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Vertikale Bindungen in der Automobilbranche Seminararbeit Themensteller: Dr. Jürgen E. Blank Fachbereich Wirtschaftswissenschaften Technische Universität Kaiserslautern Vorgelegt von: Sebastian Schäfer Dennis Schäfer

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Vertikale Bindungen in der

Automobilbranche

Seminararbeit

Themensteller: Dr. Jürgen E. Blank

Fachbereich Wirtschaftswissenschaften

Technische Universität Kaiserslautern

Vorgelegt von:

Sebastian Schäfer

Dennis Schäfer

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I

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis..................................................................................................... I

Abbildungsverzeichnis ............................................................................................ II

1 Einleitung .........................................................................................................1

2 Zulieferer und Hersteller ..................................................................................3

2.1 Akteure der Automobilproduktion ............................................................3

2.1.1 Hersteller ............................................................................................3

2.1.2 Zulieferer ............................................................................................4

2.2 Wandel der Kommunikationsaktivität .......................................................5

2.3 Situation der Zulieferer .............................................................................7

2.4 Lieferantenbeziehungen ............................................................................9

2.5 Beschaffungsstrategien ............................................................................10

2.5.1 Single Sourcing ................................................................................11

2.5.2 Dual Sourcing ..................................................................................12

2.5.3 Multiple Sourcing ............................................................................12

2.5.4 Local/Domestic Sourcing .................................................................13

2.5.5 Global Sourcing ...............................................................................13

2.5.6 Modular Sourcing ............................................................................14

2.6 Zukünftige Entwicklungen ......................................................................15

3 Automobilvertrieb ..........................................................................................18

3.1 Automobilwirtschaftliche Vertriebssysteme ...........................................20

3.2 Relevante Veränderungen der Umweltbedingungen ...............................22

3.2.1 Politisch-rechtliche Veränderungen .................................................22

3.2.2 Weitere Veränderungen ...................................................................25

3.3 Vertikale Bindungen im Automobilvertrieb............................................26

3.4 Prognosen im Automobilvertrieb ............................................................30

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II

4 Fazit ................................................................................................................30

Literaturverzeichnis ...............................................................................................32

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1-1: Grad der vertikalen Bindung ..........................................................2

Abbildung 2-1: Zulieferer-Pyramide .......................................................................5

Abbildung 2-2: Lieferanten-Pyramide ...................................................................15

Abbildung 2-3: BIP und Fahrzeugabsatz für BRIC-Staaten und Triaden .............16

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1 Einleitung

Die Automobilindustrie spielt eine zentrale Rolle in der Weltwirtschaft. Sie gilt als

globale Kernindustrie und ist ein wichtiger Motor für Wachstum und Innovation.

Die Branche beschäftigt Ingenieure in der Forschung und Entwicklung, Arbeiter in

der Fertigung und in der Montage, sowie Dienstleister im Service und im Vertrieb.

Mit weltweit mehreren Millionen Menschen ist sie einer der größten Arbeitgeber

im verarbeitenden Gewerbe.1 Durch die enge Verflechtung mit anderen Segmenten

der Wirtschaft und dem hohen Beschäftigungsgrad profitieren andere

Wirtschaftszweige, wie beispielsweise die Ölindustrie, die Finanz- und

Versicherungsbranche oder das Transportwesen, von der Automobilindustrie2.

Der grob in Hersteller, Zulieferer und den Vertrieb unterteilbare Industriezweig

macht vor allem in den Triaden-Märkten einen großen Teil der industriellen

Gesamtwertschöpfung aus. So macht die Fahrzeug- und Komponentenherstellung

in Europa 14%, in den USA 13% und in China, als größte automobilproduzierende

Nation, im Schnitt rund 9% der Wertschöpfung aus.3 Aufgrund ihrer Bedeutung für

die Wirtschaft hatte die Branche in ihrer Geschichte immer wieder stark mit

internationalen Krisen, wie z.B. dem zweiten Weltkrieg oder der Finanz- und

Wirtschaftskrise 2008/2009, zu kämpfen. Aktuell sieht sie sich zunehmend mit

Problemen konfrontiert, an die es sich langfristig anzupassen gilt, um auch

weiterhin einen Aufschwung gewährleisten zu können. Das Anhalten des

Wachstums in den Schwellenländern treibt Urbanisierung und Klimawandel weiter

voran. Die darin begründete Entstehung neuer Märkte führt zu einer

Interessenverschiebung bei dem Endverbraucher und somit letztendlich zu einer

Veränderung der Nachfragestrukturen.4

Die oben geschilderten Sachverhalte werfen die Frage auf, wie sich die komplexen

Strukturen der Automobilindustrie in solch einem dynamischen Umfeld

koordinieren lassen. Tatsächlich stellt diese Frage eines der Kernprobleme der

Branche dar.

1 Daimler Nachhaltigkeitsbericht (2011), S. 54. 2 OECD Wirtschaftsausblick (2009), S. 86. 3 Daimler Nachhaltigkeitsbericht (2011), S. 54. 4 TAB-Arbeitsbericht (2012), S. 5 f.

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Geprägt ist die Automobilindustrie von vertikal organisierten

Unternehmensnetzwerken, in denen die Hersteller die Systemführerschaft

übernehmen. Letztere koordinieren den Markt, indem sie die anderen

Marktteilnehmer an sich binden. Die dadurch entstehenden „vertikalen Bindungen“

können verschieden stark ausgeprägt sein. Wird die Beziehung zwischen dem

Hersteller und dem Zulieferer bzw. dem Vertrieb ausschließlich durch

Marktmechanismen bestimmt, dann ist keine vertikale Bindung vorhanden. Kauft

der Hersteller beispielweise einen Zuliefererbetrieb, dann liegt eine sogenannte

„vollständige vertikale Integration“ vor. Der Hersteller erhält die uneingeschränkte

Kontrolle über den Zulieferer.

Gerade in der Automobilindustrie findet man zwischen diesen beiden Extremfällen

eine Vielzahl verschiedener Ausprägungsformen. So unterscheiden sich die

Bindungen nicht nur in Hinblick auf ihre Intensität, sondern auch in der Art, wie sie

entstehen (z.B. durch Verträge, oder das Ausnutzen von Marktmacht).

Abbildung 1-1: Grad der vertikalen Bindung

In den nachfolgenden Kapiteln sollen vertikale Bindungen sowie ihre

Auswirkungen auf die beteiligten Parteien anhand der Beziehungen zwischen den

wichtigsten Gliedern der automobilwirtschaftlichen Wertschöpfungskette

untersucht werden.

Steuerung durch Marktmechanismen

vertikale Bindungen Bsp. rechtlich gebundene

Vertragspartner

vollständige vertikale Integration

Bsp. Tochtergesellschaft

Der Grad der vertikalen Bindung nimmt durch Vorwärtsintegration zu.

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2 Zulieferer und Hersteller

2.1 Akteure der Automobilproduktion

Im diesem Kapitel steht der produzierende Teil der automobilwirtschaftlichen

Wertschöpfungskette im Mittelpunkt. Die beiden wichtigsten Akteure in diesem

Zusammenhang sind Automobilzulieferer und –hersteller. Der Fahrzeugzulieferer

sorgt für die optimale Versorgung der Fahrzeughersteller mit Rohstoffen,

Komponenten, Systemen und diversen anderen Teilen, um dadurch eine innovative

und flexible Produktion zu ermöglichen. Neben ihrer Beschaffungsaufgabe

besitzen Zulieferer zunehmend eine produzierende Funktion. Der

Fahrzeughersteller, auch OEM (Original Equipment Manufacturer) genannt, ist in

diesem Kontext für die Montage der Teile und die Organisation einer flexiblen

Produktion zuständig. Letztere kann nur durch eine enge Zusammenarbeit mit den

Zulieferern gewährleistet werden. Das sich daraus ergebende, komplexe Verhältnis

der beiden Parteien, wird in diesem Kapitel Gegenstand der Betrachtungen sein.

2.1.1 Hersteller

Die Einführung der Fließbandproduktion durch Henry Ford 1913 löste die

bestehende Einzelmanufaktur ab worauf hin sich eine Zweiklassengesellschaft,

unterteilt in Premium- und Massenhersteller, entwickelte. Die Massenhersteller

setzten auf die Strategie der Kostenführerschaft. Um die Preise niedrig zu halten,

ist eine große Beschaffungs- und Ausbringungsmenge notwendig. Dabei besteht

die Gefahr von Qualitätsmängeln, einem geringen Individualisierungsgrad und dem

damit einhergehenden Mangel an technischem Kownhow durch fehlende

Investitionen in F&E. Dies kann zu einem Imageschaden des Herstellers führen.

Bei den Premiumherstellern hingegen ist die Stückzahl produzierter Fahrzeuge

geringer. Durch die starke Vernetzung und Zusammenarbeit mit ihren Lieferanten

ist es diesen Herstellern möglich, Fahrzeuge mit hoher Qualität zu produzieren,

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verstärkt Innovationen zu entwickeln und dadurch eine Technologieführerschaft zu

generieren.5

Um weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben, sind die Fahrzeughersteller

gezwungen, sich den wandelenden Umweltbedingungen anzupassen. Durch

Erweiterung des Modell- und Variantenangebots (Proliferation) wird versucht eine

breitere Zielgruppe anzusprechen um somit mehr Marktanteile zu erobern (Full-

Line-Anbieter).6 Auch eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit der

Hersteller mit ihren Zulieferern gewinnt immer mehr an Bedeutung.

2.1.2 Zulieferer

Zulieferer werden in der Automobilbranche anhand der Wertschöpfungsstufe oder

auf Grundlage ihres Wertschöpfungsumfangs unterschieden. Differenziert man

anhand der Wertschöpfungsstufe, werden Zulieferer in Tier-0,5, -1, -2 und -3

unterteilt. Werden Lieferanten in Bezug auf ihren Lieferumfang beschrieben,

werden Teile-, Komponenten-, Modul-, System- und Generalunternehmen

genannt.7

Während Tier-3 Supplier Teile an den Hersteller und den ihnen vorgelagerten

Supplier liefern, kümmern sich Tier-2 Supplier um die Produktion und den

Transport der Komponenten zum Hersteller und den Tier-1 Suppliern. Letztere sind

für die Fertigung und Planung von Modulen und komplexen Systemen zuständig.

Diese werden dann JIT (Just-In-Time) oder JIS (Just-In-Sequence) in die laufende

Produktion des OEMs eingebunden. Tier-1 Supplier vereinen Kompetenzen der

vorgelagerten Zuliefererebenen und koordinieren diese.8 Dabei wird neben einer

horizontalen Integration auch die vertikale Integration der Tier-1 Supplier mit den

Lieferanten der Tier-2 und -3 Ebene vorangetrieben, um so einen Synergieeffekt

bei der Sequenzierung und Bereitstellung in der Montage zu generieren.9

5 Vgl. TAB-Arbeitsbericht (2012), S. 18. 6 Vgl. Wallentowitz/ Freialdenhoven/ Olschewski (2009), S. 28. 7 Vgl. VDA-Empfehlung 4961/3 (2012), S. 38. 8 Vgl. Wallentowitz/ Freialdenhoven/ Olschewski (2009), S. 40. 9 Vgl. Klug (2010), S. 119.

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In einigen Quellen wird zwischen Tier-0,5 und Tier-1 Supplier nicht unterschieden.

Zumeist wird jedoch von einem Tier-0,5 Supplier ausgegangen. Solche Lieferanten

sind Generalunternehmen, die für die Produktion bis hin zur Entwicklung

kompletter Fahrzeuge verantwortlich sind.10 In der Literatur wird von einer

Zulieferer-Pyramide gesprochen. Dadurch wird, wie die folgende Abbildung zeigt,

eine hierarchische Ordnung hergestellt.

Abbildung 2-1: Zulieferer-Pyramide11

Jedoch kann das hierarchische Modell in jüngster Zeit als veraltet angesehen

werden. Die zunehmend enge Verzahnung, Verknüpfung und Kommunikation

verschiedener Zulieferunternehmen untereinander lassen eine Entwicklung hin zu

einer Netzwerkstruktur vermuten.12

2.2 Wandel der Kommunikationsaktivität

Im Laufe der Geschichte änderte sich das Verhältnis von Zulieferer und Hersteller

mehrfach. Mit der Erfindung der Fließbandproduktion war es möglich, eine große

Stückzahl an Fahrzeugen herzustellen. Dies führte zu einer Kostendegression, die

Fahrzeugpreise sanken und die Nachfrage stieg stark an. Jedoch ging die frühe

Fließbandproduktion mit einer hohen Wertschöpfungstiefe, einer starken vertikalen

10 Vgl. Wallentowitz/Freialdenhoven/ Olschewski (2009), S. 1; Heigl/Rennhak (2008), S. 8 f. 11 Eigene Darstellung in Anlehnung an Wallentowitz/Freialdenhoven/Olschewski. 12 Vgl. Heigl/Rennhak (2008), S. 29.

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Integration und einem hohen Standardisierungsgrad einher. Die Rolle des

Zulieferers war nahezu unwichtig. In der Automobilbranche spricht man von der

“ersten Revolution“. Die Philosophie war damals, dass sämtliche Teile nur dann in

erforderlicher Menge und Qualität bereitgestellt werden können, wenn sie selbst

gefertigt werden.13 Jedoch hatte die fast vollständige vertikale Integration

produktive Ineffizienzen zur Folge. Produktionsprozesse wurden nicht weiter

optimiert.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs löste das „Lean Management“ die vertikale

Integration ab und die Automobilhersteller begannen zu kooperieren. Wegen des

Krieges waren Raum und Ressourcen knapp, und um weitere Lagerkosten zu

vermeiden, wurden Lieferanten benötigt. Diese waren für die Just-In-Time-

Produktion unerlässlich. Doch von der Beziehung zwischen Zulieferern und OEM

wurde kaum profitiert. Die Kooperationen beschränkten sich fast ausschließlich auf

die Produktion wobei der Fokus zunehmend auf Personal- und Lagerhaltung lag.

Fehlende Neuerungen durch geringe Investitionen in F&E sowie störanfällige Just-

IN-Time-Produktion, fehlende Sicherheitspuffer und Qualitätsmängel waren die

Folgen.14 Die Hersteller waren auf externes Wissen angewiesen.

Während bei der ersten und zweiten Revolution vorwiegend die Optimierung des

Produktionsprozesses im Mittelpunkt stand, hatte man nun aus den begangenen

strategischen Fehlern gelernt. Anfang des neuen Jahrtausends wird die lineare

Wertschöpfungskette aufgelöst und Allianzen werden gebildet. Netzwerke

entstehen und es wird immer mehr auf die Entwicklung und das Angebot neuer

Produkte gesetzt.15 Dies ließ zwangsläufig die Kooperationsintensität zwischen

Hersteller und Zulieferer weiter ansteigen. Das spiegelt sich auch in der

Verschiebung der Wertschöpfungsanteile der beiden Akteure wider. In den letzten

Jahren ist eine zunehmende Verlagerung von Aufgaben der OEM zu den

Zulieferern hin zu beobachten.16 Gründe für die Verlagerung sind wachsender

Kostendruck und die Notwendigkeit von Proliferation durch zunehmende

Konkurrenz, die hohe Dynamik neuer Technologien sowie kürzere

13 Vgl. Hüttenrauch/Baum (2008), S. 10. 14 Vgl. ebenda, S. 13 ff. 15 Vgl. Heigl/Rennhak (2008), S. 29. 16 Vgl. TAB-Arbeitsbericht (2012), S. 36.

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Produktlebenszyklen und die steigende Komplexität von Modulen und Bauteilen.17

Mit Hilfe dieser Strategie wird das Verlangen der Kunden, nach mehr Sicherheit,

Technik, Individualität und Qualität gestillt. Die Hersteller sind dadurch in der

Lage, steigenden Fixkosten zu vermeiden und flexibel auf sich verändernde

Bedingungen zu reagieren, wodurch sie langfristig wirtschaftlich unabhängig

bleiben können.18

Durch den Aufbau zusätzlicher Kernkompetenzen der Hersteller gewinnen

Zulieferer, vor allem in F&E, immer mehr Wertschöpfungsanteile. Zwar kümmern

sich Fahrzeughersteller noch um die Führung, Steuerung, Planung und Organisation

des Unternehmens, verringern jedoch ihre Wertschöpfungstiefe und überlassen

einen Großteil der Produktion ihren Zulieferern.19 Hierfür werden Gründe wie

Einsparmaßnahmen oder die Minimierung des Produktionsrisikos genannt.20

Heutzutage besitzen Automobilzulieferer einen Gesamtwertschöpfungsanteil von

rund 75% an der Produktion eines Kraftfahrzeugs.21 Tendenz steigend.

2.3 Situation der Zulieferer

Heute spielen Zulieferer eine enorm wichtige Rolle in der Automobilbranche. Sie

ermöglichen den Herstellern eine innovative, kostengünstige und flexible

Produktion. Eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit ihren Zulieferern ist für OEM

ein wichtiger Erfolgsfaktor und gilt als unverzichtbarer strategischer

Wettbewerbsvorteil.

Jedoch sehen sich Automobilzulieferer zunehmend Problemen gegenübergestellt:

Aufgrund der zunehmenden Globalisierung investieren immer mehr Hersteller in

den Auf-, und Ausbau von Produktions-, Vertriebs- und Entwicklungsstandorten

und erwarten dies auch von ihren Lieferanten. Verstärktes Outsourcing der OEM

erfordert einen Kompetenzausbau der Zulieferer in allen Fahrzeugbereichen.

17 Vgl. Wallentowitz/Freialdenhoven/Olschewski (2009), S. 30 f. 18 Vgl. ebenda, S. 31. 19 Vgl. Hüttenrauch/Baum (2008), S.18; Heigl/Rennhak (2008), S. 12 f. 20 Vgl. TAB-Arbeitsbericht (2012), S. 36. 21 Vgl. Fast 2025 (2012), S. 50.

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Abgesehen von globalen Systemlieferanten wie Bosch, Continental und Denso sind

Automobilzulieferer zumeist mittelständische Unternehmen, die eher national

aufgestellt sind. Sie können sich somit einen solch kapitalintensiven Schritt nicht

leisten oder halten dem zunehmenden Wettbewerbsdruck durch die stetig sinkende

Zahl an Kunden nicht stand.22 Sie beliefern zum größten Teil OEM und

übergeordnete Zulieferer, die im jeweiligen Land positioniert sind. Mittelständische

Lieferanten untergeordneter Ebenen sind dadurch im Gegensatz zu den Herstellern,

Systemlieferanten und Generalunternehmen, die in Wachstumsregionen mit

umfangreichen Produktions- und Entwicklungskapazitäten große Gewinne

einfahren, wesentlich schlechter aufgestellt. National aufgestellte mittelständische

Unternehmen haben kaum Chancen, ihre Ware zu exportieren und neue Märkte zu

erschließen, da es für den OEM günstiger wäre, seine Leistungen, zum Beispiel von

regionalen Zulieferern im asiatischen oder südamerikanischen Raum, zu

beziehen.23 So lässt sich in den meisten Fällen eine Abhängigkeit der Zulieferer von

den Herstellern erkennen.

Die wenigen Abnehmer und die hohe Zahl an Zulieferunternehmen lässt die

Verhandlungsmacht der Hersteller ansteigen. Jährliche, vertraglich vereinbarte

Preissenkungen für gelieferte Produkte sind die Folge. OEM erwarten dabei

bessere, innovativere Teile und Materialien sowie höhere Qualität. Um dies zu

gewährleisten, sind große finanzielle Vorleistungen nötig. Der harte Wettbewerb

und der Margendruck aufgrund steigender Rohstoffpreise sind weitere Probleme.24

Die Zulieferer nehmen dabei ein hohes Risiko auf sich.

Zunehmendes Outsourcing, komplexer werdende Produktionsabläufe sowie immer

kompliziertere technische Herausforderungen zwingen die Hersteller zur Abgabe

von Knowhow an ihre Zulieferer. Deren Anteil an der Gesamtwertschöpfung eines

Fahrzeuges nimmt folglich zu. Dadurch geraten nun auch Hersteller verstärkt in

eine Abhängigkeit von den Lieferanten. Für letztere ist dieser Machtzuwachs ein

Anreiz, größere Risiken einzugehen.

Da Zulieferer viel in F&E investieren müssen, um weiterhin wettbewerbsfähig zu

bleiben, kommt es vereinzelt zur Entstehung von Kernkompetenzen, die ihnen

22 Vgl. Wallentowitz/Freialdenhoven/Olschewski (2009), S. 39. 23 Vgl. TAB-Arbeitsbericht (2012), S. 7. 24 Vgl. ebenda, S. 39.

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einen großen Vorteil gegenüber anderen Marktteilnehmern sichern. Diese

Unternehmen werden von OEM finanziell unterstützt, um immer schneller neue

innovative Teile entwickeln und liefern zu können. Je nach Wichtigkeit des

Zulieferers kann dieser auch von mehreren Herstellern vor einer drohenden

Insolvenz bewahrt werden. Solche Unternehme können ihre Umsätze, durch

Outsourcing ihrer Abnehmer weiter steigern und haben dadurch eine Chance den

Gesamtmarkt zu vergrößern.25 Wachsender Globalisierungszwang und immer

kostenintensivere Investitionen in neue Technologien, vor allem im Bereich

Antrieb und Fahrzeugvernetzung26 lassen, durch Fusion und Akquisition mehrerer

Zulieferer, gleicher und untergeordneter Ebenen, voraussichtlich wenige

Megalieferanten27 entstehen.

2.4 Lieferantenbeziehungen

Eine gute Lieferantenbeziehung ist ein bedeutender Faktor für jedes beschaffende

Unternehmen. Sie ermöglicht dem Hersteller eine permanente und zuverlässige

Versorgung mit benötigten Gütern in geforderter Qualität. Je nach Zielsetzung und

Philosophie des Abnehmers variieren die Ansprüche an die Zulieferer.

So kann es zu einer Vereinbarung kommen, bei der Hersteller und Zulieferer

Knowhow austauschen und gemeinsam an Forschung und Entwicklung arbeiten.

Dabei entsteht eine starke vertikale Bindung zwischen den beiden Akteuren und

deren Abhängigkeit von einander nimmt zu. Es besteht jedoch auch die

Möglichkeit, dass sich der Hersteller, zum Beispiel aufgrund von Kostenvorteilen,

für den Aufkauf eines Logistikunternehmens entscheidet, was eine vollständige

vertikale Integration des Lieferanten bedeutet.

Aufgrund der Globalisierung und der zunehmenden Auslagerung von Prozessen

steigt die Abhängigkeit der OEM von seinen Lieferanten. Deswegen ist es für ein

Unternehmen wichtig, zuverlässige Zulieferer zu finden. Aber nicht jeder Zulieferer

erfüllt die gewünschten Anforderungen und Vorgaben des Herstellers.

25 Vgl. Wallentowitz/Freialdenhoven/Olschewski (2009), S. 37. 26 Vgl. VDA Jahresbericht (2013), S. 37. 27 Vgl. Zobolski (2010), S. 73.

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Um einen oder mehrere geeignete Zulieferer zu finden, gilt es die Situation auf den

Beschaffungsmärkten zu analysieren und den Grad der Zusammenarbeit mit den

jeweiligen Lieferanten zu bestimmen und zu optimieren.28 Preis und Qualität sind

wichtige Kriterien bei der Beurteilung von Lieferanten, aber auch der finanzielle

Status des Zuliefererunternehmens und dessen Forschungs- und

Entwicklungsintensität spielen eine große Rolle.29 Ein Vertrag mit dem Zulieferer,

in dem Menge, Preis und Qualität der zu liefernden Güter über kurz oder lang

festgelegt sind, sichert eine optimale Versorgung.

Trotz penibler Lieferantenauswahl kann es noch zu Problemen bei Lieferungen

kommen. Politische Unruhen, Naturkatastrophen oder finanzielle Probleme auf

Seiten des Zulieferers können ein Beschaffungsrisiko darstellen. Falls die Ware

nicht rechtzeitig eintrifft, kann es, ohne Risikomanagement, zum Produktionsstopp

und dadurch zu großen Verlusten kommen. Dies kann im schlimmsten Fall zu einer

Insolvenz des Herstellers führen. Verträge mit mehreren Lieferanten oder ein enger

Kontakt zu lokalen Zulieferern sind Möglichkeiten, Engpässen vorzubeugen und

somit im Falle eines Lieferantenausfalls abgesichert zu sein.

Preis- und Lagerrisiken sind ebenfalls Probleme, auf die es sich einzustellen gilt.

Durch den steigenden Bedarf an Rohstoffen wie Aluminium und Stahl kommt es

immer wieder zu extremen Preissteigerungen. Um das Preisrisiko zu senken,

können mehrjährige Vertragslaufzeiten mit Rohstofflieferanten abgeschlossen

werden. Dadurch lassen sich zusätzlich Investitions- und Lagerkosten vermeiden.30

2.5 Beschaffungsstrategien

Die Auswahl der geeigneten Lieferanten ist wichtig um einen optimalen

Materialfluss zu gewährleisten. Dabei legt die gewählte Sourcing Strategie fest, von

wem und was auf welche Art und Weise geliefert wird. Damit ist sie die Grundlage

einer leistungsfähigen Logistik. Es gilt sich gegen etwaige Risiken auf den

Beschaffungsmärkten abzusichern, wobei der Fahrzeughersteller eine seinen

28 Vgl. Wannenwetsch (2009), S. 129. 29 Vgl. ebenda, S. 133. 30 Vgl. ebenda, S. 157 ff.

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Bedürfnissen angepasste Beschaffungsstrategie wählen muss, um eine

einwandfreie Lieferung zu garantieren.

Dabei werden folgenden Strategien unterschieden:

Single Sourcing

Dual Sourcing

Multiple Sourcing

Local/Domestic Sourcing

Global Sourcing

Modular Sourcing

Im Folgenden wird auf die einzelnen Beschaffungsstrategien weiter eingegangen.

2.5.1 Single Sourcing

Unter Single Sourcing wird die Strategie verstanden, bei der der Hersteller von nur

einem Zulieferer beliefert wird.31 Diese Lieferanten sind meist Systemlieferanten

(Tier-1) oder Generalunternehmen (Tier-0,5), die für die Entwicklung und

Bereitstellung komplexer Systeme, bis hin zur kompletten Konstruktion von

Fahrzeugen, zuständig sind. Vor allem im Bereich der Automobilelektronik wird

häufig die Single-Sourcing-Strategie angewandt. Die Voraussetzungen hierfür sind

unter anderem das frühe Einbeziehen des Lieferanten und der regelmäßige

Austausch von Knowhow.32 Eine langfristige, vertrauenswürdige Partnerschafft ist

dafür nötig. Diese bringt jedoch neben der geringen logistischen Komplexität und

den Preisvorteilen,33 die aus einer solchen Beziehung hervorgehen, auch Nachteile

mit sich:

Da das Beschaffungsobjekt exakt nach den Vorgaben des Herstellers gefertigt

wurde, ist ein Lieferantenwechsel nicht mehr so einfach möglich.34 Damit ist die

Qualität der gelieferten Teile vom Zulieferer abhängig, und bei fehlendem

31 Vgl. Klug (2010), S. 117. 32 Vgl. Wannenwetsch (2009), S. 164 f. 33 Vgl. Klug (2010), S. 117 f. 34 Vgl. Wannenwetsch (2009), S. 164.

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Knowhow kann im Notfall auch keine Verbesserung erzielt werden.35 Ein hoher

Grad an vertikaler Bindung führt zudem zu einem Flexibilitätsverlust und somit

kann es bei Ausfall des Zulieferers zu kritischen Engpässen kommen. Das

wiederrum führt zu Verlusten auf Seiten des Herstellers.

2.5.2 Dual Sourcing

Beim Dual Sourcing hingegen werden Güter von genau zwei Lieferanten bezogen,

die untereinander konkurrieren.36 Die Strategie dient als Sicherheitsstrategie und

gewährleistet die fristgerechte und flexible Versorgung mit benötigten Waren.37

Daher eignet sich Dual Sourcing vor allem für die Beschaffung von Komponente

und Engpassgütern.38 Diese sollten zu einem guten Preis, in guter Qualität pünktlich

geliefert werden. Dafür sorgt der Wettbewerb zwischen den Zulieferern. Derjenige

Lieferant, der zu besseren Konditionen liefert, erhält ein höheres

Beschaffungsvolumen.39 Ein solcher Wettbewerb verbessert den Service, die Preise

sinken und Qualität sowie Zuverlässigkeit steigen.

Durch die Vielzahl an Zulieferern und die abnehmende Zahl an Herstellern können

diese einen großen Druck auf die Lieferanten ausüben. Die Preise sinken weiter.

Einige Zulieferer können Produkte nicht zu Niedrigstpreisen verkaufen, da eine

günstigere Produktion für sie nicht möglich ist. In diesen Fällen droht häufig die

Insolvenz.

2.5.3 Multiple Sourcing

Beim Multiple Sourcing hingegen beziehen Hersteller ihre Güter und

Dienstleistungen von mehreren Zulieferern, wobei diese eine kleinere

Beschaffungsmenge liefern.40 Eine solche Strategie garantiert nahezu immer die

Lieferung der Ware. Produktionsstopps auf Grund von Lieferantenausfällen treten

somit nur noch sehr selten auf. Durch die große Anzahl an konkurrierenden

35 Vgl. Wannenwetsch (2009), S. 165. 36 Vgl. ebenda, S. 166. 37 Vgl. Kleinaltenkamp/Saab (2009), S. 24. 38 Vgl. Wannenwetsch (2009), S. 166. 39 Vgl. dies. (2004), S. 60. 40 Vgl. Klug (2010), S. 117.

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Zuliefererunternehmen besteht ein harter Wettbewerb. Es kommt zu positiven

Preisverhandlungen auf Seiten des Herstellers und im Gegensatz zum Dual

Sourcing ist die Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten nicht so hoch.41 Somit ist

diese Art von Sicherheitsstrategie bei Teilen und Halbteilen mit hohem

Standardisierungsgrad besonders vorteilhaft.

2.5.4 Local/Domestic Sourcing

Local Sourcing bezeichnet das Beschaffen von Waren aus unmittelbarer

Umgebung.42 Dies ermöglicht eine flexible Lieferantenbeziehung bei minimalen

logistischen Störungen. Durch die Nähe vom Zulieferer- zum

Herstellerunternehmen werden die Transportkosten niedrig gehalten und benötigte

Waren können schnell und ohne weitere Komplikationen beschafft werden.43

Jedoch sind harte Verhandlungen und hohe Preise die Folge. Bei Gütern, die im

Gegensatz zum Local Sourcing ausschließlich von Zulieferern aus dem Inland

bezogen werden, spricht man vom Domestic Sourcing.44

2.5.5 Global Sourcing

Internationale Unternehmen, die häufig als Global Player bezeichnet werden,

verwenden das Prinzip des Global Sourcing. Sie beziehen ihre Güter, wie zum

Beispiel Rohstoffe, Teile und Komponenten, von verschiedensten Lieferanten auf

der ganzen Welt.45 Dafür ist eine ausgiebige Lieferantenanalyse notwendig. Preis,

Qualität, Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit müssen optimal sein, damit

Probleme bei der Beschaffung vermieden werden. Die große weltweite Auswahl an

Toplieferanten und die günstige Herstellung von Gütern durch Massenproduktion

in Niedriglohländern sind die Vorteile des Global Sourcing.46 Doch aufgrund der

weltweiten Beschaffung sind Preise unter anderem von Wechselkursschwankungen

41 Vgl. Kleinaltenkamp/Saab (2009), S. 16. 42 Vgl. ebenda, S. 18. 43 Vgl. Wannenwetsch (2009), S. 168. 44 Vgl. Kleinaltenkamp/Saab (2009), S. 18. 45 Vgl. Klug (2010), S. 121 f. 46 Vgl. Wannenwetsch (2009), S. 169 f.; Klug (2010) S. 122.

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und eventuellen Lohnanstiegen im Ausland abhängig. Zusätzlich kann es vor allem

durch die weiten Entfernungen zum Lieferanten, zu Lieferschwierigkeiten oder

Qualitätsmängeln kommen. 47

Globale Automobilhersteller wie Volkswagen oder Toyota sowie internationale

Zuliefererunternehmen wie Bosch und Continental/Schäffler gehören zu den

weltweit größten Akteuren in der Automobilbranche und sind auf Global Sourcing

angewiesen. Somit können diese Unternehmen die stetig steigende Nachfrage

stillen, um sich so Wachstum und eine starke Position im Wettbewerbsumfeld zu

sichern.

2.5.6 Modular Sourcing

Als Modular oder System Sourcing bezeichnet man die Beschaffung komplexer

Systeme von wenigen Modul- und Systemlieferanten. Diese fungieren als

Unternehmen, die Komponenten, Teile und Rohmaterial von anderen

Zuliefererunternehmen beziehen, um daraus zum Beispiel ganze Cockpits oder

Sitzreihen zu fertigen.48 Solche werden meist JIT oder JIS in den

Produktionsprozess eingebunden.49 Damit vereinen System- und Modullieferanten

Kompetenzen aus den ihnen vorgelagerten Zuliefererebenen. Dies bedeutet eine

erhebliche Reduzierung benötigter Lieferanten.50 Modular Sourcing hat folglich

den Vorteil, dass unnötige Kosten durch intelligenten Einsatz der Module bzw.

Systeme und durch die geringe Zahl an Zulieferern vermieden werden.51 Auch hohe

Flexibilität sowie kürzere Entwicklungszeiten und zusätzliches Knowhow zeichnen

die System-Sourcing-Strategie aus.52 Dadurch ist es dem Zulieferer möglich, eine

Vielzahl unterschiedlicher Systemvarianten zu produzieren, wodurch sich

Fahrzeuge nach Belieben konfigurieren lassen, um individuellen

Kundenanforderungen gerecht zu werden. Die Basis hierfür ist ein langes

vertrauensvolles Verhältnis zwischen Hersteller und Zulieferer.

47 Vgl. Wannenwetsch (2009), S.169; Klug (2010), S. 123 f. 48 Vgl. Kleinaltenkamp/Saab (2009), S. 18. 49 Vgl. Klug (2010), S. 120. 50 Vgl. ebenda, S. 119. 51 Vgl. Kleinaltenkamp/Saab (2009), S. 18. 52 Vgl. Wannenwetsch (2009), S. 173.

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Dieses wiederum bringt sowohl bereits erwähnte Vorteile als auch Nachteile mit

sich. Die Abgabe von Knowhow an den Zulieferer sowie der Verlust der eigenen

Fertigungstiefe sind die Konsequenzen.53 Außerdem entsteht eine gegenseitige

Abhängigkeit, die einen Lieferantenwechsel zunehmend schwieriger macht.54

Diese Beschaffungsstrategien lassen sich sehr gut auf die Zulieferer-Pyramide

übertragen. Dabei werden die verschiedenen Lieferantenebenen aufgezeigt und

ihnen vorteilhafte Strategien zugeteilt.

Abbildung 2-2: Lieferanten-Pyramide55

2.6 Zukünftige Entwicklungen

In unserer schnelllebigen Zeit steigen die Ansprüche an neue Technik und neuen

Produkten, und zwar in immer kürzeren Zeitabschnitten. Die wachsende

Gesellschaft, der Klimawandel und die damit einhergehende Forderung nach neuen

günstigen, effizienten Antriebsarten fördern immer kostenintensiveren

Investitionen in F&E.

Infolgedessen werden immer dichter aufeinanderfolgende Innovationssprünge

möglich. Sie prägen unsere heutige und zukünftige Industrie mit einer Flut an neuen

53 Vgl. Wannenwetsch (2009), S. 173. 54 Vgl. Klug (2010), S. 59. 55 Eigene Darstellung in Anlehnung an Wannenwetsch.

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Materialien und elektronischen Komponenten.56 Aufgrund des Klimawandels und

der Knappheit fossiler Energieträger ist eine effiziente Antriebsart von großer

Wichtigkeit. Damit steht die Automobilindustrie mit ihren Akteuren vor einem

erheblichen Entwicklungsdruck.

Der Wandel dieser zentralen Rahmenbedingungen erfordert eine schnelle

Anpassung der Branche. Ein wichtiger Aspekt ist der Wandel des

wirtschaftsgeografischen Nachfragemusters.57 Die in der Automobilbranche

stagnierenden Triaden lassen darauf schließen, dass die erfolgreichen

Schwellenländer die neuen wachsenden Absatzmärkte des Automobils darstellen.

Im nachfolgenden Schaubild wird dieser Aspekt genauer veranschaulicht.

Abbildung 2-3: BIP und Fahrzeugabsatz für BRIC-Staaten und Triaden58

Dabei ist festzustellen, dass der Fahrzeugabsatz mit dem Wirtschaftswachstum der

verschiedenen Regionen unmittelbar zusammen hängt.

Aufgrund der großen Bevölkerungsdichte in China und Indien wird die Nachfrage

nach Klein- und Kleinstwagen weiter steigen.59 Durch steigende Kraftstoffpreise

und Urbanisierung geht der Trend hin zu immer verbrauchsärmeren Fahrzeugen mit

geringer CO2 Emission. Immer mehr Investitionen seitens der Hersteller und der

Zulieferer fließen in die Forschung und Entwicklung von alternativen

Antriebstechnologien.60 Als Beispiel hierfür sind der hybride- und der rein

56 Vgl. Hüttenrauch/Baum (2008), S. 88 ff.;

Wallentowitz/Freialdenhoven/Olschewski (2009), S. 158 ff. 57 Vgl. OECD Wirtschaftsausblick (2009), S. 109. 58 Eigene Darstellung in Anlehnung an FAST 2025. 59 Vgl. TAB-Arbeitsbericht (2012), S. 8. 60 Vgl. FAST 2025 (2012), S. 64.

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batteriebetriebe Antrieb sowie ein durch Brennstoffzellen betriebener Motor zu

nennen.

Die Notwendigkeit solcher Technologien führt zu einer weiteren Reduktion der

Fertigungstiefe der Hersteller und dem daraus resultierenden Anstieg der

Wertschöpfungsanteile des Zulieferers.61 Vor allem bei der Entwicklung und

Produktion verschiedener Antriebsarten kommt es zu einer starken Verschiebung.

Forderungen der Kunden nach immer kleineren, verbrauchsärmeren und

kostengünstigeren Fahrzeugen sowie die Technologie mit ihren Möglichkeiten und

Grenzen lassen der Automobilindustrie Raum für Spekulationen.

Diversifikation spielt dabei eine wichtige Rolle. Es werden vier

Diversifikationsebenen genannt:62

1. Diversifizierung der verfügbaren und angebotenen Antriebskonzepte

2. Diversifizierung verwendeter Materialien (Nutzung leichterer Materialen,

um Gewicht und somit Energie zu sparen)

3. Ausbau der Modellpalette mit unterschiedlichen Karosserietypen sowie

neuen Kleinwagenkonzepten.

4. Erweiterung der Wertschöpfung der Hersteller von einem reinen Anbieter

von Fahrzeugen zu einem Anbieter von Mobilitätsdienstleistungen.

Nun stellt sich die Frage, auf welchen Ebenen Schwerpunkte gesetzt werden, um

auch in Zukunft weiterhin wirtschaftlich erfolgreich zu bleiben. Auch die

Nachfrage spielt dabei eine nicht unwesentliche Rolle:

Falls das Problem der geringen Reichweite von batteriebetriebenen Fahrzeugen

nicht gelöst wird oder die flächendeckende Versorgung durch

Wasserstofftankstellen nicht gewährleistet werden kann, dann würde die Nachfrage

nach derartigen Fahrzeugen kaum ansteigen.63 Ein weiterer Ausbau in diese

Richtung wäre nicht zukunftsweisend. Jedoch könnte auch ein anderes Szenario

eintreten:

61 Vgl. FAST 2025 (2012), S. 65. 62 Vgl. TAB-Arbeitsbericht (2012), S. 7. 63 Vgl. TAB-Arbeitsbericht (2012), S. 173 f.

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Falls erwähnte Probleme jedoch gelöst werden, fließen auch mehr Fördergelder in

einen solchen Industriezweig. Mehr Fortschritt in der Forschung würde die Preise

zur Finanzierung dieser Fahrzeuge weiter senken und somit die Nachfrage nach

derartigen Antriebskonzepten rasant ansteigen lassen.

Man geht auch davon aus, dass sich der Markt flexibler Mobilitätskonzepte

vergrößert: Die zunehmende Verfügbarkeit von Smartphones, die so konzipiert

werden, dass sie auch ältere Bevölkerungsschichten erreichen, führt zu einer

Attraktivitätssteigerung von Mobilitätskonzepten, wie z.B. „Carsharing“.64 Ein

eigenes Auto zu besitzen, damit nicht mehr zwingend notwendig.

Alle Marktteilnehmer müssen sich auf ein hartes Wettbewerbsumfeld einstellen, in

dem die richtige Strategie entscheidend ist. In Anbetracht der wachsenden

Bedeutung der BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China) und der

zukunftsfähigen Antriebs- und Mobilitätskonzepte sehen sich Hersteller wie auch

Zulieferer einer großen Herausforderung gegenüber.

3 Automobilvertrieb

Aufgabe der Distribution ist es, die Verfügbarkeit der Leistungen eines

Unternehmens für die Endkunden zu gewährleisten. Somit ist die Gestaltung der

Absatzwege („akquisitorische Distribution“) neben der Gestaltung des Transports

der Waren vom Hersteller zum Kunden („physische Distribution“) das primäre Ziel

der Distributionspolitik.65 Die akquisitorische Distribution wird im folgenden Text

im Mittelpunkt stehen.

In der Automobilwirtschaft kommt der Distributionspolitik eine besondere

Bedeutung zu. So spielt der Serviceaspekt bei einem komplexen und

wartungsintensiven Produkt wie dem Automobil bei der Gestaltung der

Absatzwege eine größere Rolle als in den meisten anderen Konsumgüterbranchen.

Auch das für die Automobilbranche typische Vorgehen, beim Verkauf eines

Neuwagens, einen Gebrauchtwagen in Zahlung zu nehmen und zu vermarkten zieht

64 Vgl. FAST 2025 (2012), S. 28. 65 Vgl. Ahlert (1996), S. 8 ff; Diez (2006), S. 265.

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Konsequenzen für die Gestaltung der Distributionsorgane nach sich.66 Doch

obwohl die Automobilindustrie in vielen Bereichen als sehr innovativ gilt, haben

sich ihre Absatzsysteme jahrzehntelang kaum verändert.67 So schrieben Jullens,

Smend Anfang des letzten Jahrzehntes noch: „Perhaps the most striking

characteristic of automotive retailing is its homogeneity…“68 Es dominiert

traditionell der indirekte Automobilvertrieb über Vertragshändler.69 Die damit

einhergehenden, eher längerfristig angelegten vertikalen Bindungen sind neben den

hohen Investitionen, die der Aufbau einer Vertriebsorganisation mit sich bringt, ein

Grund für die langsame Entwicklung der Distributionspolitik in der

Automobilindustrie. Sich verändernde Umweltbedingungen und EU-Verordnungen

haben jedoch dazu beigetagen, dass die Bedeutung des Distributionsmanagements

in den letzten Jahren erheblich zugenommen hat.70 Alternative Vertriebskanäle, wie

z.B. der Direktvertrieb über das Internet werden im hart umkämpften, europäischen

Automobilmarkt immer wichtiger für die Hersteller. Dadurch entstehen vertikal

organisierte Absatzkanalsysteme, welche aus verschiedenen, möglicherweise

konkurrierenden Absatzkanälen bestehen.71 Die Koordination dieser Absatzkanäle,

das sogenannte Multichannel Marketing, ist eine große Herausforderung für die

Hersteller. Denn neben Chancen wie der der Realisierung eines

Wettbewerbsvorteils bringt dieses System auch Risiken mit sich. Als relevantestes

Risiko ist hier der, durch konkurrierende Absatzkanäle entstehende

Kanibalisierungseffekt zu nennen.72 Darüber hinaus bringen Mehrkanalsysteme

verschiedene Ausprägungen vertikaler Bindungen mit sich. Auf diesen Punkt wird

später näher eingegangen.

Im Folgenden soll ein Überblick über die Struktur der automobilwirtschaftlichen

Distributionssysteme verschafft und einzelne, wichtige Vertriebskanäle vorgestellt

werden.

66 Vgl. Diez (2006), S. 266. 67 Vgl. Graf (2008), S. 1. 68 Vgl. Jullens/Smend (2003), S. 96. 69 Vgl. Graf (2008), S. 1. 70 Vgl. Diez (2006), S. 266 f. 71 Vgl. ebenda, S. 267 ff. 72 Vgl. Schögel (2001), S. 13 f.

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3.1 Automobilwirtschaftliche Vertriebssysteme

Automobilwirtschaftliche Vertriebssysteme sind vertikal aufgebaut und lassen sich

grundlegend in die Großhandels- und die Einzelhandelsebene unterteilen.

Auf Großhandelsebene koordinieren die Hersteller den Verkauf der Produkte an

Wiederverkäufer der einzelnen nationalen Märkte. In der Automobilbranche kann

man auf dieser Ebene zwischen dem Vertrieb über vertragsgebundene Importeure,

dem Vertrieb über herstellereigene nationale Vertriebsgesellschaften und dem

Vertrieb über Joint Ventures, die einen Mittelweg zwischen den beiden oben

genannten Alternativen bilden, unterscheiden.73 Bei vertragsgebundenen

Importeuren handelt es sich um selbstständige Generalimporteure, die

wirtschaftlich selbstständig die Gesamtverantwortung für den gesamten nationalen

Markt übernimmt. Für den Hersteller ergibt sich daraus der Vorteil, dass sein

Absatzrisiko minimiert wird. Bei der herstellereigenen Vertriebsgesellschaft

handelt es sich, wie der Name schon sagt, um eine hundertprozentige Tochter des

Automobilherstellers und bringt somit auch eine hundertprozentige Kontrolle der

Marktbearbeitung und größeren gestalterischen Einfluss auf die

Einzelhandelsebene mit sich.74 In den meisten Fällen werden in den EU-Ländern

herstellereigene Vertriebsgesellschaften und außerhalb der EU Importeure

eingesetzt.75 In der Vergangenheit unterschieden sich die beiden Varianten nur in

Bezug auf den gestalterischen Einfluss auf die nationalen Märkte. In beiden Fällen

existierte ein Handelsvertrag, der ein exklusives geografisches Absatzgebiet

beinhaltete.76 Geänderte rechtliche Rahmenbedingungen haben jedoch in den

letzten Jahren zu einigen Veränderungen auf dieser Ebene geführt. Darauf wird in

Abschnitt 4.2 näher eingegangen.

Die Einzelhandelsebene bezieht sich auf die nationalen Märkte und den Verkauf

des Produktes direkt an die Endkunden. Klar dominierend ist auf dieser Ebene der

Vertrieb über rechtlich und wirtschaftlich selbstständige Vertragshändler. Eine

weiter häufige Alternative ist der direkte Vertrieb durch Niederlassungen der

jeweiligen nationalen Tochtergesellschaft. Aber auch Mischformen wie z.B.

73 Vgl. Brockmeier (2000), S. 15 ff. 74 Vgl. Diez (2006), S. 269 ff. 75 Vgl. Fritz/Graf (2006), S. 5. 76 Vgl. Brockmeier (2000) S. 15 ff.

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Agenten, die für eine Provision in fremdem Namen und auf fremde Rechnung

Verträge vermitteln, existieren in der Branche.77 Darüber hinaus ist es heute gerade

auf Einzelhandelsebene für das Bestehen am Markt unausweichlich, gleichzeitig

mehrere Absatzkanäle zu kombinieren.78 Im Folgenden soll eine Auswahl dieser

Kanäle vorgestellt werden.

Der Direktvertrieb der Automobilhersteller geschieht üblicherweise durch

werkseigene Niederlassungen, in selteneren Fällen auch durch zentrale

Verkaufsabteilungen. Letztere bedienen meistens nur spezielle Abnehmer wie die

eigenen Mitarbeiter, Behörden, Journalisten usw.79

Das für die Automobilbranche typische Vertragshändlersystem kann ein- oder

mehrstufig aufgebaut sein, wobei sich die mehrstufige Variante nochmal aufteilen

lässt. Hat der Unterhändler direkt einen Vertrag mit dem Hersteller, ist er

verpflichtet diverse Prozesse mit dem ihm vorgeschalteten Haupthändler

abzuwickeln. Dies hat zur Folge, dass der Kontakt zum Hersteller eingeschränkt ist.

Besteht jedoch ein Vertrag zwischen Unterhändler und Haupthändler, so behalten

sich die Automobilhersteller in den meisten Fällen gewisse Zustimmungsrechte

vor.80 Die rechtliche Grundlage des Vertragshändlersystems hat sich im Zuge der

Erneuerung der Gruppenfreistellungsverordnung und dem Wegfall der

Standortklausel verändert. Daraus resultierende Konsequenzen werden im nächsten

Kapitel näher beleuchtet.

In den letzten Jahren wurde auch das Internet als Distributionsinstrument immer

wichtiger für den Automobilvertrieb. Im Hinblick auf das Kundenverhalten

konnten Besonderheiten festgestellt werden. Im Normalfall orientiert sich der

Kaufentscheidungsprozess beim Online-Shopping stärker an Marken und Preisen,

als das beim traditionellen Einkauf der Fall ist. Bei Verbrauchern die das Internet

zum Automobilkauf einsetzen wurde festgestellt, dass sie mehrere Kaufalternativen

vergleichen und bewerten. Dadurch verliert die Markenloyalität – eigentlich ein

Steckenpferd der Automobilbranche – an Bedeutung.81 Für die Hersteller bringt das

77 Vgl. Diez (2006), S. 271 ff. 78 Vgl. Schögel (2001), S. 9. 79 Vgl. Diez (2006), S.272. 80 Vgl. ebenda, S. 281 f. 81 Vgl. Fritz (2004), S. 117 f.

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Internet zahlreiche Einsatzmöglichkeiten mit sich. So kann es bei der Online-

Distribution sowohl als direktes, als auch als indirektes Instrument in Erscheinung

treten. Als problematisch gilt das Vorgehen das Internet als Direktvertriebskanal

parallel zum Vertrieb über Vertragshändler zu verwenden. Der Kunde nutzt den

Informationsservice des Vertragshändlers vor Ort und kauft das Produkt

anschließend zu vermeidlich günstigeren Preisen direkt vom Hersteller. Um dem

dadurch einsetzenden Kannibalisierungseffekt vorzubeugen, setzen viele

Automobilhersteller heute auf eine Internetpräsenz, die in erster Linie informiert

und darüber hinaus auf Vertragshändler verweist. Auch der Vertragshändler selbst

hat die Möglichkeit Neuwagen über das Internet anzubieten und zu verkaufen. Das

„Matchmaker-System“, bei dem überwiegend Gebrauchtwagen über eine Website

vermittelt werden, ist aus der Branche nicht mehr wegzudenken. Automobile

ausschließlich über das Internet zu vertreiben ist im Hinblick auf die notwendigen

Service- sowie Informationsansprüche des Produktes allerdings keine realistische

Alternative. Die Nutzung als Informations- und zusätzlicher Absatzkanal hat sich

in der Automobilbranche jedoch schon lange etabliert.82

3.2 Relevante Veränderungen der Umweltbedingungen

Der Trend hin zu einem Multikanalsystem ist ein wesentlicher Bestandteil eines

Veränderungsprozesses in der europäischen Automobildistribution.83 Begründet ist

diese Entwicklung durch einen immer komplexer werdenden Markt und die

Einschränkung der Herstellermacht durch Gesetzesänderungen. Einige konkrete

Veränderungen die dazu geführt haben sollen im Folgenden näher beleuchtet

werden.

3.2.1 Politisch-rechtliche Veränderungen

Bei dem in der Automobilindustrie dominierenden Vertragshändlersystems handelt

es sich um ein „selektives Vertriebssystem“. In der Vergangenheit wählten die

82 Vgl. Diez (2006), S. 294 ff. 83 Vgl. Fritz/Graf (2006), S. 8.

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Hersteller ihre Vertragshändler sowohl nach qualitativen, als auch nach

quantitativen Kriterien aus. Sollte in einem bestimmten Gebiet kein weiterer

Vertragspartner für die Marktausschöpfung benötigt werden, so konnte der

Hersteller einem Händler die Vertriebsrechte vorenthalten, selbst wenn dieser die

vorgegebenen qualitativen Standards erfüllte.84

Nach Art. 81, Abs. 1 des EG- Vertrages sind alle Vereinbarungen zwischen

Unternehmen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen

geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des

Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken,

verboten. Da selektive Vertriebsbindungen von dieser Regelung betroffen sein

können, gab es in der Vergangenheit verschiedene Freistellungen, bei denen es sich

um eine Art Ausnahme von der oben genannten Vereinbarung handelt.85 Die

wahrscheinlich prominenteste ist die automobilspezifische

Gruppenfreistellungsverordnung Nr.1400/2002. Von ihrem in Kraft treten am

01.10.2002 bis zum Ende ihrer Gültigkeit am 31.05.2010 war sie eine treibende

Kraft für den Wandel in der Automobildistribution. Als Grund für eine Freistellung

von dem oben genannten Artikel des EG-Vertrages gibt die EU-Kommission an,

dass „vertikale Vereinbarungen im Sinne dieser Verordnung die wirtschaftliche

Effizienz innerhalb einer Produktions- oder Vertriebskette erhöhen, indem sie eine

bessere Koordinierung zwischen den beteiligten Unternehmen ermöglichen.“86 Der

Hersteller konnte zwischen verschiedenen Vertriebssystemen wählen. Unabhängig

von Marktanteilsbeschränkungen war die Wahl des qualitativ selektiven Vertriebs.

Neben dem festlegen qualitativer Standards war es möglich den Weiterverkauf an

nicht-autorisierte Händler zu verbieten. Der Hersteller konnte bei diesem System

weder exklusiven Absatzgebiete festlegen, noch die Zahl der Vertriebspartner

limitieren. Nur bei einem qualitativ und quantitativ selektiven Vertrieb besaß er

darüber hinaus die Kompetenz, quantitative Standards wie beispielsweise

Mindestabsatzzahlen vorzugeben. Die dagegen eher selten gewählte Alternative des

exklusiven Vertriebs ermöglichte es dem Hersteller ein exklusives Absatzgebiet zu

definieren und einem Vertragshändler zuzuweisen, wodurch er jedoch den Einfluss

84 Vgl. Diez (2006), S. 274. 85 Vgl. ebenda, S. 275. 86 Vgl. Verordnung (EG) Nr. 1400/2002, Erwägungsgrund 5.

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auf die Einhaltung der Qualitätsstandards verlor. Wie auch der qualitativ und

quantitativ selektive Vertrieb war dieses System mit Marktanteilsbeschränkungen

verbunden und somit nur begrenzt wählbar.87 Diese Marktanteilsbeschränkungen

waren zusammen mit weiteren, im Anschluss dargestellten Vorschriften, von der

EU-Kommission aufgenommen worden um einem Missbrauch der Kfz-GVO durch

die Hersteller vorzubeugen. Darüber hinaus sind sie ein Hinweis auf Defizite in

vorangegangenen Freistellungsverordnungen. In Erwägungsgrund drei der

Verordnung ist sogar wörtlich von „strengeren Gruppenfreistellungsregeln“ die

Rede. Die GVO Nr. 1400/2002 enthält auch eine Definition von

Originalersatzteilen, die besagt, dass es sich dabei um Ersatzteile handelt, die von

gleicher Qualität sind wie die Bauteile, die für die Montage des Neufahrzeugs

verwendet wurden.88 Somit ist ein Vertragspartner beim Bezug der Ersatzteile nicht

mehr vom Hersteller abhängig und kann die Ersatzteile direkt vom Zulieferer

beziehen.89 Um den Wettbewerb innerhalb und zwischen den Marken zu fördern,

waren mit der Kfz-GVO nun auch Vertragsklauseln verboten, die den

Mehrmarkenvertrieb bzw. –service behindern.90 Das ermöglicht den Vertrieb von

Fahrzeugen mehrerer konkurrierender Marken im selben Verkaufsraum. Der

Hersteller kann jedoch das Einrichten einer „brand specific sales area“ verlangen.

Dabei handelt es sich um einen abgetrennten Verkaufsbereich für seine Marke.91

Eine weitere wichtige Veränderung die im Zuge der GVO Nr.1400/2002 die Macht

der Hersteller zugunsten der Vertragshändler beschnitt, war der Ausschluss

sogenannter Standortklauseln ab dem 01.10.2005. Bis dahin konnten

Vertragshändler zusätzliche Betriebe nur mit Zustimmung des Herstellers eröffnen.

Heute ist den Händlern das Unterhalten von Verkaufshäusern oder

Auslieferungszentren an jedem Ort innerhalb der EU erlaubt.92

Die Konsequenzen dieser neuen „Spielregeln“ für den Fahrzeugvertrieb durch

Vertragspartner, betreffen zum einen verschiedene Elemente der

87 Vgl. Graf (2008), S. 63 f. 88 Vgl. Verordnung (EG) Nr. 1400/2002, Art. 1-1(t). 89 Vgl. Diez (2006), S. 279. 90 Vgl. Fritz/Graf (2006), S. 9. 91 Vgl. Diez (2006), S. 278. 92 Vgl. ebenda, S. 277 f.

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automobilwirtschaftlichen Wertschöpfungskette, zum anderen betreffen sie die

Endverbraucher im europäischen Binnenmarkt.

Das Verbot von Standortklauseln in Verträgen mit Händlern wird in Europa zu

einer Harmonisierung der Neuwagenpreise führen.93 Diese Entwicklung war auch

ein ausgewiesenes Ziel der EU-Kommission, für die ein vom Bestimmungsort des

Fahrzeugs oder Wohnort des Endverbrauchers abhängiger Verkaufspreis eine

mittelbare Verkaufsbeschränkung darstellt.94

Der Versuch der Automobilhersteller ihren in der Verordnung begründeten Verlust

an Gestaltungsmacht durch hohe Standards für die Händler auszugleichen, führte

zu einem Anstieg der Transaktionskosten.95 Diese Entwicklung wiedersprach der

Einschätzung der EU-Kommission, dass die Kfz-GVO zu einer Senkung dieser

Kosten beitragen wird.96

Neben den Vertragshändlern und den Vertragswerkstätten, die von der Stärkung

ihrer Position gegenüber den Herstellern durch die GVO Nr.1400/2002 profitierten,

bot die Verordnung auch Chancen für kleinere Marken. Die Möglichkeit mehrere

Marken in einem Verkaufsraum anzubieten, erhöht die Chance auf einen Vertrag

mit einem etablierten Händler für weniger starke Marken.

Zusammenfassend kann man festhalten, dass die GVO Nr.1400/2002 einen großen

Schritt in Richtung Liberalisierung der europäischen Automobildistribution

darstellt.97 Sie hat maßgeblich zu der Entwicklung neuer Vertriebssysteme

beigetragen und hatte eine wettbewerbsintensivierende Wirkung auf die

Automobildistribution.

3.2.2 Weitere Veränderungen

Bei nahezu allen Herstellern nehmen die Zahl der Fahrzeugvarianten und die

Geschwindigkeit der Innovationszyklen zu.98 Bestand das Modellportfolio von

93 Vgl. Diez (2002), S.53 ff. 94 Vgl. Verordnung (EG) Nr. 1400/2002, Erwägungsgrund 16. 95 Vgl. Diez (2002), S. 53 ff. 96 Vgl. Verordnung (EG) Nr. 1400/2002, Erwägungsgrund 5. 97 Vgl. Diez (2006), S.280 f. 98 Vgl. Fritz/Graf (2006), S. 12.

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Mercedes 1990 beispielsweise noch aus fünf verschiedenen Modellen, so waren es

2007 schon 15.99 Für den Absatzmittler wird es dadurch immer schwieriger das

entsprechende Wunschfahrzeug des Kunden auf Lager zu haben. Auf der anderen

Seite wird der für die Automobildistribution notwendige Service durch einen

ständig steigenden Grad an technologischer Komplexität vor neue

Herausforderungen gestellt. So wird die Aufgabe der Hersteller, die Absatzmittler

und die Kunden mit Informationen zu versorgen und eine qualifizierte Wartung und

Reparatur der Fahrzeuge durch Spezialisten zu gewährleisten, anspruchsvoller.100

Auch demographische Entwicklungen spielen eine Rolle. Das Durchschnittsalter

der Bevölkerung steigt weltweit und verändert die Einkommensverteilung.

Außerdem haben Kunden heute neue und viel individuellere Ansprüche an ein

Fahrzeug. Es wird verlangt, dass es sich an den flexibleren Lebensstil der heutigen

Verbraucher anpasst. Der sich daraus ergebende Wandel der Nachfragestruktur

muss bei der Gestaltung der Absatzkanäle berücksichtigt werden.101

Hinzu kommt die zunehmende Bedeutung neuer Medien. Die Bedeutung des

Internets ist in Kapitel 4.1 bereits erklärt worden.

3.3 Vertikale Bindungen im Automobilvertrieb

In diesem Kapitel werden die Ergebnisse auf Grundlage der, in den

vorangegangenen Kapiteln beschriebenen Sachverhalte zusammengefasst. Dabei

soll Bezug auf die Machtverteilung zwischen Herstellern und Händlern, im Kontext

vertikaler Bindungen genommen werden.

„„Vertikale Vereinbarungen“ sind Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmte

Verhaltensweisen zwischen zwei oder mehr Unternehmen, von denen jedes bei der

Durchführung der Vereinbarung auf einer unterschiedlichen Stufe der Produktions-

oder Vertriebskette tätig ist.“102 Enthält sie eine Wettbewerbsbeschränkung im

99 Vgl. Wallentowitz/Freialdenhoven/Olschewski (2009), S. 12. 100 Vgl. Fritz/Graf (2006), S. 12 f. 101 Vgl. Wallentowitz/Freialdenhoven/Olschewski (2009), S. 14 ff. 102 Vgl. Verordnung (EG) Nr. 1400/2002, Art. 1-1(c).

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Sinne von Artikel 81 Absatz 1 des EG-Vertrages, so nennt man diese eine „vertikale

Beschränkung“.103

Diese differenzierten Definitionen in einer, die Automobilbranche betreffenden

Verordnung der EU-Kommission, zeigen welche Bedeutung vertikale Bindungen

für den Vertrieb von Automobilen im europäischen Binnenmarkt haben.

Bezogen auf den Grad der vertikalen Bindung weist der Automobilvertrieb ein

breites Spektrum an verschieden stark an den Hersteller gebundenen

Vertriebskanälen auf. Grob lassen sich die beiden Grundtypen direkter und

indirekter Vertrieb unterscheiden, die sich an der Anzahl der eingeschalteten

Handelsstufen orientieren.104 Traditionell dominiert in der Automobildistribution

der indirekte Vertrieb über Vertragspartner im Rahmen langfristig angelegter

Bindungen.105 Das aufweichen dieser Bindungen, die in der Vergangenheit den

Herstellern eine große Macht in den Downstream-Märkten einräumten, macht den

direkten Automobilvertrieb für Hersteller immer attraktiver.

Eine nahezu vollständige vertikale Integration ist über den Vertrieb durch

werkseigene Niederlassungen möglich. Diese bringen für den Hersteller

verschiedene Vor- und Nachteile mit sich. Neben der direkten Steuerung der

Vertriebsorgane und dem direkten Kundenkontakt ist die Sicherstellung eines

Einkaufsstättenimages ein wichtiger Beweggrund werkseigene Niederlassungen zu

eröffnen. Letzteres ist insbesondere für Premiumhersteller relevant, für die das

„Corporate Design“ ein wichtiges Marketinginstrument darstellt. Demgegenüber

stehen die vollständige Übernahme von Absatzrisiken und eine hohe

Kapitalbindung. Diese Nachteile machen deutlich, warum diese Art des direkten

Vertriebs bei Volumenherstellern eher selten ist.106 Das Internet wird in dem

Kontext des direkten Vertriebs eher eine unterstützende und informierende

Funktion übernehmen und kommt als exklusiver Absatzkanal für die Hersteller

nicht in Frage.

Über reine Marktprozesse koordinierte Vertriebssysteme, die den geringsten Grad

an vertikaler Bindung aufweisen kommen in der Automobildistribution eher selten

103 Vgl. Verordnung (EG) Nr. 1400/2002, Art. 1-1(d). 104 Vgl. Graf (2008), S. 7. 105 Vgl. Fritz/Graf (2006), S. 3. 106 Vgl. Diez (2006), S. 273.

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vor. Ein wichtiger Grund ist, dass die Marke bei den Endverbrauchern eine große

Rolle bei der Kaufentscheidung spielt.107 Dementsprechend gering ist das Interesse

der Hersteller an einem Vertriebssystem, bei dem sie die Kontrolle über die

Steuerung des Vertriebs- und Servicenetzes vollständig abgeben. Darüber hinaus

wird das Automobil angesichts des schnell voranschreitenden technologischen

Fortschritts zu einem immer komplexeren Produkt. Dadurch ist die Gewährleistung

eines qualifizierten Service- und Vertriebssystems unerlässlich und setzt einen

Informationsfluss voraus, der sich nur mit einem gewissen Grad an vertikaler

Bindung realisieren lässt.108

Die Nachteile dieser oben beschriebenen Extremfälle erklären, warum sich in der

Automobilbranche der Mittelweg über den wirtschaftlich autonomen

Vertragspartner mit langfristig ausgerichteter Bindung an den Hersteller als

traditionelle und häufigste Vertriebsform durchgesetzt hat. Im Folgenden soll

dargestellt werden, welche Auswirkungen die Veränderung der rechtlichen

Umweltbedingungen im letzten Jahrzehnt auf diese Bindungen hatten.

Durch die Fülle an Automobilherstellern in Europa, die jeweils immer mehr

Marken in ihrem Konzern vereinen, befinden sich diese sowohl in einem intensiven

Interbrand-, als auch in einem intensiven Intrabrand-Wettbewerb, der weiter

zunehmen wird. Die verschiedenen Marken differenziert zu präsentieren wird für

das Marketing und den Vertrieb immer wichtiger. Die branchenspezifische

Gruppenfreistellungsverordnung von 2002 hat die Möglichkeiten der Gestaltung

des POS jedoch nachhaltig eingeschränkt.109 Dies führt zu der Dilemma-Situation,

immer mehr darauf angewiesen zu sein, bei den Endverbrauchern markenspezifisch

aufzutreten, dies aber auf der anderen Seite nur durch investitionsintensive vertikale

Integration realisieren zu können. Diese Problematik legt nahe, dass die

Automobilhersteller zur Integration des Vertragshändlernetzes Alternativen zu den

heute stark eingeschränkten rechtlichen Bindungsmöglichkeiten über Verträge

finden müssen, um auch in Zukunft die Kontrolle über diese Distributionsorgane

zumindest teilweise zu gewährleisten. Der Hersteller kann den Händler

beispielsweise mit Mitarbeiterschulungen unterstützen und damit die Markenpflege

107 Vgl. Graf (2008), S. 32. 108 Vgl. Fritz/Graf (2008), S. 12. 109 Vgl. ebenda, S. 14.

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und Kundenbindung indirekt fördern.110 Darüber hinaus eignen sich

Margensysteme als direktes Steuerungsinstrument. Sie sollen den Händler mit Hilfe

von Boni und Rabatten zu einer aktiven Marktausschöpfung motivieren. Mit diesem

System lassen sich neben quantitativen durchaus auch qualitative Leistungen wie

die Erfüllung von Herstellerstandards belohnen.111 Es wird jedoch davon

ausgegangen, dass Hersteller mit großen Marktanteilen, sogenannte

Volumenhersteller, auch in Zukunft finanziell nicht in der Lage sein werden ihre

Vertragshändler durch Vorwärtsintegration so zu binden, dass damit der Verlust an

Einflussmöglichkeiten ausgeglichen werden kann.112

Aus Händlersicht bringt das Erodieren der vertikalen Bindungen durch die GVO

Nr. 1400/2002 Chancen, aber auch Risiken mit sich. Chancen ergeben sich aus dem

Erweitern des unternehmerischen Handlungsspielraums. So lassen beispielsweise

die geänderten Rahmenbedingungen neue Geschäftsmodelle zu, die zuvor von den

Herstellern unterbunden wurden. In erster Linie handelt es sich bei der Freistellung

aber um einen Liberalisierungsversuch, der zwangsläufig eine Intensivierung des

Wettbewerbs auf der betroffenen Einzelhandelsebene mit sich bringt. Das bereits

oben angesprochene Ziel der EU-Kommission, eine Preisharmonisierung innerhalb

der europäischen Binnenmärkte zu erreichen führt zu zusätzlichem

Wettbewerbsdruck aus dem Ausland. Ein weiteres Risiko ergibt sich aus dem

Wegfallen des Schutzes, den vertikale Beschränkungen mit sich bringen. Diese

können die Händler z.B. durch Preisuntergrenzen vor „Free-rider-Verhalten“, also

dem gezielten Ausnutzen kanalspezifischer Unterschiede schützen, welches gerade

bei beratungsintensiven Produkten eine Bedrohung darstellt.113

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Automobildistribution stark von

vertikalen Bindungen geprägt ist. Da diese für die Vermarktung eines so komplexen

Produktes wie dem Automobil unerlässlich sind, wurde den Herstellern in der

Vergangenheit eine große Macht eingeräumt, die ihnen die Kontrolle über die

Absatzsysteme ermöglichte. Um den Missbrauch der großzügigen, rechtlichen

110 Vgl. Diez (2006), S. 336. 111 Vgl. ebenda, S. 337 ff. 112 Vgl. Fritz/Graf (2006), S. 10. 113 Vgl. Knieps (2008), S. 168.

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Zugeständnisse zu verhindern, bzw. zu unterbinden, hat die EU-Kommission

vertikale, vertragliche Bindungsmöglichkeiten eingeschränkt.

3.4 Prognosen im Automobilvertrieb

In dem europäischen Automobilmarkt zeichnen sich zwei wichtige Trends ab. Der

eine ist die Tendenz der Hersteller zu einer investitionsintensiven

Vorwärtsintegration auf Groß- und Einzelhandelsebene.114 Der andere ist der

Ausbau der Multikanalstruktur im Vertrieb.115 Wie diese beiden Entwicklungen,

angesichts der oben beschriebenen Liberalisierung des Vertriebssystems

zusammenhängen, liegt auf der Hand. Durch Vorwärtsintegration kann der Grad

der vertikalen Bindung erhöht und eine einheitliche Gestaltung der Absatzkanäle

vereinfacht werden. Letzteres wird auch zukünftig ein primäres Ziel des

Distributionsmanagements bleiben, um „Free-rider-Verhalten“ und den dadurch

einsetzenden Kannibalisierungseffekt zu vermeiden.116

Abschließend kann man sagen, dass im Hinblick auf den Vertrieb von Fahrzeugen,

die zentrale Steuerung und Koordination der verschieden stark, vertikal integrierten

Absatzkanäle die größte Herausforderung für die Automobilhersteller bleiben wird.

4 Fazit

In der Wettbewerbspolitik sind vertikale Bindungen umstritten. Scheinbar sind sie

in Zeiten strukturellen Wandels und dynamischer Umweltbedingungen unerlässlich

für das wirtschaftliche Überleben in einer global vernetzten Welt. Um Image und

Kosten- sowie Technologieführerschaft erhalten zu können werden zuverlässige

und nachhaltige Beziehungen zu den Zulieferern und den Distributionsorganen

immer wichtiger für die Automobilhersteller. Aus klassischer Wettbewerbssicht

muss diese Abhängigkeit der Hersteller einen Machtzuwachs für die Partner in der

vertikalen Kette bedeuten. Zu beobachten ist jedoch das genaue Gegenteil. Durch

114 Vgl. Graf (2008), S. 57. 115 Vgl. Fritz/Graf (2006), S. 8. 116 Vgl. ebenda, S. 28.

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den gezielten Einsatz von vertikalen Bindungen als Machtinstrument, der nicht

selten in wettbewerbsrechtlichen Grauzonen stattfindet, gelingt es den OEMs die

Partner an sich zu binden und somit die Vormachtstellung in der

Automobilindustrie zu behaupten. Dieser Sachverhalt wirft die Frage auf, wieso

keine rechtlichen Rahmenbedingungen existieren, welche das zum Teil

offensichtlich wettbewerbsbeschränkende Verhalten unterbinden. Wie in Kapitel 3

aufgezeigt gibt es von der EU sogar explizite Ausnahmen für die Branche. Die

Erklärung hierfür liegt auf der Hand. Die Automobilindustrie hat für die deutsche

und auch für die europäische Wirtschaft eine zentrale Bedeutung. Unzählige

Arbeitsplätze sind unmittelbar, aber auch mittelbar von ihr abhängig. Die

Machtzugeständnisse können als eine Art Hilfestellung der Politik für die Industrie

verstanden werden. Denn der Spagat der Hersteller zum einen den teuren

Produktionsstandort Deutschland erhalten und sich auf der anderen Seite in einem

hart umkämpften globalen Markt gegen Niedriglohnländer behaupten zu müssen,

wird schwieriger. So werden vertikale Bindungen auch in Zukunft ein Thema

bleiben, mit dem sich Politiker, Juristen und Manager auseinander zu setzen habe.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass vertikale Bindungen in der

Automobilindustrie zumindest teilweise als Wettbewerbsbeschränkungen zu

bewerten sind. Gleichzeitig kann man sie jedoch auch als notwendiges Übel für die

Sicherstellung einer starken deutschen Wirtschaft sehe

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