-Garage hinter dem Parkplatz der Atta-Höhle.

Altes Gerätehaus am Feuerteich

1969 – 1984

Grundsteinlegung für ein neues Feuerwehrhaus

Am 07. Dezember 1968 erfolgte die Grundsteinlegung für das neue Feuer-wehrhaus an der St. Ursula-Straße. Am letzten Tag seiner Amtszeit legte Wehrführer Robert Höffer den Grund-stein dafür. Der Rat der Stadt At-tendorn beschloss damals einstimmig, dass Robert Höffer die Uniform auf Lebenszeit tragen darf. Nachfolger von Robert Höffer wurde Hermann Gante.

Am 01. Juli 1969 trat die kommunale Neugliederung in Kraft. Hiermit wurde das Amt Attendorn, bestehend aus den Gemeinden Attendorn-Land und Hel-den, aufgelöst. Die Löschgruppe Heg-gen wurde der Gemeinde Finnentrop, die Löschgruppe Oberveischede der Stadt Olpe zugeschlagen. Die Wehr

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bestand 1969 aus 244 aktiven Mitglie-dern, 32 des Musikzuges Attendorn, 20 des Musikzuges Ennest, 17 des Spielmannszuges Listerscheid und 88 Mitgliedern der Alters- und Ehrenabtei-lung.

Am 11. Januar 1970 wurde Ober-brandmeister Karl Rameil zum Lösch-zugführer gewählt. Dieses Amt beklei-dete bis dahin Wehrführer Hermann Gante.

Am Abend des Rosenmontag 1970 brannte das Firmengebäude der Fa. Matthias Kutsch. Trotz der nachbar-schaftlichen Löschhilfe aus Olpe und Finnentrop konnte ein Totalschaden des Gebäudes nicht verhindert wer-den.

Am 19. Dezember 1970 konnte der Löschzug aus dem alten Feuerwehr-haus am Feuerteich in das neue Ge-bäude umziehen. Bereits im Jahr 1972 wurde im Feuerwehrhaus die Atem-schutzwerkstatt eingerichtet. Am 16. Dezember 1972 fand die erste Jahres-dienstbesprechung auf Stadtebene in der Stadthalle Attendorn statt. Diese sollte von nun an am Samstag vor dem 1. Adventssonntag abwechselnd in den verschiedenen Standorten durchge-führt werden.

Aus gesundheitlichen Gründen trat am 01. April 1977 Karl Rameil als Lösch-zugführer zurück. Bis zur Jahres-dienstbesprechung am 10. Dezember übernahm Hermann Gante die Leitung. Auf dieser Dienstbesprechung wurde Berthold Müller zum neuen Löschzug-führer gewählt. In Ennest und Licht-ringhausen wurden Feuerwehrhäuser in Fertigbauweise errichtet.

Am 17. September 1977 brannte es im Kellergeschoß der Attendorner Stadt-

halle. 21 Kameraden waren fast 8 Stunden im Einsatz.

Am 21. Juni 1978 kam es zu einem der größten Brände in der Geschichte der Attendorner Feuerwehr. Bei der Fa. Viega war ein großes Schadenfeuer zu bekämpfen. Alle Einheiten aus At-tendorn und Olpe wurden eingesetzt. Insgesamt 185 Feuerwehrleute mit 20 Fahrzeugen waren beteiligt.

Brand bei Viega - Einsatz am Ennester Weg

Brand der Firma Viega

Am 17. Januar 1979 wurde die Atem-schutzübungsstrecke vom Kreis Olpe an die Stadt Attendorn übergeben. Die Löschgruppe Windhausen erhielt ein TSF (Tragkraftspritzenfahrzeug), der Löschzug Attendorn einen Schaum-Wasserwerfer auf einem Anhänger. Die ersten 12 Funkmeldeempfänger bekam der Löschzug Attendorn 1981, durch den Bund wurde ein neues LF 16-TS zur Verfügung gestellt. Im Jahr 1982 beschaffte man einen Schlauch-wagen SW 2000. Das neue Feuer-

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wehrhaus in Windhausen konnte 1983 bezogen werden, 1984 erhielt der Löschrettungszug im Katastrophen-schutz einen RW 1 (Rüstwagen). Standort wurde Attendorn.

Ein Raub der Flammen wurden am 14. November 1984 die Werkstatt, Lager- & Ausstellungsfläche des Möbelhauses Keimer. Auch das angrenzende Mö-belhaus Hesse wurde vom Feuer in Mitleidenschaft gezogen. Die Feuer-wehr wurde um 2.25 Uhr über die Si-rene alarmiert. Neben dem Löschzug Attendorn wurden auch später die Löschgruppen Listerscheid, Neu-Listernohl und Helden zum Einsatzort gerufen. Auch die Feuerwehr Olpe rückte mit mehreren Fahrzeugen aus um die Kameraden aus Attendorn zu unterstützen. Insgesamt waren in die-ser Nacht 140 Wehrmänner im Ein-satz.

Jubiläum 100 Jahre Freiwillige Feu-erwehr Attendorn

Dieser runde Geburtstag wurde gefei-ert vom Samstag, dem 11. Mai 1985 bis Sonntag, dem 19. Mai 1985. Eine ganze Woche also stand im Zeichen der Attendorner Feuerwehr. Und ge-boten wurde so einiges: Mit einer Kranzniederlegung am Ehrenmal und einem anschließenden Feldgottes-dienst auf dem Gelände der Feuerwehr begannen die Festlichkeiten. Den Sonntag nutzte man dazu, der At-tendorner Bevölkerung die Räumlich-keiten und Fahrzeuge im Rahmen ei-nes „Tages der offenen Tür“ zu prä-sentieren.

Eine Vielzahl an Ausstellungen in ins-gesamt zehn Geschäften und Ladenlo-kalen Attendorns startete am Montag, dem 13. Mai. Nach dem Alterskamera-

dentreffen Dienstags mit über 230 Teilnehmern folgte Mittwochsabends eines der Highlights: Die Ochsenfurter Blasmusik unter der Leitung von Ger-man Hofmann sowie das Volksmusik-Duo Marianne und Michael sorgten für eine tolle Stimmung im Festzelt auf dem Feuerteich. Mit über 1.400 Gästen war das Zelt bis auf den letzten Platz gefüllt. Am Donnerstag führte der Mu-sikzug der Feuerwehr Attendorn ein Frühschoppenkonzert im Festzelt durch.

Der Freitagabend stand ganz im Zei-chen des offiziellen Festaktes zum Ju-biläum. Viele Attendorner Vereine tru-gen zum Gelingen bei. Mit dem Kreis-feuerwehrtag nahte samstags bereits das Ende einer tollen Festwoche, die natürlich nicht ohne einen großen Festzug zu Ende gehen durfte. Über 60 Fahrzeuge und Geräte sowie 10 Musik- und Spielmannszüge beteiligten sich am großen Umzug durch die Han-sestadt, welcher von vielen Tausend Besuchern besucht wurde.

Umzug zum 100jährigen Bestehen

Bedeutende Einsätze ab 1985

Brand Leitges am 11. Januar 1993

Zu einem der größten Einsätze in ihrer Geschichte wurde die Feuerwehr At-tendorn in den frühen Morgenstunden des 11. Januar 1993 gerufen.

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Ein Großfeuer vernichtete an diesem Tag das Wohn- und Geschäftshaus Leitges am Alten Markt vollständig und richtete im benachbarten Betten- und Aussteuerhaus Brake großen Sach-schaden an. Personen wurden nicht verletzt. Das Feuer brach in einer tür-kischen Grillstube im Erdgeschoß des Gebäudes aus. Der Großbrand wurde durch Brandstiftung ausgelöst. Ermitt-ler des Landeskriminalamtes Düssel-dorf fanden Brandbeschleuniger in den Überresten der Grillstube. In dieser Nacht nahmen 157 Feuerwehrmänner mit 16 Fahrzeugen und drei Drehleitern den Kampf gegen den roten Hahn auf. Gegen 6.30 Uhr war das Feuer dann endlich unter Kontrolle. Die Nach-löscharbeiten zogen sich bis zum spä-ten Nachmittag hin.

Großbrand einer Lagerhalle

Die Attendorner Sirenen heulten am 29. März 2002 um 14.15 Uhr in die Karfreitagsstimmung. Es brannte die Lagerhalle des Autozubehörhandels „ansa“ .Menschen kamen nicht zu Schaden, aber die Lagerhalle wurde vollständig zerstört. Mehrere Stunden kämpften die Wehrleute gegen die Flammen und sorgten dafür, dass der Brand nicht auf andere Gebäudeteile übergriff. Im unteren Geschoss lager-ten Reifen, Lacke, Kühlmittel und Öle. Gegen 16.30 Uhr war das Feuer unter Kontrolle, die Feuerwehr war allerdings bis in die Morgenstunden des 30. März im Einsatz.

Vor Ort waren alle acht Einheiten der Attendorner Wehr sowie u.a. die Dreh-leiter und der Messzug Olpe, die Dreh-leiter Bamenohl, die Feuerwehren aus Heggen und aus Meinerzhagen und die Drehleiter Plettenberg. Alles in al-lem waren über 300 Einsatzkräfte be-

teiligt. Nachdem der Dachstuhl einge-stürzt war, drohte auch das restliche Gebäude einzustürzen. Das THW und die Feuerwehr begannen am Abend das ca. 10 x 20 m Grundfläche umfas-sende Gebäude mit Baggern abzutra-gen, um zu weiteren Brandherden vor-zudringen.

Verkehrs-Unfall mit Schienenfahrzeu-gen

Zu einem schlimmen Unfall kam es am 18. Oktober 2003 auf dem Bahnüber-gang Wassertor, gegenüber dem Hal-lenbad. Zwei 68 und 69 Jahre alte Fußgängerinnen wurden innerhalb we-niger Sekunden von zwei herrenlosen Arbeitswaggons erfasst, überrollt und getötet. Acht weitere Personen - da-runter drei Kinder - wurden schwer ver-letzt.

Verkehrsunfall Wassertor

Laut Angaben der Polizei war die Ur-sache für die Tragödie wohl menschli-ches Versagen. Um einen Waggon 20 Meter zu versetzen, sollen Bauarbeiter den am Gleis festgeschraubten Bremsschuh gelöst und dann verges-sen haben, ihn wieder zu befestigen. Zwei Arbeitswaggons hatten sich von der Baustelle an der Listertalbrücke, die gut vier Kilometer vom Bahnüber-gang in Attendorn entfernt ist, in Be-wegung gesetzt. Über die abschüssi-

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gen Gleise rollten sie in Richtung At-tendorn. Weil der beschrankte Über-gang am Hallenbad außer Funktion war, konnten sich die Schranken nicht schließen. Beim Überfahren des Bahnübergangs kollidierten die Wag-gons mit zwei Pkws. Der komplette Kreuzungsbereich musste während der Unfallaufnahme durch die Feuerwehr abgesperrt werden. Der Einsatz dauer-te bis 16.00 Uhr.

Orkan Kyrill

Zu insgesamt 105 Einsätzen wurden alle Einheiten der Attendorner Feuer-wehr gerufen, als der Orkan Kyrill am 18. und 19. Januar 2007 über Deutsch-land hinwegfegte. Zum ersten Mal in der Geschichte des Kreises Olpe wur-de Katastrophenalarm ausgelöst.

Wohnungsbrand Schwalbenohl

Insgesamt vier Personen mussten bei einem Wohnungsbrand in der Flens-burger Straße am 7. Februar 2008 über die Drehleiter gerettet werden. In der Nacht des 7. Februar um 01.26 Uhr wurde der Löschzug Attendorn alarmiert. Eine Familie mit 2 Kindern konnte sich auf den Balkon ihrer Woh-nung retten. Die ebenfalls alarmierten Kräfte des DRK übernahmen die Ver-sorgung der verletzten Personen.

Wohnungsbrand in der Flensburger Straße

im Februar 2008

Industriebrand im Industriegebiet Eckenbach

Die Löschzüge aus Attendorn und Ennest wurden am 22. Februar 2010 um 3.44 Uhr, später auch aus Lister-scheid und Neu-Listernohl, zu einem Industriebrand alarmiert. Ein galvani-scher Betrieb im Industriegebiet Eckenbach brannte. Fast 200 Einsatz-kräfte, darunter die Drehleitern aus Bamenohl und Plettenberg, der GW Mess und das TLF 24/50 der Feuer-wehr Olpe, das ABC-Erkunderfahrzeug der Feuerwehr Siegen, sowie der ELW 2 des Kreises Olpe, waren im Einsatz. Für die Versorgung der Einsatzkräfte sorgte das DRK. Ebenfalls vor Ort war das THW.

Industriebrand bei der Firma Damm

Oberflächentechnik

Die Wehrführer der Feuerwehr Attendorn

Emil Peiffer sen., 1885 – 1888

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Josef Keimer, 1888 – 1901

Wilhelm Sohler, 1901 – 1904

Emil Peiffer jun., 1904 – 1936

Hermann Bethke, 1936 – 1939

Josef Bieker, 1939 – 1953

Robert Höffer, 1953 – 1968

Hermann Gante, 1968 – 1986

Berthold Müller, 1986 – 2008

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Georg Schüttler , seit 2008

Attendorner Feuerwehr Museum Gründung

Die Idee zur Gründung eines Feuer-wehr-Museums wurde im Rahmen der Festlichkeiten zur 100-Jahr-Feier der Attendorner Feuerwehr im Jahre 1985 geboren. Hierzu gab es im Rahmen einer Dienstbesprechung der Füh-rungskräfte des LZ Attendorn am 17. September 1985 einen Tagesord-nungspunkt. In einer weiteren Dienst-besprechung der Führungskräfte am 13. Januar 1986 wurden weitere Über-legungen zur Gründung eines Muse-umsvereins getätigt. Da man Räum-lichkeiten im Feuerwehrhaus für das Museum bereitstellen konnte, ent-schloss man sich einen Museumsver-ein zu gründen. Hierzu wurde eine Ein-ladung an die aktive Wehr, den Musik-zug und die Alterskameraden durch den Löschzugführer HBM Berthold Müller geschrieben.

Zur Gründungsversammlung trafen sich am 22. März 1986 41 Interessier-te, um den Verein Attendorner-Feuerwehr-Museum zu gründen. Nach einstimmigem Beschluss zur Gründung des Vereins erklärten sich alle Anwe-senden bereit, diesem Verein beitreten

zu wollen. Es wurden folgende Perso-nen im Vorstand gewählt: 1. Vorsitzen-der Werner Johannes, 2. Vorsitzender Theo Korte, Geschäftsführer Karl-Josef Lüttecke.

Der langjährige 1. Vorsitzende (1986-2006) und heutige Ehrenvorsitzende Werner Johannes legte zunächst mit seiner umfangreichen Sammlung den Grundstein für das Museum. Schon im Gründungsjahr konnte somit eine erste Ausstellung auf 40 m² in zwei Räumen des Attendorner Feuerwehrhauses eröffnet werden. Bereits 1987 kam es zu ersten Planungen für die Errichtung eines eigenständigen Museumsbau, in dem auch Großexponate ausgestellt werden können.

Diese Exponate waren zu dieser Zeit an 5 unterschiedlichen Stellen im Stadtgebiet verteilt und standen somit nur bedingt für die Museumsbesucher zur Verfügung.

Neubau Museum

Von der Planung bis zur Durchführung des Neubaus vergingen mehrere Jah-re. Man bekam im Jahre 1989 Lan-desmittel in Höhe von 188.000 DM. Dieses war die Hälfte der geplanten Kosten in Höhe von 376.000 DM. Die andere Hälfte für dieses Projekt muss-te in Eigenleistung und durch Spenden erbracht werden. Die Baupläne für den Museumsbau wurden von Architekt Georg Höffer gezeichnet.

Der Neubau begann mit dem Spaten-stich am 25. August 1989. Rund 700 m³ Erde mussten bewegt werden, be-vor die Bodenplatte des Museum ge-legt werden konnte. Bauleiter des ein-maligen Projektes wurde Franz-Josef „Philip“ Franke, der jede freie Minute auf der Baustelle verbrachte. Der Roh-

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bau war im Dezember 1989 fertig. Dort wurden 3.600 Hohlblocksteine und 80 Festmeter Holz verarbeitet. Noch vor dem Winter konnte das Dach mit 33 Tonnen Dachziegel eingedeckt wer-den. Bis Ende des Jahres 1991 wur-den insgesamt an 2.097 Arbeitseinsät-zen 10.794 Stunden Eigenleistung er-bracht. Dieses wurde von 141 freiwilli-gen Helfern durchgeführt.

Am 22. Mai 1992 konnte das Attendor-ner-Feuerwehr-Museum offiziell mit einem Festakt eröffnet werden. Am 23. und 24. Mai 1992 gab es dann ein Festwochenende mit zahlreichen Ver-anstaltungen und Führungen.

Entwicklung

Das Attendorner-Feuerwehr-Museum entwickelte sich nun zu einer der Se-henswürdigkeiten in Attendorn. Zahl-reiche Besucher kommen jedes Jahr aus Nah und Fern, um die Ausstel-lungsstücke zu bestaunen. Im Jahre 2002 wurde die Empore im Feuerwehr-Museum um 70 m² erweitert. Zahlrei-che Großexponate wie z.B. alte Hand-druckspritzen, Holzleitern und Fahr-zeuge sowie über 150 Helme und Müt-zen aus allen Teilen der Welt werden

präsentiert. Unzählige Orden und Eh-renzeichen, Strahlrohre, Pumpen, Handfeuerlöscher, Bilddokumente und vieles mehr komplettieren eine Samm-lung, die heute auch über die Grenzen der Stadt und des Kreises bekannt ist und jedes Jahr Tausende von Besu-chern in Ihren Bann zieht. Der Verein Attendorner Feuerwehrmuseum möch-te mit seiner Ausstellung zur Sicherung und Erhaltung alter Traditionsstücke des Feuerlöschwesens beitragen.

Feuerwehrmuseum

Fotonachweis: Alle Fotos Feuerwehr At-tendorn

Die Mannschaft im Jubiläumjahr 2010

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33 Jahre Plattdeutscher Kreis in Attendorn – Von der Entstehung bis zur heutigen Zeit

Von Meinolf Lüttecke

Am 12. Januar 2011 konnte man närri-sches Jubiläum feiern: Dann gibt es die vom Plattdeutschen Kreis durchge-führten Veranstaltungen seit 33 Jah-ren. Und seit dieser Zeit sind die Orga-nisatoren Klaus-Walter Hoberg und Dieter Auert die Beständigkeit in Per-son.

Tolle Stimmung und viel zum Lachen gab es beim ersten plattdeutschen Abend, am 12.1.1978, im Jägerhaus. Unser Bild zeigt von links: Otto Hellner, Toni Teipel, Ede Prentler und Toni Schulte. Foto: Gunhilde Lüttecke

Alles fing an bei einem Dämmerschop-pen im „Jägerhaus“. In dieser At-tendorner Traditionsgaststätte war Die-ter Auert in den Jahren 1968 bis 1978 Wirt, und Jung und Alt kamen auf Grund seiner bürgerfreundlichen Art gerne zu ihm. An diesem Abend hörten Klaus-Walter Hoberg und Dieter Auert wieder einmal voller Bewunderung „den Alten“ zu, wie sie sich in platt-deutscher Sprache unterhielten. Klaus-Walter Hoberg sprach sein Bedauern aus, dass das Plattdeutsche nur noch von „den Alten“ gesprochen wird und meinte zu Dieter Auert: „Da müssen wir mal dran drehen.“ Und so entstand der Gedanke, einen plattdeutschen Arbeitskreis zu gründen. Es wurden gleich Pläne geschmiedet und Dieter

Auert sagte: „Wir müssen vor allem „die Alten“ mit ins Boot nehmen.“ Ja, und die sogenannten Alten waren hell-auf begeistert und sagten oft spontan zu, ihren plattdeutschen Erfahrungs-schatz zu öffnen.

Dieter Auert sprudelt die Namen der Experten aus der Gründerzeit so her-aus: Vom Heimatdichter Johannes Schulte waren es seine Tochter Maria Schmidt und die Zwillinge Toni und Otto Schulte sowie „Ede“ Prentler, Ernst Maiworm (Korkes), Otto Hellner (Poskevatter der Waterpoote), Lehrer Erich Schneider aus Ennest, Anna Bock von der Mühlhardt, Franziska Schwane aus Bürberg, Josefine Wa-gener-Zeppenfeld (Kannegeiters Fine), Toni Teipel, Franz Bruse, Josef Kamp-schulte, Hubert Wacker und Josef Stuff (Buttes).

Anna Bock (Mühlhardt) brachte gereimte Verse

zu Gehör. Foto: Gunhilde Lüttecke

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Die erste Veranstaltung war dann am 12. Januar 1978 im Gründungslokal „Jägerhaus“, und da der Platz begrenzt war, gab es ein ausgewähltes Publi-kum, welches mit einer Einladungskar-te wie folgt unterrichtet wurde:

„Laiwe Suerländer/in!

Hört mol nippe tau. Amme Duenners-dage, diäm twiälften Jänner niggen-tainhundertachtensiewenzig, Klocken-schlag acht luhr owends, kommet im-me allen Jiäggerhius in Attendoren echte plattdütske Originale tau einem Plattdüsken Owend tehaupe. Wil dat I en echten seid, hew vie auk hi tau inn-latt. I kommet doch? – Vie verlotet uns drop. Bränget düese Kaarte met. Süss kommet I nit rinner.

Dat Komitei: K. Hoberg, D. Auert“

Diese Aufnahme stammt ebenfalls vom ersten plattdeutschen Abend und zeigt von links: De-chant Johannes Klinkhammer, Toni Schulte und den ehemaligen Kreisheimatpfleger Gün-ther Becker. Foto: Gunhilde Lüttecke Dann ging es Schlag auf Schlag im Gründerjahr: Nach der gelungenen Erstveranstaltung folgten weitere Tref-fen am 4. April im Gasthaus „Zum Lö-wen“, am 20. Juni in der „Stadtschän-ke“, am 14. September nochmal im „Jägerhaus“ (Abschiedsfeier wegen Schließung) und am 14. Dezember im Hotel „Zur Post“. Zum Andenken an

den Attendorner Heimatdichter Johan-nes Schulte wurde an seinem Haus an der Ennester Straße 3 eine Gedenkta-fel angebracht. Das war am 8. März 1979. Diese Gedenktafel stiftete die Sparkasse Attendorn dem Verein für Orts- und Heimatkunde Attendorn. An-schließend fand im Hotel „Zur Post“ ein „Johannes-Schulte-Abend“ statt, zu dem „Dat Komitei“ eingeladen hatte.

Im Sauerländer Dom fand am 28. No-vember 1980 die erste Plattdeutsche Messe statt. Für diese heilige Messe in plattdeutscher Muttersprache hatte der Plattdeutsche Kreis einen wortgewalti-gen Priester gewinnen können. Es war der Ehrenbürger von Brilon, Propst Anton Dünnebacke. Klaus-Walter Hoberg und Dieter Auert holten den kirchlichen Würdenträger persönlich in Brilon ab. Meine Mutter, die damalige Lokaljournalistin Gunhilde Lüttecke, schrieb zu diesem Ereignis in der Westfalenpost: „Die Sprache war zwar alt, doch die Probleme, zu denen Propst Dünnebacke in der Predigt der plattdeutschen Messe Stellung nahm, waren hochaktuell. Wenn Ausdrücke wie „Schmandfurterie“ oder „morali-sche Schiete“ zu hören waren, wurden dadurch Mißstände in markanter Wei-se verdeutlicht. Mit der plattdeutschen Messe von Th. Pröpper umrahmte der MGV „Sauerlandia“ den von Dechant Klinkhammer und Propst Dünnebacke zelebrierten Gottesdienst. Eine Urauf-führung erlebten die 800 Kirchenbesu-cher mit „Summermuarren imme Biär-ge“ – Text P. E. Hundt (1794-1877), Melodie von F. Abt (1819-1885), mehr-stimmiger Chor. Es war schon etwas Erhabenes, als „Grouter Gott vie lou-ven diek“ durch das mächtige Gewölbe des Sauerländer Domes klang.“

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Das war der Beginn der plattdeutschen Messen, die heute regelmäßig am Pfingstmontag und am Tag der Deut-schen Einheit, zunächst am 17. Juni und nach der Wiedervereinigung am 3. Oktober an der Wallfahrtskapelle Waldenburg gefeiert werden. Lange Jahre standen Attendorns Dechant und Pfarrer Johannes Klinkhammer, Pater Erwin Immekus (gebürtig aus Rhode) und Diakon Herbert Sasse als platt-deutsche Prediger zur Verfügung.

Beim plattdeutschen Abend am 22.11.1983 mit dem Thema „Kiärke un Pastouer“ war auch Dechant Johannes Klinkhammer im Element. Foto: Gunhilde Lüttecke Später konnte man Domkapitular und Pfarrer Josef Vorderwülbeke und den heutigen Dechant des Südsauerlandes sowie Pfarrer in Olpe, Friedhelm Rü-sche, für diese Sache begeistern. Da Josef Vorderwülbeke kein Platt spricht, wurden seine Predigten zunächst durch Karl Falk und später duch Rudi Hellner übersetzt und auch von ihnen vorgetragen.

In diesem Jahr steht ein Jubiläum an: Dann liest Friedhelm Rüsche seine 20. Plattdeutsche Messe. Froh ist der

Dechant Friedhelm Rüsche bei der Plattdütsken Misse in Waldenburg.

Foto: Meinolf Lüttecke Plattdeutsche Kreis, dass man den Küster und Organisten der Kapelle Waldenburg, Paul Maiworm, auf seiner Seite hat. Paul Maiworm nimmt auch an der Vorbereitungs-Zusammenkunft für die jeweilige Messe teil und ist bei der Erstellung des Programms maß-geblich beteiligt.

Beim Thema „Kiärke un Pastouer“ waren die Attendorner Geistlichen zahlreich vertreten. Unser Bild zeigt von links sitzend Studienrat Werner Kleffner, Vikar Hans Gerd Westermann (Kläppchen-Vikar), Diakon Herbert Sasse, Pastor Johannes Cramer und Dechant Johan-nes Klinkhammer. In der oberen Reihe die Musiker von links: Josef Kampschulte, Otto Höffer und Peter Wurm (Pauken-Peter). Foto: Gunhilde Lüttecke Viele Jahre veranstaltete der Platt-deutsche Kreis auch Heimatabende auf den Dörfern. So konnten immer wieder begnadete Plattsprecher, u.a. Franz Keseberg, der Papst von Wind-hausen, gefunden werden. Auch der

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damalige Kreisheimatpfleger Günther Becker war dem Plattdeutschen sehr verbunden.

Am 12. Mai 2007 gab der Sauerländer Heimatbund dem Plattdeutschen Kreis Gelegenheit, die traditionsreiche Han-sestadt im Zyklus eines Jahres vorzu-stellen. Das war für die Akteure ein Leichtes u.a. über Fastnacht in „Klein Köln“, das Osterbrauchtum und das Schützenfest mit Triller- und Bügeltanz zu berichten.

Heute sind noch von der ersten Stunde an Toni Teipel (90) und Franz Bruse dabei. Zum festen Stamm der Vortra-genden gehören heute des weiteren Rudi Hellner, Franz Köper, Elsbeth Schulte, Karola Maertin, Hubert Schul-te und Ulrich Lingemann.

Von der ersten Stunde bis zum heutigen Tag dabei: Toni Teipel. Foto: Gunhilde Lüttecke Auch Nachschlagewerke entstanden im Laufe der Jahre. So widmete Toni Schulte seiner Vaterstadt Attendorn ein Plattdeutsches Wörterbuch mit ca. 4.500 ihm noch bekannten Wörtern aus dem Stadtgebiet Attendorn. Weite-re Autoren waren Karl Falk „Düet un

dat“ sowie Josefine Wagener-Zeppenfeld mit „Heymot“, Gedichte aus Attendorn.

Unser Bild entstand am 23.11.1982 bei der plattdeutschen Veranstaltung mit dem Thema „Jugendtiyt-Kingerjohre“ und zeigt von links: Else Lichtenstein, Josefine Wagener-Zeppenfeld, besser bekannt als „Kannegeiters Fine“ und ihre Freundin Grete Mertens. Foto: Gunhilde Lüttecke Abschließend sei noch gesagt, dass der Plattdeutsche Kreis in all den Jah-ren die Zusammenarbeit mit dem Ver-ein für Orts- und Heimatkunde At-tendorn – Vorsitzender Reinhard König ist auch Mitglied im Plattdeutschen Kreis – und dem Osterfeuerverein ge-sucht hat und die gute Verbindung auch weiter pflegen wird.

Pfingstmontag 2010 nach der Plattdütsken Misse: Domkapitular u. Pfarrer Josef Vorder-wülbeke (rechts) und alle weiteren Beteiligten. Foto: Meinolf Lüttecke

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Das Doppeljubiläum des SGV Attendorn im Jahr 2010 und 120 Jahre Abteilung Attendorn – 70 Jahre SGV-Hütte - Ein Rückblick

von Gabriele Schmidt

Die SGV-Abteilung Attendorn wurde am 19. Juli 1890 gegründet und geht zurück auf die Initiative des Forstrats Ehmsen (1891 – 1897), der zur Grün-dung eines „Sauerländischen Touris-tenclubs“ aufrief.

Forstrat Ehmsen. Foto: SGV

Die Gründung fand statt im „Gasthof Lahr“ am Wassertor, dem heutigen „Hotel Rauch“, das bis zum Jahr 1992 auch das Vereinslokal der Abteilung Attendorn war.

Gründungseintrag in der Vereinschronik. Repro: Gabriele Schmidt

„Attendorn, 19. Juli 1890 Einem von Forstmeis-ter Ehmsen und mehreren anderen Arnsberger

Herren erlassenen Aufrufe folgend, versam-melten sich heute im Gasthof Lahr eine Anzahl Herren und beschlossen, als Glied des zu gründenden Sauerländischen Touristenclub hier eine Sektion Attendorn zu errichten. Die anwesenden Herren traten der Sektion bei und wählten zum Vorsteher derselben den Gymna-siallehrer Hölscher zum Stellvertreter dessel-ben und Kassierer den Herrn Amtsrichter Schwarze. Der zu zahlende Jahresbeitrag wurde auf 3 (drei) Mark festgesetzt.“1

Die Abteilung Attendorn wurde noch vor dem SGV-Hauptverein gegründet und ist somit die älteste Abteilung des Sauerländischen Gebirgsvereins. Schon kurze Zeit nach der Gründung begann man mit dem Ausbau und der Kennzeichnung von Wanderwegen im Gebiet um Attendorn sowie mit dem Bau von Ruhebänken und Aussichts-türmen an Punkten mit besonders schöner Aussicht, so z. B. „Auf dem Windhagen“, „Auf dem Keller“, „Auf der Dünscheder Höhe“ und „Auf dem Son-nenberg“.

So sind auch heute noch die Wande-rungen sowie der Ausbau und die Zeichnung der Wanderwege das vor-rangige Ziel des SGV. Schon zu Be-ginn führte man Sternwanderungen sowie Wanderungen in den Bezirken der Nachbar-Abteilungen durch. Hinzu kamen unterschiedliche Festivitäten und Veranstaltungen, die meist auf der Burg Schnellenberg stattfanden. Be-sonders erwähnt sei an dieser Stelle die Aufführung des Festspiels „Der Raubritter von Waldenburg“ am 7. Au-gust 1904 auf dem „Grünen Plätzchen“ der Burg anlässlich des 14. Hauptge-

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birgsfests. Die Schauspieler wurden allesamt von der SGV-Abteilung At-tendorn gestellt.

„Der Raubritter von Waldenburg“. Foto: SGV

Untere Reihe 2. von links: C.J. Isphording, 3. Schneidersmann, 4. Rend. Hüttemann, 6. Paul Isphording, 7. Otto Isphording, 8. Emi Bruns, 9. Georg Lahr – 9. Schwarze- 10. Paul Wilmes, 11. Max Lenneberg Obere Reihe v. rechts: 1.Willy Schnitzler, 2.Paul Frey, 3.Elisabeth Sohler, 4.Karl Isphord-ing, 5.Johanna Schneidersmann, 6. Maria Kutsch, 7.Richard Helm, 8.Martha Helm, 10.Ida Ursel, 11.Mathilde Isphording, 12.Helene Frey, 13.Emilie Lenneberg, 15.Josef Humberg, 16. Mary Hopff, 18.Karl Kost, Zwer-ge: Luise Frey, Luise Sohler, Gertrud Lahr, Vera Humberg. In den 20er Jahren, in denen auch im Raum Attendorn zahlreiche Vereine zum Zwecke der Freizeitgestaltung gegründet wurden, entstanden auch solche, die sich dem Wandern und der Natur verschrieben hatten, so bei-spielsweise die „Wandervögel“ und der „Hubertushüttenverein“. Letzterer war aus dem „Verein der Naturfreunde“ hervorgegangen und hatte sich als Schutzhütte die „Hubertushütte“ zu-nächst auf der Reper Höhe, später „Im Vogelsang“ am Rappelsberg gebaut. Im Gegensatz zur SGV-Abteilung At-tendorn, in der die Honoratioren und die Geschäftsleute der Stadt vereint waren, war der „Hubertushüttenverein“ jedoch der Verein des kleinen Man-nes.2 In den Jahren der beiden Welt-

kriege bestand die SGV-Abteilung At-tendorn unter der Leitung von Lehrer Teigler (1. Vorsitzender von 1909 – 1920) sowie Josef Hüttemann (1. Vor-sitzender von 1934 – 1948) weiterhin fort, wenn auch mit reduzierten Mit-gliederzahlen. Im Jahr 1931 gründete man eine eigene Ski-Abteilung unter der Leitung von Sportlehrer Cordes und Oberwachtmeister Reudelsterz mit über 30 Mitgliedern.

Anlässlich des 50jährigen Bestehens der Abteilung Attendorn im Jahr 1940 begann der Verein mit dem Bau einer Schutzhütte „Auf der Waneleye“. Die Arbeiten wurden nach dem Entwurf des Amtsbaumeisters Stritter durch den Zimmermann Josef Viegener durchgeführt. Der Hauptverein des SGV und die Stadt Attendorn beteilig-ten sich an den Kosten. Der Platz, an dem die Blockhütte entstand, bot einen einzigartigen Blick über das Bigge- und Ihnetal und ist nach dem Bau der Big-getalsperre im Jahr 1965 noch reizvol-ler geworden.

Schutzhütte 1940. Foto: SGV

Nach einem umfangreichen Umbau der SGV-Hütte im Jahr 1972 unter der Leitung des 1. Vorsitzenden Max Vige-ner stieg die Mitgliederzahl des Ver-eins enorm an. Nun wurde auch für den Nachwuchs gesorgt. Neben zahl-reichen Jugendwanderungen organi-sierte man auch Veranstaltungen wie Ostereiersuchen, Jugendwanderungen

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und Sommerfeste an der SGV-Hütte für die Jugend der Abteilung.

Anlässlich der 750-Jahr-Feier der Stadt Attendorn im Jahr 1972 veranstaltete die Abteilung Attendorn das 48. Ge-birgsfest des SGV, das in der neu ge-bautenStadthalle gefeiert wurde. Hö-hepunkt des Gebirgsfests war der Be-such des damaligen Innenministers Willy Weyer, der mit einem Hub-schrauber auf dem Klosterplatz landete und dort eine Festansprache hielt. Am Festzug zum Stadtjubiläum im Jahr 1972 beteiligte sich die SGV-Abteilung mit einer eigenen Abordnung.

„Antreten zum Festzug“. Foto: SGV v.l.n.r.: Hans Esslinger, Marianne Esslinger, Margret Platschek, Magdalena Schiller, Char-lotte Wörsdörfer, Erika Töllner, Hilde Vigener, Theo Köper, Karl-Jos. Schäfers, Josef Nimphi-us, Roman Platschek, Magdalena Marx, Wer-ner Schiller, Irmgard Roll, Wilhem Marsch, Kinder: Claus Nimphius, Ulrich Töllner, Joachim Esslinger Die Senioren gründeten im Jahr 1976 eine eigene Seniorenabteilung unter der Leitung von Seniorenwanderwart Wilhelm Marsch. Auch die Seniorinnen waren aktiv und veranstalteten ihre eigenen Treffen und Wanderungen. Einmal im Monat traf man sich an der Hütte; am Montag nach dem Attendor-ner Schützenfest stand das Senioren-Schützenfest auf dem Programm.

Im Jahr 1980 wurde das nun 90jährige Bestehen des Vereins mit einem Got-

tesdienst an der Kapelle Waldenburg und anschließendem, gemütlichem Beisammensein an der SGV-Hütte ge-feiert. Der bis heute jährlich erschei-nende offizielle Wander- und Veran-staltungskalender des Vereins, der „Attendorner Wanderschuh“, wurde erstmals im Jahr 1983 herausgegeben. Ebenfalls in diesem Jahr wurde der von der Abteilung Attendorn geplante und gezeichnete „Attendorner Rund-wanderweg“ vom damaligen 1. Vorsit-zenden Herbert Teipel eingeweiht.

Das 100jährige Bestehen der SGV-Abteilung Attendorn wurde im Juni 1990 u. a. mit einem Festkommers in der Stadthalle, einem Frühschoppen auf dem Alten Markt sowie einem Festzug durch die Stadt gefeiert.

Da das „Hotel Rauch“, zuletzt unter dem Wirt Sommer, nicht mehr zur Ver-fügung stand, musste sich die Abtei-lung im Jahr 1992 ein neues Vereins-lokal suchen. Man wählte fortan das Restaurant „Himmelreich“.

Im Jahr 1996 wurde die SGV-Hütte durch einen Anbau erweitert, um einer noch größeren Anzahl Gäste in der Hütte Platz zu bieten. Im Mai 2000 stand die Ausrichtung des 4-tägigen SGV-Gebirgsfests auf dem Programm der Abteilung Attendorn, das wieder mit großem Aufwand gefeiert wurde.

Um für ein größeres Publikum präsent zu sein, vor allem aber jüngeren Leu- ten die Möglichkeit zu geben, sich über die Aktivitäten der SGV-Abteilung At-tendorn zu informieren, ist man seit November 2002 mit einer eigenen Website „online“. Im Jahr 2003 veran-staltete die Abteilung erstmals eine Bergmesse an der SGV-Hütte. Diese ist bis heute, so wie das jährlich am 3.

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Oktober stattfindende Oktoberfest, ein wichtiger Bestandteil im Jahreskalen-der der Abteilung Attendorn und gehört zu den besucherstärksten Veranstal-tungen des Vereins.

Die SGV-Hütte heute (ca. 2008, vor Anbrin-

gung der Markise). Foto: SGV

Das Jahr 2007 stand im Zeichen des Orkans „Kyrill“, der am 18. Januar auch die Sauerländer Wälder verwüs-tete. Das einige Tage später verhängte „Waldbegehungsverbot“ machte das Anlaufen der SGV-Hütte unmöglich. Der Hüttenwart, Herr H. Fritsche, konn-te jedoch eine Ausnahmegenehmigung erwirken, die ein Betreten des Weges bis zur Hütte ermöglichte. Die durch „Kyrill“ entstandenen Schäden an den Beschilderungen und Kennzeichnun-gen der Waldwege bescherte den Wegezeichnern eine Menge Arbeit. Auch der Wanderplan musste umge-stellt werden, da man nun auf Wan-derwege ausweichen musste, die nicht durch den Wald, sondern durch offene Felder und Flure führten. Mittlerweile kann die SGV-Abteilung Attendorn auf den Einsatz moderner Hilfsgeräte bzw. Programme wie z. B. der Tourenpla-nung und Navigation mit GPS zurück-greifen. So konnte man sich im Jahr 2008 am „Notfall-Ruhebank-Kataster“ beteiligen, das vom Seniorenrat der Stadt Attendorn ins Leben gerufen wurde: Man half mit, die Ruhebänke im

Stadtgebiet Attendorn mit einer Markie-rung (Halbmond aus dem Attendorner Stadtwappen, Buchstabe „A“ und Nummer) zu versehen und die GPS-Daten der Bänke zu erfassen, die dem Rettungsdienst in Olpe zur Verfügung gestellt wurden. Ziel dieses Projektes war das schnelle Auffinden hilfesu-chender Personen, das sich bestens bewährt hat.

Ein überaus wichtiges Projekt des Ver-eins war die Beteiligung an der Pla-nung und Ausarbeitung des neuen Wanderweges „Sauerland-Höhenflug“, der sich über eine Strecke von mehr als 250 km von Altena bzw. Meinerz-hagen nach Korbach erstreckt. Die Zeichnung des Weges im Bereich der Stadt Attendorn ist inzwischen abge-schlossen. Das Doppeljubiläum der Abteilung wurde am 10.07.2010 mit einer Wanderung und anschließender Jubiläumsfeier an der SGV-Hütte unter der Leitung des 1. Vorsitzenden Mi-chael Heller zünftig begangen.

Auch wenn das Wandern, wie es einst von Forstrat Ehmsen durch die Grün-dung des „Sauerländischen Touristen-clubs“ gefördert wurde, heute zuweilen „Trekking“ genannt wird und die Kni-ckerbocker-Hose zur „Outdoor“-Bekleidung geworden ist, so steht auch in der heutigen Zeit die Bewegung an der frischen Luft immer noch hoch im Kurs und wird der Abteilung Attendorn mit ihren z. Zt. 480 Mitgliedern auch in Zukunft den weiteren Fortbestand si-chern. Anmerkungen: 1) Vereinschronik 2) Peter Höffer in „Attendorn – Gestern und Heute“, Heft 26, S. 21 Zur Erstellung des Artikels wurde die Publikation des SGV „100 Jahre Sauerl. Gebirgsverein Abtei-lung Attendorn e.V.“ und die Website der SGV-Abteilung Attendorn von der Verfasserin benutzt.

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Zum Abriss des Hauses Breite Straße 16 Von Georg Ortmann und Birgit Haberhauer-Kuschel

Wieder einmal musste ein Jahrhunder-te altes Haus dem Abrissbagger wei-chen. Eine Begehung vor dem Abriss ließ erkennen, dass dieses Ackerbür-gerhaus in Fachwerkbauweise nach dem letzten großen Stadtbrand von 1783 auf den alten Außenmauern neu errichtet worden war. Jede Zeitepoche hatte ihre Spuren hinterlassen. Einige ältere Gebäudeteile waren in Fachwerk und Lehmbauweise, andere in Ziegel-, Schwemmstein- oder Fichtenholzaus-führung gebaut worden.

Auskunft über den Umfang der Brand-schäden des großen Stadtbrandes vom 13. Juli 1783 gibt der erste Band der Ratsverhandlungen , der mit der Liste jener Häuser und Gebäude be-ginnt, die beim Brand ganz oder teil-weise vernichtet worden sind. Hier fin-det sich auch „das hauß Casparen Bruese sub n. 65 und stall sub lit. A total.“ Ein weiterer Eintrag unter dem 30. Oktober 1783 berichtet: „Caspar Bruse hieselbst erklärte, das in der brand-gesellschaft catastrirte hauß sub nro.65 und stall sub lit. A neu erbauen zu wollen. Sezte derhalb zur versicherung des 1ten und 2ten termins 1 fuder heues auf der Jhene 3 1/2 muddesch(eid) am Kelberg und übriges vermögen zum unterpfande, mit bitte, dieses ad pro(toco)llum zu neh-men und extractum darüber auszutheilen. So geschehen und verstattet worden.“ Im Stadtgrundriss aus dem Jahre 1810 findet man das Haus Nr. 65 in der Brei-ten Straße bereits wieder aufgebaut.

Attendorner Ratsprotokolle 1783-1808, be-arb. Von Norbert Henkelmann, Attendorn 1994, Seite XIV

aaO, S. 2 Attendorner Ratsprotokolle aaO, S. 24

Das Pickert’sche Häuserbuch berichtet zum Anwesen Nr. 65: „1794 Kaspar Bruse (schon 1788), 1809 Kaspar Bruse, 1828 Stephan Bruse (schon 1818), 1836 Stephan Bruse (auch 1843), 1909 Peter Graf jr., gekauft von Rödelmann, danach Peter Graf und Julius Gärtner.“ Pickerts Noti-zen geben weitere Auskünfte: „Ältes-ter Besitzer Kaspar Georg Bruse, Müller zu Ewig, der 1717 genannt wird. Er starb 1763. Dann folgte sein Sohn Johann, ebenfalls Müller zu Ewig, gestorben 1777; dann dessen Sohn Kaspar bis zur Aufhe-bung des Klosters ebenfalls Müller dort-selbst, dann städtischer Müller, gestorben 1812. Dann folgte dessen Sohn Stephan, ebenfalls städtischer Müller und Ackerwirt. Zuletzt hatte er die städtische Mühle im Verein mit Christoph Meyer. Er starb 1857.“ Im Hauseigentümerverzeichnis von 1909 erscheint unter der alten Num-mer 57, die der neuen Nummer 65 entspricht, sowie der Nummer 67 der Gebäudesteuerrolle als Eigentümer Peter Graf jr., Klempner.

Durch Erbteilung gab es etwa um 1900 größere Veränderungen im Hause Breite Straße 16. Durch das gesamte Gebäude - einschließlich des Heubo-dens – wurde eine Trennwand gezo-gen. Zwei Drittel des Hauses bildeten nun eine eigene Einheit, während der rechte Gebäudeteil einen Anbau er-hielt, so dass in etwa eine räumliche

Abschrift des Pickert’schen Häuserbuchs im

Archiv L. Korte aaO Verzeichnis der alten und neuen Hausnum-

mern und der Hauseigentümer der Stadt At-tendorn, 1909

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Gleichheit gegeben war. Die bis dahin betriebene Landwirtschaft wurde auf-gegeben und man orientierte sich hin zum Handwerk. Durch die Aufgabe des Stalles im hinteren Drittel des Hauses entstanden zwei Werkstätten. Neue Flure und Treppenhäuser mussten er-richtet werden, wodurch zwangsläufig Raum verloren ging – die Räume wur-den insgesamt kleiner. An der Garten-seite blieb im linken Gebäudeteil ein Stall für Ziegen, ein Schwein und Hüh-ner neben der Klempnerwerkstatt be-stehen. Ein Blick in den Garten wäh-rend der Begehung zeigte, dass auch dieser geteilt worden war, für einen Garten im Stadtkern aber noch recht groß erschien.

Den Bombenangriff auf Attendorn am 28. März 1945 überstand das Haus Breite Straße 16 mit leichten Schäden, meist an der Bedachung. Es erschei-nen in der Liste der Hauseigentümer, deren Häuser nur leichte Schäden da-von getragen haben unter Nummer „171) Graf Peter, Breite Straße, Wohn-haus (1,-,-)“ und unter Nummer „172) Gärtner Julius Wwe, Breite Straße, Wohnhaus (1,-,-)“. Die Zahlen in Klammern bedeuten, dass jeweils eine Wohnung im Haus vorhanden war, die hier aber weder zerstört noch wieder instandgesetzt worden ist.

Die Begehung vor dem Abriss zeigte, dass sich nicht nur im Erdgeschoss des Hauses durch die Teilung vieles verändert hat. Im ersten Stock des lin-ken Gebäudeteils wurden die Räume teils durch die Verkleidung der Balken-decken mit Rigipsplatten, teils durch Abhängen mit Holzpaneelen noch klei-ner. Über eine Zugtreppe gelangte man auf den ehemaligen Heuboden. Hier konnte man am Eichenholzgiebel

zur Breiten Straße noch erhebliche Brandspuren erkennen. Nach den Er-innerungen der 1925 im Haus gebore-nen letzten Eigentümerin waren diese Brandspuren schon immer vorhanden. Auch ihre Eltern hätten nicht gewusst, woher diese stammten. Daher er-scheint es wahrscheinlich, dass die zum Teil angekohlten, im Kern aber noch intakten, Balken schon beim Wiederaufbau nach dem Brand von 1783 aufgrund der großen Baumateri-alknappheit wieder verwendet worden sind.

Am Giebel zur Gartenseite waren im Laufe der Jahre einige bauliche Ver-änderungen vorgenommen worden, vielleicht aufgrund der Kriegsschäden. Die bauliche Qualität des vorderen Giebels war jedoch trotz der angekohl-ten Balken deutlich besser.

In der Mitte des Dachbodens stand an der Trennwand zum Nachbarhaus ein gut erhaltener, aus Ziegeln gemauer-ter, Rauch. Er hätte sofort in Betrieb genommen werden können, da neben ihm noch Kisten mit Hobelspänen, Sä-gemehl und einem Befeuerungskessel platziert waren. Auch ein großer Me-tallbottich zum Befüllen mit Löschwas-ser stand bereit. Auch dieser Rauch war – nach den Erinnerungen der letz-ten Eigentümerin – schon immer auf dem Dachboden vorhanden. Ihr Vater habe jedoch noch Verbesserungen an ihm vorgenommen. Dass es wohl im 19. Jahrhundert üblich war, auf dem Dachboden eine Räucherkammer ein-zurichten, wurde schon bei der Bege-hung des Hauses Ennester Straße 5 deutlich. Ein Eintrag im Pickert’schen Häuserbuch zum Hause Nummer 67 in

Siehe AGH Nr. 28 (2006), S. 27 ff. 7

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der Breiten Straße, also in der unmit-telbaren Nachbarschaft, bestätigt diese Annahme: „19.03.1835 Taxe des Hauses Flusche: 2 Etagen hoch, 34 x 28 Fuß groß, massig mit Schiefer, unten mit zwei Stuben, Küche, Dreschtenne, Stallung u. Gemüsekammer, oben mit 3 Kammern u. Rauchbühne, ...“.

Aus Ziegeln gemauerter Rauch

im Hause Breite Straße 16. Zeichnung: Georg Ortmann

Nach der Beschreibung der für At-tendorn typischen Ackerbürgerhäu-ser nahm der große Heuboden das Getreide und den Wintervorrat für das Vieh auf. Das steile Satteldach wurde mit Schiefer oder Ziegeln gedeckt. Seit 1811 waren Stroh- und Schindeldächer im Großherzogtum Hessen, zu dem Attendorn seit 1803 gehörte, verboten: „Darmstadt, den 20. August 1811: Zur Verminderung der feuergefährlichen Dachbedeckungen wird für den gesamten Umfang des Großherzogtums verordnet, daß künftig kein neues oder der Reparatur bedürftiges Dach eines Gebäudes mehr

Bomben auf Attendorn, aaO, S. 209

mit Stroh oder hölzernen Schindeln, bei Strafe der Niederreißung und einer, den Kosten des verbotwidrigen Unternehmens gleichkommenden Geldbuße an die Orts- Armenkasse, bedeckt werden soll.“ Da Strohdächer wegen der Brandge-fahr in den Städten also nicht mehr erlaubt waren, konnten Räucherkam-mern auf den Dachböden relativ ge-fahrlos betrieben werden.

Die letzte Eigentümerin berichtete wei-ter, dass ihre Familie noch bis etwa 1950 selbst geschlachtet habe. Ihre Großeltern hätten noch Felder am Remmenstein gehabt. Um jedoch den Söhnen eine Zukunft als Handwerker zu ermöglichen, habe man die Felder zum Teil an die Ursulinen verkauft, die dort ihr Kloster errichteten. Einen an-deren Teil der Felder habe man gegen andere Flächen getauscht. Die Erlöse hätten die Aufteilung des Hauses und den Anbau an das rechte Hausdrittel möglich gemacht. Einen großen Gar-ten mit ca. 100 – 150 m² hinter dem Ursulinenkloster, etwa 150 m vom heu-tigen Osterfeuerplatz entfernt, hätten sie jedoch bis nach dem Krieg behal-ten und genutzt. Dieser hätte ihnen geholfen, über die schlechte Zeit zu kommen.

Mit dem Abriss des Hauses Breite Straße 16 ist damit wieder eines der alten Ackerbürgerhäuser aus dem Ge-dächtnis der Stadt verschwunden. Wenn diese Entwicklung so fortschrei-tet, wird es bald keine Beispiele für diesen Häusertyp in Attendorn mehr geben.

Bruns, Alfred: Feuer und Feuerschutz im

kurkölnischen Sauerland, Fredeburg 1986, S. 112 8

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Das Innere des Hauses Breite Straße 16. Deutlich erkennbar sind die verwendeten

unterschiedlichen Materialien – Holz, Stein, Fachwerk – und die Aufteilung des Hauses in 2/3 und 1/3.

Zeichnung: Georg Ortmann

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Eine kleine ökumenische Weihnachtsgeschichte: Wie der Adventskranz vom Holzrad über den kleinen Kölner Kranz

zum Klein-Kölner Riesenkranz wurde (Anlässlich eines adventlichen Donnerstagabends im Heimatverein

Attendorn erzählt von Pastor Andreas Schliebener)

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Mitglieder des Attendorner Heimatver-eins!

Spräche man die Menschen in den Straßen einer anderen Stadt während der Adventszeit auf den Namen des Gründervaters der Diakonie an, würde vermutlich mancher achselzuckend entgegnen: “Johann Hinrich Wichern? Noch nie gehört. Muss man den ken-nen?"

Johann Hinrich Wichern

(1808-1881). Repro: Andreas Schliebener

Sie als Bürgerin oder Bürger unserer Stadt Attendorn würden dem ratlosen Passanten vermutlich sofort Auskunft geben und verschmitzt entgegnen: “Oh ja, selbstverständlich sollte man den kennen, denn der gute Mann hat sicher auch in Deinem adventlich geschmück-ten Haushalt eine leuchtende Spur hin-terlassen!" Und dann könnten Sie ihm folgende Geschichte erzählen:

Es begann mit einem Holzrad im Kinderheim – Eine Weltpremiere deutschen Brauchtums

Es war in einem dunklen Winter vor 171 Jahren: In einem Hamburger Kin-derheim warten die Kleinen ungeduldig auf das Christkind. Die Tage vergehen nur langsam und jeden Morgen fragen die Kinder: „Wie lange noch?" Ihr Hausvater hat schließlich eine Idee. Johann Hinrich Wichern, Gründer des so genannten Rauhen Hauses und später berühmt geworden als ,,Vater" der Diakonie, stellt ein großes hölzer-nes Wagenrad in den Betsaal.

Das Rauhe Haus 1834. Quelle: http://www.rauheshaus.de

Er schmückt es mit vielen Kerzen: gro-ße weiße für die vier Adventssonntage, kleine rote für die übrigen Wochenta-ge. Täglich ruft er die Kinder zur An-dacht. Und während sie Adventslieder singen, wird eine Kerze neu angezün-det - jeden Tag eine mehr, bis am 24. Dezember der ganze Kranz erstrahlt! Die Kleinen haben Freude daran, denn so verkürzt sich die Wartezeit bis zum Heiligen Abend! Und Wichern freut sich, weil er den verwahrlosten, aus desolaten Verhältnissen stammenden

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Kindern ganz allmählich ein neues Grund- und Gottvertrauen in die Her-zen pflanzt - ihnen nebenbei auch die Kultur der christlichen Feiertage erleb-bar macht. Auch für Kinderaugen wird so anschaulich, dass die Zeit des im-mer dunkler werdenden Dezembers gleichzeitig eine Zeit des Weges ins Licht der Geburt Jesu ist. Wichern ist sich sicher: „Kein Kind, das solche Weihnachtsfeier mit durchlebt, wird sie je wieder vergessen!"

Wicherns soziales Engagement trägt Früchte

Auch die Erwachsenen sind von Wi-chern und seiner Arbeit im Rauhen Haus begeistert - lassen sich schließ-lich durch eine flammende Rede auf dem Evangelischen Kirchentag 1848 dazu anstecken, endlich etwas gegen soziale Missstände und die Kinderar-mut im Deutschland des 19. Jahrhun-derts zu tun. Wicherns Überzeugung lautet: Die aus sozialer Not rettende Liebe muss ebenso Teil kirchlicher Verkündigung sein wie ihr Glaube!

Älterer Wichern. Quelle:

http://www.rauheshaus.de

So wird er bald als Gründer der “lnne-ren Mission" und „Diakonie" bekannt –

ein Pionier Kirchlicher Sozialarbeit wie wenig später Adolf Kolping und die Gründerväter und -mütter evangeli-scher Diakonie im Ausland: Die Ge-brüder Ludwig und Ernst Schwarz werden in Österreich ihre segensreiche Arbeit bei Gallneukirchen und Waiern beginnen, während die junge Gräfin Elvine de La Tour ihr Kinderrettungs-werk im kärntnerischen Treffen bei Vil-lach begründet.

Der Adventskranz hält Einzug in den bürgerlichen Wohnstuben

Im Laufe der Jahre wird Wicherns Ad-ventskranz immer populärer. Denn Jo-hann Hinrich berichtet in seinen „Flie-genden Blättern", der ersten weit ver-breiteten Zeitschrift der Diakonie, unter anderem auch über die Advents- und Weihnachtszeit im Rauhen Haus. So werden die Menschen neugierig auf den neuen Adventsbrauch aus dem Hamburger Kinderheim. Besucher las-sen sich anregen, den vorweihnachtli-chen Brauch für die heimische Stube zu kopieren - besonders, nachdem der schlichte Holzkranz seit 1860 zusätz-lich mit Tannengrün geschmückt wird!

So hält der Wichernkranz zunächst in den evangelischen Kreisen Nord-deutschlands Einzug und breitet sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch in ganz Europa aus. Im Jahr 1925 hängt der Adventskranz erstmals in einer katholischen Kirche. Vielleicht fragen Sie sich jetzt: „In welcher Stadt geschah das?“ Dann wird Sie als „Klein-Kölner“ Bürgerinnen und Bürger die Antwort sicher freuen: In der gro-ßen rheinischen Karnevalshochburg Köln! Allerdings - von den bis zu 28 Lichtern sind hier (wie auch in den be-engten bürgerlichen Wohnzimmern)

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mittlerweile nur noch die vier großen Kerzen für die Adventssonntage übrig geblieben. Mit ihrer meist roten Farbe erinnern sie an Gottes Liebe, die Weihnachten in Jesus zu allen Men-schen kommt. Aber nur Wenige wissen noch, dass der Lichterkranz gerade verarmten Kindern diese Botschaft ins Herz tragen möchte.

„Versteckte Not“ neuer Kinderarmut

Viele Jahre sind seitdem vergangen. Wir Menschen in Deutschland haben schlimme Kriege erlebt und sind doch durch Neuanfänge, überwältigende Wirtschaftswunder und die überra-schende Wiedervereinigung unglaub-lich beschenkt worden. Freilich - neben Dankbarkeit, Glaube und Nächstenlie-be sind auch wieder Anspruchsden-ken, Machthunger und Gier nach schnellem Geld im Kommen. Aktien und Arbeitsplatzeinsparung sind wert-geschätzter als Fürsorge und soziale Mitverantwortung, geduldiges Sparen und Warten-Können. Und ganz allmäh-lich sieht man wieder Kinder, denen augenscheinlich die 2.50 Euro zum Schulessen fehlen. Sie tragen schäbi-ge Kleidung und „drucksen" verschämt herum, dass die Eltern kein Geld fürs Kino oder Schwimmbad haben. Daher machen sich Menschen in der katholi-schen wie evangelischen Kirche wie-der ernste Gedanken, wie man auf die „versteckte Not" aufmerksam machen und - nach dem Vorbild Johann Hinrich Wicherns - auch nachhaltig helfen kann!

Der „Klein-Kölner-Riesenkranz“

So entsteht im westfälischen Sauer-land in unserer von Karnevalisten lie-bevoll „Klein-Köln" genannten Hanse-stadt Attendorn die Idee, gemeinsam

ein strahlendes Symbol zu schaffen, das dem Betrachter nicht nur Freude macht, sondern ihn auch auf die Prob-lematik versteckter Kinderarmut hin-weisen kann. Viele Firmen und die Lehrwerkstatt beteiligen sich an dem Vorhaben, den altbekannten kleinen Adventskranz aus den warmen Wohn-zimmern wieder hinaus auf die kühle Straße des Lebens zu bringen und aus dem bürgerlichen Symbol vorweih-nachtlicher Gemütlichkeit wieder einen Fingerzeig auf das in dunkler Zeit nä-her kommende Christfest zu machen. Und es sind frohsinnige Karnevalsbe-geisterte und handwerklich begabte Wagenbauer aus Attendorn, die dem großen Kranz rasch Form und beein-druckende Ausmaße verleihen!

Ralf Springob und Jürgen Junge bei der Ar-

beit. Foto: Andreas Schliebener

So kommt es, dass im 200. Geburts-jahr von Johann Hinrich Wichern an-lässlich einer neuen, im Jahr 2008 von der evangelischen Kirche gestarteten Kampagne gegen Kinderarmut (www.lasst-uns-nicht-haengen.de) der

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originale Wichernkranz in Attendorn nun in einer derartigen Größe leuchtet, wie ihn sich sein Erfinder so wohl nie hätte träumen lassen. Die Bewohner unserer Stadt sind von dem schönen Lichterkranz so angetan, dass sich auch zum 170. Geburtstag des Ad-ventskranzes im Jahre 2009 wieder viele Menschen finden, die gemeinsam mit den Wagenbauern den Kranz auf-bauen.

Der Attendorner Wichernkranz.

Foto: Karl-Hermann Ernst

Der „Schwesterkranz“ der Diakonie de La Tour in Kärnten

Im Februar 2010 sorgt ein für mich zu-nächst eher schmerzhafter Umstand dafür, dass die Geschichte noch weite-re Kreise zieht. Ein bei schönster Tief-schneeabfahrt angebrochenes Hand-gelenk hat ein „adventliches Nach-spiel": Nach der Verarztung im Kla-genfurter Unfallkrankenhaus von guten Freunden aus der Diakonie Kärnten aufgenommen, lasse ich vor der Heim-fahrt als Dankeschön für die spontane Gastfreundschaft und Bewirtung neben der Bonbonniere für die Frau des Hau-ses auch eine Ansichtskarte des At-tendorner Wichernkranzes bei meinem Gastgeber zurück, der als Öffentlich-keitsreferent bei der Diakonie Kärnten arbeitet.

Monate später erreicht mich Anfang Oktober seine E-Mail: Das Bild des schneebedeckten Attendorner Wi-chernkranzes sei ihm auch in den Sommermonaten nicht aus dem Sinn gekommen. Ob ich nicht die Pläne herunterschicken könne...? Um es kurz zu machen: seit dem 1. Advent 2010 gibt es auch in der Kärnt-ner Landeshauptstadt Klagenfurt einen wunderschönen Riesenkranz, gebaut von den Lehrlingen der KELAG (Kärnt-ner Elektrizitäts-Aktiengesellschaft) für die Diakonie Kärnten. Er steht vor dem Klagenfurter Dom, der ehemals größ-ten protestantischen Kirche Öster-reichs. Der Clou der Kärntner Wi-chernkranzaktion 2010: Jede der Ker-zen, die dort Tag für Tag entzündet werden, steht für ein soziales Projekt, welches von Wirtschaftsunternehmen in Verbindung mit dem Unternehmens-netzwerk „Verantwortung zeigen" in verschiedenen sozialen Einrichtungen Kärntens umgesetzt wird. Die 24 Pro-jekte sind unterschiedlich und reichen vom gemeinsamen Adventsnachmittag in einer Jugend-WG bis zur prakti-schen Hilfe beim Ausrüsten eines Au-tos mit Rollstuhlhebebühne (Vgl. den Artikel von Hansjörg Szepannek unter www.diakonie-kaernten.at/de-1061.cms ).

Hansjörg Szepannek und Familie mit dem Wichernkranz vor dem Klagenfurter Dom.

Foto: Gerhard Maurer

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So erstrahlt nun ein bedeutendes Symbol der Adventszeit, das seinen Ursprung in der Diakonie hat, auch am Domplatz in Klagenfurt. Durch diesen Standort ist der Kranz ein Symbol ökumenischer Gemeinschaft und durch die Verbindung mit den sozialen Pro-jekten ein Ausdruck tätiger Hilfe und Unterstützung im sozialen Bereich. Und natürlich teilen die Kärntner mit uns die Hoffnung, dass der Kranz in Klagenfurt wie in Attendorn seiner ur-sprünglichsten Bedeutung im Sinne Wicherns gerecht wird: Er soll vielen Kindern die Wartezeit auf Weihnachten verkürzen und ihnen deutlich machen, dass das Licht der Liebe Gottes gera-de auch den Schwächsten der Gesell-schaft gilt!

„Lasst euer Licht leuchten…“- un-sere ökumenische Verantwortung für Gerechtigkeit

Vermutlich hätte der Gründervater der Diakonie niemals erwartet, dass seine Idee eine derartige ökumenische Ver-breitung und Begeisterung bis in den Süden Österreichs erfahren würde. Ja, dass nach 170 Jahren in unserer kur-kölschen Hansestadt mit dem Bezug zur Kinderarmut auch der ursprüngli-che Sinn des Adventskranzes wieder deutlich erstrahlen würde! Aber eines ist sicher: Johann Hinrich Wichern hät-te sich sehr gefreut mit den Kindern und Erwachsenen, die allabendlich den mit vereinten Kräften geschaffenen „ökumenischen Kranz" besuchen und um 18.00 Uhr zur „Kerzenandacht" ein Adventslied anstimmen.

Sicher würde er an die Worte des be-rühmten Mannes aus Nazareth erin-nern wollen und uns wünschen, dass

nicht nur die Riesen-Kränze vor Dom und Erlöserkirche, sondern auch die kleinen Lichterkränze bei uns zu Hau-se letztendlich auf das Kind in der Krippe hinweisen und uns Mut machen wollen, nun selbst zu „leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen (Mt. 5, 16)"! -

Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer, liebe Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt! Es ist ein langer und weiter Weg gewesen: Vom hölzernen Adventsrad des Jahres 1839 über den mit Tan-nengrün verschönten Wichernkranz des Jahres 1860 weiter zum kleinen Kölner Kranz des Jahres 1925 und schließlich hin zum ökumenischen „Klein-Kölner“ Riesen-Kranz des Jah-res 2008, der nach seinem 170. Ge-burtstag 2009 nun im Jahre 2010 einen „Schwesterkranz“ in Kärnten bekom-men hat. Wir dürfen uns wirklich dar-über freuen, dass wir diesen Weg zu einem guten Teil gemeinsam gegan-gen sind und dass Gott uns als rö-misch-katholische und evangelische Christen in dieser Zeit der Erwartung weiterhin begleiten und beauftragen möchte! Es ist ein Weg des Vertrauens und der Hoffnung auf unseren Vater im Himmel, der mit seinem Sohn - dem Kind in der Krippe - Licht in diese Welt gebracht hat.

So bewahre uns der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Klein-gläubigkeit oder Vernunft, im warmen Licht der Liebe Christi und in der bren-nenden Kraft des Heiligen Geistes! Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Aufmerk-samkeit.

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Sammlungszugänge im Südsauerlandmuseum im Jahre 2010

Von Monika Löcken

Hier sollen die interessantesten Neu-zugänge kurz vorgestellt werden, die einen Bezug zur Stadt Attendorn oder zur Region haben.

Als Schenkungen kamen Gebetbücher, Handtaschen, hölzerne Tuchmaße (El-len), eine große Flachsbreche, Graphi-ken, Fotos und Gemälde, darunter ein Gemälde von Jupp Steinhoff ins Mu-seum.

Angekauft wurde eine Sammlung zum Thema Orden & Ehrenzeichen aus dem Bereich des Schützenwesens und des Militärs vor dem Jahre 1920. In die Zeit des Zweiten Weltkrieges gehören zwei Flak-Granaten, eine amerikani-sche Biskuit-Kiste und eine Munitions-kiste.

Im Sammlungsbestand des Museums befinden sich zwei Standuhren mit Schlagwerk, die aus Werkstätten der Uhrmacherfamilie Schröder, Ödingen stammen. Dazu wurden nun Uhrge-häuse, Zierrat, ein Uhrwerk mit Schlag aus der gleichen Werkstatt erworben.

Die folgenden archäologischen Fun-de wurden 2010 in die Sammlung auf-genommen:

Kleiner Ölkrug

Der anmutige kleine Ölkrug (2010/4) von 17 cm Höhe wurde dem Museum geschenkt. Bei dem grauen, salzgla-sierten Scherben mit kobaltblauer Be-malung handelt es sich um Westerwäl-der Tonware. Die Wandung gliedern horizontal umlaufende, blau eingefass-

te Linien, die Felder mit blauen Kreisen begrenzen. Sie wechseln sich ab mit Flächen in Knibistechnik. Ein ver-gleichbares Stück wurde in der Litera-tur bislang nicht gefunden. Bei der Westerwälder Ware ist die Knibistech-nik erst am Ende des 17. Jh. zu be-obachten, so dass der Krug wohl in das 18.-19. Jh. datiert werden kann.

Ölkrug. Foto: Monika Löcken

Der Fundort lag im Listertal, wo genau ist nicht bekannt. Der intakte Krug soll beim Bau der Talsperre (1909-11) ge-funden worden sein, danach wurde er 100 Jahre in einem Haushalt aufbe-wahrt.

Trinkbecher

Der kleine Trinkbecher (2010/78) stammt aus der 2. Hälfte des 12. Jh. und wurde im Ort Pingsdorf bei Brühl hergestellt. Er ist aus mehreren Frag-menten zusammengeklebt und weist

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Fehlstellen an Bauch, Rand und Fuß auf. Typologisch gesehen handelt sich um gelb-goldene Irdenware mit oran-gebrauner Bemalung und um eine Va-riante des sog. „kugeligen Bechers“ mit einer steilen rundlichen Lippe, ohne Kehlung und flüchtig angekneteten Wellenfüßen. Es sind keine Drehrillen vorhanden, was auf eine Fertigung aus der Hand spricht. Der Becher stammt aus dem Altbestand der Sammlung, sein Fundort wurde nicht überliefert.

Trinkbecher. Foto: Monika Löcken

Spieß

Der eiserne Spieß (2010/57) oder die sog. Pike ist aus massivem Eisen mit dreieckiger Spitze auf einer kräftigen Hülse, in der noch Holzreste der Stan-ge stecken. Gefunden wurde der Spieß bei Baggerarbeiten beim Abriss des Wohnhauses der Familie Velte, Wind-hauser Straße 2, direkt an den Grund-mauern des Ennester Tores.

Die Form und der Fundort deuten da-rauf hin, dass es sich um eine Pike des 16. oder 17. Jh. handelt.

Eisenlanzen gehörten seit der Antike zum Bewaffnung von Fußtruppen. Sie dienten dazu im Kampf Mann gegen

Sake, M.: Die mittelalterliche Keramikpro-

duktion in Brühl-Pingsdorf, 2002.

Reiter, den Reiter zu verwunden. Seit dem Mittelalter wurde die Reiterlanze zur Hauptwaffe der schweren Kavalle-rie im aufgesessenen Kampf. Bereits das Ritterheer Karls des Großen war mit dieser Stichwaffe ausgerüstet. Ihre Anwendung endet erst im Ersten Welt-krieg.

An Anfang des 19. Jahrhundert waren in der preußischen Armee das Husa-renregiment 11 und Ulanenregimenter mit Lanzen ausgestattet. Um 1890 wurde sie sogar allen deutschen Ka-vallerieregimentern zugeteilt.

Eiserner Spieß. Foto: Monika Löcken

Deckel- oder Spielstein aus der Pfarrkirche

Die runde Schieferplatte (2010/58) mit grob behauenen Rändern und den Maßen Dm: 4,5 H: 0,3 cm soll im Jah-re 2001 im Chor der Pfarrkirche beim Schleifen der Treppenanlage gefunden worden sein. Bereits bei der archäolo-gischen Untersuchung der Kirche im Jahre 1974 wurden zwei ähnliche Steinscheiben beschrieben und als Krug oder Reliquienabdeckung einge-ordnet. Eine Verwendung als Spiel-steine gerade der kleineren Steine,

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wurde jedoch auch in Erwägung gezo-gen.

Deckel- oder Spielstein. Foto: M. Löcken

Münzen Bei Renovierungsarbeiten in den Jah-ren 1983/84 sind an einem Wohnge-bäude in der "Vergessenen Straße" 26 im Keller zwei Münzen gefunden wor-den.

Bei der einen handelt es sich um eine Byzantinische Kupfermünze (2010/60). Eine Anfrage beim LWL Landesmuse-um für Kunst und Kultur in Münster ergab, dass es sich bei dem massiven Stück mit dem Durchmesser 2,9 cm, um eine anonyme byzantinische Kup-fermünze vom Anfang des 11. Jahr-hunderts handelt. Die Umschrift lautet IS - XC (=Jesus Christus) BAS - ILEOS / BAS -ILEON (König der Könige).

Holz-Thier, Claudia: Die Pfarrkirche St. Jo-

hannes Baptist zu Attendorn, Die Ausgrabun-gen von 1974, (Denkmalpflege und Forschung in Westfalen Bd. 36), Essen 1999, S.90.

Ich danke Herrn Dr. Peter Ilisch, Landesmu-seum Münster für die Bestimmung. Dr. Ilisch formuliert Zweifel, ob die Münze tatsächlich in Attendorn gefunden worden sei. Er formuliert: “Abgesehen davon, dass solche Münzen im Sauerland und auch überhaupt in Deutschland nicht umliefen, deuten auch die anhaftenden Erdreste farblich eher auf eine Herkunft aus südlicheren Ländern. In unseren Breiten gab es im Mittelalter keine Kupfermünzen.“

Byzantinische Kupfermünze, Vorderseite.

Foto: Monika Löcken

Byzantinische Kupfermünze, Rückseite.

Foto: Monika Löcken

Die andere Fundmünze (2010/61) ist aus Messing, zeigt arabischen Schrift-zeichen und ein Loch. Es handelt sich um eine, wohl in Nürnberg nach dem Muster osmanischer Goldmünzen her-gestellte, Schmuckmünze. Diese wur-den seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert für den Export in großen Mengen hergestellt und waren in Mes-sing natürlich billiger als Original-Goldmünzen. Im Nahen Osten gibt es bis zur Gegenwart den Brauch, dass eine Braut mit Goldmünzen behängt wird. Außerdem wurden solche Mün-zen auch in Deutschland z.B. bei Kar-nevalsschmuck mindestens bis in die Mitte des 20.Jh. verwendet.

Angekauft werden konnte ein Denar (2010/41) der Attendorner Münze. Die Silbermünze (Häv 799) stammt aus der

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Zeit zwischen 1238-61 und stammt damit aus der Regierungszeit des Köl-ner Erzbischofs Konrad I. von Hoch-staden.

Fundort Altenberg Die folgenden Grabungsfunde stam-men von einer der bedeutendsten montanarchäologischen Grabungsvor-haben in Westfalen. Auf der Passhöhe des Altenbergs zwischen den Ortschaf-ten Müsen und Littfeld wurden in den 1960er Jahren Spuren einer Siedlung entdeckt. Systematische Grabungen zeigten, dass es sich um die Reste einer einzigartigen Bergbausiedlung des Mittelalters handelte. Zusammen mit den Funden über – und untertage bildet sie den frühesten Beleg für Bergbau auf Silber sowie für den frü-hen Schachtbau im Siegerland.

Einen der spektakulärsten und bereits 1964 entdeckten Funde im Bereich der Bergbauwüstung Altenberg, stellt ein Münzschatzfund dar, der sich in Teilen seit 1967 im Südsauerlandmuseum befindet. Die Münzen wurden in einem vollständig erhaltenen Urnenbecher gefunden, der im Inneren eines Ge-bäudekellers lag. Bei dem Fundort handelt es sich vermutlich um ein un-befestigtes Turmhaus des 13. Jh., das wohl als Wohn- und Amtshaus des Bergmeisters diente.

Insgesamt konnten 70 (bis 80) Münzen erfasst werden. 42 Münzen entstamm-ten der Münzstätte der nicht weit ent-fernten Stadt Attendorn, 19 Münzen

Lobbedey, Uwe: Zeitstellung, Struktur und

Bedeutung der Bergbausiedlung Altenberg, in: Der Altenberg, Bergwerk und Siedlung aus dem 13. Jahrhundert im Siegerland, (= Denk-malpflege und Forschung in Westfalen, Band 34), Bonn 1998, Bd 1, S. 27-28.

kamen aus der Stadt Siegen. Einzelne Münzen stammten aus Soest, Hamm, Schwäbisch Hall und Frankreich. Die Münzdatierungen legen nahe, dass der Schatz um1280 im Gebäude versteckt worden ist.

Im Jahre 2010 wurden dem Südsauer-landmuseum Funde aus privatem Be-sitz übergeben, die ebenfalls von der Fundstätte des Altenberges herrüh-ren.

Es handelt sich um einen fast vollstän-dig erhaltenen Kinderschuh mit Leder-teilen aus einer Flickschusterwerkstatt, um Gewebereste, Spinnwirtel und Spielsteine.

Kinderstiefel mit drei Ledersohlen aus einer Flickschusterwerkstatt. Foto: M. Löcken

Textilreste aus Wolle. Foto: Monika Löcken

Ilisch, Peter: Der Münzschatzfund von Burg-

holdinghause-Altenberg, Bonn 1998, Bd 2, S. 1-2.

Schenkung: Gabi Schmidt, geb. Göbel, 21. Juli 2010

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Spielstein. Foto: Monika Löcken

3 Spinnwirtel. Foto: Monika Löcken

Naturkunde Uhu, Habicht, Waldkauz und Sperber gehören in Nordrheinwestfalen zu den bedrohten Vogelarten, sie stehen des-halb auf den Schutzlisten nach dem Bundesnaturschutzgesetz.

Die vier ausgestopften Exemplare wurden durch den Fachdienst Ge-sundheit und Verbraucherschutz des Kreises Olpe konfisziert und dem Mu-seum als Dauerleihgabe übergeben.

Uhu (Bubo bubo)

Der Uhu ist die größte europäische Eulenart. Die Weibchen sind mit einer Körperlänge von bis zu 70 cm etwas größer als die Männchen. Die Tiere sind vorwiegend nacht- und dämme-rungsaktiv. In der Nahrungswahl ist der Uhu sehr vielseitig, diese besteht

Vergl.: Feldmann, Reiner: Tierwelt im süd-westfälischen Bergland, Kreuztal 1976.

überwiegend aus Säugetieren (z.B. Mäuse, Ratten, Igel) und Vögeln (Singvögel bis Greifvögel).

Durch menschliche Verfolgung wurde er 1906 im Sauerland ausgerottet. Ab 1975 erfolgten Wiederbesiedlungsver-suche durch Aussetzungsprojekte und gezielte Schutzmaßnahmen, die schließlich erfolgreich waren. Seither steigt der Brutbestand kontinuierlich an. In Nordrhein-Westfalen ist der Uhu mittlerweile vor allem in den Mittelge-birgsregionen weit verbreitet, Verbrei-tungsschwerpunkte bestehen im Teu-toburger Wald, im Sauerland sowie in der Eifel.

Uhu (Bubo bubo). Foto: Monika Löcken

Habicht (Accipiter gentilis)

Habichte sind mittelgroße Greifvögel, allerdings unterscheiden sich die Ge-schlechter erheblich in der Körpergrö-ße. Die bis zu 61 cm großen Weibchen erreichen die Größe eines Mäusebus-sards, die Männchen sind nur wenig 7

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größer als ein Sperberweibchen. In Nordrhein-Westfalen tritt die Art heute wieder ganzjährig flächendeckend als mittelhäufiger Stand- und Strichvögel auf. Nur selten werden größere Wan-derungen über eine Entfernung von mehr als 100 km durchgeführt. Als Le-bensraum bevorzugen die Vögel Kul-turlandschaften mit einem Wechsel von geschlossenen Waldgebieten, Waldinseln und Feldgehölzen.

Habicht (Accipiter gentilis). Foto: M. Löcken

Sperber (Accipiter nisus)

Der Sperber wirkt wie ein kleiner Ha-bicht. Die Weibchen sind deutlich grö-ßer als die Männchen. In Nordrhein-Westfalen kommt der Sperber ganzjäh-rig als mittelhäufiger Stand- und Strichvogel vor, hierzu gesellen sich ab Oktober Wintergäste aus nordöstlichen Populationen. In den 1070er Jahren war die Population vermutlich durch Biozide stark zurückgegangen. Durch die starke wirtschaftliche Nutzung der Landschaft wurde auch der Lebens-raum der Sperber kleiner. Die Vögel leben in abwechslungsreichen, Gehölz reichen Kulturlandschaften mit einem

ausreichenden Nahrungsangebot an Kleinvögeln. Bevorzugt werden halbof-fene Parklandschaften mit kleinen Waldinseln, Feldgehölzen und Gebü-schen. Durch Schutzmaßnahmen kommt die Art in NRW heute wieder flächendeckend vor.

Sperber (Accipiter nisus). Foto: Monika Löcken

Der Waldkauz (Strix aluco)

Der Waldkauz ist eine mittelgroße Eule von gedrungener Gestalt, die im Sauerland die häufigste Eulenart ist.

Waldkauz (Strix aluco). Foto: Monika Löcken

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Die Tiere sind hauptsächlich dämme-rungs- und nachtaktiv, gelegentlich kann man sie auch am Tage beim „Sonnenbad“ beobachten. Die Nah-rung ist vielseitig; zu den Beutetieren gehören vor allem Wühlmäuse und Waldmausarten, aber auch Vögel und Amphibien. Der Waldkauz kommt im Sauerland ganzjährig als häufiger Standvogel vor.

Modell: Franziskanerkirche

1648 erfolgte die Grundsteinlegung für die Klostergebäude und die Klosterkir-che, die der Schmerzhaften Muttergot-tes, dem hl. Franz von Assisi, der hl. Elisabeth, dem hl. Antonius von Padua und dem hl. Bernardin von Siena ge-weiht war. Prächtig ausgestattet, wur-de die Franziskanerkirche zur Begräb-nisstätte der Familie von Fürstenberg.

Durch verheerende Stadtbrände gin-gen diese Grabmäler jedoch verloren und der Kirchenbau musste mehrmals neu errichtet oder ausgestattet werden.

Am Anfang des 19. Jh. kam es mit der Säkularisierung von Kirchenbesitz, auch zur Schließung des Franziska-nerklosters. Der Orden der Franziska-nerbrüder verließ Attendorn und konn-te erst im Jahre 1898 in die Stadt zu-rückkehren. Die Klosterkirche wurde ihm zwar wieder überlassen, die Klos-tergebäude jedoch nicht; sie dienten dem Gymnasium bis 1906 als Schule.

Als die Klosterkirche 1945 durch eine Explosion stark beschädigt wurde, ent-schloss man sich 1948 zum Bau einer neuen Kirche an der Hansastraße. Die Ruine der alten Kirche wurde im Jahre 1953 abgerissen.

Seit November 2010 befindet sich ein Modell der alten Franziskanerkirche im Museum, das der Attendorner Modell-bauer Willi Wurm in langjähriger Arbeit gebaut hat. Das Modell bildet die Kir-che maßstabs- und detailgetreu ab, wie sie sich vor dem Zweiten Weltkrieg darstellte.

Oben und unten - Modell der Franziskanerkirche.

Fotos: Monika Löcken

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Jahresprogramm 2011 des Südsauerlandmuseums in Attendorn

Mitgeteilt von Monika Löcken

12. Januar: Vortrag – Charta der Rechte pflegebedürftiger Menschen (DRK/ Caritas)

27. Januar: Jahreshauptversamm-lung des Fördervereins für das Südsauerlandmuseum mit öffentlichem Vortrag – „Burgen im südlichen Westfalen“ (Dr. Andreas Bingener)

20. Februar: Ausstellungseröffnung – „Altar, der besondere Ort“. Aus-stellung zum 10jährigen Bestehen des Frauen Kunstforums Südwestfalen

14. April: 19.30 h Führung durch die Ausstellung „Altar, der besondere Ort“ (Marlies Backhaus/ Verein für Orts- und Heimatkunde Attendorn e.V.)

19. April: Osterferienprogramm für Kinder 13.00 – 17.00 h Museumspro-jekt „zum Niederknien“, Gestaltung und Ausstellung eines eigenen kleinen Klapp-Altares (Marlies Backhaus), 10,- €/Kind

20. April: Osterferienprogramm für Kinder 11.00 – 13.00 und 15.00 – 16.00 h Osterbrauch „Burken“ Oster-fackel-Werkstatt für Kinder und Er-wachsene. Zuschauen, Erklären und selber Bauen auf dem Markplatz vor dem Museum (Peter Höffer), kostenlos

26. April: Osterferienprogramm für Kinder 15.00 – 17.00 h „Willkommen in der Eiszeit“. Erproben von Stein-zeit-Werkzeugen, Knochenfunde ord-nen, Höhlenmalerei und Modellieren

eiszeitlicher Tiere. (Dipl. Ing. Jeannette Gebhardt), 60,-€

15. Mai: Internationaler Museumstag „Museen – unser Gedächtnis“. 15.00 h Sonderführung „Altar, der beson-dere Ort“ durch die Künstlerinnen. 14.30 h „Unsere Stadt“ – Kinder entwerfen einen Stadtplan (Gabriele Tump/ Verein für Orts- und Heimat-kunde Attendorn e.V.)

5. Juni: Ausstellungseröffnung 11.00 h „ Frisch aufgetaut – Die Fundsache Ötzi, der Mann aus dem Eis“

26. Juni: Ausstellungseröffnung „Afrikanische Kunst trifft die Imagi-nationen von Afrika in den Bildern von Margret Berghoff“

23. Juli: Tagung „SGV- Kultur“

26. – 28. Juli: Tägliches Ferienpro-gramm „Ötzi – der Mann aus dem Eis“. Anmeldungen unter 02722-3711

August: Sommer-Special: Das heiß-kalte Museum. Ferienprogramm: Das Leben in der Bronzezeit

4. September: Ausstellungseröff-nung „Wer macht mit? Alte Kinder-spiele aus Westfalen“ (LWL-Museumsamt für Westfalen)

11. September: Tag des offenen Denkmals

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In eigener Sache:

Themen zukünftiger Monatsversammlungen des Vereins für Orts- und Heimatkunde Attendorn e.V.

Möchten Sie lieber einen Vortrag zu einem historischen Thema hören oder eine Pkw-Exkursion zu einer Sammlung in der näheren Umgebung machen? Möchten Sie an einer Betriebsbesichtigung teilnehmen oder eine geführte Wanderung machen? Ha-ben Sie Lust auf einen Museumsbesuch oder eine Ausstellungsführung? Steht Ihnen der Sinn nach einer Kirchenbesichtigung oder nach einer Diskussion über Baukultur? Sagen oder schreiben Sie uns, was Sie gerne im Rahmen einer Monatsversammlung unseres Vereins erleben möchten. Sie können uns

• montags von 18.00 bis 20.00 Uhr in der Geschäftsstelle des Vereins in der Hansastraße 4 besuchen

• oder dort anrufen – 0 27 22 - 63 41 65, • oder eine schriftliche Nachricht im Briefkasten des Vereins hinterlassen, • oder uns eine E-Mail schicken: [email protected]

Wir möchten ein Programm anbieten, das Ihnen gefällt!

BUCHEMPFEHLUNGEN

• „Bewahren und ordnen – aufbrechen und ankommen“ – Do-kumentation zum 100jährigen Wirken der Ursulinen in At-tendorn. 1907 – 2007. Von Otto Höffer mit Beiträgen von Roman Mensing, S. Ingeborg Wirz und Jutta Stamm, Attendorn 2010, Frey Print & Media GmbH, Attendorn.

• „Putten, Kanzeln und Altäre“ – Attendorn als Zentrum baro-

cken Kunsthandwerks in Südwestfalen. Von Christoph Hoberg. Erschienen als Band Nr. 33 in der Schrif-tenreihe des Kreises Olpe. Olpe 2010, Kay druck und medien, Kreuztal.

Beide Bücher sind im örtlichen Buchhandel erhältlich.

Umschlag Verein f�r HK.fh11 06.04.2011 16:00 Uhr Seite 1

Verein für Orts- und Heimatkunde Attendorn e.V. seit 1898

ATTENDORN - GESTERN UND HEUTEMitteilungsblatt des Vereins für Orts- und Heimatkunde Attendorn e.V.

für Geschichte und Heimatpflege

Nr. 33 - 2011

Greifen-Motiv — Ratsloge Pfarrkirche St. Johannes

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