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Wilfried BommertMarianne Landzettel

VerbrannteMandeln

Wie derKlimawandel

unsere Tellererreicht

Originalausgabe 2017© 2017 dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, MünchenDas Werk ist urheberrechtlich geschützt. Sämtliche, auch

auszugsweise Verwertungen bleiben vorbehalten.© Karten: Peter Palm

Umschlaggestaltung: Katharina Netolitzky/dtvGesetzt aus der Sabon

Satz: Fotosatz Amann, MemmingenDruck und Bindung: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem PapierPrinted in Germany · ISBN 978-3-423-26157-9

Ausführliche Informationen überunsere Autoren und Bücher

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Inhalt

Vorweg 7

1 Klimawandel in KalifornienDas Ende für Mandeln, Möhren und Melonen? 19

2 Kaffee adeWarum die Kaffeepause künftig ausfällt 61

3 Kleine Fliege, großes ProblemDie Schädlinge und der Wein 83

4 Wenn der Acker wegschwimmtBodenerosion in Iowa 94

5 Öl-VerderberDie Olivenfruchtfliege macht sich breit 131

6 Bittere OrangenDer Gelbe Drache auf dem Vormarsch 146

7 Das Ende der FrühkartoffelnDas Wasserproblem am Nil 158

8 Spanische Tomaten & Co.Wird der Gemüsegarten zur Wüste? 171

9 Offshore-Äcker und die deutsche FleischindustrieAbhängigkeit durch Futter aus Übersee 186

10 Tee trinken, aber nicht abwartenLektionen aus Indien 199

11 SchokoladE:Luxusgut der Zukunft. 239

12 Zuerst die Austern, dann die Fische…Was die Versauerung der Meere bewirkt 252

Ausblick: 271

Karten 284

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Vorweg

Es gibt Ereignisse, die verändern die Welt von einem Tag auf denanderen, manchmal von einer Stunde zur nächsten. Der Mauer-fall. Die Terrorangriffe des 11. September 2001. Der Tsunami,der eine Kernschmelze im Nuklearreaktor in Fukushima aus-löste. Wir erinnern uns an die Daten, oft wissen wir noch genau,wo wir waren, als wir von diesen Ereignissen zuerst hörten.

Der Klimawandel ist ein Weltereignis, das sich an keinemDatum festmachen lässt. Der 30. August 2016 wird nicht in dieGeschichte eingehen, auch wenn an diesem Tag Gavin Schmidt,der ranghöchste Klimaforscher bei der US-RaumfahrtbehördeNASA, erklärte, es sei »höchst unwahrscheinlich«, dass die glo-bale Erwärmung auf unter 1,5 Grad Celsius begrenzt werdenkönne, ein Wert, auf den man sich bei der UN-Klimakonferenzin Paris 2015 geeinigt hatte. »Wir drosseln die Treibhausgas-emissionen nicht einmal so weit, dass die Erwärmung bei unter2 Grad Celsius gehalten werden kann.«1 Wie zum Beweiserklärten die Wissenschaftler 2016 zum heißesten Jahr seit Be-ginn der Wetteraufzeichnungen. Den bisherigen Rekord hieltbis dahin das Jahr 2015.

1 https://www.theguardian.com/environment/2016/aug/30/nasa-climate-change-warning-earth-temperature-warmingDieses und die folgenden Zitate aus dem Englischen wurden von Ma­rianne Landzettel übersetzt.

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Direkt spürbar werden die Auswirkungen des Klimawandelsfür uns alle über Veränderungen bei den Wasserkreisläufen.Auch Regionen, für die Dürre bislang ein Fremdwort war,werden Wassermangel erleben, heißt es in einer Weltbank-studie2, »gleichzeitig werden Regenfälle variabler und wenigervorhersagbar, während wärmere Meere zu häufigeren Über-flutungen und Sturmfluten führen«.

Über das Wasser (zu viel, zu wenig oder zur falschen Zeit)und über die steigenden Temperaturen erreicht der Klimawandelauch unsere Teller: Über 80 Prozent der Weltmandelproduktionkommt aus Kalifornien, zusammen mit der Hälfte allen Obstesund Gemüses, das in den USA auf den Markt kommt. Wegender anhaltenden Dürre lagen dort 2016 fast 32 000 HektarAckerland brach. Unzeitgemäße Regenfälle verzögerten zu-nächst die Aussaat im Mittleren Westen der USA und laugtendie Böden aus. In Louisiana fiel im August so viel Regen – biszu 70 Zentimeter in drei Tagen –, dass große Teile der Reis-ernte in den überfluteten Lagerhäusern vernichtet wurden.Sojabohnen und der für die zweite Ernte noch auf den Feldernstehende Reis wurden überflutet und begannen zu keimen.

Die anhaltende Dürre im gleichen Jahr in Teilen Indiens giltals eine der schlimmsten in der Geschichte des Landes. InEuropa war das Frühjahr 2016 für die Landwirtschaft entwe-der zu nass und zu kalt oder zu warm und zu trocken. Bauern-regeln, die Jahreszeiten und die Beobachtung von Wetterzyklenmit entsprechenden Regeln für Aussaat und Pflanzpläne ver-banden, haben längst alle Gültigkeit verloren. Vielfach geht diezeitliche Harmonie z.B. vom Beginn der Blüte einer Obstsorteund dem Vorkommen bestimmter bestäubender Insekten ver-loren. Dafür finden andererseits Schädlinge und Erreger neuerPflanzenkrankheiten beste Bedingungen vor.

2 »High and Dry: Climate Change, Water, and the Economy«, WorldBank 2016, http://www.worldbank.org/en/topic/water/publication/high-and-dry-climate-change-water-and-the-economy

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Seit 2014 dezimieren von Bakterien verursachte Krankheitendie Ernten bei Oliven und Trauben im Mittelmeerraum. DieKirschessigfliege bedroht vor allem Steinobst und im warmenund feuchten Klima des Jahres 2014 konnte sie sich besser ver-mehren als je zuvor. In der Schweiz ziehen unbekannte Rost-pilze und Wicklerraupen durch die Apfelplantagen nordwärts.Schafe und Rinder werden von Krankheiten befallen, die es bis-lang nur in südlicheren Breitengraden gab. Die »Blauzungen-krankheit« wird von einer Mückenart übertragen, die bis 2006nur in afrikanischen Staaten beobachtet wurde. Inzwischenüberleben diese Mücken auch in Norddeutschland.

Der Klimawandel mit seinem Trend zu extremem und für diejeweilige Jahreszeit oft unüblichem Wetter stellt nicht nur dieProduktion einzelner Obst- und Gemüsesorten in bestimmtenRegionen der Welt infrage. Pflanzen bilden die Grundlagemenschlichen und tierischen Lebens auf der Erde, denn sie ha-ben die einzigartige Fähigkeit, Sonnenlicht in Energie umzu-wandeln. Damit dieser »Fotosynthese« genannte Prozess ineiner Pflanze stattfinden kann, braucht sie zur richtigen Zeit diejeweils richtigen Bedingungen, wie z.B. ausreichend Licht, Feuch-tigkeit und Wärme. Selbst kleine Abweichungen vom Optimumbeeinträchtigen die Photosynthese und damit die Entwicklungder Pflanze. Der Klimawandel verändert die Wachstumsbedin-gungen – weltweit, in unvorhersehbarer Weise und lokal völligunterschiedlich. Und damit bedroht er die Ernährungssicherheiteiner immer noch wachsenden Erdbevölkerung.

Werden Landwirte unsere Teller auch in Zukunft noch füllenkönnen? Welche Voraussetzungen müssen dafür geschaffenwerden, und welche Lösungsansätze für die gegenwärtigen Pro-bleme gibt es? Auf der Suche nach Antworten haben wir, dieAutoren Marianne Landzettel und Wilfried Bommert, uns aufReisen begeben, wir haben Farmen besucht und mit Landwirtengeredet, Familienbetriebe, Großbetriebe und Bauern, die vonSubsistenzwirtschaft leben. Und wir haben mit Experten ge-

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sprochen, die sehr unterschiedliche Wege gehen – auf der Suchenach technischen Lösungen, biologischen Lösungen (z.B. überBoden- und Saatgutforschung) und auch politischen Lösungen.

Marianne Landzettel reiste nach Indien und in die USA mitStationen in Kalifornien, Iowa und Oregon. Auch im Bereichder Landwirtschaft sind die Vereinigten Staaten ein Land derSuperlative.

In Kalifornien dreht sich alles ums Wasser: Seit sechs Jahrenherrscht Dürre und ein Ende ist nicht abzusehen. Dabei hattendie Farmer im Central Valley über Jahrzehnte regelmäßig Er-trags- und Einkommensrekorde zu verzeichnen: Sie produzie-ren – je nach Sorte – 50 bis 90 Prozent allen Gemüses undObstes, die in den USA verzehrt werden, und 80 Prozent derWeltmandelproduktion stammen ebenfalls aus Kalifornien. DieFarmer arbeiten fast ausschließlich mit künstlicher Bewässe-rung. Die anhaltende Dürre wirft jetzt die Frage auf, wer An-recht auf wie viel Wasser hat – die Interessen von Farmern,Städten (insbesondere den knapp vier Millionen Bewohnernvon Los Angeles) und Umweltschutz stehen in Konkurrenzzueinander. Die steigenden Temperaturen verschärfen nicht nurdie Wasserproblematik, die warmen Winter stellen das Überle-ben von Mandel- und Obstbäumen infrage, da durch die zuwarmen Temperaturen die für den Austrieb von Blüten unab-dingbare Ruhezeit der Pflanzen ausfällt. Gibt es technischeLösungen? Können die Farmer mehr Wasser sparen? Oder we-niger durstige Sorten anbauen – Oliven statt Mandelbäume?Überleben nur landwirtschaftliche Betriebe, die genug Geld ha-ben, um mit Maschinen, die für die Erdölförderung entwickeltwurden, nach Wasser zu bohren? Oder ist das Aus für die Land-wirtschaft im Central Valley nur eine Frage der Zeit?

Alles in den USA ist etwas größer – einschließlich der Pro-bleme. Und dadurch wird der Blick auf die Landwirtschaft ineinem Staat wie Iowa zum Blick in die mögliche Zukunft derglobalen Landwirtschaft. Die Faktoren, die hier zusammenkom-

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men, sind dabei, den perfekten Sturm zu erzeugen. Die schwar-zen Böden in diesem Teil des Mittleren Westens sind extremfruchtbar und fast ausschließlich in den Händen der industriel-len Landwirtschaft. In Iowa leben nur knapp 3,2 MillionenMenschen, aber mit 21 Millionen Tieren ist der Staat mit Ab-stand der größte Schweinefleischproduzent Amerikas. Auchbeim Anbau von GVO (genetisch veränderte Organismen)-Mais und GVO-Soja hält Iowa den US-Rekord. In kaum einemStaat sind die Konsequenzen der industriellen Landwirtschaftfür Boden, Luft, Wasser und menschliche Gesundheit so deut-lich zu sehen wie hier. Der Direktor der Wasserwerke in IowasHauptstadt Des Moines erklärt, warum er inzwischen über dieGerichte versucht, die Nitratverseuchung der Gewässer wenigs-tens zu reduzieren. Der Klimawandel verschärft die Proble-matik weiter, Landwirte in Iowa erleben inzwischen immerextremere Regenfälle und Überflutungen. Die industrielleLandwirtschaft setzt auf technische Lösungen, größere Ma-schinen und fortschreitende Intensivierung, was, so sagen dieKritiker, zu noch mehr, noch schneller voranschreitender Boden-erosion führt. Die Kombination aus industrieller Landwirtschaftund Klimawandel, so das Argument, zerstört die Grundlageunseres Ernährungssystems. Die Situation in Iowa ist besondersextrem und ermöglicht damit den Blick in die Zukunft. Auchin Iowa gehen deshalb einige Farmer neue Wege und stellenihre Produktion um, auf Biolandbau, Milchkühe und Schweinein Weidehaltung oder Gemüse statt Futtermais und Soja.

Wenn die USA das Land mit der modernsten Agrartechnologiesind, dann ist Indien das genaue Gegenteil3. Noch immer gibt

3 Eine Ausnahme stellte der im Norden Indiens gelegene BundesstaatPunjab dar. Anfang der Sechzigerjahre des 20. Jahrhunderts führteder US-Biologe und als »Vater der Grünen Revolution« bekannteNorman Borlaug im Punjab eine von ihm gezüchtete kurzhalmigeWeizensorte ein, die mit genügend Wasser, Kunstdünger und Pestizi-den zunächst sehr hohe Erträge erbrachte. Inzwischen fallen die Ern-

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es hier überwiegend kleinstbäuerliche Betriebe, die Bauern be-wirtschaften winzige Flächen, ein Ochsengespann vor demPflug ist häufiger zu sehen als ein Traktor. Genau wie in denUSA sind in Indien jedoch die Folgen des Klimawandels beson-ders deutlich zu sehen. Fast überall in Indien ist die Landwirt-schaft vom Monsun abhängig. Über Jahrhunderte war dessenBeginn fast auf den Tag genau vorhersagbar. Inzwischen kommter zu spät oder gar nicht, bringt zu wenig Regen oder solcheWassermassen, dass der Ackerboden samt der frischen Saateinfach weggeschwemmt wird. Marianne Landzettel reist seitüber 20 Jahren regelmäßig nach Indien und hatte Gelegen-heit, die Auswirkungen des Klimawandels ebenso zu sehenwie die unterschiedlichen Ansätze, damit umzugehen: von derkleinbäuerlichen Saatgutinitiative und biodynamischen Teeplan-tagen im Himalaya im Norden, über kleinbäuerliche Land-wirtschaft in Gujarat und Orissa, von Feldern in den Sundar-bans an der Gangesmündung in West-Bengalen, die bis zurMitte des Jahrhunderts im Meer versunken sein werden, überGewürz- und Gemüseanbau in Kerala und Tamil Nadu imSüden bis zu einer Hightech-City-Farm in Nagpur, der Stadtin der geografischen Mitte Indiens. Vielleicht liegt es an denDimensionen dieses Landes, das von Ost nach West knapp3000 Kilometer misst, fast so viel wie von Nord nach Süd:Großstädte mit klimatisierten Einkaufzentren, Hochhäusernmit Helikopterlandeplatz und Technologiefirmen, die sich innichts von denen in Silicon Valley unterscheiden sind genau-so indische Realität wie Slums, Smog, Kastenwesen, Unter-ernährung und Armut. In den Medien selten diskutiert wirddie Tatsache, dass Indien einer der weltgrößten Nettoexpor-

ten mager aus, Böden und Wasser sind mit Agrarchemie verseuchtund versalzen, Studien stellen einen direkten Zusammenhang zwischendem Einsatz von Pestiziden (darunter auch DDT) und der hohen Zahlder Krebserkrankungen her. Armut ist in diesem einst reichen Agrar-staat wieder ein weit verbreitetes Problem.

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teure4 von landwirtschaftlichen Produkten ist, 2013 lag Indienauf Rang sieben, vor Australien.

Von der Subsistenzlandwirtschaft bis zur Plantage – Klima-wandel ist überall ein Thema, und Indiens Landwirte nutzenalle ihnen zur Verfügung stehenden Methoden von Hightechbis Lowtech, regional angepasst und in jeder denkbaren Kom-bination. Die Erfolge sind erstaunlich und in vieler Hinsichtwegweisend für den Rest der Welt.

Von Anpassung an Hitze- und Dürrewellen kann in anderenTeilen der Welt nicht die Rede sein. Wilfried Bommert erlebtein Brasilien, Afrika und Europa, wie der Klimawandel die lieb-gewonnen Rituale und Selbstverständlichkeiten unseres Alltagsuntergräbt. In Brasilien wachsen nicht nur die besten Kaffee-bohnen der Welt, sondern auch die aromatischsten Orangen.Ohne den Sojaanbau in den Weiten des brasilianischen Cerrado,den Savannen Zentralbrasiliens, würde bei uns kein Schweinsatt. Brasilien versorgt mittlerweile weltweit die Mastställe derFleischindustrie. Doch nun wird es zu heiß in den endlosenPlantagen des Cerrado, zu trocken zur falschen Zeit. Die Miss-ernten 2015 im Osten des Landes zeigen an, dass sich das Klimaverändert. Diese Veränderung könnten bald auch die Mast-fabriken Europas zu spüren bekommen, und dann wäre es mitdem Billigfleisch in unseren Fleischtheken und auch auf unserenWurst- und Schinkenplatten zu Ende.

Gegen Dürre und Hitze kämpfen auch die Kleinbauernweiter im Süden des Landes. Eine Tagesreise von São Pauloentfernt im Bundesstaat Minas Gerais liegt das Zentrum desbrasilianischen Kaffeeanbaus. Wer dort über Land fährt, er-kennt heute schon die Spuren von Hitze und Trockenheit.80 Prozent des heutigen Kaffeeanbaugebietes könnte demneuen Extremwetter zum Opfer fallen. Nicht besser sieht es für

4 http://www.fas.usda.gov/data/india-s-agricultural-exports-climb-record-high

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die Orangenplantagen aus. Die Großplantagen mit ihrer Mas-senproduktion haben es vor allem auf den Markt in Europaabgesehen. Noch schwärmen sie vom großen Wachstum. Dochihre Rechnung könnte durch eine kleine Fliege zunichtegemachtwerden, die sich unter den neuen Klimaten bestens vermehrt.Sie trägt ein Bakterium in sich, das die Kraft besitzt, Orangen-bäume zu erdrosseln. Die Bakterien blockieren den Kreislaufder Bäume und lassen sie so langsam verdursten. Der Kampfgegen die Orangenfliege ist im vollen Gange, doch er scheintaussichtslos, denn sie versteht es, sich brillant zu versteckenund zu tarnen.

Ähnliches erleben zurzeit einige tausend Kilometer östlich,jenseits des Atlantik, die Olivenbauern in Europa. Im SüdenItaliens ist eine Zikade am Werk, die ein Bakterium verteilt,das ähnliche Wirkung zeigt. Es verstopft die Saftleitungen derOlivenbäume. Auch wenn diese schon mehr als tausend Jahredie Landschaft in Apulien bestimmen, die Bakterien zwingenauch die ältesten Giganten in den Olivenhainen in die Knie.Die Europäische Union verordnet den Bauern eine harte Me-dizin. Sie sollen mit Äxten und Motorsägen alles abholzen,was Anzeichen von Befall zeigt. Doch auch in diesem Kampfscheint der Schädling der Stärkere zu sein. Ebenso wie beieiner anderen Plage, die seit 2014 in Mittelitalien die Olive-nernte dezimiert. Die Olivenfliege legt ihre Eier direkt in dieFrüchte und verdirbt sie so für die Bauern und die Ölmühlen.In den Traumlandschaften der Toskana, in Umbrien und denMarken könnte der Olivenanbau bald der Vergangenheit an-gehören, weil er vor allem den Kleinbauern kein Einkommenmehr sichert.

Auch die Weinbauern in Europa quälen sich mit einer Fliegeherum, die sie bisher noch nicht kannten. Wieder ist es derKlimawandel, der ihr ideale Vermehrungsbedingungen schafft.Es ist die Kirschessigfliege so genannt wird sie, weil sie zunächstKirschen in Essig verwandelte. Doch seit 2014 macht sie auchvor den Rebstöcken nicht mehr halt. Im Herbst fällt sie in

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Massen in die Rotweinhänge von der Toskana über Südtirol, dieSchweiz und nun in Baden und Württemberg ein. Zur Reifezeitsticht sie die Trauben an und öffnet damit ein Einfallstor fürEssigbakterien, die von Natur aus überall im Weinberg lauern.Essig statt Wein: Wenn dies mehrfach hintereinander passiert,bleibt auch den Winzern keine Überlebenschance.

Ebenso wie den Gemüsebauern, die in Almería die größteGemüselandschaft der Welt errichtet haben, alles unter Plastik,alles mit künstlichem Regen versorgt. Die Spanier nennen es»Mar del plástico«, und sie erfahren immer deutlicher, dassdiese Kunstlandschaft nur auf Zeit existieren kann. Auch wennsie Nordeuropa über zwölf Monate im Jahr mit Tomaten, Salatund Paprika versorgt, im Klimawandel hat das Plastikmeerkeine Chance. Wenn der Sahara der Sprung über das Mittel-meer gelingt – und daran besteht kein Zweifel –, wird ihr Wüs-tenklima dem Plastikmeer seine Grundlage entziehen, das Was-ser. In Nordeuropa könnten die Niederlande das Marktpoten-zial übernehmen, aber auch für sie hat der Klimawandel keinegute Prognose, das steigende Meer könnte dem Land unterhalbdes Meeresspiegels die Zukunft rauben.

Ähnliches droht den Bauern im Niltal in Ägypten, wo dieFrühkartoffeln Europas wachsen. Auch hier ist das Meer aufdem Vormarsch, und der Strom des Nils verliert an Kraft, weildie Staaten in seinem Quellbereich auch Anspruch auf das Nil-wasser erheben. So schrumpfen Wasser und Boden, und damitdie Voraussetzungen für den florierenden Frühkartoffelexportdes Landes. Und der Tag rückt näher, an dem der Export derfrühen Kartoffeln nach Europa ein Ende finden wird.

Auch die Weltmeere bleiben vom Klimawandel nicht ver-schont. Die Erwärmung der Atmosphäre heizt die Ozeane auf.Die steigende CO2-Konzentration versauert das Wasser. Beidesbekommt dem Leben im Meer schlecht. Weil die kleinen Algenverschwinden, brechen die großen Nahrungsketten der Welt-meere auseinander. Besonders betroffen sind die Tiere mit Kalk-panzer, die Schalentiere, allen voran Austern und Miesmu-

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scheln, leiden. Immer mehr Fischarten flüchten in den nochkühlen Norden und versuchen so, den steigenden Temperaturenzu entkommen. Verschwinden die Früchte der Meere damitvon unserer Speisekarte? Kann ihr Verlust durch die Zucht-becken der Aquafarmen ausgeglichen werden?

Und noch etwas vorweg …Der Klimawandel gleicht dem entkommenen Flaschengeist,

die Veränderungen lassen sich nicht rückgängig machen. Imbesten Fall finden wir Methoden, die Folgen abzumildern undzu kompensieren. Landwirtschaft greift in sehr fein aufeinan-der abgestimmte Kreisläufe ein, die »richtigen« Pflanzen sollendie besten Wachstumsbedingungen haben, nicht das »Unkraut«.Um zu verstehen, welche Auswirkungen der Klimawandel mitseinen unvorhersehbaren Wetterereignissen hat, ist es sinnvoll,einen kurzen Blick auf die komplexen Bedingungen zu werfen,die stimmen müssen, damit nicht nur »das Richtige«, sonderndamit überhaupt etwas wächst.

Von der Photosynthese war bereits die Rede. Ohne sie gehtgar nichts: Die Zucker, die eine Pflanze mithilfe von Sonnen-licht herstellt, sind die Energie, die sie für alle physiologischenProzesse braucht, damit bildet sie Blätter, Stängel, Blüten, Wur-zeln… Kurz gesagt: Pflanzenwachstum erfolgt mit Zucker, deraus Sonnenenergie hergestellt wird. Für die Photosynthese unddie Herstellung von Zucker nutzt die Pflanze in der Luft ver-fügbares CO2 und Wasser aus dem Boden – davon später mehr.Und die Pflanze braucht die richtige »Betriebstemperatur«.Der Spielraum für »richtig« ist eng begrenzt. Bei Pflanzen, diegewöhnlich in einem moderaten Klima wachsen und denenmeist genug Wasser zur Verfügung steht, sinkt die Photosyn-theserate drastisch, wenn es auf einmal außergewöhnlich heißund trocken ist. Schon nach kurzer Zeit zeigen sie Stressreak-tionen: Die Blätter rollen sich ein, um den Wasserverlust zuminimieren, die noch vorhandene Wachstumsenergie geht indie Wurzeln. Pflanzen, die grundsätzlich in heißen, trockenen

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Gebieten leben, haben sich an diese Bedingungen angepasstund eine wassereffizientere Form der Photosynthese entwi-ckelt, sie nutzen die Kühle und Feuchtigkeit der Nacht für dieAufnahme von CO2.

»Jede Spezies hat ein charakteristisches Temperaturprofil,spezifische Temperaturen, die vom ersten Keimen bis zur ReifeWachstum und Entwicklung jeweils optimal fördern«,5 schreibtLaura Lengnick, Professorin für nachhaltige Landwirtschaftam Warren Wilson College in South Carolina.

Manche Pflanzen, Winterweizen z.B. oder Obstbäume, brau-chen eine bestimmte Anzahl von kühlen und kalten (aber nichtzu kalten) Tagen als eine Art Ruhephase. Das darauf folgendeAnsteigen der Temperaturen löst zusammen mit der zunehmen-den Tageslichtlänge im Frühjahr einen Wachstumsschub aus, diePflanzen treiben und setzen Blüten an. Ist der Winter zu mild,setzt die Ruhephase nicht richtig ein, kommt es zu keinemWachstumsschub, Blüten werden nicht oder nur unzureichendgebildet. Für Obstanbauer weltweit sind milde Winter inzwi-schen ein zunehmendes Problem.

Und nicht nur die großen Temperaturzyklen spielen eineRolle – selbst kurzzeitige, lokale Veränderungen können Aus-wirkungen haben: Weizen z.B. liebt heiße Sommertage undkühle Nächte. Zu warme Nächte bedeuten Stress für diePflanze, die Ernteerträge sind deutlich niedriger.

Für »Unkräuter« gelten dieselben Bedingungen wie fürNutzpflanzen. Landwirte und Gärtner rücken ihnen mit allenzur Verfügung stehenden Waffen zu Leibe, von der Hacke biszur Giftspritze. Eine Konsequenz des Klimawandels ist, dassneue, bislang nur in wärmeren Zonen beheimatete Unkräuternach Norden vordringen. Dasselbe gilt für Schädlinge, bakte-rielle Infektionen und Pilzerkrankungen. Während die Nutz-pflanzen noch versuchen, sich an die veränderten Bedingungen

5 Laura Lengnick: ›Resilient Agriculture‹, New Society Publishers 2015,S. 71.

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anzupassen, bekommen sie Konkurrenz von Neuankömm-lingen, die an diesem Standort ideale Bedingungen vorfinden.Schon jetzt reduzieren Unkräuter weltweit die Ernteerträge ummehr als ein Drittel.6 Und Widerstandsfähigkeit gegen neue Er-krankungen müssen die Nutzpflanzen erst noch entwickeln.Bis es so weit ist, haben es die Landwirte mit einer Vielzahlganz neuer Probleme zu tun.

Zurück zur Fotosynthese. Genau wie wir Menschen be-stehen auch Pflanzen zu 90 Prozent aus Wasser. Pflanzen brau-chen Wasser für die Fotosynthese. Und Wasser hat noch eineweitere, lebenswichtige Funktion für Pflanzen: Es transportiertStickstoff, Phosphor, Kalium und viele weitere Mineralien undSpurenelemente aus dem Boden über die Wurzeln in alle Teileder Pflanze. Die »extremen Wetter«, die wir inzwischen mitdem Klimawandel assoziieren, bedeuten, dass es oft zu viel, zuwenig oder zur falschen Zeit regnet. Ob den Pflanzen dennochdie richtige Wassermenge zur Verfügung steht (Überflutungenvertragen die wenigsten Pflanzen), hängt entscheidend von derBodenqualität ab. Erst in den letzten Jahren konzentrieren sichWissenschaftler auf die Erforschung dieses unterirdischen Mi-krokosmos, in dem Myriaden von Organismen leben und in-teragieren, in dem Mykorrhizapilze in Symbiose mit Wurzelnleben und Netzwerke bilden, deren Funktion wir bislang ersterahnen können. Solche »guten« Böden enthalten viel organi-sche Bodensubstanz und nehmen Wasser fast wie ein Schwammauf. Ob und wie es Landwirten, Kleinbauern, Farmern undRanchern weltweit gelingt, Bodenqualität zu erhalten oderwieder zu verbessern, wird wesentlich mitbestimmen, welchekonkreten Folgen der Klimawandel hat und ob wir uns auch inZukunft werden ernähren können.

6 Laura Lengnick, a.a.O., S. 82.

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Klimawandel in Kalifornien.das Ende für Mandeln, Möhren und Melonen?

Breite, schnurgerade Reihen gleichmäßig gewachsener Möhren-pflanzen verschmelzen in der Ferne zu einem grünen Meer,darüber spannt sich das Blau des weiten, kalifornischen Him-mels. Es ist später Vormittag, Anfang November, das Thermo-meter zeigt 26 Grad. Don Cameron zieht ein paar Möhren ausdem Boden: Noch sind sie bleistiftdünn, aber in wenigen Wo-chen werden sie ausgereift sein. Mit fast 3000 Hektar gehörtdie Terra Nova Ranch zu den größeren Farmen im San JoaquinValley. Mehr als 25 Gemüsesorten werden hier angebaut, dazuMandeln, Oliven und Trauben. Das wichtigste Produkt sindTomaten, bis zu 150 000 Tonnen pro Saison liefert Farm-manager Don Cameron an einen Ketchup-Hersteller und anKonservenfabriken. Solche Rekordernten werden möglichdurch die hervorragenden Böden, das mediterrane Klima – undweil Wasser verfügbar ist. Wasser ist in Süd-Kalifornien ein ra-res, teures Gut. Auf der Terra Nova Ranch wird es aus 50knapp 200 Meter tiefen Brunnen gepumpt. »Die Art, wie wirmit Wasser und Bewässerung umgehen, hat sich dramatischverändert«, sagt Don Cameron, der die Farm seit 1976 leitet.»Der Grundwasserspiegel ist überall gesunken, und wir wis-sen, dass wir ein Riesenproblem haben.« Auf der Ranch, etwa50 Kilometer südwestlich von Fresno, ist der Grundwasser-spiegel in den letzten 30 Jahren um etwa 25 Meter gefallen.Noch sind die Brunnen tief genug, um Wasser zu führen.

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Das ist längst nicht mehr überall so. Gut 100 Kilometersüdöstlich von Fresno liegt die kleine Stadt Porterville. DieLandschaft hier hat nichts mit dem touristischen Bild Kali-forniens zwischen San Francisco und Los Angeles zu tun. Jeweiter man im San Joaquin Valley nach Süden kommt, destotiefer dringt man in eine industrielle Agrarwüste vor. Nur seltenunterbrechen Stallungen und ein paar Strommasten die grau-braune Monotonie der im November meist abgeernteten, brach-liegenden Felder. Ab und zu sind dichte, lange Staubfahnen zusehen, aufgewirbelt von gigantischen Traktoren, viele der Feld-flächen werden zu dieser Zeit umgepflügt oder mit Eggen aufeine Wintersaat vorbereitet. Dazwischen immer wieder Reihenvon niedrigen Stallgebäuden – die geschlossenen sind Hühner-farmen für Legehennen oder Geflügelmast, die offenen Gebäudegehören zu Milchproduktionsbetrieben oft mit 10 000, 20 000oder 30 000 Tieren. Jeder fünfte Liter Milch in den USA wirdin Kalifornien produziert.

Die Milchindustrie braucht Arbeitskräfte, und Porterville isteine typische Landarbeitersiedlung. Der Stadtteil East Porter-ville wirkt selbst unter kalifornischer Sonne ärmlich und herun-tergekommen, es gibt einige wenige Läden, Schilder und Plakateinformieren auf Spanisch über Öffnungszeiten und Sonderange-bote, die Seitenstraßen sind ungeteert. Hier leben fast ausschließ-lich Latinos. Sie sind Teil eines Heeres legaler und illegaler Ar-beiter aus Mexico und anderen süd- und mittelamerikanischenStaaten, die zusammen mit ihren Familien die industrielle Obst-,Gemüse-, Milch- und Eierproduktion ermöglichen.

Vor jedem der einfachen Holzhäuser in East Porterville stehtein gigantischer Plastiktank, gefüllt mit bis zu 10 000 LiternBrauchwasser zum Baden, Wäsche waschen und Putzen – Trink-wasser wird einmal die Woche in Kanistern geliefert. »Wenigs-tens haben die Leute jetzt wieder Wasser«, sagt Fred Beltran,der für die Nichtregierungsorganisation arbeitet, die vor zweiJahren die ersten Wasserlieferungen organisierte. Im August2014 stellten viele Anwohner plötzlich fest, dass das Wasser