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NATUR.RAUM. MANAGEMENT N r . 27 01 / 2016 DAS FACHJOURNAL DER NATURRAUMMANAGERI NNEN VIELFÄLTIGE WÄLDER Ökonomie, Ökologie, Interessenausgleich

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NATUR.RAUM.MANAGEMENT

Nr . 2701 / 2016

DAS FACHJOURNAL DER NATURRAUMMANAGERINNEN

VIELFÄLTIGE WÄLDER Ökonomie, Ökologie, Interessenausgleich

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NATUR.RAUM.MANAGEMENT

INHALT

3 Leitartikel

4 Wald-Naturschutz im Spiegel derWald-NaturSegregation – Integration – Kombination

6 „Lei loss’n?“ Wie viel Vogelschutzbraucht die Forstwirtschaft – undumgekehrt?

8 Vogelschutz & WaldbewirtschaftungPraktische Umsetzung im Karwendel

10 Bergwald – heute & morgen –Ökosystemleistungen & Bewirtschaftung

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NATUR. RAUM. MANAGEMENT | Ausgabe 01/2016 – Nr. 27 3

VIELFALT ZUM NACHMACHEN

LEITARTIKEL

N eue Ideen und Maßnahmen, etwa zurFörderung von Biodiversität im Rah-men der Forstwirtschaft, gehen meist

auch mit erhöhtem Aufwand in Planung undWaldbewirtschaftung einher. Die Bundesforstehaben sich dazu entschlossen, gemeinsam mitBirdLife Österreich ein umfangreiches Konzeptzum Schutz von Waldvögeln zu entwickeln.Zahlreiche lebensraumverbessernde Maßnah-men wurden bereits umgesetzt, viele weiteresind für die kommenden Jahre geplant – nach-zulesen in diesem Heft.

Ein gemeinsames Verständnis und vor allemGlaubwürdigkeit in der Zusammenarbeit vonForstunternehmen und Naturschutzorganisa-tion war nicht von Anfang an selbstverständ-lich. So war der Beginn der Kooperation auchdavon geprägt, eine gemeinsame „Sprache“und ein Gespür für das Wirken und Tun des je-weils anderen zu entwickeln. Heute ist es unsgelungen, gemeinsam sowohl praxis- als auchnaturschutztaugliche Maßnahmen zur Förde-rung der Biodiversität in Rahmen einer natur-nahen Waldbewirtschaftung zu implementie-ren. Denn nur so können beide Seiten ihreGlaubwürdigkeit stärken und Unterstützungfür das gemeinsame Anliegen gewinnen. Beiunseren drei Hauptaktivitätsfeldern – nämlichder Ausweisung von Biodiversitätsinseln (Alt-holzinseln), Biotopbäumen und Totholzbäu-men – könnte man speziell bei den letzten bei-den Maßnahmen eine intensive „Nachweiskul-tur“ betreiben. Die heutige Technik, wie etwader Einsatz von GPS-Geräten, würde es uns er-lauben, jeden einzelnen Baum individuell ein-zumessen und auch in Karten darzustellen. Obdies aus betrieblicher Sicht immer sinnvoll ist,stelle ich in Frage. Die Fixierung auf das einzel-ne Individuum verstellt oft den Blick auf das

große Ganze. Besser ist es, an passender Stellegeeignete Bäume gruppenweise für den Vogel-schutz auszuweisen und damit möglichen Pro-blemen bei Nutzung und Arbeitssicherheitoder Besuchergefährdung vorzubeugen.

Raum- und Zeitrelevanz möchte ich als weitereParameter für die Ausweisung von Vogel-schutzmaßnahmen erwähnen, denn die Funk-tionserfüllung von Waldgebieten wird auchsehr von deren Größe und den damit zusam-menhängenden Wirkungen verschiedenerStrukturen und Texturen des Waldes in langenZeiträumen bestimmt: Es sind daher vor allemin einem Gebiet jene Qualitätslevel z.B. für denVogelschutz zu sichern, die ein ausgewogenesMaß an Vielfalt fördern. Wir bewegen uns zwi-schen der planerischen und technischen Not-wendigkeit sowie der wirtschaftlichen Freiheitbei der Bewirtschaftung der Wälder einerseitsund dem tatsächlichen Vorhandensein ökolo-gisch wertvoller Elemente zur Erreichung derZiele des Vogelschutzes andererseits. Aus-schlaggebend ist auch die Glaubwürdigkeitder ÖkologInnen und Forstleute, denn wenn„Sagen und Tun“ nicht übereinstimmen, dannnutzt jeder noch so gut gemeinte Wille wenig.

Wie kann man das nun erreichen? Dazu ist esnotwendig, ein gemeinsames ökologischesVerständnis durch Aufklärung, Bewusstseins-bildung und Schulungen sicherzustellen. DasErmuntern zum Tun ist ein weiterer wichtigerSchritt, welcher aber z.B. durch Festlegung vonZielen oder Stichprobeninventuren im Geländebegleitet werden muss, um eine flächige Um-setzung sicherzustellen und einen Nachweisfür die Maßnahmen zu erbringen. Bisher ha-ben wir damit sehr gute Erfahrungen ge-macht – Nachahmung wird empfohlen! <<

GERALD PLATTNERLeiter [email protected]

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ANSICHTEN

NATUR.RAUM.MANAGEMENT

Biodiversitätsschutz muss alleEntwicklungsphasen im Waldberücksichtigen: von jungenPioniergehölzen bis zu uraltenBäumen. Werden Naturschutz-maßnahmen sowohl in Schutz-gebieten als auch im Wirt-schaftswald umgesetzt, ver-spricht das den größten Erfolg.

N aturschutz hat seine Wurzeln im Hei-matschutz und kümmert sich tradi-tionell um den Erhalt einer schönen,

artenreichen und gebietstypischen Kultur-landschaft. Doch die wachsende Erkenntnis,dass Wald-Lebensgemeinschaften mit ihrerArtenausstattung einen bedeutenden Aus-schnitt unseres primären Naturerbes reprä-sentieren, führte in den letzten zwanzig bisdreißig Jahren zu einer neuen Wertschätzungder waldbezogenen Biodiversität. Wald-Natur-schutz wurde als prioritärer Naturschutzauf-trag anerkannt.

„URALT-BÄUME“ ALS „HOTSPOTS“Wegen der außergewöhnlichen Relevanz fürdie Biodiversität konzentrierte sich das Interes-se zunächst auf den Erhalt von Uralt-Bäumen.Denn zum einen sah man in massigen Altbe-ständen das angestrebte Entwicklungsziel na-türlicher Waldentwicklung, mit bestmöglicherAnpassung an Standort und örtliches Klima(sog. „Klimax“). Zum anderen ist die Ausfor-mung bestimmter Altersmerkmale von einemaugenfälligen Anstieg der Attraktivität für sel-tene und meist auch hoch spezialisierte Artenbegleitet: So eignen sich breit ausladende undgrobastige Baumkronen z. B. für die Ansied-

lung anspruchsvoller Flechten, dicker Moos-polster, Farnbüschel und weiterer Epiphyten1:Kletterpflanzen wie Efeu, Wein, Hopfen oderWaldrebe reichen als verzweigte Netzwerkevom Stammfuß bis in die äußerste Baumkrone.Mitteleuropäische Baumarten können Wuchs-höhen bis über 60 Meter erreichen. Die Wipfelsolcher Uralt-Bäume überragen das Kronen-dach, sodass sie sich – dank ihrer vollen Exposi-tion gegenüber Licht und Luftzug – zu „Hot-spots“ der biologischen Produktion entwickeln.Von Fledermäusen und Fliegenschnäppern2

werden solche Habitatelemente als Jagdgebietbevorzugt.

Heimische Waldbäume können wenigstens 150bis 300 Jahre alt werden, im Einzelfall sogarein Höchstalter von 400 (Tanne), 600 (Föhre,Fichte) oder gar 1.000 (Linde) bis 2.000 Jahrenerreichen (Eiche, Wacholder, Eibe). Mit zuneh-mendem Alter der Bäume bildet deren Borkegrobe Strukturen mit Runzeln und tiefen Fur-chen, wodurch sich für Spinnen und Insektensowohl die Stammoberfläche vergrößert alsauch die Versteckmöglichkeiten vervielfältigenund kletternde Vögel (wie Spechte und Baum-läufer) leichter an ihre Beute herankommenkönnen.

4 NATUR. RAUM. MANAGEMENT | Ausgabe 01/2016 – Nr. 27

WALD-NATURSCHUTZ IMSPIEGEL DER WALD-NATURSegregation – Integration – Kombination

Marchauen in Niederösterreich

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ANMERKUNGEN:1 Pflanzen, die auf anderen Pflan-

zen wachsen („Aufsitzerpflan-zen“)

2 Familie aus der Ordnung derSperlingsvögel, UnterordnungSingvögel

3 Standorte, auf denen bestimm-te Artengesellschaften (selb-ständig) aufeinander folgen

4 Naturschutzeffekte, die sich beider ordnungsgemäßen Bewirt-schaftung von Wäldern auto-matisch ergeben

LITERATURTIPPS:> „Der Falke“, Sonderheft „Vogel-

schutz im Wald“ (56 Seiten);AULA-Verlag, 2012; >> www.falke-journal.de

> „AFZ – Der Wald“, Heft 6/2015:Themenheft „Waldnatur-schutz“, Seite 10-39; DeutscherLandwirtschaftsverlag; >> www.forstpraxis.de/zeitschriften

> W. Scherzinger – Naturschutzim Wald. Qualitätsziele einerdynamischen Waldentwicklung;Ulmer-Verlag, 1996;>> www.ulmer.de

Als besondere Qualitätsmerkmale alter Bäumewurden abgeplatzte Borke, ausgebrocheneKronenteile, Faulstellen und jede Form vonHöhlenbildung ausgemacht, da diese das An-gebot an Strukturen und Substraten markantbereichern. Zu den Nutznießern zählen insbe-sondere die Bewohner von Klüften und Spalten(z. B. Spinnen, Insekten und Kleinvögel), dieholzbesiedelnden Pilze und die höhlenbauen-den Spechte. Als Mindestalter von Bäumen fürHöhlenbrüter lassen sich – nach bisherigen Er-gebnissen – Schwellenwerte von 100 bis 200Jahren einschätzen bzw. für Schnecken und be-sondere Baumflechten an der Borke von je-weils 200 Jahren.

VON JUNG BIS URALTDa das Erntealter unserer Waldbäume in derRegel bei 80 bis 140 Jahren liegt, was besten-falls 20 bis 50 % der arttypischen Lebenserwar-tung entspricht, steht die Notwendigkeit zumSchutz alter und uralter Bäume seit Langemaußer Frage. Dass aber auch Jungbestände,selbst junge Sukzessionsflächen3 mit Hoch-stauden, Beerensträuchern und Pionierbäum-chen naturschutzrelevant sind, wurde erst vorKurzem anerkannt. Tatsächlich muss ja einSchutz der waldbezogenen Biodiversität alleEntwicklungsphasen von Wald berücksichti-gen, samt deren Sonderstandorten, spezifi-schen Strukturen und jeweiliger Artenausstat-tung. Dieser umfassende Aspekt schließt dem-nach nicht nur überalterte, kränkliche und ab-sterbende Bäume ein, sondern auch deren Zu-sammenbruch inklusive dem Totholz und des-sen allmählicher Verrottung bis zur Bildungvon Moder und Humus.

Ein Wald-Naturschutz, der sich an den vielfälti-gen Entwicklungswegen einer ungestörtenWaldnatur orientiert, sichert ein wesentlichbreiteres Spektrum an Lebensräumen und Ar-

ten, als es ein bewirtschafteter Forst vermag –selbst unter bestmöglicher Berücksichtigungvon Naturschutzbelangen. Unter dem Schlag-wort des „Prozessschutzes“ wird nicht nur Al-tern und Verfall einzelner „Methusalem“-Bäu-me zugelassen, sondern auch ein störungsbe-dingter Zusammenbruch ganzer Baumbestän-de. Die bislang übersehene Bedeutung vonSturmereignissen, Insekten- oder Pilzbefall fürAuflichtung, Lückenbildung oder gar flächen-haftes Aufbrechen des Kronendachs rückteerst in Folge neuerer Forschung aus Natur-waldreservaten, Waldnationalparks und Wild-nisgebieten ins Zentrum der Diskussion. Nochvor Kurzem als katastrophale Zerstörung desschützenswerten Altwaldesgefürchtet und – soweit mög-lich – bekämpft, gilt ein diver-ses Totholzangebot, mit Bruch-stämmen, Astgewirr und Ver-hau aus Lagerholz und aufge-kippten Wurzeltellern heuteals ein für den Erhalt der Biodi-versität der Waldökosysteme wichtiges Gliedim Langzeit-Zyklus natürlicher Waldentwick-lung.

PROZESSSCHUTZ & WIRTSCHAFTSWALDDa noch so strikt geführte Waldschutzgebieteallein nicht ausreichen können (Segregations-Modell), das Naturerbe unserer Wälder zu be-wahren, braucht es – zusätzlich – eine best-mögliche Integration jener Strukturen, Sub-strate und Prozesse in den Wirtschaftswald, diefür die Biodiversität im Naturwald unerlässlicherscheinen (Kombinations-Modell).Aus der Verantwortung für dieses Naturerberesultiert eine Verpflichtung zur Kooperationvon Forstwirtschaft und Naturschutz, denn einNaturschutz im Wald muss als Waldfunktionauf ganzer Fläche festgeschrieben werden. <<

NATUR. RAUM. MANAGEMENT | Ausgabe 01/201 6 – Nr. 27 5

Dr. Wolfgang Scherzingerhat nach dem Studium in Wien bis2007 als Zoologe, Ökologe und Artenschützer im Forschungs-bereich des Nationalparks Bayerischer Wald gearbeitet.

Segregations-Modell Naturschutz auf Schutzgebiete beschränkt(Altholzinseln, Naturwaldreservate, Wald-Nationalparks,Waldwildnis)

Naturschutzleistung im Forst beschränkt auf „Kielwasser“-Effekte4

Integrations-Modell Naturschutz als Waldfunktion (Waldbau und –Nutzung im Rahmen der „Guten fachlichen Praxis“ und Abgeltung von Sonderleistungen)

Waldbewirtschaftung Vertragsnaturschutz

Kombinations-Modell Netzwerk aus Wirtschaftswäldern unterschiedli-chen Betriebstyps, mit Integration von Schutz-maßnahmen, sowie Ausweisung nutzungsfreierWaldgebiete unterschiedlicher Größe, dazu Son-dergebiete mit spezifischer Naturschutzfunktion

Waldbewirtschaftung Vertragsnaturschutz Prozessschutz Pflege und Biotopgestaltung

„AUS DER VERANTWORTUNG FÜRDAS NATURERBE RESULTIERT EINEVERPFLICHTUNG ZUR KOOPERATI-ON VON FORSTWIRTSCHAFT UNDNATURSCHUTZ.“ Wolfgang Scherzinger

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ANSICHTEN

NATUR.RAUM.MANAGEMENT

„Vogelschutz und Forstwirt-schaft – (k)ein Widerspruch?“Dieser Frage widmete sich das7. ExpertInnenforum des ÖBf-Naturraummanagements. Anlass war das zehnjährige Bestehen der Vogelschutz-Kooperation zwischen BirdLifeÖsterreich und Bundesforsten.

R und 100 TeilnehmerInnen aus Forstwirt-schaft, Wissenschaft, Verwaltung undNGOs1 diskutierten am 19. 11. 2015 im

Wiener Naturhistorischen Museum Möglichkei-ten und Grenzen des Vogelschutzes in der Wald-bewirtschaftung. Zwar ist die Entwicklung der Vogelbestände in Österreichs Wäldern wenigerbesorgniserregend als auf offenen Agrarflächen2,es besteht aber dennoch Handlungsbedarf: rund40 bis 45 % der Waldvögel gelten als gefährdet (inunterschiedlichen Abstufungen), erläuterte GáborWichmann von Birdlife Österreich. Dabei besitzenheimische Wälder (auch forstwirtschaftlich ge-nutzte) ein hohes Vogelschutz-Potenzial – wenneinige Erfolgsfaktoren berücksichtigt werden:

MITEINANDER REDENGrundvoraussetzung für erfolgreichen Vogel-schutz ist ein offener, ehrlicher Dialog. Oder, wiees Remo Probst von Birdlife Österreich formulier-te: „Jedes Gespräch ist eine Chance.” Durch denpersönlichen Austausch und gemeinsame Bege-hungen vor Ort bauen NaturschützerInnen undForstpersonal Hemmschwellen ab und Vertrauenauf. Wichtig sei aber, dass das „Sprechen auf Au-genhöhe nicht nur auf ‚Jubelveranstaltungen‘stattfinde“ (Alexandra Wieshaider, ÖBf-Leiterin imBiosphärenpark Wienerwald), sondern auch inder täglichen Praxis.

VERSTÄNDNIS ENTWICKELN„Naturschützer müssen berücksichtigen, dass derWald auch ein Wirtschaftsraum ist. Im Gegenzugmuss die Holzwirtschaft den Naturschutz ‚mit-denken‘“, forderte Gerald Pfiffinger von BirdLifeÖsterreich. WaldbewirtschafterInnen, die offene Augen fürden Naturschutz haben und dessen Ansprücherespektieren, können bei der forstlichen Maßnah-menplanung und -umsetzung den Vogelschutzgleich „mit einbauen“. ÖBf-Forsteinrichter3 Mi-chael Maroschek etwa „filtert“ bereits vorab, aufGrundlage vorliegender Walddaten, potenziell ge-eignete Vogellebensräume heraus. Das tatsächli-che „Vogelschutz-Potenzial“ dieser Gebiete unddie geeignetste Bewirtschaftungsmethode klärter dann bei einer gemeinsamen Begehung, ander i. d. R. VertreterInnen der Revierleitung, derForsteinrichtung, des Naturraummanagementsund von BirdLife teilnehmen.

VOM PAPIER AUF DIE FLÄCHEDer Schlüssel zum Vogelschutz im Wald heißt„Strukturvielfalt“. Eine entscheidende Rolle spie-len dabei Totholz, Altholzinseln und Waldränder.Die Bundesforste setzen daher hier den Schwer-punkt der Lebensraumgestaltung, berichtete Ge-rald Plattner, Leiter des ÖBf-Naturraummanage-ments. Um „theoretische Ansätze vom Papier auf

6 NATUR. RAUM. MANAGEMENT | Ausgabe 01/2016 – Nr. 27

„LEI LOSS’N?“Wie viel Vogelschutz braucht die Forstwirtschaft –und umgekehrt?

Rothwald im Forstbetrieb Steiermark

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ANMERKUNGEN:1 Nichtregierungsorganisationen2 Auf landwirtschaftlichen

Flächen ist seit 1980 jeder zwei-te „Feldvogel“ verschwunden, v. a. durch Lebensraumverlust.

3 Die „Forsteinrichtung“ erarbei-tet gemeinsam mit dem Revier-personal, wie Waldflächen inden nächsten zehn Jahren be-wirtschaftet werden sollen.

4 entspricht etwa einem Viertelder Belegschaft

5 Kärntnerisch für: „einfachlassen!“

6 siehe auch Seite 4–5 bzw. 8–97 siehe www.bmlfuw.gv.at/forst/

wald-gesellschaft/oewoep.html8 siehe www.salzburg.gv.at/

waldumweltmassnahmen.htm

WEBTIPPS:> 7. NRM-ExpertInnenforum:

>> www.bundesforste.at/produkte-leistungen/naturraum-management/fachdialoge/expertinnen-forum/7-forum.html

> Broschüre „Gemeinsam fürmehr Vogelschutz im Wald“,Studie „Grundlagen für den Vo-gelschutz im Wald“:>> www.bundesforste.at/service-presse/publikationen.html

> Kooperation BirdLife – ÖBf: >> www.bundesforste.at/natur-erlebnis/naturschutz/projekte-kooperationen/kooperationen/bird-life.html

> Österr. Brutvogelatlas: >> www.birdlife.at/atlas

> Vogelbeobachtungen in Öster-reich:>> www.ornitho.at

die Fläche zu bringen“, müsse man praxisnaheMaßnahmen entwickeln und den ÖBf-Mitarbeiter-Innen vermitteln, warum diese umgesetzt wer-den, etwa über spezielle Vogelschutz-Schulungen,die mittlerweile rd. 200 Personen4 besucht haben.Betroffene werden so zu Beteiligten, die Vogel-schutzmaßnahmen umsetzen, weil sie davonüberzeugt sind – nicht, weil sie müssen.

Eckart Senitza, Waldbesitzer, Inhaber eines Tech-nischen Büros für Forstwirtschaft und Vorsitzen-der von Pro Silva Austria, plädierte dafür, die Na-tur auch öfter einfach Natur sein zu lassen: „Wirhaben sehr viel Lebensraum verloren, weil wir vielzu ordentlich sind und alles ‚ausräumen‘“. SeineEmpfehlung: „Lei loss’n!“5

Dazu passt auch der Vorsatz der Bundesforste, injedem ÖBf-Forstrevier sogenannte „Biodiversi-tätsinseln“ auszuweisen, die außer Nutzung ge-stellt werden. Katharina Bergmüller, Schutzge-bietsbetreuerin in Tirol und Birdlife-Mitarbeiterin,erachtet solch punktuelle Ansätze jedoch nur alsersten Schritt. Herausforderung für die Zukunftmüsse sein, Naturschutz flächenhaft in die tägli-che Forstpraxis (Holzernte) zu integrieren6.

Für Karin Hochegger, Gebietsbetreuerin für Euro-paschutzgebiete in der Obersteiermark, ist „Le-bensraumgestaltung alleine aber zu wenig“.Ganz wichtig, speziell bei Raufußhühnern, seienauch entsprechende Maßnahmen zur Besucher-lenkung. Thomas Zanker von den BayerischenSaalforsten berichtete, dass sich in Lofer und Un-ken (Salzburg) dank Besucherlenkung stabile Au-erhuhnbestände etabliert hätten, obwohl sie vonSkigebieten, Wanderern und Skitourengeher-Innen regelrecht „umzingelt“ seien.

INSTRUMENTE NUTZENViele Instrumente zum Vogelschutz im Wald lie-gen bereits am Tisch. Michael Keller vom Lebens-ministerium erwähnte u. a. das ÖsterreichischeWaldökologie-Programm (ÖWÖP)7. Es biete finan-zielle Anreize für „vogelfreundliche“ Strukturenim Wald (z. B. Belassen von Totholz, Bruthöhlen-und Horstbäumen). Gerald Pfiffinger (BirdLifeÖsterreich) kritisierte die ÖWÖP-Umsetzung aberals viel zu schleppend.

Susanne Stadler, Sachverständige im Referat „Na-turschutzgrundlagen und Sachverständigen-dienst“ des Landes Salzburg, stellte u. a. das För-

derprogramm „Waldumweltmaßnahmen“8 vor,das wertvolle Strukturen, Lebensräume und tradi-tionelle Bewirtschaftungsformen fördert. Ab 2016stehen hier Änderungen der Förderinhalte und -kriterien ins Haus. Sandra Tuider vom Waldverband Niederösterreichgab hinsichtlich Förderungen die Kosten-Nutzen-Relation zu bedenken: „Viele Waldbesitzer verzich-ten bewusst auf Förderungen, weil der bürokrati-sche Aufwand sehr hoch ist“.

DATEN ERHEBENBeim ExpertInnenforum wurde mehrmals derWunsch nach besserer Datenverfügbarkeit und -vernetzung geäußert. Denn wer nicht über diegenaue Verteilung seltener Arten und wertvollerLebensräume Bescheid weiß, kann forstlicheMaßnahmen kaum effektiv auf den Vogelschutzausrichten. Ebenso lässt sich die Effizienz von Maßnahmennur beurteilen, wenn nach deren Umsetzungauch entsprechende Daten erhoben werden. Einesolche Erfolgskontrolle funktioniert aber nur,wenn man sich zuvor klare, wenn möglich mess-bare Vogelschutz-Ziele gesetzt hat.

KEIN WIDERSPRUCH!Insgesamt „stellen Vogelschutz und Ökonomiekeinen Widerspruch dar“, ist Rudolf Freidhager,Vorstand der Österreichischen Bundesforste,überzeugt. Allerdings dürfe man nicht auf Maxi-malforderungen beharren, sondern müsse Kom-promisse eingehen, um unterschiedliche Interes-sen auszubalancieren. Holzproduktion und Natur-schutz könnten daher niemals ein „Entweder-oder“ sein, sondern immer nur ein „Sowohl-als-auch“. <<

NATUR. RAUM. MANAGEMENT | Ausgabe 01/2016 – Nr. 27 7

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ANSICHTEN

NATUR.RAUM.MANAGEMENT

Kleiner Ahornboden, Karwendelgebirge/Tirol

Eine wissenschaftliche Kartie-rung erfasste die Brutvogel-arten im Karwendel. ZumWaldvogelschutz setzen Naturparkverwaltung undBundesforste diese theoreti-sche Grundlage nun in konkre-te forstliche Planung und Bewirtschaftungspraxis um.

D as Karwendel, nördlich von Innsbruckgelegen, ist Österreichs größter Na-turpark (727 km2). Große Teile davon

liegen auf Flächen der Bundesforste. Weil dasKarwendel vielen unterschiedlichen VogelartenLebensraum bietet, ist es auch als Natura2000-Gebiet1 nach der Vogelschutzrichtlinieund der FFH-Richtlinie2 der EU ausgewiesen.

KARTIERUNGLaut Tiroler Naturschutzgesetz sind für alleNatura 2000-Gebiete in Tirol Erhaltungszielefestzulegen und Managementpläne zu erstel-len. Im Karwendel fehlten dafür jedoch die or-nithologischen Grundlagen. Eine Vogelkartie-rung im gesamten Karwendel, durchgeführtvon 2010 bis 2012, sollte Abhilfe schaffen.Nach fast 2.500 Stunden im Gelände und27.859 protokollierten Individuen stand fest:Ca. zwei Drittel aller Tiroler Brutvögel brütenim Karwendel. Von 114 registrierten Vogelartenwerden 59 Arten als nachgewiesene Brutvögel,25 Arten als wahrscheinliche Brutvögel undzwölf Arten als mögliche Brutvögel eingestuft.Zwölf Vogelarten sind Durchzügler bzw. Gäste,sechs Arten unsichere bzw. randliche Brutvo-gelarten, die im Karwendel keine oder nur un-bedeutende Lebensräume besitzen.

Im Zuge der Kartierung wurden auch Modellezur Habitateignung erstellt, Brutvogelbestän-de für das gesamte Schutzgebiet hochgerech-net, deren nationale und internationale Bedeu-tung bewertet, Erhaltungsziele vorgeschlagenund der Managementbedarf dargestellt.

INTEGRIERTER VOGELSCHUTZDie Kartierung zeigte, dass ein Großteil der be-sonders schützenswerten Vogelarten Waldle-bensräume braucht. Somit war klar: Um sie zufördern, müssen Naturschutz und Forstwirt-schaft zusammenarbeiten. Auf einen separa-ten Managementplan zum Vogelschutz wurdejedoch bewusst verzichtet. Stattdessen sollteder Vogelschutz direkt in die forstliche Nut-zung integriert werden. Die Naturparkverwal-tung und die Bundesforste bereiteten daherdie Schutzbestrebungen, die sich aus der Kar-tierung ableiten ließen, so auf, dass sie aufdrei forstwirtschaftlichen Ebenen anwendbarsind:

Integration in die forstliche PlanungIm Karwendel identifizierte man auf Bundes-forstegrund drei „Hotspots“, wo seltene Vogel-arten überdurchschnittlich häufig vorkommen:Inntal, Achenwald und Hinterriß. Dort wurde

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VOGELSCHUTZ & WALDBEWIRTSCHAFTUNGPraktische Umsetzung im Karwendel

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ANMERKUNGEN:1 EU-Schutzgebietsnetzwerk zum

Schutz von Pflanzen, Tieren undLebensräumen („Europaschutz-gebiete“)

2 Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie3 Operate (Forstwirtschaftspläne)

legen für bestimmte Gebietedie langfristigen Holznutzungs-ziele und -maßnahmen fest

VOGELKARTIERUNG & PRAXIS-HANDBUCH:> www.karwendel.org/naturpark-

karwendel/naturschutzprojekte

anschließend überprüft, ob die geplantenwaldbaulichen Maßnahmen („Operate“)3

mit den Lebensraumansprüchen be-stimmter geschützter Vogelarten verein-bar sind: Im Forstrevier Inntal waren diegeplanten Maßnahmen aus Sicht des Vo-gelschutzes unbedenklich. Für das Forst-revier Achenwald wurden einige Anpas-sungen erarbeitet, um die Waldstrukturfür Auerhuhn, Sperlings- und Raufußkauzsowie einige Spechtarten noch weiter zuverbessern. Zudem schlug der Revierleiterzwei potenzielle „Altholzinseln“ für denVogelschutz vor, die außer Nutzung ge-nommen werden sollen. Geplant ist, alldiese Adaptierungen auch ins nächsteOperat aufzunehmen, das ab 2017 erstelltwird.

PraxishandbuchZudem wurde ein „Praxishandbuch fürforstliche Maßnahmen“ entwickelt. Esdient WaldbesitzerInnen und Forstperso-nal als Handlungsanleitung zum Erhaltund zur Verbesserung von Vogellebens-räumen. Es ist speziell auf die Forstrevie-re abgestimmt und „übersetzt“ die Er-kenntnisse der wissenschaftlichen Kartie-rung in die „Sprache“ jener Personen, diebisher wenig mit Vogelschutz zu tun hat-ten. In kurzen Portraits schildert dasHandbuch Aussehen, Gefährdung undBedeutung von zwölf besonders schüt-zenswerten Waldvogelarten. Zudem fasstes Bestand und Verteilung dieser Artenim Karwendel zusammen. Ebenso ihre Le-bensraumansprüche, das Erhaltungsziel,

sowie den Management-Bedarf, der sichdaraus ergibt. Schließlich gibt das Hand-buch konkrete Empfehlungen für „vogel-freundliche“ forstliche Nutzung undmacht auf mögliche Zielkonflikte zwi-schen Forstwirtschaft und Vogelschutzaufmerksam.

Konkrete ArtenschutzmaßnahmenIn besonders geeigneten Lebensräumenwerden darüber hinaus in den nächstenJahren spezielle Artenschutzprojekte um-gesetzt. Erste Vorhaben haben sich aufBundesforsteflächen bereits im Sommer-halbjahr 2015 ergeben. So ist etwa einzwanzigjähriges Projekt zum Auerhahn-schutz im Forstrevier Hinterriß ge-plant.<<

NATUR. RAUM. MANAGEMENT | Ausgabe 01/2016 – Nr. 27 9

> Was ist Ihr Aufgabengebiet?Räumlich bin ich seit Februar 2015 verantwortlichfür das Naturraummanagement in den Forstbetrie-ben Wienerwald und Steiermark. Dort akquiriereich Naturschutz- und Naturraummanagementpro-jekte und setze sie gemeinsam mit den Reviermit-arbeitern um. Mit dem Thema „Waldbewertungen“beschäftige ich mich hingegen österreichweit.

> Welche Projekte betreuen Sie zurzeit?Sehr beschäftigt uns das im Raum stehende Wild-nisgebiet Lassingtal in der nördlichen Steiermark1.Hier erheben wir u. a. das Wildnispotenzial desNaturraumes und führen diesbezüglich Gesprä-che mit dem Land Steiermark. Außerdem wählenwir, zusammen mit ÖBf-Reviermitarbeitern undBirdLife Österreich, gerade geeignete Flächen fürsogenannte „Biodiversitätsinseln“2 aus. Bis 2020sollen auf Bundesforsteflächen in ganz Österreich480 solcher Inseln ausgewiesen werden.

> Was tut sich sonst in näherer Zukunft?Beim steirischen Windpark Pretul bin ich im Pro-jektteam für das Besucherlenkungskonzept spe-ziell hinsichtlich Naturschutz verantwortlich. Die-ses wird im nächsten Jahr umgesetzt und soll u. a.Besuchern das Naturerlebnis Schwarzriegelmoosin einem ökologisch verträglichen Ausmaß ermög-lichen sowie durch begleitende Öffentlichkeitsar-beit dieses alte Moor langfristig schützen.

> Wo sehen Sie eine Vorreiterrolle des ÖBf-Naturraummanagements?

Insbesondere bei Ausgleichs- und Ersatzmaßnah-men3, die Unternehmen von Behörden vorge-

schrieben werden, wenn sie Infrastruktur wieStraßen oder Skipisten bauen. Hier erstellen wirManagementkonzepte und betreuen auch dieUmsetzung der Maßnahmen.

> Bei einigen dieser Tätigkeiten kommt Ihnenvermutlich Ihre bisherige Ausbildung zugute …

Stimmt. Bei den Waldbewertungen hilft mir meinForstwirtschaftsstudium. Danach habe ich an ei-nem grenzübergreifenden Forschungsprojekt derBoku4 zum Forstschutz mitgearbeitet. Dort konnteich wertvolle Erfahrungen zu Analyse und Ma-nagement digitaler Daten sammeln. Naturschutzdagegen kam im Studium nur am Rande vor, damusste ich mir nachträglich einiges aneignen.

> Sie haben doch sicher auch einen Lieblingsplatzin der Natur?

Schon, aber der wird nicht verraten! Ich kommeaus Kärnten, mein ganz spezielles Platzerl liegtdaher natürlich dort (lacht). Ein anderer wunder-schöner Platz ist der Moorkomplex Nassköhr inder Steiermark.

> Kontakt:DI Martina Marschnig, ÖBf-NaturraummanagementPummergasse 10-12, 3002 PurkersdorfTel.: +43 (0)664 / 618 92 [email protected]

1 geplant: Erweiterung des Wildnisgebietes Dürrenstein(NÖ) auf steirische ÖBf-Flächen

2 strukturreiche, alt- und totholzreiche Wälder die außerNutzung gestellt werden (v. a. für den Vogelschutz)

3 siehe NRM-Journal Nr. 194 Universität für Bodenkultur, Wien

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Blick auf den Traunsee und denTraunstein; Oberösterreich

Die Ökosystemleistungen, dieBergwälder zur Verfügungstellen, werden von den gewählten Bewirtschaftungs-methoden beeinflusst. Das Forschungsprojekt„ARANGE“ nahm beides genauer unter die Lupe.

R und 40 % der EU-Landfläche sind Berg-regionen. Diese sind wiederum zu gut40 % von Wäldern bedeckt. Solche

Bergwälder leisten viel Positives für Gesund-heit, Wohlbefinden und Einkommen des Men-schen, indem sie z. B. sauberes Trinkwasser,Holz oder eine ästhetisch wertvolle Landschaftbereitstellen, oder vor Naturgefahren schützen(Steinschlag, Lawinen, Hangrutschungen). Die-se sogenannten Ökosystemleistungen1 vonBergwäldern werden maßgeblich durch dieForstwirtschaft beeinflusst.

ARANGEDas Forschungsprojekt „ARANGE“ (siehe Kasten)nahm aktuelle und mögliche künftige Manage-mentmethoden im Bergwald unter die Lupe: Las-sen sich mit ihnen vielfältige Ökosystemleistun-gen bereitstellen? Wo liegen Risiken und Unsi-cherheiten, die das Bereitstellen von Ökosystem-leistungen aus Bergwäldern gefährden könnten?Wie wirken sich künftige klimatische, gesellschaft-liche und wirtschaftliche Umbrüche auf den Na-turraum aus? Gibt es alternative Methoden in derforstlichen Planung und Umsetzung, mit denensich diese Herausforderungen besser bewältigenlassen? Und wie können wissenschaftliche Er-kenntnisse PolitikerInnen und Forstleute in ihrenPraxisentscheidungen unterstützen?

Fallstudien & WaldsimulationARANGE ging diesen Fragestellungen zudem insieben Fallstudien nach. Und zwar in siebeneuropäischen Bergregionen, die eine breite Pa-lette an Waldtypen abdecken, ebenso Unter-schiede in Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur, Poli-tik und Verwaltung. In jeder Fallstudie wurdenganz spezifische Probleme behandelt, abge-stimmt auf die jeweiligen Regionen.

Der Baum, den man in Jahrzehnten ernten will,muss schon heute gepflanzt werden. Wegendieser langen Vorlaufzeit sind gerade in derForstwirtschaft Szenarien wichtig, die künftigeEntwicklungen plausibel modellieren. Im Rah-men von ARANGE wurden daher Modelle ent-wickelt und verbessert, die den künftigen Ein-fluss bestimmter Umweltfaktoren und Bewirt-schaftungskonzepte auf Bergwälder simulieren– und damit auch deren Ökosystemleistungen.

Herausforderungen & WandelDas künftige Management von Bergwäldernmuss flexibel und anpassungsfähig sein, weilsich die Rahmenbedingungen rasch wandelnwerden: In vielen Bergregionen Europas wirdetwa die Abwanderung zunehmen, ebenso dasAlter der verbleibenden Personen. Wälder sindeher am Vormarsch, weil die landwirtschaftli-

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ANSICHTEN

NATUR.RAUM.MANAGEMENT

BERGWALD – HEUTE & MORGENÖkosystemleistungen & Bewirtschaftung

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che Nutzung (weiter) abnimmt. Dies hat Aus-wirkungen auf das Landschaftsbild und dieBiodiversität (Rückgang offener Landschaftenund ihrer typischen Arten; Zunahme von„Waldarten“). Die forstwirtschaftliche Produk-tivität höher gelegener Wälder wird vermutlichnicht zuletzt durch den Klimawandel – und diedamit verbundene längere Vegetationsperiode– profitieren. Wälder in tiefer gelegenen Berg-regionen könnten dagegen negativen Einflüs-sen ausgesetzt sein (v. a. durch Sommertro-ckenheit). Insgesamt werden Laubbäume intieferen Lagen, verglichen mit Nadelbäumen,bessere Bedingungen vorfinden.

Neue Management-AnsätzeWas früher gut war, muss künftig nicht mehrgut sein: In den meisten Fallstudien-Gebietendes ARANGE-Projektes waren die aktuellenwaldbaulichen und Holzerntemaßnahmenzwar ausreichend, um ein umfassendes Set anÖkosystemleistungen im Bergwald zu gewähr-leisten. Jedoch sind Anpassungen und Verbes-serungen innerhalb der momentanen forst-wirtschaftlichen Methoden nötig, um dieseÖkosystemleistungen noch effizienter bereit zustellen und besser für die kommenden Heraus-forderungen gerüstet zu sein. Die nötigen Än-derungen sollen das „Business as usual“ alsonicht komplett ersetzen, wohl aber ergänzen.Schon in der gängigen Forstwirtschaftspraxiserzielt z. B. eine ausgewogenere Baumartenmi-

schung (Förderung von Buche, Tanne, Lärcheund Berg-Ahorn) in momentan noch fichtendo-minierten Gebieten deutliche Vorteile beimBereitstellen von Ökosystemleistungen – imheutigen wie im künftigen Klima.

Fallstudie „Eastern Alps“In der Pilotregion „Eastern Alps“ (Montafon, Teildes Natura 2000-Gebietes2 Verwall) untersuch-te ARANGE, wie die Waldbewirtschaftung Vo-gellebensräume beeinflusst. Dazu wurde dieQualität von – aktuell fichtendominierten –Waldlebensräumen für Baumhöhlenbrüter(mehrere Spechtarten, Raufußkauz) beurteiltund die künftige Waldentwicklung bei verschie-denen Bewirtschaftungsformen simuliert.

Es zeigte sich, dass Vogelhabitatschutz imZuge einer multifunktionalen Bergwaldbewirt-schaftung möglich ist: Die drei untersuchtenHolznutzungsformen (buchtige Lücken, Strei-fen, Schlitze) liefern in der Simulation rechtähnliche Habitatqualitäten – sowohl bis 2050als auch bis 2090. Bei allen drei Bewirtschaf-tungsmethoden verbessert sich die Lebens-raumqualität gegenüber 2010. Die beste Habi-tatqualität ergibt allerdings die Variante„Nichtbewirtschaftung“. Das gleiche Ergebnislieferte eine Simulation, die ein Klimawandel-szenario (+ 4,6 °C) mit einkalkulierte. Hier kannallerdings die „Nichtbewirtschaftungsvariante“aus der Sicht der Habitatqualität zu teilweisezu dichten Wäldern und ansteigender Baum-mortalität (durch Borkenkäferbefall) führen.

Die Simulation zeigte jedoch auch: Je mehrÖkosystemleistungen ein Wald erbringen soll(z. B. Holznutzung, Schutz vor Lawinen, Stein-schlag und Hangrutschungen, Erholung undNaturschutz) desto schwieriger wird der Ver-such, alle diese Leistungen „unter einen Hut zubekommen“. Interessenskonflikte im Wald tre-ten dann wahrscheinlicher auf. Um sie zu ver-meiden, gibt es zwei Zugänge: Der momentanhäufiger praktizierte – und von ARANGE grund-sätzlich empfohlene – „integrative Ansatz“ ver-sucht, verschiedene Ansprüche auf ein- undderselben Fläche zu vereinen. Manchmal istdieser Ansatz jedoch nicht effizient genug, umbestimmte Ökosystemleistungen bereitzustel-len. Dann könnte, den Erkenntnissen von ARAN-GE zufolge, unter Umständen auch ein „segre-gierender Ansatz“ in Betracht gezogen werden.Er trennt Waldgebiete mit unterschiedlichen„Funktions-Portfolios“ räumlich.3 <<

ANMERKUNGEN:1 Leistungen von Lebensräumen,

aus denen der Mensch einenNutzen zieht

2 EU-Schutzgebietsnetzwerk zumSchutz von Pflanzen, Tieren undLebensräumen („Europaschutz-gebiete“)

3 zu Integration & Segregationsiehe auch Abb. Seite 5

LITERATURTIPPS:> „Mountain Forests and Land

Use Scenarios – a review andscenario development“:>> www.arange-project.eu >Dissemination Material > PublicDeliverable D3.2

> „Recommendations for multi-functional forest managementstrategies“:>> www.arange-project.eu >Dissemination Material > PublicDeliverable D5.2

Projekttitel:„Advanced multifunctional forest manage-ment in European mountain ranges“

Ziel:Untersuchung verschiedener Managementan-sätze von Bergwäldern hinsichtlich des Bereit-stellens multipler Ökosystemdienstleistungen(Potenziale und Grenzen unter aktuellen bzw.künftigen klimatischen und sozioökonomi-schen Bedingungen).

Beteiligt:16 PartnerInnen aus elf europäischen Ländern.Gesamtkoordination: Institut für Waldbau, Uni-versität für Bodenkultur, Wien (Ao.Univ.Prof.Dipl.Ing. Dr. Manfred J. Lexer).

Dauer: 02/2012 – 01/2015Gesamtkosten: rd. 3,82 Mio. €EU-Beitrag: rd. 2,99 Mio. €

>> www.arange-project.eu

FORSCHUNGSPROJEKT „ARANGE”

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UW 686 DAS | Papier: Claro-Bulk | Druck: F. Berger & Söhne Ges.m.b.H., 3580 Horn. Das Unternehmen ist PEFC-zertifiziert und hat für dieses Produkt Papier eingesetzt, das nachweislich aus nachhaltiger Waldwirtschaftstammt. Die Herstellung ist nach der Umweltzeichen-Richtlinie UZ 24 für schadstoffarme Druckerzeugnisse erfolgt.