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Menschen, begann Guntram, der die knappen Verbeugungen sei-ner Gäste mit einer raschen Handbewegung erwidert hatte: Wil-de Menschen!, rief er und verlor einen Augenblick seine Beherr-schung: in den Wäldern, sagte der Herr der nördlichen Markruhiger: von jenseits des grauen Flusses: Seine Ratgeber undVertrauten erstarrten: Sie schüttelten langsam und ungläubigdie Köpfe, fuhren durch ihr Haar und schoben die Ringe an ih-ren Fingern auf und ab, als ob es die einzigen Angelegenheitenvon Belang wären, eine Welt, auf die man sich hätte zurückzie-hen können: Wenig später erfüllte ein unruhiges Flüstern denRaum, bis Guntrams Hand, plötzlich!, mit gespreizten Fingernin die Höhe schnellte, Ruhe und Aufmerksamkeit fordernd: Fa-ra, die neben mir steht, kam gestern Abend, sie hörte es an denMeilern der Köhler, als sie zunächst ostwärts ritt, den Saumder Wälder entlang, und später, als sie sich südwärts wandte,wieder, bei den Torfstechern und Holzfällern von Os: Vielleichtsind es Gerüchte, von Narren oder Verwirrten in die Welt ge-setzt: Ihr wisst, wann es das letzte Mal geschah, und dass es,über viele Menschenleben hinweg, gute und friedliche Jahre ge-wesen sind: Tragt rasch und gründlich, was ihr erfahren könnt,zusammen: Arbeitet im Verborgenen, haltet geheim wer ihr seidund wer euch schickt: Die Gehöfte der Köhler liegen abseits,und niemand nimmt eine beschwerliche Reise grundlos auf sich:Guntram schwieg einige Atemzüge lang: Ich habe den Königunterrichten lassen, ein Bote ist unterwegs: Geht!, und bringtmir Nachricht, ob es wahr ist oder nicht: Als sie sich abermalsverbeugten, ermahnte sie Guntram niemals einen Fuß über dengrauen Fluss zu setzen: Ihr kennt unsere uralte Sorge und er füg-te ein Danke und die Hoffnung: dass ihnen die Götter gewogensein mögen, hinzu: Ich selbst werde sie darum bitten!

Sie stiegen die Treppen hinab, in die hölzerne Halle, eilten zuihren Pferden, die mit allem Nötigen: Waffen, Vorräten und Aus-

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rüstung bepackt, bereit standen: Ihr Auftrag duldete keinen Auf-schub, es ging um das Wohl aller und es war kein unnötiges Wortzu verlieren: Guntram schickte seine Ratgeber fort, trat an dasFenster und sah wie die vier über die Stufen der Ratshalle hinabschritten, ihre Pferde bestiegen und langsam über den Platz, anden Gerbern, den Wildbrethändlern und Bäckern vorüberritten,die gerade ihre Waren verstauten, in den engen Gassen der Stadtverschwanden und am anderen Ende, nach einer Weile, aus derSenke hervortauchten, und auf dem Platz vor dem Tor, bei derWache hielten: Eine Jägerin, ein Landläufer, ein Hauptmannund ein Gelehrter, diese vier: Guntram war sicher die richtigeEntscheidung getroffen zu haben, aber er wusste nicht, welchenZeiten, nicht nur Nordwalt, sondern die gesamte Mark, entge-gen ging: Er hatte dem König seine Besorgnis übermittelt undum Hilfe gebeten, er war nicht nur beunruhigt: Guntram saheinen Schatten, der sich über die nördliche Mark und damit: dieGrenzen des Reichs zu schieben begann: Diese vier, wiederholteer, vom Zufall und meinem Gutdünken zusammen geworfen, aufihren Schultern ruht alles, so fühlte er es, zumindest: Guntramschien, als bräche der Abend früher herein, tatsächlich aber,hatten sich Regenwolken, von einem Westwind herangetragen,langsam und stetig, vor die Sonne geschoben.

Als es dämmerte, erreichten sie noch den Rotfall, eine breiteScharte in der nördlichen Kante des Plateaus: hier traf der Wegvon Nordwalt mit der Kohlenstraße und dem Südweg zusammen:die einzige Möglichkeit in die nördliche Tiefebene zu gelangen;sie machten Feuer und schlugen hinter einer Gruppe verwitter-ter Felsen ihr Nachtlager auf: Wolken sammelten sich über demPlateau, der Mond überzog ihre Ränder mit Silber und die Ebe-ne mit bläulichem Licht und schwarz-grauen Schatten: RoterStaub wirbelte über die Kante, dann verebbte der Wind undWido, der die erste Wache übernommen hatte und an den Rand

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der Wand getreten war, versuchte die großen, befestigten Ge-höfte der Köhler auszumachen, ihre Feuer: winzige, glimmendePunkte und die schwelenden Meiler, tief in die Wälder hineingelagert, deren dicker, weißer Rauch sich im Geäst der Bäumeverfing und nur langsam zum Himmel aufstieg: Ein Wohlwollenging von ihnen aus und obwohl sie weit entfernt waren, branntenWidos Augen und über seine Zunge kroch ein herber Geschmack.

Am Morgen war ein leichter Ostwind aufgekommen; er zerriss dieletzten Fäden von Nebel und gab den Blick auf die Ebene frei:Schwarze, dornige Bäume standen einsam in gold-grün wogen-dem Gras: Gegen den Horizont hin, lagen die Wälder, die sich inbläulichem Dunst verloren: und noch weiter nördlich der graueFluss, mit zugekniffenen Augen und ein wenig Einbildungskraft,durch Löcher in der Glocke von Dunst zu erkennen: Dankmarsetzte sich neben den Rest der Glut, wärmte seine Hände undbreitete eine lederne Karte aus: Sie übersahen gemeinsam denNordrand der Mark, die zerstreuten Siedlungen und die Gehöfteder Köhler, etliche Tagesreisen entfernt: Hinter dem Gürtel vonWald war der Verlauf des grauen Flusses verzeichnet, auf demanderseitigen Ufer jedoch nur mehr das Braun des Leders zu fin-den: Der Kohlenweg führt in den Wald und läuft bis zum Fluss;an seinem Ende steht eine verfallene Brücke, seit Generationennicht mehr benutzt: Dankmar stütze sein Kinn auf die rechteHandfläche und schwieg: Nach Os!: Fara wies auf einen Ort ander Kohlenstrasse, zwei Tagesreisen entfernt, der am Rand desgroßen Hochmoors im Osten lag: Dort wollen wir uns zuerst um-hören und später weiter nach Norden ziehen: Ein seltsames Volkbewohnt den nördlichen Ring: Warin erhob sich, und trat dasFeuer aus: Es ist eigenwillig und verschlagen, wir sollten vorsich-tig sein: Sie nahmen ihre Rucksäcke und Taschen und führtenihre Pferde am Geschirr den Kohlenweg, der steil und in engenWindungen auf einem großen Schuttkegel hinab lief, entlang:

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Am Fuß des Kegels wurde er breiter und war mit Platten vonSchiefer ausgelegt: Sie stiegen in die Sättel und kamen raschvoran.

Halt!: Wartet!: Auf dem halben Weg nach Os überholten sie einFuhrwerk, mit einer Ladefläche, schwarz vom Staub der Koh-len: Wido, der als letzter daran vorbeigeritten war, und auf ei-ner kleinen Kuppe hielt, über die der Weg lief, wies mit seinemrechten Arm gegen das Plateau hin: Ich habe sie bereits gestern,in der Dämmerung gesehen!: Die anderen kamen, neugierig ge-worden, zu ihm: Reiter, murmelte Dankmar: und sie haben denAbstieg bereits hinter sich: Sie tragen weder Blau noch Silber:es sind keine Männer der Wache, sagte Warin und mahnte zurVorsicht: Guntram hat mächtige Gegner: Jeder im Rat ist be-reit die Position der anderen zu schwächen, lasst uns sehen, wo-hin sie wollen: Sie ritten weiter und nahmen, von der Kuppeverborgen, die nächste Abzweigung, ein sanft eingeschnittenerHohlweg, mit tiefen Spurrinnen, der durch Wiesen und Felderan einem kleinen Gehöft vorbei, lief: Nach einer Weile schos-sen die Reiter über die Kuppe, ihren Pferden die Sporen immerheftiger in die Seiten rammend: Sie waren zu zweit, in schwar-ze Kutten gehüllt und im selben Moment an der Abzweigungvorüber: Sie jagten die Straße entlang, um ihre nächste Biegungund fanden ein langgestrecktes, menschenleeres Stück vor sich:Auf den schiefernen Platten lag die Sonne und über ihnen ge-rann die Luft: Nach fünfzehn, zwanzig Metern, rissen sie an denZügeln: Ihre Pferde scheuten und stiegen hoch: Seltsam! rief dereine: Sie müssen doch...!, der andere, dann wendeten sie, kamenzurück, im Schritt und zogen Kreise, bis sie die Spuren der Pfer-de im feuchten Lehm fanden: Hier...!: Sie nahmen den Hohlweg,langsam, um die Spur nicht noch einmal zu verlieren, ritten aufdas Gehöft zu und als sie fast daran vorbei und ihrer Sache si-cher waren, bereits den Pferden die Sporen gaben, da versperrte

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ihnen Dankmar mit einem Mal den Weg: Ein Knall zerriss dieLuft: Ihre Pferde scheuten, einer flog aus dem Sattel, doch derandere hielt sich, mit letzter Mühe, am Hals seines Tiers fest:Fara sprang aus dem Feld hervor, legte einen Pfeil auf die Sehneund spannte ihren Bogen: Weg mit den Schwertern!: Warin pack-te den zweiten, drehte ihn auf den Bauch und riss sein Schwertaus der Scheide: Der andere, schwindlig und benommen, hat-te sein Tier wieder halbwegs unter Kontrolle, und keine andereWahl, als er Faras Bogen auf sich gerichtet sah: Er schleudertesein Schwert fort, das klirrend auf dem Boden aufschlug: Wa-rin, sein eigenes und das Schwert des Fremden in Händen, ginglangsam einige Schritte rückwärts, dann fiel er, ohne Andeu-tung, auf seine Knie und brach in schallendes Gelächter aus:Dankmar, der auf einen Stab gestützt dastand, sah Warin an,dann den Fremden und tat es ihm gleich: Gerade kam Wido mitden Pferden zurück, die er an den Zügeln den Weg weiter ge-führt hatte, um die Fremden zu täuschen: Verdutzt sah er Faraan, die mit den Schultern zuckte, ihren Bogen senkte und dieSehne entspannte: Dann verstanden sie: Unter der zerrissenen,schmutzig-braunen Kutte des Fremden blitze ein silbernes Ket-tenhemd und das blaue Leinen der Wache von Nordwalt, hervor:Es waren Guntrams Männer!: Eine schöne Begrüßung, brummteder zweite und stieg von seinem Pferd: Ihr müsst Dankmar sein,fragte er und als dieser nickte übergab er ihm einen Brief mitGuntrams Siegel: Wido besann sich als erster, half dem einen,der noch immer auf dem lehmigen Boden saß, auf, klopfte beidenauf die Schultern, gab ihnen Wein, Brot und Käse und Warinihre Schwerter: Verzeiht uns!: Die beiden waren ohne Rücksichtauf ihre Pferde und sich selbst, als wäre ein Untier hinter ihnenher gewesen, geritten: Speichel quoll in Strömen aus den Mün-dern und Nüstern der Schimmel, die Reiter trugen weder Schildnoch Lanze, nur ihre kurzen Schwerter, ein Kettenhemd: nichteinmal Verpflegung, außer einen Schlauch mit Wasser, das bei-

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nahe zu Ende war, bei sich: Reiter und Rösser waren erschöpftvon der Strecke, die sie in so kurzer Zeit zurück gelegt hatten:Dankmar brach Guntrams Siegel, das Wappen von Nordwalt:ein Berg mit einem Ring von Feuer, darüber ein Schild und dasBlatt einer Buche: Er las vor, nachdem sich alle abseits zusam-men gefunden hatten und die beiden Reiter im Schatten desHauses aßen und tranken: Liebe Freunde, schlechte Nachrich-ten erreichen mich aus dem Süden: Ismar hat König Lantwinauf seiner Reise nach Süden gefangen gesetzt!: Zwar konnte erdurch die Hilfe seiner Leibgarde fliehen und die alte SperrvesteHelart erreichen, aber Ismar sucht nun den offenen Kampf undbelagert Helart: Die Mitglieder des Rats sind zur Hilfe verpflich-tet, aber einige zögern und sehen es in ihrem Interesse, würdeder König geschwächt: Die Zeit drängt, ich habe Ask zu meinemStellvertreter ernannt: in wenigen Tagen werden meine Truppenbereit stehen, aber bevor wir aufbrechen muss ich wissen, ob derMark und Nordwalt Gefahr drohen: Beeilt euch!: Ich werde lan-ge fort sein, selbst wenn wir König Lantwin retten, werden wirKrieg gegen Ismar und seine Verbündeten führen: Wenn euchdieses Schreiben vor Os erreicht, bleiben euch noch sechs Tage:Alles erdenklich Gute!: Sie dankten den Reitern, gaben ihnenVorräte und Wasser für die Rückreise und sahen, wie sie denWeg ebenso rücksichtslos zurück jagten, wie sie gekommen wa-ren: Sie wurden kleiner und kleiner, schwarze Punkte noch, dieauf die Windungen des Kohlenwegs, der in der Ferne zu feinenLinien zusammengeschmolzen war, zuliefen: Über ihnen thronteNordwalt, blaugrau glimmend, in mitten von rotem Sandstein,mit Mauern aus Granit und Dächern aus Schiefer: Seine Bedeu-tung, die weit über die einer einfachen Grenzveste hinaus ging,lag in den großen Schmelzöfen, die sich innerhalb des ersten Be-festigungsrings befanden: Ohne Öfen keine Schmelze, kein Eisenund Stahl, keine Waffen, kein Werkzeug, keine Münzen und keinGlas: aber selbst wenn man Erz und Öfen besaß: nur die Kohle

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vermochte ein Feuer zu entfachen, heiß genug das Erz zu ver-flüssigen und niemand wusste darüber besser bescheid als dieKöhler: Ihr Handwerk erforderte großes Geschick, war reich anEntbehrungen, und für den Fortschritt unabdingbar: Eigensinnund Freiheit der Köhler hatten darin Ursache und Begründung:Wido war der erste, der seinem Ross die Sporen gab: GuntramsAuftrag drängte, die anderen folgten und sie jagten, nicht we-niger schnell als die beiden Reiter Richtung Os, durch ein gold-grünes Meer, zu dem die Rispen und Halme zusammenschmol-zen: Die Sonne überschritt den Zenit und die Hufe ihrer Pferdeschlugen hell klingend auf den Schiefer: Wir sollten uns trennen,in Os!: rief Fara über ihre Köpfe hinweg: Dann sparen wir Zeit!:Vielleicht: Wido sah zu ihr hinüber, und hob seine Schultern:Von da an ritten sie schweigend, bis sie am späten Nachmittagdie Tore von Os erreichten.

Wein, rief Dankmar: Roten!: Bringt fünf Becher und setzt euchzu uns!: Der Wirt des krummen Hunds kam, stellte ein hölzernesTablett und zwei Krüge mit Wasser und Wein auf den Tisch: Ernahm Platz und Warin füllte die Becher: Was kann ich für euchtun?, fragte er und sah einen nach dem anderen an: Wir sindHändler, begann Dankmar: Auf der Suche nach Torf und Kohle:Über die Lippen des Wirts sprang ein spöttisches Lächeln, er be-zwang es, umfasste seinen Becher mit beiden Händen und fuhr,die Daumen gegeneinander bewegend, seinen Rand entlang: Ihrseht mir eher aus wie Kesselflicker, sagte er: Kürschner vielleichtoder Zimmerer: Etwas in dieser Richtung: Dankmar erwidertesein Lächeln, verstohlen, wie jemand, der bei einer Schwindeleiertappt worden war, aber Warin kam ihm zuvor: Dem Anscheinnach habt ihr recht, aber wir wären leichtsinnig, hielten wir esanders: bedenkt, dass fast jedes abgeschlossene Geschäft einenVorschuss verlangt!: Der Wirt lehnte sich zurück, schob seineHandflächen hinter den breiten Gürtel, prüfte das Gesagte und

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musterte seine Gäste zum zweiten Mal: Ich will euch glauben,sagte er, und ihr habt recht, es ist klug so zu reisen: Er sah kurzzur Seite und dämpfte seine Stimme, obwohl die Stube ansons-ten leer war: Ich werde es für mich behalten und falls ihr hierübernachten wollt: Ich gebe euch meine besten Zimmer!: Dank-mar ergriff den Krug mit Wasser, bedankte sich und füllte seinenhalbvollen Becher: Ihr seid ein Mann, der jeden kennt, die Sorgenund Nöte der Wohlhabenden, wie der Armen: Wie schätzt ihr dieStimmung ein und die allgemeine Lage?: Denn, fügte er hinzu:die gegenwärtigen Bedingungen und die Aussicht auf die nähereZukunft sind oft wichtiger, als das konkrete Geschäft: Der Wirtnahm einen großen Schluck Wein, schob den Becher ein Stückweit von sich, kippte ihn und schielte hinein, als sollte niemandbemerken, was sich in seiner schillernden Oberfläche offenbarte:Er trank den Becher ruckartig leer, sprang auf und stieß ihnauf die Platte hinunter: Der Becher schaukelte!: kreiste!: fiel!: errollte auf dem Tisch hin und her und ein paar Tropfen kuller-ten über seinen Rand und füllten, für Augenblicke, ein paar feineSpalten und Rillen, bis das Holz die Feuchtigkeit aufgesogen hat-te und sich ein Hauch von Purpur darüber legte: Der Wirt liefmit verschränkten Armen und gesenktem Blick in der Stube aufund ab: Dann kam er wieder und stützte sich mit seinen Armenauf den Tisch: Ihr könnt Kohle bekommen und Torf, die Nach-frage ist hoch, aber für einen guten Preis ist alles zu haben: Erhielt inne: Ihr kommt aus dem Süden, nicht wahr?: Sie nickten:Aus Kellmund!; den Graslanden!; vom silbernen Meer!: Der Wirtsetzte sich, nahm den Krug, stellte seinen Becher auf, und füllteihn: In euren Ländern ist das wenig bekannt, aber die nördlicheMark ist verflucht: Er trank, setzte den Becher ab und fuhr nacheiner kurzen Pause fort: Drei Schlachten hindurch war der Heer-führer des Königs siegreich geblieben und hatte das Gebiet derheutigen Mark unterworfen: Seinem Glück vertrauend, wollteLandolf noch im Herbst desselben Jahres das Land jenseits des

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grauen Flusses erobern: König?, unterbrach ihn Dankmar: meintihr Hakon den dritten?: Der Wirt sah ihn an und nickte: KönigHakon gefiel die Idee, er befahl eine Brücke zu errichten und Lan-dolf führte ein Heer über den grauen Fluss, dem ein Tross mitHandwerkern, Ausrüstung und Verpflegung folgte: Seine Späherhatten von einem schönen und reichen Land berichtet und manwollte möglichst bald eine Stadt zur Erschließung des Landeserrichten: Der Wirt schwieg einige Zeit und klopfte mit seinenZähnen gegen den Rand des Bechers, trank und fuhr fort: Nurwenige kehrten aus diesem blühenden und fruchtbaren Land zu-rück: Sie waren erschöpft und verwirrt und seine Stimme klang,als spräche er im Traum: Kleine Gruppen kamen des Nachts,aus dem Nebel und dem Unterholz, schlugen blitzschnell zu undwaren, ohne dass eine Möglichkeit von Gegenwehr bestandenhätte, wieder verschwunden: Aus den Wipfeln der Bäume schos-sen vergiftete Pfeile, Wasser und Verpflegung verdarben: DerWirt brach ab und senkte seinen Kopf: Warin und Dankmar sa-hen einander an, aber niemand wagte zu sprechen: Die wildenMenschen griffen das Heer an und mit ihnen Rudel von Wöl-fen, in ihrer Raserei kaum zu stoppen: Die wenigen Gefangenenwurden vor eine alte Frau gebracht, eine Seherin und vielleichtihre Anführerin: Sie verfluchte die Mark und prophezeite, dasssie untergehen würde, sollte einer ihrer Bewohner jemals wiedereinen wilden Menschen zu Gesicht bekommen: Dann durchtrenn-te man die Fesseln der Gefangenen, riss ihnen die Kleider vomLeib und trieb sie davon: Die Wölfe setzten den Fliehenden nachund bloß eine Handvoll erreichte die Brücke, wo sie der dienst-habenden Wache in die Arme fielen: Sie wollte den anderen zuHilfe eilen, aber die Überlebenden selbst verhinderten es und er-zählten, obwohl kaum einer zu klaren Worten mächtig war, vonder Begegnung mit der alten Frau, ihrem Fluch und davon, dasssie ihn für wahr hielten: Sie baten unter Tränen die Planken vonder Brücke zu nehmen und widerwillig tat es die Wache: Tags

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darauf brach man die Brücke zur Gänze ab, denn die Nacht überwar niemand aus dem Wald zurückgekehrt: Nur die Pfeiler, ei-nige Teile der Rampe und die Trägersteine, die man nur unterSchwierigkeiten hätte entfernen können, beließ man an Ort undStelle: Seit damals bildet die Mark die nördlichen Grenze desReichs!: Von den Überlebenden aber, fiel einer nach dem ande-ren Wahnsinn und Fieber zum Opfer und wenige Tage späterwar keiner mehr am Leben: Landolf selbst blieb verschollen, sei-ne Söhne verstarben bald darauf, ihre Linie verlosch und vielesahen darin einen Beweis für die Wahrheit der Prophezeiung undden Fluch, den die Seherin ausgesprochen hatte.

Der Wirt schwieg und hob seinen Becher beinahe mühselig anden Mund: In unseren Wäldern wurden wieder wilde Menschengesehen: Ein schlechtes Zeichen, nicht nur für Os, sondern fürdie ganze Mark: Er stellte den Becher, ohne davon getrunkenzu haben ab, und nach einer kurzen Pause kehrte seine Stim-me lebendig, wie von einer langen Reise, zurück: In geschäft-lichen Dingen ist Ungewissheit ein schlechter Ratgeber, selbstwenn man geschickt verhandelt: Schließt eure Vorhaben so baldwie möglich ab!, aber selbst dann: Er machte eine kurze Pauseund trank: Wir sind ehrliche Menschen und ein guter Handelnützt beiden Seiten, das wissen wir selbst am besten, doch dieÜberfälle der Wölfe häufen sich, sie fallen diejenigen an, die ih-re Arbeit in den Wäldern verrichten und kommen mittlerweilebis vor die Wälle von Os: Ihre Angriffe sind nicht nur häufiger,sondern auch brutaler geworden, und manche deuten das als einZeichen: Manche, wie gesagt: Er schwieg und sah zuerst Warin,dann Fara und zuletzt Wido an: Dankmars Blick ruhte auf demTisch: er klopfte mit den Fingern irgendeinen Rhythmus auf diePlatte: Wir werden unsere Geschäfte trotzdem versuchen, sag-te er: Seine Finger lagen still, er hob den Kopf und schob demWirt eine Goldmünze hin: Für eure Mühe!: Der Wirt verneigte

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sich und ließ sie rasch in seiner Schürze verschwinden: Wisst ihr,fragte Dankmar, als der Wirt aufstehen wollte: wer die wildenMenschen zuerst gesehen hat?: Ja, antwortete er: Es war Wil-helms Knecht: Ein Torfstecher; er wohnt in einem Gehöft östlichvon Os, keine drei Stunden entfernt.

Der Wirt war ein paar Schritte Richtung Schank gegangen, dasprang die Tür zur Stube auf und eine kräftige, groß gewachseneFrau trat ein, die Felle dreier Wölfe über ihren Arm geschlagenund ein Schwert um die Hüfte, in schmutziges, von Wind undWetter zerschlissenes Gewand gekleidet, über das langes undverfilztes, durch ein ledernes Band nur lose zusammengebunde-nes, ockerfarbenes Haar fiel: Der Wirt begrüßte sie herzlich undsie schlug ihm lachend auf die Schulter: Wir sprachen geradevon ihnen, sagte er, deutete auf die Felle, nahm eines, drehtesich seinen Gästen zu und hob es, so hoch er es vermochte: Eswar silbergrau mit einigen rotbraunen Flecken, ein beinahe wei-ßer Kopf hing herab, mit Kiefern, die lange, scharfe Zähne, diezur Wurzel hin gelblich verfärbt waren, trugen: Ihr könnt sieüberall in den Wäldern treffen, sie springen weiter als ein Hirschauf der Flucht und ihre Mäuler sind von Aas verseucht: Die Ar-me des Wirts begannen zu zittern, er schlug das Fell zusammenund legte es auf den nächst besten Sessel: die Frau schmunzel-te und warf die ihren darüber, löste ihr Schwert vom Gurt undlegte es darauf: Die da drüben, flüsterte ihr der Wirt, als sie andie Schank trat, zu, sind Händler, sie suchen Torf und Kohle: Erreichte ihr einen hölzernen Krug, dunkles, mit herben Kräuternversehenes Bier, den sie in einem Zug leerte und der Wirt erneutfüllte: Sie ging zu den Tischen hinüber, setzte sich auf eine Bank,legte die Füße, mitsamt den schweren, lehmverschmierten Stie-feln auf einen Sessel und lehnte sich gegen die Wand: Beinahehätte ich es vergessen, sagte sie, den Wirt aus den Winkeln ih-rer Augen heraus betrachtend: Auf dem Leiterwagen gegenüber,

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stehen einige Körbe mit Kohlen: Herzlichen Dank!, rief er, sichmehrmals scherzhaft verbeugend, und eilte hinaus: Dann senktesie ihren Kopf gegen die Wand und schloss ihre Augen: Durchdie offene Tür drangen, gleichmäßig, die Hufschläge der Pferde:An ihrer Stirn zog sich eine Narbe, heller als das übrige Gesichtund von ihrem Haaransatz beinahe verdeckt, entlang: Selbst derKienspan, der auf der Platte des Tischs, in einer kleinen, töner-nen Vase brannte, ließ einen Schatten auf ihrem Gesicht, einefeine Schicht von Ruß, die über ihren deutlich hervortretendenZügen lag: Einige schwarzgraue Strähnen durchzogen ihr Haarund Flocken von Asche hingen darin: Ein Geruch von Rauchund Harz schlug Wido, der herüber gekommen war, entgegen:Wie war die Ernte?, fragte er, aber die Köhlerin hing noch ei-ne Weile ihren Gedanken nach: Gut, antwortete sie, öffnete ihreAugen und wandte sich Wido zu: aber der Überfall heute Nachthat alles durcheinander gebracht!: Wölfe?, fragte Wido und dieKöhlerin nickte: Sie zog ihre Füße vom Sessel und drehte ihndurch einen sanften Stoß mit ihrem rechten Stiefel zu Wido hin:Sie richtete sich auf, trank einen Schluck Bier und sah Wido,der Platz nahm, über den Rand des Krugs hinweg an: Aswinwollte einen unserer Meiler abdichten, er hat nicht aufgepasstund ein Wolf ihm beinahe die Kehle zerbissen: Die Köhlerinschielte zur Decke: Wir müssen unsere Meiler Tag und Nachtüberwachen, mutige Männer sind uns willkommen!: Wie heißtihr?: Wido, antwortete er und holte Luft: Eigentlich sind wirgekommen um Kohlen zu kaufen: Wir ... einen guten Handelwerde ich euch aller Probleme zum Trotz nicht verweigern, un-terbrach ihn die Köhlerin lachend: Ich heiße Runa, sagte sie undreichte ihm die Hand: Wir beliefern, begann Wido, während ersich zurücklehnte: Schmieden und Hütten, wir kaufen, so vielwir bekommen können, solange die Qualität stimmt: Nun, Ru-na erhob sich: die Menge überschlagend: Fünfzig Zentner Kohlepro Meiler, alle zwei bis drei Wochen: Die Ausbeute schwankt,

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je nach Witterung und verfügbarem Holz: Wir betreiben fünfbis sieben Meiler, ungefähr hundert Zentner können wir liefern,regelmäßig und ohne Probleme: Kommt mit nach draußen undseht euch die Kohle an!

Als sie hinaustraten, hob der Wirt einen Korb voll Kohlen vonder Ladefläche des Wagens: Runa nahm einige Stücke herausund warf eines davon Wido zu: Die Kohle war leicht wie Kreideund spröde: Sie drückte die Stücke in ihrer Hand zusammen, biseines von ihnen brach und trat zu Wido hin: Die Bruchstelle warbläulich gefärbt und die Maserung des Holzes an der Längsseitegut zu erkennen: Ihr werdet in der ganzen Mark keine besserefinden!: Wido drehte die Kohle hin und her und wog sie in sei-ner Hand, als müsse sie sein Vertrauen erst gewinnen: Er warfdas Stück in hohem Bogen in einen der Körbe aus geflochte-nem Eisen, die der Wirt vor dem Wagen hatte stehen lassen:Hell, mit metallischem Klang, purzelte die Kohle von der Wanddes Korbs: Die Köhlerin lächelte und Wido nickte zufrieden: Siedrehte sich dem Wagen zu und wollte die Kohle auf die La-defläche werfen: da legte sich ihre Stirn in Falten, die Fingerschlugen krampfartig zusammen und zerbröselten die Kohle inihrer Hand: Runa ging ein paar Schritte mit erhobenem Kopfin den Platz vor dem Gasthof hinein und während ihre Fingerüber die Brösel von Kohle tasteten, folgten ihre Lippen einemkaum zu vernehmenden Rhythmus: Plötzlich warf sie die Kohlefort und rannte auf den Wall von Os, der den Platz abschloss,zu: Wido blieb verwundert stehen und sah wie die Köhlerin ihreHandflächen noch im Laufen sauber rieb und hastig die Lei-ter zur Brustwehr hinauf kletterte: Sie sprach mit den Posten,gestikulierte und jeder deutete mit seinem Arm in eine andereRichtung: Erst jetzt bemerkte Wido die Schläge: Sie kamen auseiniger Entfernung, gerade noch zu bemerken, als ob ein Ham-mer oder Klöppel gegen riesige Klanghölzer prallte: Er zählte

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zwei helle Schläge, denen vier dunklere folgten: nach einer kur-zen Pause wiederholte sich das Signal: wieder und wieder: Miteinem Mal rannte auch Wido auf den Wall zu und kletterte dieLeiter hinauf: es kommt von den Köhlern!, schoss es ihm durchden Kopf, er sah bereits auf die Brustwehr, als einer der Postenein Horn, das an einem Lederriemen von seiner Schulter herabhing, an die Lippen setzte: dann war er oben und ein dunkles,langgezogenes Krächzen ertönte, dem einige kurze Stöße folg-ten: Leute liefen zu kleinen Gruppen zusammen, der Wirt kamaus dem Gasthof, aber sie zerstreuten sich bald wieder: Widoging zur Köhlerin hinüber, die unentwegt Richtung Wald starr-te und kniff seine Augen zusammen: Da!, rief einer der Postenund wies auf einen blassen Punkt, der rasch an Helligkeit undGröße gewann: Schatten sprangen hin und her: gelb, rot, oran-ge!, beruhigten sich aber, als sich das Feuer hob und senkrechtgegen den Himmel richtete: Ich muss zurück, stieß Runa hervor:Sofort!: Sie schob Wido zur Seite, blieb aber, als sie die Leiterein Stück abwärts geklettert war, stehen und sah zu ihm hinauf:Ihr seid mehr als ein Landläufer, sagte sie und fuhr, ohne sei-ne Antwort abzuwarten, fort: Wir können Männer wie euch gutgebrauchen, überlegt es euch noch einmal, ich komme morgenoder übermorgen wieder, dann treffen wir einander und spre-chen über unser Geschäft: Aber Wido fasste sie am Arm, als sieweiter abwärts klettern wollte: Ich komme mit euch!

Keine Verpflichtung, sagte Wido, kann gegen das Unberechen-bare bestehen!: Er hielt das Schwert der Köhlerin fest mit sei-nen Händen umschlossen: Fara lehnte abseits an der Wand undWarin saß bei Tisch, neben Dankmar, der sich gerade erhob:Unsere Pflicht, sagte er: wächst nicht aus der Bitte und demDank eines Fürsten, aber bedenke, dass das Wohl der Mark unddamit: jedes einzelnen, auf dem Spiel steht: Jede Stunde ent-scheidet und ein jeder von uns: Dankmar ging um den Tisch

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herum und auf Wido zu: Aus freien Stücken sind wir aufgebro-chen, aus ebensolchen können wir gehen: wohin auch immer wirwollen, aber über Pflicht und Verantwortung können die Kräfteunseres Willens nicht verfügen: Wie Schatten kleben sie an unsund geben niemals Ruhe: Das Naheliegendste und Dringendstezuerst: die Rechenschaft, von der du sprichst, sagte Wido: liegtin der Zukunft, im Ungewissen: Dort draußen aber herrscht Not,die Köhler gilt es zu schützen!: Dann betrat der Wirt die Stu-be und sie dämpften ihre Stimmen: Und unsere Gemeinschaft,die Verpflichtung, die jeder dem anderen gegenüber hat, ist ihrWert so gering?: Auch Warin stand auf: Es ist, antwortete Wido:keineswegs einfach, sich zwischen dem Notwendigen und seinenGefährten zu entscheiden!: Fara, die schweigend zugehört hatte,nutzte den Augenblick von Stille und trat an den Tisch: Manmuss das Unabwendbare nur zu nutzen verstehen: Ich reite mitWido zu den Köhlern, wir werden sie unterstützen und nach denwilden Menschen befragen: ihr sprecht inzwischen mit WilhelmsKnecht und seht euch das Hochmoor an: Wir alle treffen uns inzwei Tagen dort, wo der Kohlenweg in den Wald eintritt: Dank-mar, Warin und Wido stimmten zu, denn Faras Vorschlag tatallen genüge.

Wido warf Runa ihr Schwert zu, sie bestiegen die Pferde undritten, von fünf Männern der Wache begleitet, durch das Tor:Die Nacht schloss sie ein, bis auf eine Blase milchigen Lichts,die ihre Fackeln warfen: Sie nahmen die westliche Straße, dieparallel zum Rand des Waldes verlief: Das Klopfen fiel zu ih-nen herüber und obwohl rechter Hand immer wieder Wege zumWald hin abzweigten, hielten sie so schnell wie möglich auf dieGehöfte der Köhler zu, die direkt an der Straße oder auf denfreien Flächen zwischen Wald und Straße lagen: Über dem Waldhingen träge, weiße Wolken von Rauch, die sie eine Weile beglei-teten, dann tauchte hinter einer Gruppe von Bäumen das Feuer

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hervor: Es befand sich in der Mitte eines Hofs, dessen Gebäu-de sich dunkel von den Flammen abhoben: Ihr Verbund warlocker, um eine freie Fläche herum angeordnet und die Zugän-ge vorne und hinten durch Barrikaden versperrt: Leiterwagen,Kisten, Bäume und Bretter: An den Seitenflächen war zwischenden Mauern der Häuser ein Damm aufgeschüttet und mit einemschmalen Wehrgang versehen: Sie bildeten einen Keil und hiel-ten auf die vordere Barrikade zu: Die Wölfe schillerten silbernund das Feuer warf entsetzliche Schatten: Brennende Pfeile fra-ßen sich in das Dunkel, fielen von den Dächern und Fensternherab: Die Köhler hatten sich in die Häuser zurückgezogen unddie Wölfe die Barrikade beinahe erreicht: Fara drängte an dieSpitze, schlang die Zügel um ihren Arm und legte einen Pfeilauf die Sehne: Sie zielte auf einen der kräftigen, sich gewandtbewegenden Körper in der Mitte des Haufens: Einige Hufschlä-ge lang hielt sie das Tier gefangen: tötet so viele ihr könnt!, riefirgendjemand: sie ließ die Sehne los und ihr Pfeil bohrte sichtief in die Flanke des Wolfs: Er überschlug sich und ein zweitesTier stolperte über ihn, dann trampelten sie die Pferde nieder:Die Wölfe bemerkten sie erst jetzt, lösten sich in einzelne Rudelauf und wandten sich ihrem neuen Gegner zu: Die Köhlerin riefnach Wido: sie rissen ihre Pferde herum und sprangen über dievordere Barrikade: In der Mitte lodert das Feuer, heiß und grell:Sie stiegen von ihren Pferden, Runa riss ihren Schild vom Sattelund sie rannten am Feuer vorbei, auf die hintere Barrikade zu:In diesem Moment sprang ein großer, schwarzer Wolf darüber,ein zweiter folgte ihm und die Bogenschützen konzentrierten ihrFeuer auf die beiden Tiere: Brandpfeile schossen über die Köpfeder beiden hinweg: Wido sprang zwei Schritte nach vorne undwarf seine Axt, auf das zweite Tier: Sie fuhr dem Wolf in denSchädel, er überschlug sich, kam wieder auf die Beine und stol-perte auf Wido zu, doch ein Pfeil fuhr ihm in den Rücken, einzweiter vor ihm in den Boden und ein dritter in seinen Hals:

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Der andere Wolf sprang auf die Köhlerin zu und prallte gegenihren Schild: seine Zähne schlugen Funken, aber Runa drückteihn zu Boden und hieb ihm den Kopf vom Rumpf: Ein weiteresRudel von Wölfen überwand die Barrikade, aber ein Spieß fuhrkrachend zwischen sie: Die Wache kam geritten und die Köhlereilten aus den Häuser herbei: Die Wölfe fletschten ihre Zähne,machten kehrt und flohen.

Runa zog den Spieß aus dem Holz, sprang über die Barrikade,rammte ihn einige Meter davor in die Erde und steckte den Kopfdes Wolfs, den sie eben getötet hatte, darauf: Sie stellten Postenauf und verbesserten die Barrikaden, die Wachen versprachenbis zum Morgen zu bleiben und die Köhler bedankten sich fürihre Hilfe: Wir müssen weiter, sagte die Köhlerin zu Fara undWido: Kurz darauf ritten sie den Weg den sie gekommen warenzurück und nahmen die nächste Abzweigung Richtung Wald:Das Klopfen war verstummt und das Wetzen der Hufe der ein-zige Laut: Der Weg wurde schmaler, als er in den Wald eintratund der Schein der Fackeln verzerrte die Wurzeln, Spurrinnenund Steine: Feine Fäden von Rauch schlängelten sich über denBoden, die dicker und zahlreicher wurden je tiefer sie in denWald gelangten: Bald floss ihnen der Rauch wie Nebel um dieStämme und Äste der Bäume entgegen: Fara hustete und ih-re Augen brannten: Hier stimmt etwas nicht, sagte Runa: Siestiegen ab, gingen ein Stück weit in westlicher Richtung undschlugen einen Bogen, um den Rauch herum: Kurz bevor sie dieLichtung betraten, zog die Köhlerin ihr Schwert und Wido seineAxt aus dem Gürtel: Einige Meter vor ihnen stand der Mei-ler, ein schwarzer, kegelförmiger Hügel, mit einer Höhe von dreiund einem Durchmesser von zehn Metern: Seine rechte Seite wareingebrochen: Flammen sprangen hervor, Rauch quoll in dickenWolken heraus und legte sich über den Wald: Unmittelbar nachdem Meiler, macht die Lichtung einen Knick nach links, flüs-

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terte die Köhlerin: Falls Wölfe hier sind, werden sie uns nichtwittern: Dann traten sie hinaus: Trotz des Rauchs meinte Wi-do den Eintrittspunkt des Wegs zwischen den Bäumen erkennenzu können: Die Köhlerin ging langsam auf den Meiler zu undseinen linken Rand, die dem Rauch abgewandte Seite, entlang:Der Boden war modrig und weich: nur das Feuer auf dem Mei-ler knisterte und knackte: Blassblau lag das Licht des Mondsauf der Lichtung: sie hörten Blätter raschelten, ein Schaben undWetzen und hielten, wo die Lichtung nach links abbog: Durchdie schmalen, hochgezogenen Fenster, die die Bäume freigaben,flackerten Bewegungen: Beine scharrten, ein Kopf zuckte: Kie-fer, die Knochen zerrieben und Fleisch: ein Wolf der fraß!: Nurihres gleichen verschmähen sie, zischte Runa und fletschte ihreZähne, aber Wido hielt sie zurück und deutete zum anderen En-de der Lichtung hin: Zwei Schatten lösten sich vom Rand desWaldes und kamen herüber, langsam, mit lockeren Schritten:Runa zog eine Fackel, die neben dem Meiler in der Erde steckteund entzündete sie in einem Nest von Glut: Sie nickten einan-der zu, Wido trat um die Ecke und die Köhlerin hinter demMeiler hervor: Fara lehnte sich an einen der Bäume, legte einenPfeil auf die Sehne, spannte ihren Bogen, bis sie einen erstenWiderstand spürte, zielte auf die beiden Wölfe, entspannte dieSehne und wartete: Die Vorderbeine des Wolfs ruhten auf demLeib eines Köhlers, seine Schnauze und sein Maul waren tief inseinen Brustkorb vergraben: Er bemerkte Wido erst, als dessenAxt in seinen Rücken fuhr: Sein Heulen erstarb in einem Win-seln, er fuhr herum und stolperte über die Leiche des Köhlers zuBoden: Wido zog seine Axt aus dem Rückgrat des Tiers, dessenVorderbeine noch einmal zuckten und richtete sich auf: Vor ihmhingen, zwischen den Bäumen gespannt, acht Rundhölzer unter-schiedlicher Länge, allesamt verkohlt, Äste oder junge Stämmeunterschiedlicher Dicke, in der Nacht kaum zu erkennen: Nebendem Toten lag ein dünneres Holz, etwa dreißig Zentimeter lang:

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Er drehte sich um und sein Blick glitt zu Fara hin und auf dieLichtung hinaus:

Die beiden Wölfe fauchten und fletschten die Zähne, als sie dieKöhlerin entdeckten: Runa ging, ohne ihren Blick abzuwenden,auf die beiden Tiere zu, in der einen Hand ihr Schwert, in deranderen die Fackel: Die Wölfe wurden langsamer und drücktenKopf und Brust zum Boden hin: In ihren Augen spielte das Feuerund ihre Vorderpfoten scharrten in der Erde: Sie zögerten kurz,dann hatten Hass und Furcht eine Hinterlist geboren: sie wichen,scheinbar unschlüssig wohin sie sich wenden sollten, langsam zu-rück: Alle paar Schritte, die Runa auf sie zu ging, schoben sichdie Wölfe ein kleines Stück nach außen, in eine Angriffspositionan den Seiten hin: Als sie bis auf wenige Meter heran war, zogeiner der Wölfe seinen Kopf nach hinten, als ob er fliehen wollteund sprang plötzlich auf Runa zu: Sie tat einen Satz nach vorne,aus dem Mittelpunkt des Angriffs heraus, drehte sich gleichzeitigum die eigene Achse und knallte dem Wolf, der sie um Haares-breite verfehlte, ihre Fackel in die Flanke: Flammen flossen übersein Fell und verwandelten das Tier in einen Ball von Feuer:Ein Luftzug berührte die Wange der Köhlerin und riss den Wolfzu Boden: Sie ließ die Fackel fallen, umfasste ihr Schwert mitbeiden Händen, vollendete die Drehung und rammte dem zwei-ten Wolf, der Sekundenbruchteile später heran gesprungen kam,das Schwert in den Rücken: Der Wolf wand sich und versuchte,die Klinge mit seinen Kiefern zu erreichen, er fauchte und sankplötzlich zurück: Aus einer Wunde in seinem Hals ragte ein gel-ber, eschenhölzerner Schaft.

Sie standen lange neben der Köte, um den Toten herum: Ei-ner der Rundlinge hatte sich aus seiner Verspannung gelöst undschwang in unregelmäßigen Abständen gegen seine Nachbarn:Tränen gruben sich eine Bahn durch Ruß und Staub, die das

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Gesicht der Köhlerin bedeckten: Wir müssen noch den Meilerverbessern, sagte sie mit unsicherer Stimme: morgen reiten wirweiter: Kurz darauf gingen sie zu dem Meiler hinüber, er waran mehreren Stellen eingebrochen, aus denen noch immer Flam-men und Rauch schlugen: Mit Rechen und Gabeln zogen sie dieGlutnester auseinander und erstickten die Flammen; sie stopf-ten die Löcher mit Holz, dichteten sie mit Grasmatten ab undwarfen anschließend Erde, die mit Kohlenstaub vermischt war,darüber: Ich werde wachen, sagte die Köhlerin: in der Köte findetihr Liegen, macht Feuer und wenn ihr Glück habt, ist noch Sup-pe da!: Sie lehnte eine Leiter gegen den Meiler, kletterte hinauf,einen mannsgroßen Stab, der im Gras gelegen war in Händenund stieg auf den Meilers hinaus, sich vergewissernd ob er sietrug: Sie überprüfte alles noch einmal, suchte nach Senken, diesie übersehen hatten und führte, falls nötig, Luft zu.

Ah!, rief Wilhelm mürrisch und zugleich erfreut aus, und deuteteWarin und Dankmar ihm zu folgen: Er eilte, mit langen Schrit-ten zum hinteren Ende der Stube, durch die offenstehende Türund den anschließenden Gang, an einer Küche und einem Wasch-raum vorbei: Er blieb stehen, legte seine Hand an die Schnalleder Tür und wartete mit einem sanften Lächeln, bis ihm diebeiden nachgekommen waren: Dann riss er die Tür auf, so dasssie krachend gegen die Wand fuhr: Daran ist dieser Idiot schuld,ganz allein!: Hört ihr?: Er drehte sich zur Seite und wies mit derHand in den Raum, aus dem ein leises Schnarchen drang: Sei-ne Fenster waren verhängt, im Halbdunkel sahen sie eine Reihevon Stockbetten und am hinteren Ende eine Gestalt, die in eineDecke gehüllt war, sich einmal herum drehte und dann wiederstill wie ein Stein dalag: Seit drei Tagen liegt er hier!, schrie Wil-helm: Drei Tage, dieser Nichtsnutz!: Dann warf er die halb offeneTür zu, gab den beiden, die einander verwundert ansahen, einHandzeichen und stapfte an ihnen vorbei, zurück in die Stube:

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Er wird nüchtern!: Schön langsam, murmelte er: schön langsam.

Er bat seine Gäste Platz zu nehmen, servierte Tee von geräucher-ten Kräutern, Branntwein und Honig: Er hat es überall herumerzählt!: Diese Geschichte ist seine Schuld, ganz alleine: Er stütz-te sich auf die Lehne des Sessels vor ihm: und meines Ansehenswegen, kann ich es nicht einmal aufklären: er ist ja mein Knecht!:Er sank ein Stück mehr auf die Lehne, hob seine Hände auf dieHöhe seiner Schultern und ließ sie kraftlos fallen: Es hat bereitsAuswirkungen auf mein Geschäft!: Dann bemerkte er, dass sei-ne Gäste vor leeren Bechern saßen, schnellte hoch und schenkteihnen Tee ein, schob Branntwein und Honig hin, sah zu wie siesüßten und schmeckten: Er wippte nervös mit dem Stuhl hinund her, so lange, bis ihm Warins und Dankmars Aufmerksam-keit wieder sicher schien: Ich wundere mich, dass ihr überhaupthier seid, der ganze nördliche Ring ist in Aufregung, die Aussich-ten auf Geschäfte sind schlecht wie schon lange nicht!: Obwohl,fügte er nach einer kurzen Pause hinzu: ich gerne welche machenwürde: Er zog seine Schultern hoch und sog Luft in seine Lungen:Ich verstehe, stieß er mit einem Schwall von Luft hervor: wennes euch schwer fällt, Vertrauen zu fassen: Nun, sagte Dankmar:Vertrauen bedarf einer gemeinsamen Anstrengung: Erzählt wasihr noch wisst und schlagt uns etwas vor: So leicht lassen wiruns nicht verschrecken!: Gut!, sagte Wilhelm und setzte sich:Verzeiht, wenn ich es mir gemütlich mache: Er zog eine Ladeaus dem Tisch, legte eine hölzerne Pfeife auf die Platte und eineDose aus Horn: Wilhelm öffnete die Dose und schob sie in dieMitte des Tischs: Kostet nur, es ist hervorragend: Dankmar undWilhelm stopften ihre Pfeifen, steckten sie an und der Torfste-cher begann zu erzählen: Seit Generationen sind wir mit denKöhlern im Geschäft, unser Torf ist begehrt, besonders seit demVerschwinden der großen Waldgürtel im Südwesten: Dass Torfbrennbar ist, weiß ein jeder, aber verkohlt gibt er noch heißeres

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und gleichmäßigeres Feuer: Das ist unsere Spezialität und derGrund warum unsere Wälder wachsen: Er zog an seiner Pfeifeund blies einen Ring von Rauch Richtung Decke, der an denBalken zerschellte: Es sind Annehmlichkeiten und Treffen wiedieses, die unsere Arbeit begründen: Er grinste: und natürlich,der Nutzen!: Die Köhler, erklärte er: sind ein eigenwilliges Volk,verschwiegen und durch ihre Einsamkeit leicht zu verletzen: Geldinteressiert die meisten nur, soweit es ihnen zum Leben genügtund ihre Unabhängigkeit erhält, das macht es nicht einfach mitihnen ins Geschäft zu kommen: Aber, sagte er, grinste erneutund schaukelte dabei seinen linken Zeigefinger hin und her: siehaben eine kleine Schwäche für Kraut, Schnaps und Bier, Güterdie sie selbst nicht herstellen und selten bekommen: Das verbes-sert unsere Position ein wenig, denn auf die Kohle kann keinerverzichten, von den Mühen ihrer Herstellung und der Erfahrungdie man benötigt, einmal abgesehen: Nicht Reichtum und Gold:Die Kohle sichert Macht, Herrschaft und Dynastien: Soldatenbrauchen Waffen, ihren Sold können sie sich nötigenfalls selbstbeschaffen: Er lehnte sich zurück und kaute an seiner Pfeife: Esist nun einige Wochen her, als er, dabei deutete Wilhelm mitseiner Hand Richtung Gang, eine Fuhre Torf zu den Köhlernbrachte, wie üblich und vereinbart: Sie verkohlen ihn, wir be-zahlen und übernehmen Transport und Verkauf: Meist bringt ereinige Kleinigkeiten mit, die den Köhlern in den Monaten, die sieim Wald verbringen das Leben erleichtern: Mein Knecht half beider Arbeit, es war schon spät und er blieb über Nacht: Abendsfeierte man, sang, tanzte und trank, wie es bei den Köhlernnach dem Abschluss der Ernte üblich ist: Wilhelm lief, er warder letzte, der noch stehen konnte, in den Wald, vielleicht wollteer sich die Beine vertreten oder pissen: Jedenfalls sah er zweiwilde Menschen, die sich der Lichtung näherten; er beobachtetesie eine Weile und die beiden nahmen erst Reißaus, als sie ihnerblickten: Ich habe selbst einige Zeit benötigt, bis ich dahinter

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kam, dass er die Gerüchte in die Welt gesetzt hat, aber mitt-lerweile scheinen andere ähnliche Beobachtungen gemacht odererfunden zu haben: Man weiß kaum mehr was wahr ist und wasnicht; er seufzte: Vor einigen Tagen war er auf der Hochzeit sei-nes Bruders, deswegen liegt er danieder: Wenn er nicht ebensotüchtig wäre, wie er trinken kann, hätte ich ihn längst davongejagt: Er senkte seinen Kopf und sog kräftig an seiner Pfeife,dann sah er die beiden an: Das ist, was ich weiß und beitragenkann: Warin sah ihn an und öffnete seine Handfläche über demTisch: Das ist beunruhigend, aber kein Grund ein Geschäft nichttrotzdem zu versuchen: Wir sprechen noch mit den Köhlern, indrei Tagen kommen wir wieder, dann geben wir euch bescheid,wie viel Torf wir benötigen: Sie standen auf und bedankten sichbei Wilhelm: Dann, sagte dieser: freue ich mich auf eure Wie-derkehr!: Er schüttelte ihre Hände und begleitete sie zur Tür.

Der Rand der Sonne schob sich über die Lichtung, es war kaltund in den Ästen der Bäume hingen noch Streifen von Dunst:Blauer Rauch stieg von der Erde und den Grasmatten, die denMeiler bedeckten, hoch: Runa blinzelte: sie war lange nach Mit-ternacht eingeschlafen, im Sitzen und auf ihren Stab gestützt:Jetzt lag der Tau in Perlen auf ihrem Haar und dem dunkelnMantel: Sie sah den grauen, qualmenden Hügel an, einige Zeitlang, als hätte sie alles nur geträumt, stand auf, und klopfte denTau von ihren Kleidern, der Ruß und Staub in eine schwarz-graue Schmiere verwandelt hatte: Die Sonne fraß den Dunstund der Meiler glänzte, als ob nichts geschehen, als ob er selbst-verständlich schon immer dagestanden und alles ohne weiteresmöglich gewesen wäre: Das Schöne steht jenseits von gut undböse, es achtet sie nicht, es achtet nichts, es ist einfach: DieStrahlen der Sonne schnitten in die Schatten, fleckig leuchteteder steinerne Hügel aus dem Dunkel des Waldes: Sie sah wie-der hinüber, starrte den Meiler an: die Luft begann zu flimmern

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und sie wurde immer ungewisser darüber, was sie tat, was siealle hier taten: Ein Knacken riss sie aus ihren Gedanken, Widokam von der Köte herüber: In den Furchen der Rinde und denBüscheln von Gras, die sie bedeckten, hingen ebenfalls Tropfenvon Tau: Rotviolett, grün und gelb: wie das Zelt eines Fürsten,der sich im Feld befand: Runa ging Wido, der in einen Mantelaus Fellen gehüllt war, langsam entgegen: Selbst die Rußschichtin ihrem Gesicht war klebrig geworden, eine Maske die Müdig-keit und Erschöpfung nur notdürftig barg: Sie sahen einanderan und Wido nahm Runa den Stab aus der Hand, ging vorüberund blieb unmittelbar vor dem Meiler stehen: Er schloss die Au-gen, sog den Rauch und die harzige, rußgeschwängerte Luft inseine Lungen: Er hielt sie, solange es ging und atmete langsamaus, dann ging er zu der Seite, die sie ausgebessert hatten undstieß den Stab durch den Mantel des Meilers: Er zog ihn her-aus und wollte den austretenden Rauch betrachten, aber Runawar an seine Seite getreten und hatte ihre Hand um den Stabgelegt: Wido ließ ihn los: Ich möchte bei euch bleiben, sagt erund aus dem Loch, das Wido durch den Kruste von Erde undGras gestoßen hatte, sprang eine Flamme: Wir können Männerwie dich gebrauchen, sagte Runa leise und ihre Augen waren wievon Glas, dann rief Fara herüber: Sie hatte die Suppe gewärmtund den Topf vor die Köte gestellt.

Auf ihrer Oberfläche schwammen riesige Augen von Fett: Je-der nahm einen Löffel, sie krümelten schwarzes Brot hinein undaßen: Es ist eigenartig, murmelte Runa nach einer Weile mithalbvollem Mund: dass man manchmal selbst das Schöne zer-stören muss, und als Fara und Wido sie verwundert ansahen,sagte sie: Die Wölfe meine ich: die Wölfe: Runa kaute fertig undlegte ihren Löffel beiseite: Sobald sich der Dunst aufgelöst hat,reiten wir zur hinteren Lichtung: Die Meiler werden seit Tagengekühlt und die Ernte sollte bereits begonnen haben: Wir wollen

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nach Osten, an die Kohlenstraße, sagte Fara: und dann wiederzurück nach Os, wenn es keinen Umweg bedeutet, begleiten wireuch: Die Köhlerin nickte, Wido und Fara aßen fertig, brachtenTopf und Löffel in die Köte, während die Köhlerin noch einmalnach dem Meiler sah: Danach brachen sie auf.

Sie erreichten die Lichtung nach Mittag: Um ihren Mittelpunktwaren drei Meiler gruppiert, an ihrem südlichen Ende begannein breiter Weg und die Kohle des ihm am nächsten liegendenMeilers wurde bereits geerntet: zwei Leiterwagen, Körbe, Ga-beln, Rechen, Eimer und Wannen mit Wasser standen und la-gen herum: Die heiße Kohle wurde gelöscht und dann auf diehölzernen, mit einem Korbgeflecht versehenen Leiterwagen ge-laden: Dampf, Rauch, Asche und Ruß hingen in der Luft: Vorden Köten befand sich eine Feuerstelle, eine Suppe hing in ei-nem Kessel über der Glut, Löffel, Schalen und Brot lagen her-um: Innerhalb eines kleinen Gatters hielt man eine Ziege undein paar Hühner, daneben war bereits neues Holz aufgeschichtetund entästete, grob behauene Stämme von Eichen und Buchen:Sie begrüßten einander und ließen sich im Kreis um den Kesselnieder: Runa berichtete was geschehen war und einer der Män-ner geriet darüber in Wut: Er packte einen der Rundlinge aufdenen sie saßen und warf ihn mit solcher Kraft gegen den nächs-ten Baum, dass er brach und sich um den Baum schlang: In denGesichtern und Händen der jungen Köhler klebte Ruß und Er-de, sie trugen lange Bärte und ebensolches Haar, von Bändernoder Schnüren zusammen gehalten: Es war filzig und das satteBraun und Schwarz von einem grauen Farbton durchtränkt: DerKöhler setzte sich und rammte die Fersen seiner Stiefel in denBoden: Wir werden noch einen, vielleicht zwei Tage benötigen!:rief er zornig: Ihr seid zu dritt, sagte Wido: mit mir zusammenvier: Zwei und zwei wechseln einander mit der Wache ab: DieWölfe können einen von uns, nicht aber zwei überraschen: Der

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andere Köhler nickte Wido freundlich zu: Wir sind für jede Hil-fe dankbar: Aber wir müssen, begann Fara und stutzte, als ihrBlick auf Wido traf: ich, verbesserte sie sich: muss in wenigenStunden weiter: sie sah kurz zu Boden, auf einen kantigen Stein,aus dem ein rauchfarbener Kristall von Quarz ragte und danndie beiden Köhler an: Wie gefährlich sind die wilden Menschen,von denen man überall hört?: Ich möchte meinen Weg verkürzenund durch den Wald reiten!: Ach!: rief einer der beiden Männerund wehrte Faras Bedenken mit einer lässigen Handbewegungab: Ich habe noch keinen gesehen, keiner von uns!: Gerüchte,sagte Runa: Märchen!, rief sie, lachte und warf ihren Kopf hinund her: An die Arbeit!: der zweite Köhler sprang auf und schlugseine Hände zusammen.

Mit den Rechen rissen sie die Grasmatten und die Erdkrummevon den Meilern und die Kohle raschelte und knisterte wie Me-tall, wo sie in Bewegung geriet: Staub wirbelte auf: Hitze schlugihnen entgegen und Wido hustete, als er die Kohle gleichmäßigüber dem Boden ausstrich: Fara löschte sie und Wido schaufeltesie in Körbe, die die Köhler zu den Leiterwagen brachten: We-nige Stunden später war der Meiler abgetragen und die Kohleverladen.

Zwei Frauen, die am nächsten Morgen die Kohle nach Os bringenwürden, hatten Bier und Kraut gebracht: Runa reichte Fara dieHand: Auf unser Geschäft!, rief sie lachend, während das Geläutin einem frechen Rhythmus erklang: Sie klopfte Fara eilig aufdie Schulter und ging zu dem Feuer, das vor den Köten brannte,hinüber: Ein Paar hatte zu tanzten begonnen, die anderen stan-den im Kreis um sie, stampften mit den Füßen und klatschtenin die Hände: Runa setzte sich neben sie, nahm ein Tamburinin die rechte und eine Flöte in die linke Hand: Wido begleiteteFara noch ein Stück weit in den Wald: Du bist enttäuscht, sagt

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er, als sie stehen blieben und Fara nickte: aber ich kann nichtanders und ich will es auch nicht: Er reichte ihr eine Fackel hin-auf: Alles Gute, sagte er: euch allen!: Der Wind ließ die Flammeder Fackel erzittern und warf die bläulichen Rauchfahnen derMeiler, die man grade noch sehen konnte, durcheinander: Wi-do ging wortlos zurück und Fara sah ihm nach und noch wiedas Paar auf einen der Meiler kletterte: Funken stoben hoch, alssie zu tanzen begannen: Die Musik trieb sie an, schneller undschneller.

Fara traf Dankmar und Warin dort, wo der Kohlenweg in denWald eintrat: Sie begrüßten einander und erzählten was sie überdie wilden Menschen und Wilhelms Knecht erfahren hatten: Diebeiden nahmen an, dass Wido im Lauf des Nachmittags eintref-fen würde und Dankmar fragte erst nach einer Weile und bloßnebenbei nach ihm: Fara schüttelte langsam den Kopf und zogunbewusst an ihrem Zügel: Ihr Pferd hielt und auch die anderen,die ein paar Schritte vor Fara geritten waren, hielten und wen-deten ihre Pferde: Wido wird nicht kommen, sagte sie: er hatbei den Köhlern eine neue Bleibe gefunden: sie schwiegen undFaras Pferd schlug mit dem rechten, vorderen Huf unruhig gegenden Boden: Dann werden wir das letzte Stück, wie auch immeres aussehen mag, ohne ihn gehen, sagte Dankmar, sie wendetenabermals und folgten dem Weg: Zwischen die Schieferplattenschoben sich Büschel von Gras und die Wurzeln der Bäume ho-ben sie an: Sie ritten noch eine Weile, suchten eine geeigneteStelle am Rand des Wegs und machten Feuer: Uns bleiben nochzwei Tage, dann müssen wir nach Nordwalt zurück: Wir könnenmorgen aufbrechen oder die verbleibende Zeit für Erkundungennutzen: Sie saßen um das Feuer, begannen Wido zu vermissenund ahnten, dass er ihnen eine große Hilfe gewesen wäre: Keinerwollte unverrichteter Dinge aufbrechen, aber sie waren ratlos,wie sie ihre Erkenntnisse hätten erhärten können: Fara bestellte

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Widos Wünsche, auf die sie völlig vergessen hatte: Sie verscho-ben ihre Entscheidung auf morgen Früh, jeder hing noch einigeZeit lang seinen Gedanken nach, dann legten sie sich schlafenund Warin übernahm die erste Wache.

Wenn wir heute aufbrechen, erreichen wir Nordwalt und Gun-tram zur rechten Zeit, egal welchen Widerwertigkeiten, Unwet-tern oder Wegelagerern, wir begegnen müssen: Warin sah denWeg zurück, der kerzengerade in den Wald hineinschnitt unddessen Anfang noch als heller Punkt zu erkennen war: Das Feuerwar heruntergebrannt und aus der Glut stieg eine kümmerlicheFahne von Rauch in die Höhe: Es war angenehm warm und nochwährend Warin sprach, kam ein schwarzer, faustgroßer Vogelheran und landete auf einem dornigen Busch am gegenüberlie-genden Rand des Wegs: Sein Kopf war schiefergrau gefärbt undsein Schnabel blau: Er sprang den Ast auf dem er sich nieder-gelassen hatte, langsam aufwärts und pickte die glasig schim-mernden Beeren aus den Gabeln der dunklen Zweige: Keck saher nach links und rechts, sich seiner Zuseher vergewissernd undwarf seinen Kopf zurück: Er schleuderte die Beere in die Luft,sperrte seinen Schnabel und schlang sie hinunter: Die Gerüchtehaben sich nicht bestätigt, sagte Dankmar, stand auf und gingzu Warin hinüber: Aber weder Wilhelm, noch der Wirt, warensich sicher, obwohl es in ihrem Interesse gewesen wäre: Einzig dieKöhler, erwiderte Warin: und die müssen es wissen!: Ich bin mirnicht sicher, antwortete Dankmar und umfasste sein Kinn mitder linken Hand: sie interessieren sich für Holz und Kohle undbewegen sich nur entlang der Wege und Lichtungen: die Tiefe desWaldes ist ihnen fremd!: Der Vogel war weiter, bis an die Spitzedes Zweigs gesprungen, der sich unter seinem Gewicht nach un-ten bog: Er hatte eine Beere in seinen Schnabel geklemmt undkorrigierte ein, zwei Mal die Stellung seines Kopfes durch einruckartiges Nicken: seine schiefergraue Farbe ging allmählich in

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das Schwarz des Körpers über, die Augen waren im selben Tongefärbt und von einem feinen, goldenen Ring umgeben: Der Vo-gel schleuderte die Beere in die Luft, dreißig, vierzig Zentimeter,stieß sich ab und stieg schraubenförmig in die Höhe: er vollen-dete seine Drehung, fing die Beere: flog über den Weg zwischenWarin und Dankmar hindurch und über Faras Kopf hinweg, dieihm ein Stück weit hinterher lief: Er wendete scharf, zog denKohlenweg entlang Richtung Fluss, bis er im Nebel verschwun-den war: Wir müssen ihm folgen!, rief Fara, während Dankmarund Warin dem Vogel hinterher sahen: Wenn wilde Menschenauf unserer Seite des Flusses sind, dann erst recht auf der an-dern!: Sie keuchte und blieb stehen: Auf die andere Seite, mur-melte Warin und sah Dankmar an, der ein paar Schritte in denWeg hinein und auf Fara zu, ging: Ihr kennt Guntrams Gebot,rief ihm Warin plötzlich hinterher: Und die Prophezeiung...!, die,Dankmar drehte sich ruckartig um: jetzt in eigenartiger Weisegegen seinen Auftrag steht!: Es ist unser Weg, bekräftigte Faraund trat an Dankmars Seite: als hätte das Los an unserer stattentschieden: Und doch sind es vielleicht ganz andere Gründe,warum wir gehen, mutmaßte Dankmar: warum wir gehen soll-ten, fügte er hinzu: Warin sah lange in die Richtung in die derVogel verschwunden war und dann kurz in die, aus der sie ge-kommen waren: Er schloss seine Augen, legte die Stirn auf seineFäuste und klopfte sachte dagegen: Reiten wir, sagte er: auchwenn mich davor scheut.

Die meisten Schieferplatten waren vor langer Zeit verwittert unddie Wurzeln der Pflanzen hatten in der mineralischen Erde Haltgefunden: Farne, Sträucher und Schlingpflanzen hatten den Wegüberwuchert, er glich einer fadenförmigen Lichtung, überall la-gen Blätter herum und die wenigen noch existierenden Plattenhatten Moose und Flechten überzogen: Vereinzelt standen jun-ge Bäume dazwischen und büschelweise blutrote Becherlinge:

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Aber noch war der Weg offen, alle großen Gehölzer waren ge-fällt und fortgeschafft worden: In den Kronen der Bäume hingenWolken von Dunst und je weiter sie ritten, desto tiefer sank erherab: Da sie den Fluss bereits hörten, banden sie die Pferdean einen morschen Stamm, der quer über den Weg gefallen warund gingen zu Fuß weiter: Der Dunst wurde dichter und Faralegte einen Pfeil auf die Sehne ihres Bogens, obwohl kaum et-was zu sehen war, worauf sie hätte zielen können: Sie stolpertenvorwärts, blieben in Ranken und Dornen hängen, gingen in ei-ner Reihe, zwei Armlängen voneinander entfernt und Dankmartastete mit seinem Stab wie ein Blinder: Wann immer er aufeinen Baum stieß, gingen sie, um eine Vierteldrehung versetzt,entgegen der Richtung aus der sie gekommen waren, und als sienichts mehr sahen, riss der Wind den Nebel, wie riesige Händeeinen Vorhang, beiseite: Sie blieben einige Zeit lang stehen undließen die Luft widerstandlos über Haut und Haar fließen: Anden Resten des Nebels vorbei, schossen ihnen blauschnabeligeVögel entgegen, die sie wie Trabanten zu umkreisen begannenund erst jetzt, als die Vögel einander jagten, Rollen schlugenoder wie Pfeile zur Erde hinab schossen, fielen ihnen ihre lan-gen Beine auf: Als sie wenig später ans Ufer traten, spielten dieStrahlen der Sonne scheu in den Wellen des Flusses: Auf deranderen Seite sahen sie Äste aus dem Nebel ragen und Bäume:Die Böschung war erdig und feucht: der Fluss zog gemächlichdahin.

Sie fällten einen der Bäume am Ufer, so, dass er die andere Seiteerreichte und balancieren hinüber: Die Vögel folgten ihnen undumkreisten den Stamm: Einige blieben in der Höhe ihrer Augenstehen und sahen neugierig zu, wie sie über die glatte, vom Taubefeuchtete Rinde der Buche zum anderen Ufer gelangten: An-dere trudelten, als wären ihre Flügel verletzt, auf die Oberflächedes Wassers zu, nur um im letzten Augenblick wieder elegant

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aufwärts zu steigen: Vom anderen Ufer liefen dicke Schlierenblaugrüner Farbe in den Fluss, die das Wasser graugrün färbten:Sie verästelten sich immer feiner und wurden von der Strömungdavon getragen: Irgendetwas, Erde oder Lehm vielleicht, muss-te, durch das Regenwasser aus dem Boden gewaschen, in denFluss dringen: Der Baum lag nur wenige Meter von den alten,steinernen Pfeilern, die noch im Fluss standen, entfernt und die-jenigen, die der anderen Seite am nächsten standen, hatten sich,dort wo sie das Wasser erreichte, blaugrün gefärbt.

Ich hoffe ich bin dir willkommen, flüsterte Fara, als sie von demBaumstamm auf die weiche Erde hinab stieg: Die Vögel folgtenihnen nicht auf das andere Ufer: sie flogen zurück und ließen sichauf den Ästen der Bäume und den Pfeilern der Brücke in derMitte des Flusses nieder: und keiner von ihnen sang: Nachdemsie die andere Seite betreten hatten, begann der Dunst zurück-zuweichen, die Sonne brach hindurch und die Luft wurde klar,aber die Bäume waren schwarz, ihre Äste dürr, ohne ein einzi-ges Blatt: Stämme lagen auf dem Boden, vermorscht und vonschwefelgeleben Pilzen überwachsen: Sie begannen das Ufer inöstlicher Richtung abzusuchen und wanderten danach ins Lan-desinnere, denn der Wald war nur wenige hundert Meter breit:Sie begegneten keinen Vögeln und keinen anderen Tieren, au-ßer Schlangen und Molchen: niemandem, keinem menschlichenWesen: sie fanden auch keinen Spuren, obwohl sie in dem wei-chen Boden leicht zu entdecken gewesen wären: Im Landesinne-ren erbrachen sich heiße Quellen auf die schottrig-schlammigeErde, es roch nach Schwefel: gelbe, rote und grüne Beläge mitkleinen Kristallen überzogen Holz und Steine und die warmenLacken waren über und über mit schleimigen Teppichen gefüllt:Die meisten Quellen warfen grünen Schlamm, der fast überallden Boden zu bedeckten begann und ebensolches Wasser, her-vor: Die Gräser und Farne, die den Wald abgelöst hatten, wa-

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ren verschwunden: Wo kein Schlamm lag, standen zwischen denKrusten rost-brauner Flechten, kleine, hartblättrige Pflanzen,die schüsselförmige Blätter mit messerscharfen Rändern besa-ßen und lange Stacheln, an denen Tropfen von Tau hingen.

Hie und da sahen sie ein paar Stämme, astlos und irgendwoin der Mitte gebrochen und manchmal einen dornigen Busch,ein dunkles Skelett ohne Blätter: In einer breiten, flachen Sen-ke, die mit silbrigem Gras bestanden war, tranken sie aus ei-ner Quelle, die geruchloses und beinahe klares Wasser führte:Einen Tag lang durchsuchten sie die trostlose Landschaft, dannkam ein schneidender Wind auf und sie froren, weil sie kaumHolz zum Feuermachen fanden: Fara und Dankmar wurde übelund schwindlig, ihre Köpfe dröhnten und Warin halluziniertevon einer blühenden Landschaft: er sah Rehe und Hirsche undBäume voller Früchte: Sie mussten auf ihn Acht geben, wie aufein kleines Kind und ein paar Mal wäre er beinahe in eine dererschöpften Quellen gestürzt: Ihr Schlamm füllte Senken undSpalte und bekam eine oberflächliche Kruste an der sich Staubund Reste von Pflanzen verfingen: Abends bekam Fara Fieber,sie beschlossen umzukehren und Dankmar gab jedem eine Phio-le mit einer roten Flüssigkeit zu trinken: Vielleicht hilft es, sagteer noch: Sie legten sich schlafen und marschierten am nächstenMorgen zurück: Bilder von bestürzender Schönheit überlagertendie trostlose Landschaft und verwirrten ihren Geist: Als sie denWald erreichten, fielen sie erschöpft auf die Erde und schliefenein, wo sie lagen: Der Wind trug warme Luft vom anderen Uferherüber und in der Früh waren Übelkeit und Fieber einem hefti-gen Kopfweh gewichten: Aber hier ist nur der Tod, sagte Warin,noch immer verwirrt, als er sich umsah: Er erinnerte sich nurmehr daran, dass sie den Wald verlassen hatten und erzähltevon einer paradiesischen Landschaft in der wilde Tiere und ein-fache, ihnen feindlich gesonnene Menschen lebten.

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Obwohl geschwächt, durchkämmten sie, auch um Warins Wil-len den Waldstreifen in westlicher Richtung, ohne Spuren, Tie-re oder Menschen zu finden, außer einer blauen Schlange, dieein gelbes Band, im Zick-zack über ihren Körper gewunden,trug: Ihr Leib, den Dankmar mit seinem Stab aus einem sma-ragdfarbenen Tümpel fischte, brach auseinander, von hunder-ten, fadenförmigen Würmern zerfressen: An den toten Stämmensaßen lange, stabförmige Insekten, schwarzviolett gefärbt, dieHolz und Flechten fraßen und gläsern-durchscheinende Schne-cken die schwefelgelben Pilze: Die Vögel sangen, hell, als sie zudem Stamm der Buche zurückkehrten und den Fluss überschrit-ten: Der Dunst senkte sich wieder über die andere Seite und alsalle sicher hinübergelangt waren, stießen sie den Baumstammvom Ufer: das Wasser gurgelte, er sank und für Augenblickeschlugen die Wellen, helle und graugrüne, über ihm zusammen:dann trug ihn der Fluss davon!: Das diesseitige Ufer blieb klar,sie gingen den Weg zurück und die Vögel begleiteten sie: DesNachts saßen sie mit offenen Augen in den Bäumen und Bü-schen und fraßen weiße Beeren, als Fara, Dankmar und Warinneben ihren Pferden schliefen: Am nächsten Morgen machten siesich auf den Rückweg, ließen Os am Vormittag hinter sich undbis zur Dämmerung noch den größten Teil des Kohlenwegs: Vordem Schuttkegel, der auf das Plateau hinaufführte übernachte-ten sie: In den Ritzen der grauen Platten lag am Morgen roterSand, den der Wind in der Nacht vom Plateau herab getragenhatte: Am frühen Nachmittag erreichten sie Nordwalt, geradezur rechten Zeit: In der hölzernen Halle kam ihnen Guntramentgegen: Sagt schnell, was ihr wisst!, rief er, seine Arme ausge-streckt und ein wenig besorgt: Ein blauschnabeliger Vogel ließsich auf einem Balken in der Halle nieder: Die Welt, begann Fa-ra: ist nüchtern geworden: Die wilden Menschen sind fort oderniemals in den Wäldern gewesen!

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