Vier Bündner Autoren in gegenseitigen Geri g&Oscar Peer ... · nerale Suworow (in lotta contro i...

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37 von Mevina Puorger D ie Rätoromanen, die Italie- nischbündner, die Walser in Graubünden, die Deutschbünd- ner: Sie alle haben ihre eigenen Kulturen und Literaturen, ver- fügen über eigene Verbände und Organisationen, behüten und fördern Volksgut und Li- teratur. Der Kontakt zwischen den einzelnen Gruppen findet hauptsächlich auf einer politi- schen oder sozialen Ebene statt. Weder die Bündner Walser noch die Italienischbündner haben einen eigenen Schriftsteller - verein. Dass auch ein Dialog der Literaten innerhalb der verschiedenen Sprachgruppen in Graubünden fruchtbar sein kann, bewiesen die vier gela- denen Bündner Autoren einer Veranstaltung der Buch Basel 2006. Die gegenseitigen Por- träts der Autoren Leonardo Ge- rig, Arnold Spescha, Dumenic Andry und Oscar Peer sowie ih- re Betrachtungen zu eigenen Texten mögen im Folgenden auszugsweise als Illustration der dreisprachigen Veranstal- tung wiedergegeben werden. Dumenic Andry und Oscar Peer sind im Engadin, Leonardo Gerig ist im Bergell und Arnold Spescha in der Surselva, im Bündner Vorderrheintal, aufge- wachsen. Alle vier Autoren ha- ben – zu verschiedenen Zeiten – dieselbe Mittelschule in Chur besucht, alle vier haben an der- selben Universität Zürich Ro- manistik studiert und sind für ihre berufliche Tätigkeit nach Graubünden zurückgekehrt. Dumenic Andry schreibt Prosa und Lyrik und verfasst li- terarische Beiträge für das Ra- dio Rumantsch. 2002 erschien sein erstes Buch unter dem Titel Roba da tschel muond (was etwa mit «Jenseitiges Zeug» übersetzt werden könnte), ein Buch, das Prosa, Theatertexte und Lyrik in Engadinerroma- nisch und der übergeordneten Schriftsprache Rumantsch gri- schun vereint. Der rote Faden bei Dumenic Andry ist sein Sinn für das Skurrile im Menschen, das mit Ironie und – mitunter beissendem – Humor gezeich- net wird. Leonardo Gerig schreibt ita- lienische Lyrik. Sein publizier- tes Werk ist schmal, seine Ge- dichte finden sich in verschiede- nen Zeitschriften, allen voran den Quaderni grigionitaliani, oder in Anthologien. Leonardo Gerigs Lyrik ist verschlungen und hermetisch, fusst auf Bil- dern, die häufig Situationen ei- nes gesamten Geschehens ein- fangen und von einem äusserst präzisen Beobachter zeugen. Vier Bündner Autoren in gegenseitigen Porträts: Dumenic Andry & Leonardo Gerig & Oscar Peer & Arnold Spescha Literatur Mevina Puorger, 2006. (Foto Yvonne Böhler, Zürich)

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von Mevina Puorger

Die Rätoromanen, die Italie-nischbündner, die Walser in

Graubünden, die Deutschbünd-ner: Sie alle haben ihre eigenenKulturen und Literaturen, ver-fügen über eigene Verbändeund Organisationen, behütenund fördern Volksgut und Li -teratur. Der Kontakt zwischenden einzelnen Gruppen findethauptsächlich auf einer politi-schen oder sozialen Ebene statt.Weder die Bündner Walser nochdie Italienischbündner habeneinen eigenen Schriftsteller -verein. Dass auch ein Dialog der Literaten innerhalb der verschiedenen Sprachgruppenin Graubünden fruchtbar seinkann, bewiesen die vier gela-denen Bündner Autoren einerVeranstaltung der Buch Basel2006. Die gegenseitigen Por-träts der Autoren Leonardo Ge-rig, Arnold Spescha, DumenicAndry und Oscar Peer sowie ih-re Betrachtungen zu eigenenTexten mögen im Folgendenauszugsweise als Illustrationder dreisprachigen Veranstal-tung wiedergegeben werden.

Dumenic Andry und OscarPeer sind im Engadin, LeonardoGerig ist im Bergell und ArnoldSpescha in der Surselva, imBündner Vorderrheintal, aufge-wachsen. Alle vier Autoren ha-

ben – zu verschiedenen Zeiten –dieselbe Mittelschule in Churbesucht, alle vier haben an der-selben Universität Zürich Ro-manistik studiert und sind fürihre berufliche Tätigkeit nachGraubünden zurückgekehrt.

Dumenic Andry schreibtProsa und Lyrik und verfasst li-terarische Beiträge für das Ra-dio Rumantsch. 2002 erschiensein erstes Buch unter dem TitelRoba da tschel muond (was etwa mit «Jenseitiges Zeug»übersetzt werden könnte), einBuch, das Prosa, Theatertexteund Lyrik in Engadinerroma-nisch und der übergeordnetenSchriftsprache Rumantsch gri-schun vereint. Der rote Fadenbei Dumenic Andry ist sein Sinnfür das Skurrile im Menschen,das mit Ironie und – mitunterbeissendem – Humor gezeich-net wird.

Leonardo Gerig schreibt ita-lienische Lyrik. Sein publizier-tes Werk ist schmal, seine Ge-dichte finden sich in verschiede-nen Zeitschriften, allen voranden Quaderni grigionitaliani,oder in Anthologien. LeonardoGerigs Lyrik ist verschlungenund hermetisch, fusst auf Bil-dern, die häufig Situationen ei-nes gesamten Geschehens ein-fangen und von einem äusserstpräzisen Beobachter zeugen.

Vier Bündner Autoren in gegenseitigen Porträts: Dumenic Andry&LeonardoGerig&Oscar Peer&Arnold Spescha

Litera

tur

Mevina Puorger, 2006.(Foto Yvonne Böhler, Zürich)

38 > Literatur

Autograph von Arnold Spescha: «Accelerando». (Quelle: Pb.)

Arnold Spescha, 2005.(Foto Yvonne Böhler, Zürich)

Literatur < 39

Foto Leonardo Gerig, 2005.(Foto Yvonne Böhler, Zürich)

Autograph von Leonardo Gerig: «Sono corvi, visti da lontano, corvi». (Quelle: Pb.)

40 > Literatur

Autograph Dumenic Andry: «Mia vita». (Quelle: Pb.)

Dumenic Andry, 2005.(Foto Yvonne Böhler, Zürich)

Literatur < 41

Autograph Oscar Peer: «Cur ch’el es tuornà». (Quelle: Pb.)

Oscar Peer, 2004.(Foto Yvonne Böhler, Zürich)

Arnold Spescha schreibt Pro-sa und vor allem Lyrik in Sursil-van. Auch sein Werk erscheint,wie jenes von Leonardo Gerig,vorläufig noch mehrheitlich inZeitschriften, Kollektionen undKalendern der romanischen Li-teratur. Die Gedichte von ArnoldSpescha sind poetische Synthe-sen, häufig ausgehend von mu-sikalischen Betrachtungen oderAnalysen mit literarischen Aus-drucksformen; es sind abstrak-te poetische Bilder für Empfun-denes und Erlebtes.

Oscar Peer schreibt Prosa inRomanisch und Deutsch. Seineersten Erzählungen erschienenin den siebziger Jahren inDeutsch; es folgten Romane undErzählungen in Rumantsch undim Herbst 2005 sein erster zwei-sprachiger Band: Akkord/Il re-tuorn, der eindringliche Berichtvon Simon, der nach einer Gefängnisstrafe in sein Dorfzurückkehrt und von nun an als Geächteter am Rande seinereigenen so genannten Gemein-schaft zu leben hat. Mit dem Bilddes Menschen als ewig Gejag-tem, als Leidendem durch Lei-denschaft und Missgunst, Lei-dendem an seiner Liebe und Erdulder eines Schicksals, demer nicht entrinnen will und demer sich in tapferer Würde stellt,ist Oscar Peer eine Meisterno-velle gelungen.

Das Gesamtbild der neben-einander stehenden Texte ausGraubünden lässt die unter-schiedlichen Geschichten derdrei Sprachgruppen deutlich erkennen: Die italienischenSüd täler Graubündens grenzen

entweder an den italienisch-sprachigen Kanton Tessin oderan Norditalien. Mit dem sprach-lichen Hinterland der italie-nischbündner Valli geht die Prä-senz italienischer Kultur und Literatur einher. Die Rätoro -manen hingegen haben seitdem Entstehen ihrer Schrift-sprachen kein sprachliches Hinterland; ihre fünf Schrift-sprachen unterscheiden sichnicht wesentlich von den ge-sprochenen Formen und ver -fügen über weniger literarischeSprachregister.

Die vier folgenden literari-schen Skizzen vermitteln einenEinblick, wie Literatur dessel-ben Kantons über die Sprach-grenzen hinweg wahrgenom-men wird.

Leonardo Gerig presenta Arnold Spescha

Con molto piacere posso pre-sentare l’amico e ex-collega Ar-nold Spescha, nato come me nel1941, lui in una bella e suggesti-va vallata nordalpina dei Grigio-ni: la Surselva.

Il suo luogo d’origine è Pi -gniu (Panix), paese che si trovaall’inizio del passo con lo stessonome (Panixerpass), diventatofamoso per la traversata del ge-nerale Suworow (in lotta controi francesi) con la propria trupparimasta bloccata dal freddo edalla neve. La sua casa è quellautilizzata dal generale nel lonta-no 1799.

Cresciuto in una famiglia numerosa con sei figlioli e una

madre affettuosa, Arnold Spe-scha ha avuto un padre che l’haseguito e lo ha profondamentemarcato: era maestro alle ele-mentari, organista, membro delGran Consiglio e anche contadi-no; una personalità forte e conmolti interessi, persona legataalla vita del suo villaggio e allanatura.

Dopo le scuole dell’obbligo aPanix e a Ilanz, Arnold Speschasi trasferisce a Coira dove fre-quenta la Scuola cantonale. Poi,dopo aver conseguito il diplomadi insegnante, studia all’ Uni-versità di Zurigo, dove si laureain romanistica (francese, italia-no e romancio) con una tesi originale Wind und Wetter. Diemeteorologischen Erscheinun-gen im Wortschatz einer Bünd-ner Gemeinde (Pigniu/Panix).Questo all’inizio degli anni1970. Parecchi viaggi all’esteroaccompagnano la sua formazio-ne (Aix-en-Provence, Perugia).Ma accanto allo studio universi-tario Spescha coltiva la suagrande passione, la musica. Stu-dia all’Accademia musicale diZurigo e poi mette in pratica la sua formazione e dirige la mu -sica bandistica militare e dal1970–1982 quella cittadina diCoira.

Siccome eravamo colleghi,seguivo con molto interesse isuoi concerti unici e coinvolgen-ti allo Stadttheater con un pro-gramma sia tradizionale chemoderno (marce, ouvertures,jazz ecc.) sempre molto apprez -zato dal pubblico grigione. Main sintonia con questa passioneArnold Spescha esercitava lasua professione, quella di do-

42 > Literatur

cente e vicerettore alla Scuolacantonale di Coira e nel contem-po quella di filologo attento allesfumature linguistiche e stori-che della sua lingua madre (il romancio della Surselva) coni problemi anche letterari iviconnessi.

Numerose le sue pubbli -cazioni, tra le quali vorrei cita-re solo la Grammatica Sursilva-na (1989), un’opera esemplaredi 700 pagine, e il Vocabularifundamental sursilvan (1994) di400 pagine. Molti altri suoi lavo-ri di ricerca sulla lingua, lettera-tura e la musica, contributi e re-censioni si trovano in diverse riviste.

L’operosità instancabile epoliedrica di questo autore ha una caratteristica evidente,quella della precisione e dell’en-tusiasmo, simile a quella di undirettore d’orchestra che nonpuò permettersi di sbagliare odel docente che trova un rap-porto determinato ma aperto evivace, sempre profondamentesentito con gli allievi e le perso-ne che gli stanno attorno. Ar-nold Spescha dimostra questamusicalità, la precisione e lagioia di vivere, come si vedràora con la sua lettura, attraver-so le immagini, le parole e la lo-ro sonorità nonché il ritmo deisuoi versi.

Arnold Spescha

AccelerandoLas plontasgrevasdalla neivvan sperasvie sfundranel lontan

Mes egls pitgivssefuretganella daschabletscha

Il sforzei vansil carr seroclasenza frein

AccelerandoBäumeunter Schnee-last, sie gleiten vorbei undversinkenim Nichts

Mein Blickbohrt erstarrtim Nassihrer Zweige

VergebeneMüh imhaltlosen Holperndes Karrens

Die Gedichte, die ich in den letzten Jahren, Jahrzehn-ten, schrieb, haben alle etwasmit der Musik zu tun. Die Musikspielt eine grosse Rolle in mei-nem Leben. Ich versuche Begrif-fe der Musikterminologie in denBereich der Sprache zu setzenund sie sinnbildlich zu gebrau-chen.

«Accelerando» bedeutet inder Musik «schneller werdend».Wenn wir in einem Eisenbahn-wagen oder in einem Auto sit-zen, haben wir das Gefühl, dassnicht wir uns bewegen, sonderndie Bäume zum Beispiel vor -beirasen und im Nichts versin-ken, und zwar immer schneller.

«Bäume/unter Schnee-/ last,sie/gleiten vorbei und/versin-ken/ im Nichts». Wir versuchendiese Bäume zu fassen, abervergeblich. Der Wagen rollt oh-ne Halt, zügellos. «Mein Blick/bohrt erstarrt / im Nass/ ihrerZweige/Vergebene/Müh im/haltlosen Holpern/des Kar-rens». Schliesslich wird diesesGedicht zu einer Allegorie, zu einem Sinnbild des Lebens. Jeälter man wird, desto schnellervergeht die Zeit. Man versucht,das Tempo zu drosseln, ohneErfolg. Das Leben ist ein «Acce-lerando».

Ein Wort zur Übersetzung:Die letzte Strophe zeigt sehrschön, wie die romanischeStruktur in eine gute deutschetransponiert wurde. Die roma-nische Fassung ist verbal, d.h.der Gedanke wird mit konju-gierten Verben wiedergegeben:«Il sforz/ei vans/ il carr ser -ocla/ senza frein»; die deutscheFassung dagegen ist nominal,ohne ein einziges Verb: «Verge-bene/ Müh im/haltlosen Hol-pern/des Karrens». Die deut-sche Version wirkt körperlicher,kräftiger. Eine zweite Bemer-kung: Ich hätte eher die Fas-sung «Vergebene/ Müh im/haltlosen ‹Rollen/des Wagens›»gewählt, da ich an einen Eisen-bahnwagen gedacht habe. DieÜbersetzer haben es aber an-ders gesehen und anders inter-pretiert. Warum nicht? Zudemist das haltlose Holpern desKarrens ein stärkeres Sinnbildfür das Leben. Der «Karren»hat etwas Knorriges, etwas Ursprüngliches, er öffnet eineandere Dimension.

Literatur < 43

Quasi rubato

Freids eis ti

sco glatsch

e senza

cumpassiun

priu has ti

da mei

curasch’e

dignitad

emblidau

has ti

miu cor e

miu sustegn

daus a ti

gliez di

che levas

prest sesfar

mets eis ti

e freids

e dirs sco

crap

Quasi rubato

Kalt bist du

eisig

unbarm-

herzig

genommen

sind mir

Mut und

Würde

vergessen

hast du

Herz und

Arm

die ich dir bot

an jenem Tag

an dem du warst

verzweifelt

stumm bist duund kaltund hartwie Stein

«Rubato» bedeutet in derTerminologie der Musik «klei-ne Tempoverschiebung» oder«in schwankendem Zeitmass»;wörtlich bedeutet das italieni-sche Wort «rubato» «geraubt,gestohlen». Das Gedicht ist einSpiel mit diesen Bedeutungen.Etwas wurde geraubt: «priu hasti /da mei/curasch’e/dignitad»– «genommen/sind mir/Mutund/Würde». Der mittlere Teil,die Strophen 2 bis 4, ist ‹ruhigerim Tempo›, um es musikalischauszudrücken, gemässigter imInhalt als der Anfang und derSchluss, darum: «Quasi ruba-to».

Die unpersönliche Form derzweiten Strophe «genommen/sind mir/Mut und/Würde» istrhythmisch besser als eine Va -riante mit «du» wie im Roma -nischen. «Herz und/Arm» in der dritten Strophe ist eine ge-lungene poetische Umsetzungdes wörtlichen «mein Herz undmeine Unterstützung». Die fünf-te Strophe nimmt die Kadenzder ersten auf.

Auf Grund der deutsch -sprachigen Fassung habe ich im Original die ursprünglichenSchlusszeilen «e dirs sco/ il granit» in «e dirs sco/crap» ge ändert. Das rätoromanische,vorrömische einsilbige Wort«crap» für Stein wirkt lautlichviel härter als «granit» und passt so besser zum Wortinhalt. Die Übertragung ins Deutsche

bewirkte hier eine positive Korrektur der Originalfassung.Auch dafür kann die Überset-zung eines Gedichtes von Nut-zen sein.

Die deutschsprachige Fas-sung ist keine wörtliche Über-setzung, sie ist zwar textnah,doch selbständig und poetisch.Die Wechselwirkung zwischenmusikalischer und sprachlicherBedeutung kommt zum Tragen:«Fond et forme» stimmen über -ein.

Eine gute Übersetzung istkeine Gefahr für das Original,sondern eine Bereicherung. Ei-nerseits werden die GedichtedurchdieÜbersetzungmehr Le-serinnen und Lesern zugänglichgemacht, andrerseits könnensie durch das neue Kleid sogarprägnanter sein. Ein Beispieldafür gibt das Gedicht Timorosoin der Übersetzung von MevinaPuorger und Franz Cavigelli:

TimorosoLa tema eiina siarpche reivadallas combas sie sestartugliaentuorn il ventere siara il cor

TimorosoDie Angstist eine Schlange –schlängelt dieBeine hochgürtetden Bauchversiegelt das Herz

44 > Literatur

Die deutschsprachige Fas-sung, ohne das Relativprono-men «che» und ohne die Binde-wörter «e», wirkt dichter undhärter. Die Idee des Furcht -samen (Timoroso) wird stärkerakzentuiert.Die Originalfassungist abgerundeter, milder. Die«neue Einkleidung» kann ichaber durchaus verstehen undakzeptieren. Eine Übersetzungist eben auch eine etwas andereInterpretation.

SospirosoIgl eisco sch’il tschielsezuppassdavos las panugliasda neblaspleinas e grevasche cuarclanil sulegle las steilase stinschentanils radis da speronzaed ils suspirsda dolur

SospirosoAls versteckte sichder Himmelhinter Nebel-schwaden, denrandvollen, schweren,die Sonne und Sterneverhüllen undStrahlen der Hoffnungund seufzendeLeidenersticken

«Sospiroso» ist in der Musikeine Vortragsbezeichnung mitder Bedeutung «seufzend, kla-gend». Diese Vortragsart wird

auch mit«sospirando» oder«so-spirante»bezeichnet.Siekommtnaturgemäss am meis ten in dervokalen Musik vor, vorwiegendin Opern. Der Komponist ver-sucht, den Inhalt des Textes mu-sikalisch zu verstärken.

Sospiroso: Die Botschaft die-ses Gedichtes ist einfach und linear; der Himmel verstecktsich hinter dicken Wolken, wel-che die Sonne und die Sterneverhüllen und die Strahlen derHoffnung und die Seufzer desSchmerzes ersticken. Alles inder Tonart des Klagelieds, inMoll sozusagen. Der Titel be-stimmt also die Tonart der Ge-fühle und Empfindungen.

Das Adjektiv «plein» wirdmit dem zusammengesetztenAdjektiv «randvoll» übersetzt.Die deutschen Benennungensind oft anschaulicher, greifba-rer, plastischer. Das liegt in derNatur der deutschen Sprache,die sehr konkret, anschaulich,malerisch ist, im Gegensatz zuden eher abstrakten romani-schen Sprachen.

In der deutschsprachigenVersion wurden «ils suspirs dadolur» mit «seufzende Leiden»übersetzt. Diese Personifizie-rung des Schmerzes drückt denGedanken stärker aus als dienaheliegende wörtliche Über-setzung «Schmerzensseufzer».

Ich erlebe die neue sprach -liche Einkleidung meiner Ge-dichte in positiver Art und Wei-se. Sie ist für mich eine neue Er-fahrung, die auch der Original-fassung zum Vorteil gereicht. In einer Übersetzung wird

auch klar, was das Originaltaugt. Schreiben ist ein erregen-des Aben teuer, Übersetzen einschwieriges, aber nicht minderpackendes Abenteuer, und dieZusammenarbeit zwischen Au-tor und Übersetzerin und Über-setzer ist in unserem Fall einschönes Abenteuer.

Arnold Spescha zu Leonardo Gerig

Lieber Leonardo, wir kennenuns seit fast 50 Jahren. Wir begegneten uns nämlich zumersten Mal 1957 als Schüler des Bündner Lehrerseminars inChur.

Du wurdest 1941 in Sta.Ma-ria, im Münstertal, geboren. Sohast du noch etwas roma -nisches Erbe oder zumindestSympathie und Verständnis fürdie romanische Sprache mit auf den Weg bekommen. Aufge-wachsen bist du im Bergell, inCastasegna, in einer zweispra-chigen Familie. Dein Vater, einZollbeamter, stammte aus demUrnerland, deine Mutter ausdem Puschlav.

Drei Dinge fielen mir damalsauf : Du warst ein Bilingue parexcellence. Du beherrschtest die italienische und die deut-sche Sprache. Du warst einzurückhaltender und kritischerMensch. Du wolltest den Dingenauf den Grund gehen. Du hattestSinn für das Schöne, für schöneTexte und für schöne Bilder. Duwarst schon damals ein Ästhet.

Nach der Ausbildung als Primarlehrer unterrichtetest duim Bergell. 1964 trafen wir uns

Literatur < 45

zum zweiten Mal: an der Uni-versität in Zürich beim Studiumder Romanistik. Du studiertestin Zürich, Florenz und Genf Italienisch, Französisch undvergleichende Literaturwissen-schaft.

Auch in dieser Zeit fielen mir deine zurückhaltende, abervernünftig-kritische Art auf;auch deine Unabhängigkeit imDenken und Handeln und deinDrang nach Freiheit,

– dein Sinn für das Schöne in der Kunst und im Leben – undvor allem

– deine Liebe zur Literatur.Du hattest eine feinfühlige Art in der Interpretation von Tex-ten. Du nahmst die Schriftstellerbeim Wort. Was sagt das Wort,der Satz, der Text? Du warstneugierig und unheimlich bele-sen.

Wir trafen uns zum drittenMal: als Lehrer in Chur an derBündner Kantonsschule. Heutelebst du in Chur und im Tessin.Du bist ein liebenswürdiger Kollege und ein guter Lehrer:kompetent, systematisch, kon-sequent. Dabei spielt die Litera-tur eine besondere Rolle. Mitdeinem analytischen Geist, ge-paart mit Offenheit für Gefühleund Empfindungen, und mitdeiner Jugendlichkeit kannst dudie Schülerinnen und Schülerfür die italienische Sprache undihre Literatur begeistern.

Es versteht sich von selbst,dass du auch schreibst. Du hastitalienische Lyrik in den Qua-derni grigionitaliani und in ver-schiedenen Zeitschriften und

Anthologien veröffentlicht. Dei-ne Texte sind vom Existenzia -lismus und von den franzö -sischen Symbolisten geprägt.Du hattest Baudelaire ganz be-sonders gern, du liebtest seineFleurs du mal. Deine Affinität zuden Philosophen war schon zurStudienzeit sehr gross – wieauch die Liebe zur visuellenKunst. Ich muss nämlich nocheine zweite Leidenschaft er-wähnen, die Malerei, die duauch selber betreibst. Im Jahr2003 wurden deine impressio-nistischen Landschaftsbilder inSan Bernardino unter dem TitelNel verde nell’azzurro ausge-stellt. Heute freuen wir uns aufdeine Gedichte.

Leonardo GerigIntroduzione alle poesie

Prima di passare alla letturadei miei versi vorrei sottolinea-re due punti che mi sembranoimportanti per chiarire la miaispirazione e il mio metodo dicomposizione. Tutto quello chescrivo parte da un’esperienzasoggettivamente vissuta. La re-altà, quella che percepiamo at-traverso i nostri sensi (la vistasoprattutto, ma anche l’udito el’olfatto) e il pensiero sono ilpunto di partenza della miascrittura.

L’esperienza, tuttavia, diven-ta subito memoria e richiamaattraverso l’immaginazione lasensazione passata. Il vissuto inun certo modo è doppio – primac’è l’entusiasmo del momento,poi la rimembranza e infine lacomposizione, che nel mio casoè lenta, quella definitiva spesso

ritoccata, con correzioni e rima-neggiamenti frequenti del testo,a volte anche a distanza di mesi.

Non potrei mai scrivere «unverso a richiesta» (per usareun’espressione di Leopardi),una lirica quindi che una voltaera di moda e che ancora oggitrova seguaci e ammiratori. Ciòche avviene nella natura e nellarealtà circostante da me inter-pretata è l’immagine che diven-ta emblema della nostra esisten-za. Quello che percepiamo è unametafora in cui si scoprono ele-menti che aiutano a capire me -glio il mondo e i suoi segreti. Lascrittura è, tutto sommato, untentativo di aderire alla realtàche ci circonda (anche a quelladell’uomo stesso) attraverso pa-role e rappresentazioni che essasuggerisce ed evoca.

Ovviamente chi scrive è co -sciente della frammentarietà eparzialità di tale operazione edel risultato ottenuto. La pro-pria capacità d’identificazionecon quello che succede, se pen-so alla natura (fenomeni senzanumero né fine, moto e energia)oppure se penso all’uomo mes-so di fronte a se stesso e aglialtri, tutto rimane necessaria-mente contingente e limitato.

Sono tuttavia convinto chenel particolare si nasconda innuce il generale, l’universale.

E questo da sempre – ieri, oggi e domani. Si pensi peresempio agli scrittori e poeti vis-suti nel passato che nella loroopera hanno espresso in ma -niera diversa idee e verità va lide

46 > Literatur

ancora adesso. Per me sono stati determinanti alcuni autori, tra i quali vorrei citare Leo-pardi e Baudelaire, pensatori come Pascal, Des-cartes e Kierkegaard.

Corvi

Sono corvi, visti da lontano,

corvi

simili a un grappolo nero

sui rami, a tratti incollati sulle ruvide

facciate delle case verso sera,

in alto

un chi va e viene, ombre scure

in movimento sullo sfondo di neve

candidissima, caduta senza tregua

nell’arco del giorno,

avvincente scena

per chi perplesso scopre

l’impreve dibile balletto,

volo e immobilità,

energia che freme nell’aria,

riposo o intervallo

sui fili dell’ albero spoglio e lungo i muri

a novembre.

Poi dentro i vicoli ghiacciati segui

uno di loro,

segui e con templi quel planare largo,

vigoroso

talvolta,

leggero nelle raffiche di vento,

uccello agile

che si posa assuefatto, per piombare

all’improvviso

nel vuoto

e riprendere sicuro l’ascesa,

sospinto

da un impulso o codice

che indovini vagamente

nella sua natura,

acrobazia

che vorresti decifrare

e comprendere, ché emblema della vita,

della storia infinita

del mondo.

Raben

Raben, in der Ferne,

Raben

schwarzen Traubendolden gleich

an Ästen, immer wieder kle bende Streifen

an der rauhen Hausmauer zum Abend hin,

hoch oben

ein Kommen und Gehen, dunkle Schatten,

sie be wegen sich auf weissem Grund

von Schnee, immerfort

gefallen über den Tag hin,

ein hinreissendes Spiel

dem Erstaunten

überraschender Tanz,

von Flug und Innehalten,

schwingender Kraft in der Luft,

ein Ruhen, eine Pause

auf den blattlosen Baumfäden und Mauern

im November.

In den vereisten Gässchen dann

folgst du einem von ihnen,

folgst und betrachtest das Gleiten, weit

kraftvoll

zumal,

leicht im Windstoss,

ein agiler Vogel

der, rastend, nun plötzlich

in die Tiefe taucht

ins Nichts

um sicher den Anstieg neu aufzunehmen,

getrieben

von unsichtbarem

Drang und Zeichen

seiner eigenen Natur,

Akrobatik

die du lesen möchtest

und verstehen, als Bild des Lebens

der unendlichen Geschichte

unserer Welt.(Deutsch von Mevina Puorger&Franz Cavigelli)

Literatur < 47

Vorrei aggiungere alcunecon siderazioni sul mio testo,non per interpretarlo, perchénon è il mio compito, ma perchiarire alcuni dettagli e retro -scena che potrebbero inter -essare il lettore.

Penso soprattutto al titolo«Corvi» che è strano e insoli-to. Un uccello nero diventa protagonista dell’avvenimento.Perché? viene da chiedere. Ebbene, anche questo fatto è vissuto in prima persona. Illuogo è Coira, quando si scendedalla Cattedrale (o Scuola cantonale) verso il nucleo dellacittà. Ed ecco improvvisa-mente, alcuni anni fa (ma capita spesso in autunno-in -verno quando ci sono sbalzi di temperatura per il freddo) la scena dei corvi («Berg -dohlen»/«Alpendohlen» dellafamiglia dei corvi), uccelli chehanno un’agilità sorprendente,un linguaggio di comunicazioneincredibile (lo dice il mio colle-ga biologo) e si muovono ingruppo. Quindi il fenomeno èavvincente, più spettacolare chemai.

In un attimo, il presente, tut-ti i volatili hanno simultanea-mente un movimento o una po-sizione, una manifestazione di-versa. Ed è la molteplicità dellavita attraverso i corvi in un am-biente particolare: il gelo, l’in-verno e la neve.

Nel testo sono evidenti e pre-valgono i contrasti e la varietà di moto e forza naturale (silen-zio-voce o richiami/chiaro- scu -ro / immobilità-volo / muri-ariaecc.).

La struttura del componi-mento cerca di simulare il motodegli uccelli. Parecchie paro-le e espressioni sono isolate, sole. La versificazione è quindi molto libera, aperta. Probabil-mente l’idea dei corvi mi è ve-nuta perché conosco altre poe-sie di autori che sono stati colpi-ti, in modo diverso, dalla vitadegli uccelli. Penso qui a Leo-pardi (Il passero solitario), Bau-delaire (L’albatros) e Luzi (Larondine).

L’osservazione e il comporta-mento degli uccelli fa riflettere.Anche la nostra vita non è mai lastessa. La si scopre attraversoquello che succede attorno, vici-no e lontano, e in noi. Parlandodella natura Baudelaire dice che«l’homme y passe à travers desforêts de symboles».

Con i corvi anche noi all’im-provviso piombiamo nel vuotoe, se va bene, riprendiamo l’a -scesa, il volo, sospinti da un co -dice che vorremmo decifrare e capire. Noi tuttavia abbiamo ilveicolo che ci contraddistingue,quello dell’immaginazione, del-la riflessione e della parola.

Oscar Peer zu Dumenic Andry

Dumenic Andry setzt als Au-tor eine gute romanische Tra -dition fort: Er ist (oder war) wie praktisch alle Poeten – Leh-rer. Was und worüber schreibter? In einem Text, betitelt Inter-view mit einem Dichter lesenwir:

Sagen Sie mir, welches ist dieThematik Ihrer unveröffentlichtenGedichte?

Ja, schwer zu sagen. Kommtdrauf an. Das Leben . . .

Ein sehr weites Thema. Fast philo-sophisch: das Leben.

Ah, das Leben!Und schreiben Sie auch über unse-re Welt?

Ah, unsere Welt . . .Und Liebesgedichte?

Ah, die Liebe!Und Frauen?

Ah! Die Frauen – Missverständ-nisse!Schreiben Sie auch über die Dich-tung als solche?

Ah! Die Dichtung als solche!Aah! Das ist ein Interview!

Ja, Sie nehmen mir die Worteaus dem Mund!

An sich schreibt DumenicAndry über all diese hier ge-nannten Themen – das Leben,unsere Welt, die Liebe, die Frau-en, Dichtung als solche . . . Die-ses Buch, vor vier Jahren pu-bliziert, trägt den Titel: Roba datschel muond, wörtlich: Dingevon der andern Welt, das heisstauf Romanisch: verrückte oderver-rückte, verschobene Dinge.Und dies scheint bei ihm dasHauptthema zu sein: die baldabsurden, bald komischen Ver-kehrtheiten der Welt. Er denun-ziert sie, und zugleich scheinenihn Verkehrtheiten zu amü -sieren. Dem entspricht auch seine Sprache: sie ist grundse-riös und zugleich voll von Para-doxien, Verdrehungen, Absur-ditäten, Wortspielereien. Das ei-ne schliesst das andere nichtaus. Thomas Mann sagt, dieDichtung müsse ein bisschenAllotria enthalten.

Ein Hauptthema ist dennauch die Sprache selbst – Spra-che als Logik und Unlogik, alsKlärung oder Verwirrung. ZumBeispiel das Romanische in sei-

48 > Literatur

nerKonfrontation mit demDeut -schen, etwa dort, wo Romanenimmer wieder gewisse deutscheWendungen kopflos überneh-men. Da sagt einer, er setze sichmit der Frage auseinander: «Elas metta ourdag lioter culla du-monda». Aber genau genom-men heisst das: Er nimmt sichauseinander. Und Dumenic fügthinzu: «Hoffentlich kann er sichwieder zusammensetzen!»

Irgendwo steht ein schönerText, und zwar Altengadinisch,gespickt mit typischen altehr-würdigen Wörtern, die der Au-tor aber, da man sie heute nichtmehr ohne weiteres versteht,mit Fussnoten versieht, wobeidann die Fussnoten fast mehrPlatz einnehmen als der Textselber. – Auf einer kleinen Tafelvor dem Friedhof, mit dem Hundebild, steht (auf Deutsch):«Ich bleibe draussen.» Kom-mentar von Dumenic Andry:«Wer von uns möchte hier nichtdasselbe sagen, auch als Nicht-Hund!» – Oder: Der erleichterteDichter: es gehe ihm jetzt so gut,dass er nicht einmal mehr Ge-dichte schreiben müsse, «ha dit il poet surleivgià» (wörtlich:hat der Dichter erleichtert ge-sagt/hat der erleichterte Dich-ter gesagt).

Dumenic Andry hat auch eine ganze Reihe von soge -nannten Impuls geschrieben,das sind Zwei-Minuten-Texte,die am romanischen Radio gele-sen werden. Da geht es irgend-wo um reiche Leute aus demUnter- und Ausland, die im En-gadin Zweitwohnungen und Fe-rienhäuser besitzen, in denen

sie vielleicht drei Wochen imJahr verbringen, während dieEinheimischen schauen müs-sen, wo und wie sie dann woh-nen. In der Rhätischen Bahnfragt ein Reisender einen an-dern, ob er von Ardez sei: «Est-tüdadardez? – Wiä? – Bischdu-foardez? – Minigrossältärä.»

Heute würde Dumenic viel-leicht schreiben: «Est tü da S-chanf?» Berlusconi kannteman allerdings schon damals,als Andrys Buch erschien. Ir-gendwo steht:

Italien zeigt, wie es mit Leutengeht, die nicht mehr Bücher lesenund nur mehr fernsehen. Siewählen denjenigen, den man amFernsehen am häufigsten sieht, undsie halten die Wahlen für eine ArtQuiz. Forza Italia, lies Bücher!

Halali, der erste Text des Buches, hat mich zuerst stutziggemacht. Da ist von einem Jägerdie Rede, der auf einen Hirschpasst, wie er zielt, den Atem anhält, im Gebüsch einen röt -lichen Haartornister für denHirsch hält, wie er schiesst undden Tornister mit seiner Kugeldurchlöchert . . . Ein Rucksackals «pièce de conviction». Ichdachte: Das ist ja meine Ge-schichte, da hat sich einer ein-fach bedient, eine Art raffi -niertes Plagiat. Zuerst war ichzornig, sah dann aber, dass erimmerhin den Titel meines ro-manischen Buches Accord er-wähnt. Das änderte alles. Ichdachte auch: Wenn sich jemandschon an meiner Geschichte inspiriert, muss etwas dransein. Ich fühlte mich fast ge-schmeichelt. Ich habe für meinBuch einen gut dotierten Preis

erhalten und möchte dem zi -tierenden Kollegen jetzt – ausDankbarkeit – einen Teil davonschenken.

(Oscar Peer öffnet darauf am Schluss seiner humorvollenWürdigung von Dumenic Andrysein Portemonnaie, übergibtihm das Wort und legt ihm einenZweifränkler hin. Anm. d. Red.)

Dumenic Andry

Mia vitaMia vitas’ha svödadada pleds.

Pledss’han implitscun vita.

Ed eu vögl tourmia vita pel pled.Mein LebenMein Lebenhat sich von Worten entleert.

Worte haben sich mit Leben gefüllt.

So will ich denn mein Lebenbeim Wort nehmen.

. . . adüna darcheuam lascha büttaradösslur raite stuntschüf lainta dombrar las anzase sömg da curtels . . .

(6-4-06)

Literatur < 49

. . . und immer wiederwird mir ihr Netz über den Kopf gestülptgefangenzähl ich die Maschenund denk an ein Messer

Per teis svoulPiz da frizzada föteis picalpennomda la notduos sbrinzlas teis ögls

tanter meis mans battacourda corniglia

Per teis svoul utschè da Tschanüff at mancanalas.

Für deinen FlugFeurige Pfeilspitzedein SchnabelGefieder der NachtFunkenaugen

Zwischen meinen Händender Herzschlagder Dohle

Für deinen FlugVogel von Tschanüfffehlen dir Flügel.

Tü scrivastTü scrivastfond pajaglia per els

las tarablaschi legian sco züchersün tia bella fatscha.

Tü’t zoppast dialadavoteis surrier e’t fast daventa la scuzza.

Ed euanalfabet tscherch teis ögls.

25-2-05/4-5-05

Du schreibstDu schreibstmit deinem Lächeln für siedie Märchendie sie zu lesen wünschenauf deinemschönen Gesicht.

Du versteckst dichFlugbegleiterinhinter deinemLächelnund machstdich leise davon.

Und ichAnalphabetsuche deine Augen.

SchwalbenJeder Schwalbe ihren Frühling,aber auch:Jedem Frühling seine Schwalbe,oder mehrere, zur Sicherheit.

RandulinasA mincha randulina sia prüma -vaira, ma eir:A mincha prümavaira sa randu -lina, o plüssas, per sgürezza!

Analysierter Pfau– Was willst du, Pfau bleibt

Pfau!– Allerdings: Er liebt es, sich

im Spiegel zu bewundern, Augen hätte er ja genug . . .Was für ein Narziss, ja Voyeurseiner selbst! . . .

– Mit Déjà-vu-Garantie.

Pavun analisà– Che voust, pavun es pavun!– Pürmassa: el ama s’admirar

aint il spejel. Ögls vessa’lavuonda . . . Che narciss, eu dschess bod, voyeur dasai svess! . . .

– Cun déjà-vu garanti.

Dumenic Andry zu Oscar Peer

Es ist mir eine besondereFreude, ein paar Gedanken zu Oscar Peers Erzählung Re -tuorn/Akkord äussern zu dür-fen.

Es gibt Bücher, die kommenund bleiben. Akkord ist ein sol-ches Buch.

Ich möchte Ihnen kurz schildern, warum dieses Buch – auch für mich – ein wichtigesBuch ist.

Accord war übrigens OscarPeers erste längere Erzählungauf Rätoromanisch. Davor hattesich Oscar Peer als Deutschschreibender Autor einen Na-men gemacht. Das Buch mitdem wunderbar vieldeutigen Titel Accord erschien im Jahre1978, in meiner Gymnasialzeit.

50 > Literatur

Ich war von dieser Erzählungtief beeindruckt. Im Unterrichtvermochte Accord auch dieje -nigen vollends zu überzeugen,die nicht zu den feurigen An-hängern des Romanischen alsSprache im Allgemeinen und alsLiteratursprache im Besonde-ren gehörten.

Akkord ist ein Buch, das jeder Übersetzung standhält.Oscar Peer ist einer der weni-gen glücklichen bündnerroma-nischenAutoren,diewirklichdieWahl zwischen den zwei Litera-tursprachen haben. Virtuos be-wegt er sich zwischen den Spra-chen der verschiedenen Fassun-gen seiner Erzählungen, derart,dass die künftige Textkritik undLiteraturgeschichte sich heraus-gefordert fühlenkönnen.Akkordist eine Erzählung von archai-scher Wucht und von universel-ler Gültigkeit, eine Parabel fürdie menschliche Existenz.

Akkord ist die tragische Ge-schichte einer Rückkehr undder scheiternden Wiederein-gliederung eines Mannes, dernach Verbüssung seiner Strafefür einen Jagdunfall trotzig insein Dorf zurückzukehren ge-willt ist. Und diese Rückkehr(«retuorn») erweist sich als unmöglich. Aus der geschlosse-nen Anstalt tritt die Hauptfigurin eine geschlossene Gesell-schaft, die ihr Urteil über ihn in aller Selbstgerechtigkeit füralle Ewigkeit gefällt hat, und diekeine Bereitschaft zeigt, es zurevidieren. Akkord ist die bewe-gende Geschichte vom Wunscheines Geächteten, der, nachdemer alles verloren hat, die Rück-kehr in eine menschliche Ge-

meinschaft erneut sucht, dabeiaber auf Mitmenschen stösst,die grösstenteils dazu neigen,die Ersten zu sein, die Steine aufihn werfen und den ehemaligenZuchthäusler nur noch als«Randerscheinung» zu duldenbereit sind.

Der Protagonist Simon ist so-gar bereit, seine eigentlich ver-büsste Schuld ein zweites Malabzutragen. Er nimmt es aufsich, Übermenschliches zu leis -ten, um von den Mitmenschenwahrgenommen und wie einMensch behandelt zu werden.Daran muss er scheitern, weil er mit der Aufgabe die Hoff-nung verknüpft, sich von seinerpersönlichenVergangenheit los-zumachen, sich von ihr gewis-sermassen «lossägen» zu kön-nen.

Akkord ist die Geschichtevom aussichtslosen, zum Schei-tern verurteilten und deshalbheroischen Kampf eines Ver-stossenen, der sich im Wider-stand mit der Welt in der über-menschlichen Anstrengung alsIndividuum findet und sich alsMensch spürt und annimmt. Esist die Geschichte eines Mannes,der seine «condition humaine»akzeptiert und sein Schicksalnicht fatalistisch-passiv als einvon höherer Gewalt vorbe-stimmtes Los, sondern als men-schengemacht annimmt, so wieder lächelnde Sisyphus von Camus: Der Mensch in seinerganzen Schwäche, die zugleichseine Stärke ist.

In Oscar Peers erzähleri-schem Werk tauchen immerwieder randständige Personen

auf. Es sind vom Leben benach-teiligte Menschen, eigensinnig,verschlossen, auf der Suchenach sich selbst und ihrem Platzim Leben. Das Buch Akkord mitdem Protagonisten Simon (mitseinem fernen nahen Verwand-ten, Hemingways Altem Mann)hat mir den Weg erschlossenzum reichen erzählerischenWerk Oscar Peers. Das tiefe Verständnis für Menschen amRand, die Einfühlung des Au-tors, die zeitlose Menschlichkeit– all dies vermag sprachlicheund andere Grenzen zu über-schreiten und überzeugt undbewegt.

Oscar Peer

Beginn von «Akkord Il retuorn»(Limmat Verlag Zürich, 2005,p. 6–9)

Cur ch’el es tuornà davo trais onsour da praschun, nu possedaiva’lplü inguotta. Tuot til vaivna tut da-vent, seis uschedits conumans, –la chasa, stalla e tablà, eir quelspêr prats ch’el cultivaiva üna jada.Id es vaira cha la chasa nu d’eira in fuond sia, ma el vaiva adüna vivü laint, daspö l’infanzia, el cu gnuschaiva mincha chantun,mincha sfessa, i’s vaiva oramaisurgni ün pa la listessa odur. Possessura d’eira üna paraintaemigrada sur mar, la madrina dasia duonna. Quella nu’s vaivalönch na plü fatta viva, nu faivaneir pajar fit, i nu gnivan plü nequints ne chartas, tant chi’s du-mandaivan sch’ella saja insommaamo in vita.

Ma uossa, dürant seis trais ons da praschun (e quai güsta

Literatur < 51

davo la mort da sia duonna), d’eira quista tanta inaspettada-maing cumparüda e vaiva vendüla chasa ad ün indschegner da laBassa, ün chi gniva qua in vacan-zas. La prada d’eira ida in mansd’ün spe culant, üna parcella dagod vaiva tut il cumün. Restà d’ei-ra unicamaing ün chompet da pac,sün üna terrassa suot la grippa.Ün di giarà Simon a far üna visita aquist er. El til chattarà plain ziza-gna, – charduns, morders, cuasd’besch jelgas, grondas sco elsvessa. Uschena vaiva’l ils mansvöds cur ch’el, ün hom da sesan-tatschinch ons, gniva vers chasacun l’ultim tren, üna saira da mai.I d’eira stat ün di chod, il viadi vai-va dürà varsaquantas uras. Uossad’eira’l bod sulet in ün cumparti-maint, suot el il ram plunöz da lasroudas, minchatant üna scruo-schida da las paraids. El as du-mandaiva co chi füss, scha’l va-gun gess dandettamaing in tocs?Quai nu d’eira temma, el d’eirasimplamaing ün pa giò da nerva,stanguel da quist viadi vers chasa.Aintasom, sulet cun el in quistcumpar timaint, sezzaiva ün hom,circa da sia età. Simon nu til cug-nuschaiva, e tuottünavaiva’l il sen-timaint d’avair fingià vis d’alch-varts quista fatscha. Sa mâ per-che ch’el guardaiva adüna dar-cheu nan sün el, tuot quiet. Üna jàha’l perfin surris. Plü bod füss el ivia e vess dumandà chi ch’el saja,ma uossa, davo trais ons pra-schun, as vaiva pers l’adüs da farcugnuschentschas. Finalmaing,pro la prosma staziun, s’haja visch’el sta sü. El ha tut sia buscha,ha miss sü il chapè ed es i oura.

Intant gniva not. Simon pen-saiva a sia duonna, chi d’eira mor-ta e chi nu sarà oramai plü sün por-

ta a til retschaiver. El pensaiva eira seis figl, parti davent da chasafingià avant vainch ons. Daspölönch nu’s savaiva plü ingio ch’eld’eira, gnanca sch’el saja amo invita.

Als er nach drei Jahren Ge-fängnishaft zurückkehrte, besasser nichts mehr. Alles hatten sieihm weggenommen, die so ge-nannten Mitmenschen – dasHaus, den Stall, auch die Felder,die er früher bebaut hatte. DasHaus war allerdings nie sein Ei-gentum gewesen; er hatte nursein Leben lang darin gewohntund mit der Zeit das Gefühl ge-habt, es gehöre eigentlich ihm.Besitzerin war eine nach Überseeausgewanderte Verwandte, Tan-te und Patin seiner Frau, von derman schon lange nichts mehrgehört hatte; sie zahlten keinenMietzins, es kamen weder Briefenoch Rechnungen, so dass ersich fragte, ob sie überhaupt nocham Leben sei.

Doch während seiner dreijähri-gen Haft (gleich nach dem Todseiner Frau) war diese vermeint-lich nicht mehr existente Tante imDorf erschienen und hatte dasHaus einem Ingenieur aus demUnterland verkauft, der es nun als Feriensitz genoss. Die zum An-wesen gehörenden Wiesen so-wie zwei kleine Waldparzellen ergatterte sich ein Spekulant. Ge-blieben war ihm, dem Heimkeh-rer, einzig ein kleiner Acker, aufden niemand erpicht gewesen zusein schien, zumal er sich an ei-nem felsigen Berghang befand.Später wird Simon diesen Ackereinmal besuchen, aus purer Neu-gier; er findet ihn voller Unkraut –Kletten oder wie das Zeug heisst,

Katzenschwänze, dazu Disteln,ein paar mannshohe gelbe Kö-nigskerzen, am Rande etwas ro-ter Mohn.

So besass er nichts mehr, alser, ein Mann von fünfundsechzigJahren, an einem Maiabend mitdem letzten Zug heimwärts fuhr.Es war ein schon sommerlichheisser Tag gewesen, die Fahrthatte etliche Stunden gedauert.Jetzt sass er fast allein in einemWagen, nur mehr das monotoneGerumpel, hie und da Geächz in den Wänden. Er fragte sich,wie es wäre, wenn alles plötzlich auseinanderkrachen würde. Daswar nicht Angst, höchstens eine gewisse Übermüdung. Vielleichtstörte ihn auch die Gegenwart eines Unbekannten, der noch mitihm im Wagen sass: ein an sichschlicht aussehender Mann miteinem ruhigen Blick, etwa gleichalt wie er selbst. Simon kannteihn ganz sicher nicht, der warnicht von hier, und doch hatte er das Gefühl, diesem Gesichtschon begegnet zu sein. Es stör-te ihn, dass er immer wieder zuihm herschaute. Er war froh, alsder Mann an der nächsten Stationseinen Rucksack nahm und aus-stieg.

Einmal dachte er an seineFrau, die gestorben war und ihndaheim nicht mehr empfangenwürde. Er dachte an den Sohn,der 1920 nach Amerika ausge-wandert war und von dem manseit Jahren nichts mehr gehörthatte. Simon wusste nicht ein-mal, ob er überhaupt noch lebte.

52 > Literatur