Verein für Heimatkunde - Nr. 34

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Mitteilungsblatt des Vereins für Orts- und Heimatkunde Attendorn e.V. für Geschichte und Heimatpflege

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Umschlag Verein f�r HK.fh11 21.05.2012 9:31 Uhr Seite 1

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IMPRESSUM ATTENDORN – GESTERN UND HEUTE Mitteilungsblatt des Vereins für Orts- und Heimatkunde Attendorn e.V. für Geschich-te und Heimatpflege HERAUSGEBER Verein für Orts- und Heimatkunde Atten-dorn e.V., Hansastraße 4, 57439 Atten-dorn, Tel. 0 27 22-63 41 65, Mail: [email protected] REDAKTION Birgit C. Haberhauer-Kuschel (BCHK), Wesetalstraße 90, 57439 Attendorn, Tel. 02722-7473, Mail: [email protected] DRUCK Frey Print & Media, Bieketurmstraße 2, 57439 Attendorn Erscheint in zwangloser Reihenfolge. Alle Rechte vorbehalten, auch des auszugs-weisen Nachdrucks. Bezugspreis im Jahresbeitrag [2012: 20,- € für Einzelmitglieder/ 5,- € für Ehegatten] inbegriffen. Für namentlich gekennzeichnete Beiträge sind die Verfasser persönlich verantwort-lich. ISSN-Nr. 1864-1989 Dieses Jahresheft erscheint im Mai 2012 und trägt die Nr. 34. TITELABBILDUNG: Wandergesellschaft vor dem Portal der Oberburg, um 1910. (Sammlung Richard Schirrmann/ LWL-Medienzentrum für Westfalen). Ein herzlicher Dank gilt den AUTOREN DIESER AUSGABE: PETER HÖFFER, JOSEF HORMES (+), DR. MARKUS KÖSTER, MEINOLF LÜTTECKE, JÜRGEN MEISE, GEORG ORTMANN, FERDINAND RAUTERKUS, DIETER THYS, WALTER WURM VORSTAND DES VEREINS (Stand Mai 2012) Geschäftsführender Vorstand: Vorsitzender: Reinhard König

Stellv. Vorsitzende: Gabriele Schmidt Schriftführer: Peter Prentler Schatzmeister: Marcus Kaufmann Geschäftsführerin: Gabriele Schmidt Erweiterter Vorstand: Brigitte Flusche, Ludwig Müller, Ulrich Selter, Dieter Thys. Mitglieder kraft Amtes: Birgit C. Haberhauer-Kuschel, Monika Löcken ANSPRECHPARTNER FÜR ALLE BE-LANGE DER HEIMATPFLEGE IN AT-TENDORN UND UMGEBUNG: Verein für Orts- und Heimatkunde Atten-dorn e.V., Hansastraße 4, 57439 Atten-dorn Sprechstunde: Montags 18.00 – 20.00 Uhr Ortsheimatpflegerin für Attendorn: Birgit C. Haberhauer-Kuschel Ortsheimatpfleger für Mecklinghausen: Albert Schnepper Ortsheimatpfleger für Neu Listernohl: Ludwig Müller INHALT Impressum 2 Der wanderwichtigste Ort im Sauerlande. Zur Geschichte der Attendorner Jugend- Herbergen 1907 bis 1987 3 Ein Attendorner Junge – Pater Johannes (Ul-rich) Rocksloh OSB verstarb plötzlich am 12. Januar 2011 durch einen tragischen Unfall in Dar-es-Salaam/Tansania 13 Attendorner Osterbräuche – Die Osterabend-prozession 18 100 Jahre Listertalsperre 22 Aus d. Tagebuch d. Hubertushüttenvereins 34 Silberhochzeit Josef Arens 30.1.1954 38 Vor 75 Jahren: „Haushaltsplan der Stadt At-tendorn für das Rechnungsjahr 1937“ 45 Wie es früher war 50 Die katholische Kirche in der Nazizeit in Atten-dorn 51 Zum Ende des zweiten Weltkrieges in Atten-dorn im Bereich Wassertor/ Am Gerbergraben 54

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IMPRESSUM ATTENDORN – GESTERN UND HEUTE Mitteilungsblatt des Vereins für Orts- und Heimatkunde Attendorn e.V. für Geschich-te und Heimatpflege HERAUSGEBER Verein für Orts- und Heimatkunde Atten-dorn e.V., Hansastraße 4, 57439 Atten-dorn, Tel. 0 27 22-63 41 65, Mail: [email protected] REDAKTION Birgit C. Haberhauer-Kuschel (BCHK), Wesetalstraße 90, 57439 Attendorn, Tel. 02722-7473, Mail: [email protected] DRUCK Frey Print & Media, Bieketurmstraße 2, 57439 Attendorn Erscheint in zwangloser Reihenfolge. Alle Rechte vorbehalten, auch des auszugs-weisen Nachdrucks. Bezugspreis im Jahresbeitrag [2012: 20,- € für Einzelmitglieder/ 5,- € für Ehegatten] inbegriffen. Für namentlich gekennzeichnete Beiträge sind die Verfasser persönlich verantwort-lich. ISSN-Nr. 1864-1989 Dieses Jahresheft erscheint im Mai 2012 und trägt die Nr. 34. TITELABBILDUNG: Wandergesellschaft vor dem Portal der Oberburg, um 1910. (Sammlung Richard Schirrmann/ LWL-Medienzentrum für Westfalen). Ein herzlicher Dank gilt den AUTOREN DIESER AUSGABE: PETER HÖFFER, JOSEF HORMES (+), DR. MARKUS KÖSTER, MEINOLF LÜTTECKE, JÜRGEN MEISE, GEORG ORTMANN, FERDINAND RAUTERKUS, DIETER THYS, WALTER WURM VORSTAND DES VEREINS (Stand Mai 2012) Geschäftsführender Vorstand: Vorsitzender: Reinhard König

Stellv. Vorsitzende: Gabriele Schmidt Schriftführer: Peter Prentler Schatzmeister: Marcus Kaufmann Geschäftsführerin: Gabriele Schmidt Erweiterter Vorstand: Brigitte Flusche, Ludwig Müller, Ulrich Selter, Dieter Thys. Mitglieder kraft Amtes: Birgit C. Haberhauer-Kuschel, Monika Löcken ANSPRECHPARTNER FÜR ALLE BE-LANGE DER HEIMATPFLEGE IN AT-TENDORN UND UMGEBUNG: Verein für Orts- und Heimatkunde Atten-dorn e.V., Hansastraße 4, 57439 Atten-dorn Sprechstunde: Montags 18.00 – 20.00 Uhr Ortsheimatpflegerin für Attendorn: Birgit C. Haberhauer-Kuschel Ortsheimatpfleger für Mecklinghausen: Albert Schnepper Ortsheimatpfleger für Neu Listernohl: Ludwig Müller INHALT Impressum 2 Der wanderwichtigste Ort im Sauerlande. Zur Geschichte der Attendorner Jugend- Herbergen 1907 bis 1987 3 Ein Attendorner Junge – Pater Johannes (Ul-rich) Rocksloh OSB verstarb plötzlich am 12. Januar 2011 durch einen tragischen Unfall in Dar-es-Salaam/Tansania 13 Attendorner Osterbräuche – Die Osterabend-prozession 18 100 Jahre Listertalsperre 22 Aus d. Tagebuch d. Hubertushüttenvereins 34 Silberhochzeit Josef Arens 30.1.1954 38 Vor 75 Jahren: „Haushaltsplan der Stadt At-tendorn für das Rechnungsjahr 1937“ 45 Wie es früher war 50 Die katholische Kirche in der Nazizeit in Atten-dorn 51 Zum Ende des zweiten Weltkrieges in Atten-dorn im Bereich Wassertor/ Am Gerbergraben 54

„Der wanderwichtigste Ort im Sauerlande“ Zur Geschichte der Attendorner Jugendherbergen 1907 bis 1987

von Dr. Markus Köster

Viele werden sich noch an sie erin-nern: die Attendorner Jugendherberge, die von 1930 bis in die 1980er Jahre an der Heldener Straße bestand.

Die Jugendherberge an der Heldener Straße mit der Burg Schnellenberg im Hintergrund, ca. 1955 (Postkarte, Lichtbild Rottmann/ Samm-lung Stefan Lünswilken)

Viel weniger bekannt ist, dass dieser Standort mehrere Vorläufer hatte und Attendorn damit zu den ersten Ju-gendherbergsorten in Westfalen gehör-te.

„Aus grauer Städte Mauern“ – Auf-bruch der Wandervögel

Die Entwicklung des Jugendherbergs-wesens ist naturgemäß eng verknüpft mit der Geschichte jugendlicher Reise-lust. Die ersten Jugendtouristen des 20. Jahrhunderts waren die Wandervögel, jene Gymnasiasten und Studenten also, die seit der Jahrhundertwende den Auf-bruch „aus grauer Städte Mauern“ wag-ten. Ihr Überdruss an den als hohl und unecht empfundenen Lebensformen des eigenen bürgerlichen Milieus brach sich in der Suche nach zivilisationsfer-ner Einfachheit in „unberührter“ Natur Bahn. „Fußmärsche und zünftige Kluft,

Naturerlebnis und Kameradschaft in der Gruppe mischten sich mit lebensrefor-merischem Verzicht auf die Zivilisa-tionsgifte Tabak und Alkohol und mit romantischer Verklärung dessen, was man für volkstümliche Vergangenheit hielt.“1

Ausgehend vom Städtchen Steglitz bei Berlin wurden die Wandervögel binnen weniger Jahre zu einem allseits bekann-ten Phänomen auf den Straßen und Wegen des Kaiserreiches. Schon 1910 hieß es in der Bielefelder Westfäli-schen Zeitung: „Wer kennt sie nicht, die fahrenden Schüler mit den Gamaschen, Rucksack, Fasanenfeder auf dem ein-seitig umgestülpten Lodenhut und dem Wanderstab? Durch Berg und Tal, Wald und Flur sieht man sie wieder ziehen - die fahrenden Studenten; ... mit frohem Sinn und heiterem Gemüt, oft die Guitarre an der Seite oder das Wald-horn, durchqueren sie in Trupps von oft 6 und 8 Scholaren Stadt und Land. ... Fern ist ihnen alles Häßliche, und im gegenseitigen Verkehr schleifen sich die Unebenheiten kräftiger Jungen! Die edle Sache ist jeder Würdigung und Unterstützung wert.“2

1 Detlev J.K. Peukert: „Mit uns zieht die neue Zeit...“. Jugend zwischen Disziplinierung und Revolte, in: Ders./ A. Nitschke/ G. A. Ritter/ R. vom Bruch (Hg.): Jahrhundertwende - Der Auf-bruch in die Moderne 1880-1930, Bd.1, Reinbek 1990, S. 176-202, hier S. 179. 2 Westfälische Zeitung, 11.8.1910, zit. nach: Frigga Tiletschke, / Christel Liebold: Aus grauer Städte Mauern. Bürgerliche Jugendbewegung in Bielefeld 1900 bis 1933, Bielefeld 1995, S. 24.

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Eine „Schüler- und Studentenher-berge“ im Gasthof zum Ritter

Die freundlichen Sätze deuten an, dass die Jugendbewegung zumindest in Teilen der bürgerlichen Erwachse-nenöffentlichkeit von Beginn an auf wohlwollende Unterstützung stieß. Vor diesem Hintergrund entstand auch in Attendorn - wie in 14 weiteren sauerländischen und siegerländischen Orten - schon im Jahr 1907 eine Schü-ler- und Studentenherberge in Träger-schaft des Sauerländischen Gebirgs-verein (SGV).3 Wie die meisten jener 15 Einrichtungen befand sich die Attendorner Herberge zunächst in ei-nem Gasthaus, dem Gasthof zum Rit-ter. Dort konnten laut Karl Boos „Gym-nasiasten und Studenten gegen ein ge-ringes Entgelt auf einer Schülerher-bergskarte übernachten.“4 1907 mach-ten von diesem Angebot 79 jugendliche Wanderer Gebrauch.5

Alle Schüler- und Studentenherbergen standen nur echten Fußwanderern of-fen, Radfahrer und Bahnbenutzer blie-ben ausgeschlossen, ebenso Mädchen und Volksschüler. Geöffnet waren sie lediglich in den Pfingst- und Sommerfe-rien, im Schnitt standen nur vier bis fünf Betten bereit.6

Während diese Vorläufereinrichtungen noch dem Konzept des böhmischen Fabrikanten Guido Rotter folgten, ist

3 Vgl. Karl Hartung: Das Jugendherbergswerk in Westfalen-Lippe. 50 Jahre DJH-Werk, Ha-gen 1959, S. 269. 4 Vgl. Attendorn, Schnellenberg, Waldenburg und Ewig. Ein Beitrag zur Geschichte Westfa-lens von Josef Brunabend. Im Auftrage der Stadt Attendorn überarbeitet von Prof. Julius Pickert, zu Ende geführt von Karl Boos, Münster ²1958, S. 221. 5 Hartung (wie Anm.3) , S. 269. 6 Hartung (wie Anm.3), S. 15 und 269f.

die weitere Entwicklung des Jugend-herbergswesens in Deutschland und auch in Attendorn eng mit den Namen Richard Schirrmann und Wilhelm Münker verbunden. Dass Attendorn dabei in den Anfangsjahren eine relativ prominente Rolle spielte, ist kein Zufall, denn die Stadt lag - jeweils in der Ent-fernung einer Tageswanderung - ge-nau zwischen den Wohn- und Wir-kungsstätten dieser beiden Gründervä-ter der Jugendherbergsbewegung, Al-tena und Hilchenbach.

Ein Mann und seine Vision – Ri-chard Schirrmann und die Anfänge der Jugendherbergen7

Richard Schirrmann (1874-1961) stammte aus Ostpreußen. 1901 trat der passionierte Wanderer eine Leh-rerstelle in Gelsenkirchen an, ließ sich aber schon zwei Jahre später aus dem „verräucherten“ Ruhrgebiet ins ver-gleichsweise idyllische Sauerland nach Altena versetzen. „Herrgott, was war das ein Wechsel! Dort Qualm und Staub und stickige Luft, hier ein saube-res Städtchen im Kranz waldiger Ber-ge“, berichtete er später.8 Von Altena aus begann Schirrmann bald mit sei-nen Schülern lange Wanderungen zu unternehmen und erwarb sich so schnell den etwas zweifelhaften Ruf eines „wanderdullen“ Lehrers“9.

7 Vgl. zum Folgenden Hartung (wie Anm.3), S. 9-52, und Jürgen Reulecke/Barbara Stambolis (Hg.): 100 Jahre Jugendherbergen 1909-2009. Anfänge – Wandlungen – Rück- und Ausbli-cke, Essen 2009. 8 Richard Schirrmann: Von der Ur- und Keim-zelle meines Jugendwanderns und des Ju-gendherbergswerkes, in: Die Jugendherberge 8 (1927), S.40. 9 Hartung (wie Anm.3), S. 14.

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Eine „Schüler- und Studentenher-berge“ im Gasthof zum Ritter

Die freundlichen Sätze deuten an, dass die Jugendbewegung zumindest in Teilen der bürgerlichen Erwachse-nenöffentlichkeit von Beginn an auf wohlwollende Unterstützung stieß. Vor diesem Hintergrund entstand auch in Attendorn - wie in 14 weiteren sauerländischen und siegerländischen Orten - schon im Jahr 1907 eine Schü-ler- und Studentenherberge in Träger-schaft des Sauerländischen Gebirgs-verein (SGV).3 Wie die meisten jener 15 Einrichtungen befand sich die Attendorner Herberge zunächst in ei-nem Gasthaus, dem Gasthof zum Rit-ter. Dort konnten laut Karl Boos „Gym-nasiasten und Studenten gegen ein ge-ringes Entgelt auf einer Schülerher-bergskarte übernachten.“4 1907 mach-ten von diesem Angebot 79 jugendliche Wanderer Gebrauch.5

Alle Schüler- und Studentenherbergen standen nur echten Fußwanderern of-fen, Radfahrer und Bahnbenutzer blie-ben ausgeschlossen, ebenso Mädchen und Volksschüler. Geöffnet waren sie lediglich in den Pfingst- und Sommerfe-rien, im Schnitt standen nur vier bis fünf Betten bereit.6

Während diese Vorläufereinrichtungen noch dem Konzept des böhmischen Fabrikanten Guido Rotter folgten, ist

3 Vgl. Karl Hartung: Das Jugendherbergswerk in Westfalen-Lippe. 50 Jahre DJH-Werk, Ha-gen 1959, S. 269. 4 Vgl. Attendorn, Schnellenberg, Waldenburg und Ewig. Ein Beitrag zur Geschichte Westfa-lens von Josef Brunabend. Im Auftrage der Stadt Attendorn überarbeitet von Prof. Julius Pickert, zu Ende geführt von Karl Boos, Münster ²1958, S. 221. 5 Hartung (wie Anm.3) , S. 269. 6 Hartung (wie Anm.3), S. 15 und 269f.

die weitere Entwicklung des Jugend-herbergswesens in Deutschland und auch in Attendorn eng mit den Namen Richard Schirrmann und Wilhelm Münker verbunden. Dass Attendorn dabei in den Anfangsjahren eine relativ prominente Rolle spielte, ist kein Zufall, denn die Stadt lag - jeweils in der Ent-fernung einer Tageswanderung - ge-nau zwischen den Wohn- und Wir-kungsstätten dieser beiden Gründervä-ter der Jugendherbergsbewegung, Al-tena und Hilchenbach.

Ein Mann und seine Vision – Ri-chard Schirrmann und die Anfänge der Jugendherbergen7

Richard Schirrmann (1874-1961) stammte aus Ostpreußen. 1901 trat der passionierte Wanderer eine Leh-rerstelle in Gelsenkirchen an, ließ sich aber schon zwei Jahre später aus dem „verräucherten“ Ruhrgebiet ins ver-gleichsweise idyllische Sauerland nach Altena versetzen. „Herrgott, was war das ein Wechsel! Dort Qualm und Staub und stickige Luft, hier ein saube-res Städtchen im Kranz waldiger Ber-ge“, berichtete er später.8 Von Altena aus begann Schirrmann bald mit sei-nen Schülern lange Wanderungen zu unternehmen und erwarb sich so schnell den etwas zweifelhaften Ruf eines „wanderdullen“ Lehrers“9.

7 Vgl. zum Folgenden Hartung (wie Anm.3), S. 9-52, und Jürgen Reulecke/Barbara Stambolis (Hg.): 100 Jahre Jugendherbergen 1909-2009. Anfänge – Wandlungen – Rück- und Ausbli-cke, Essen 2009. 8 Richard Schirrmann: Von der Ur- und Keim-zelle meines Jugendwanderns und des Ju-gendherbergswerkes, in: Die Jugendherberge 8 (1927), S.40. 9 Hartung (wie Anm.3), S. 14.

Richard Schirrmann mit einer Jungengruppe „auf Fahrt“, um 1912. (Sammlung Richard Schirrmann/ LWL-Medienzentrum für Westfa-len)

Am 26. August 1909, Richard Schirr-mann war wieder einmal mit seinen Schülern unterwegs, wurde seine Klasse von einem Unwetter über-rascht. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, bei Bauern Unterkunft zu finden, durfte die Gruppe schließlich in der örtlichen Dorfschule übernachten. In dieser Nacht, so erzählte Schirr-mann später, kam ihm eine Idee: Ein Netz von preiswerten Jugendherber-gen musste her, um wanderfreudigen Jugendlichen (und Lehrern) in Tages-marschabständen ein Dach über dem Kopf zu bieten. Die erste Jugendher-berge schuf er kurzerhand selbst an seiner eigenen Schule in Altena.

Im SGV stießen Schirrmanns Ideen zunächst auf Skepsis – so wurde auf der Hauptversammlung 1911 ein Unterstützungsantrag mit dem lakoni-schen Hinweis abgelehnt, dass die „Blagen“ nicht auf eine Wanderung gehörten.10

Ein Durchbruch gelang, als Schirrmann den damaligen Landrat des Kreises Altena, Fritz Thomée, überzeugen konnte, in der - auf dessen Initiative hin gerade wiederaufgebauten - Burg Al-tena eine Jugendherberge einzurich-ten. 1912 konnte diese Herberge, die heute als Stammsitz der Jugendher-bergsbewegung gilt, bezogen werden. Seitdem erfreute sich die dem Gedan-ken des Naturerlebens, der Körperer-tüchtigung und der Heimatpflege ver-pflichtete, zivilisations- und groß-stadtkritische, dabei strikt überparteili-che Jugendherbergsbewegung einer wachsenden Wertschätzung und Förde-rung durch die administrativen und wirt-schaftlichen Funktionseliten Westfalens 10 Ebd., S. 22.

Zugleich begann er im Sauerländi-schen Gebirgsverein, dessen Mitglied er seit 1905 war, für die Einrichtung sol-cher Jugendherbergen zu werben. Die bereits in Trägerschaft des SGV be-stehenden Schüler- und Studentenher-bergen schienen ihm dafür aus meh-reren Gründen nicht geeignet, erstens weil sie Volksschüler und weibliche

Jugendliche generell ausschlossen und zweitens, weil sie meist mit Gast-häusern gekoppelt waren, in denen ge-raucht und Alkohol getrunken wurde. Das widersprach Schirrmanns lebens-reformerischer Grundidee, durch das Jugendwandern nicht zuletzt die oft aus ungesunden Großstadtverhältnis-sen stammenden Kinder und Jugend-lichen mit einem gesunden Lebensstil vertraut zu machen und so einen Bei-trag zur „Volksgesundheit“ zu leisten. Außerdem sollten die neuen Herber-gen anders als die bestehenden Ein-richtungen Platz genug bieten, um auch größere Schülergruppen unter-zubringen.

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Die Einrichtung einer ersten Ju-gendherberge auf Burg Schnellenberg 1911/12

Eine dieser frühen echten Jugendher-bergen entstand – vermutlich schon 191112 - auf der Burg Schnellenberg.

11 Hartung (wie Anm.3), S. 47. 12 Darauf lässt die hohe Zahl von 795 Über-nachtungen schließen, die Hartung (ebd., S. 269) für 1911 für Attendorn angibt. Er listet diese zwar unter „Studenten- und Schülerher-bergen“, doch können die nur in den Pfingst- und Sommerferien zur Verfügung stehenden wenigen Betten im Gasthof Ritter für eine sol-che Zahl von Jugendwanderern unmöglich gereicht haben.

Blick auf Burg Schnellenberg um 1910. (Sammlung Richard Schirrmann/ LWL-Medienzentrum für Westfalen)

Die Burg war seit dem Wegzug der letzten Mitglieder der Familie von Fürs-tenberg 1835 dem langsamen Verfall ausgesetzt. Wechselnde Pächter hat-ten im Südteil der Unterburg eine Brauerei betrieben, bis dieser Burgteil durch einen Großbrand 1889 komplett zerstört wurde. Danach wurde nur noch die Burgschenke weiter geführt, die neben einem Biergarten, dem „Grünen Plätzchen“, das sich hinter der Oberburg befand, auch über eine Ke-gelbahn verfügte.13 In eben dieser Ke-gelbahn wurde 1911/12 die „Jugend-herberge“ untergebracht.14 Deren Aus-stattung wird man sich denkbar einfach vorstellen müssen. Vermutlich bestan-den die 30 „Lagerstätten“, die es dort in 13 Vgl. Otto Höffer/Ralf Breer: Attendorn. Port-rait zur Jahrtausendwende, Attendorn 1997, S. 83. 14 Stadtarchiv Attendorn, Bestand Amt Atten-dorn 1925-1952, Akte D 471 (freundlicher Hinweis von Stadtarchivar Otto Höffer).

und ganz Deutschlands. Dazu trug nichtzuletzt die überaus rührige Werbetätig-keit Schirrmanns sowie seines engen Mitstreiters Wilhelm Münker bei. Münker (1874-1970), der in Hilchenbach eine Metallfabrik besaß und ebenfalls be-geisterter Wanderer war, fungierte als Geschäftsführer des seit 1914 vom SGV selbständigen deutschen Jugend-herbergsverbandes und ergänzte den Idealisten Schirrmann perfekt durch sein organisatorisches Geschick.

Unermüdlich und höchst erfolgreich warben beide in den folgenden Jahr-zehnten um Unterstützung für ihr Werk.Schon in den Jahren 1910 bis 1912 ent-standen im Sauerland und in angren-zenden Gebieten parallel zu Altena 65 Jugendherbergen.11 Sie boten zumeist einfachste Übernachtungsmöglichkei-ten und waren überwiegend in Schulen, Turnhallen, Vereinshäusern und Privat-häusern untergebracht.

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Die Einrichtung einer ersten Ju-gendherberge auf Burg Schnellenberg 1911/12

Eine dieser frühen echten Jugendher-bergen entstand – vermutlich schon 191112 - auf der Burg Schnellenberg.

11 Hartung (wie Anm.3), S. 47. 12 Darauf lässt die hohe Zahl von 795 Über-nachtungen schließen, die Hartung (ebd., S. 269) für 1911 für Attendorn angibt. Er listet diese zwar unter „Studenten- und Schülerher-bergen“, doch können die nur in den Pfingst- und Sommerferien zur Verfügung stehenden wenigen Betten im Gasthof Ritter für eine sol-che Zahl von Jugendwanderern unmöglich gereicht haben.

Blick auf Burg Schnellenberg um 1910. (Sammlung Richard Schirrmann/ LWL-Medienzentrum für Westfalen)

Die Burg war seit dem Wegzug der letzten Mitglieder der Familie von Fürs-tenberg 1835 dem langsamen Verfall ausgesetzt. Wechselnde Pächter hat-ten im Südteil der Unterburg eine Brauerei betrieben, bis dieser Burgteil durch einen Großbrand 1889 komplett zerstört wurde. Danach wurde nur noch die Burgschenke weiter geführt, die neben einem Biergarten, dem „Grünen Plätzchen“, das sich hinter der Oberburg befand, auch über eine Ke-gelbahn verfügte.13 In eben dieser Ke-gelbahn wurde 1911/12 die „Jugend-herberge“ untergebracht.14 Deren Aus-stattung wird man sich denkbar einfach vorstellen müssen. Vermutlich bestan-den die 30 „Lagerstätten“, die es dort in 13 Vgl. Otto Höffer/Ralf Breer: Attendorn. Port-rait zur Jahrtausendwende, Attendorn 1997, S. 83. 14 Stadtarchiv Attendorn, Bestand Amt Atten-dorn 1925-1952, Akte D 471 (freundlicher Hinweis von Stadtarchivar Otto Höffer).

jener Zeit gab, aus schlichten Strohla-gern. Im ersten Jugendherbergsver-zeichnis, das Richard Schirrmann im August 1912 herausgab, wird die Burg tabellarisch mit folgenden Angaben aufgeführt:15

Wert der Herbergseinrichtung: 212 Mark

Träger: SGV

Gäste aus Höheren Schulen: 26 Kna-ben, 0 Mädchen

Gäste aus Volksschulen: 132 Knaben, 0 Mädchen

Schulentlassene Jugend: 44 Knaben, 0 Mädchen

Gesamtsumme 202

Da die Zahl der 1912 in Attendorn über-nachtenden Jugendwanderer insgesamt bei 393 lag,16 scheint es in diesem Jahr auch noch andere Unterkünfte – etwa die Schülerherberge im Gasthof zum Ritter – gegeben zu haben. 1913 fan-den dann alle in Attendorn nächtigen-den jugendlichen Wanderer auf der Burg Schnellenberg einen Schlafplatz. Mit 911 Gästen, unter ihnen erstmals auch 35 Mädchen, gehörte die Burg im letzten Vorkriegsjahr zu den sechs be-sucherstärksten Einrichtungen des jun-gen Jugendherbergsnetzes.17

Dass der von der aufblühenden Ju-gendbewegung befeuerte „Wandertrieb“ vieler Jugendlicher nicht auf einhellige Begeisterung stieß, belegt ein Bericht 15Herbergsverzeichnis 1912, in: Archiv der Deutschen Jugendbewegung, Bestand A 201 (Deutsches Jugendherbergwerk), Nr. 527 (freundlicher Hinweis von Elke Hack). 16 Vgl. Hartung (wie Anm.3), S. 269. 17 Jahresbericht 1913, in: Archiv der Deut-schen Jugendbewegung, A 201, Nr. 84.

über einen Jugendpflegerkurs, der 1912 in Attendorn stattfand. Darin heißt es, es seien „manche Klagen über die Wan-dervögel laut“ geworden. Bezeichnend war allerdings auch der ergänzende Hinweis des Berichterstatters, „in zahl-reichen Fällen [habe] sich ergeben ..., daß die eigentlichen Wandervögel zu Unrecht“ bezichtigt worden seien.18 Nach Beginn des Ersten Weltkriegs war es mit dem Aufschwung des Jugend-wanderns und damit auch des Jugend-herbergswerks ohnehin zunächst ein-mal vorbei. Auf Burg Schnellenberg sank die Zahl der Gäste schon 1914 auf 261 ab, im August 1917 vernichtete dann ein Brand die in der ehemaligen Kegelbahn der Burg untergebrachte Herberge.19

Nach dem Ersten Weltkrieg: Von der Jugendherberge zur „Jugendburg“?

Wann genau nach dem Ersten Welt-krieg der Herbergsbetrieb in Attendorn wieder aufgenommen wurde, ist unklar. Offenbar wurde die Burg – oder ein an-derer Standort in der Stadt – sehr bald wieder als Notherberge genutzt, denn schon für Pfingsten 1920 vermerkt Karl Hartung in seiner Geschichte des Ju-gendherbergswerks in Westfalen-Lippe: „An manchen Herbergsorten, besonders in Altena (neben der Burgbleibe gab es noch 5 Hilfsherbergen bis 1923), Lü-denscheid, Attendorn, Arnsberg, war es unmöglich, die Scharen unterzubringen,

18 Bericht des Kreisschulinspektors über einen Kursus zur Ausbildung von Jugendpflegern im Kreis Olpe, 27.11.1912 (Landesarchiv NRW, Abt. Westfalen, Reg. Arnsberg IIH 3551). 19 Chronik 1917, in: Archiv der Deutschen Ju-gendbewegung, A 201, Nr. 189; Stadtarchiv Attendorn, Bestand Amt Attendorn 1925-1952, Akte D 471.

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obwohl man Tausenden abgeschrieben hatte.“20 Für 1922 gibt Hartung die Zahl der Jugendherbergsübernachtungen in Attendorn dann mit 6.066 an.21

Wandergesellschaft vor dem Portal der Oberburg, um 1910. (Sammlung Richard Schirrmann/ LWL-Medienzentrum für Westfalen)

Offiziell wurde die Jugendherberge auf der Burg Schnellenberg aber erst 1923 wieder „hergerichtet“. Treibende Kraft war jetzt Wilhelm Münker, der als Ge-schäftsführer des Verbandes Deutscher Jugendherbergen, Zweigausschuss Sauerland, nicht nur das Plazet der Ei-gentümerfamilie von Fürstenberg ein-holte, sondern auch bei staatlichen und kommunalen Entscheidungsträgern und bei der heimischen Wirtschaft engagiert um Unterstützung warb.

Im Juli 1924 erschien unter dem Brief-kopf des Verbandes Deutscher Ju-gendherbergen Zweigausschuss Sau-

20 Hartung (wie Anm.3), S. 76. 21 Ebd., S. 271.

erland, und einem Foto der Burg Schnellenberg ein Aufruf, der außer von Münker auch von zahlreichen Ho-noratioren aus Stadt und Region un-terzeichnet war: dem Bürgermeister der Stadt Attendorn, dem Amtmann für das Amt Attendorn, zu dem die Burg damals gehörte, dem katholischen und evangelischen Pfarrer der Stadt, dem Vorsitzenden der Deutschen Turner-schaft im Märkischen Gau, dem SGV-Vorsitzenden für den Bezirk Mittellenne und auch dem Vorsitzenden des West-fälischen Heimatbundes, Freiherr Kerckering zu Borg. 22 In dem Schrei-ben hieß es wörtlich:

„Die oben abgebildete Burg Schnellenberg bei Attendorn soll eine Jugendburg werden. Attendorn ist der wanderwichtigste Ort im Sauerlande. Aber Tausende junger Menschen suchten dort in den letzten Jahren ver-geblich nach Obdach. Mit Zustimmung der Gräfl. Fürstenberg‘schen Verwal-tung wurde daher auf der Burg im vori-gen Jahre eine Jugendherberge herge-richtet. Amtmann a.D. Jenrich auf der Burg betreut die Gäste als Herbergsva-ter. Diese Herberge aber langt entfernt nicht und soll jetzt erweitert werden. Mehr als 100 Lager in getrennten Räumen werden geschaffen. Aber nicht nur das. Die Fürstenberg’sche Verwaltung hat neuerdings die Zu-stimmung gegeben, daß auch der prächtige Rittersaal einbezogen wird. Er soll den in der Jugendbewegung stehenden Vereinigungen zu Tagun-gen dienen. Häufiger noch wird er von der Attendorner Jugendpflege benutzt werden. Überhaupt soll er, weit über Attendorn und den Kreis Olpe hinaus, 22 Stadtarchiv Attendorn, Bestand Amt Atten-dorn 1925-1952, Akte D 59.

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obwohl man Tausenden abgeschrieben hatte.“20 Für 1922 gibt Hartung die Zahl der Jugendherbergsübernachtungen in Attendorn dann mit 6.066 an.21

Wandergesellschaft vor dem Portal der Oberburg, um 1910. (Sammlung Richard Schirrmann/ LWL-Medienzentrum für Westfalen)

Offiziell wurde die Jugendherberge auf der Burg Schnellenberg aber erst 1923 wieder „hergerichtet“. Treibende Kraft war jetzt Wilhelm Münker, der als Ge-schäftsführer des Verbandes Deutscher Jugendherbergen, Zweigausschuss Sauerland, nicht nur das Plazet der Ei-gentümerfamilie von Fürstenberg ein-holte, sondern auch bei staatlichen und kommunalen Entscheidungsträgern und bei der heimischen Wirtschaft engagiert um Unterstützung warb.

Im Juli 1924 erschien unter dem Brief-kopf des Verbandes Deutscher Ju-gendherbergen Zweigausschuss Sau-

20 Hartung (wie Anm.3), S. 76. 21 Ebd., S. 271.

erland, und einem Foto der Burg Schnellenberg ein Aufruf, der außer von Münker auch von zahlreichen Ho-noratioren aus Stadt und Region un-terzeichnet war: dem Bürgermeister der Stadt Attendorn, dem Amtmann für das Amt Attendorn, zu dem die Burg damals gehörte, dem katholischen und evangelischen Pfarrer der Stadt, dem Vorsitzenden der Deutschen Turner-schaft im Märkischen Gau, dem SGV-Vorsitzenden für den Bezirk Mittellenne und auch dem Vorsitzenden des West-fälischen Heimatbundes, Freiherr Kerckering zu Borg. 22 In dem Schrei-ben hieß es wörtlich:

„Die oben abgebildete Burg Schnellenberg bei Attendorn soll eine Jugendburg werden. Attendorn ist der wanderwichtigste Ort im Sauerlande. Aber Tausende junger Menschen suchten dort in den letzten Jahren ver-geblich nach Obdach. Mit Zustimmung der Gräfl. Fürstenberg‘schen Verwal-tung wurde daher auf der Burg im vori-gen Jahre eine Jugendherberge herge-richtet. Amtmann a.D. Jenrich auf der Burg betreut die Gäste als Herbergsva-ter. Diese Herberge aber langt entfernt nicht und soll jetzt erweitert werden. Mehr als 100 Lager in getrennten Räumen werden geschaffen. Aber nicht nur das. Die Fürstenberg’sche Verwaltung hat neuerdings die Zu-stimmung gegeben, daß auch der prächtige Rittersaal einbezogen wird. Er soll den in der Jugendbewegung stehenden Vereinigungen zu Tagun-gen dienen. Häufiger noch wird er von der Attendorner Jugendpflege benutzt werden. Überhaupt soll er, weit über Attendorn und den Kreis Olpe hinaus, 22 Stadtarchiv Attendorn, Bestand Amt Atten-dorn 1925-1952, Akte D 59.

zu einem Mittelpunkte werden für alle Vereine von jung und alt, die dem Auf-bau, dem Volke, der Heimat dienen....

Der Schnellenberg ist das hervorra-gendste alte Baudenkmal des südli-chen Westfalens. Nur wenige solcher Bauten hat unsere Heimat aufzuwei-sen. Umso mehr ist es Pflicht zu retten, was zu retten ist. ... Das Alte soll in den Dienst des Neuen gestellt werden. Ziel ist die Schaffung einer Stätte der Kraft, der Erbauung und der Freude.

Eine gesunde und starke, reine und frohe Jugend heranzuziehen, ist Ziel aller Jugendpflege und des Jugend-wanderns im besonderen. Der Flügel mit den Herbergsräumen und dem Rit-tersaal war bereits dem Verfall preis-gegeben. Der Herbergsverband hat ihn durch die Herrichtung des Daches ge-rettet. Neues Leben soll jetzt aus den alten Gemäuern ersprießen.

Die baulichen Instandsetzungen kos-ten freilich viel Geld. Ist schon das Bauen im Tale nicht billig, so erst recht auf der Bergeshöh. Aber die Beteilig-ten sind sich einig, daß hier mit ver-hältnismäßig geringen Mitteln Treffli-ches erreicht werden kann. Beim Zu-sammenwirken aller Kräfte muß und wird das Werk gelingen. Das Reichs-ministerium des Innern und das Wohl-fahrtsministerium haben uns ihre Hilfe zugesagt. ....

Der Schnellenberg wird bald eine gro-ße Zugkraft ausüben. Gerne werden die Vereine, die nicht auf das Wirts-haus angewiesen sein wollen, sich zur Aussprache versammeln. In der Zeit der großen Raumnot ist eine solche Heimstätte für Jung und Alt doppelt wichtig. Der Grund ist gelegt. Eine

Reihe guter Gaben gingen bereits ein. Darum sind wir gewiß, daß auch sie uns einen Baustein nicht versagen werden. ... Sie werden es nicht bereu-en, durch einen Baustein dazu beige-tragen zu haben, aus dem alten Schnellenberg einen Quell neuer Kraft zu machen.“23

Tatsächlich gelang es binnen Jahres-frist, nicht zuletzt mithilfe von Material-spenden aus der heimischen Wirt-schaft,24 in der Oberburg fünf Schlaf-räume mit insgesamt 124 Betten inklu-sive sanitärer Anlagen und einer „Ab-kochküche“ zu schaffen und auch den Rittersaal als Tagungsraum einzurich-ten.25

Der Rittersaal – Herzstück der Jugendherber-ge auf Burg Schnellenberg, 1925. (Sammlung Richard Schirrmann/ LWL-Medienzentrum für Westfalen)

Vom „grünen Plätzchen“ aus, das in-zwischen nicht mehr als Biergarten

23 Stadtarchiv Attendorn, Bestand Amt Atten-dorn 1925-1952, Akte D 59. 24 So spendete die Olper Ringofenziegelei Bonzel im September 1923 1000 Ziegelsteine (ebd.). 25 Auf der Rückseite einer Ansichtskarte des Rittersaals aus dem Jahr 1925 findet sich der Aufdruck: „Jugendherberge auf Schloss Schnellenberg bei Attendorn i.W. 5 Schlafräume mit 124 Betten. Prächtiger Rittersaal, für Tagun-gen gut geeignet.“ (Sammlung Stefan Lünswilken). Vgl. Brunabend/Pickert/Boos (wie Anm.4), S. 220.

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genutzt wurde, legte man eine über-dachte Holztreppe und einen Eingang zur Jugendherberge an.

Blick auf die Oberburg mit dem Aufgang zur Jugendherberge, um 1925. (Sammlung Ri-chard Schirrmann/ LWL-Medienzentrum für Westfalen)

1926 konnte die so erweiterte Burg-herberge 7.809 Wandergäste begrü-ßen.26

Mit dieser Steigerung lag Attendorn im Trend. Allein im „Stammgau Sauerland“ des Jugendherbergswerks stieg die Zahl der Herbergen - nicht zuletzt dank massiver Förderung seitens der staatli-chen Jugendbehörden - zwischen 1919 und 1928 von vierzig auf über ein-hundert, die der jährlichen Übernach-tungen von 20.000 auf 186.000 an. Reichsweit überschritt sie 1929 die 3,5 Millionen-Marke. Damit wurden Jugend-herbergen zu einem wichtigen Bestand-teil der touristischen Infrastruktur. Paral-lel zum quantitativen Ausbau des Her-bergsnetzes veränderten sich die Quali-tätsstandards: Schlafsäle mit Etagen-betten ersetzten allmählich die Strohla-ger, WC’s die „Donnerbalken“ und „mo-derne“ Waschanlagen die Pumpen vor dem Haus.27

26 Hartung (wie Anm.3), S. 271. 27 Vgl. Stefanie Hanke: Reorganisation und Ausbau der Jugendherbergen nach 1918, in:

Das Aus: Die Schließung der Ju-gendherberge Schnellenberg 1928

Während es reichsweit für das Ju-gendherbergswerk steil aufwärts ging, sahen sich die Verantwortlichen beim weiteren Ausbau und der dauerhaften Unterhaltung der Burg Schnellenberg vor wachsende Probleme gestellt. Schon im Februar 1924 war im ältesten Teil der Burg eine große Außenmauer in einer Breite von 10 Metern und einer Höhe von 20 Metern eingestürzt, deren Wiederaufbau sich als sehr aufwändig erwies.28 Demgegenüber blieb nicht nur die Spendenbereitschaft der heimischen Wirtschaft, sondern auch die der Stadt Attendorn hinter den Erwartungen Wil-helm Münkers zurück. In einem Brief an Amtmann Becker übte der Geschäfts-führer des Jugendherbergswerks un-verhohlene Kritik an der Stadt: „Ich kann die Stadt Attendorn nicht zwin-gen, eine anständige Summe zu ge-ben ... Umgekehrt ist das bisherige Versagen der Stadt nicht als Beweg-grund für das Amt anzusehen, sich darauf zu berufen. Wenn von zwei Be-teiligten einer seine Pflicht nicht aner-kennt, kann das niemals ein Entschul-digungsgrund für den anderen sein.“29

Zugleich sprach er in diesem Brief auch die Vorbehalte vieler Einheimischer ge-genüber der Wanderbewegung an, „weil zahlreiche Attendorner Bürger und auch Stadtväter den Fremdenverkehr

Reulecke/Stambolis (wie Anm.7). S. 99-110; Markus Köster: „Aus grauer Städte Mauern“. Jugendliche als Pioniere des Massentouris-mus, in: ebd., S. 137-149, hier S. 141. 28 Vgl. Höffer/Breer (wie Anm.13), S. 83, und Münker an Gemeinde Attendorn, 14.7.1924 (Stadtarchiv Attendorn, Bestand Amt Attendorn 1925-1952, Akte D 59). 29 Münker an Amtmann Becker, 27.10.1924 (ebd.).

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genutzt wurde, legte man eine über-dachte Holztreppe und einen Eingang zur Jugendherberge an.

Blick auf die Oberburg mit dem Aufgang zur Jugendherberge, um 1925. (Sammlung Ri-chard Schirrmann/ LWL-Medienzentrum für Westfalen)

1926 konnte die so erweiterte Burg-herberge 7.809 Wandergäste begrü-ßen.26

Mit dieser Steigerung lag Attendorn im Trend. Allein im „Stammgau Sauerland“ des Jugendherbergswerks stieg die Zahl der Herbergen - nicht zuletzt dank massiver Förderung seitens der staatli-chen Jugendbehörden - zwischen 1919 und 1928 von vierzig auf über ein-hundert, die der jährlichen Übernach-tungen von 20.000 auf 186.000 an. Reichsweit überschritt sie 1929 die 3,5 Millionen-Marke. Damit wurden Jugend-herbergen zu einem wichtigen Bestand-teil der touristischen Infrastruktur. Paral-lel zum quantitativen Ausbau des Her-bergsnetzes veränderten sich die Quali-tätsstandards: Schlafsäle mit Etagen-betten ersetzten allmählich die Strohla-ger, WC’s die „Donnerbalken“ und „mo-derne“ Waschanlagen die Pumpen vor dem Haus.27

26 Hartung (wie Anm.3), S. 271. 27 Vgl. Stefanie Hanke: Reorganisation und Ausbau der Jugendherbergen nach 1918, in:

Das Aus: Die Schließung der Ju-gendherberge Schnellenberg 1928

Während es reichsweit für das Ju-gendherbergswerk steil aufwärts ging, sahen sich die Verantwortlichen beim weiteren Ausbau und der dauerhaften Unterhaltung der Burg Schnellenberg vor wachsende Probleme gestellt. Schon im Februar 1924 war im ältesten Teil der Burg eine große Außenmauer in einer Breite von 10 Metern und einer Höhe von 20 Metern eingestürzt, deren Wiederaufbau sich als sehr aufwändig erwies.28 Demgegenüber blieb nicht nur die Spendenbereitschaft der heimischen Wirtschaft, sondern auch die der Stadt Attendorn hinter den Erwartungen Wil-helm Münkers zurück. In einem Brief an Amtmann Becker übte der Geschäfts-führer des Jugendherbergswerks un-verhohlene Kritik an der Stadt: „Ich kann die Stadt Attendorn nicht zwin-gen, eine anständige Summe zu ge-ben ... Umgekehrt ist das bisherige Versagen der Stadt nicht als Beweg-grund für das Amt anzusehen, sich darauf zu berufen. Wenn von zwei Be-teiligten einer seine Pflicht nicht aner-kennt, kann das niemals ein Entschul-digungsgrund für den anderen sein.“29

Zugleich sprach er in diesem Brief auch die Vorbehalte vieler Einheimischer ge-genüber der Wanderbewegung an, „weil zahlreiche Attendorner Bürger und auch Stadtväter den Fremdenverkehr

Reulecke/Stambolis (wie Anm.7). S. 99-110; Markus Köster: „Aus grauer Städte Mauern“. Jugendliche als Pioniere des Massentouris-mus, in: ebd., S. 137-149, hier S. 141. 28 Vgl. Höffer/Breer (wie Anm.13), S. 83, und Münker an Gemeinde Attendorn, 14.7.1924 (Stadtarchiv Attendorn, Bestand Amt Attendorn 1925-1952, Akte D 59). 29 Münker an Amtmann Becker, 27.10.1924 (ebd.).

als den Lebensunterhalt verteuernd und darum ungünstig halten“.

30 Brunabend/Pickert/Boos (wie Anm.4), S. 220. 31 Hartung (wie Anm.3), S. 84. 32 Pachtvertrag vom 24.4.1928 (Stadtarchiv Attendorn, Bestand Amt Attendorn 1925-1952, Akte D 59). 33 Kochskämper an Bürgermeister Amt Atten-dorn, 4.5.1928 (ebd.).

Neuanfang 1930: Die Jugendherber-ge am Heldener Weg

Gleichzeitig betonte Kochskämper, dass man weiterhin an einem Jugend-herbergsstandort in dem „wanderwich-tigen“ Attendorn interessiert sei. Hierfür geriet zunächst das alte Krankenhaus an der Hospitalkirche in den Blick, das durch den 1928 eröffneten Neubau an der Hansastraße leer stand. Doch bald tat sich an der Heldener Straße - da-mals noch Heldener Weg genannt - eine andere Alternative auf: Dort hatte in den Jahren 1924 bis 1927 der Ge-sangverein Cäcilia ein „Sängerheim“ errichtet, das man über Attendorn hin-aus „zu einer Pflegestätte des deut-schen Liedes“ machen wollte. Dabei hatte man aber die Rechnung buch-stäblich ohne den Wirt gemacht, denn die Behörden versagten der Cäcilia die für den Betrieb einer Gastronomie er-forderliche Schankkonzession.34

Des einen Pech, des anderen Glück: Der Jugendherbergsverband über-nahm 1929 das geräumige und günstig anzukaufende Haus am Heldener Weg und eröffnete dort „nach einigen bauli-chen Veränderungen“ mit Beginn der Wandersaison Ostern 1930 eine neue Jugendherberge.35

34 Freundlicher Hinweis von Stadtarchivar Otto Höffer. 35 Vgl. Die Jugendherberge 11 (1930), S. 55, Hartung (wie Anm.3), S. 92, und Brunabend/Pickert/Boos (wie Anm.4), S. 220.

Als dann auch noch die Verhandlungenüber eine langfristige Anpachtung der Burg auf 99 Jahre scheiterten, weil die Fürstenberg’sche Verwaltung eine Schädigung ihrer umliegenden Wäl-der durch die Wanderer fürchtete und deshalb hohe Forderungen stellte,30 begann das Sauerländische Jugend-herbergswerk umzudisponieren: 1927 wurde gerade einmal zwei Wander-stunden entfernt die „Jugendburg“ Bil-stein eröffnet; ein Jahr später, am 1. April 1928, schloss die Jugendherberge auf Burg Schnellenberg für immer ihre Pforten.31 Zwar enthielt der Pachtver-trag, den der Graf von Fürstenberg im April 1928 mit Norbert Bilsing schloss, ausdrücklich eine Klausel, die dem neu-en Pächter die Weitervermietung der „für seinen Wirtschaftsbetrieb entbehr-lichen Räumlichkeiten für die Zwecke der Jugendpflege - Jugendherberge -“ erlaubte,32 doch teilte der neue Ge-schäftsführer des sauerländischen Ju-gendherbergswerks, Max Kochskäm-per, dem Amt Attendorn schon am 4. Mai 1928 unmissverständlich mit, dass der Vorstand die Auflösung der Jugend-herberge auf dem Schnellenberg be-schlossen habe. „Hieran ändert auch nichts die Tatsache, dass der Schnel-lenberg neu verpachtet wurde.“33

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Die noch unverputzte neue Jugendherberge an der Heldener Straße, ca. 1931. (Postkarte, Sammlung Stefan Lünswilken)

Sie bot den Wanderern 75 Betten und zusätzlich ein Notquartier für weitere 50 Personen. Der erste Herbergsvater Emil König konnte schon im Jahr 1930 über 5.000 Wandergäste begrüßen, fünf Jahre später sogar 9.638.36 Träger der neuen Herberge wurde die 1924 gegründete Ortsgruppe Attendorn des Deutschen Jugendherbergsverbandes, die Anfang 1931 unter Vorsitz von Dr. Anton Overmann, Direktor des Rivius-Gymnasiums, 132 Mitglieder zählte.37

Die Jugendherberge an der Heldener Straße überstand die politischen Um-brüche der Jahre 1933 und 1945 und existierte bis 1987. Zuletzt war seit 1970 Franz Springob als Herbergsvater tä-tig.38

Fotografien als Spuren der Geschich-te

Heute erinnert fast nichts mehr an die bewegte Jugendherbergshistorie der Stadt Attendorn. Nur eine Reihe von Fotografien hält die Erinnerung an die-ses vergessene Kapitel der Attendorner Tourismusgeschichte wach.

36 Hartung (wie Anm.3), S. 280. 37 Vgl. Die Jugendherberge 12 (1931), S. 10. 38 Freundlicher Hinweis von Olaf Homberg, Attendorn.

Einige der interessantesten Aufnahmen zur Geschichte der Burg Schnellenberg als Jugendherbergsstandort lassen sich im Fotonachlass Richard Schirrmanns entdecken, den das LWL- Medienzent-rum für Westfalen in Münster 2008 von Schirrmanns Tochter Gudrun über-nommen hat.

Dazu zählen das Bild des überdachten Treppenaufgangs zur Herberge (Abb. 6) und das des mit Tischen bestückten Rittersaals (Abb.5). Bemerkenswert ist aber auch das - der Kleidung nach zu urteilen - um 1910 entstandene Porträt einer zünftigen, Wandergesellschaft, die sich mit Musikinstrumenten vor dem Portal der Oberburg postiert hat (Abb. 4). Ob Schirrmann dieses Bild selbst aufgenommen hat und wen es zeigt, ist unbekannt.

Blick von der Bigge zur neuen Jugendherberge (rechts) und zur Burg Schnellenberg, ca. 1933 (Postkarte, Cramers Kunstanstalt Dort-mund/Sammlung Stefan Lünswilken)

Insgesamt hat das LWL-Medienzentrum unter www.bildarchiv-westfalen.lwl.org weit über 1.500 Bilder aus dem Nachlass Schirrmann für die Öffentlichkeit online zugänglich ge-macht. Falls Sie selbst noch über Fotos verfügen, die einen der Attendorner Ju-gendherbergsstandorte zeigen, freue ich mich über einen Hinweis ([email protected]).

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Die noch unverputzte neue Jugendherberge an der Heldener Straße, ca. 1931. (Postkarte, Sammlung Stefan Lünswilken)

Sie bot den Wanderern 75 Betten und zusätzlich ein Notquartier für weitere 50 Personen. Der erste Herbergsvater Emil König konnte schon im Jahr 1930 über 5.000 Wandergäste begrüßen, fünf Jahre später sogar 9.638.36 Träger der neuen Herberge wurde die 1924 gegründete Ortsgruppe Attendorn des Deutschen Jugendherbergsverbandes, die Anfang 1931 unter Vorsitz von Dr. Anton Overmann, Direktor des Rivius-Gymnasiums, 132 Mitglieder zählte.37

Die Jugendherberge an der Heldener Straße überstand die politischen Um-brüche der Jahre 1933 und 1945 und existierte bis 1987. Zuletzt war seit 1970 Franz Springob als Herbergsvater tä-tig.38

Fotografien als Spuren der Geschich-te

Heute erinnert fast nichts mehr an die bewegte Jugendherbergshistorie der Stadt Attendorn. Nur eine Reihe von Fotografien hält die Erinnerung an die-ses vergessene Kapitel der Attendorner Tourismusgeschichte wach.

36 Hartung (wie Anm.3), S. 280. 37 Vgl. Die Jugendherberge 12 (1931), S. 10. 38 Freundlicher Hinweis von Olaf Homberg, Attendorn.

Einige der interessantesten Aufnahmen zur Geschichte der Burg Schnellenberg als Jugendherbergsstandort lassen sich im Fotonachlass Richard Schirrmanns entdecken, den das LWL- Medienzent-rum für Westfalen in Münster 2008 von Schirrmanns Tochter Gudrun über-nommen hat.

Dazu zählen das Bild des überdachten Treppenaufgangs zur Herberge (Abb. 6) und das des mit Tischen bestückten Rittersaals (Abb.5). Bemerkenswert ist aber auch das - der Kleidung nach zu urteilen - um 1910 entstandene Porträt einer zünftigen, Wandergesellschaft, die sich mit Musikinstrumenten vor dem Portal der Oberburg postiert hat (Abb. 4). Ob Schirrmann dieses Bild selbst aufgenommen hat und wen es zeigt, ist unbekannt.

Blick von der Bigge zur neuen Jugendherberge (rechts) und zur Burg Schnellenberg, ca. 1933 (Postkarte, Cramers Kunstanstalt Dort-mund/Sammlung Stefan Lünswilken)

Insgesamt hat das LWL-Medienzentrum unter www.bildarchiv-westfalen.lwl.org weit über 1.500 Bilder aus dem Nachlass Schirrmann für die Öffentlichkeit online zugänglich ge-macht. Falls Sie selbst noch über Fotos verfügen, die einen der Attendorner Ju-gendherbergsstandorte zeigen, freue ich mich über einen Hinweis ([email protected]).

Ein Attendorner Junge – Pater Johannes (Ulrich) Rocksloh OSB verstarb plötzlich am 12. Januar 2011 durch einen tra-

gischen Unfall in Dar-es-Salaam/Tansania von Meinolf Lüttecke

Am 12. Januar 2011 verstarb an den Folgen eines Badeunfalls in Dar-es-Salaam (Tansania) der Benediktiner-pater und Missionar Johannes (Ulrich) Rocksloh OSB im Alter von 69 Jahren.

Am 29. Juni 2010 las Pater Johannes Rocksloh eine Messe für seinen Schuljahrgang 1941/42. Unser Bild entstand anschließend an der Seite der Hospitalkirche. Auch seine Jahr-gangskollegen vermissen Ulrich Rocksloh. Foto: Meinolf Lüttecke

In Attendorn war er einer von uns, der Rocklohs Uli, der auf dem Kehlberg aufgewachsen war. Entsprechend groß war die Bestürzung in der Hansestadt. Die Telefone liefen heiß, als die To-desnachricht einen Tag später, am 13. Januar 2011, in der Hansestadt be-kannt wurde. Viele Bewohner Atten-dorns konnten das kaum glauben, hat-ten sie noch im Dezember den obliga-torischen Rundbrief vor Weihnachten oder auch persönliche Post aus Tan-sania, mit den wunderschönen Brief-marken auf dem Umschlag, erhalten. Aber es war Fakt, Abt Dr. Dominicus Meier OSB von der Abtei Königsmüns-ter (Meschede) bestätigte die traurige Nachricht. 35 Jahre missionarische

Tätigkeit im fernen Ostafrika, Tansa-nia, fanden damit ein jähes Ende.

Ulrich Rocksloh wurde am 26. August 1941 in Heggen geboren. Seine Eltern waren Theodor und Klara Elisabeth Rocksloh. Nach dem Abschluss der Volksschule erlernte er den soliden Beruf des Werkzeugmachers bei der Firma Muhr und Bender (1956 bis 1959). Anschließend war er von 1960 bis 1962 bei der Firma Franz Viegener II (heute Viega) beschäftigt. Es folgte die Bundeswehrzeit, und im April 1964 trat Ulrich Rocksloh in die Abtei Kö-nigsmünster ein und erhielt bei der Aufnahme ins Noviziat den Namen Johannes des Täufers.

Nach der zeitlichen Profess am 7. Mai 1966 waren seine ersten Einsatzberei-che das Sekretariat des Gymnasiums und die Missionsprokura. Diese Arbeit brachte ihn mit einer großen Zahl von Menschen in Kontakt, die später mit viel Engagement und Treue seine Mis-sionsarbeit unterstützten. In der feierli-chen Profess legte Bruder Johannes am 11. Mai 1969 sein Leben in Gottes Hand und band sich endgültig an die Gemeinschaft der Missionsbenedikti-ner von Königsmünster.

Am 26. November 1972, so geht aus dem offiziellen Totenbrief der Abtei Königsmünster hervor, entsandte der damalige Abt Harduin Bießle Bruder Johannes als Missionar in die Abtei Ndanda im Südwesten Tansanias. Dort waren gerade bedeutende Umwälzun-

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gen im Gang. Seit Gründung der Kir-che in Tansania zu Beginn des Jahr-hunderts waren die Oberen der Missi-onsklöster zugleich Bischöfe der im Aufbau gewesenen Kirche gewesen.

Unser Bild entstand beim Besuch der Journa-listin Gunhilde Lüttecke im Jahre 1978. Aus erster Hand berichtete Bruder Johannes über seine missionarische Tätigkeit.

Foto: Gunhilde Lüttecke

1973 wurde im bisher durch den Abt von Ndanda geleiteten Missionsgebiet das Bistum Mtwara unter Leitung eines einheimischen Bischofs errichtet. Bru-der Johannes wurde als Finanzverwal-ter einer der wichtigsten Mitarbeiter des neuen Bischofs. Nachdem er in dieser Funktion die Anfangsphase des jungen Bistums mitgetragen hatte, kehrte er in die Abtei Ndanda zurück und startete dort ein Projekt, das ihm sowohl in Tansania als auch in Deutschland einen fast legendären Ruf eintrug: Bruder Johannes gründete die

„Agricultural Association of Mumburu“, einen großen landwirtschaftlichen Ma-schinenring. Hier konnte jedermann zu günstigen Bedingungen einen Traktor mit den jeweils nötigen Geräten mie-ten, um seine Felder zu bestellen. Bru-der Johannes war sehr dankbar, mit seiner Landmaschinengenossenschaft einen wirksamen Beitrag zum wirt-schaftlichen und sozialen Fortschritt im Umfeld der Abtei Ndanda leisten zu können. Zugleich kam aber immer wieder eine deutliche Portion Ratlosig-keit darüber zum Ausdruck, dass afri-kanische und europäische Vorstellun-gen über sinnvolle Methoden der Or-ganisation und des Wirtschaftens schwer unter einen Hut zu bringen sind.

Beim Besuch eines Festes in Attendorn ent-stand 1978 dieses Bild, welches Bruder Jo-hannes Rocksloh im Gespräch zeigt.

Foto: Gunhilde Lüttecke

Vielleicht auch vor dem Hintergrund dieser Zwiespältigkeit wuchs in Bruder

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gen im Gang. Seit Gründung der Kir-che in Tansania zu Beginn des Jahr-hunderts waren die Oberen der Missi-onsklöster zugleich Bischöfe der im Aufbau gewesenen Kirche gewesen.

Unser Bild entstand beim Besuch der Journa-listin Gunhilde Lüttecke im Jahre 1978. Aus erster Hand berichtete Bruder Johannes über seine missionarische Tätigkeit.

Foto: Gunhilde Lüttecke

1973 wurde im bisher durch den Abt von Ndanda geleiteten Missionsgebiet das Bistum Mtwara unter Leitung eines einheimischen Bischofs errichtet. Bru-der Johannes wurde als Finanzverwal-ter einer der wichtigsten Mitarbeiter des neuen Bischofs. Nachdem er in dieser Funktion die Anfangsphase des jungen Bistums mitgetragen hatte, kehrte er in die Abtei Ndanda zurück und startete dort ein Projekt, das ihm sowohl in Tansania als auch in Deutschland einen fast legendären Ruf eintrug: Bruder Johannes gründete die

„Agricultural Association of Mumburu“, einen großen landwirtschaftlichen Ma-schinenring. Hier konnte jedermann zu günstigen Bedingungen einen Traktor mit den jeweils nötigen Geräten mie-ten, um seine Felder zu bestellen. Bru-der Johannes war sehr dankbar, mit seiner Landmaschinengenossenschaft einen wirksamen Beitrag zum wirt-schaftlichen und sozialen Fortschritt im Umfeld der Abtei Ndanda leisten zu können. Zugleich kam aber immer wieder eine deutliche Portion Ratlosig-keit darüber zum Ausdruck, dass afri-kanische und europäische Vorstellun-gen über sinnvolle Methoden der Or-ganisation und des Wirtschaftens schwer unter einen Hut zu bringen sind.

Beim Besuch eines Festes in Attendorn ent-stand 1978 dieses Bild, welches Bruder Jo-hannes Rocksloh im Gespräch zeigt.

Foto: Gunhilde Lüttecke

Vielleicht auch vor dem Hintergrund dieser Zwiespältigkeit wuchs in Bruder

Johannes die Überzeugung, dass gute geistliche Begleitung für die Menschen in Tansania noch hilfreicher sein würde als seine bisherige Tätigkeit. Er ent-schloss sich, Priester und Seelsorger zu werden, begann 1983 das Studium der Theologie im Seminar Lanters-hofen und wurde am 24. Januar 1988 durch den tansanischen Bischof Em-manuel Mapunda in Königsmünster zum Priester geweiht. Zutiefst berührt waren die Teilnehmer des Weihegot-tesdienstes davon, dass dabei der Messkelch des 1905 im Zusammen-hang eines Aufstandes getöteten Be-nediktinerbischofs Cassian Spiß be-nutzt wurde. Über Jahre hatte sich Pa-ter Johannes bemüht, den bei dem Mordanschlag entwendeten Kelch aus-findig zu machen und in die Hände der Benediktiner zurückzuholen. Die Primiz in Attendorn war dann am 31. Januar 1988 im Sauerländer Dom seiner Hei-matstadt.

Ein großer Tag war für Pater Johannes Rocksloh die Feier der Primiz am 31. Januar 1988 in seiner Heimatstadt. Unser Bild zeigt ihn mit einem Mitbruder beim Einzug in den Sauerländer Dom.

Foto: Meinolf Lüttecke

Die Rückkehr nach Tansania im Mai 1988 brachte für Father John, wie er meistens genannt wurde, zunächst eine Doppelaufgabe: Im neu gegründe-ten Bistum Lindi wirkte er als Seelsor-

ger in einer Pfarrei der Bischofsstadt und stand zugleich dem Bischof als Finanzchef zur Seite. Als er 1996 Pfar-rer von Liwale wurde, begann für den Hansestädter ein weiterer prägender Einsatz. Liwale ist einer der isoliertes-ten Orte Tansanias. Es gelang Pater Johannes diese Pfarrei aus ihrer lang-jährigen Schattenexistenz zu befreien, eine gute bauliche Grundlage für das Gemeindeleben zu schaffen und vor allem die Glaubenspraxis ihrer Mitglie-der zu vertiefen. Kaum hatte Pater Jo-hannes den Neuaufbau der Pfarrei Liwale auf eine gute Bahn gebracht, wurde er durch einen Auftrag des Ab-tes von Ndanda vor eine neue Heraus-forderung gestellt.

Dieses Bild entstand in Tansania und zeigt Pater Johannes Rocksloh im weißen Habit mit kleinen und großen Gemeindemitgliedern.

Foto: Privat

2001 übernahm er in der tansanischen Hauptstadt Dar-es-Salaam die Leitung des Klosters Kurasini. Das Kloster ist als Prokura Kontakt- und Durchlauf-stelle für die Auslandsbeziehungen der Benediktinermission in Tansania: Mis-sionare, Helfer und Gäste der Missi-onsklöster finden dort eine erste An-laufstation, Post, Materialsendungen und Spendengelder werden an die Empfänger weitergeleitet, Visaangele-genheiten der Missionare abgewickelt.

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In den letzten zehn Jahren seines Le-bens widmete sich Pater Johannes mit großer Kompetenz und vor allem viel Herzlichkeit diesem Dienst, bis der plötzliche Tod ihn ereilte.

Ulrich Rocksloh und Poskevatter „Hansel“ Gerbe von der Kölner Poorte – zwei, die sich gut verstanden. Foto: Meinolf Lüttecke

Im Jahre 2010 war Ulrich Rocksloh zuletzt in seiner Heimatstadt. In all den langen Jahren seiner Missionstätigkeit hat der Benediktiner seine Heimat nie vergessen. Wenn er auf Heimaturlaub in Deutschland war, plante er immer Tage ein, an denen er sich mit alten Freunden, seinem Jahrgang 1941/42, den Poskebrüdern, ehemaligen Nach-barn vom Kehlberg und vielen anderen traf. Und er konnte gewiss sein, dass die Hansestädter ihn bei seinen Pro-jekten unterstützten. Bei seinem letz-ten Besuch auf dem Osterkopp der Kölner Poorte erzählte er mit Stolz, dass er bereits als Dreijähriger mit in den Berg ging. Dank eines Wohltäters bekam Ulrich Rocksloh auch über 20 Jahre die Westfalenpost, so dass die Infos aus der Heimat immer da waren.

Willy Springob und Markwart Richter über-reichten Ulrich Rocksloh eine von der Kölner Poorte selbst gemachte Fackel: Foto: Meinolf Lüttecke

Zum Badeunfall nahm in einem Schreiben vom 21. Januar 2011 an Freunde und Wohltäter, Abt Dionys Lindenmaier OSB von der Abtei Ndanda, zu dessen Konvent der Be-nediktiner gehörte, Stellung: „Am Vor-mittag des 12. Januars 2011 fuhr Fr. John mit Pater Allan Maxime, dem Sekretär des Vatikanischen Botschaf-ters, ans Meer nach Kimbiji, um etwas auszuruhen. Das Mittagessen bestell-ten sie im Hotel Kassabeach für 14.30 Uhr, weil sie zuvor noch etwas schwimmen wollten. Als die Bedienung um diese Zeit das Essen bringen woll-te, waren beide Patres noch nicht wie-der da. Sie sah die abgelegten Kleider und wusste somit, dass sie tatsächlich zum Schwimmen ins Meer gegangen waren. Langsam wurden die Leute vom Hotel unruhig und blickten herum, ob sie die Beiden nicht sehen konnten. Da zeigte sich ein lebloser Körper in einiger Entfernung auf der Wasser-oberfläche. Die Flut hatte angefangen hereinzuströmen. So baten sie einige Fischer, die sich in der Nähe aufhiel-ten, nachzusehen. Diese bargen wenig später einen Toten. Es war Fr. John. Als sie weiter suchten, entdeckten sie auch den zweiten Toten, P. Allan. Wie

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In den letzten zehn Jahren seines Le-bens widmete sich Pater Johannes mit großer Kompetenz und vor allem viel Herzlichkeit diesem Dienst, bis der plötzliche Tod ihn ereilte.

Ulrich Rocksloh und Poskevatter „Hansel“ Gerbe von der Kölner Poorte – zwei, die sich gut verstanden. Foto: Meinolf Lüttecke

Im Jahre 2010 war Ulrich Rocksloh zuletzt in seiner Heimatstadt. In all den langen Jahren seiner Missionstätigkeit hat der Benediktiner seine Heimat nie vergessen. Wenn er auf Heimaturlaub in Deutschland war, plante er immer Tage ein, an denen er sich mit alten Freunden, seinem Jahrgang 1941/42, den Poskebrüdern, ehemaligen Nach-barn vom Kehlberg und vielen anderen traf. Und er konnte gewiss sein, dass die Hansestädter ihn bei seinen Pro-jekten unterstützten. Bei seinem letz-ten Besuch auf dem Osterkopp der Kölner Poorte erzählte er mit Stolz, dass er bereits als Dreijähriger mit in den Berg ging. Dank eines Wohltäters bekam Ulrich Rocksloh auch über 20 Jahre die Westfalenpost, so dass die Infos aus der Heimat immer da waren.

Willy Springob und Markwart Richter über-reichten Ulrich Rocksloh eine von der Kölner Poorte selbst gemachte Fackel: Foto: Meinolf Lüttecke

Zum Badeunfall nahm in einem Schreiben vom 21. Januar 2011 an Freunde und Wohltäter, Abt Dionys Lindenmaier OSB von der Abtei Ndanda, zu dessen Konvent der Be-nediktiner gehörte, Stellung: „Am Vor-mittag des 12. Januars 2011 fuhr Fr. John mit Pater Allan Maxime, dem Sekretär des Vatikanischen Botschaf-ters, ans Meer nach Kimbiji, um etwas auszuruhen. Das Mittagessen bestell-ten sie im Hotel Kassabeach für 14.30 Uhr, weil sie zuvor noch etwas schwimmen wollten. Als die Bedienung um diese Zeit das Essen bringen woll-te, waren beide Patres noch nicht wie-der da. Sie sah die abgelegten Kleider und wusste somit, dass sie tatsächlich zum Schwimmen ins Meer gegangen waren. Langsam wurden die Leute vom Hotel unruhig und blickten herum, ob sie die Beiden nicht sehen konnten. Da zeigte sich ein lebloser Körper in einiger Entfernung auf der Wasser-oberfläche. Die Flut hatte angefangen hereinzuströmen. So baten sie einige Fischer, die sich in der Nähe aufhiel-ten, nachzusehen. Diese bargen wenig später einen Toten. Es war Fr. John. Als sie weiter suchten, entdeckten sie auch den zweiten Toten, P. Allan. Wie

konnte das passieren? Es ist uns ein Rätsel. Nach der Aussage von dortigen Bewohnern sind schon einmal Fischer dort umgekommen. Es scheint dort eine Strömung zu geben, die einen Strudel verursacht. Vermutlich sind Fr. John und P. Allan dort hineingezogen worden. Es ist wirklich schwer zu sa-gen, wie es wirklich passierte.“

Das Bild zeigt das Grab von Pater Johannes (Ulrich) Rocksloh auf dem Klosterfriedhof der Benediktiner in Ndanda/Tansania. Die Auf-nahme stellte uns freundlicherweise Dr. Barba-ra Rocksloh-Papendiek, die Schwester von Ulrich Rocksloh, zur Verfügung.

Nach der Beerdigung hörte man in At-tendorn, dass Ulrich Rocksloh bereits im Jahre 1974 im Indischen Ozean fast

Unter großer Anteilnahme wurde Pater Johannes auf dem Klosterfriedhof der Benediktiner der Abtei Ndanda am 15. Januar 2011 begraben. Die Attendorner verabschiedeten sich in einem Gedenk-gottesdienst in der Heimatkirche von Ul-rich Rocksloh, dem Sauerländer Dom, von ihrem Landsmann, der in die weite Welt zog. In der Todesanzeige, die die Geschwister von Ulrich Rocksloh ver-fassten, heißt es treffend: „In 35 Jahren Missionstätigkeit in Tansania hat er die Liebe zu seiner sauerländischen Hei-mat nie verloren.“

ertrunken war. Er hat das unter der Überschrift „Trunken vorm Ertrinken“ indem Buch „Brücken und Wege, Band 2– Jesusbilder heute“ niedergeschrie-ben: Bei einem Segeltörn war er ins Meer gesprungen. Das Segelboot war auf einmal nicht mehr sichtbar. Father John schildert das wie folgt: „Ich ste-he nun im Wasser, sobald das Boot in scheinbare Nähe kommt, rufe und winke ich ohne Unterlass. Viel Luft einziehen. Augen zu und den Kopf ins Wasser, so kann ich gut stehen und mit den Kräf-ten Maß halten. Was sehe ich im Dun-kel der Finsternis? Auf einmal bin ich in der altehrwürdigen Pfarrkirche meiner sauerländischen Heimat. Der erhabe-ne Altarraum ist festlich geschmückt in einem Meer von Blumen und Fahnen, eine feierliche Stille liegt im Raum, es ist 40stündiges Gebet vor dem aus-gesetzten Allerheiligsten. Die große barocke Monstranz wirft mit ihrem gol-denen Kleid das Licht der vielen, vielen Altarkerzen zurück, eine wahrhaft fest-liche Stimmung und Stille, die gefüllt ist mit lateinischen Gesängen.“ Pange, lingua, gloriosi…“ und „Adoro te de-vote…“ und immer wieder ertönt das „Tantum ergo sacramentum…“. Ich bin daheim, geborgen und geschützt und getragen in Gottes Hand. Tiefer Friede umgibt mich. Meine Rettung ist sicher. Totales, absolutes Vertrauen umfängt mich: Hier und jetzt kommt das Boot und fischt mich aus dem Wasser. Auf-tauchen, durchatmen, das Boot sehe ich von ferne. Zuwinken und nochmals Zeichen geben, tief einatmen, Augen zu und zurück in mein „Gotteshaus“ unter Wasser, in meinen Sauerländer Dom, in die völlige Stille und Gebor-genheit Gottes. Die Orgel spielt dezent und intoniert „Genitori, genitoque laus

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et jubilatio…“. Eine große Anzahl von Ministranten knien im Altarraum, als Dechant Köster (gestorben 1960) Weihrauch nachlegte zum Inzens des Allerheiligsten Altarsakramentes. Ich spüre den Wohlgeruch des Weih-rauchs, als er das Gebet anstimmt: „Oremus! – Deus, qui nobis sub sac-ramento mirabili…“. Weihrauchschwa-den erfüllen den feierlichen Chorraum, als der Dechant im barocken Chor-mantel und dem fein gestickten Velum den Schlusssegen erteilt. „Ein Haus voll Glorie schauet…“ klingt es aus

aller Mund, eine wahrhaftige Anbe-tungsstunde geht zu Ende. Auftau-chen, Luft schnappen, Ausschau hal-ten, Gott sei Dank, das Boot ist ganz in meiner Nähe. Nach gut einer Stunde hat man mich entdeckt. Erleichterung auf beiden Seiten, die Kinder weinen, die anderen sind blass, fahl und fertig. Hände werden ausgestreckt und – ruck zuck – werde ich ins Boot gehievt. Mit Erstaunen mustern sie mich und trau-en ihren Augen nicht, in welch guter Verfassung ich bin …“

Attendorner Osterbräuche – Die Osterabendprozession von Peter Höffer

Die Attendorner Osterbräuche entfal-ten sich in ihrer Vielfalt in weltlicher und in kirchlicher Art. Zu den wohl fei-erlichsten Momenten gehören zwei-felsohne die Osterabendprozessionen, ausgehend von den ehemaligen Stan-dorten der vier Stadttore oder auch Pooten genannt. So ziehen etwa zwanzig Minuten nach dem Anzünden der vier Osterfeuer die Prozessionen aus der Waterpoote, aus der Kölner Poorte, aus der Ennester Pote und der Niedersten Poorte über die zugehöri-gen Hauptstraßen Wasserstraße, Köl-ner- , Ennester- und Niederste Straße zur Pfarrkirche St. Johannes Baptist, dem Sauerländer Dom.

Die Prozessionen werden jeweils von einem Geistlichen sowie zwei Mess-dienern mit Prozessionsfahnen beglei-tet. Vorangetragen wird jeder Prozes-

sion eine beleuchtete Osterlaterne, die sogenannte Osterlüchte (Lüchte = Leuchte) der jeweiligen Poote.

Nachdem die Prozessionen die Kirche erreicht haben, ziehen sie einmal um diese herum. Hier befand sich über viele Jahrhunderte der Attendorner Friedhof, man bringt somit den Toten in Form der Osterlaterne das österliche Licht.

Alle vier Prozessionen singen das Os-terlied „Das Grab ist leer, der Held er-wacht“. Die sehr eingängige Melodie und der nicht minder einprägsame Text verbreiteten sich nach ihrer Veröffentli-chung im Landshuter Gesangbuch von 1777 schnell im deutschen Sprach-raum. Auch Melchior Ludolf Herold, dessen Gesangbuch sich im kurkölni-schen Sauerland durchsetzte, über-nahm das Lied.

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et jubilatio…“. Eine große Anzahl von Ministranten knien im Altarraum, als Dechant Köster (gestorben 1960) Weihrauch nachlegte zum Inzens des Allerheiligsten Altarsakramentes. Ich spüre den Wohlgeruch des Weih-rauchs, als er das Gebet anstimmt: „Oremus! – Deus, qui nobis sub sac-ramento mirabili…“. Weihrauchschwa-den erfüllen den feierlichen Chorraum, als der Dechant im barocken Chor-mantel und dem fein gestickten Velum den Schlusssegen erteilt. „Ein Haus voll Glorie schauet…“ klingt es aus

aller Mund, eine wahrhaftige Anbe-tungsstunde geht zu Ende. Auftau-chen, Luft schnappen, Ausschau hal-ten, Gott sei Dank, das Boot ist ganz in meiner Nähe. Nach gut einer Stunde hat man mich entdeckt. Erleichterung auf beiden Seiten, die Kinder weinen, die anderen sind blass, fahl und fertig. Hände werden ausgestreckt und – ruck zuck – werde ich ins Boot gehievt. Mit Erstaunen mustern sie mich und trau-en ihren Augen nicht, in welch guter Verfassung ich bin …“

Attendorner Osterbräuche – Die Osterabendprozession von Peter Höffer

Die Attendorner Osterbräuche entfal-ten sich in ihrer Vielfalt in weltlicher und in kirchlicher Art. Zu den wohl fei-erlichsten Momenten gehören zwei-felsohne die Osterabendprozessionen, ausgehend von den ehemaligen Stan-dorten der vier Stadttore oder auch Pooten genannt. So ziehen etwa zwanzig Minuten nach dem Anzünden der vier Osterfeuer die Prozessionen aus der Waterpoote, aus der Kölner Poorte, aus der Ennester Pote und der Niedersten Poorte über die zugehöri-gen Hauptstraßen Wasserstraße, Köl-ner- , Ennester- und Niederste Straße zur Pfarrkirche St. Johannes Baptist, dem Sauerländer Dom.

Die Prozessionen werden jeweils von einem Geistlichen sowie zwei Mess-dienern mit Prozessionsfahnen beglei-tet. Vorangetragen wird jeder Prozes-

sion eine beleuchtete Osterlaterne, die sogenannte Osterlüchte (Lüchte = Leuchte) der jeweiligen Poote.

Nachdem die Prozessionen die Kirche erreicht haben, ziehen sie einmal um diese herum. Hier befand sich über viele Jahrhunderte der Attendorner Friedhof, man bringt somit den Toten in Form der Osterlaterne das österliche Licht.

Alle vier Prozessionen singen das Os-terlied „Das Grab ist leer, der Held er-wacht“. Die sehr eingängige Melodie und der nicht minder einprägsame Text verbreiteten sich nach ihrer Veröffentli-chung im Landshuter Gesangbuch von 1777 schnell im deutschen Sprach-raum. Auch Melchior Ludolf Herold, dessen Gesangbuch sich im kurkölni-schen Sauerland durchsetzte, über-nahm das Lied.

An der Spitze der einzelnen Prozessi-onen wird die Osterlaterne der jeweili-gen Poote, das ist eine große Vortra-gelaterne, welche meist von einer Per-son getragen wird, vorangetragen.

Lüchte der Kölner Poorte

Die älteste Laterne ist aus dem Jahr 1808 und wird von der Kölner Poorte getragen. Die aus Messing bestehen-de, bleiverglaste Laterne zeigt in ihrem herzförmigen Unterbau auf der einen Seite das Osterlamm mit Fahne. Die andere Seite zeigt die Symbole für Glaube, Hoffnung und Liebe, also Kreuz, Anker und flammendes Herz. Ebenfalls zu sehen ist das Kürzel „KP“, also Kölner Poorte, und im darüber angebrachten Kreuz die Datierung 1808. Die Laterne der Kölner Poorte,

ursprünglich vom Blechschläger Anton Bischoff im Jahre 1808 hergestellt, wurde 2011 nach dem Original-Vorbild neu angefertigt. Kunstschmied Pater Abraham Fischer (Abtei Königsmüns-ter), Glasermeister Martin Vollmert (Schmallenberg) und die Glashütte Lamberts (Waldsassen) übernahmen die Neuanfertigung.

Lüchte der Niedersten Poorte

Die Osterlaterne der Niedersten Poorte ist in das Jahr 1885 zu datieren. Sie wurde nach dem Diebstahl einer Vor-gängerleuchte von Friedrich Bischoff aus Attendorn angefertigt. Auf einem achteckigen Unterbau steht ein Kreuz, dessen Balken von Würfeln durch-drungen sind. Hier sind auf der Vor-derseite Evangelistensymbole und auf der Rückseite die Evangelisten zu se-hen. Die runde Scheibe in der Mitte zeigt das Lamm Gottes mit Banner.

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Lüchte der Waterpoote

Die Osterlaterne der Waterpoote stammt aus der Mitte des 19. Jahrhun-derts und fällt durch ihren voluminösen Unterbau aus Blech auf, welcher seit alters her grün gestrichen ist. Dieser Unterbau besitzt die Form einer Wap-penkartusche und ist vielfach orna-mental durchbrochen. Darauf sitzt das Kreuz und zeigt auf der einen Seite das Osterlamm mit Fahne, auf der an-deren Seite eine Sonne. Die Laterne wurde im Jahr 1974 aufwendig durch die Firma Dr. Oidtmann in Linnich res-tauriert und neu verglast. Der Künstler war Wilhelm Buschulte aus Unna. Die Fa. Buschulte arbeitet für alle Denk-malämter in Deutschland und führte z. B. Restaurierungen am Aachener Dom aus.

Lüchte der Ennester Pote

Die Osterlaterne der Ennester Pote stammt aus dem Jahr 1925. Sie hat die Form eines Kreuzes, dessen Mitte auf der Vorder- und Rückseite von zwei Rauten überlagert wird. Die Wandung des Kreuzes ist aus farbiger Bleiver-glasung zwischen einem Messingge-rüst. Die Raute weist auf der einen Sei-te Christus als den guten Hirten (Blei-verglasung) und auf der anderen Seite den segnenden Christus (Hinterglas-malerei) auf. Die Ennester Pote ist noch im Besitz einer älteren, aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammenden, Laterne. Sie wird jedoch nicht mehr getragen, sondern ist als Dauerleihgabe im Südsauerlandmuse-um zu besichtigen. Sie ist sehr auf-wendig verarbeitet und war früher so-gar mit Blattgold versehen.

Die Häuser an den vier Prozessions-straßen werden seit alters her an den Fenstern mit vielen kleinen Kerzen be-

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Lüchte der Waterpoote

Die Osterlaterne der Waterpoote stammt aus der Mitte des 19. Jahrhun-derts und fällt durch ihren voluminösen Unterbau aus Blech auf, welcher seit alters her grün gestrichen ist. Dieser Unterbau besitzt die Form einer Wap-penkartusche und ist vielfach orna-mental durchbrochen. Darauf sitzt das Kreuz und zeigt auf der einen Seite das Osterlamm mit Fahne, auf der an-deren Seite eine Sonne. Die Laterne wurde im Jahr 1974 aufwendig durch die Firma Dr. Oidtmann in Linnich res-tauriert und neu verglast. Der Künstler war Wilhelm Buschulte aus Unna. Die Fa. Buschulte arbeitet für alle Denk-malämter in Deutschland und führte z. B. Restaurierungen am Aachener Dom aus.

Lüchte der Ennester Pote

Die Osterlaterne der Ennester Pote stammt aus dem Jahr 1925. Sie hat die Form eines Kreuzes, dessen Mitte auf der Vorder- und Rückseite von zwei Rauten überlagert wird. Die Wandung des Kreuzes ist aus farbiger Bleiver-glasung zwischen einem Messingge-rüst. Die Raute weist auf der einen Sei-te Christus als den guten Hirten (Blei-verglasung) und auf der anderen Seite den segnenden Christus (Hinterglas-malerei) auf. Die Ennester Pote ist noch im Besitz einer älteren, aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammenden, Laterne. Sie wird jedoch nicht mehr getragen, sondern ist als Dauerleihgabe im Südsauerlandmuse-um zu besichtigen. Sie ist sehr auf-wendig verarbeitet und war früher so-gar mit Blattgold versehen.

Die Häuser an den vier Prozessions-straßen werden seit alters her an den Fenstern mit vielen kleinen Kerzen be-

leuchtet und bilden somit den feierli-chen Rahmen für die Prozession. Lei-der beteiligen sich in den letzten Jah-ren viele Geschäftshäuser nicht mehr an dieser schönen Sitte. Das mag da-ran liegen, dass viele Filialgeschäfte an den Hauptstraßen angesiedelt sind, deren Betreiber nicht mit den heimi-schen Bräuchen vertraut sind.

Abschließend kann man sagen, dass die Prozessionen ihren Ursprung erst im Ende des 18. Jahrhunderts und An-fang des 19. Jahrhunderts haben. Die älteste Laterne stammt aus dem Jahre 1808, aber ob es hier schon Vorgän-gerlaternen gegeben hat, ist momen-tan nicht zu klären.

Das Prozessionslied „Das Grab ist leer“ stammt, wie schon beschrieben, aus dem Jahre 1777 und hat sich erst später hier durch den „Herold“ verbrei-tet. Die Auseinandersetzungen um die endgültige Einführung des deutschen Kirchengesanges in Attendorn im Jahr 1823 haben die Tatsache in den Hin-tergrund treten lassen, dass die Be-mühungen in dieser Richtung bereits 16 Jahre früher begonnen haben. Ein erhaltenes Exemplar des Choralbu-ches zum „Herold“ von Ferdinand Wil-helm Ignatz Kayser trägt auf dem Ti-telblatt den Vermerk „Comparavit Magistratus Attend. 1807“. Der Ankauf durch den Magistrat der Stadt Atten-dorn erklärt sich wohl dadurch, dass es für Schulzwecke verwendet wurde, um

somit den neuen „Herold“ auch in At-tendorn einzuführen. Wahrscheinlich wurde das Lied „Das Grab ist leer“ zu-erst durch Chrysologus Heimes in der früheren Franziskanerkirche mit der Schuljugend eingeübt und ist dann später zum Prozessionslied bei der Feier des Osterabends geworden.

Etwaige Anhaltspunkte für die Prozes-sion vor dem Wechsel vom 18. zum 19. Jahrhundert gibt es wohl zurzeit nicht. Später, so am 28. März 1849, gibt es einen Hinweis auf die Prozessi-on. Pfarrer J. B. Pielsticker beantragt beim Generalvikar die Erlaubnis zur Durchführung der Prozession am 1. Ostertag. Die Antwort vom 4. April 1849 lautet: „Ja, wenn jeder Zug von einem Geistlichen begleitet wird“.

Dass Pastor Zeppenfeld in seinem La-gerbuch über die Pastoratseinkünfte 1658 wohl auch alle den Geistlichen der Stadt auferlegten Pflichten wäh-rend des Jahres und unter diesen auch sämtliche Prozessionen anführte, die Osterprozession jedoch aber mit kei-nem Wort erwähnte, könnte ein Beleg dafür sein, dass es diese Prozession im 17. Jahrhundert noch nicht gab.

Quellen:

Stadtarchiv, Stadtarchivar Otto Höffer

Werner F. Cordes, Attendorner Osterbräuche im Wandel, in: SAUERLAND, 1997, 4 ff.

Gerhard Höffer, Guet Füer! – Das Oster-brauchtum in Attendorn und anderswo

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100 Jahre Listertalsperre

von Dieter Thys

Repro: Stefan Lünswilken, Attendorn

In der im November erschienenen Dokumentation “100 Jahre Listertalsperre“ haben wir ausführlich die Planung und den Bau der Talsperre von 1904 bis 1912 dargelegt. Wir konnten jedoch bei weitem nicht alles, was wir in den Archiven gefunden haben, verwenden, denn das hätte den Rahmen unseres Buches gesprengt. Allerdings lohnt es sich, einmal die Argumente der Ingenieure für den Bau eines Kraftwerkes zur Stromerzeugung an der Listertalsperre darzulegen. Sie waren für die Zeit des beginnenden 20. Jahrhunderts weit vorausschauend, da die Benutzung der Elektrizität noch kaum verbreitet war. Um die Mitglieder der Listertalsperrengenossenschaft, also den Bauherrn, von den vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten des elektrischen Stromes zu überzeugen, wurde eine sehr ausführliche Information ausgegeben, die ich auszugsweise wieder-geben möchte. Sie wurde im Dezember 1905 erstellt und an die Stadt und das Amt Attendorn sowie an die Triebwerksbesitzer an Bigge und Lenne verteilt. Im ersten Teil wurden beson-ders die ästhetischen und die Gesundheit fördernden Vorzüge angepriesen:

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100 Jahre Listertalsperre

von Dieter Thys

Repro: Stefan Lünswilken, Attendorn

In der im November erschienenen Dokumentation “100 Jahre Listertalsperre“ haben wir ausführlich die Planung und den Bau der Talsperre von 1904 bis 1912 dargelegt. Wir konnten jedoch bei weitem nicht alles, was wir in den Archiven gefunden haben, verwenden, denn das hätte den Rahmen unseres Buches gesprengt. Allerdings lohnt es sich, einmal die Argumente der Ingenieure für den Bau eines Kraftwerkes zur Stromerzeugung an der Listertalsperre darzulegen. Sie waren für die Zeit des beginnenden 20. Jahrhunderts weit vorausschauend, da die Benutzung der Elektrizität noch kaum verbreitet war. Um die Mitglieder der Listertalsperrengenossenschaft, also den Bauherrn, von den vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten des elektrischen Stromes zu überzeugen, wurde eine sehr ausführliche Information ausgegeben, die ich auszugsweise wieder-geben möchte. Sie wurde im Dezember 1905 erstellt und an die Stadt und das Amt Attendorn sowie an die Triebwerksbesitzer an Bigge und Lenne verteilt. Im ersten Teil wurden beson-ders die ästhetischen und die Gesundheit fördernden Vorzüge angepriesen:

Außer den Vorzügen in Bezug auf die ästhetischen und gesundheitlichen Aspekte wurden noch weitere gute Qualitäten des elektrischen Lichtes angepriesen: „An B e q u e m l i c h k e i t i m G e b r a u c h steht die elektrische Beleuch-tung allen anderen weit voran, und dieser Umstand hat ihr in erster Linie die Gunst des Publikums gewonnen. Mit einem Druck kann man von beliebiger Stelle aus die Lampen anzünden und auslöschen; bei Anwendung geeigneter Schaltungen kann dies sogar von mehreren Stellen aus vorgenommen werden, was besonders für Treppenbeleuchtung etc. von Bedeutung ist. Die außerordentliche Bequemlichkeit der Bedienung bewirkt auch, dass man sich bald daran gewöhnt, jede Lampe, die zeitweilig nicht benutzt werden soll, sofort zu löschen, was man bei anderen Beleuchtungsarten wegen der Umständlichkeit des Wiederanzündens vermeidet. Hierdurch tritt eine wesentliche Ersparnis ein, welche bei der Beurteilung der Kosten verschiedener Beleuchtungsarten nicht außer Acht gelassen werden darf. Das unan-genehme und zeitraubende Putzen der Petroleumlampe und der Ärger über zerbro-chene Zylinder, verrußte Räume und beschädigte Glühkörper bleiben erspart. In Bezug auf die F ä h i g k e i t s i c h a l l e n V e r h ä l t n i s s e n a n z u p a s s e n, wird die elektrische Beleuchtung von keiner anderen annähernd erreicht.“

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Als Beispiele werden genannt die „wundervollen Beleuchtungskörper“, das Beleuch-ten von Schaufenstern, das Ausleuchten enger Räume und die Leitungen, die sich leicht biegen lassen und sich der Tapetenfarbe anpassen. „Von hervorragender Bedeutung ist die große F e u e r s i c h e r h e i t der elektri-schen Beleuchtung gegenüber anderen Beleuchtungsarten.“ Selbst in „feuergefährli-chen Räumen lässt sich die elektrische Beleuchtung ohne Bedenken verwenden.“ Trotzdem werden alle Anlagen „vor dem Anschluß an die öffentlichen Leitungsnetze auch in Bezug auf die Feuersicherheit einer gründlichen Prüfung unterzogen.“ Neben der Bevorzugung des elektrischen Lichtes gegenüber den bisherigen Licht-quellen gab es noch einen zweiten, wichtigeren Aspekt der elektrischen Energie, nämlich die Vorteile der von elektrischem Strom angetriebenen Maschinen:

Weiter wird dann ausgeführt, dass der Elektromotor an nahezu jedem Ort aufgestellt werden kann und wegen seiner Leichtigkeit t r a n s p o r t a b e l ist. Deshalb ist er z.B. für Wasserpumpen, „für Mörtel-Misch-Apparate, ganz besonders aber für kleine Bohrmaschinen (geeignet), da die auch an solchen Stellen ein Arbeiten mit Maschi-nenkraft ermöglichen, wo sonst nur die Knarre das kümmerliche aber einzige Hilfs-mittel ist.“ Auch „die Möglichkeit der Herstellung ganz k l e i n e r Motore bis zu 1/10 PS, die noch recht vorteilhaft arbeiten, hat der Verwendung des Elektromotors als Betriebs-maschine ein Gebiet eröffnet, wo früher nur Hand= oder Fußbetrieb angewendet wurde. Die W a r t u n g des Elektromotors ist die denkbar einfachste und beschränkt sich auf ein gelegentliches Abreiben des Kollektors und Absäubern der Maschine. Entsprechend einfach ist die Bedienung im Betriebe. Durch das Drehen einer Kurbel oder das Bewegen eines Hebels wird der Motor in Gang gesetzt und derselbe Hebel er-möglicht, falls dies erforderlich sein sollte, auch eine Regulierung der Tourenzahl.“ Es werden noch weitere Vorteile ausführlich dargestellt. Ich verkürze diese Ausfüh-rungen auf ein Mindestmaß.

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Als Beispiele werden genannt die „wundervollen Beleuchtungskörper“, das Beleuch-ten von Schaufenstern, das Ausleuchten enger Räume und die Leitungen, die sich leicht biegen lassen und sich der Tapetenfarbe anpassen. „Von hervorragender Bedeutung ist die große F e u e r s i c h e r h e i t der elektri-schen Beleuchtung gegenüber anderen Beleuchtungsarten.“ Selbst in „feuergefährli-chen Räumen lässt sich die elektrische Beleuchtung ohne Bedenken verwenden.“ Trotzdem werden alle Anlagen „vor dem Anschluß an die öffentlichen Leitungsnetze auch in Bezug auf die Feuersicherheit einer gründlichen Prüfung unterzogen.“ Neben der Bevorzugung des elektrischen Lichtes gegenüber den bisherigen Licht-quellen gab es noch einen zweiten, wichtigeren Aspekt der elektrischen Energie, nämlich die Vorteile der von elektrischem Strom angetriebenen Maschinen:

Weiter wird dann ausgeführt, dass der Elektromotor an nahezu jedem Ort aufgestellt werden kann und wegen seiner Leichtigkeit t r a n s p o r t a b e l ist. Deshalb ist er z.B. für Wasserpumpen, „für Mörtel-Misch-Apparate, ganz besonders aber für kleine Bohrmaschinen (geeignet), da die auch an solchen Stellen ein Arbeiten mit Maschi-nenkraft ermöglichen, wo sonst nur die Knarre das kümmerliche aber einzige Hilfs-mittel ist.“ Auch „die Möglichkeit der Herstellung ganz k l e i n e r Motore bis zu 1/10 PS, die noch recht vorteilhaft arbeiten, hat der Verwendung des Elektromotors als Betriebs-maschine ein Gebiet eröffnet, wo früher nur Hand= oder Fußbetrieb angewendet wurde. Die W a r t u n g des Elektromotors ist die denkbar einfachste und beschränkt sich auf ein gelegentliches Abreiben des Kollektors und Absäubern der Maschine. Entsprechend einfach ist die Bedienung im Betriebe. Durch das Drehen einer Kurbel oder das Bewegen eines Hebels wird der Motor in Gang gesetzt und derselbe Hebel er-möglicht, falls dies erforderlich sein sollte, auch eine Regulierung der Tourenzahl.“ Es werden noch weitere Vorteile ausführlich dargestellt. Ich verkürze diese Ausfüh-rungen auf ein Mindestmaß.

„Die Inbetriebsetzung . . . kann von beliebiger Stelle aus erfolgen.“ Die Tourenzahl ist „außerordentlich gleichmäßig und ist also den besten Dampfma-schinen ebenbürtig, den Gasmaschinen überlegen. Ein sehr wesentlicher Vorteil sind seine sehr niedrigen Anschaffungskosten.“ Der zuletzt erwähnte Vorteil für die Nutzung der elektrischen Energie galt der finanziellen Sichtweise – ein nicht unerhebliches Argument, denn:

Auf diese Grundpreise kommen die Verbrauchspreise noch hinzu. Diese schwanken je nach Lichtstärke von 10 Kerzen 0,9 Pfennige bis von 1000 Kerzen 22,8 Pfennige je Stun-de. Die Einrichtungskosten der Beleuchtung „betragen je nach Umfang ungefähr 12 bis 18 Mk. für jede Glühlampe. Die Einrichtungskosten der Elektromotore betragen für einen fertig aufgestellten Motor von 1 Pferdestärke ungefähr 520 Mk., von 10 Pfer-destärken ungefähr 1330 Mk. Diese Werte sind den Preislisten entnommen ohne Abzug von Rabatten, die in manchen Fällen bis zu 30 % betragen.“ Diese allgemein gültigen Argumente führten schließlich - in Verbindung mit einem besonderen Gutachten - zur Zustimmung für den Bau eines Kraftwerkes an der Listertalsperre.

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Repro: Ruhrverband Essen

Wie auf diesem Foto zu sehen ist, wurde das Kraftwerk dann allerdings direkt am Fuß der Sperrmauer errichtet.

Der Ausbau des Kraftwerks wurde in zwei Stufen vorgesehen, um die Kosten der Anlage dem jeweiligen Nutzungswert anzupassen. „Der erste Ausbau soll unter Berücksichtigung der für das Unternehmen in Betracht kommenden Verhältnisse in folgender Weise ausgeführt werden. Die Zuleitung des Kraftwassers von der Sperrmauer bis zu den Turbinen soll schon beim ersten Aus-bau gleich für die größte zur Verfügung stehende Wassermenge durch zwei schmie-deeiserne Rohre von je 1000 mm lichter Weite erfolgen. Eine der beiden Leitungen genügt für den Fall eines Schadens an einer Leitung, so daß eine Leitung als Reser-ve betrachtet werden kann.“

Repro: Ruhrverband Essen

Man sieht hier die Öffnungen in der Mauer zur Durchführung der beiden Rohre.

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Repro: Ruhrverband Essen

Wie auf diesem Foto zu sehen ist, wurde das Kraftwerk dann allerdings direkt am Fuß der Sperrmauer errichtet.

Der Ausbau des Kraftwerks wurde in zwei Stufen vorgesehen, um die Kosten der Anlage dem jeweiligen Nutzungswert anzupassen. „Der erste Ausbau soll unter Berücksichtigung der für das Unternehmen in Betracht kommenden Verhältnisse in folgender Weise ausgeführt werden. Die Zuleitung des Kraftwassers von der Sperrmauer bis zu den Turbinen soll schon beim ersten Aus-bau gleich für die größte zur Verfügung stehende Wassermenge durch zwei schmie-deeiserne Rohre von je 1000 mm lichter Weite erfolgen. Eine der beiden Leitungen genügt für den Fall eines Schadens an einer Leitung, so daß eine Leitung als Reser-ve betrachtet werden kann.“

Repro: Ruhrverband Essen

Man sieht hier die Öffnungen in der Mauer zur Durchführung der beiden Rohre.

In der ersten Ausbauphase wurden im Kraftwerk dann zwei Turbinen installiert: Die erste hatte eine Leistung von 200 PS und war für Fallhöhen von etwa 22 m bis 35 m vorgesehen. Die zweite hatte eine Leistung von 300 PS und war für Fallhöhen von 10 m bis 22 m ausgelegt. „Für eine weitere Turbine von 200 P.S. für höhere Gefälle ist beim ersten Ausbau gleich das Gebäude sowie der Anschluß für die Wasser= Zu= und Ableitungen vor-zusehen. . . Sie dient beim ersten Ausbau im Wesentlichen als Reserve. Für den zweiten Ausbau ist sie außer als Reservemaschine zur günstigeren Ausnutzung der Kraft bei niedrigerem Gefälle von Vorteil.

Die Dynamomaschinen, welche mit den Turbinen direkt auf die Welle gekuppelt wer-den, sind Drehstrommaschinen für eine Leistung von 150 KW. und 200 KW. bei einer Spannung von rund 5000 Volt. Die Schaltanlage wird zunächst zum Anschluß der zwei Maschinen und der Fernlei-tung eingerichtet, eine gleichmäßige Einrichtung zum Anschluß der dritten Maschine beim zweiten Ausbau wird von vornherein vorgesehen.“

Repro: Ruhrverband Essen

So sah die Anlage der Turbinen und Dynamomaschinen im endgültigen Ausbau aus.

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Der erste Ausbau des Kraftwerks reichte also zunächst nur für die Versorgung der Stadt Attendorn und einiger „größerer Stromverbrauchsstellen“ an der Strecke vom Kraftwerk bis nach Attendorn.

Für die Verteilung des Stromes in Attendorn wurden zwei Transformatoren von je 70 kW für Lichtstrom und zwei in gleicher Leistung für Kraftstrom vorgesehen. Sie wandelten die Spannung von 5000 Volt für Lichtstrom auf 110 Volt, für Kraftstrom auf 500 Volt um. Für die drei „Stromverbrauchsstellen“ am Weg nach Attendorn wurden kleinere Transformatoren gebaut. „Die Gesamtlänge des Leitungsweges beträgt unter Berücksichtigung der vorliegen-den Anmeldungen und einer vollständigen Ortsbeleuchtung ungefähr 4200 m.“ Für diesen ersten Ausbau des Kraftwerks und die Versorgung der Stadt Attendorn mit elektrischem Strom wurden 270 000 Mark veranschlagt. Der zweite Ausbau war mit 105 000 Mark berechnet. Der gesamte Ausbau kostete demnach 375 000 Mark.

Zu diesem Kostenvoranschlag gab es eine Rentabilitätsrechnung, die so ausfiel:

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Der erste Ausbau des Kraftwerks reichte also zunächst nur für die Versorgung der Stadt Attendorn und einiger „größerer Stromverbrauchsstellen“ an der Strecke vom Kraftwerk bis nach Attendorn.

Für die Verteilung des Stromes in Attendorn wurden zwei Transformatoren von je 70 kW für Lichtstrom und zwei in gleicher Leistung für Kraftstrom vorgesehen. Sie wandelten die Spannung von 5000 Volt für Lichtstrom auf 110 Volt, für Kraftstrom auf 500 Volt um. Für die drei „Stromverbrauchsstellen“ am Weg nach Attendorn wurden kleinere Transformatoren gebaut. „Die Gesamtlänge des Leitungsweges beträgt unter Berücksichtigung der vorliegen-den Anmeldungen und einer vollständigen Ortsbeleuchtung ungefähr 4200 m.“ Für diesen ersten Ausbau des Kraftwerks und die Versorgung der Stadt Attendorn mit elektrischem Strom wurden 270 000 Mark veranschlagt. Der zweite Ausbau war mit 105 000 Mark berechnet. Der gesamte Ausbau kostete demnach 375 000 Mark.

Zu diesem Kostenvoranschlag gab es eine Rentabilitätsrechnung, die so ausfiel:

Das bedeutete für die Genossenschaft, dass sie für den ersten Ausbau 16 200 Mark jährlich aufbringen musste, für den zweiten Ausbau noch einmal 6 300 Mark.

Für die technische Überwachung wäre noch ein Techniker einzustellen, für den ein Jahresgehalt von 3 000 Mark anzusetzen sei. Das Einkassieren der Gelder für den Stromverbrauch sollte ein „Rendant im Nebenamt“ übernehmen, der 500 Mark be-kommen würde. Die Betriebskosten wären demnach auf 6 600 Mark zu veranschlagen. Die Gesamt-kosten des ersten Ausbaues würden demnach 22 800 Mark betragen. Dann stellt der Gutachter einen Vergleich mit der an das Lennekraftwerk angeschlos-senen Stadt Plettenberg an. Nach 10-jährigem Anschluss der Stadt hat das Lennekraftwerk für Lichtstrom 23 500 Mark und für Kraftstrom 41 000 Mark im Jahr eingenommen. Bezogen auf die Stadt Attendorn und der dort angesiedelten Industrie kommt der Gutachter für das Listerkraftwerk zu folgendem günstigerem Ergebnis: Nach 5 Betriebsjahren betrüge die Einnahme für Lichtstrom 24 000 Mark, für Kraftstrom im Tagesbetrieb 27 000 Mark, für Kraftstrom im Nachtbetrieb 5 600 Mark. „Die Gesamteinnahmen bei voller Ausnutzung des ersten Ausbaues sind also zu veranschlagen auf 56 600 Mk. Diesen Einnahmen stehen gegenüber an Ausgaben 22 800 Mk. Hiernach bleibt also schon bei voller Ausnutzung des ersten Ausbaues nach Abzug der Verzinsung und der Betriebskosten von den Einnahmen ein Betrag von 56 600 – 22 800 = 33 800 Mk. übrig.“

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Alle Dokumente und Zitate:

Kreisarchiv der Stadt Altena Die ausführlichen Informationen überzeugten alle Beteiligten.

Foto: Ruhrverband Essen

Das Elektrizitätswerk konnte daraufhin geplant und gebaut werden.

Für die Stadt Attendorn wurde dann im November 1908 das bereits erwähnte Elekt-rizitätswerk geplant (im Volksmund „Eltwerk“ genannt). Die Dokumente über den Bau des Elektrizitätswerkes stammen aus dem Archiv der Stadt Attendorn, Akte H2-2292.

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Alle Dokumente und Zitate:

Kreisarchiv der Stadt Altena Die ausführlichen Informationen überzeugten alle Beteiligten.

Foto: Ruhrverband Essen

Das Elektrizitätswerk konnte daraufhin geplant und gebaut werden.

Für die Stadt Attendorn wurde dann im November 1908 das bereits erwähnte Elekt-rizitätswerk geplant (im Volksmund „Eltwerk“ genannt). Die Dokumente über den Bau des Elektrizitätswerkes stammen aus dem Archiv der Stadt Attendorn, Akte H2-2292.

Nach weiteren Ausführungen über die Böden und Wände, die Fenster und Türen und das Dach endete die Baubeschreibung so:

Das Grundstück „Flur 4“ liegt dort, wo sich heute das „REWE Center“ befindet.

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Im März 1909 überreichte die Bauleitung den Antrag zum Bau des Kraftwerks: „An den Herrn Königlichen Kreisbauinspektor, Siegen“.

Nach einigen Änderungen wurde der Entwurf genehmigt und das Elektrizitätswerk konnte gebaut werden.

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Im März 1909 überreichte die Bauleitung den Antrag zum Bau des Kraftwerks: „An den Herrn Königlichen Kreisbauinspektor, Siegen“.

Nach einigen Änderungen wurde der Entwurf genehmigt und das Elektrizitätswerk konnte gebaut werden.

Es befand sich zwischen dem Bahngelände und dem Mühlengraben (siehe Oval) und musste Mitte der 1970er Jahre dem Bau eines großen Geschäfts- und Wohn-hauses (heute REWE Center) weichen.

aus: Rundflug über Attendorn wie es früher war, S. 6/7

aus: Rundflug über Attendorn wie es früher war, S. 34

Foto: Stefan Lünswilken, Attendorn

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Aus dem Tagebuch des Hubertushüttenvereins Im Mitteilungsblatt Nr. 26 (2004), Seite 21 ff. hat Peter Höffer in seinem Artikel „Die Hubertushütte – Geschichte(n) einer Waldhütte und deren Stellung im Freizeitverhalten der letzten 70 Jahre“ bereits über die Entstehung der Huber-tushütte und das Hüttenleben berich-tet:

…Der Hüttenverein traf sich Woche für Woche zum gemütlichen Beisammen-sein. Eines der Mitglieder mußte für Speis und Trank sorgen. Über ihre Einnahmen und Ausgaben wurde ge-nau Buch geführt, es ging hier meist nur um Pfennigbeträge. Zu essen gab es oft eine gute Eintopfsuppe mit Ein-lage. Große Freude herrschte im Kreis der Hüttenfreunde, wenn einmal ein Gast anwesend war, der die Kasse aufbesserte, so war der nächste Hüt-tenabend gesichert. In froher Runde wurden viele Feste und gemütliche Hüttenabende mit Gesang und guter Laune gefeiert. …

…Der Verein der Hubertushütte hatte folgende Mitglieder:

Josef Homberg, Paul Bischoff (genannt Herzchen), Willi Bruse, Karl Dingerkus, Alex Flusche, Ludwig Flusche, Otto Flusche, Josef Franke, Karl Franke, Friedrich Fuhrmann, Karl Hans, Toni Höffer, Ferdinand Rauterkus, Alfred Roll, Bruno Roll, Willi Roll, Josef Selter, Ernst Scherer, Rudolf Scherer, Willi Scherer, Werner Schnütgen, Jo-sef Schulte, Josef Voß und Hubert Wilmes, Hüttenwart der Hubertushütte. Nach ihm wurde die Hütte „Hubertus-hütte“ genannt. …

Einen Einblick in das Hüttenleben und die Hüttenabende gibt das Tagebuch des Hubertushüttenvereins (Archiv des VOH), aus dem wir in dieser Ausgabe einige Einträge aus dem Frühjahr 1935 abdrucken:

6. Mai 1935

Heute war der erste schöne Frühlings-abend, den wir auf der Hütte verleben konnten. Von neuem empfanden wir, welch Kleinod wir in unserem Tuskulum und seiner lieblichen Umgebung besit-zen. Dementsprechend war auch die Stimmung unter den Freunden, alles war ein Herz und eine Seele, und wenn man dann unter die Bäume ging und den prächtigen Sternenhimmel be-trachtete, war es einem ganz feierlich zumute. Und wenn dann noch, wie heute Abend, ein lukullischer Genuss hinzukommt, so glänzen die Mienen. Es gab Goulasch, von Freund Rudolf Scherer unter Assistenz seiner lieben Gattin, die uns heute angenehme Ge-sellschaft leistete, aufs beste zuberei-tet. Das leidige Spülen brachte wie immer einen Missklang in die Stim-mung. In anerkennenswerter Weise besorgten schließlich Hubert Frey und Ferdinand Rauterkus das unbeliebte Geschäft, und zwar für zwei ältere Freunde. Nichts desto weniger klang der Abend wieder in Freundschaft und Gemütlichkeit aus.

13. Mai 1935

Heute sahen wir Frau Rudolf Scherer und als getreuen Fridolin Ernst Scherer am Herde stehen; sie versahen den Küchendienst, da Rudolf Scherer ab-handen gekommen war. In aufopfe-rungsvoller Weise hat seine Gattin für

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Aus dem Tagebuch des Hubertushüttenvereins Im Mitteilungsblatt Nr. 26 (2004), Seite 21 ff. hat Peter Höffer in seinem Artikel „Die Hubertushütte – Geschichte(n) einer Waldhütte und deren Stellung im Freizeitverhalten der letzten 70 Jahre“ bereits über die Entstehung der Huber-tushütte und das Hüttenleben berich-tet:

…Der Hüttenverein traf sich Woche für Woche zum gemütlichen Beisammen-sein. Eines der Mitglieder mußte für Speis und Trank sorgen. Über ihre Einnahmen und Ausgaben wurde ge-nau Buch geführt, es ging hier meist nur um Pfennigbeträge. Zu essen gab es oft eine gute Eintopfsuppe mit Ein-lage. Große Freude herrschte im Kreis der Hüttenfreunde, wenn einmal ein Gast anwesend war, der die Kasse aufbesserte, so war der nächste Hüt-tenabend gesichert. In froher Runde wurden viele Feste und gemütliche Hüttenabende mit Gesang und guter Laune gefeiert. …

…Der Verein der Hubertushütte hatte folgende Mitglieder:

Josef Homberg, Paul Bischoff (genannt Herzchen), Willi Bruse, Karl Dingerkus, Alex Flusche, Ludwig Flusche, Otto Flusche, Josef Franke, Karl Franke, Friedrich Fuhrmann, Karl Hans, Toni Höffer, Ferdinand Rauterkus, Alfred Roll, Bruno Roll, Willi Roll, Josef Selter, Ernst Scherer, Rudolf Scherer, Willi Scherer, Werner Schnütgen, Jo-sef Schulte, Josef Voß und Hubert Wilmes, Hüttenwart der Hubertushütte. Nach ihm wurde die Hütte „Hubertus-hütte“ genannt. …

Einen Einblick in das Hüttenleben und die Hüttenabende gibt das Tagebuch des Hubertushüttenvereins (Archiv des VOH), aus dem wir in dieser Ausgabe einige Einträge aus dem Frühjahr 1935 abdrucken:

6. Mai 1935

Heute war der erste schöne Frühlings-abend, den wir auf der Hütte verleben konnten. Von neuem empfanden wir, welch Kleinod wir in unserem Tuskulum und seiner lieblichen Umgebung besit-zen. Dementsprechend war auch die Stimmung unter den Freunden, alles war ein Herz und eine Seele, und wenn man dann unter die Bäume ging und den prächtigen Sternenhimmel be-trachtete, war es einem ganz feierlich zumute. Und wenn dann noch, wie heute Abend, ein lukullischer Genuss hinzukommt, so glänzen die Mienen. Es gab Goulasch, von Freund Rudolf Scherer unter Assistenz seiner lieben Gattin, die uns heute angenehme Ge-sellschaft leistete, aufs beste zuberei-tet. Das leidige Spülen brachte wie immer einen Missklang in die Stim-mung. In anerkennenswerter Weise besorgten schließlich Hubert Frey und Ferdinand Rauterkus das unbeliebte Geschäft, und zwar für zwei ältere Freunde. Nichts desto weniger klang der Abend wieder in Freundschaft und Gemütlichkeit aus.

13. Mai 1935

Heute sahen wir Frau Rudolf Scherer und als getreuen Fridolin Ernst Scherer am Herde stehen; sie versahen den Küchendienst, da Rudolf Scherer ab-handen gekommen war. In aufopfe-rungsvoller Weise hat seine Gattin für

unser leibliches Wohl gesorgt, und da noch einige Gäste kommen wollten, waren die Vorbereitungen für das Es-sen noch größer gewesen als nötig war, da die Eingeladenen wie so oft nicht kamen. Es soll in Zukunft nichts mehr auf diese Versprechungen ge-geben werden. Bernhard Hoffmann hatte für Wasser und Holz in rauen Mengen gesorgt, so dass das Kochge-schäft flott von statten ging. Als zum Mahl gerüstet war, erschien Rudolf Scherer, vollständig abgekämpft. Er hatte den glücklichen Ausgang eines Vorkommnisses, das ihm sehr nahe ge-gangen war und das ihn die ganze Nacht vorher auf den Beinen gehalten hatte, mit Verwandten und Bekannten sehr ausgiebig gefeiert. Man hatte Verständnis für seinen Zustand, auch seine liebende Gattin, und ließ ihn ge-währen, als er sein müdes Haupt an ihrer Seite auf die Tischplatte bettete. Es gab Linsen und der Berichterstatter muss gestehen, dass ihm diese selten so gut geschmeckt haben. So wurde auch Josef Voß entschädigt, der, ob-wohl er als Trauzeuge bei einer stan-desamtlichen Trauung zu der Nachfei-er geladen war, doch in der Hütte er-schien – gewiss ein Beispiel der Treue und Anhänglichkeit. Um den müden Rudolf nach Hause zu begleiten und da sich auch bei der stellvertretenden Köchin und dem stellvertretenden Koch die Strapazen der vergangenen Nacht bemerkbar machten, brach man heute ziemlich früh zur Heimkehr auf.

20. Mai 1935

Nach dem Ereignis des vergangenen Montags war man froh, dass alles wie-der in der Reihe war. Freund Rudolf rührte brav seine Bohnensuppe, damit

er sie recht gut mundend uns nachher servieren lassen konnte. Fürsorglich hatte ihm seine Gattin geholfen, die es sich (nicht) nehmen lasen wollte, nach dem Rechten zu sehen, genau wie bisher. Frau Alex Flusche, die an jedem Montag ebenfalls das Essen mit vorbe-reitet hatte, was nachträglich heute dankbar anerkannt sei. Rudolf war wieder Herr der Lage, ja er fühlte sich so stark, dass er Wilhelm Kesselböhmer einem strengen Verhör wegen seines Ausbleibens am vergangenen Montag unterzog, welchem dieser nachkam, indem er in seiner Unschuld alle Fragen gewissenhaft beantwortete. Wenn Wil-helm eine Ahnung gehabt hätte, was vorgefallen war, hätte er nicht so be-scheiden und treu Frage und Antwort gestanden. Übrigens häuft sich in letz-ter Zeit wieder das unentschuldigte Ausbleiben, so dass auch heute wieder zu viel Essen gekocht war und die pünktlich kommenden Freunde müs-sen die Folgen tragen. Josef Beul wur-de wieder geschäftlich abgerufen, was er sehr bedauerte, wenigstens konnte er aber seiner Pflicht noch ge-nügen, indem er mit 3 Tellern seinen Mann stellte. So war der Kreis recht klein geworden, doch war es auch heute Abend wieder recht gemütlich. Um noch einmal auf das unentschul-digte Fortbleiben zu sprechen zu kommen, sei noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es eine gro-ße Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Koch bedeutet, dessen aufopferungs-volle Tätigkeit dadurch sehr erschwert wird. Ebenso ist das leichtfertige Einla-den von Gästen zu vermeiden, die dann doch nicht kommen, und für die schon mitgekocht wurde. Um einen geordneten Geschäftsbetrieb zu er-möglichen und unnötige Ausgaben zu vermeiden, muss auf strengste Einhal-

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tung der Vorschriften unserer Satzun-gen gesehen werden.

27. Mai 1935

Heute war bei uns schon wieder Namenstagsfeier, und zwar dominierte der heilige Wilhelm; so galt es unseren Freund Kesselböhmer zu feiern. Sein Platz war reich geschmückt und herz-lich waren die Glückwünsche, die ihm ausgesprochen wurden. Zum Dol-metsch unserer Gefühle für das liebe Namenstagskind machte sich Rudolf Scherer, der ihm noch ein Maiglöckchensträußchen an die Brust heftete. Es gab leckeren Sauerbraten. Die Küche stand wieder unter Leitung von Alex Flusche, der nach sechswö-chiger Abwesenheit von seiner Kur in Aachen glücklich in unseren Kreis zu-rückgekehrt war. Wir verlebten wieder einige schöne Stunden in gemütlicher Runde, schade, dass einige der Frauen sie so früh verließen.

3. Juni 1935

Heute gab es zunächst eine kleine Sensation: Freund Anker und Flusche waren an die alte Quelle im Grunde gegangen, um in deren Nähe ein Luft-bad zu nehmen. Hierbei wurden sie von einem Gewitterschauer über-rascht, so dass sie, um ihre in den Bü-schen hängenden Kleider vor dem Regenguss zu schützen, in die Tannen flüchten mussten. Als die beiden in et-was desolatem Zustand wieder in der Hütte ankamen, wurden sie mit einem schadenfrohen Hallo empfangen. Aber trotz alledem, schön ist so ein Luftbad doch, und vielleicht finden sich bei nächster Gelegenheit weitere Anhänger dieses gesunden Sports.

Originalseite aus dem Tagebuch des Huber-tushüttenvereins. Repro: VOH Attendorn

Auch heute hatten wir wieder das Vergnügen einer Namenstagsfeier: Ferdinand Rauterkus beging seinen Ehrentag, aus welchem Grunde sein Platz mit frischem Grün geschmückt war. Mit strahlender Miene nahm er die wohlgemeinten Glückwünsche entge-gen. Josef Beul hatte Tauben gestiftet, so dass einem jeden der Erschienenen ein ganzer Vogel serviert werden konn-te. Sie schmeckten, mit gehacktem Fleisch gefüllt, mit der kräftigen Brühe ganz vortrefflich; als Zuspeise gab es einen ganzen Eimer voll Rhabarber, den Paul Bischoff aus Schmittepaul bei Valbert herbeigeschleppt hatte. Dem Spender der Tauben wie auch dem Koch Alex für seine Mühe, die die Zu-bereitung des Festessens verursacht hatte, sei an dieser Stelle bestens ge-dankt. Freund Franke, der erst sehr spät erscheinen konnte, musste allerdings

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tung der Vorschriften unserer Satzun-gen gesehen werden.

27. Mai 1935

Heute war bei uns schon wieder Namenstagsfeier, und zwar dominierte der heilige Wilhelm; so galt es unseren Freund Kesselböhmer zu feiern. Sein Platz war reich geschmückt und herz-lich waren die Glückwünsche, die ihm ausgesprochen wurden. Zum Dol-metsch unserer Gefühle für das liebe Namenstagskind machte sich Rudolf Scherer, der ihm noch ein Maiglöckchensträußchen an die Brust heftete. Es gab leckeren Sauerbraten. Die Küche stand wieder unter Leitung von Alex Flusche, der nach sechswö-chiger Abwesenheit von seiner Kur in Aachen glücklich in unseren Kreis zu-rückgekehrt war. Wir verlebten wieder einige schöne Stunden in gemütlicher Runde, schade, dass einige der Frauen sie so früh verließen.

3. Juni 1935

Heute gab es zunächst eine kleine Sensation: Freund Anker und Flusche waren an die alte Quelle im Grunde gegangen, um in deren Nähe ein Luft-bad zu nehmen. Hierbei wurden sie von einem Gewitterschauer über-rascht, so dass sie, um ihre in den Bü-schen hängenden Kleider vor dem Regenguss zu schützen, in die Tannen flüchten mussten. Als die beiden in et-was desolatem Zustand wieder in der Hütte ankamen, wurden sie mit einem schadenfrohen Hallo empfangen. Aber trotz alledem, schön ist so ein Luftbad doch, und vielleicht finden sich bei nächster Gelegenheit weitere Anhänger dieses gesunden Sports.

Originalseite aus dem Tagebuch des Huber-tushüttenvereins. Repro: VOH Attendorn

Auch heute hatten wir wieder das Vergnügen einer Namenstagsfeier: Ferdinand Rauterkus beging seinen Ehrentag, aus welchem Grunde sein Platz mit frischem Grün geschmückt war. Mit strahlender Miene nahm er die wohlgemeinten Glückwünsche entge-gen. Josef Beul hatte Tauben gestiftet, so dass einem jeden der Erschienenen ein ganzer Vogel serviert werden konn-te. Sie schmeckten, mit gehacktem Fleisch gefüllt, mit der kräftigen Brühe ganz vortrefflich; als Zuspeise gab es einen ganzen Eimer voll Rhabarber, den Paul Bischoff aus Schmittepaul bei Valbert herbeigeschleppt hatte. Dem Spender der Tauben wie auch dem Koch Alex für seine Mühe, die die Zu-bereitung des Festessens verursacht hatte, sei an dieser Stelle bestens ge-dankt. Freund Franke, der erst sehr spät erscheinen konnte, musste allerdings

mit einem Beefsteak vorlieb nehmen. Freund Beul versprach ihm aber für ihn und seine Gattin auch je eine Taube zu stiften. Der Ordnung halber sei festge-stellt, dass Josef Voß vor der Verlesung der Niederschrift unseren Kreis verlas-sen hatte. In den Dachpfosten haben sich Borkenkäfer eingenistet, denen man seitens des Hüttenvereins ener-gisch zu Leibe gegangen war, indem man die Rinde der Pfosten abgekratzt und die Hütte dann desinfiziert hatte. Der Geruch der ätzenden Flüssigkeit machte sich namentlich in den Win-keln der Hütte noch recht unliebsam bemerkbar. Ohne geöffnete Tür und Fenster war es nicht auszuhalten, bei der kühlen Witterung und der Zugluft war der Aufenthalt zuweilen recht un-gemütlich. Doch entschädigte uns das vorzügliche Essen, über das man bis zum Schluss des Lobes voll war.

Fortsetzung des Eintrages vom 3. Juni 1935

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S i l b e r h o c h z e i t J o s e f Ar e n s , 3 0 . 1 . 5 4

m i t g e t e i l t v o n F e r d i n a n d R a u t e r k u s

W a s i s t d o c h d i e s e n T a g f ü r ’ n G e d ä h i m Ar e n s H a u s .

U m d i e s e S i l b e r h o c h z e i t m a c h e n s i e e i n e n S c h m u s ,

d a s s e s s i c h l o h n t , m a l g a n z g e n a u z u w i s s e n ,

w a s f ü r e i n P ä r c h e n s i c h d a z u s a m m e n g e t a n h a t ,

d a m a l s i m J a n u a r v o r 2 5 J a h r e n .

I n u n s e r e m l i e b e n s c h ö n e n S t ä d t c h e n A t t e n d o r n .

I h r m ü s s t d a s S i l b e r b r a u t p a a r m a l r i c h t i g b e g u c k e n

s o l e i c h t t u t k e i n E h e p a a r d e m g l e i c h e n .

S i e s t r o t z e n v o r G e s u n d h e i t u n d v o r E n e r g i e .

M a n s i e h t , s i e h a l t e n g a r n i x v o n „ S c h m a c h t e r i e “ .

E c h t e s B ü r g e r t u m b e w e i s t i h r e K ö r p e r f ü l l e .

D a s k a n n K o r s e t t u n d S c h u s t e r k i t t e l n i c h t v e r h ü l l e n .

W o h l h a b e n h e i t s t r a h l t a u s i h r e n Au g e n .

V o n e c h t G e b l ü t d i e f e s t e n r o t e n B a c k e n s t r a h l e n .

W e n n i c h d e n b e i d e n ü b e r ’ n W e g m a l l a u f e ,

d a n n d e n k e i c h s t e t s , d i e p a s s e n g u t z u s a m m e n .

E s i s t e i n P a a r v o n s e l t e n g u t e r Ar t .

W i e h a b e n d i e s i c h d a m a l s w o h l k e n n e n g e l e r n t ?

S i e w a r b e i B a l t e s , w i s c h t e d o r t u n d k o c h t e .

E r w a g t e s i c h h i e r i n s S t ä d t c h e n u n d s a h s i c h u m

a l s s e l b s t ä n d i g e r M a n n i m z ä h e n L e d e r .

U n d s c h l u g s i c h e i n s a m u n d a l l e i n e s o d a d u r c h .

E s d a u e r t e n i c h t l a n g e , d a h a t t e e r s i e g e w i t t e r t .

D a f i n g d a s S c h u s t e r h e r z i n d e r B r u s t a n z u z i t t e r n .

U m B a l t e s H a u s s c h l i c h e r s i c h a b e n d s w i e v e r n a r r t

u n d m a c h t e s i c h b e m e r k b a r a u f g a n z s e l t e n e A r t .

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U n d f l ö t e n w o l l t e e r n i c h t , s i e w a r j a a u c h k e i n H u n d .

W a s s o l l e n d a n n a u c h a n d e r e L e u t e d e n k e n .

E r w u s s t e s i c h z u h e l f e n , e r w a r n i c h t s o d u m m .

D i e E i s e n s p i t z e v o n s e i n e m S t o c k e , s c h r u m m ,

d i e s c h r a m m t e l a u t u n d l a n g h i n ü b e r ’ s S t r a ß e n p f l a s t e r .

D i e L e u t e f r a g t e n , w a s i s t d a s d a n n n u r f ü r ’ n L a s t e r .

S i e h a t t e f i x e r a u s , w a s d a s b e d e u t e n s o l l t e u n d s c h w u p p

s t a n d s i e m i t l a c h e n d e m G e s i c h t b e i d e m J u p p .

S o k o p p e l t e n s i c h d i e b e i d e n n a c h u n d n a c h z u s a m m e n .

N a c h e i n i g e r Z e i t k o n n t e n s i e d i e s e s H a u s a u c h k a u f e n ,

u n d a l l e s w a r d a n n s o w i e e s s e i n m u s s t e .

E r s a ß t a g t ä g l i c h ü b e r ‘ m S c h u s t e r p i n n ,

t a t l i e b e n s w ü r d i g m i t d e r K u n d s c h a f t s p r e c h e n .

U n d k a m e n i n d i e W e r k s t a t t j u n g e M ä d c h e n ,

d a n n w a r e r ü b e r f r e u n d l i c h z u m B e w e i s ,

w i e w i c h t i g e c h t e r K u n d e n d i e n s t i h m i s t ,

d a h a t e r s i e g e k n i f f e n , „ b o x e t “ b i s s i e p i e p s t e n .

U n d w e n n e r s i e n o c h i n d e n J u d e n s p e c k k n i f f ,

d a n n i s t e r r i c h t i g i n s e i n e m E l e m e n t .

V o n d i e s e r S e i t e d i e Au g u s t e i h n g u t k e n n t .

D i e B i e n e n z ü c h t e r h a b e n z u i h m V e r t r a u e n .

A l s I m k e n v a t t e r k a n n m a n a u f i h n b a u e n ,

v e r t e i l t d e n Z u c k e r w i e e i n r e e l l e r M a n n .

W e i l e r d a s S ü ß e n i c h t v e r k n a p p e n k a n n ,

v e r l a n g t m a n n a c h k r ä f t i g e n u n d f l ü s s i g e n D i n g e n .

D a k a n n d i e Au g u s t e e i n L i e d c h e n v o n s i n g e n .

S i e s c h i m p f t d a n n a u c h m a l , d o c h i s t s i e s o g e s c h e i t ,

d a s s s i e i h n a u c h r i c h t i g z u n e h m e n w e i ß .

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W e n n e r d a s W i r t s c h a f t s g e l d z u k n a p p l ä s s t w e r d e n ,

d a n n k a n n s i e i h m u m d e n B a r t r u m s c h m i e r e n ,

d i e b e s t e S c h m u s e k a t z e d a s n i c h t b e s s e r k a n n .

D a k o m m t d e r J u p p d a n n n i c h t g e g e n a n .

D u r c h s o l c h e E v a k ü n s t e l ä s s t e r s i c h e r w e i c h e n ,

u n d s i e k r i e g t i m m e r w a s s i e w i l l e r r e i c h e n .

D o c h s a g t m i r a b e r j a n i c h t s v o n d e r A u g u s t e ,

d i e w e r k e l t h i e r i m H a u s e r e s o l u t u n d f i x ,

u n d a l s d a s H a u s v o n B o m b e n w a r z e r r i s s e n ,

d a h a t s i e d a s A u f b a u e n b a l d a l l e i n e g e s c h m i s s e n ,

u n d a l l e A r b e i t w a r v o n g u t e r A r t ,

a l s h ä t t e „ d a t M e n s k e “ j e d e s H a n d w e r k g e l e r n t .

D i e E n e r g i e i s t o h n e a l l e M a ß e n .

A l s s i e i m Z u g e i n K l e i d h a t l i e g e n l a s s e n ,

d a m a c h t e s i e d e n B e a m t e n v ö l l i g v e r r ü c k t .

S i e k r i e g t e e s w i e d e r , d a r i n w a r s i e g e s c h i c k t .

D i e w i c h t i g s t e P e r s o n i s t , w a s i c h i m m e r w u s s t e ,

i m N a c h t j a c k e n v i e r t e l h i e r d i e A u g u s t e .

S i e s o r g t f ü r R u h e u n d f ü r O r d n u n g a u c h d e s N a c h t s .

U n d w e n n d a n n m a l s o e i n n e t t e r b e s c h w i p s t e r „ S c h l a k s “

g r ö l e n d s t o l p e r t h i e r b e i m H a u s e r a u f ,

dann ha t e r , k la tsch , e inen Po t t v o l l Wasser au f dem Koppe .

S i e i s t e i n p r ä c h t i g e r M e n s c h , g a n z e g a l ,

z u a l l e m k a n n m a n s i e g e b r a u c h e n , ü b e r a l l .

D a s s i n d n u n d i e s e 2 , b e g u c k t s i e e u c h r i c h t i g .

F ü r u n s w ä r e n u n d i e g r o ß e F r a g e w i c h t i g ,

w a s w i r d e m S i l b e r b r a u t p a a r w ü n s c h e n w o l l e n .

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E s m u s s w a s s e i n , w a s d e n e n u n d u n s g e f ä l l t .

S o m e i n e i c h , e s w ä r e d a s A l l e r b e s t e ,

w i r w ü n s c h t e n i h n e n z u d i e s e m h o h e n F e s t e ,

d a s s s i e n u n i n d e n n ä c h s t e n 2 5 J a h r e n

g e n a u s o b l e i b e n w i e s i e b i s z u d i e s e m T a g e w a r e n .

D e n n w e n n s i e a n d e r s w ä r e n , w a s i c h i m m e r w u s s t e

d a n n w ä r e n s i e n i c h t d e r J u p p u n d d i e Au g u s t e .

Das Haus Arens um die Jahrhundertwende

Wie mir Maria Schmidt, Tochter des Heimatdichters Johannes Schulte, sagte, hat sie mit Frau Hedwig Graf zusammen seinerzeit die Gäste bekocht und bewirtet. Zu einem lustigen Zwischenfall sei es am Nachmittag gekommen, als die Jubiläumstorte - in Form eines Bienenkorbes - überreicht wurde: Das Prachtstück rutschte dem Jubilar direkt auf seine gute Jacke! Entsprechende Kommentare hätten dann aber doch noch für Heiterkeit gesorgt. Als Urheber der plattdeutschen Verse vermutet Frau Schmidt die ehemalige Nachbarin von Arens, Frau Ferdinande Laymann. Ferdinand Rauterkus

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E s m u s s w a s s e i n , w a s d e n e n u n d u n s g e f ä l l t .

S o m e i n e i c h , e s w ä r e d a s A l l e r b e s t e ,

w i r w ü n s c h t e n i h n e n z u d i e s e m h o h e n F e s t e ,

d a s s s i e n u n i n d e n n ä c h s t e n 2 5 J a h r e n

g e n a u s o b l e i b e n w i e s i e b i s z u d i e s e m T a g e w a r e n .

D e n n w e n n s i e a n d e r s w ä r e n , w a s i c h i m m e r w u s s t e

d a n n w ä r e n s i e n i c h t d e r J u p p u n d d i e Au g u s t e .

Das Haus Arens um die Jahrhundertwende

Wie mir Maria Schmidt, Tochter des Heimatdichters Johannes Schulte, sagte, hat sie mit Frau Hedwig Graf zusammen seinerzeit die Gäste bekocht und bewirtet. Zu einem lustigen Zwischenfall sei es am Nachmittag gekommen, als die Jubiläumstorte - in Form eines Bienenkorbes - überreicht wurde: Das Prachtstück rutschte dem Jubilar direkt auf seine gute Jacke! Entsprechende Kommentare hätten dann aber doch noch für Heiterkeit gesorgt. Als Urheber der plattdeutschen Verse vermutet Frau Schmidt die ehemalige Nachbarin von Arens, Frau Ferdinande Laymann. Ferdinand Rauterkus

Vor 75 Jahren: „Haushaltsplan der Stadt Attendorn für das Rechnungsjahr 1937“

von Jürgen Meise

Warum dieses Thema? Eigentlich hatte ich den Haushaltsplan der Stadt aus dem Jahr 1937, den ich vor Jahren bekommen hatte, in die Hand genommen, um zu sehen, ob und wie sich die Zeit des Nationalsozi-alismus in einem städtischen Haushalt widerspiegelt. Beim Durchblättern des Haushaltsplanes allerdings wuchs die Neugier: Wie war ein Haushaltsplan vor 75 Jahren aufgebaut? Was sagte der vor mir liegende Plan über die Stadt Attendorn aus? Zur Haushaltssystematik Der Haushalt 1937 ist nach dem Sys-tem der Kameralistik aufgebaut, einem System, das in Attendorn bis zum Jahr 2005 gültig war. Es wurde durch die Doppik, das neue kommunale Finanz-management, abgelöst. In der Kameralistik wurden Einnahmen und Ausgaben gegenübergestellt, sal-diert und ein Überschuss oder ein Fehlbetrag ermittelt. Der Überschuss aus dem Einzelplan „Finanzen“ deckte die Fehlbeträge, die in den anderen Einzelplänen entstanden. Reichte der Überschuss dafür nicht aus, mussten Kredite aufgenommen werden.

In der Doppik werden nicht nur Geld-flüsse – wie in der Kameralistik – dar-gestellt, sondern auch der Ressour-cenverbrauch wie Abschreibungen oder Pensionsrückstellungen. Über die Bilanz werden Vermögen, sowie Schulden erkennbar. Auch der doppische Haushalt vermeidet nicht grundsätzlich eine Kreditaufnahme.

Der städtische Haushalt 1937 gliedert sich in acht Einzelpläne:

1. Allgemeine Verwaltung 2. Polizeiverwaltung 3. Bauverwaltung 4. Betriebe und Unternehmungen 5. Schul- und Bildungswesen 6. Fürsorgeverwaltung 7. Finanzverwaltung 8. Durchlaufend(es) Beigefügt sind die Einzelpläne des städtischen Krankenhauses, des städ-tischen Wasserwerks und des städti-schen Elektrizitätswerks.

Unterschiede Es fällt sofort auf: Die Bezahlung der Polizei ist heute nicht mehr Aufgabe der Stadt, sondern Ländersache. Der Begriff „Fürsorgeverwaltung“ ist durch den weniger diskriminierenden Begriff ‚Soziales’ ersetzt. Das Krankenhaus ist verkauft. Wasser und Strom werden über Betriebe in der Rechtsform einer GmbH verteilt. Einen weiteren gravierenden Unter-schied zu heute findet man bei den Lehrkräften des städtischen Gymnasi-ums. Die 13 dort tätigen Beamten wur-den von der Stadt bezahlt. Auch die-ses ist heute die Aufgabe des Landes.

Und auch bei der Sparkasse findet man Veränderungen. Beamte und An-gestellte dieses Institutes gehörten zum städtischen Personal und wurden von der Stadt bezahlt. Heute sind Sparkassen selbständige, öffentlich-rechtliche Einrichtungen.

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Das städtische Personal In der Stadtverwaltung arbeiteten zwölf Beamte, dreizehn Angestellte standen auf der Lohnliste der Stadt, unter ihnen die Beschäftigten der Sparkasse (s.o.). Dazu noch ein Gewerbelehrer, eine Handarbeitslehrerin und zwölf Arbeiter, darunter Reinigungskräfte, Hausmeis-ter und ein Bademeister. Einnahmen und Ausgaben Die Gesamteinnahmen des „ordentli-chen“ Haushalts 1937 betrugen 1.140.208,34 RM (Reichsmark), die Ausgaben beliefen sich auf 1.152.752,25 RM.1 Außer Steuern er-hielt die Stadt weitere Einnahmen durch Verkäufe, Gebühren und Beiträ-ge, aber auch durch das Schulgeld der Gymnasiasten in Höhe von 57.885,00 RM und die Mieteinnahmen von städti-schen Häusern in Höhe von 18.378,88 RM. Dass noch nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1950er Jahre hin-ein Schulgeld für den Besuch eines Gymnasiums gezahlt werden musste, wird manch Älterer noch wissen. Nur die Einzelpläne „Finanzverwaltung“ und „Betriebe und Unternehmungen“ erwirtschafteten Überschüsse. Dem Haushaltsplan ist beigefügt eine Liste von 58 Mietern städtischer Wohnobjek-te, darunter der Preußische Justizfis-kus, die Lehrwerkstatt, die Dortmunder Aktienbrauerei, aber auch das Sturm-büro der SA. Zur Lage der Stadt Der dem Zahlenwerk beigefügte Erläu-terungsbericht vermittelt einen Über-blick über die Lage der Stadt, soweit sie in einem Haushaltsplan dargestellt werden kann. „Bei der bekannten angespannten Fi-nanzlage der Stadt Attendorn infolge

der starken Verschuldung von 2,1 Mill. RM musste bei Aufstellung und Ab-wicklung des Haushaltsplans 1936 äu-ßerste Sparsamkeit wiederum erster Grundsatz sein.“2 So heißt es im Erläu-terungsbericht des städtischen Haus-halts 1937. Und weiter: „Auf dem Ge-biet der Instandsetzung und Verbesse-rung der Straßen ist ganz außerordent-lich viel nachzuholen, denn es war vor 1934 schon seit Jahrzehnten nichts Durchgreifendes in der Straßenver-besserung und Unterhaltung gesche-hen. Für die Unterhaltung der öffentli-chen Gebäude waren auch in der Zeit der Wirtschaftskrise die erforderlichen Mittel nicht vorhanden…“. Für die In-standsetzung des Rathauses seien Mittel vorhanden gewesen und auch für die „Verschönerung der Innenräu-me“ der Volksschulen habe man Geld bereitstellen können.

Auf der Ausgabenseite „fallen zunächst einige wesentliche Mehrausga-ben….ins Gewicht“ und zwar für Til-gungsbeiträge umgeschuldeter Darle-hen, für die „Ruhegehaltskasse“, für die Errichtung einer städtischen Bü-cherei und für „den notwendigen Bau eines HJ-Heimes“ mit zunächst 4.000 RM als Rücklage.

Als „besonders große Belastung“ wur-den die Ausgaben für das Gymnasium gesehen.

Für diese Schule, „jetzt deutsche Oberschule“, entstand durch geringere Schülerzahl ein Ausfall an Schulgeld in Höhe von „schätzungsweise 10.000 RM“. Allerdings erhielt die „deutsche Oberschule“ „mit Rücksicht darauf, dass diese höhere Schule nicht nur für Attendorn, sondern für den ganzen

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Das städtische Personal In der Stadtverwaltung arbeiteten zwölf Beamte, dreizehn Angestellte standen auf der Lohnliste der Stadt, unter ihnen die Beschäftigten der Sparkasse (s.o.). Dazu noch ein Gewerbelehrer, eine Handarbeitslehrerin und zwölf Arbeiter, darunter Reinigungskräfte, Hausmeis-ter und ein Bademeister. Einnahmen und Ausgaben Die Gesamteinnahmen des „ordentli-chen“ Haushalts 1937 betrugen 1.140.208,34 RM (Reichsmark), die Ausgaben beliefen sich auf 1.152.752,25 RM.1 Außer Steuern er-hielt die Stadt weitere Einnahmen durch Verkäufe, Gebühren und Beiträ-ge, aber auch durch das Schulgeld der Gymnasiasten in Höhe von 57.885,00 RM und die Mieteinnahmen von städti-schen Häusern in Höhe von 18.378,88 RM. Dass noch nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1950er Jahre hin-ein Schulgeld für den Besuch eines Gymnasiums gezahlt werden musste, wird manch Älterer noch wissen. Nur die Einzelpläne „Finanzverwaltung“ und „Betriebe und Unternehmungen“ erwirtschafteten Überschüsse. Dem Haushaltsplan ist beigefügt eine Liste von 58 Mietern städtischer Wohnobjek-te, darunter der Preußische Justizfis-kus, die Lehrwerkstatt, die Dortmunder Aktienbrauerei, aber auch das Sturm-büro der SA. Zur Lage der Stadt Der dem Zahlenwerk beigefügte Erläu-terungsbericht vermittelt einen Über-blick über die Lage der Stadt, soweit sie in einem Haushaltsplan dargestellt werden kann. „Bei der bekannten angespannten Fi-nanzlage der Stadt Attendorn infolge

der starken Verschuldung von 2,1 Mill. RM musste bei Aufstellung und Ab-wicklung des Haushaltsplans 1936 äu-ßerste Sparsamkeit wiederum erster Grundsatz sein.“2 So heißt es im Erläu-terungsbericht des städtischen Haus-halts 1937. Und weiter: „Auf dem Ge-biet der Instandsetzung und Verbesse-rung der Straßen ist ganz außerordent-lich viel nachzuholen, denn es war vor 1934 schon seit Jahrzehnten nichts Durchgreifendes in der Straßenver-besserung und Unterhaltung gesche-hen. Für die Unterhaltung der öffentli-chen Gebäude waren auch in der Zeit der Wirtschaftskrise die erforderlichen Mittel nicht vorhanden…“. Für die In-standsetzung des Rathauses seien Mittel vorhanden gewesen und auch für die „Verschönerung der Innenräu-me“ der Volksschulen habe man Geld bereitstellen können.

Auf der Ausgabenseite „fallen zunächst einige wesentliche Mehrausga-ben….ins Gewicht“ und zwar für Til-gungsbeiträge umgeschuldeter Darle-hen, für die „Ruhegehaltskasse“, für die Errichtung einer städtischen Bü-cherei und für „den notwendigen Bau eines HJ-Heimes“ mit zunächst 4.000 RM als Rücklage.

Als „besonders große Belastung“ wur-den die Ausgaben für das Gymnasium gesehen.

Für diese Schule, „jetzt deutsche Oberschule“, entstand durch geringere Schülerzahl ein Ausfall an Schulgeld in Höhe von „schätzungsweise 10.000 RM“. Allerdings erhielt die „deutsche Oberschule“ „mit Rücksicht darauf, dass diese höhere Schule nicht nur für Attendorn, sondern für den ganzen

Kreis Olpe zuständig ist, einen Zu-schuss von 25.000 RM“ vom Kreis. Der Staat zahlte der Stadt weitere 35.000 RM dazu. Insgesamt erwartete man ein Ausgabensoll in Höhe von 155.690,34 RM für das Gymnasium; für die Volksschulen dagegen nur 33.419,45 RM.

Investitionen im Jahr 1937 Investitionen sind im „außerordentli-chen“ Haushalt verbucht. Im Jahr 1937 soll in Straßenbau und in Kanalbau investiert werden: Ein Kanal vom „Schüllernhof“ zum Hohlen Weg vor dem Amtsgerichtsneubau und je ein Kanal in der Bleichergasse und der Brunnengasse. Man hoffte, den Kanal-bau mit 3.800 RM finanzieren zu kön-nen. Für den Bau einer „Siedlungs-straße im Siedlungsgebiet Musebieter“ sowie einer Teilinstandsetzung des „alten Hohlenweges“ wurden 3.900 RM bereitgestellt. Für den Ankauf von Siedlungsgelände standen 7.100 RM zur Verfügung.

Mit 14.800 RM erschöpfte sich der für das Jahr 1937 gesamte Bereich neuer Investitionen.

Jedoch wird im Erläuterungsbericht darauf hingewiesen, dass in den Jah-ren 1934 – 1936 11,895 km Straßen und Wege instandgesetzt wurden, wo-bei nicht alle Straßen eine Teerdecke erhielten (3,360 km). Die meisten wur-den nur „gehärtet“, was immer das heißt. Nach Fertigstellung der im Bau befindlichen Kanäle seien „am Ende dieses Rechnungsjahres insgesamt 2507 lfdm (laufende Meter) Kanallei-tungen verlegt, einschließlich des gro-ßen Hauptsammlers, der vom Ruhr-verband…gebaut wurde“.

Ausdrücklich wird angemerkt, dass der Kanalbau nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen Bedeutung hat, sondern „dass durch die Kanalisation große gesundheitliche Gefahren gebannt sind“.

Man mag meinen, die Ausgaben für den Kanal- und Straßenbau seien nur ein kläglich niedriger Betrag verglichen mit den hohen Investitionen, die heut-zutage von der Stadt Attendorn im Tiefbau geleistet werden (müssen). Man beachte jedoch: Zur Stadt Atten-dorn gehörten im Jahr 1937 weder die Gemeinde Helden, noch die Gemeinde Attendorn Land. Die Zahl der Einwoh-ner der Stadt betrug nach Angaben im Haushaltsplan gerade mal 6300 Per-sonen. Attendorn, wie es heute ist, entstand erst mit der Kommunalreform 1969.

Die Infrastruktur Der Haushaltsplan macht deutlich: Die Infrastruktur der Stadt Attendorn ließ sehr zu wünschen übrig. Die städti-schen Gebäude waren in einem schlechten Zustand. Im Straßen- und Kanalbau war noch viel zu tun. Im Jahr 1933 waren die Straßen in „einem fast trostlosen Zustand“. Und trotz der In-vestitionen in den Jahren 1934 bis 1936 sei „zur Instandsetzung der übri-gen Straßen im Laufe der nächsten Jahre noch ein gewaltiger Betrag not-wendig“. Die Neu- bzw. Umpflasterung der Straßen innerhalb der Promenaden bezifferte man mit „etwa 86.000 RM“. Wohnungsnot in Attendorn Und es gab Wohnungsnot in Atten-dorn. Wörtlich heißt es: „Die große Wohnungsnot in Attendorn und die Interessen der Industrie machen es

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dringend erforderlich, weitere Sied-lungsgebiete zu errichten. Leider kann wegen Mangel an Mitteln das außeror-dentlich große Bedürfnis an neuen Siedlungshäusern nicht in dem wün-schenswerten Umfange befriedigt wer-den“. Der Bau der Siedlungsstraße Musebieter lässt erkennen, dass die ersten Siedlungshäuser an dieser neuen Straße gebaut waren oder sich im Bau befanden. Zu den weiteren Siedlungsgebieten gehörten dann auch die 14 Doppelhäuser, die in der Bauzeit 1933 – 1939 errichtet wurden.3

Die höchsten Steuereinnahmen Der Erläuterungsbericht fährt fort: „Bei Beurteilung der Finanzlage muss be-rücksichtigt werden, dass im Rech-nungsjahr 1937 die Steuereinnahmen wohl den höchsten Stand erreichen, der bei dem jetzigen Umfange der Attendorner Wirtschaft je zu erreichen ist“. Diese wohl höchste Steuerein-nahme wurde mit 357.945,08 Reichs-mark veranschlagt. Darin enthalten waren folgende Steueranteile: Reichs-einkommensteueranteil, Körperschafts-steuer mit einem Anteil vom Reich und der öffentlichen Versorgungsbetriebe, Umsatzsteueranteil, Grundvermögens-steuer, Gewerbesteuer nach Ertrag und Kapital und die Gewerbelohn-summensteuer. Enthalten waren auch eine Bürgersteuer, die Schankerlaub-nissteuer, die Biersteuer, die Geträn-kesteuer, die Vergnügungssteuer und die Hundesteuer. Und das ‚Nationalsozialistische’ im Haushalt 1937? Natürlich interessiert, wie sich die nati-onalsozialistische Zeit im Haushalt ei-ner Kleinstadt widerspiegelt. Es finden sich einige Stellen:

Da findet man die Haushaltsstelle „An-teil der Stadt an den Sterilisierungskos-ten“. Hinter dieser Haushaltsstelle ver-birgt sich die Zwangssterilisierung geistig und körperlich behinderter Menschen. Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933 belastete Städte und Ge-meinden, so auch Attendorn, mit den Kosten dieser Zwangsmaßnahmen. Attendorn zahlte 300 RM.

Für das „Geschenkbuch: Hitler ‚Mein Kampf’ an Brautleute“ standen 400 RM bereit.

Ebenfalls 400 RM flossen an die Orga-nisatoren des Kreisparteitags der NSDAP und der nationalen Feiern.

1.200 RM dienten der Unterhaltung und Ausschmückung der öffentlichen Gebäude und Denkmäler – natürlich mit nationalsozialistischen Symbolen.

Für den Neubau eines HJ-Heimes wurde eine Rücklage in Höhe von 4.000 RM gebildet. (HJ = Hitlerjugend)

Dem „dringenden Wunsch der Behör-den“ folgend plante die Stadt, eine städtische Bücherei einzurichten, die mit Hilfe nationalsozialistischen Lese-stoffs zur Umerziehung der Bevölke-rung beitragen sollte. Der städtische Vorschlag, die Lehrer- und Schülerbib-liothek des Gymnasiums zur Einrich-tung dieser „Volksbücherei“ zu nutzen, wurde von der „staatlichen Beratungs-stelle für das öffentliche Büchereiwe-sen“ in Hagen abgelehnt, da „zu wenig brauchbares Material vorhanden“ sei. Die Bücherei, deren Kosten man auf 3.500 bis 4.000 RM schätzte (das HJ-Heim auf „vorerst“ 4.000 RM!), wurde

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dringend erforderlich, weitere Sied-lungsgebiete zu errichten. Leider kann wegen Mangel an Mitteln das außeror-dentlich große Bedürfnis an neuen Siedlungshäusern nicht in dem wün-schenswerten Umfange befriedigt wer-den“. Der Bau der Siedlungsstraße Musebieter lässt erkennen, dass die ersten Siedlungshäuser an dieser neuen Straße gebaut waren oder sich im Bau befanden. Zu den weiteren Siedlungsgebieten gehörten dann auch die 14 Doppelhäuser, die in der Bauzeit 1933 – 1939 errichtet wurden.3

Die höchsten Steuereinnahmen Der Erläuterungsbericht fährt fort: „Bei Beurteilung der Finanzlage muss be-rücksichtigt werden, dass im Rech-nungsjahr 1937 die Steuereinnahmen wohl den höchsten Stand erreichen, der bei dem jetzigen Umfange der Attendorner Wirtschaft je zu erreichen ist“. Diese wohl höchste Steuerein-nahme wurde mit 357.945,08 Reichs-mark veranschlagt. Darin enthalten waren folgende Steueranteile: Reichs-einkommensteueranteil, Körperschafts-steuer mit einem Anteil vom Reich und der öffentlichen Versorgungsbetriebe, Umsatzsteueranteil, Grundvermögens-steuer, Gewerbesteuer nach Ertrag und Kapital und die Gewerbelohn-summensteuer. Enthalten waren auch eine Bürgersteuer, die Schankerlaub-nissteuer, die Biersteuer, die Geträn-kesteuer, die Vergnügungssteuer und die Hundesteuer. Und das ‚Nationalsozialistische’ im Haushalt 1937? Natürlich interessiert, wie sich die nati-onalsozialistische Zeit im Haushalt ei-ner Kleinstadt widerspiegelt. Es finden sich einige Stellen:

Da findet man die Haushaltsstelle „An-teil der Stadt an den Sterilisierungskos-ten“. Hinter dieser Haushaltsstelle ver-birgt sich die Zwangssterilisierung geistig und körperlich behinderter Menschen. Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933 belastete Städte und Ge-meinden, so auch Attendorn, mit den Kosten dieser Zwangsmaßnahmen. Attendorn zahlte 300 RM.

Für das „Geschenkbuch: Hitler ‚Mein Kampf’ an Brautleute“ standen 400 RM bereit.

Ebenfalls 400 RM flossen an die Orga-nisatoren des Kreisparteitags der NSDAP und der nationalen Feiern.

1.200 RM dienten der Unterhaltung und Ausschmückung der öffentlichen Gebäude und Denkmäler – natürlich mit nationalsozialistischen Symbolen.

Für den Neubau eines HJ-Heimes wurde eine Rücklage in Höhe von 4.000 RM gebildet. (HJ = Hitlerjugend)

Dem „dringenden Wunsch der Behör-den“ folgend plante die Stadt, eine städtische Bücherei einzurichten, die mit Hilfe nationalsozialistischen Lese-stoffs zur Umerziehung der Bevölke-rung beitragen sollte. Der städtische Vorschlag, die Lehrer- und Schülerbib-liothek des Gymnasiums zur Einrich-tung dieser „Volksbücherei“ zu nutzen, wurde von der „staatlichen Beratungs-stelle für das öffentliche Büchereiwe-sen“ in Hagen abgelehnt, da „zu wenig brauchbares Material vorhanden“ sei. Die Bücherei, deren Kosten man auf 3.500 bis 4.000 RM schätzte (das HJ-Heim auf „vorerst“ 4.000 RM!), wurde

also anfinanziert und sollte der Öffent-lichkeit 1938 zur Verfügung stehen.

Ein Zuschuss an die NSV für Gesund-heitsfürsorge war eingeplant (NSV = Nationalsozialistische Volkwohlfahrt).

Das SA-Sturmbüro zahlte Miete an die Stadt, war also in einem städtischen Gebäude untergebracht (SA = Sturm-abteilung, eine politische Kampftruppe der NSDAP).

Das sind nicht gerade viele Positionen innerhalb der großen Anzahl der Haushaltsstellen, jedoch sind es wich-tige. Die Nationalsozialistische Deut-sche Arbeiterpartei (NSDAP) wird un-terstützt einschließlich einiger ihrer Gliederungen. Und in die Jugend und die Bildung im Sinne der NSDAP wird investiert. Es gilt damals wie heute: Die Bildung entscheidet über die Zukunft.

Anmerkungen: 1 Alle Zahlen, die genannt werden, sind Sollzahlen, also Beträge, die man erwartete. 2 Alle folgenden nicht weiter gekennzeichneten Zitate sind dem Erläuterungsbericht des Haushalts-planes für das Jahr 1937 entnommen. 3 In dem Buch „100 Jahre Wohnungsgenossen-schaft im Kreis Olpe, Südsauerland eG“, Olpe 2002, findet der interessierte Leser weitere Informationen zum Wohnungsbau in Attendorn und darüber hinaus im Kreis Olpe Bemerkenswerte Einzelheiten aus dem Haushalt 1937:

Nazis wollten das alte Rathaus ab-reißen Folgende Erläuterung im Haushalts-plan verrät, dass die Attendorner Nazis das heutige Südsauerlandmuseum, den einmaligen gotischen Profanbau Südwestfalens, abreißen lassen woll-

ten. „Der gegenüber dem Vorjahr an-gesetzte Mehrbetrag vom 2.000 RM muss zur Neubedachung des städt. alten Rathauses (jetzt Amtsgericht) aufgewendet werden. Die nachgesuch-te Genehmigung zum Abbruch dieses alten baufälligen Gebäudes wurde, weil es als Baudenkmal erklärt worden ist, sowohl vom Reichs- als auch vom Provinzialkonservator abgelehnt. Das Dach droht einzustürzen. Kostenan-schlag über 2.000 RM liegt vor.“ (Haushalt 1937, Seite 83) Verkürzte Schulzeit am Gymnasium Nicht nur in diesem Jahrhundert, auch in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts war die Schulzeit an Gymnasien schon mal verkürzt wor-den.

Die (preußische) Staatsregierung hattedas „höhere Schulwesen“ vereinheit-licht. Das Gymnasium in Attendorn wur-de zur „deutschen Oberschule“. In den Erläuterungen zum städtischen Haus-halt 1937 steht: „Danach ist ab Ostern 1937 in Sexta mit Englisch als erster Pflichtfremdsprache zu beginnen.“ Und weiter: „Durch die von der Staatsregie-rung eingeführte verkürzte Schulzeit in höheren Lehranstalten (8 Jahre statt bisher 9) ist jedoch im Schuljahr 1937 mit einer geringeren Schülerzahl zu rechnen, da Ende 1936 zwei Klassen die Reifeprüfung ablegten.“ (Haushalt 1937, Seite 71; dazu auch: Rivius 2000 – Gymnasium der Stadt Attendorn, Attendorn 2000, Seite 54)

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Wie es früher war von Walter Wurm

Wir blicken einmal zurück ganz weit, in unsere schöne Kinderzeit. Babys in Windeln wunderbar, Pampers waren noch nicht da. Bettchenfarbe voll Blei und Cadmium, das alles brachte uns nicht um. In unseren alten Kinderwagen, lagen vorher schon oft Blagen. Völkerball, Kreiselschlagen, Kinderspiele, Äpfel klauen, oft ganz viele. Ringschlagen und Versteckenspiel, Spielsachen, die hatten wir nicht viel, wir spielten Räuber und Schanditz, im Auto war kein Kindersitz. Aus Runkeln machten wir Fackeln gerne, es gab noch keine elektrische Laterne. Fahrrad oft ein uraltes war, Gangschaltung war noch nicht da. Fahrrad oft zu klein, zu groß, kein Helm, der Kopf war immer bloß. Der Name Fahrrad war bekannt, wird heute Mountainbike genannt. Schuhe selten mal gekauft, wurden von Geschwistern aufgebraucht. Fußballspiel und Klingelmännchen, Kreis und Ballspiel für die Mädchen. Die damals Kleidchen trugen schon, es war vor der Emanzipation. Mädchen hatten Schürzchen um, spielten Plumpsack, der geht um.

Und sie spielten Gummitwist, den Computer gab´s noch nicht. Jungen trugen Bommelmützen Und sie schwenkten Stänkerbüchsen. Videospiele nicht bekannt, Lichtbilder warf man an die Wand. Tagsüber nur draußen, wie zum Trotze, es gab gottlob noch keine Glotze. Niemals außer Landes gewesen, aber in Ennest Kartoffeln gelesen. Panhas lecken, Rollschuh laufen, und für ´nen Groschen Eis mal kaufen. Handy noch ein Fremdwort war, wenn man uns brauchte, waren wir da. Zanken, schlagen und vertragen, oft Blessur davon getragen. Und zu Hause statt zu trösten, gab´s noch Schläge auf den Entblößten. Tee aus Stutenkerlpfeifen rauchen, heute manche Haschisch brauchen. Kein McDonalds, keine Pizzastube, was wir brauchten, gab´s in Müllers Bude. Fettes Essen allemal, Cholesterin war uns egal. Bekommen ist es allen doch, hurra, denn wir leben noch. Früher war´s nicht besser, das ist klar, aber anders, das ist wahr.

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Wie es früher war von Walter Wurm

Wir blicken einmal zurück ganz weit, in unsere schöne Kinderzeit. Babys in Windeln wunderbar, Pampers waren noch nicht da. Bettchenfarbe voll Blei und Cadmium, das alles brachte uns nicht um. In unseren alten Kinderwagen, lagen vorher schon oft Blagen. Völkerball, Kreiselschlagen, Kinderspiele, Äpfel klauen, oft ganz viele. Ringschlagen und Versteckenspiel, Spielsachen, die hatten wir nicht viel, wir spielten Räuber und Schanditz, im Auto war kein Kindersitz. Aus Runkeln machten wir Fackeln gerne, es gab noch keine elektrische Laterne. Fahrrad oft ein uraltes war, Gangschaltung war noch nicht da. Fahrrad oft zu klein, zu groß, kein Helm, der Kopf war immer bloß. Der Name Fahrrad war bekannt, wird heute Mountainbike genannt. Schuhe selten mal gekauft, wurden von Geschwistern aufgebraucht. Fußballspiel und Klingelmännchen, Kreis und Ballspiel für die Mädchen. Die damals Kleidchen trugen schon, es war vor der Emanzipation. Mädchen hatten Schürzchen um, spielten Plumpsack, der geht um.

Und sie spielten Gummitwist, den Computer gab´s noch nicht. Jungen trugen Bommelmützen Und sie schwenkten Stänkerbüchsen. Videospiele nicht bekannt, Lichtbilder warf man an die Wand. Tagsüber nur draußen, wie zum Trotze, es gab gottlob noch keine Glotze. Niemals außer Landes gewesen, aber in Ennest Kartoffeln gelesen. Panhas lecken, Rollschuh laufen, und für ´nen Groschen Eis mal kaufen. Handy noch ein Fremdwort war, wenn man uns brauchte, waren wir da. Zanken, schlagen und vertragen, oft Blessur davon getragen. Und zu Hause statt zu trösten, gab´s noch Schläge auf den Entblößten. Tee aus Stutenkerlpfeifen rauchen, heute manche Haschisch brauchen. Kein McDonalds, keine Pizzastube, was wir brauchten, gab´s in Müllers Bude. Fettes Essen allemal, Cholesterin war uns egal. Bekommen ist es allen doch, hurra, denn wir leben noch. Früher war´s nicht besser, das ist klar, aber anders, das ist wahr.

Die katholische Kirche in der Nazizeit in Attendorn von Josef Hormes (+)

Der Nationalsozialismus war ein aus der Not der Zeit herausgeborenes Kind. Acht Millionen Arbeitslose. Zum „Stempeln“ mussten die Attendorner wöchentlich einmal zum Annohaus an der Finnentroper Straße. Hier bildete sich eine Kette bis zum Marktplatz. Ich kann mich noch an ein Ehepaar erin-nern, das wöchentlich fünf Reichsmark an Unterstützung bekam. Übrigens gab es meines Erachtens damals nur zwei Möglichkeiten: Entweder Kommunis-mus oder Nationalsozialismus – die Demokratie war leider am Ende ihrer Kraft.

Nun zum eigentlichen Thema:

Man kann es einfach nicht mehr hören: Die Kirche war mitschuldig an den Gräueltaten der Nazis, besonders an der Judenverfolgung. Was schiebt man heute Papst Pius XII. alles in die Schuhe, wie er bei der Vernichtung der Juden untätig gewesen sei. Ihm waren doch auch die Hände gebunden. Im Nachhinein kann man gut kritisieren. Die größten Kritiker sind nämlich die Leute, die den Nationalsozialismus überhaupt nicht miterlebt haben. Man hat doch damals den Lauf der Dinge genauestens mitverfolgt. Der Papst hat seine Stimme immer wieder erhoben. Aber keiner hörte auf ihn! Wenn Pius XII. noch stärker gegen die Nazis auf-getreten wäre, so stellte man fest, wä-re Hitler noch radikaler gegen die Ju-den vorgegangen. Ganz bestimmt hät-te er dabei nicht den gesamten Klerus in Deutschland vergessen. Wie vielen

Juden hat der Papst allein durch die Aufnahme in den Vatikan das Leben gerettet! Es ist doch nicht abzuleug-nen, dass es gerade die katholische Kirche und auch die bekennende evangelische Kirche waren, die noch allein gegen die Nazis in der Oppositi-on standen. Den vielen anderen Geg-nern war doch die Gelegenheit schon lange genommen. Die Deutschen Christen mit ihrem Reichsbischof Mül-ler haben hier allerdings eine üble Rol-le gespielt.

Wie sah es nun in Attendorn aus?

Der damalige Dechant Richard Schwunk hat vor der sogenannten Machtergreifung und erst recht nach-her keine Predigt gehalten, in der er nicht die Nazis direkt oder indirekt an-gegriffen hat. Er hat vor 1933 immer wieder vor den Nazis gewarnt. Er ging dabei sogar soweit, dass er die Kir-chenbesucher in der Predigt auffordert: Ihr müsst Zentrum wählen, ihr müsst die Tageszeitung „Tremonia“ lesen.

Hier möchte ich auch nicht unerwähnt lassen, dass Dechant Schwunk auch vor 1933 immer wieder gegen den Kommunismus zu Felde zog. Die Kommunisten hatten damals eine Par-teiveranstaltung auf dem Marktplatz angesagt. So wie der Redner loslegte, ließ der Dechant alle Glocken läuten. Nachdem sie wieder abgestellt wur-den, begann der Redner wieder. Die Glocken läuteten nun erneut. Dieser Wechsel vollzog sich dann noch ein-

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mal. Die Versammlung wurde dann beendet.

Nach dem 30. Januar 1933 mussten auch alle Kirchen die Hakenkreuzfahne zeigen. Unser Dechant ließ daraufhin eine kleine Hakenkreuzfahne (mehr einen Wimpel) aus dem Turm heraus-hängen. Die Reaktion von den „Brau-nen“ kam sofort. Ihm wurde zur Aufla-ge gemacht, ab sofort eine große Fah-ne zu zeigen.

Anfang 1934 fand hier eine Mission statt. Bei der Abschlussfeier war sogar der Ortsgruppenleiter mit seinem Ge-folge dabei. Sie bekamen einen Eh-renplatz in dem früheren Chorgestühl. Bei dem Lied Fest soll mein Taufbund… trugen sie einen brennen-de Kerze. Das war dann wohl auch das Ende zwischen Kirche und Partei!

Mir wurde später einmal von einem Ju-gendlichen gesagt: „Warum habt ihr die Nazis dann gewählt?“ Da konnte ich ihm zur Antwort geben, dass das jewei-lige Wahlergebnis (99,9%) schon am Abend vorher feststand.

Ein überzeugter Nazi sagte mir einmal: „Wenn euer Schwunk nicht aufhört zu hetzen, dann knallen wir ihn von der Kanzel ab.“ Ein anderer meinte, man solle alle Kirchenbesucher aufhängen. Auf dies und ähnliche Vorkommnisse kann man nur die Frage stellen: „Was hätte man denn dagegen unternehmensollen?“ Diese Wortgewaltigen hatten doch ihre braunen Vorgesetzten voll imRücken!

Im Jahre 1942 wurde hier die Feldpro-zession verboten. Trotz des Verbots zo-gen etwa 300 Attendorner (ohne Geist-liche) die alten Wege. Einige Zeit nach der Prozession wurden dann Josef Hoff-mann, Josef Hüttemann und mein Vater als angebliche Initiatoren der Prozes-sion von der Gestapo in die sogenannte Steinwache nach Dortmund befohlen. Mein Vater wurde u.a. mit 300,- Reichs-mark Geldbuße bestraft. Da er zu der Zeit kein Einkommen hatte, gab er zur Antwort, man solle das Geld von seinen vier im Felde stehenden Söhnen vom Sold einhalten! Daraufhin wäre der Ge-stapobeamte Buschmann vor Wut ra-send geworden.

Dechant Schwunk wurde dann in die-sem Jahre aus Attendorn nach Thürin-gen verbannt, wo er bis zum Ende des Krieges blieb.

In der Nazizeit gab es überhaupt nur drei Möglichkeiten, um „überleben“ zu können. 1. Man war strammer Partei-

Missionskreuz, Eigentum der kath. Kirchen- gemeinde St. Johannes Baptist, Attendorn.Foto: Claus Ortmann

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mal. Die Versammlung wurde dann beendet.

Nach dem 30. Januar 1933 mussten auch alle Kirchen die Hakenkreuzfahne zeigen. Unser Dechant ließ daraufhin eine kleine Hakenkreuzfahne (mehr einen Wimpel) aus dem Turm heraus-hängen. Die Reaktion von den „Brau-nen“ kam sofort. Ihm wurde zur Aufla-ge gemacht, ab sofort eine große Fah-ne zu zeigen.

Anfang 1934 fand hier eine Mission statt. Bei der Abschlussfeier war sogar der Ortsgruppenleiter mit seinem Ge-folge dabei. Sie bekamen einen Eh-renplatz in dem früheren Chorgestühl. Bei dem Lied Fest soll mein Taufbund… trugen sie einen brennen-de Kerze. Das war dann wohl auch das Ende zwischen Kirche und Partei!

soldat. 2. Man versuchte mit großer Diplomatie nicht besonders aufzufal-len oder 3. man wurde zum Märtyrer. Es dürfte auch hier den Kritikern nicht entgangen sein, dass etliche Geistliche im KZ landeten bzw. ermordet wurden! Hier noch eine Erinnerung an den frü-heren Vikar Hammecke aus Ennest, der wegen einer Äußerung auf der Kan-zel zum Verhör beordert wurde. Er gab bei der Vernehmung klar zur Antwort: „Ich bin bereit, für Christus zu leiden.“ Da frage ich wieder, was musste denn noch alles getan werden. Zur Zeit wer-den die Opfer gern zu Tätern gemacht! In der Nazizeit sagte mir mal ein echter Gegner der „Braunen“: „Man kann nur die Faust in der Tasche machen!“ Ge-nauso war es.

Unter den vielen Mitläufern hier hat es auch genügend Leute gegeben, die wirklich keine andere Wahl hatten. Ich kannte Katholiken, die ihres Berufes wegen oft sonntags in einem Nachbar-ort zur Kirche gingen. Übrigens hierzu: Nikodemus hat Jesus auch schon bei Nacht aufgesucht!

Kurz nach der sogenannten Macht-ergreifung fand am Feuerteich ein Vor-beimarsch der SA und SS statt. Auf der Ehrentribüne war sogar ein Vikar aus dem Sauerland. Er hat wohl geglaubt, dass Hitlers „Mein Kampf“ nicht so ge-meint war. Er wurde aber schon bald eines Besseren belehrt.

Sicher hat es im Laufe der Jahrhunderte Päpste und Bischöfe gegeben, die sehr viel Unheil angerichtet haben. Aber – kann man denn dafür die von Christus eingerichtete Kirche verantwortlich ma-chen? Hatte doch Jesus schon unter seinen 12 Aposteln einen Verräter.

Wer hat sich nun eigentlich von den verantwortlichen Nazigrößen für ihre Verbrechen bis heute entschuldigt? Ich kannte nur eine Frau, die das älteste Parteibuch von Attendorn hatte. Nach dem Kriege zog sie wieder nach Atten-dorn und lebte ganz erbärmlich in einerkleinen Baracke. Sie hat mir zigmal ge-sagt: „Meinen jetzigen beklagenswer-ten Zustand habe ich wirklich verdient.“

Zum Schluss noch ein Ausspruch von Hitler in einer seiner Reden: „Mit der ka-tholischen Kirche werde ich nach dem Kriege abrechnen!“

Josef Hormes, im April 2000

Anmerkung der Redaktion: Josef Hormes hat dem Verein für Orts-und Heimatkunde Attendorn e.V. eine Reihe von Artikeln hinterlassen, die wirin loser Folge veröffentlichen. In diesenBeiträgen, die um das Jahr 2000 ent-standen sind, blickt er zurück auf sein Leben und rückt historische Ereignis-se in den Attendorner Kontext. Er gibt dabei seine ganz persönliche Sicht der Dinge wieder und hat bei der Übergabeseiner Texte darum gebeten, seine Be-richte ohne Kürzungen zu veröffentli-chen.

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Zum Ende des zweiten Weltkrieges in Attendorn im Bereich Wassertor/ Am Gerbergraben

von Georg Ortmann

Zeichnung: Georg Ortmann

Nachempfundene Situation rund um das Wassertor vor dem Einzug der Amerikaner am 11. April 1945. Die Straßen wurden nach dem Bombenangriff von Anwohnern

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Zum Ende des zweiten Weltkrieges in Attendorn im Bereich Wassertor/ Am Gerbergraben

von Georg Ortmann

Zeichnung: Georg Ortmann

Nachempfundene Situation rund um das Wassertor vor dem Einzug der Amerikaner am 11. April 1945. Die Straßen wurden nach dem Bombenangriff von Anwohnern

und Helfern notdürftig frei geräumt, auch Kriegsgefangene unter Bewachung wurden hierzu eingesetzt.

Zeichnung: Georg Ortmann

Haus Stern, Ostwall 93, vor dem Bombenangriff am 28. März 1945, Ansicht der Westseite.

Beschreibung der Westseite nach dem Bombenangriff:

Das Haus hatte den Bombenangriff verhältnismäßig unbeschädigt überstanden. Man denke an die völlig zerstörten Häuser Rodomski, Kolpinghaus und die, in unmittelba-rer Nähe stehenden, Reihenhäuser am Gerbergraben. Die Westseite des Hauses Stern zeigte eine, vom Luftdruck verursachte, leichte Schieflage des Türmchens. Das Gitter am kleinen Balkon war zerstört. Die Dachrinnen und Fallrohre hingen in mehre-ren Teilen herunter. Fenster und Rollläden waren zersplittert, und der Putz hatte überall Beschädigungen, die teilweise bis auf das rote Ziegelmauerwerk reichten. Aus den Fenstern und vom Balkon hatte man den Blick auf das unfassbare Zerstö-rungswerk.

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