Viktor Suworow DER EISBRECHER Hitler in Stalins Kalkül

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Die Aufdeckung der militärischen Vorgänge in Rußland von 1939 bis 1941 war bisher durch ein doppeltes Tabu erschwert. Auf sowjetischer Seite besagte die offizielle »Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges«, Stalin habe 1939 den  Nichtangriffspakt mit Deutschland aus friedenspolitischen Absichten geschlossen und das friedliebende Rußland sei dann von Hitler ruchlos überfallen worden, habe sich aber heldenmütig und erfolgreich verteidigt. - Auf westlicher Seite geriet  jede Vermutung, es hätten sich vor 1941 auf sowjetischer Seite enorme militärische Vorbereitungen abgespielt, die nicht nur defensiv geplant waren, in den Verdacht, Hitlers Pro-  pagandalüge vom Präventivkrieg Wiederaufleben zu lassen. Jetzt hat ein russischer Autor - selbst ehemals hochrangiger Off izier des sowjetischen militärischen Geheimdienstes GRU - das Geschehen rekonstruiert. Im Zentrum stehen Stalins Geheimpläne, Europa zu erobern. Hitler war in dieser Strategie - bereits in den 30er Jahren erdacht - ein nützlicher »Eisbrecher der Revolution«: Der Nichtangriffspakt sollte ihn nach Westen lenken; und wenn die westeuropäischen Staaten und Deutschland sich in Kriegen gegenseitig geschwächt hätten, käme die Stunde der sowjetischen Offensive auf Kontinentaleuropa. Sie war auf den Sommer 1941 geplant. Hitlers überraschend früher Überfall und seine Auffassung, in einem Blitzkrieg und vor dem Wintereinbruch Rußland niederringen zu können: diese Entwicklungen waren in Stalins Kalkül, weil zu realitätsfern, nicht vorgesehen. Sie gaben dem Geschehen eine Wende und Verzögerung. Am Ende aber hatte Stalin immerhin die Hälfte Europas erobert, und Hitler war Opfer seiner blinden Aggressivität geworden. Hitler und Stalin hatten – unabhängig voneinander und parallel zueinander - Eroberungsabsichten, der eine in Richtung Osten, der andere in Richtung Westen. Bei ganz verschiedener ideologischer Begründung waren ihre Strategien und deren kriminelle Implikationen verblüffend gleich.  Der Autor Viktor Suworow wurde kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in der Sowjetunion geboren. Er absolvierte zwei militärische Lehranstalten und die Diplomatische Militärakademie in Moskau. 1968 nahm er mit seiner Truppeneinheit an der »Befreiung« der Tschechoslowakei teil. Nach Abschluß der Diplomatischen Militärakademie arbeitete er im Generalstab der Streitkräfte der UdSSR. Als Offizier des sowjetischen militärischen Geheimdienstes GRU war er als sowjetischer Diplomat in Westeuropa tätig. 1978 erbat er politisches Asyl in England. Er widmet sich intensiv zeitgeschichtlic her und militär- historischer Forschungarbeit und hat  bisher fünf Bücher und viele Aufsätze veröffentlicht. Das vorliegende Buch ist für ihn die wichtigste Publikation seines Lebens und der entscheidende Grund für das Verlassen der UdSSR. Aus persönlichen Gründen bedient sich der Autor eines Pseudonyms.

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Die Aufdeckung der militärischenVorgänge in Rußland von 1939 bis1941 war bisher durch ein doppeltesTabu erschwert. Auf sowjetischer Seite besagte die offizielle »Geschichtedes Großen VaterländischenKrieges«, Stalin habe 1939 den

 Nichtangriffspakt mit Deutschlandaus friedenspolitischen Absichtengeschlossen und das friedliebendeRußland sei dann von Hitler ruchlosüberfallen worden, habe sich aber heldenmütig und erfolgreich verteidigt.- Auf westlicher Seite geriet

 jede Vermutung, es hätten sich vor 1941 auf sowjetischer Seite enormemilitärische Vorbereitungen abgespielt,die nicht nur defensiv geplantwaren, in den Verdacht, Hitlers Pro-

 pagandalüge vom PräventivkriegWiederaufleben zu lassen.Jetzt hat ein russischer Autor - selbst ehemals hochrangiger Offizier des sowjetischen militärischenGeheimdienstes GRU - das Geschehenrekonstruiert. Im Zentrum stehenStalins Geheimpläne, Europa zuerobern. Hitler war in dieser Strategie- bereits in den 30er Jahren erdacht - ein

nützlicher »Eisbrecher der Revolution«:Der Nichtangriffspakt sollte ihn nachWesten lenken; und wenn diewesteuropäischen Staaten und Deutschlandsich in Kriegen gegenseitig geschwächthätten, käme die Stunde der sowjetischenOffensive auf Kontinentaleuropa.Sie war auf den Sommer 1941 geplant.Hitlers überraschend früher Überfallund seine Auffassung, in einemBlitzkrieg und vor dem WintereinbruchRußland niederringen zukönnen: diese Entwicklungen warenin Stalins Kalkül, weil zu realitätsfern,

dem Geschehen eine Wende undVerzögerung.Am Ende aber hatte Stalin immerhin die

Hälfte Europas erobert, und Hitler war Opfer seiner blinden Aggressivitätgeworden. Hitler und Stalin hatten – unabhängig voneinander und parallelzueinander - Eroberungsabsichten, der eine in Richtung Osten, der andere inRichtung Westen. Bei ganz verschiedener ideologischer Begründungwaren ihre Strategien und derenkriminelle Implikationen verblüffendgleich.

 Der Autor 

Viktor Suworow wurde kurz nachdem Zweiten Weltkrieg in der Sowjetunion geboren. Er absolvierte zweimilitärische Lehranstalten und die

Diplomatische Militärakademie inMoskau. 1968 nahm er mit seiner Truppeneinheit an der »Befreiung«der Tschechoslowakei teil. NachAbschluß der DiplomatischenMilitärakademie arbeitete er imGeneralstab der Streitkräfte der UdSSR.Als Offizier des sowjetischen militärischenGeheimdienstes GRU war er alssowjetischer Diplomat in Westeuropa

tätig. 1978 erbat er politisches Asyl inEngland. Er widmet sich intensivzeitgeschichtlicher und militär-historischer Forschungarbeit und hat

 bisher fünf Bücher und vieleAufsätze veröffentlicht. Das vorliegendeBuch ist für ihn die wichtigstePublikation seines Lebens und der entscheidende Grund für das Verlassender UdSSR. Aus persönlichenGründen bedient sich der Autor einesPseudonyms.

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Viktor Suworow

DER EISBRECHER

Hitler in Stalins Kalkül

Aus dem Russischenvon Hans Jaeger

Mit 3 Kartenund 30 Abbildungen

Klett-Cotta

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Der Verlag dankt Professor Dr. Lothar Zeidler, DEM BRUDER

einem Teilnehmer am Rußlandfeldzug,für die Durchsicht des deutschen Manuskriptes.

Die Karten zeichnete Ulf Balke.

Gescannt von cOyOte.

Titel des russischen Originals:Viktor Suvorov: LEDOKOL. Istorija tak nazyvaemoj

>velikoj otecestvennoj vojny<.Kratkij kurs

[DER EISBRECHER. Die Geschichte des sogenannten>großen vaterländischen Krieges<. Kurzer Lehrgang]

© by 1989 Editions Olivier Orban, ParisFür die deutsche Ausgabe:

© J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659,Stuttgart 1989

Fotomechanische Wiedergabe nur mit Genehmigung des VerlagesPrinted in Germany

Schutzumschlag: Klett-Cotta-DesignGesetzt aus der 10 Punkt Centennial von Fotosatz Janß, Pfungstadt

Auf säurefreiem und holzfreiem Werkdruckpapier gedrucktund gebunden von Clausen & Bosse, Leck

ISBN 3-608-91511-7

Elfte Auflage, 2001

Die Deutsche Bibliothek - CIP-EinheitsaufnahmeEin Titeldatensatz für diese Publikationist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich.

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INHALT

An meine Leser 11

Der Weg zum Glück 15

Der Hauptfeind 24

Wozu brauchen Kommunisten Waffen? 31

Weshalb hat Stalin Polen geteilt? 43

Der Pakt und seine Folgen 50

Wann ist die Sowjetunion in den Zweiten Weltkriegeingetreten? 56

Die Ausweitung der Kriegsbasis 68Wozu brauchen Tschekisten Haubitzen? 80

Weshalb wurde der Sicherungsstreifen am Vorabenddes Krieges beseitigt? 90

Weshalb hat Stalin die Stalin-Linie abgebaut? 109

Partisanen oder Diversanten? 121

Wozu hatte Stalin zehn Luftlandekorps nötig? 129

Der flugfähige Panzer 138

Bis nach Berlin! 145

Marineinfanterie in den Wäldern Belorußlands 157

Was ist eine Sicherungsarmee? 161

Gebirgsjägerdivisionen in den Steppen der Ukraine 182

Wozu war die Erste Strategische Staffel bestimmt? 197

Stalin im Mai 1941 201

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Wort und Tat 221

Zähnefletschende Friedensliebe 228

Noch einmal zurück zum TASS-Kommunique 236

Die verwaisten Militärbezirke 280

Weshalb hat Stalin Churchill nicht getraut? 289

Weshalb hat Stalin Richard Sorge nicht getraut? 304

Weshalb wurde die Zweite Strategische Staffelgebildet? 320

Die schwarzen Divisionen 341

Zwei parallele Systeme militärischer Dienstgrade 350

Der nichterklärte Krieg 357

Warum Stalin Fronten bildete 369

Wie Hitler Stalins Krieg vereitelte 406

Hat Stalin einen Kriegsplan gehabt? 419

Der Krieg, zu dem es nicht kam 429

Abkürzungen 433

Literatur 455

Die militärischen Offiziersdienstgrade in der Sowjetunionund in der Bundesrepublik Deutschland 446

Personenregister 449

Geographisches Register 458

Karten und Abbildungen Buchmitte

Der Westen mit seinen imperialisti-schen Kannibalen hat sich in eine

Brutstätte der Finsternis undSklaverei verwandelt. Unsere

Aufgabe ist es, diese Brutstätte zumGlück und zur Freude derWerktätigen aller Länder zu

zerschlagen.Stalin, 15.12.1918 (Werke IV,S. 182)

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AN MEINE LESER

Wer hat den Zweiten Weltkrieg begonnen?Auf diese Frage hört man verschiedene Antworten. Eine ein-heitliche Meinung gibt es nicht. Die Sowjetregierung beispiels-weise hat ihre offizielle Meinung zu dieser Frage wiederholtgeändert.

Am 18. September 1939 erklärte die Sowjetregierung ineiner offiziellen Note, daß die Schuld an dem Krieg die RegierungPolens treffe.

Am 30. November 1939 bezichtigte Stalin in der »Prawda«andere als Schuldige: »England und Frankreich haben Deutsch-

land angegriffen und damit die Verantwortung für den gegen-wärtigen Krieg auf sich genommen.«Am 5. Mai 1941 benennt Stalin in seiner Geheimrede vor

den Absolventen der Militärakademien noch einen Urheber:Deutschland.

Nach Beendigung des Krieges hat sich der Kreis der »Schul-digen« ausgeweitet. Stalin erklärt, den Zweiten Weltkrieg hät-ten alle kapitalistischen Staaten der Welt begonnen. Bis zumZweiten Weltkrieg galten nach Stalinscher Definition sämtlichesouveränen Staaten der Welt mit Ausnahme der Sowjetunion als

kapitalistische Staaten. Folgt man dieser Auffassung von Stalin,dann haben den blutigsten Krieg in der Geschichte der Mensch-heit die Regierungen sämtlicher Länder einschließlich Schwe-dens und der Schweiz mit Ausnahme der Sowjetunion begonnen.

Stalins Standpunkt, daß alle mit Ausnahme der UdSSRschuldig seien, hat sich offenbar auf lange Sicht in der kommu-nistischen Mythologie stabilisiert. Unter Chrutschtschow undBreschnew ebenso wie unter Andropow und Tschernenko sinddiese Anschuldigungen gegen die ganze Welt mehr als einmalwiederholt worden. Unter Gorbatschow hat sich vieles in derSowjetunion geändert, nicht aber die Gültigkeit von StalinsStandpunkt hinsichtlich der Urheberschaft des Krieges. So hatzum Beispiel in der Ära Gorbatschows der Chefhistoriker der

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Sowjetischen Armee Generalleutnant P. A. Schilin wiederholt:»Schuld am Krieg waren nicht nur die Imperialisten Deutsch-lands, sondern auch die der ganzen Welt.« (»Roter Stern«,24. September 1985)

Ich wage zu behaupten, daß die sowjetischen Kommunisten

nur deshalb alle Staaten der Welt der Urheberschaft für denZweiten Weltkrieg bezichtigen, weil sie so ihre eigene schmäh-liche Rolle als Kriegshetzer vertuschen wollen.

Erinnern wir uns, daß nach dem Ersten Weltkrieg im Versail-ler Vertrag Deutschland das Recht entzogen wurde, eine starkeArmee und Angriffswaffen einschließlich Panzer, Kampfflug-zeuge, schwere Artillerie, U-Boote zu unterhalten. Auf deut-schem Boden hatten deutsche Kommandeure keine Möglich-keit, die Führung von Angriffskriegen vorzubereiten, und soverlegten sie ihre Vorbereitungen... in die Sowjetunion. Auf 

Stalins Befehl wurden für die deutschen Kommandeure alle Vor-aussetzungen zur Gefechtsausbildung geschaffen. Man stellteihnen Unterrichtsräume zur Verfügung, Truppenübungsplätze,Schießplätze und alles das, was sie nicht besitzen durften: Pan-zer, schwere Artillerie, Kampfflugzeuge. Auf Stalins Befehl er-hielten deutsche Kommandeure Zutritt zu den sowjetischengrößten Panzerproduktionsstätten in der Welt: Seht es euch an,merkt es euch, übernehmt, was ihr wollt! Seit den zwanzigerJahren scheute Stalin keine Mittel, Mühen und Zeit, um dieSchlagkraft des deutschen Militarismus wiedererstehen zu las-sen. Gegen wen sollte sie sich richten? Natürlich nicht gegen ihnselbst. Wer war es dann? Es gibt nur eine Antwort: das ganzerestliche Europa.

Stalin hatte begriffen, daß eine starke Offensivarmee vonsich aus noch keinen Krieg beginnt, sie bedarf dazu auch einesfanatischen, wahnwitzigen Führers. Und Stalin hat sehr vieldazu beigetragen, daß an der Spitze Deutschlands ein solcherFührer stehen sollte. Als die Faschisten an die Macht gelangtwaren, hat Stalin sie beharrlich und nachdrücklich in den Krieggehetzt. Den Gipfel dieser Bemühungen stellt der Molotow-Rib-bentrop-Pakt 1939 dar. Mit diesem Pakt garantierte Stalin Hit-

ler Handlungsfreiheit in Europa und öffnete im Grunde genom-

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men die Schleusen für den Zweiten Weltkrieg. Doch wenn wiruns schon voll Abscheu des tollwütigen Hundes erinnern, dersich in halb Europa festgebissen hatte, dann sollten wir auchStalin nicht vergessen, der diesen Hund herangezogen unddann von der Kette gelassen hat.

Noch bevor die Nationalsozialisten in Deutschland an dieMacht gelangt waren, hatten die sowjetischen Führer für Hitlerbereits die inoffizielle Bezeichnung eines »Eisbrechers derRevolution« geprägt. Es ist eine treffende und vielsagende Be-zeichnung. Die Kommunisten hatten begriffen, daß Europa nurim Falle eines Krieges aufzubrechen war, und der Eisbrecherder Revolution konnte dies bewirken. Adolf Hitler hatte, ohnesich dessen bewußt zu werden, durch seine Aktionen dem Welt-kommunismus den Weg bereitet. Mit seinen Blitzkriegen hatteer die westlichen Demokratien zerschlagen und gleichzeitig

seine eigenen Streitkräfte von Norwegen bis Nordafrika zer-splittert und verausgabt. Für Stalin konnte das nur von Vorteilsein. Der Eisbrecher der Revolution hatte ungeheuerliche Ver-brechen begangen und durch seine Taten Stalin das moralischeRecht gegeben, jederzeit als Befreier Europas auftreten zu kön-nen und damit die braunen durch die roten Konzentrations-lager zu ersetzen.

Stalin hatte besser als Hitler begriffen, daß den Krieg nichtderjenige gewinnt, der als erster beginnt, sondern derjenige,der zuletzt in diesen Krieg eintritt. Stalin hatte Hitler bereitwil-lig den zweifelhaften Vortritt gelassen und sich auf den unausbleiblichen Kriegseintritt zu dem Zeitpunkt vorbereitet, »wennalle Kapitalisten sich untereinander in die Haare geraten sind«.(Stalin unter Berufung auf Lenin am 3. 12. 1927. Werke X,S.288)

Für mich ist Hitler ein Verbrecher, die europäische Versioneines Kannibalen. Aber auch wenn Hitler ein Kannibale war, sofolgt daraus doch keineswegs, daß Stalin Vegetarier gewesensein muß. Man hat große Anstrengungen unternommen, um dieVerbrechen des Nationalsozialismus zu entlarven und die Hen-ker aufzuspüren, die ihre Untaten unter seinem Banner began-

gen haben. Entlarvt man aber die deutschen Faschisten, dann

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muß man auch die sowjetischen Kommunisten entlarven, diedie Nazis zu ihren Verbrechen ermunterten, weil sie darauf hofften, sich die Resultate dieser Verbrechen zunutze zumachen.

Die Kommunisten haben schon lange und sorgsam ihreArchive durchforstet, und das, was dort erhalten blieb, ist derhistorischen Forschung kaum zugänglich. Ich hatte die Möglich-keit, in den Archiven des Verteidigungsministeriums der UdSSRzu arbeiten, doch werde ich ganz bewußt nur sehr wenig Mate-rial aus diesen Geheimarchiven heranziehen. Meine Hauptquel-len sind offen zugängliche sowjetische Publikationen. Auch dieveröffentlichten Daten reichen vollkommen aus, um die sowje-tischen Kommunisten an den Pranger zu stellen und sie auf einegemeinsame Anklagebank mit den deutschen Faschisten zusetzen.

Meine Hauptzeugen sind Marx, Engels, Lenin, Trotzki, Sta-

lin, alle sowjetischen Marschälle aus den Tagen des ZweitenWeltkrieges und viele Generale in führender Position. Die Kom-munisten geben zu, daß sie durch Hitlers Hände den Krieg inEuropa entfesselt und einen Überraschungsschlag gegen Hitlervorbereitet haben, um das von ihm zerstörte Europa zu er-obern. Der Wert meiner Quellen besteht gerade darin, daß dieTäter über ihre Untaten selbst zu Worte kommen.

Viktor Suworow, Dezember 1988

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DER WEG ZUM GLÜCK

Wir sind die Partei einer Klasse, diezur Eroberung angetreten ist, zur

Eroberung der Welt.General M. W. Frunse (1885-1925;

Werke, Bd. 2, S. 96)

l.

Marx und Engels hatten einen Weltkrieg vorausgesagt undlange währende internationale Konflikte von 15, 20, 50 Jahren.Diese Aussicht schreckte sie nicht. Die Autoren des »Kommuni-stischen Manifests« haben das Proletariat nicht zur Verhinde-rung des Krieges aufgerufen, ganz im Gegenteil, für Marx undEngels war ein künftiger Weltkrieg geradezu wünschenswert.

Der Krieg ist die Mutter der Revolution. Ein Weltkrieg ist dieMutter einer Weltrevolution. Das Ergebnis dieses Weltkriegeswird nach Engels' Worten »die allgemeine Erschöpfung und dieHerstellung der Bedingungen des schließlichen Sieges der Ar-beiterklasse« bedeuten. (Einleitung zu Sigismund BorkheimsBroschüre »Zur Erinnerung für die deutschen Mordspatrioten.1806-1807«. In: Karl Marx, Friedrich Engels. Werke. Hrsg. In-stitut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. 39 Bände.Berlin 1961-1968. Bd. 21, S. 351)

Marx und Engels haben den Weltkrieg nicht mehr erlebt,

aber es fand sich ein Mann, der ihr Werk weiterführte - Lenin.Die Partei Lenins setzte sich von den ersten Tagen des Weltkrie-ges an für eine Niederlage der Regierung ihres eigenen Landesein, um »den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg zuverwandeln«. Lenin ging davon aus, daß die linken Parteien deranderen Länder sich ebenfalls gegen ihre Regierungen wendenund daß der weltweite imperialistische Krieg in einen weltwei-ten Bürgerkrieg münden würde. Das trat nicht ein. Doch hatteLenin mit der Absage an die Hoffnung auf eine Weltrevolutionbereits im Herbst 1914 die Aufstellung eines Minimalpro-gramms verbunden: Sollte es als Folge des Weltkrieges nicht zu

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einer Weltrevolution kommen, mußte alles Erforderl iche unter-nommen werden, damit die Revolution zumindest in einemLande ausbrach, ganz gleich wo. Hat das Proletariat in diesemLande gesiegt, wird es gegen die gesamte übrige Welt antreten,Unruhen und Aufstände in den anderen Ländern entfachenoder direkt zum Angriff mit bewaffneten Kräften übergehen.

(Lenin in dem am 23. 8. 1915 in der Zeitung »Sozial-Demokrat«Nr. 44 erschienenen Artikel »Zur Losung von den VereinigtenStaaten von Europa«. Vollständige Werkausgabe, Bd. 26, S. 354)

Während Lenin sein Minimalprogramm von der Eroberungder Macht in einem Lande aufstellt, verliert er nicht die größe-ren Perspektiven aus den Augen. Für Lenin bleibt - wie fürMarx - die Weltrevolution der Leitstern. Wenn aber nach demMinimalprogramm als Ergebnis des Ersten Weltkrieges die Re-volution nur in einem Lande möglich ist, wie soll es dann mit derWeltrevolution weitergehen? Aufgrund welcher auslösenden

Umstände? 1916 gibt Lenin eine präzise Antwort auf dieseFrage: als Resultat eines zweiten Weltkrieges.Ich mag mich irren, doch unter dem vielen, was ich von Hit-

ler gelesen habe, ist mir nichts begegnet, was darauf hinwiese,daß dieser Adolf Hitler 1916 an einen zweiten Weltkrieg dachte.Lenin tat es. Nicht genug damit, formulierte Lenin bereits zu

  jener Zeit die theoretische Begründung für die Notwendigkeiteines solchen Krieges zur Errichtung des Sozialismus in derganzen Welt.

Die Entwicklung der Ereignisse nimmt einen stürmischen

Verlauf. Im folgenden Jahre bricht die Revolution in Rußlandaus. Lenin eilt nach Rußland. Hier reißen er und seine kleine,aber militärisch organisierte Partei im Wirbel des allgemeinenDurche inanders, in dem alles erlaubt ist, mit einem plötzlichenUmsturz die Staatsgewalt an sich. Lenins Schachzüge sind ein-fach, aber verschlagen. Im Augenblick der Bildung eines kom-munistischen Staates erläßt Lenin das »Dekret über den Frie-den« (Oktober 1917). Das macht sich nicht übel für Propaganda-zwecke. Doch den Frieden braucht Lenin nicht um des Friedenswillen, sondern um sich an der Macht zu halten. Nach diesem

Dekret fluteten Millionen bewaffneter Soldaten von der Front

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nach Hause. Mit dem »Dekret über den Frieden« verwandelteLenin den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg, stürzteer das Land in ein tiefes Chaos, während er zugleich die Machtder Kommunisten konsolidierte und sich weiteres Territoriumerkämpfte und unterwarf. Die von der Front zurückströmendenSoldaten spielten die Rolle eines Brecheisens, das Rußland aus-

einanderfallen ließ. Das Ergebnis des Bürgerkrieges war »dieallgemeine Erschöpfung«, die es Lenin erlaubte, die gewonneneMacht zu behaupten und weiter zu festigen.

Lenins außenpolitische Schachzüge sind nicht weniger ver-schlagen. Auch hier handelt er nach demselben Prinzip: Dieweilihr euch rauft, stehe ich abseits und beobachte, aber habt ihreinander erst hinreichend geschwächt ...

Im März 1918 schließt Lenin mit Deutschland und seinenVerbündeten den Frieden von Brest-Litowsk. Zu dieser Zeit istdie Lage Deutschlands bereits hoffnungslos. Begreift Lenin das?

Natürlich. Eben deshalb unterzeichne t er den Frieden, dera) Lenin den Kampf um die Festigung der kommunistischenDiktatur im Lande ermöglicht,

b) Deutschland beachtliche Ressourcen und Reserven für dieFortsetzung des Krieges im Westen freigibt, der sowohlDeutschland wie auch die westlichen Verbündeten zermürbt.

Durch den Abschluß eines separaten Abkommens mit demGegner verriet Lenin die Verbündeten Rußlands. Aber er verrietauch Rußland. Anfang 1918 lag ein Sieg Frankreichs, Groß-britanniens, Rußlands, der USA und der übrigen Länder über

Deutschland und seine Verbündeten bereits nahe und war un-ausbleiblich. Rußland hatte im Kriege Millionen Soldaten ver-loren und besaß ein volles Recht darauf, gemeinsam mit seinenwestlichen Bundesgenossen zu den Siegern zu zählen. Einensolchen Sieg hatte Lenin indessen nicht nötig; er brauchte dieWeltrevolution. Lenin gibt zu, daß der »Friede« von Brest nichtim Interesse Rußlands geschlossen wurde, sondern im Inter-esse der Weltrevolution, im Interesse der Errichtung des Kom-munismus in Rußland und in den übrigen Ländern. Lenin gibt ineiner Rede zur Außenpolitik am 14. 5. 1918 zu, daß er die welt-

weite Diktatur des Proletariats und die weltweite Revolution

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über alle nationalen Opfer stellte. (Vollständige Werkausgabe,Bd. 36, S. 341 f.) Die Niederlage Deutschlands war bereits greif-bar, aber Lenin schließt einen »Frieden«, in dem Rußland sei-nen Anspruch auf die Rolle des Siegers aufgibt und im GegenteilDeutschland kampflos eine Million Quadratkilometer fruchtbar-

sten Bodens und die reichsten Industrieregionen des Landesüberläßt, ja er zahlt obendrein eine Kriegskontribution in Gold.Wofür ?!

Er tat es aus folgendem Grund: Der Friede von Brest machteMillionen russischer Soldaten überflüssig, und diese führer-losen Menschenmassen zogen nach Hause und zerstörten auf ihrem Wege das Grundgefüge des Staatswesens und der ebenerst geborenen Demokratie. Diese Millionen bewaffneter Solda-ten übernahmen in Rußland die Rolle eines Brecheisens, indemsie eine jahrhundertealte Ordnung vernichteten und ebenso dieGrundlagen, auf denen das Land ruhte. Der »Brester Friede«wurde zum Auslöser eines ungemein grausamen Bürgerkrie-ges, weit blutiger und grausamer als der Erste Weltkrieg. Durchden »Brester Frieden« erreichte Lenin sein Ziel: Er verwandelteden imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg. Während

  jeder gegen jeden kämpfte, festigten die Kommunisten ihrenMachtbereich, bauten ihn aus und unterwarfen anschließendim Laufe weniger Jahre das ganze Land.

Der »Friede« von Brest widersprach nicht nur den nationa-len Interessen Rußlands, sondern er richtete sich auch gegenDeutschland. Gemessen an seinem Zweck und Geist ist der

»Friede« von Brest ein Urbild des Molotow-Ribbentrop-Paktes.Lenins Absichten 1918 und Stalins Absichten 1939 sind ein unddieselben: Mag Deutschland seinen Krieg im Westen führen,mag es sich ruhig auszehren und zugleich auch die westlichenBundesgenossen bis zur Erschöpfung schwächen. Wir werdenum jeden beliebigen Preis Deutschland behilflich sein, bis zureigenen äußersten Auszehrung weiterzukämpfen, und dann..

Zur gleichen Zeit, als auf Lenins Geheiß in Brest der»Friede« mit Deutschland unterzeichnet wird, arbeitet man inPetrograd intensiv an den Vorbereitungen zum Sturz der deut-schen Regierung. In Petrograd wird in einer Auflage von einer

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halben Million Exemplaren die kommunistische deutschspra-chige Zeitung »Die Fackel« herausgebracht, und noch vor derUnterzeichnung des »Friedensvertrages« von Brest wird imJanuar 1918 in Petrograd die deutsche kommunistische» Spar-takus«-Gruppe gegründet. Auch die Zeitungen »Die Weltrevolu-

tion« und »Die Rote Fahne« erleben ihre Geburtsstunde nicht inDeutschland, sondern im kommunistischen Rußland, auf Wei-sung Lenins, der den »Frieden« mit Deutschland unterzeichnethat. In den zwanziger Jahren schlägt der Kommunismus inDeutschland tiefe Wurzeln, Vergessen wir nicht, daß Leninhierzu seinen Beitrag leistete, und zwar gerade in einem Au-genblick, da Deutschland einen zermürbenden, hoffnungslosenKampf im Westen führte und Lenin mit der deutschen Regierungein »Friedensabkommen« geschlossen hatte.

2.Lenins Rechnung ging auf: Das vom Krieg erschöpfte DeutscheReich war der ungeheuren Anspannung des Zermürbungskrie-ges nicht gewachsen. Der Krieg endet mit dem Kollaps desReiches und dem Ausbruch der Revolution. Unverzüglich annul-liert Lenin den Vertrag. In dem vom Kriege zerstörten Europaentstehen auf den Trümmern der Reiche kommunistische Staa-ten von erstaunlicher Ähnlichkeit mit dem Leninschen bolsche-wistischen Regime. In seiner Schlußrede auf dem 8. Parteikon-greß am 23.3.1919 sieht sich Lenin jubelnd an der Schwelle zur

Weltrevolution. (Vollständige Werkausgabe, Bd. 38, S. 215) Zudieser Zeit trennt er sich von seinem Minimalprogramm. Erspricht nicht länger von der Notwendigkeit eines zweiten Welt-krieges, weil er jetzt glaubt, die Weltrevolution könne bereits imGefolge des Ersten Weltkrieges verwirklicht werden.

Lenin gründet die Komintern, die sich selbst als Kommu-nistische Weltpartei deklariert und die Schaffung einer Sowje-tischen Sozialistischen Weltrepublik zum Ziele setzt.

Doch die Weltrevolution blieb aus. Die kommunistischen Re-gime in Bayern, Bremen, in der Slowakei, in Ungarn erwiesensich als brüchig und nicht lebensfähig, die linken Parteien der

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westlichen Länder zeigten Schwäche und Unentschlossenheitbei der Ergreifung und Bewahrung der Macht, und Leninkonnte ihnen zu der Zeit lediglich moralische Unterstützung ge-währen: Alle Kräfte der Bolschewiken waren an die innerenFronten geworfen, in den Kampf mit den Völkern Rußlands, die

den Kommunismus nicht wollten.Erst 1920 hat Lenin seine Position in Zentralrußland hinrei-

chend gefestigt und kann starke Kräfte nach Europa entsenden,um die Revolution voranzutreiben.

Zwar ist der günstigste Augenblick in Deutschland bereitsversäumt, und dennoch ist es im Jahre 1920 ein höchst geeignetesFeld für den Klassenkampf. Deutschland ist entwaffnet und gede-mütigt. Sämtliche Ideale sind beschimpft und besudelt. Im Landeherrscht eine extreme wirtschaftliche Krise, im März 1920 wirdes von einem Generalstreik erschüttert, an dem einigen Berich-

ten zufolge über 12 Millionen Menschen beteiligt waren. Deutsch-land ist ein Pulverfaß, und es bedarf nur noch eines einzigen Fun-kens ... Im Text des offiziellen Marschliedes der Roten Armee(Budjonny-Marsch) heißt es: »Erst her mit Warschau, dann hermit Berlin!« Nikolai Bucharin, der Theoretiker der sowjetischenKommunisten, gibt in der »Prawda« eine noch entschiedenereLosung aus: »Direkt vor die Mauern von Paris und London!«

Doch auf dem Wege der roten Legionen liegt Polen. Sowjet-rußland und Deutschland besitzen keine gemeinsame Grenze.Um das Feuer der Revolution zu entfachen, gilt es, die tren-nende Barriere niederzureißen - das freie, unabhängige Polen.

Zum Unglück der Kommunisten befand sich an der Spitze dersowjetischen Truppen ein Befehlshaber, der nichts vom Wesender Strategie verstand: Tuchatschewski. Seine Armeen wurden1920 vor Warschau geschlagen und ergriffen schmählich dieFlucht. Im kritischen Augenblick standen Tuchatschewski keinestrategischen Reserven zur Verfügung, das entschied den Aus-gang der grandiosen Schlacht. Die Niederlage Tuchatschewskiswar kein Zufall: Ein halbes Jahr vor Beginn des sowjetischen»Befreiungsfeldzuges« nach Warschau und Berlin hatte Tucha-tschewski die mangelnde Notwendigkeit strategischer Reserven

im Kriege »theoretisch begründet«.

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Die militärische Strategie folgt einfachen, aber unerbittl ichenGesetzen. Ein Grundprinzip der Strategie ist die Konzentration.Ein Grund-»Geheimnis «der Strategie besteht darin, im ent-scheidenden Augenblick, am entscheidenden Ort seine geballteKraft auf den empfindlichsten Punkt des Gegners zu konzentrie-

ren. Um die eigenen Kräfte konzentrieren zu können, muß mansie in der Reserve halten. Tuchatschewski hatte das nicht begrif-fen und nun für dieses mangelnde Verständnis bezahlt. Die Revo-lution in Deutschland aber mußte auf 1923 verschoben werden.

3.Die Zerschlagung von Tuchatschewskis Truppen in Polen zog fürdie Bolschewiken äußerst unangenehme Folgen nach sich. Ruß-land, das sie in ein Blutbad getaucht und scheinbar völlig ihrerKontrolle unterjocht hatten, bäumte sich plötzlich in einem ver-zweifelten Versuch auf, die kommunistische Diktatur abzuwer-fen. Das werktätige Petrograd, die Wiege der Revolution, trat inden Streik. Zwar erstickten die Bolschewiken die Arbeiterkund-gebungen, doch nun stand plötzlich das Geschwader der Ostsee-flotte an der Seite der Arbeiter. Die Matrosen von Kronstadt, die-selben, denen Lenin und Trotzki die Macht zu verdanken hatten,forderten jetzt die Säuberung der Räte von den Kommunisten.Durch das Land rollte eine Woge von Bauernprotesten. In denWäldern um Tambow stellten die Bauern eine starke, gut orga-nisierte, aber schlecht ausgerüstete antikommunistische Armee

auf.Nun, Tuchatschewski, sieh zu, wie du damit fertig wirst! Und

nun wäscht Tuchatschewski mit fremdem Blut seine eigene stra-tegische Schande ab. Tuchatschewskis Greueltaten in Kronstadtsind legendär. Die ungeheuerliche Vernichtung der Bauern imGouvernement Tambow ist eine der schrecklichsten Seiten inder Geschichte Rußlands. Der Autor dieser Seite aber heißt Tu-chatschewski. Das zwanzigste Jahrhundert kennt einige großeVerbrecher: Jeschow, Himmler, Pol Pot u. a. Gemessen an derMenge vergossenen Blutes hat sich Tuchatschewski durchaus

einen Platz an ihrer Seite verdient, in zeitlicher Hinsicht jedoch21

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war Tuchatschewski ein Vorläufer für die meisten dieser Ver-brecher.

4.1921 führt Lenin die Neue Ökonomische Politik (NÖP) ein. In-

dessen war an dieser Politik nichts neu - es war der gute alteKapitalismus. Die Kommunisten müssen sich an der Machtbehaupten, und dafür lassen sie sich auf jede beliebige Ab-schwächung in ihrem Programm ein bis hin zur Einführung vonElementen eines freien Marktes. Man sieht gewöhnlich in Kron-stadt und Tambow die Hauptbeweggründe für Lenins Einfüh-rung von Elementen der freien Marktwirtschaft und die Milde-rung des ideologischen Würgegriffs am Halse der Gesellschaft.Ich meine, daß man die Ursachen hierfür tiefer suchen muß:1921 hatte Lenin begriffen, daß der Erste Weltkrieg nicht dieWeltrevolution ausgelöst hatte. Trotzkis Rat folgend, mußte manzu einer permanenten Revolution übergehen, Schlag um Schlagden schwachen Kettengliedern der freien Gesellschaft verset-zen und zugleich einen zweiten Weltkrieg vorbereiten, der dieendgültige »Befreiung« bringen würde. Noch vor der Einfüh-rung der NÖP im Dezember 1920 äußerte sich Lenin zumThema Weltkrieg: »Ein neuer derartiger Krieg ist unausbleib-lich.« (Rede vor dem Moskauer Stadtsowjet zum Jahrestag derIII. Internationale am 6. 3. 1920. Vollständige Werkausgabe,Bd. 40, S. 211)

Und wieder muß ich auf Hitler zurückkommen. Ich ver-

teidige ihn nicht, sondern stelle bloß fest, daß er 1920 nichtöffentlich von der Unausbleiblichkeit und Erwünschtheit eineszweiten Weltkrieges redete. Hier dagegen eine Erklärung Leninsaus dieser Zeit: »Einen Teilabschnitt des Krieges haben wirbeendet, nun müssen wir uns auf einen zweiten vorbereiten.«Eben dafür wird die NÖP eingeführt. Friede bedeutet ein Atem-holen für den Krieg. Das sagt Lenin, das sagt Stalin, das sagt die»Prawda«. Die NÖP ist eine kurze Atempause vor den kommen-den Kriegen. Die Kommunisten müssen ihr Land in Ordnungbringen, ihre Macht stärken und konsolidieren, eine gewaltigeRüstungsindustrie aufbauen, die Bevölkerung auf die künftigen

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Kriege, Schlachten, »Befreiungsfeldzüge« vorbereiten. Undgenau damit befassen sie sich.

Die Einführung von Elementen einer freien Marktwirtschaftbedeutet keineswegs eine Absage an die Vorbereitung der Welt-revolution und eines zweiten Weltkrieges, der diese Revolution

bewirken soll. Bereits im folgenden Jahr wurde die Union derSozialistischen Sowjetrepubliken, die UdSSR, geschaffen. DieGründungsdeklaration der UdSSR besagte, daß die UdSSR nurder erste entschlossene Schritt zur Schaffung einer WeltweitenSozialistischen Sowjetrepublik, WSSR, sei. Zum Zeitpunkt ihrerGründung umfaßte die UdSSR vier Republiken. Diese Zahl sollteso lange vergrößert werden, bis sie die ganze Welt einschließenwürde.

 Die Gründungsdeklaration der UdSSR war eine ehrliche und o f f en e Kriegserklärung an die gesamte restliche Welt. Die De-klaration besitzt Gültigkeit bis auf den heutigen Tag, niemandhat sie zurückgenommen. Zwischen Hitlers »Mein Kampf« undder Deklaration besteht ein Unterschied. Hitler schrieb seinBuch später, und es stellt den Standpunkt eines Mannes dar:»Mein Kampf«. Die Gründungsdeklaration der UdSSR ist einoffizielles Dokument über das Hauptziel eines riesigen Staats-gebildes: sämtliche anderen Staaten der Welt zu liquidieren, umsie sich selbst unterzuordnen.

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DER HAUPTFEIND

Wenn irgendwo die revolutionäreErschütterung Europas beginnt, so

wird dies von Deutschland ausgeschehen ... und der Sieg der

Revolution in Deutschland istgleichbedeutend mit der Gewährlei-stung des Sieges der internationa-

len Revolution.Stalin auf der Sitzung der PolnischenKommission der Komintern am 3. 7.

1924 (Werke VI, S. 267)

l.

1923 steht Deutschland erneut am Rande einer Revolution.

Lenin nimmt an der Führung des Landes und der Kominternbereits nicht mehr teil.

Die Zügel der Regierung hat Stalin nahezu vollständig ansich gerissen, obwohl weder das Land noch die Welt, ja nichteinmal seine Konkurrenten dies zu der Zeit begreifen.

Seine Rolle bei der Vorbereitung der deutschen Revolutionvon 1923 beschreibt Stalin folgendermaßen: »Die deutscheKommission in der Komintern, bestehend aus Sinowjew, Bucha-rin, Stalin, Trotzki, Radek und einer Reihe deutscher Genossen,faßte eine Anzahl konkreter Beschlüsse zur direkten Unterstüt-

zung der deutschen Genossen bei der Machtergreifung.« (Redeauf dem vereinigten Plenum des ZK und der Zentralen Kontroll-kommission der KPdSU am 5. 8. 1927. Werke X, S. 63)

Stalins persönlicher Sekretär Baschanow hat diese Vorberei-tung ausführlicher geschildert. Er sagt, riesige Geldmengenseien angewiesen worden, und das sowjetische Politbüro habein geheimer Beratung den Beschluß gefaßt, keine Ausgaben zuscheuen. In der Sowjetunion wurden sämtliche Kommunistendeutscher Abstammung mobilisiert sowie alle Kommunisten,die des Deutschen mächtig waren. Sie wurden nach Deutschland

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zur Untergrund arbeit geschickt. Aber nicht nur gewöhnlicheKommuni sten wurde n nach Deutschland transferiert, sondernauch höherrangige sowjetische Führer, darunter der sowjetische Volkskommissar W. Schmidt, der Stellvertreter des Vorsi t-zende n der GPU (und künft ige Chef des militärischen Geheim-dienstes) Unschlicht, die Mitglieder des Zentralkomitees Radek

und Pjatakow Der sowjetische Bevollmächtigte (Botschafter) inDeutschland Krestinski entfaltete eine fieberhafte Aktivität. Diesowjetische Botschaf t verwandelte sich in eine Organisations-zentrale der Revolution. Über die Botschaft liefen die Anweisun-gen aus Moskau, flössen aber auch die Geldströme sowie Waffenund Muni tion. »Auf Unschlicht entfiel die Organisation von Ab-teilungen des bewaffneten Aufstandes für den Umsturz, ihrerRekrutierung und Versorgung mit Waffen. Außerdem sollte ereine deutsche Tscheka zur Vernichtung der Bourgeoisie und derRevolutionsgegner nach dem Umsturz aufstellen.« (B. Bascha-now, Ich war Stalins Sekretär. Frankfurt/Berlin/Wien 1977,S. 58)

Vom sowjetischen Politbüro wurde ein detaillierter Plan fürden Umst urz ausgearbeitet und bestätigt, als Zeitpunkt war der9. November 1923 festgesetzt worden.

Doch die Revolution fand nicht statt.Es gibt viele Gründe dafür.Erstens: Die große Masse der deutschen Bevölkerung

wählte die goldene Mitte und entschied sich für die Sozialdemo-kratie. Die Kommunistische Partei besaß nicht die notwendigeUnterstützung bei den Massen und war obendrein in zwei Frak-

tionen aufgespalten. Die Führer der Partei zeigten keine hin-reichende Entschlossenhei t, wie sie seinerzeit Trotzki und Leninaufgebracht hatten.

Zweitens: Die Sowjetunion und Deutschland hatten keinegemeinsame Grenze. Wie schon vier Jahre zuvor trennte Polendie beiden Länder. Wäre eine gemeinsame Grenze vorhandengewesen, hätte die Rote Armee der Deutschen Kommunisti-schen Partei und ihren unentschlossenen Führern zu Hilfe kom-men können.

Der dritte Grund ist vielleicht der wichtigste: Lenin liegt be-

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reits im Sterben und leitet schon lange weder die Sowjetunionnoch die Weltrevolution. Er hat viele Thronfolger: Trotzki, Sino-wjew, Kamenew, Rykow, Bucharin. Neben den offenen Konkur-renten arbeitet der bescheidene Stalin, in dem niemand einenPrätendenten auf die Macht sieht, der aber Lenins Worten zu-folge bereits »eine enorme Macht in seinen Händen konzen-triert hatte«.

Die deutsche Revolution von 1923 wurde zwar vom Kremlaus gelenkt, doch gleichzeitig spielte sich am Ruder der Welt-revolution ein erbitterter Kampf ab. Keiner der offenen Kron-prätendenten wollte seinen Gegner in der Rolle eines Führersder deutschen und folglich auch der europäischen Revolutionsehen. Die Führer stießen und drängten sich am Ruder und er-teilten ihren Untergebenen widersprüchliche Anweisungen.Das konnte auf keinen Fall mit einem Sieg enden.

Der weise Stalin mischte sich in dieser Situation nicht unterdie Männer am Ruder. Er beschloß, zunächst seine ganze Auf-

merksamkeit den Fragen der endgültigen Konsolidierung sei-ner Alleinherrschaft zu widmen und sich erst hernach mit allenübrigen Problemen zu befassen, unter anderem auch mit derWeltrevolution.

In den nächstfolgenden Jahren schickt Stalin alle Präten-denten auf den Platz des Führers um eine Etage tiefer, dannaber läßt er sie immer weiter und weiter absinken, bis hinunterin die Keller des Lubjanka-Gefängnisses. Kaum hat Stalin dieMacht ergriffen, beseitigt er alle Barrieren, die der deutschenRevolution im Wege stehen:

Er bringt Ordnung in die Deutsche Kommunistische Parteiund erreicht von ihr die bedingungslose Erfüllung der Weisun-gen aus Moskau;

er sorgt für eine gemeinsame Grenze mit Deutschland;er vernichtet die deutsche Sozialdemokratie. Natürlich nicht

mit eigenen Händen. Hat Stalin jemals irgendjemanden eigen-händig umgebracht?

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2.Marx und Lenin zufolge entsteht die Revolution als Ergebniseines Krieges. Der Krieg verschärft die vorhandenen Widersprüche, ruiniert die Wirtschaft, rückt die Revolution näher.Stalins Position ist einfach und von prinzipieller Natur: Sozialdemok rate n und Pazifisten müssen bekämp ft werden, weil sie dasProlet ariat von Revolutio n und Krieg ablenken. Am 7. Nov em-

ber 1927 gibt Stalin die Losung aus: »Der Kapitalismus ist nichtzu beseitigen ohne vorherige Beseitigung der Sozialdemokratiein der Arbeiterbewegung.« (»Prawda«, 6./7. 11. 1927, Werke X,S. 250) Im folgenden Jahr erklärt Stalin den Kampf gegen dieSozialdemokratie zur Hauptaufgabe der Kommunisten: »Er-stens, Kampf gegen die Sozialdemokratie auf allen Linien . . .einschließlich der zugehörigen Entlarvung des bürgerlichenPazifismus.« (Rede vor dem Leningrader Parteiaktiv am 13. 7.1928, Werke XI, S. 202) Bezüglich derjenigen, die offen für denKrieg eintreten, der deutschen Faschisten beispielsweise, ist

Stalins Position ebenso einfach und verständlich: Sie sind zuunterstützen. Laßt die Faschisten ruhig Sozialdemokraten undPazifisten vernichten. Laßt die Faschisten einen neuen Kriegbeginnen. Laßt die Faschisten in Europa alle Staaten, alle poli-tischen Parteien, die Parlamente, Armeen, Gewerkschaftenzerschlagen. 1927 sieht Stalin die Machtergreifung durch dieFaschisten voraus, und er hält dies für ein positives Phänomen:»Gerade diese Tatsache führt zur Verschärfung der innerenLage in den Ländern des Kapitalismus und zu revolutionärenAktionen der Arbeiter.« (Rede auf dem vereinigten Plenum des

ZK und der Zentralen Kontrollkommission der KPdSU am 1. 8.1927. Werke X, S. 49)Und Stalin fördert die Faschisten. Eifrige Stalinisten, wie

zum Beispiel das Mitglied des Politbüros der Deutschen Kommunistischen Partei Hermann Remmele, unterstützen ganz offendie an die Macht drängenden deutschen Faschisten. StalinsRolle bei der Machtergreifung durch die Faschisten in Deutsch-land ist beachtlich. Ich hoffe, darüber einmal ein ganzes Buchschreiben zu können. Hier beschränke ich mich darauf, TrotzkisAuffassung zu dieser Frage anzuführen, die er 1936 äußerte:

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»Ohne Stalin hätte es keinen Hitler gegeben und keine Ge-stapo!« (»Bulletin der Opposition« Nr. 52-53, Oktober 1936)Von Trotzkis Scharfblick und Kenntnis dieser Problematik zeugtauch eine andere Bemerkung vom November 1938: »Stalin hatendgültig sowohl Hitler wie auch seinen Gegnern die Hände ent-fesselt und Europa in den Krieg getrieben.« (»Bulletin der Oppo-sition« Nr. 71, November 1938) Das wird in einem Augenblick 

gesagt, da Chamberlain sich freut, daß es keinen Krieg gebenwird, da Mussolini sich für einen Friedensstifter hält und Hitlernoch nicht daran denkt, die Direktive für den Angriff auf Polen,geschweige denn auf Frankreich zu geben. Zu einem Zeitpunkt,da Europa erleichtert aufatmete und glaubte, daß die Gefahreines Krieges gebannt sei, wußte Trotzki um seinen baldigenAusbruch, und er wußte auch, wen die Schuld daran traf. UmTrotzki endgültig Glauben zu schenken, lassen Sie uns nocheine weitere, am 21. Juni 1939 geäußerte Voraussage hören. Zuder Zeit werden intensive, gegen Deutschland gerichtete Ver-

handlungen zwischen Großbritannien, Frankreich und derUdSSR geführt. Nichts deutet auf die Möglichkeit irgendwelcherunerwarteter Ereignisse und Komplikationen hin. Aber Trotzkisagt in diesem Augenblick: »Die UdSSR wird sich in geballterMasse in Richtung auf die Grenzen Deutschlands zu einem Zeit-punkt bewegen, wenn das Dritte Reich in einen Kampf um dieNeuordnung der Welt verwickelt ist.« (»Bulletin der Opposition«Nr. 79-80, S. 14) Und genau so wird es geschehen! Deutschlandwird in Frankreich kämpfen, und Stalin wird »in geballterMasse« die neutralen Staaten an seinen Westgrenzen liquidie-

ren und sich damit in Richtung auf die Grenzen Deutschlandsbewegen. An demselben 21. Juni 1939 stellte Trotzki eine nochverblüffendere Vorhersage auf: »Im Herbst 1939 wird Polen

Gegenstand einer Okkupation, im Herbst 1941 beabsichtigt 

  Deutschland, zur Offensive auf die Sowjetunion überzugehen.«

Trotzki ist nur ein minimaler Fehler von wenigen Monatenhinsichtlich des Termins für den Beginn des Krieges gegen dieUdSSR unterlaufen. Wir werden im weiteren sehen, daß den-selben Fehler auch Stalin beging.

Liest man heute, fünfzig Jahre später, Trotzkis Folgerungen

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und Voraussagen unter Würdigung der Treffsicherheit seinerUrteile, müssen wir uns die Frage stellen, woher er dies alleswissen konnte. Trotzki machte kein Geheimnis daraus. Er ist einehemaliger Führer des kommunistischen Umsturzes, Begrün-der der Roten Armee, Vertreter der Sowjets bei den Verhandlun-gen in Brest-Litowsk, er war der erste Leiter der sowjetischenDiplomatie und der erste Chef der Roten Armee, ein anerkann-ter Führer der UdSSR an der Seite Lenins und ein Führer derWeltrevolut ion. Wer sonst, wenn nicht er, mußte wissen, was derKommunismus bedeutet, was die Rote Armee und wer dieserStalin ist. Trotzki sagt, alle seine Vorhersagen beruhen auf offenzugänglichen sowjetischen Publikationen, insbesondere auf den Erklärungen des Sekretärs der Komintern Dimitrow

Trotzki hatte als erster in der Welt Stalins Spiel durchschaut,das die westlichen Führer nicht begriffen und das zunächstauch Hitler nicht verstand.

Stalins Spielregeln aber waren einfach. Trotzki ist selbst ein

Opfer dieses Spiels, und deshalb versteht er es. Stalin hatteTrotzki mit Hilfe von Sinowjew und Kamenew aus der Machtentfernt, anschließend entledigte sich Stalin Sinowjews undKamenews mit Hilfe Bucharins, später beseitigte Stalin auchBucharin. Die Generation von Dserschinskis Tschekaleuten ließStalin durch die Hände Genrich Jagodas entmachten, dannwurde Genrich Jagoda und seine Generation auf Stalins Geheißdurch die Hände Jeschows beseitigt, schließlich ließ StalinJeschow und dessen Generation durch die Hände Berijas besei-tigen usw. Stalin setzt sein Spiel in der internationalen Arena

fort, und Trotzki verfolgt diese Vorgänge. Der deutsche Faschis-mus bedeutet für Stalin ein Instrument. Der deutsche Faschis-mus ist ein Feind, aber gemäß Komintern-Definition ist er auchder Eisbrecher der Revolution. Der deutsche Faschismus kannden Krieg auslösen, und ein Krieg führt zur Revolution. Laßtden Eisbrecher Europa aufbrechen! Hitler ist für Stalin ein reini-gendes Gewitter in Europa. Hitler kann das bewirken, wasStalin selbst nicht besorgen mag. 1927 hatte Stalin erklärt, daßein zweiter imperialistischer Krieg völlig unvermeidbar sei, sowie auch der Eintritt der Sowjetunion in diesen Krieg. Aber der

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weise Stalin will diesen Krieg nicht beginnen und nicht vomersten Tage an beteiligt sein: »Wir werden eingreifen, aber wirgreifen als letzte ein, wir greifen ein, um das entscheidende Ge-wicht in die Waagschale zu werfen, das Gewicht, das den Aus-schlag geben dürfte.« (Rede auf der Plenarsitzung des ZK am19. 1. 1925, Werke VII, S. 14)

Stalin braucht in Europa Krisen, Kriege, Hunger, Destruk-tion. Das alles kann Hitler für ihn erledigen. Je mehr Verbre-chen Hitler in Europa anhäuft, um so besser für Stalin, um soviel mehr Gründe für Stalin, die Rote Armee eines Tages als Be-freierin nach Europa zu entsenden. Trotzki erfaßt das alles nochvor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, ja sogar noch ehe Hitleran die Macht gelangt ist. 1932 erläutert Trotzki Stalins Ver-halten gegenüber den deutschen Faschisten: »Laßt sie ruhig andie Macht kommen, mögen sie sich kompromittieren, dannaber ...«

Seit 1927 unterstützt Stalin energisch (ohne dies indessen

öffentlich zu zeigen) die Faschisten, die zur Macht drängen.Sobald die Faschisten die Macht erlangt haben, wird Stalin siezielstrebig in den Krieg treiben. Haben sie erst den Krieg begon-nen, wird Stalin die Kommunisten in den demokratischen Län-dern anweisen, vorübergehend Pazifisten zu werden, die Ar-meen der westlichen Länder zu zersetzen, den Faschisten denWeg mit der Forderung nach Beendigung »des imperialisti-schen Krieges« zu ebnen, vor ihnen zu kapitulieren und diemilitärischen Anstrengungen ihrer Regierungen und Länder zuuntergraben.

Aber indem Stalin den Eisbrecher auf das demokratischeEuropa ansetzte, sprach er ihm zugleich das Todesurteil. Fünf Jahre vor der Machtergreifung durch die Faschisten in Deutsch-land plant Stalin bereits ihre Vernichtung: »Zerschlagung desFaschismus, Beseitigung des Kapitalismus, Errichtung derSowjetmacht, Befreiung der Kolonien aus der Sklaverei.«

Der Faschismus ist der Henker Europas. Stalin unterstütztdiesen Henker, aber noch ehe der Henker seine blutige Arbeitbeginnt, hat Stalin für den Henker das gleiche Schicksal wie fürseine Opfer vorgesehen.

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WOZU BRAUCHEN KOMMUNISTEN WAFFEN?

Menschen sterben für Metall.(aus dem russischen Libretto zu

Ch. Gounods »Faust«)

l.

1933 besuchte der deutsche Generaloberst Heinz Guderian diesowjetische Lokomotivenfabrik in Charkow. Guderian berichte t,daß das Werk außer Lokomotiven in einem Nebenproduktions-zweig Panzer herstelle. Der Ausstoß an Panzern betrug 22Stück pro Tag.

Um die Neben-Produktion eines einzigen sowjetischen Un-ternehmens in Friedenszeiten richtig zu bewerten, muß mansich ins Gedächtnis rufen, daß im Jahre 1933 Deutschland über-haupt keine Panzer produzierte. Als Hitler 1939 den Zweiten

Weltkrieg begann, besaß er 3195 Stück, d. h. weniger, als dieCharkower Lokomotivenfabrik in einem halben Jahr unter Frie-densbedingungen produzieren konnte.

Um diese 22 Panzer pro Tag richtig zu bewerten, muß mansich bewußtmachen, daß die Vereinigten Staaten immerhinschon nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges im Jahre1940 erst über insgesamt etwa 400 Panzer verfügten.

Und nun zur Qualität der Panzer, die Guderian in der Char-kower Lokomotivenfabrik gesehen hat. Es waren Panzer, diedas amerikanische Panzergenie J.W. Christie entworfen hatte.

Christies Errungenschaften wußte niemand zu schätzen, mitAusnahme der sowjetischen Konstrukteure. Der amerikanischePanzer wurde gekauft und mit falschen Papieren, in denen erals Traktor für landwirtschaftliche Zwecke deklar iert war, in dieSowjetunion gebracht. Dort wurde der »Traktor« in riesigenMengen unter der Typenbezeichnung BT (Bystrochodny Tank -Schnellpanzer) produziert. Die ersten BTs besaßen eineMarschgeschwindigkeit von 100km/h. Sechzig Jahre späterblickt jeder Panzersoldat neidvoll auf diese Geschwindigkeitzurück.

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Die Form der Panzerwanne des BT war einfach und rationellkonstruiert. Kein einziger Panzer der Welt zu jener Zeit ein-schließlich der für die US-Army produzierten besaß eine gleich-wertige Panzerung. Der beste Panzer des Zweiten Weltkrieges,der russische T-34, ist ein unmittelbarer Abkömmling des BT.Die Form seiner Panzerwanne ist eine Weiterentwicklung derIdeen des genialen amerikanischen Panzerkonstrukteurs. Das

Prinzip der schrägen Anordnung der Frontpanzerplatten istspäter bei dem deutschen »Panther« angewendet worden undanschließend bei allen übrigen Panzern auf der ganzen Welt.

In den dreißiger Jahren wurden praktisch alle Panzer welt-weit nach dem Schema »Antriebsaggregat im Heck, Kraftüber-tragung im Bugteil« hergestellt. Der BT bildet die Ausnahme vondieser Regel: Motor und Getriebe waren im Heck unterge-bracht. Fünfundzwanzig Jahre später begreift die ganze Weltdie Vorzüge dieser Anordnung im BT. Der BT-Panzer wurdeständig verbessert, sein Aktionsradius bis auf 700 km ausge-

dehnt. Auch fünfzig Jahre später bleibt das noch immer einTraum für die Mehrzahl der Panzerfahrer. 1936 waren dieserienmäßig produzierten BT-Panzer in der Lage, tiefe Flußläufequer durch das Flußbett unter Wasser zu überwinden. Ende derachtziger Jahre verfügen nicht alle Panzer der präsumtivenGegner der Sowjetunion über diese Möglichkeit. 1938 begannman, die BT-Panzer mit Dieselmotoren auszurüsten. Die übrigeWelt geht erst zehn bis zwanzig Jahre später dazu über. Schließ-lich besaß der BT eine für die damalige Zeit eindrucksvolleBewaffnung.

Nach so vielen positiven Worten über Quantität und Qualitätder sowjetischen Panzer sei, um der Gerechtigkeit Genüge zutun, auch ein ganz geringfügiger Mangel erwähnt: Diese BT-Panzer waren auf sowjetischem Territorium nicht einsetzbar.

2.

Der entscheidende Vorzug des BT-Panzers ist seine Schnellig-keit. Diese Qualität war so dominierend, daß sie sogar in derBezeichnung des Panzers zum Ausdruck kam: Schnellpanzer.

l

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Der BT ist ein Angriffspanzer. In allen Einzelheiten seinerCharakteristik läßt er sich voll und ganz mit einem der kleinen,aber ausnehmend mobilen berittenen Krieger aus den zahl-losen Horden Dschingis-Khans vergleichen. Dieser große Welt-eroberer besiegte alle Feinde durch überraschende Vorstößeder gewaltigen Massen seiner ungemein wendigen Krieger.Dschingis-Khan vernichtete seine Gegner in der Hauptsache

nicht durch die Stärke seiner Waffen, sondern durch tief an-gelegte, ungestüm vorangetragene Attacken. Dschingis-Khanbrauchte keine schwerfälligen Ritter, sondern Horden leichter,flinker, beweglicher Krieger, die in der Lage waren, riesigeRäume zu bewältigen, Flüsse zu überwinden und tief in dasHint erland des Gegners einzudringen.

Genauso war der BT-Panzer beschaffen. Davon hatte manmehr produziert als sämtliche Panzer aller  Typen in allen

Ländern der Welt am 1. September 1939 zusammengenommen.Wendigkeit , Geschwindigkeit und Aktionsradius des BT waren

auf Kosten einer rationellen, aber sehr leichten und dünnenPanzerung erreicht worden. Der BT konnte nur in einem An-griffskrieg eingesetzt werden, nur im Hinterland des Gegners,nur in einer zügig vorangetragenen Angriffsoperation, bei derdie Panzerhorden überraschend in das Territorium des Gegnerseindringen, die Stützpunkte des Widerstandes umgehen, ineinem in die Tiefe gerichteten Vorstoß, dorthin, wo die Truppendes Gegners nicht stehen, wo jedoch seine Städte liegen, dieBrücken, Produktionsstätten, Flugplätze, Häfen, Vorratslager,Kommandostellen und Verkehrsknotenpunkte .

Der verblüffend offensive Charakter des BT war allerdingsauch durch Verwendung eines einzigartigen Fahrgestells er-reicht worden. Der BT bewegte sich auf Feldwegen mit Hilfe vonKetten voran, sobald er jedoch auf gute Straßen stieß, warf erdie schweren Ketten ab und drang weiter wie ein schnellesKraftfahrzeug auf Rädern vor. Indessen ist wohlbekannt, daßGeschwindigkeit und Geländegängigkeit einander ausschlie-ßen: Man muß sich demnach entweder für ein schnelles Autoentscheiden, das nur auf guten Straßen fährt, oder für einenlangsamen Traktor, der sich überall einen Weg bahnt. Dieses

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Dilemma lösten die sowjetischen Marschälle zugunsten desschnellen Autos: Die Panzer vom Typ BT waren auf sowjeti-schem Boden völlig hilflos. Als Hitler das »Unternehmen Bar-barossa« begann, mußten praktisch alle BT-Panzer aufgegebenwerden. Selbst mit Panzerketten war ihre Benutzung abseitsder Straßen so gut wie unmöglich. Auf Rädern aber wurden sieniemals benutzt. Das Potential an diesen großartigen BT-Pan-

zern wurde nicht realisiert, aber es konnte auch auf sowjeti-schem Territorium nicht realisiert werden. Der BT war aus-schließlich für Aktionen auf fremden Territorien konzipiertworden, und zwar nur auf solchen, die gute Straßen besaßen.Werfen wir einen Blick auf die sowjetischen Nachbarn: Die Tür-kei, Iran, Afghanistan, China, die Mongolei, die Mandschureiund Nordkorea verfügten damals so wenig wie heute über guteStraßen. Schukow hat BT-Panzer in der Mongolei eingesetzt, wodas Gelände eben wie ein Tisch ist, aber er verwendete sie nurmit Panzerketten und war mit ihnen äußerst unzufrieden: Ab-

seits der Straßen lösten sich oft genug die Ketten, und wegendes relativ starken Druckes der Räder auf nicht befestigtem Un-tergrund und selbst auf Feldwegen brachen die Panzer ein, unddie Räder drehten durch.

Auf die Frage nach einer erfolgversprechenden Einsatzmög-lichkeit des gewaltigen Potentials an BT-Panzern bleibt eineeinzige Antwort: Mittel- und Südeuropa. Sobald der BT seineKetten abgeworfen hatte, war er mit Erfolg nur noch auf demTerritorium Deutschlands, Frankreichs und Belgiens zu ver-wenden.

Auf die Frage, was das Wesentliche für die Fortbewegungdes BT war, Räder oder Ketten, geben die Lehrbücher jenerJahre eine präzise Antwort: die Räder. Die entscheidende Qua-lität des BT war seine Marschgeschwindigkeit, und diese wirdnur mit Hilfe der Räder realisiert. Die Ketten waren lediglich alsMittel zur Erreichung des fremden Territoriums gedacht - umbeispielsweise auf Ketten Polen zu durchqueren; hatte man je-doch erst die deutschen Autobahnen erreicht, sollten die Kettenabgeworfen und weiterhin auf Rädern vorgerückt werden. DieKetten waren als Hilfsmittel vorgesehen, das im Krieg ein einzi-

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ges Mal Verwendung fand, anschließend konnte man sich ihrerent led ige n und sie vergessen, so wie der Fallschirmspringer sei-nen Fallschirm nur benutzt, um auf das Territorium des Geg-ners zu gelangen: Dort läßt er seinen Fallschirm zurück undoperiert im Hinterland, ohne sich weiter mit der schweren undkünftig nicht mehr benötigten Bürde zu belasten. Die gleicheFinstellung galt auch hinsichtlich der Panzerketten. Die mitBT-Panzern ausgerüsteten sowjetischen Divisionen und Korpsverfügten nicht einmal über Lkws, die zum Aufsammeln undTransport der abgeworfenen Panzerketten bestimmt gewesenwären: Die BT-Panzer sollten nach dem Abwerfen der Kettenden Krieg auf Rädern beend en, indem sie auf den hervorrag en-den Straßen tief in das Hinterland des Gegners vorstießen.

3.Finige sowjetische Panzertypen haben ihre Bezeichnung zu

Ehren kommunistischer Führ er erhalten: KW - Klim Woroschi-low, IS - Iossif Stalin, doch die Mehrzahl der sowjetischenPanzertypen führte Bezeichnungen, die den Index T enthalten.Bisweilen trat zu diesem T ein weiterer Buchstabe hinzu, wie»0« (von ognemjotny = Flammenwerfer-), »B« (von bystro-chodny = Schnell-), »P« (von plawajuschtschi = Schwimm-).Übrigens war die Sowjetunion das einzige Land der Welt, dasSchwimmpanzer in Massen produzierte. In einem Verteidi-gungskrieg braucht ein Panzer nirgendwohin zu schwimmen,weshalb die sowjetischen Schwimmpanzer, als Hitler das »Un-

ternehmen Barbarossa« begann, mangels Verwendungsfähig-keit in einem Verteidigungskrieg aufgegeben werden mußten;ihre Produktion wurde ebenso unverzüglich gestoppt wie diedes BT.

Doch ich schweife ab. Die Hauptsache besteht in etwasanderem. 1938 wurden in der Sowjetunion intensive Anstren-gungen zur Schaffung eines Panzer-Typs mit der ganz unge-wöhnlichen Bezeichnung A-20 unternommen. Was bedeutetdieses »A«? Kein einziges sowjetisches Handbuch gibt eine Ant-wort auf diese Frage. Vielleicht werden die Kommunisten n ach

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dem Erscheinen meines Buches im nachhinein eine Erklärungdieser Bezeichnung erfinden, aber vorerst gilt für viele Exper-ten in der Welt dieser Index als nicht entziffert. Ich habe langenach einer Antwort auf diese Frage gesucht und fand sie in demBetrieb Nr. 183. Es ist dieselbe bereits erwähnte Lokomotiven-fabrik, die, wie auch früher schon, eine Nebenproduktion be-treibt. Ich weiß nicht, ob die Erklärung stimmt, aber Veteranenbehaupten, der ursprüngliche Sinn des »A« sei »Awtostradny«(Autobahn-). Mir persönlich scheint diese Erklärung überzeu-gend. Der Panzer A-20 ist eine Weiterentwicklung aus der BT-Familie. Wenn beim BT die entscheidende Charakteristik in derBezeichnung zum Ausdruck kommt, warum sollte dann beimA-20 dessen Hauptcharakteristik nicht in die Bezeichnung ein-gehen? Die Aufgabe des A-20 bestand darin, auf Panzerkettenbis zu den Autobahnen vorzudringen, dort aber unter Zurück-lassung der Ketten sich in einen Geschwindigkeits-Champion zuverwandeln.

Rufen wir uns jetzt ins Gedächtnis, daß selbst Ende der acht-ziger Jahre die Sowjetunion nur ganz wenige Straßenkilometer(auf ehemaligem ostpreußischem Territorium) besitzt, die dieBezeichnung Autobahn verdienen. Natürlich gab es erst rechtfünfz ig Jahre zuvor auf sowjetischem Boden keine Autobahnen.Und kein einziges angrenzendes Land hatte 1938 Autobahnenaufzuweisen. Aber im darauffolgenden Jahr 1939 teilte Stalindurch den Molotow-Ribbentrop-Pakt Polen auf und schuf damiteine gemeinsame Grenze mit jenem Staat, der über Autobahnenverfügte, und dieser Staat hieß Deutschland.

Man sagt, Stalins Panzer seien auf den Krieg nicht vorberei-tet gewesen. Das tri fft nicht zu. Sie waren nicht für einen Vertei-digungskrieg auf eigenem Territorium vorbereitet. Man hattesie einfach für einen Krieg auf fremden Territorien präpariert.

4.Der Quantität und Qualität der sowjetischen Panzer entsprachenQuantität und Qualität der sowjetischen Flugzeuge. Kommuni-stische Geschichtsfälscher sagen heute: Gewiß, es gab viele

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Flugzeuge, doch das sind schlechte Flugzeuge gewesen. Eswaren vera ltete Maschinen, die man nicht zu berücksichtigenbrau cht. Wir sollten uns lieber auf die neuesten sowjetischenFlugzeuge beschränken: die Mig-3, Jak-1, Pe-2, I1-2 und an-dere, aber die in den Vorkriegsjahren produzierten können wirvernachlässigen - das war veralteter Schrott.

Doch was hält der Offizier der Royal Airforce Alfred Price

von diesem »veralteten Schrott«, ein Mann, der in seinemLeben vierzig verschiedene Flugzeugtypen geflogen und über4000 Stunden in der Luft zugebracht hat? Hier seine Meinungzu dem »veralteten« sowjetischen Jagdflugzeug: »Die stärksteBewaffnung unter allen einsatzbereiten Jagdflugzeugen derWelt besaß im September 1939 die russische PolikarpowI-16 ... An Feuerkraft war die I-16 der Messerschmitt 109 E-1mehr als zweifach überlegen und fast um das Dreifache derSpitfire 1. Unter allen Vorkriegsjagdflugzeugen war die I-16 in-sofern einzigartig, als sie allein einen Panzerschutz für den Pilo-

ten besaß. Wer da glaubt, die Russen seien vor dem ZweitenWeltkrieg rückständige Bauern gewesen, die erst später unterdem Einfluß der Nutzung deutscher Erfahrungen vorankamen,sollte sich die Tatsachen ins Gedächtnis rufen.« (A. Price, WorldWar II. Fighter Conflict. London 1975, S. 18, 21)

Hier wäre noch zu ergänzen, daß im August 1939 die sowje-tischen Jagdflugzeuge als erste in der Welt Raketengeschosseunter Gefechtsbedingungen einsetzten. Zu ergänzen ist ferner,daß die sowjetischen Konstrukteure bereits das einzige Flug-zeug in der Welt mit einem gepanzerten Rumpf entwarfen - ei-

nen echten fliegenden Panzer, die I1-2, die in jeder Hinsicht übereine optimale Bewaffnung verfügte, einschließlich ihrer achtRaketen.

Was liegt also vor? Weshalb hat die sowjetische Luftwaffevom ersten Kriegstag an die Luftherrschaft abgetreten? DieAntwort ist einfach: Der Großteil der sowjetischen Flieger - dieJagdflieger eingeschlossen - war nicht in der Führung von Luft-k ä m p f e n ausgebildet. Was hatte man sie gelehrt? Sie hatten dieDurchfüh rung von Angriffen auf Bodenziele gelernt. Die Dienst-vorschriften für die sowjetischen Jagd- und Bomberflieger

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orientierten die sowjetischen Flieger auf die Durchführungeiner grandiosen überraschenden Angriffsoperation, in der diesowjetischen Luftstreitkräfte mit einem Schlag die gesamteLuftwaffe des Gegners ausschalten und die Luftherrschaft ansich reißen sollten. Bereits 1929 zog die sowjetische Zeitschrift»Krieg und Revolution« in einem Grundsatzartikel über »DieAnfangsphase des Krieges« einen Schluß, der später von denFliegervorschriften, einschließlich der Dienstvorschriften ausden Jahren 1940 und 1941, wiederholt wird: »Es ist von extre-mem Vorteil, die Initiative zu ergreifen und als erster den Geg-ner zu attackieren. Derjenige, der durch einen Angriff seinerLuftf lotte auf die Flugplätze und Hangare des Feindes die Initia-tive ergriffen hat, kann anschließend mit der Luftherrschaftrechnen.« (Nr. 9, S. 7) Die Theoretiker der sowjetischen Luft-streitkräfte hat ten nicht irgendeinen Feind allgemein vor Augen,sondern einen ganz bestimmten. Laptschinski, der führendeTheoretiker der sowjetischen Luftkriegsstrategie, versah seine

Bücher mit sehr detaillierten Karten der Standardobjekte fürBombardierungen, darunter waren der EisenbahnknotenpunktLeipzig, der Bahnhof Friedrichstraße in Berlin. (A. N. Lap-tschinski, Das Luftheer. Moskau 1939, Abb. 24, 34) Laptschinskierläuterte, wie das sowjetische Territorium zu verteidigen sei:»Ein zielstrebiger Angriff auf dem Boden zieht wie ein Magnetdie feindlichen Luftstreitkräfte auf sich und ist das beste Mittelzur Verteidigung des Landes gegen den Gegner aus der Luft...Die Luftverteidigung des Landes erfolgt nicht durch ein Manö-ver aus der Tiefe, sondern durch ein in die Tiefe gerichtetes

Manöver.« (Ebenda, S. 176, 177) Aus eben diesem Grundewaren die gesamten sowjetischen Luftstreitkräfte 1941 unmit-telbar an der Grenze zusammengezogen. Der Feldflugplatz desJagdgeschwaders 123 lag beispielsweise zwei Kilometer vonder deutschen Grenze entfernt. Unter Gefechtsbedingungenwürden die Flugzeuge, um Treibstoff zu sparen, in Richtung desGegners aufsteigen. Das Jagdgeschwader 123 sollte ebenso wieviele andere Geschwader seine Flughöhe erreichen, wenn essich bereits über deutschem Territorium befand.

Die Sowjetunion hat vor dem Krieg und im Krieg selbst nicht

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wenig ausgezeichnete und gleichzeitig erstaunlich einfacheFlug zeuge entwickelt. Aber die größten Errungenscha ften dersowjetischen Luftstreitkrä fte liegen nicht im Bereich der Kon-struk tion von Flugzeugen, die die Maschinen des Gegners in derLuft vern ichten, sondern in der Konstruktion von Flugzeugen,die die Flugzeuge und andere gegnerische Ziele am Boden zer-stören. Der größte sowjetische Erfolg auf dem Gebiet der Luft-

waffentechnik jener Zeit ist die I1-2, und eben sie war dazu be-stimmt, den Gegner am Boden zu treffen. Die Flugplätze warenihr wichtigstes Ziel. Als ihr Konstrukteur Iljuschin dieses fürden Angriff konzipierte Flugzeug entwarf, hatte er auch einkleines zur Verteidigung bestimmtes Detail vorgesehen. In derursprünglichen Version war die I1-2 als Zweisitzer konstruiert:Der Pilot führt das Flugzeug und vernichtet das Angriffsziel, inseinem Rücken aber deckt ein Schütze die hintere Halbsphäregegen Attacken feindlicher Jagdflieger. Iljuschin wurde von Sta-lin persönlich angerufen, der ihm befahl, den Schützen mit dem

Maschinengewehr wegzulassen und die I1-2 als Einsitzer her-zustellen. Stalin brauchte die I1-2 für eine Situation, in der überhaupt kein einziges gegnerisches Flugzeug aufsteigenkonnte...

Nach dem Beginn des »Unternehmens Barbarossa« tele-fonierte Stalin wieder mit Iljuschin und befahl, die I1-2 als Zwei-sitzer zu produzieren: In einem Verteidigungskrieg brauchtselbst ein für den Angriff konzipiertes Flugzeug eine Verteidi-gungswaffe.

5.1927 ist das Jahr, in dem Stalin endgültig die Machtspitze er-klommen und sich dort fest eingerichtet hat. Von diesem Augen-blick an richtet sich seine Aufmerksamkeit nicht nur auf dieFestigung seiner Diktatur, sie gilt vielmehr auch den Problemender ganzen kommunistischen Bewegung und der Weltrevolu-tion.

1927 ist das Jahr, in dem Stalin endgültig feststellt, daß einzweiter Weltkrieg unvermeidlich ist, in dem er den entschie-denen Kampf gegen den sozialdemokratischen Pazifismus be-

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schließt - der den Ausbruch eines Krieges hemmt -, aber auchdie Unterstü tzung der an die Macht drängenden Faschisten, dieman anschließend vernichten wird.

1927 ist das Jahr der beginnenden Industrialisierung derUdSSR. Einer extremen Industrialisierung. Einer Superindu-strialisierung. Diese Industrialisierung war in Fünfjahresab-schnitten geplant, und der erste Fünfjahrplan setzte in demnämlichen Jahr 1927 ein. Wozu diese Fünfjahrpläne nötig wa-ren, kann man an der folgenden Tatsache ablesen: Zu Beginndes ersten Fünfjahrplanes besaß die Rote Armee 92 Panzer, anseinem Ende über 4000 Stück. Dennoch ist die militärische Aus-richtung im ersten Fünfjahrplan nicht so augenfällig. DasHauptinteresse gilt nicht der Rüstungsproduktion, sondernzunächst der Schaffung einer industriellen Basis, die anschlie-ßend Waffen produzieren wird.

Der zweite Fünfjahrp lan dient dem weiteren Ausbau dieserindustriellen Basis. Das bedeutet die Errichtung von Kokereien,

Martinöfen, riesigen Elektrizitätswerken und Sauerstoffabri-ken, Walzstraßen und Blockwalzwerken sowie den Ausbau vonBergwerken und Erzgruben. Die Rüstungsproduktion ist vor-erst nicht das Hauptanliegen, auch wenn sie von Stalin nichtvergessen wird: In den ersten beiden Fünfjahrplänen wurden24708 Kampfflugzeuge produziert.

Doch nun kommt der dritte Fünfjahrplan, der 1942 auslau-fen sollte - und er bringt die Produktion. Kriegsproduktion. Ingigantischen Mengen von hoher Qualität.

Die Industrialisierung war um einen teuren Preis erkauft

worden. Für diese Industrialisierung zahlte Stalin mit dem Le-bensstandard der Bevölkerung, den er auf ein extrem niedrigesNiveau absinken ließ. Stalin veräußerte auf den Außenmärktenungeheure Vorräte an Gold, Platin, Diamanten. Stalin verkauftein wenigen Jahren, was die Nation in Jahrhunderten angesam-melt hatte. Stalin plünderte die Kirchen und Klöster, die kai-serlichen Magazine und Schatzkammern. Ikonen und kostbareBücher verließen das Land. Gemälde der großen Renaissance-meister gelangten in den Export, Brillantenkollektionen,Schätze aus Museen und Bibliotheken. Stalin forcierte den Ex- ]

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port von Holz und Kohle, Nickel und Mangan, Erdöl und Baum-wolle, Kaviar, Pelzwerk, Getreide und vielem, vielem anderen.Aber auch das reich te noch nicht aus. Und deshalb begann Sta-lin 1930 mit der blutigen Kollektivierung. Die Bauern wurdengewaltsam in die Kolchosen gezwungen, damit man hernachdas Getreide bei ihnen umsonst abholen konnte. Das gesamteGetreide. Im Jargon der Kommunisten hieß das »die Mittel ausder Landwi rtscha ft in die Schwerindustrie pumpen«.

Das Ergebnis der Kollektivierung und des darauffolg endenHunge rs waren 10 bis 16 Millionen Ermordeter, in den LagernUmgekommener, Verhungerter. Angaben über eine noch höhereZahl von Opfe rn haben in jüngster Zeit die sowjetische Zensurpassiert. (»Fragen der Geschichte« 1988, Nr. 6, S. 32)

Über dem Land richtete sich das Gespenst des Kannibalis-mus in seiner ganzen riesigen Größe auf. Stalin aber verkauf tein jenen furchtbaren Jahren jährlich fünf Millionen TonnenGetreide ins Ausland.

Wozu war die Kollektivierung nötig? Für die Industrialisie-rung. Und wozu wurde die Industrialisierung gebraucht? Umden Lebensstandard der Bevölkerung anzuheben? Keineswegs.Bis zur Industrialisierung und Kollektivierung war das Lebenwährend der NÖP durchaus erträglich gewesen. Wenn dem Ge-nossen Stalin am Lebensstandard des Volkes gelegen war, dannbedurfte es weder der Industrialisierung noch der Kollektivie-rung - dann mußte die NÖP beibehalten werden.

Nun aber sank trotz Industrialisierung und Kollektivierungder Lebensstandard des Volkes auf einen beängstigenden Tief-

stand ab. Vor kurzem hat Robert Conquest ein grauenhaftesBuch über die damaligen Fünfjahrpläne herausgebracht mitden schrecklichen Photographien der zu Skeletten abgemager-ten Kinder. (R. Conquest, The Harvest of Sorrow. Soviet Collecti-vization and the Terror-famine . London 1987)

Industrialisierung und Kollektivierung wurden also nichtwegen der Hebung des Lebensstandards durchgeführt, sondernum Waffen in gigantischen Mengen produzieren zu können.Wozu aber brauchen Kommunisten Waffen? Um die Menschenzu verteidigen? Auch dies kann der Grund nicht sein. Hätte Stalin

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für die Autobahn-Panzer, für die Fallschirmseide, für die west-liche Rüstungstechnologie jährlich nicht fünf , sondern nur vierMillionen Tonnen Getreide verkauft, dann wären Millionen Kin-der am Leben geblieben. In allen Ländern dienen Waffen dazu,die Bevölkerung zu verteidigen und vor allem die Kinder - dieZukunft der Nation - gegen schreckliche Leiden zu schützen. Inder Sowjetunion verhielt es sich genau umgekehrt: Die Bevölke-rung, und damit auch ihre Kinder, wurde schrecklichen Leidenunterworfen, um Waffen zu schaffen.

Der ganze Erste Weltkrieg war ein Spaziergang im Vergleichzu der Stalinschen Industrialisierung. In den vier Kriegsjahrenverloren auf den ersten Blick viele Menschen ihr Leben - zehnMillionen. Verteilt man jedoch diese zehn Millionen auf alle be-teiligten Länder, dann erweisen sich diese Opfer als sehr gering.Rußland zum Beispiel hat während des Ersten Weltkriegesinsgesamt nur 2,3 Millionen Menschen verloren. Aber in Frie-

denszeiten hat Stalin um seiner Autobahnpanzer und Angriffs-

flugzeuge willen sehr viel mehr Menschen umgebracht. Der kommunistische Frieden war weitaus schrecklicher als der 

imperialistische Krieg.

Die Steigerung des sowjetischen militärischen Potentials warkeineswegs durch äußere Bedrohung diktiert, denn sie setzte be-reits ein, noch ehe Hitler an die Macht gelangte. Die Vernichtungvon Millionen Kindern um der Waffen willen war zugleich von in-tensiven Anstrengungen Stalins zur Bekämpfung der westlichenPazifisten und zur Förderung der Faschisten begleitet. Mankönnte mir erwidern, Stalin habe Millionen Menschen geopfert,

aber dafür Waffen geschaffen, um die übrigen Menschen zuschützen. Nein. Wir sahen bereits und werden im weiteren nochwiederholt sehen, daß die produzierten Waffen zur Verteidigungdes eigenen Territoriums und zum Schütze der eigenen Men-schen völlig ungeeignet waren und daß man sie hernach entwe-der nicht ihrer Bestimmung entsprechend einsetzen konnte oderüberhaupt gänzlich auf ihre Anwendung verzichten mußte.

Wenn die Kommunisten die riesigen Waffenarsenale nichtzur Verteidigung ihres Territoriums und seiner Bevölkerunganlegten, wofür waren sie dann gedacht?

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WESHALB HAT STALIN POLEN GETEILT?

Wir haben eine Aufgabe übernom-men, die im Falle des Erfolges dieganze Welt aus den Angeln hebenwird und die gesamte Arbeiter-

klasse befreit.Stalin am 4. 2. 1931 (Werke XI I I , S. 40)

l.

Am 22. Juni 1941 hat das faschistische Deutschland überra-schend und in Vertragsbrüchiger Weise die Sowjetunion überfal-len. Das ist eine historische Tatsache. Es ist indessen eine sehreigenartige Tatsache. Bis zum Zweiten Weltkrieg besaßen

 Deutschland und die Sowjetunion keine gemeinsamen Grenzen,

  folglich konnte Deutschland die Sowjetunion nicht überfallen,

geschweige denn überraschenderweise.Deutschland und die Sowjetunion waren durch eine ge-

schlossene Barriere neutraler Staaten voneinander getrennt.Damit ein sowjetisch-deutscher Krieg stattfinden konnte, muß-ten vor allem die Voraussetzungen dafür geschaffen werden:Beseitigung der Barriere aus neutralen Staaten und Herstel-lung gemeinsamer sowjetisch-deutscher Grenzen. Ein jeder,der sich für dieses Datum, den 22. Juni 1941, interessiert, muß,ehe er Hitler verdammt und ihn des Vertragsbruches bezichtigt,zumindest für sich selbst die beiden folgenden Fragen klar be-

antworten:1. Wer hat die trennende Barriere aus neutralen Staatenzwischen Deutschland und der Sowjetunion beseitigt?

2. Warum?

2.Die Barriere zwischen Deutschland und der UdSSR war mitAusnahme einer einzigen Stelle eine doppelte. Polen war daseinzige Land, das sowohl an die Sowjetunion wie auch an

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Deutschland grenzte. Polen ist die kürzeste, direkteste, glat-teste, bequemste Verbindung zwischen der UdSSR und Deutsch-land. Polen bildet den schmälsten Teil dieser Trennmauer. Es istbegreiflich, daß ein potentieller Angreifer, der am Ausbrucheines sowjetisch-deutschen Krieges interessiert war, versuchenmußte, eben hier einen Korridor herzustellen. Dagegen mußtediejenige Seite, die diesen sowjetisch-deutschen Krieg nicht

wollte, mit ihrer geballten militärischen Macht, mit ihrer gan-zen Staatsklugheit, mit aller Kraft ihrer internationalen Auto-rität den Gegner daran hindern, auf polnisches Territorium zugelangen, und im äußersten Fall den Krieg gegen ihn bereits inPolen beginnen, um ihn von den eigenen Grenzen fernzuhal ten.

Hitler hatte seine Absichten völlig offen erklärt. Stalinnannte ihn in aller Öffentlichkeit einen Kannibalen. Aber Hitlerkonnte Stalin nicht überfallen, weil es keine gemeinsameGrenze gab. Hitler wandte sich an Stalin mit dem Vorschlag,durch vereinte Anstrengungen einen Durchbruch in der Trenn-

wand zu erreichen. Stalin griff diesen Vorschlag begeistert auf,riß mit gewaltigem Enthusiasmus die polnische Mauer niederund schlug einen Korridor zu Hitler hin. Hitlers Motive sindverständlich. Wie aber ist Stalins Verhalten zu erklären?

Die kommunistischen Geschichtsschreiber haben sich ver-schiedene Deutungen für das Verhalten der Sowjetunion aus-gedacht.

Erste Erklärung: Nachdem Polen zerfetzt und in Blut er-tränkt war, schoben wir unsere Grenzen nach Westen vor, d. h.wir stärkten unsere eigene Sicherheit. Eine seltsame Erklä-

rung. Die sowjetischen Grenzen wurden in der Tat um zweihun-dert bis dreihundert Kilometer weitergerückt, aber dabei schobauch Deutschland seine Grenzen um dreihundert bis vierhun-dert Kilometer nach Osten vor. Das bedeutete keine Erhöhungder Sicherheit der Sowjetunion, sondern im Gegenteil ihre Re-duzierung. Obendrein entstand ein vollkommen neuer Faktor:eine gemeinsame sowjetisch-deutsche Grenze und als derenFolge die Möglichkeit eines Krieges, auch eines Überraschungs-krieges.

 Zweite Erklärung: Als wir Polen während seines verzweifel-

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ten Kampfes gegen die Faschisten in den Rücken fielen, warenwir bem üht, den Augenblick des Ausbruches eines sowjetisch-deutschen Krieges hinauszuzögern. . . Das ist eine Erklärungnach dem Motto: Wir haben das Feuer im Hause des Nachbarngelegt, weil dann das Feuer unser Haus erst nach den anderenerreicht.

  Dritte Erklärung: Frankreich und Großbritannien wollten

mit uns keinen Vertrag abschließen, folglich .. . Was für ein Un-sinn! Wieso sollten Frankreich und Großbritannien die Sowjet-union verteidigen, wenn doch die Sowjetunion den Sturz derDemokratien der ganzen Welt und damit auch in Frankreichund Großbritannien als ihr Hauptziel proklamiert hatte? DemWesten konnte es zumindest gleichgültig sein, ob Hitler genOsten zog oder nicht, den Ländern Osteuropas hingegen keines-wegs. Wenn Hitler sich nach Osten wendete, würden sie dieersten Opfer sein. Insofern waren die Länder Osteuropas dienatürlichen Bündnispartner der Sowjetunion. Bei ihnen hätte

man sich um ein Bündnis gegen Hitler bemühen müssen. AberStalin suchte ein solches Bündnis nicht, und da, wo entspre-chende Verträge bestanden, ist die Sowjetunion der Erfüllungihrer Pflichten aus dem Bündnis nicht nachgekommen. Stalinhätte seine Neutralität wahren können, aber statt dessen fiel erdenjenigen in den Rücken, die gegen den Faschismus kämpften .

Erklärungen für Stalins Handlungsweisen haben sich diekommunistischen Historiker reichlich ausgedacht. Aber jededieser Erklärungen enthält zwei Mängel:a) sie wurden nachträglich ersonnen;

b) sie ignorieren völlig die Position der sowjetischen Führer,obwohl diese Position klarer und verständlicher dargelegtworden war als die Position Hitlers in seinen Werken undReden.

3.Als die Bresche durch die trennende Mauer gebrochen war,begnügte sich Hitler mit dem Erreichten und widmete sich zu-nächst seinen westeuropäischen, afrikanischen, mediterranenund atlantischen Problemen. Was hätte Stalin tun müssen, als

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vor ihm diese Bresche von 570 km Breite lag und ihm immerhineine gewisse Zeit zur Verfügung stand? Er hätte umgehendseine Verteidigung gerade in diesem Abschnitt ausbauen müs-sen. Er hätte sie zügig verstärken und vervollkommnen müssen.Außerdem mußte eine zweite Verteidigungslinie angelegt wer-den, eine dritte,... eine fün fte . Er mußte sofort die Straßen,Brücken, das Gelände verminen, Panzergräben ausheben las-

sen, sie mit Pak-Artillerie decken .. Nur wenige Jahre später,1943, bereitete sich die Rote Armee im Kursker Bogen darauf vor, die gegnerische Offensive aufzufangen. Binnen kurze r Fristlegten die sowjetischen Truppen an der riesigen Front sechskontinuierliche Verteidigungsstreifen in einer Gesamttiefe von250 bis 300 km an. Jeder Kilometer war gespickt mit Schützen-gräben, Schützenlaufgräben, Verbindungswegen, Unterstän-den und Feuerstellungen. Die durchschnittliche Minendichtelag bei 7000 Panzer- und Infanterieminen pro Kilometer, unddie Panzerabwehrdichte war auf ein immenses Niveau angeho-

ben - sie betrug 41 Geschütze pro Kilometer, Feldartillerie undFlak sowie die eingegrabenen Panzer nicht mitgerechnet. Auf diese Weise war auf freiem Felde in kürzester Zeit ein in der Tatundurchdringlicher Verteidigungsgürtel geschaffen worden.

1939 wären die Voraussetzungen für eine Verteidigung beiweitem besser gewesen: undurchdringliche Wälder, Flüsse,Sümpfe. Wenig Straßen und viel Zeit. Die sowjetischen Truppenkonnten ein wirklich unpassierbares Gelände an der neuensowjetisch-deutschen Grenze schaffen, und dies um so mehr,als der Durchbruch in der Mauer nicht sehr breit war.

Aber in diesem Augenblick stellte die Sowjetunion die Pro-duktion von Panzer- und Fliegerabwehrgeschützen ein. Stattdas Gelände undurchdringlich zu machen, wurde es zielstrebigbesser passierbar gemacht. Da wurden Straßen und Brückenangelegt, das Eisenbahnnetz erweitert, verstärkt und vervoll-kommnet. Die früheren Befestigungsanlagen wurden zerstörtund zugeschüttet.

Ein Teilnehmer jener Ereignisse, der Oberst in der militäri-schen Aufklärung /. G. Starinow, beschreibt dies folgenderma-ßen: »Es war eine dumme Situation. Als wir an relativ kleine

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Staaten mit schwachen Armeen grenzten, hatten wir unsereGren zen tatsäch lich dicht gemacht. Als jedoch das faschistischeDeut schland unser Nachbar wurde, stellte sich heraus, daß dievon den Pionieren errichteten Verteidigungsanlagen entlangder früheren Grenze aufgegeben und teilweise sogar demon-tiert waren.« (Die Minen warten auf ihre Stunde. Moskau 1964,S. 176) Die Führung der Pioniereinheiten der Roten Armee for-

derte 12 0000 Eisenbahnminen mit Zeitzünder an. Diese Mengehätte vollkommen ausgereicht, um im Falle eines Eindringensder deutschen Wehrmacht den gesamten Eisenbahnverkehr inihrem Rücken lahmzulegen, von dem sie völlig abhängig seinwürde. Aber anstelle der angeforderten Menge erhielt man ...ganze 120 Minen! (Die Minen warten auf ihre Stunde, S. 186)Dabei ist eine Mine die einfachste, billigste und dabei höchstwirkungsvolle Waffe. Die Minenproduktion in der Sowjetunionwar gewaltig, aber nachdem der Durchbruch in der Mauererfolgt war, wurde dieser Produktionszweig stillgelegt.

Womit beschäftigte sich Stalin, abgesehen von der Zerstö-rung seiner eigenen Verteidigung? Er beschäftigte sich mit derZerstörung der Barriere aus neutralen Staaten. Hitler begnügtesich mit einer Bresche in der Mauer. Stalin reichte das nicht.Hitler hatte (mit Stalins Hilfe) die Souveränität lediglich einesder Staaten, die diese trennende Barriere bildeten, beseitigt.Stalin besorgte dies (ohne fremde Hilfe) in drei Staaten (Est-land, Lettland, Litauen), er versuchte es in einem vierten Land(Finnland) und traf aktive Vorbereitungen dazu in einem fünf tenLand (Rumänien), nachdem er sich vorsorglich bereits ein rie-siges Stück von dessen Territorium abgetrennt hatte. Hitler warnur bemüht gewesen, einen Durchbruch in der Mauer zu erzie-len, Stalin wollte die ganze Mauer einreißen. Und Stalin bekam,was er wollte. Nur zehn Monate nach der Unterzeichnung des» Nichtangriffs«-Pakteswar dank Stalins Bemühungen die tren-nende Barriere vom Eismeer bis zum Schwarzen Meer restlosbeseitigt. Es gab keine neutralen Staaten mehr zwischen Stalinund Hitler, und genau dadurch waren die Voraussetzungen für einen Angriff geschaffen. Sämtliche westlichen Nachbarn Sta-lins waren ihm in dieser kurzen Zeit zum Opfer gefallen. Außer

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den Ländern, die an die Sowjetunion grenzten, war auch Li-tauen in Stalins Sklaverei geraten, das zuvor überhaupt keinegemeinsame Grenze mit der Sowjetunion besaß. Das Auftau-chen sowjetischer Truppen in Litauen bedeutete, daß diese be-reits zu den echten deutschen Grenzen vorstießen. Früher wardie sowjetisch-deutsche Grenze durch erobertes polnisches Ter-ritorium verlaufen. Jetzt standen sowjetische Truppen an der

Grenze von Ostpreußen. Hier kann nun wirklich nicht mehr dieRede davon sein, daß Hitler gewaltsam einen Korridor nachOsten geschaffen habe und der dumme Stalin ihm dabei nochbehilflich gewesen sei. Nein, Stalin selbst hat den Korridor nachWesten, und zwar ohne fremde Hilfe, geöffnet.

Auf die Frage, weshalb Stalin bereit gewesen sei, Hitler beimDurchbruch und der Schaffung eines relativ schmalen Korri-dors durch Polen zu helfen, haben sich die kommunistischenHistoriker eine Antwort zu ersinnen bemüht, wenn auch nichtrecht erfolgreich. Die Frage jedoch, weshalb Stalin die ganze

Barriere niedergerissen hat, wird von ihnen lieber erst garnicht gestellt. Auch wir wollen uns darüber nicht den Kopf zer-brechen. Das Wort hat Stalin. Er selbst hat auf diese Frage einepräzise und klare Antwort gegeben: »Die Geschichte sagt, wennein Staat gegen einen anderen Staat Krieg führen will, dannwird er, selbst wenn dieser andere Staat nicht sein Nachbarwäre, nach Grenzen suchen, über die hinweg er an die Grenzen

  jenes Staates gelangen kann, den er angreifen will.«(»Prawda«, 5. März 1939)

War die Rote Armee willens, an den erreichten Grenzenanzuhalten? Marschall der Sowjetunion S. K. Timoschenko: »InLitauen, Lettland und Estland ist die den Werktätigen verhaßteMacht der Gutsbesitzer und Kapitalisten beseitigt. Die Sowjet-union hat sich beachtlich vergrößert und ihre Grenzen nach We-sten vorgeschoben. Die kapitalistische Welt wurde gezwungen,zusammenzurücken und zurückzuweichen. Aber uns, denKämpfern der Roten Armee, kommt es nicht zu, überheblichzu werden und uns mit dem Erreichten zufrieden zu geben!«(Befehl des Volkskommissars für Verteidigung Nr. 400 vom7. November 1940)

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Das ist weder ein Kommentar noch eine Meldung der sowje-tischen Nachrichtenagentur TASS. Es ist ein Befehl der RotenArmee. Aber westlich der sowjetischen Grenzen liegt nurDeutschland bzw. die mit ihm verbündeten Staaten. Sollen dieGrenzen weiter nach Westen verschoben werden? Auf KostenDeutschlands? Mit Deutschland wurde doch der Pakt unter-zeichnet!

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DER PAKT UND SEINE FOLGEN

Stalin war gerissener als Hitler.Gerissener und hinterhältiger.

 A. Antonow-Ow sejen ko (Porträt eines

Tyrannen. New York 1980, S. 296)

l.

Rein äußerlich scheint alles gut ausgewogen: ein Teil Polensfür Hitler, ein Teil Polens für Stalin. Aber schon eine Woche nachder Unterzeichnung leistet sich Stalin seinen ersten üblen Trick.Hitler begann den Polenkrieg, doch Stalin erklärte, seine Trup-pen seien noch nicht bereit. Er hätte es Ribbentrop vor derUnterzeichnung des Vertrages sagen können, aber er tat esnicht. Hitler begann den Krieg und mußte feststellen, daß eralleingelassen war.

Dies ist das erste Resultat für Hitler: Er, und nur er allein,gilt als schuldig am Zweiten Weltkrieg.Kaum hatte Hitler den Krieg gegen Polen begonnen, bekam

er auf der Stelle den Krieg gegen Frankreich hinzu, das heißteinen Krieg an zwei Fronten. Jeder deutsche Schuljunge weiß,womit für Deutschland Zweifrontenkriege letztlich enden.

Umgehend erklärte auch Großbritannien Deutschland denKrieg. Mit Frankreich konnte man noch fertigwerden, aberGroßbritannien ist ein Inselstaat. Um dahin zu gelangen, be-darf es langwieriger und ernsthafter Vorbereitungen, bedarf es einer Flotte, die annähernd der britischen Flotte ebenbürtigist, bedarf es der Luftherrschaft. Der Krieg versprach damitzu einem langwierigen Krieg zu werden. Jeder weiß, womitlangwierige Kriege für Länder mit begrenzten Reservenenden.

Hinter Großbritannien standen die Vereinigten Staaten, undsie konnten im dramatischsten Augenblick (wie schon im ErstenWeltkrieg) ihre tatsächlich unerschöpflichen Kräfte in die Waag-schale werfen. Der ganze Westen war Hitlers Feind geworden.Auf Stalins Freundschaft aber konnte Hitler nur bauen, solange

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er stark war. In einem langwierigen Krieg gegen den Westenmuß te er seine Kräft e verausgaben , und dann . . .

Hier dagegen Stalins Situation:Polen war nicht in der Reichskanzlei aufgeteilt worden, son-

dern im Kreml. Hitler war nicht anwesend bei der Unterzeich-nung , wohl aber Stalin. Dennoch ist Hitler schuld am Ausbruchdes Krieges, nicht aber Stalin. Stalin ist das unschuldige Opfer.

Stalin ist der Befreier Osteuropas.Stalins Truppen begingen auf dem Territorium Polens diegleichen, wenn nicht noch ärgere Verbrechen, aber der Westenhat ihm aus diesem Anlaß nicht den Krieg erklärt.

Stalin hatte den Krieg bekommen, den er wollte: Die Men-schen des Westens töteten einander und zer störten gegenseitigihre Städte und Fabriken; Stalin blieb dabei neutral und warteteauf einen günstigen Augenblick.

Als Stalin in eine schwierige Situation geriet, kam ihm derWesten umgehend zu Hilfe.

Am Ende hat Polen, für dessen Freiheit der Westen in denKrieg gezogen war, seine Freiheit nicht bekommen, sondernwurde der Sklaverei unter Stalin überlassen, zusammen mitganz Osteuropa und auch einem Teil von Deutschland. Dennochglauben einige Leute im Westen bis auf den heutigen Tag, ihreStaaten seien die Sieger im Zweiten Weltkrieg gewesen.

Am Ende kam Hitler durch Selbstmord um, Stalin aberwurde zum uneingeschränkten Herrscher in einem riesigenantiwestlichen Imperium, das mit Hilfe des Westens errichtetworden war. Bei alledem verstand es Stalin, die Reputation desnaiven, gutgläubigen Einfaltspinsels zu wahren, während Hitlerin die Geschichte als blutrünstiger Verbrecher einging! Man hatim Westen eine Menge Bücher herausgebracht, die auf der Vor-stellung basieren, Stalin sei auf den Krieg nicht vorbereitet ge-wesen, während Hitler gerüstet war. Meines Erachtens aber istnicht derjenige kriegsbereit, der dies laut proklamiert, sondernderjenige, der ihn gewinnt, nachdem er zuvor seine Feindegeteilt und mit den Köpfen zusammengestoßen hat.

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2.War Stalin gewillt, den Pakt einzuhalten?

Das Wort hat Stalin: »Die Frage des Kampfes ... darf mannicht aus dem Blickwinkel der Gerechtigkeit betrachten, son-dern man muß sie aus dem Blickwinkel der Forderungen despolitischen Augenblicks sehen, aus dem Blickwinkel der po-litischen Erfordernisse der Partei im jeweils gegebenen Au-

genblick.« (Rede auf der Sitzung des Exekutivkomitees derKomintern am 22. Januar 1926; Werke VIII, S. 1)

»Der Krieg kann alles und jegliche Vereinbarung auf denKopf stellen.« (Stalin, »Prawda«, 15. September 1927)

Die Partei hat auf den Kongressen, auf denen Stalin sprach,ihre Führer richtig verstanden und ihnen die entsprechendenVollmachten erteilt: »Der Kongreß betont insbesondere, daßdas Zentralkomitee ermächtigt ist, zu jedem Zeitpunkt sämt-liche Bündnisse und Friedensverträge mit den imperialistischenund bürgerlichen Staaten aufzukündigen, und ebenso, ihnen

den Krieg zu erklären.« (Resolution des 7. außerordentlichenParteikongresses im März 1918) Übrigens wurde dieser Partei-beschluß bis heute nicht aufgehoben.

Wann sollte dieser Zeitpunkt eintreten?Stalin (unter Zitierung von Lenin im Rechenschaftsbericht

des ZK am 3.12. 1927): »Sehr vieles hängt für unseren Aufbaudavon ab, ob es uns gelingt, den Krieg mit der kapitalistischenWelt, der unvermeidlich ist..., bis zu dem Zeitpunkt hinauszu-zögern, in dem die Kapitalisten sich untereinander in die Haaregeraten... «Werke X, S. 288) »Man kann davon ausgehen, sagtLenin, daß die entscheidende Schlacht voll herangereift ist,sobald sich die uns feindlichen Klassenkräfte hinreichend inVerwicklungen hineinmanövriert haben, sobald sie sich hinrei-chend untereinander in die Haare geraten sind, sobald sie sichhinreichend in einem Kampf, dem sie nicht gewachsen sind, ge-schwächt haben.« (Über die Grundlagen des Leninismus. Vor-lesungen an der Swerdlow-Universität. Anfang April 1924.Werke VI, S. 158)

Stalin brauchte eine Situation, in der »sich die Kapitalistenwie die Hunde beißen«. (»Prawda«, 14. Mai 1939) Gerade der

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Molotow-Ribbentrop-Pakt schuf eine solche Situation. Und jetztbegannen auch in der »Prawda« die entsprechenden Zitateaufzutauchen: Karl Marx wird zitiert, der gefordert hatte, dieGegner nicht nur an der Kehle zu packen, sondern sie auch zutöten. Die »Prawda« überschlägt sich vor Begeisterung: »DieGrundpfei ler der Welt erbeben, der Boden entgleitet den Men-schen und Völkern unter den Füßen. Feuerschein lodert auf,

und das Donnern der Geschütze erschüttert Meere und Konti-nente. Wie ein Flaum zerstieben Mächte und Staaten ... Welchgroßartige r Augenblick, wie erhebend, wenn die ganze Welt inihren Grundfesten erschüttert wird, wenn die Mächtigen unter-gehen und die Erhabenen stürzen.« (»Prawda«, 4. August 1940)»Jeder derartige Krieg bringt uns der glücklichen Periode nä-her, in der es kein Töten mehr unter den Menschen gebenwird.« (»Prawda«, 18. August 1940)

Diese von der obersten Spitze ausgehende Stimmung wurdein der Roten Armee und in der Partei verbreitet. Generalleut-

nant 5. Kriwoschejin schildert eine Unterhaltung mit seinemStellvertreter Latyschew. [Wegen der zum Teil differierendenEinordnung gleichlautender Dienstgrade in Bundeswehr undRoter Armee vgl. die Übersicht der Offiziersdienstgrade, S. 446 f.- d. Ü.] Zu der Zeit ist Kriwoschejin Kommandeur des 25. Me-chanisierten Korps. Erst kurz zuvor hatte er mit General H. Gu-derian die gemeinsame sowjetisch-faschistische Parade inBrest anläßlich der blutigen Teilung Polens kommandiert.

»>M i t den Deutschen haben wir einen Vertrag, aber das istohne Belang.<

>Je tzt ist die beste Zeit für eine endgültige und konstruktiveLösung aller Weltprobleme angebrochen... .<« (Eine Kriegsge-schichte. Moskau 1962, S. 8) Kriwoschejin macht (im nachhinein)einen Scherz daraus. Es ist interessant, daß in seinem Korps sowie in der ganzen Roten Armee nur solche Scherze kursieren.Darüber, wie das Korps und überhaupt die gesamte Rote Armeeauf eine Verteidigung vorbereitet war, führte niemand ernsteGespräche, geschweige denn, daß man scherzte.

Zu der Frage, ob die Kommunisten an den Nichtangr iffspaktglaubten und ob sie ihn einzuhalten gesonnen waren, hat sich

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Leonid Breschnew selbst geäußert. Er beschreibt eine Ver-sammlung von Parteiagitatoren in Dnjeprope t rowsk im Jahr1940:

»>Genosse Breschnew, wir sollen den Leuten die Sache mitdem Nichtangriffspakt klarmachen, das heißt, daß alles ernstgemeint ist, und wer nicht daran glaubt, der führt provokato-rische Reden. Aber das Volk glaubt kaum daran. Wie sollen wir

uns verhalten? Sollen wir es ihnen nun klarmachen odernicht? <

Es war eine recht schwierige Zeit, im Saal saßen vierhun-dert Mann, alle warteten auf meine Antwort, langes Überlegenwar nicht gut möglich.

>Unbedingt klarmachen<, sagte ich. >Wir werden es so langeklarmachen, bis im faschistischen Deutschland kein Stein mehrauf dem anderen steht.<« (L. L Breschnew, Kleines Land. Moskau1978, S. 16)

Eine Situation, in der »in Deutschland kein Stein mehr auf 

dem anderen steht«, schwebte Stalin für das Jahr 1942 vor.Aber der schnelle Fall Frankreichs und Hitlers Verzicht auf eineLandung in England (was die sowjetische militärische Auf-klärung Ende 1940 wußte) brachte alle Karten Stalins durchein-ander. Die Befreiung Europas wurde vom Sommer 1942 auf denSommer 1941 vorverlegt. Neujahr 1941 wurde daher unter derLosung begangen: Laßt uns die Anzahl der Republiken imRahmen der Sowjetunion vermehren!

»Im Jahr einundvierzig werden wir unsere Schaufeln infrische Bodenschätze stoßen. Und vielleicht wird das vom Zyklo-tron gespaltene Uran zur gewöhnlichen Antriebsenergie. JedesJahr bedeutet für uns Kampf und Sieg um die Kohle, um denAufschwung der Stahlindustrie... Und vielleicht gesellen zuden sechzehn Wappen sich noch andere Wappen hinzu - - -«.(»Prawda«, 1. Januar 1941)

Nein, sie dachten nicht an Verteidigung! Sie hatten sich nichtdarauf vorbereitet und trafen auch keine Anstalten dazu. Siewußten sehr wohl, daß Deutschland, das bereits im Westenkämpfte, aus diesem Grunde keinen Krieg im Osten beginnenkonnte. Sie wußten sehr wohl, daß ein Zweifrontenkrieg für

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Hit ler einem Selbstmord gleichkäme! Und dazu ist es schließl ichauch gekommen. Aber Hitler, der wußte, was in seinem Rückengeschah, war gezwungen, den Zweifrontenkrieg auf zune hmen,obwohl dieser Krieg später tatsächlich mit seinem Selbstmordenden sollte.

Vor dem Krieg hatte die »Prawda« das Sowjetvolk durchausnicht z ur Stärkung seiner Verteidigung aufgerufen . Der Tenor

der »Prawda« war ein anderer: Pakt hin, Pakt her, demnächstwird uns ohnehin die ganze Welt gehören! »Groß ist diesesLand: Selbst der Erdball muß sich neun Stunden drehen, ehefür unser gesamtes riesiges Land ein neues Siegesjahr begon-nen hat. Die Zeit wird kommen, in der dafür nicht neun, son-dern volle vierundzwanzig Stunden nötig sind . . . Und wer weiß,wo wir das Neujahrsfest in fünf, in zehn Jahren begehen wer-den: in welcher Zone, auf welchem sowjetischen Meridian?«(»Prawda«, 1. Januar 1941)

Je näher das Datum der geplanten sowjetischen Invasion

nach Europa rückt (Juli 1941), um so deutlicher wird die»Prawda«: »Trennt eure Feinde, erfüllt vorübergehend die For-derungen eines jeden von ihnen, doch dann schlagt sie einzeln,und laßt ihnen keine Möglichkeit, sich zu vereinen.« (»Prawda«,4. März 1941)

Hitler kam zu dem Schluß, daß längeres Warten sich nichtlohnte. Er griff als erster an, ohne den Schlag der Befreiungsaxtin den Rücken abzuwarten. Doch obwohl er den Krieg unter dengünstigsten Voraussetzungen begann, die es jemals für einenAngreifer gab, konnte er diesen Krieg nicht gewinnen. Selbstunter denkbar ungünstigen Umständen gelang es der RotenArmee, halb Europa zu befreien und fest in der Hand zu behalten.Was wäre wohl geschehen, wenn die besten deutschen Kräfteden Kontinent verlassen hätten, um nach Afrika zu gehen undauf den Britischen Inseln zu landen, während in ihrem Rückendie Rote Armee die einzige Erdölquelle Deutschlands vernichtethätte?

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WANN IST DIE SOWJETUNIONIN DEN ZWEITEN WELTKRIEG EINGETRETEN?

Nur ein einziges Land - Sowjetruß-land - kann im Falle eines

allgemeinen Konfliktes gewinnen. Adolf Hitler in einem Gespräch mit Lord 

  Halifax auf dem Obersalzberg a m19. 11. 1937 (Dokumente und 

 Materialien zum Vorabend des ZweitenWeltkriegs. Bd. 1. Moskau 1948, S. 48)

l.

Alles, was mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges zusammen-hängt, ist in der Sowjetunion in das undurchdringliche Dunkeleines Staatsgeheimnisses gehüllt. Unter den vielen schreck-

lichen Geheimnissen des Krieges muß eines besonders gehütetwerden - das Datum des Eintritts der Sowjetunion in den ZweitenWeltkrieg.

Um die Wahrheit zu vertuschen, hat die kommunistischePropaganda das irreführende Datum des Kriegsbeginns am22. Juni 1941 in Umlauf gebracht. Die kommunistischen Ge-schichtsklitterer haben sich eine Menge Legenden über diesen22. Juni ausgedacht. Mir kam sogar die folgende Version zu Oh-ren: »Wir lebten friedlich dahin, doch dann hat man uns ange-griffen ...« Würde man den Erfindungen der kommunistischenPropaganda Glauben schenken, dann käme heraus, daß dieSowjetunion nicht von sich aus in den Weltkrieg eingegriffenhat, sondern daß sie mit Gewalt hineingezogen wurde.

Um die brüchige Version vom 22. Juni zu stützen, mußte diesowjetische Propaganda dieses Datum mit speziellen Hilfskon-struktionen untermauern: Zum einen dachte man sich den Be-griff der »Vorkriegsperiode« aus, die die beiden dem 22. Junivorangehenden Jahre umfaßt, zum anderen erfand man eineZiffer - die 1418 Kriegstage. Das war für den Fall vorgesehen,daß irgendein Neugieriger beabsichtigen sollte, selbst das Datum

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des Kriegsein trittes auszurechnen. Wenn er seine Zählung vonhint en, bei der Beendigung des Krieges in Europa begann, dan nmußte er unweigerlich (nach den Berechnungen dieser sowjeti-schen Geschichtsfälscher) auf jenen »schicksalhaften Sonntag«stoßen.

Indessen fällt es nicht schwer, dem Mythos vom 22. Juniseinen Nimbus zu rauben. Dazu braucht man bloß ein wenig an

einem der Stützpfeiler zu rütteln, an der »Vorkriegsperiode«zum Beispiel, und die ganze Konstruktion fällt in sich zusam-men, gemeinsam mit dem »schicksalhaften« Datum und den1418 Tagen des »Großen Vaterländischen Krieges«.

Eine Vorkriegsperiode hat es niemals gegeben. Sie ist reineErfindung. Es genügt, daran zu erinnern, daß während der»Vorkriegsperiode« alle europäischen Nachbarn der UdSSR dersowjetischen Aggression zum Opfer f ielen. Und die Rote Armeehatte keineswegs die Absicht, sich damit zu begnügen oder ihreblutigen »Befreiungsfeldzüge« nach Westen einzustellen (siehe

den Befehl des Volkskommissars für Verteidigung Nr. 400 vom7. November 1940), obwohl im Westen der UdSSR nur nochDeutschland lag.

Im September 1939 hatte die Sowjetunion ihre Neutralitäterklärt und während der »Vorkriegsperiode« Territorien miteiner Bevölkerung von über 24 Millionen Menschen besetzt. Istdas nicht ein bißchen viel für einen neutralen Staat?

In den besetzten Territorien verübten die Rote Armee undder NKWD grauenhafte Verbrechen. Die sowjetischen Konzen-trationslager waren vollgestopft mit gefangenen Soldaten undOffizie ren aus europäischen Ländern. Gefangene Offiziere (undnicht nur die polnischen) wurden zu Tausenden umgebracht.Wird ein neutrales Land gefangene Offiziere töten? Und woherkommen in einem neutralen Land Tausende gefangener Off i -ziere, und noch dazu in einer »Vorkriegsperiode«?

Eine eigenartige Wissenschaft ist diese Historiographie:Deutschland hat Polen angegriffen, also ist Deutschland Initia-tor des Krieges und am europäischen Krieg, folglich auch amWeltkrieg beteiligt. Die Sowjetunion hat dasselbe getan und indemselben Monat - aber sie gilt nicht als Initiator des Krieges.

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Sogar unter die Kriegsteilnehmer fällt sie aus irgendeinemGrunde nicht in der Zeit von 1939 bis 1941.

Der im Kampf gegen die Rote Armee gefallene polnischeSoldat gilt als Teilnehmer am Zweiten Weltkrieg und als dessenOpfer, der sowjetische Soldat jedoch, der ihn getötet hat, gilt als»neutral«. Wenn in demselben Kampfe auf polnischem Territo-rium ein sowjetischer Soldat getötet wird, dann wurde er nicht

im Krieg, sondern in Friedenszeiten getötet, in der »Vorkriegs-periode«Deutschland hat Dänemark besetzt - und das ist ein krie-

gerischer Akt, obwohl keine großen Schlachten geschlagenworden sind. Die Sowjetunion hat ebenfalls kampflos die dreibaltischen Staaten besetzt, die nach geographischer Lage, Be-völkerungszahl, Kultur und Traditionen Dänemark stark ähneln.Doch das Vorgehen der Sowjetunion gilt nicht als kriegerischerAkt.

Deutschland hat Norwegen besetzt - was eine Ausweitung

der Aggression bedeutet, doch die Sowjetunion hatte zuvorschon Ströme von Blut im benachbarten Finnland vergossen.Dennoch beginnt das blutige Verzeichnis der deutschen Kriegs-verbrechen mit dem 1. September 1939, die Liste der Verbre-chen der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg aber setzt erst mitdem 22. Juni 1941 ein. Warum?

In der »Vorkriegsperiode« hatte die Rote Armee in erbitter-ten Kämpfen Hunderttausende eigener Soldaten verloren. DieVerluste der deutschen Truppen waren in dieser Periode we-sentlich geringer. Wollte man nach den Verlusten urteilen, dannhätte Deutschland mehr Gründe, sich für die Zeit von 1939 bis1940 (Beginn des Frankreichfeldzuges) als neutral zu betrach-ten.

Die Aktionen der Roten Armee in der »Vorkriegsperiode«laufen offiziell unter der Bezeichnung »Festigung der Sicherheitunserer Westgrenzen«. Das stimmt nicht. Die Grenzen warensicher, solange neutrale Staaten die Nachbarn der UdSSR wa-ren, solange es keine gemeinsame Grenze mit Deutschland gabund demnach Hitler die UdSSR gar nicht angreifen, geschweigedenn einen Überraschungsangriff durchführen konnte. Aber

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Stalin hatte planmäßig die neutralen europäischen Staatenbeseitigt, um eine gemeinsame Grenze mit Deutschland herzu-stellen. Das konnte die Sicherheit der sowjetischen Grenzenniemals vermehren.

Wenn wir jedoch schon die Aggression gegen sechs neut raleeuropäische Staaten mit dem Terminus »Stärkung der Sicher-heit unserer Grenzen« belegen, warum wenden wir denselben

Terminus nicht bei Hitler an? Hatte er etwa durch die Beset-zung der Nachbarländer nicht die Sicherheit seiner eigenenGrenzen gestärkt?

Man hält mir entgegen, die Sowjetunion habe in der »Vor-kriegsperiode« keinen permanenten Krieg geführt, es habe sichum eine Reihe von Einzelkriegen und Invasionen mit dazwi-schenliegenden Pausen gehandelt. Aber schließlich hat auchHitler eine Reihe von Kriegen mit Pausen dazwischen geführt.Weshalb messen wir bei ihm mit anderem Maß?

Man ereifert sich mir gegenüber: Die Sowjetunion habe in

der »Vorkriegsperiode« niemandem offiziell den Krieg erklärt,weshalb man ihr auch keine Beteiligung am Krieg nachsagenkönne. Aber ich bitte Sie, auch Hitler hat nicht immer formalden Krieg erklärt. Folgt man den Verlautbarungen der sowje-tischen Propaganda, dann hat auch am 22. Juni 1941 niemandirgendwem formal den Krieg erklärt. Weshalb also gilt diesesDatum als Grenzscheide zwischen Frieden und Krieg?

Der 22. Juni ist ein Durchschnittsdatum in der Militär-geschichte. Es ist schlicht der Tag des Einsetzens von Kampf-handlungen seitens der Streitkräfte des einen Staates gegen dieStreitkräfte eines anderen Staates im Verlauf eines Krieges, andem beide Staaten längst beteiligt sind.

Der ertappte Bandit berichtet das Vorgefallene von demAugenblick an, als er selbst verbrecherisch angegriffen wurde,und verschweigt dabei, daß auch er bis dahin auf der Straße dieMenschen ausgeraubt und erschlagen hat. Die rote Propagandabeginnt, ähnlich wie der ertappte Verbrecher, mit der Darstel-lung der Geschichte des Krieges von dem Augenblick an, dafremde Truppen auf sowjetischem Territorium erscheinen, undmalt so das Bild der Sowjetunion als unschuldiges Opfer. Hören

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b) daß Deutschland nach der Eröffnung der KampfhandlungenFrankreich und England Friedensvorschläge unterbreitetund daß die Sowjetunion diese Friedensvorschläge Deutsch-lands offen unterstützt hat, weil sie der Auffassung ist unddies auch weiterhin sein wird, daß eine schnellstmöglicheBeendigung des Krieges in entscheidender Weise die Lagealler Länder und Völker erleichtern würde ;

c) daß die herrschenden Kreise Englands und Frankreichs inbrüsker Form sowohl die Friedensvorschläge Deutschlandswie auch die Versuche der Sowjetunion, eine schnellstmög-liche Beendigung des Krieges zu erreichen, abgelehnt haben.Das sind die Tatsachen.Was können die Cafe-chantant-Politiker aus der Agentur

Havas dem entgegenstellen? I.Stalin«

Der Leser möge selbst entscheiden, was hier Lügenge-schwätz ist - die Meldung von Havas oder Stalins Dementi. Ich

glaube, selbst Stalin hätte einige Zeit später schwerlich seineeigenen Worte wiederholt. Es ist nicht uninteressant, daß die»Prawda« vom 30.11. 1939 in der Sowjetunion praktisch nichtmehr existiert. Ich mußte verwundert feststellen, daß selbst imSpezialsafe des Archivs der Hauptverwaltung Militärische Auf-klärung diese Ausgabe nicht vorhanden ist. Sie ist seit langemvernichtet. Erst im Westen konnte ich sie auftreiben.

Die offene Verlogenheit von Stalins Dementi und der fürStalin beispiellose Verlust an Gelassenheit sprechen zugunstender Agentur Havas. Im vorliegenden Fall hatte man eine unge-mein empfindliche Saite angerührt, und daher diese Resonanz.In den Jahrzehnten sowjetischer Machtausübung war in derwestlichen Presse über die Sowjetunion und über Stalin vielgeschrieben worden. Man hatte den Bolschewiken und Stalinpersönlich sämtliche Todsünden angelastet, hatte von Stalin be-hauptet, er sei ein Polizeispitzel gewesen, habe seine Frau er-mordet, er sei ein Despot, Sadist, Diktator, Kannibale, Henkerusw. Doch Stalin hatte sich nie auf eine Polemik mit den »bür-gerlichen Schmierfinken« eingelassen. Weshalb hat sich derschweigsame, kaltblütige Stalin ein einziges Mal zu öffent-

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lichem Gezeter und billigen Beleidigungen hergegeben? Esbleibt nur die eine Antwort: Die Agentur Havas hatte die ge-heimsten Absichten Stalins bloßgelegt. Eben deshalb reagiertStalin in so ungewohnter Weise. Es ist ihm völlig gleichgültig,was künft ige Generationen von ihm denken werden (im übrigenmachen die sich überhaupt keine Gedanken über sein Verhalten1939), ihm ist im gegebenen Augenblick lediglich daran gele-

gen, seinen Plan für die nächsten zwei bis drei Jahre geheimzu-hal ten , bis die europäischen Länder einander in einem Vernich-tungskrieg geschwächt haben.

Wir wollen uns für ein paar Minuten Stalins Argumentat ionanschließen: Ja, die Havas-Meldung ist ein »Lügengeschwätz,fabriziert in irgendeinem Cafe-chantant«. In diesem Falle dür-fen wir unsere anerkennende Bewunderung den Journalistender Agentur Havas nicht vorenthalten. Wenn sie tatsächlich ihreMeldung erfunden haben, dann ist dies aufgrund einer gründ-lichen Kenntnis des Marxismus-Leninismus, von Stalins Charakter

und einer sorgfältigen wissenschaftlichen Analyse der militär-politischen Situation in Europa erfolgt. Die Journalisten vonHavas hätten die Situation natürlich weit besser als Hitler unddie Führer der westlichen Demokratien begriffen. War die Havas-Meldung bloß erfunden, dann ist hier gerade der Fall eingetreten,daß das Erfundene vollkommen der Realität entspricht.

Viele Jahre später, als jedermann längst die Havas-Meldungund Stalins Dementi vergessen hatte, erschien in der Sowjet-union die dreizehnbändige Ausgabe der Werke Stalins (1949-1951). Darin sind auch Stalins Reden auf den Geheimsitzungen

des ZK enthalten. Im Jahre 1939 hatten die Journalisten vonHavas keinen Zugang zu diesen Reden. Aber die Publikation vonStalins Werken bestätigt, daß Stalins Plan einfach und genialzugleich gewesen war, und gerade so beschaffen, wie ihn diefranzösischen Journalisten beschrieben hatten. Schon 1927hatte Stalin auf einer geschlossenen Sitzung des ZK den Gedan-ken ausgesprochen, daß man im Falle eines Krieges so lange dieeigene Neutralität wahren müsse, »bis sich die einander be-kämpfenden Parteien in einem Kampfe, dem sie nicht gewach-sen sind, geschwächt haben«. Dieser Gedanke wurde hernach

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mehrere Male auf geschlossenen Sitzungen wiederholt. Stalinrechnete damit, daß im Falle eines Krieges in Europa die So-wjetunion unweigerlich mitbeteiligt sein würde, aber sie sollteals letzte in diesen Krieg eintreten, um »das entscheidende Ge-wicht in die Waagschale zu werfen, das Gewicht, das den Aus-schlag geben dürfte«.

Es ist interessant, daß zwei Nachfolger Stalins, Chruschtschow

und Breschnew - ungeachtet ihrer unterschiedlichen Haltungzu seiner Person - seine Absicht, Europa in einem Krieg zu zer-mürben, selbst aber neutral zu bleiben, um es anschließend»befreien« zu können, bestätigt haben.

Aber auch Stalins Vorgänger hatten dasselbe gesagt. AlsStalin seinen Plan im engen Kreise der Mitstreiter begründete,zitierte er einfach Lenin und unterstrich dabei, daß die Idee vonLenin stamme. Doch selbst Lenin kann darin keine Originalitätfür sich beanspruchen. Er hatte seine Ideen aus dem unerschöpf-lichen Reservoir des Marxismus geschöpft. In dieser Hinsicht

ist ein Brief von Friedrich Engels an Eduard Bernstein vom12. Juni 1883 von Interesse: »Alle diese diversen Lumpenhundemüssen sich erst gegenseitig kaputtmachen, total ruinieren undblamieren und uns dadurch den Boden bereiten.« (Karl Marx,

Friedrich Engels. Werke, Bd. 36, S. 37)Stalin unterschied sich von seinen Vorläufern und Nach-

folgern dadurch, daß er weniger redete und mehr handelte.

3.Es ist ungemein wichtig zu wissen, was Stalin auf der Sitzungdes Politbüros am 19. August 1939 gesagt hat. Aber selbst wennwir dies nicht durch die Havas-Meldung erfahren hätten, sehenwir doch seine Taten, und diese verraten noch viel deutlicherseine Absichten. Bereits vier Tage nach der Sitzung des Polit-büros im Kreml erfolgt die Unterzeichnung des Molotow-Rib-bentrop-Paktes, die bedeutendste Leistung der sowjetischenDiplomatie während ihrer ganzen Geschichte und der glän-zendste Sieg Stalins in seiner ganzen außergewöhnlichen Kar-riere. N. Chruschtschow berichtet in seinen Memoiren von

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Stal ins Freudenschrei nach der Unterzei chnung des Vertrages:»Ich habe Hitler hinters Licht geführt!« (N. Chruschtschow,Erinnerungen, Bd. 2. New York 1981, S. 69) Stalin hatte Hitler inder Tat gewaltig hinters Licht geführt . Schon zwei Wochen nachder Unterze ichnung des Paktes hatte Hitler einen Zweifronten -krieg, das heißt, Deutschland war von allem Anfang an in eineLage geraten, in der es den Krieg nur noch verlieren konnte

(und auch verlor). Mit anderen Worten: Am 23. August hatteStalin den Zweiten Weltkrieg gewonnen, noch ehe Hitler ihn

begann.Erst im Sommer 1940 begriff Hitler, daß er hinters Licht

geführt worden war. Er versuchte noch einmal, Stalin zuvorzu-komm en, aber da war es bereits zu spät. Hitler konnte nur nochauf glänzende taktische Siege hoffen, doch die strategischeLage Deutschlands war katastrophal. Es war erneut zwischenzwei Mühlsteine geraten: auf der einen Seite Großbritannienmit seinen unzugängl ichen Inseln (und den USA in seinem Rük-

ken), auf der anderen Seite Stalin. Hitler wandte sich nach We-sten, doch war ihm völlig bewußt, daß Stalin einen Angriff vor-bereitete, daß er mit einem Schlag die Erdölaorta in Rumäniendurchtrennen und die gesamte deutsche Industrie, Deutsch-lands Heer, seine Luftwaffe und die Flotte lahmlegen konnte.Als Hitler sich nach Osten wandte, setzten die strategischenBombardierungen und anschließend die Invasion der Alliiertenvon Westen her ein.

Man sagt, Stalin habe nur dank der Hilfe und MitwirkungGroßbritanniens und der USA gesiegt. Wie wahr! Doch ebendarin besteht gerade Stalins Größe, daß er, der Hauptfeind desWestens, diesen Westen zur Verteidigung und Festigung seinerDiktatur auszunutzen verstand. Gerade darin erweist sich Sta-lins Genialität, daß er seine Gegner zu entzweien und mit denKöpfen aneinanderzustoßen verstand. Gerade vor einer solchenEntwicklung der Ereignisse hatte die westliche freie Presseschon 1939 gewarnt, als Stalin in Worten seine Neutralität aus-spielte, in seinen Taten aber ein entscheidender Anstifter undTeilnehmer am Kriege war.

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DIE AUSWEITUNG DER KRIEGSBASIS

Die nationale Befre iung Deutsch-lands erfolgt in einer proletarischen

Revolution, die Zentral- undWesteuropa umfaßt und dieses mitOsteuropa in Gestalt der Sowjeti-

schen Vereinigten Staatenzusammenschließt. L. Trotzki (»Bulletin der Opposition«

 Nr. 24, S. 9)

l.

Nach der Vertreibung Napoleons aus Rußland war die russischeArmee siegreich in Paris eingezogen. Da sie Napoleon dort nichtvorfand, kehrten die russischen Soldaten mit Liedern auf den

Lippen in die Heimat zurück. Für Rußland hatte das Kriegszielin der Zerschlagung der Armee des Gegners bestanden. DrohtMoskau von niemandem mehr Gefahr, haben auch die russi-schen Armeen nichts in Westeuropa zu suchen.

Der Unterschied zwischen Rußland und der Sowjetunionbesteht im Ziel und Zweck eines Krieges. 1923 hat M. Tucha-tschewski, der sich bereits durch ungeheure Härte bei der Mas-senvernichtung der Bevölkerung in Zentralrußland, im Nord-kaukasus und im Ural, in Sibirien und in Polen hervorgetanhatte, das Ziel eines Krieges theoretisch begründet. Es bestehtnach Tuchatschewski »in der Sicherung der unbehinderten

Ausübung der Gewalt, dazu aber müssen in erster Linie dieStreitkräfte des Gegners vernichtet werden«. (»Revolution undKrieg«, Nr. 22. Moskau 1923, S. 188) Die Zerschlagung derArmeen des Gegners und ihre »Vernichtung bis auf den letztenMann« bedeute t nicht das Ende von Krieg und Gewalt, sondernnur die Schaffung der Voraussetzungen für »eine unbehinderteAusübung der Gewalt«! »Jedes von uns eingenommene Territo-rium ist nach seiner Einnahme bereits sowjetisches Territo-rium, auf dem die Macht der Arbeiter und Bauern verwirklicht

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wird.« (Marschall der Sowjetunion M. Tuchatschewski, Ausge-wählte Werke. Moskau 1964, Bd. l, S. 258)

In seiner Arbeit »Fragen der modernen Strategie« machtTuchatschewski darauf aufmerksam, daß die sowjetischen»Stäbe die politische Verwaltung und die entsprechenden Or-gane rechtzeitig auf die Vorbereitung von Revolutionskomiteesund der übrigen lokalen Verwaltungsapparate für diese oder

 jene Gebiete hinweisen müssen«. (Ebenda, S. 196) Mit anderenWorten: Die sowjetischen Stäbe bereiten eine Operation zur»Befreiung« unter tiefster Geheimhaltung vor, aber zugleichsind sie gehalten, bei dieser Vorbereitung die politischen Kom-missare und »entsprechenden Organe« wegen der rechtzeitigenVorbereitung des kommunistischen Verwaltungsapparates fürdie »befrei ten« Gebiete zu informieren: Die Rote Armee bringtden Nachbarn auf ihren Bajonetten die Freiheit, zusammen mitden rechtzeitig geschaffenen Organen der lokalen Exekutive ...

Der Prozeß der raschen Sowjetisierung der eroberten Terri-

torien durch die Methode völlig uneingeschränkter Anwen-dung von Gewalt und Terror und die barbarische Ausbeutungsämtlicher Reserven für die Fortsetzung der Aggression hat beiTuchatschewski eine »wissenschaftliche« Bezeichnung erhal-ten - es ist die »Ausweitung der Kriegsbasis«. Dieser Terminusfindet unter Tuchatschewski sogar Eingang in die Große Sowjet-enzyklopädie (1. Auflage, Moskau 1928, Bd. 12, S. 276-277).

Adolf Hitler nannte am 30. März 1941 seinen Generalen dasZiel eines Krieges im Osten: Zerschlagung der Streitkräfte,Beseitigung der kommunistischen Diktatur, Errichtung des»wahren Sozialismus« und Umwandlung Rußlands in eine Basiszur Weiterführung des Krieges. Hatte Tuchatschewski andereZiele gehabt? Hatte er nicht die gleichen Ideen bereits im Jahre1923 vorgebracht?

Bei der Vorbereitung einer militärischen Operation sorgteHitler für die Organisation eines Verwaltungsapparates für dieneuen Territorien noch vor der Invasion, aber auch Tucha-tschewski hatte nichts anderes vorgeschlagen.

Tuchatschewski hätte einen guten Gauleiter abgegeben, einStratege war er nicht. Tuchatschewskis mangelnde Fähigkeiten

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S h k b i ll i O i f 1939 b i

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auf diesem Gebiet sind bekannt. Seine Konzeption der »Ramm-bockstrategie« zeigt sogar bei rein theoretischer Betrachtungihre absolute Unhaltbarkeit. Tuchatschewskis Strategie erin-nert an die Methode eines Schachspielers, der seine ganze Auf-merksamkeit auf das massenweise Schlagen der gegnerischenFiguren konzentriert, angefangen bei den Bauern. In diesesKonzept vernarr t, mußte Tuchatschewski bei jedem ernsthaften

Zusammenstoß ohne Reserven dastehen.Seine Niederlage an der Weichsel 1920 ist durchaus kein

Zufall. Und doch ist er mit bornierter Hartnäckigkeit sein gan-zes Leben lang bemüht, seine vom Prinzip her fehlerhafte Me-thode zu verbessern, indem er seine Ignoranz theoretisch zuuntermauern versucht.

Die kommunistischen Historiker versuchen uns weiszumachen,Stalin habe mit der Beseitigung Tuchatschewskis (1937) auchdessen Methoden vollkommen verworfen. Nein, Stalin hat ledig-lich das inakzeptable, nachweislich zur Niederlage führende

strategische Konzept Tuchatschewskis verworfen, wohl aberdessen Vorstellungen von der »Ausweitung der Kriegsbasis«beibehalten und anderen ihre Weiterentwicklung erlaubt.

2.Außer Tuchatschewski und Leuten seines Schlages verfügteStalin jedoch auch über wirkliche Strategen. Der erste und glän-zendste unter ihnen war natürlich Wladimir Triandafillow - derVater der Operativen Technik. Er war es gewesen, der 1926 alserster eine Annäherungsformel für die Theorie von der »Opera-tion in die Tiefe« in seinem Buch »Die Operationsbreite moder-ner Armeen« geboten hatte. Seine Vorstellungen hatte Trianda-fillow in seinem Buch »Die Operationsweise moderner Armeen«(Moskau 1929) weiterentwickelt. Diese Bücher sind bis auf denheutigen Tag ein Fundament sowjetischer Kriegskunst geblie-ben. W. K. Triandafillow fand Männer, die seine wirklich genia-len strategischen Ideen verstanden, und beförderte sie in denGeneralstab, darunter den künftigen Marschall der Sowjet-union A. M. Wassilewski. Triandafillows Ideen wurden von G. K.

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Schukow bei allen seinen Operationen, angefangen 1939 beidem Sieg über die Japaner am Fluß Chalchyn-gol, in die Praxisumgesetzt.

Es ist begreif lich, daß Triandafillow Tuchatschewskis strate-gischen Vorstellungen gegenüber nicht ruhig bleiben konnte,obwohl dieser sein direkter und unmittelbarer Vorgesetzterwar. Ohne Tuchatschewskis Rache zu fürchten, enthüll te er die

ganze Unzulänglichkeit der »Rammbocktheorie« mit dem Hin-weis, daß ein guter Schachspieler nicht seine ganze Aufmerk-samkeit nur der Beseitigung der Bauern widmen dürfe. Einguter Schachspieler richtet vielmehr seinen Angriff in die Tiefeund setzt dadurch die gegnerischen Bauern außer Gefecht. Einguter Schachspieler schafft eine Drohung nicht nur in eine,sondern mindestens in zwei Richtungen und zwingt dadurchseinen Gegner, seine Aufmerksamkeit und seine Reserven auf-zusplitt ern, w ährend er selbst den eigenen Angriff in eine neueRichtung führt, in der dem Gegner überhaupt keine Reserven

zur Verfügung stehen.Triandafillow hatte Tuchatschewskis militärisches Konzeptabgelehnt, dessen Theorie der gewaltsamen und schnellen So-wjetisierung »der be freiten Territorien« dagegen voll übernom -men und weiterentwickelt.» . . . binnen kurzer Frist (in zwei bisdrei Wochen) muß die Sowjetisierung ganzer Staaten bewältigtsein, oder - im Falle größerer Staatsgebilde mit extrem großenRäumen - im Verlaufe von drei bis vier Wochen.« »Bei der Orga-nisation der Revolutionskomitees dürfte es äußerst schwierigsein, sich auf die lokalen Kräfte zu verlassen. Lediglich einenTeil des technischen Apparates und die Mitarbeiter mit geringerVerantwortung wird man am jeweiligen Ort selbst vorfindenkönnen. Alle verantwortlichen Mitarbe iter und selbst einen Teildes technischen Personals wird man mitbringen müssen ... DieAnzahl dieser Mitarbeiter, die für die Durchführung der So-wjetisierung der neu eroberten Gebiete erforderlich sind, wirdriesengroß sein.« (Die Operationsweise moderner Armeen,S. 177-178)

Triandafillow wies darauf hin, daß es nicht richtig wäre,Kampfeinhei ten der Roten Armee für die »Sowjetisierung« ab-

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i h Vi l h i t d fü b d Ei h it h d M l t Ribb t P kt di S j t i fi l

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zuziehen. Vielmehr sei es ratsam, dafür besondere Einheitenzur Verfügung zu haben. Die Rote Armee kämpft mit dem Geg-ner, bereitet ihm Niederlagen; diese Sondereinheiten aber sor-gen im Hinterland für ein glückliches Leben und errichten dieArbeiter- und Bauernmacht. Hitler nahm in der Folgezeit den-selben Standpunkt ein: Die Wehrmacht vernichtet den Gegner,die SS führt die »neue Ordnung« ein. In kritischen Situationen

wurden Wehrmachtsdivisionen auch zur Unterdrückung derPartisanenbewegung eingesetzt und Waffen-SS-Divisionen inPanzerschlachten an der vordersten Front. Aber dies war nichtdie eigentliche Aufgabe, wofür Wehrmacht und SS jeweils auf-gestellt worden waren.

Triandafillow hatte die Kriegskunst auf das Niveau einerexakten Wissenschaft gehoben, als er seine einfachen Formelnzur mathematischen Berechnung von Angriffsoperationen mil-lionenstarker Armeen in eine kolossale Tiefe entwarf. Diese For-meln sind so glänzend und ausgefeilt wie ein Lehrsatz der Geo-

metrie. Triandafillow hatte Formeln für sämtliche Phasen einesAngriffs zu bieten, einschließlich der errechneten Menge sowje-tischer politischer Funktionäre für jede Verwaltungseinheit inden eroberten Gebieten.

Als Beispiel führt Triandafillow die errechnete Personenzahldes leitenden Verwaltungsapparates in fünf polnischen Woje-wodschaften auf dem Territorium zwischen der sowjetisch-pol-nischen Grenze und dem Flusse San an. Triandafillow empfiehltdie Verwendung der in der UdSSR lebenden ausländischenKommunisten bei der Sowjetisierung der »befreiten« Territo-rien, da man in Anbetracht der riesigen Eroberungen mit der

sowjetischen Bürokratie allein nicht auskommen werde.Die kommunistischen Historiker wollen uns glauben machen,

die Teilung Polens sei erfolgt, weil Stalin den Frieden wollte,weil Stalin Hitler fürchtete. Aber die Kommunisten »vergessen«zu erwähnen, daß bereits vor dem Molotow-Ribbentrop-Paktund, sogar noch ehe Hitler an die Macht kam, in den sowje-tischen Stäben auf mathematischer Basis Pläne zur Sowjetisie-rung Europas ausgearbeitet worden waren, wobei das polni-sche Territorium zwischen der Grenze und dem San, das später

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nach dem Molotow-Ribbentrop-Pakt an die Sowjetunion fiel,einfach als kleines Beispiel dafür herangezogen wurde, wie dieweitere Sowjetisierung zu erfolgen habe.

3.Der Molotow-Ribbentrop-Pakt stieß das Tor zur Sowjetisierung

auf. Stalin hatte alles nicht nur in der Theorie vorbereitet. Diesowjetischen Stäbe hatten ihre Operationen unter größter Ge-heimha ltung ausgearbeitet, aber doch nicht vergessen, die poli-tischen Kommissare und »entsprechenden Organe« darauf hinzuweisen, sich für die Sowjetisierung bereitzuhalten.

In der Nacht zum 17. September 1939 erließ der NKWD-Brigadekommandeur I. A. Bogdanow folgenden Befehl anseine Tschekisten:»... die Armeen der Belorussischen Front ge-hen im Morgengrauen des 17. September zum Angriff über mitdem Kampfauftrag, den Aufstand der Arbeiter und Bauern Belo-rußlands zu unterstützen ...«

Das ist es also: Die Revolution ist in Polen ausgebrochen, dieArbeiter und Bauern kommen schon selbst zurecht, die RoteArmee und der NKWD werden sie lediglich durch ihre Mitwirkungunters tützen... Die Folgen sind bekannt. Die Massenerschie-ßung von Katyn gehört auch in das Gebiet dieser »Mitwirkung«.

Im übrigen hat Stalin wohl doch nicht so sehr Hitler gefürch-tet, wie uns das die Kommunisten einreden wollen. Hätte StalinHitler gefürchtet, würde er die polnischen Offiziere am Lebengelassen haben, um sie im Falle einer deutschen Invasion ander Spitze Zehntausender polnischer Soldaten in den Parti-

sanenkampf auf polnischem Territorium zu werfen. Aber eineVerteidigung gegen Hitler paßte nicht in Stalins Pläne. Stalinließ nicht nur das polnische Potential ungenutzt, erjagte auchnoch seine bereits früher für den Kriegsfall geschaffenen Parti-sanenabteilungen auseinander.

Die Sowjetisierung Finnlands war noch sorgfältiger vor-bereitet worden. In dem Augenblick, als die »finnische Militär-clique ihre bewaffneten Provokationen begann«, hatte Stalinbereits einen finnischen kommunistischen »Präsidenten«, einen

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»Premierminister« und eine ganze »Regierung« zur Hand ein Attestationskommissionen statt) Die Umschulung der Nomen

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»Premierminister« und eine ganze »Regierung« zur Hand, ein-schließlich des Chef-Tschekisten im »freien demokratischenFinnland«.

In Estland, Litauen, Lettland, in Bessarabien und in derBukowina gab es ebenfalls »Vertreter des Volkes«, die den An-schluß an die »brüderliche Völkerfamilie« verlangten, und esfanden sich (erstaunlich schnell) Vorsitzende für die Revolu-

tionskomitees, Volksschöffen bei den Gerichten usw.Die Sowjetisierung weitete sich aus, und Stalin vermehrtedie Reserven an Parteiadministratoren für neue Feldzüge. Am13. März 1940 faßte das Politbüro den Beschluß, allen haupt-amtlichen Parteifunktionären militärische Ränge zu verleihen.Die gesamte Partei wird damit aus einer paramilitärischen zueiner militärischen Organisation. Das Volkskommissariat fürVerteidigung wird vom Politbüro mit der praktischen Durchfüh-rung der Attestierung der gesamten Parteinomenklatur und derVerleihung militärischer Ränge betraut. Man beschließt, »dieMitarbeiter der Parteikomitees zu verpflichten, sich einer syste-matischen militärischen Umschulung zu unterziehen, um jeder-zeit im Falle der Einberufung zur Roten Arbeiter- und Bauern-armee oder Roten Arbeiter- und Bauernflotte ihre Arbeit in einerihrer Qualifikation entsprechenden Funktion durchführen zukönnen«. (Beschluß des Politbüros »Über die militärische Um-schulung und Umbenennung der Mitarbeiter der Parteikomi-tees sowie über die Durchführung ihrer Einberufung in die RoteArbeiter- und Bauernarmee« vom 13. März 1940) Achten wirauf die Formulierung: »ihre Arbeit in einer ihrer Qualifikationentsprechenden Funktion durchführen zu können«. Was für

eine Qualifikation besitzt ein Parteibonze außer der des Sekre-tärs eines Bezirkskomitees? Also sind sie auch für den Einsatzals Sekretäre in den Bezirkskomitees (Stadtkomitees, Gebiets-komitees usf.) selbst nach ihrer Einberufung zur Armee vorge-merkt!

Vom Mai 1940 bis Februar 1941 erfolgte die Umbenennungvon 99000 politischen Funktionären der Reserve einschließlichder 63000 »leitenden Mitarbeiter der Parteikomitees« (d.h.in diesem Zeitraum fanden die Prüfungen und Sitzungen der

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Attestationskommissionen statt). Die Umschulung der Nomen-klatur wird in forciertem Tempo durchgeführt. Und nicht nurdie Um schu lung . Ein Befehl wird erlassen. Am 17. Juni 1.941erhalten weitere 3700 hauptamtliche Funktionäre den Befehl,sich für die Armee zur Verfügung zu halten.

Steht eine neue Sowjetisierung bevor?

4.Nicht nur die Parteibonzen haben Estland, Litauen, Lettland,die westliche Ukraine und das westliche Belorußland, Bessara-bien un d die Bukowina sowjetisiert, auch die »entsprechendenOrgane« hatten mit Hand angelegt. Hinter dem Rücken der»Volksvertreter« und »Diener des Volkes« unterstützt derNKWD »durch seine Mitwirkung die revolutionären Arbeiterund Bauern bei der Festigung der Macht des Proletariats«.

Als erste hatten die NKWD-Grenztruppen die Grenzen über-schritten. »In kleinen Gruppen operierend, besetzten undhielten sie die Flußübergänge und Eisenbahnknotenpunkte.«(»Militärhistor ische Zeitschrift«, Moskau 1970, Nr. 7, S. 85) ImWinterkrieg 1939/40 war eine Abteilung der Grenztruppen desNKWD heimlich in finnisches Territorium eingedrungen, ha tteblitzschnell die Tundra durchquert und in einem Überra-schungsschlag die Stadt Petsamo und deren Hafen besetzt. Fünf Jahre später wurden im Japankrieg 1945 aus den Grenzt ruppen»320 Angriffsabteilungen in einer Stärke von jeweils 30 bis 75Mann gebildet, ausgerüstet mit Maschinengewehren, Maschi-nenpistolen, Gewehren und Granaten. Einzelne Abteilungen

bestanden aus 100 bis 150 Mann«. »Die Vorbereitung basierteauf früher ausgearbeiteten und weiter präzisierten Plänen füreinen Überraschungsangriff... Eine herausragende Rolle fürdie Erzielung des Erfolges kam dem Überraschungsmoment beiden Aktionen zu.« (»Militärhistorische Zeitschrift« 1965, Nr. 8,S. 12)

Aber auch im Krieg mit Deutschland operierten die NKWD-Grenztruppen in gleicher Weise. Dort, wo die deutschen Trup-pen die Grenze nicht überschritten, erfolgte die Verletzung der

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Staatsgrenze auf Initiative sowjetischer Grenztruppen denn betrug 50000 Mann, die »Arbeitsfläche« - 30000 Quadratkilo-

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Staatsgrenze auf Initiative sowjetischer Grenztruppen, denndarauf waren sie vorbereitet. So wurde zum Beispiel am25. Juni 1941 von sowjetischen Grenzbooten an der rumäni-schen Grenze ein Landetrupp im Gebiet der Stadt Kilija (Chilia)angelandet. Er bildete einen Brückenkopf und erhielt dabeiFeuerschutz durch Aufklärungsteileinheiten des NKWD, die be-reits vorher gelandet waren. (Wachposten an sowjetischen

Grenzen. Moskau 1983, S. 141) Dabei ist eines interessant:Ebenso ausgesuchte und hervorragend ausgebildete Grenz-truppen des NKWD standen auch im Augenblick des deutschenAngriffs an den Grenzbrücken, doch sie waren nicht darauf vor-bereitet, den Angriff abzuschlagen und die Brücken zu verteidi-gen, und gaben sie daher beinahe kampflos auf. Als es darumging, den Westteil einer Grenzbrücke zu erobern, demonstrier-ten die Grenztruppen eine hervorragende Ausbildung, Mut undTapferkeit. Als sie jedoch die östliche Seite einer Brücke vertei-digen sollten, bewiesen dieselben Leute völlige Untauglichkeit -sie hatten es einfach nicht gelernt, und niemand hatte ihnen

 jemals Verteidigungsaufgaben gestellt.

5.Doch die Hauptstärke des NKWD liegt ohnehin nicht bei denGrenztruppen. Außer diesen verfügte der NKWD über eine rie-sige Menge an operativen Regimentern und Divisionen, Konvoi-Truppen und Wachmannschaften. Sie alle waren emsig mit derVernichtung »feindlicher Elemente« und der »Säuberung derTerritorien« befaßt. Im Winterkrieg waren dafür acht NKWD-

Regimenter neben den selbständigen Bataillonen und Kompa-nien und den Formationen der Grenztruppen eingesetzt. EinBild vom Ausmaß der Aktivitäten des NKWD bei der »Säube-rung des Hinterlandes« kann die 1944 im Rücken der Ersten Be-lorussischen Front durchgeführte Operation vermitteln. An die-ser Operation waren fünf Grenztruppenregimenter des NKWDbeteiligt, ferner sieben Regimenter der operativen Truppen desNKWD, vier Kavallerieregimenter, selbständige Bataillone unddie Luftaufklärung. Die Gesamtstärke der beteiligten Truppen

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betrug 50000 Mann, die Arbeitsfläche 30000 Quadratkilometer. (Wachposten. . ., S. 181) Doch auch vor Hitlers Angriff arbe ite te der NKWD keineswegs mit geringerem Elan, nur sinddie Daten zu den 1940 in Estland, Litauen, Lettland, in derwestlichen Ukraine und im westlichen Belorußland, in derBukowina und in Bessarabien durchgeführten Operationen nir-gendwo publizi ert. Aber ist schließlich nicht einiges Materia l zu

diesem Thema zwar nicht seitens der Täter, wohl aber von ihrenOpfern veröffentlicht worden?Gemessen an der Intensität der Aktionen des NKWD über-

t r i f f t das Jahr 1940 sogar 1944 und 1945 und viele folgendeJahre. Es genügt, daran zu erinnern, daß in das Jahr 1940 auchKatyn gehört. Aber polnische Off iziere wurden nicht nur inKatyn liquidiert, sondern wahrscheinlich mindestens noch anzwei weiteren Or ten, wobei es dort nicht weniger Opfer gab alsin Katyn. Auch litauische Offiziere wurden damals umgebracht,und ebenso lettische und estnische. Und nicht nur Offiziere, son-dern auch Lehrer, Priester, Polizisten, Schriftsteller, Juristen,

Journalisten, fleißige Bauern, Unternehmer und Menschen ausallen anderen Schichten der Bevölkerung, geradeso wie zu Zei-ten des Roten Terrors gegen das russische Volk. Der Umfang derOperationen des NKWD war gewachsen ... doch plötzlich hattesich irgendetwas verändert. Ab Februar 1941 begann derNKWD seine Truppen heimlich an die westlichen Grenzen zuverlegen.

6.Die kommunistischen Historiker sind heutzutage nach Kräften

bemüht, das Ausmaß der damaligen Schlagkraft der RotenArmee herunterzuspielen und die Stärke der Wehrmacht zuübertreiben. Dabei nehmen sie selbst grobe Fälschungen inKauf. Bei Deutschland werden sämtliche Divisionen gezählt: dieder Wehrmacht und die der Waffen-SS. Bei der Sowjetunion wer-den nur die Divisionen der Roten Armee berücksichtigt; dievorzüglich ausgebildeten, zu voller Mannschaftsstärke aufge-füllten und vollausgerüsteten Elitedivisionen des NKWD wer-den jedoch völlig übergangen, sie sind »vergessen«. Die Kom-

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munisten haben erklärt, daß unmittelbar an den Grenzen 47 der Weg in die Sowjetunion ist beschwerlich: Die Tschekisten

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,Einheiten Landstreitkräfte und 6 Marineeinheiten der Grenz-truppen (davon jede etwa in Regimentsstärke) sowie 11 Regi-menter der operativen Truppen des NKWD in einer Gesamt-stärke von 100000 Mann gestanden hätten. Das ist wahr. Aberes ist nicht die ganze Wahrheit. Zum Zeitpunkt der deutschenInvasion befanden sich unmittelbar an den Grenzen nicht nur

Regimenter, sondern auch selbständige Bataillone des NKWD ineindrucksvoller zahlenmäßiger Stärke und außerdem ganzeNKWD-Divisionen. Beispielsweise stand die 4. NKWD-Division(unter dem Kommando von NKWD-Oberst R M. Maschirin) ander rumänischen Grenze, und dabei wiederum das 57. NKWD-Regiment dieser Division unmittelbar an den Grenzbrücken. InGrenznähe stand die 8. Motorisierte Schützendivision desNKWD. Im Gebiet Rawa-Russkaja lag die 10. NKWD-Division,und das 16. Kavallerieregiment dieser Division war unmittelbarauf die Grenzposten verteilt. Die 21. Motorisierte Schützendivi-sion des NKWD stand an der finnischen Grenze. Die 1. NKWD-Division (unter NKWD-Oberst S. I. Donskow) befand sich eben-falls dort. Die 22. Motorisierte NKWD-Schützendivision tauchtin den deutschen Heeresberichten am siebenten Tag nach derInvasion in Litauen auf.

Die NKWD-Truppenteile waren unglaublich nahe an dieGrenze vorgeschoben. Einige von ihnen lagen buchstäblich nurwenige Meter von der Grenze entfernt. Ein Beispiel: Das 132.selbständige NKWD-Bataillon war in den Tiraspoler Befesti-gungsanlagen der Festung Brest untergebracht. Mit Verteidi-gungsauftrag? Nein. Die Festung war nicht auf eine Verteidi-

gung eingerichtet, dort sollte im Krieg ein Schützenbataillonder gewöhnlichen Truppen zurückbleiben. Vielleicht, um dieGrenze zu sichern? Durchaus nicht - dafür lag gleich nebenanin denselben Kasernen die 17. Abteilung der Grenztruppen (inRegimentsstärke), doch das 132. NKWD-Bataillon ist schließ-lich keine Grenztruppe, es ist eine Konvoi-Einheit war zurEskortierung der »Feinde« aus dem westlichen Belorußlandeingesetzt worden, jetzt aber hatte man es an dasWest-Ufer deswestlichen Bug verlegt. Vorerst hat das Bataillon nichts zu tun -

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der Weg in die Sowjetunion ist beschwerlich: Die Tschekistenmüssen auf Booten über den Bug in die alte Zitadelle überge-setzt werden, dann geht es durch eine Menge von Toren überBrücken und Gräben, der Muchawez muß überquert werdenund wieder Gräben, Wälle und Bastionen. Feinde gibt es in derFestung nicht, und bis zur Stadt ist es weit. Also ruht sich dasBataillon erst einmal aus. Die Tiraspoler Befestigungsanlagen

(eine Grenzinsel) sind eigentlich schon polnisches - oder zu die-ser Zeit korrekter: deutsches - Territorium, und um nachDeutschland zu gelangen, braucht man nur eine kleine Brückezu überqueren.

In eben diesen Kasernen des selbständigen 132. NKWD-Konvoi-Bataillons prangt heute eine Inschrift: »Ich sterbe, dochich ergebe mich nicht! Heimat, leb wohl! 20. 7. 1941«. Diese»Helden« hatten guten Grund, sich nicht zu ergeben - die SS-Leute hätten wohl rasch kapiert, wen die Tschekisten von jen-seits der Staatsgrenze eskortieren wollten!

Ich fand heraus, daß an der Grenze nicht nur NKWD-Konvoi-Bataillone und -Regimenter, sondern ganze Konvoi-Divisionen standen. Da ist zum Beispiel die bereits erwähnte4. NKWD-Division: Sie hatte die Grenzbrücken am Prut besetzt.Vermutlich um sie im Falle einer Zuspi tzung der Lage in die Luftzu sprengen? Weit gefehlt. Die Brücken waren vermint gewe-sen, doch dann hatte man die Minen entfernt und die NKWD-Division dorthin verlegt. Aus einigen Angaben könnte manschließen, daß die 4. NKWD-Division eine Art Schutzfunktionhatte (in Analogie zur Schutz-Staffel-Aufgabe der SS, versuchenSie nur, die Bedeutung von »Schutz-« richtig zu erfassen), aber

viele andere Daten (vgl. zum Beispiel »Militärhistorische Zeit-schrift« 1973, Nr. 10, S. 46) sprechen dafür, daß die 4. NKWD-Division als Konvoi-Division einzuordnen ist. Und auch der Divi-sionskommandeur, Oberst Maschirin, ist ein alter GULag-Wolf,der sich im Konvoi-Dienst seine Sporen verdient hat.

Wen wollten eigentlich die GULag-Schutztruppen über dieGrenzbrücken geleiten?

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WOZU BRAUCHEN rend der Kollektivierung liquidierten die Straftruppen Milli onen

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WOZU BRAUCHENTSCHEKISTEN HAUBITZEN?

Wir werden die wilde Bestie inihrer eigenen Höhle zermalmen. L. Berija, Generalkommissar der 

Staatssicherheit, Volkskommissar für 

innere Angelegenheiten, im Februar 1941 (G. Oserow, Tupolews Sonderlager.

Frankfurt a. M. 1973, S. 65)

l.

Die Strafmaschinerie der Kommunisten verfügt über zwei wich-tige Apparate: die Sicherheitsorgane und die Inneren Truppen.

Gemeint sind natürlich nicht die Truppen der Roten Armee, son-dern besondere Formationen von WeTscheka, OGPU, NKWD.

Zwischen der Roten Armee und den Inneren Truppen be-steht ein gewaltiger Unterschied: Die Rote Armee kämpft anden äußeren Fronten, die Inneren Truppen an der Innenfront,daher auch deren Bezeichnung.

Zur Zeit der Errichtung der kommunistischen Diktatur undihrer blutigen Kämpfe um die Behauptung der Macht spieltendie Vergeltungs- bzw. Straftruppen eine wesentlich wichtigereRolle als die Straforgane.

Die Waffen der Vergeltungstruppen waren der Panzer-wagen, der Panzerzug, die Drei-Zoll-Kanone und das Maschi-nengewehr. Sie führten einen regelrechten Krieg gegen ihr eige-

nes Volk. Zur Koordinierung der Aktionen sämtlicher Straftrup-pen wurde 1923 eine Hauptverwal tung geschaffen. Von Zeit zuZeit wechselte die Strafmaschinerie ihre Namen ebensoschmerzlos und einfach wie eine Schlange ihre Haut. Doch dasOrgan, das die Aktionen der Straftruppen koordinierte, bliebpraktisch unverändert bestehen - die Hauptverwaltung.

Diese Organisation und die ihr unterstellten Truppen habenentsetzliche Verbrechen am russischen Volk und allen anderenVölkern auf dem Boden der Sowjetunion begangen. Allein wäh-

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rend der Kollektivierung liquidierten die Straftruppen Milli onenMenschen , und mehr als zehn Millionen Menschen überantwor-teten sie einer anderen Hauptverwaltung des NKWD - dem GU-Lag, der Hauptverwaltung der Straflager.

Mit der Festigung der kommunistischen Diktatur nahmendie Organe einen zunehmend wichtigeren Platz im Vergleich zuden Straftruppen ein. Hauptwaffe des Terrors wurde die über

das Papier kratzende Feder in der Hand des Denunzianten, dieZange in der Hand des Untersuchungsrichters und der Nagant-Revolver in der Hand des Henkers. Natürlich wurden die Straf-truppen zahlenmäßig nicht reduziert, aber ihre Funktion wirdmehr und mehr die eines Gehilfen: bei Razzien, Durchsuchun-gen, Verhaftungen, im Konvoi-Dienst, in der Bewachung vonStraf- und »Besserungs«-Einrichtungen. Und außerdem bewa-chen die Straftruppen die Führer, die Staatsgrenzen, die Nach-richtenverbindungen. Das äußere Bild des Kämpfers im Straf-einsatz hat sich ebenfalls geändert. Das ist nicht länger der

Petrograder Matrose mit der rohen Physiognomie auf seinemPanzerwagen. Jetzt ist es ein Soldat im Schafspelz unter eisi-gem Wind mit dem Gewehr in der Hand und dem treuen Hundan seiner Seite. Auch Panzerwagen haben die Soldaten derStraftruppen nicht. Die werden nicht mehr gebraucht.

Das Jahr 1937 ist nicht mit dem Beginn des Terrors gleich-zusetzen, wie die Kommunisten uns glauben machen wollen,sondern eher mit seiner Vollendung. Nur ein Jahr noch, und derallgemeine Terror weicht einer Verfolgung, die nur noch aus-gesuchte Einzelpersonen trifft. Ganz einfach weil der Terror1937-38 nun auch die kommunistischen Führer erreicht hatte.In dieser abschließenden Etappe brauchten die Tschekistenkeine Maschinengewehre mehr: Die Kommunisten, die nunselbst unter das Beil des Terrors geraten waren, leisteten keinensonderlichen Widerstand.

Aber jetzt, im Dezember 1938, da die Große Säuberungerfolgreich abgeschlossen ist, wird der Terror im Landesinnernschlagartig beendet, der GULag entläßt Gefangene, und mantrifft Vorbereitungen für die Entlassung noch vieler weiterer.Was könnte wohl in dieser Situation mit den NKWD-Truppen

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und der Hauptverwaltung geschehen, die deren Tätigkeit koor- ters des Volkskommissars für innere Angelegenheiten (NKWD-

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p g g , gdinierte? Die Hauptverwaltung wird wahrscheinlich liquidiert?Das nehmen Sie an? Sie haben richtig geraten. Die Sowjetunionist in eine neue Existenzphase eingetreten, und deshalb wirdumgehend nach Beendigung der Großen Säuberung und derEntfernung N. Jeschows aus der Macht (der seinerseits 1936G. Jagoda als Volkskommissar für innere Angelegenheiten und

Chef der Geheimpolizei abgelöst hatte) die Hauptverwaltungder NKWD-Grenztruppen und Inneren Truppen der UdSSR auf Anordnung des Rates der Volkskommissare vom 2. Februar1939 aufgelöst. Am 2. Februar 1939 werden anstelle der einenHauptverwaltung sechs selbständige Hauptverwaltungen desNKWD geschaffen, die für dessen Truppen und militärischeFragen zuständig sind:

- die Hauptverwaltung der Grenztruppen des NKWD- die Hauptverwaltung der Bewachungstruppen des NKWD- die Hauptverwaltung der Konvoi-Truppen des NKWD- die Hauptverwaltung der Eisenbahntruppen des NKWD- die Hauptverwaltung für militärische Versorgung des

NKWD- die Hauptverwaltung für militärisches Bauwesen des

NKWD.Nach Abschluß der Großen Säuberung vollzog sich eine deut-liche qualitative Veränderung in der Strafmaschinerie der UdSSR.Auf Beschluß der Sowjetregierung übernahmen die Straftrup-pen erneut eine führende Position im Vergleich zu den Straf-organen. Mit dem Jahresbeginn 1939 ist der Anfang einerschwindelerregenden Steigerung der Schlagkraft bei den Straf-

truppen verknüpft. Ihre Ausrüstung wird erneut durch Panzer-züge, Panzerwagen (den BA-10, eine völlige Neukonstruktion),Haubitzenartillerie und schließlich Panzer und Flugzeuge be-reichert.

Ein stürmisches Wachstum setzt bei den Straftruppen allerGattungen und sämtlicher Aufgabenbereiche ein. Innerhalb desNKWD haben die Truppen einen solchen Zuwachs erfahren,daß für deren Führung ein besonderes Amt geschaffen werdenmuß - das eines eigens für die Truppen zuständigen Stellvertre-

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g gGeneralleutnant I.I. Maslennikow).

Aber seltsam: Auf sowjetischem Territorium werden Straf-

truppen nicht mehr gebraucht. Eine neue Säuberung in derUdSSR ist 1939 ganz offensichtlich nicht vorgesehen - das Landist auf die Knie gezwungen und dem Diktator Stalin restlos un-terworfen. Und selbst wenn eine weitere Säuberung angesetzt

werden sollte, so würden doch Revolver, Zangen, Feilen, Knutenund Peitschen völlig genügen. Wozu dann diese Haubitzen?

2.Der Ausbau der NKWD-Truppen erfolgt in mehreren Richtun-gen. 1939 wurde der Sperrdienst des NKWD eingerichtet. InFriedenszeiten wird ein Sperrdienst nicht gebraucht. Man hattesich seiner im Bürgerkrieg bedient. Die Aufgabe der Sperrabtei-lungen besteht in der Stärkung der Standhaftigkei t der Soldatenim Gefecht , besonders während eines Angriffs. Sobald sich dieSperrabteilung im Rücken der Truppen entfaltet hat, ermuntertsie die eigenen angreifenden Truppen durch Maschinengewehr-garben in den Rücken, und sie stoppt die Soldaten im Falle einesRückzuges, indem sie die Gehorsamen in den Kampf zurück-führt und die Ungehorsamen auf der Stelle liquidiert. In sowje-tischen Publikationen begegnen uns nicht wenige suspekteGestalten unter der Rubrik »Helden des Bürgerkrieges«, diesich in den Sperreinheiten ausgezeichnet haben. Ein typischesBeispiel: »Wypow, I. R, Führer eines Maschinengewehrkom-mandos in der Sperrabteilung der 38. Schützendivision«. (»Mili-

tärhistorische Zeitschrift« 1976, Nr. 12, S. 76) Der Dienst beiden Sperrtruppen ist das reinste Honigschlecken. Da wird manvon keiner feindlichen Artillerie belästigt, braucht gegen keinenstarken Gegner zu kämpfen, sondern nur gegen die eigenenLeute, die Demoralisierten. Die Orden purzeln aus dem Füll-horn des Überflusses. Unser Held zum Beispiel besitzt den zwei-fachen Rotbannerorden.

Bekanntlich hatte die Sowjetunion bereits vor  der Unter-zeichnung des Molotow-Ribbentrop-Paktes begonnen, heimlich

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ihre Armeen in den Westgebieten des Landes zu formieren. Pakt ist ein unmittelbarer Beweis dafür, daß die Entscheidung

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Organischer Bestandteil jeder Armee war ein selbständigesmotorisiertes Schützenregiment des NKWD, das nicht ausBataillonen, sondern aus Sperrabteilungen bestand.

Außer den in die Armeen eingegliederten Regimenternexistierten selbständige Schützenregimenter des NKWD, dieden Fronten zugeordnet waren. So standen beispielsweise im

Juni 1941 allein im Rücken der Südfront neun Regimenter, eineselbständige Abteilung und ein selbständiges Bataillon desNKWD. (»Militärhistorische Zeitschrift« 1983, Nr. 9, S. 31)

Neben den motorisierten Schützenregimentern des NKWDgab es selbständige NKWD-Sperrabteilungen, die unverzüglichin neu formierte Korps und Armeen integriert werden konnten,wie zum Beispiel die 241. selbständige Sperrabteilung der 19.Armee.

Generalmajor P. W. Sewastjanow berichtet, daß der Sperr-dienst des NKWD äußerst präzise und zuverlässig gearbeitethabe. In jeder beliebigen Situation fanden sich die NKWD-Trup-pen im Rücken der kämpfenden Soldaten ein - in Erfüllungihrer Sperrfunktion. »Eine Kompanie Grenzsoldaten entfaltetesich unverzüglich in unserem Rücken.« (Memel-Wolga-Donau.Moskau 1961, S. 82) General Sewastjanow erzählt, seine Infan-terie habe ohne Panzerunterstützung gegen die deutschenTruppen gekämpft, die Tschekisten aber hätten mit ihren Panzernhinter ihnen gestanden.

In sowjetischen Quellen begegnen uns wiederholt Hinweisedarauf, daß der Sperrdienst des NKWD von den ersten Stundendes Krieges an äußerst aktiv war, was besagt, daß er bereits vor

der deutschen Invasion einsatzbereit gewesen sein muß. Nach-stehend die Standardformulierungen zum Juni 1941. General-oberst L. M. Sandalo w: »Hier lasse ich die Sperrabteilung derArmee zurück ...«,»... Sie wurden von den Sperrabteilungender Armee aufgehalten und zu den nächsten Einheiten des28. Schützenkorps weitergeschickt.« (Erlebtes. Moskau 1966,S. 108, 143)

Die erneute Einrichtung des NKWD-Sperrdienstes noch vordem deutschen Angriff und sogar vor dem Molotow-Ribbentrop-

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fü r den Krieg im Kreml lange vor seinem faktischen Ausbruchgetroffen worden war.

3.Seit Anfang 1939 wächst die Anzahl der Grenztruppen rapide.

Davor, in den Zeiten der Großen Säuberung und noch früher,angefangen bei Lenin, hatte es in der Sowjetunion sechs Grenz-bezirke gegeben. Jetzt wurden es achtzehn, wobei zahlenmäßig

 jeder neugeschaf fene Bezirk den alten übertraf. In jedem Landsind Grenztruppen ein Bestandteil der Verteidigungsvorkehrun-gen, doch die Sowjetunion ist kein gewöhnlicher Staat, und wirhatten bereits Gelegenheit, die aggressiven Neigungen der so-wjetischen Grenztruppen ein wenig zu verfolgen. Die Grenz-truppen dienten stets als Basis für die Aufstellung von Osnas-Formationen, das heißt Sonderabteilungen, deren Bezeichnungauf eine Abkürzung aus russisch »ossobowo nasnatschenija«- zur besonderen Verwendung - zurückgeht.

Im August 1939, noch vor der Unterzeichnung des Molotow-Ribbentrop-Pakts, setzte eine stürmische Entwicklung in derAufstellung von NKWD-Truppen »zur besonderen Verwendung«ein. Diese Osnas-Truppen bilden die aggressivsten und schlag-kräftigsten Formationen der sowjetischen Strafmaschinerie.Die Osnas-Einheiten waren für ihre außerordentliche Härte(selbst für Tscheka-Begriffe) im Bürgerkrieg bekannt gewesen.Anschließend war der Osnas radikal reduziert worden. Übrig-geblieben war eine einzige Osnas-Division des NKWD im Räume

Moskau (unter dem Kommando von NKWD-Brigadekomman-deur Pawel Artemjew).

Doch nun bereitet G. K. Schukow im August 1939 einenÜberraschungsangriff auf die japanischen Truppen vor. Ihmwird ein selbständiges Osnas-Bataillon des NKWD in einerStärke von 502 Mann unterstellt. Das ist nicht viel, doch dasBataillon war zuvor mit erstklassigen Spezialisten aufgefülltworden, deren Hände mit dem Mordgeschäft vertraut waren.Der Hauptauftrag des Osnas-Bataillons galt der »Säuberung

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unmittelbar im Rücken der Front«. (Wachposten an sowjeti-h G M k 1983 S 106) D O l i

sämtliche Grenzstellen erfaßte; eingesetzt hatte er am ersten

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schen Grenzen. Moskau 1983, S. 106) »Der Osnas leistete vor-zügliche Arbeit, und Schukow war sehr zufrieden.« (Ebenda)

Gleich darauf beginnt die Formierung von Osnas-Bataillo-nen an der polnischen Grenze. In einer Meldung der PolitischenAbteilung der Grenztruppen im Militärbez irk Kiew vom 17. Sep-tember 1939 findet sich eine Erwähnung darüber, daß dieOsnas-Bataillone bereits aufgestellt sind.

Die Osnas-Bataillone überschritten als erste die Grenzen beider »Befreiung« Polens, Bessarabiens, der Bukowina, Estlands,Lettlands, Litauens, Finnlands. Ihre Aufgabe: in einem Überra-schungsangriff die Grenzposten des Gegners außer Gefecht zusetzen und weiterhin im Vorfeld vor den angreifenden eigenenTruppen Brücken zu besetzen, Nachrichtenverbindungen zuunterbrechen, kleinere Abteilungen des Gegners zu vernichten,die Bevölkerung zu terrorisieren. Später, wenn die Einheitender Roten Armee die Osnas-Bataillone überholt haben, gehendie letzteren zur Säuberung des Territoriums über, zur Ent-

 fernung unerwünschter Elemente und zu deren Liquidierung.Erwähnungen der Osnas-Bataillone des NKWD können wir inder offiziellen Darstellung der Geschichte der Grenztruppen fin-den. (Die Grenztruppen der UdSSR 1939-1941. Moskau 1970,Dokumente Nr. 185 und 193) Und hier die Ergebnisse dieser Ar-beit: »Über die Grenze wurden etwa 600 Gefangene eskortiert,darunter Offiziere, Gutsbesitzer, Popen, Gendarmen, Polizi-sten ...« (Dokument Nr. 196) In der heute vorliegenden Publika-tion bricht der Satz in der Mitte ab, und wir wissen daher nicht,was es dort noch für andere »Gefangene« gab. Das Dokument

trägt das Datum vom 19. September 1939 und beschreibt dieLage nur an einem einzigen kleinen Grenzposten des NKWD. Esist der dritte Tag des sowjetischen »Befreiungsfeldzuges« in Po-len. Heute wird diese Befreiung mit dem Bedürfnis, die eigenenGrenzen gegen Hitler zu sichern, erklärt. Wozu muß man danndie »Gutsbesitzer und Popen« über die Grenze in die Sowjet-union treiben und sie zu Gefangenen erklären? 600 Gefangene,das bedeutet nur einen Tropfen in einem riesigen Strom, dersich nicht nur über einen einzigen Grenzposten ergoß, sondern

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Tag der »Befreiung«, und gestoppt wurde er erst durch Hitleram 22. Juni 1941. Mit der zweiten Befreiung allerdings lebte derStrom wieder auf. . .

Nach dem Aufbruch in Richtung deutsche Grenze zeichnensich neue Eroberungen ab. Stalin löst die vorhandenen Osnas-Bataillone des NKWD nicht auf, sondern er läßt neue Bataillone

bild en, und außer den Bataillonen auch noch Regimenter, Divi-sionen und sogar ein Osnas-Korps des NKWD (unter dem Kom-mando von NKWD-Divisionskommandeur Schmyrjow, mit demKommissar Tschumakow und dem NKWD-Obersten Winogra-dow als Chef des Stabes). Mitunter stößt man auf Erwähnungendieses ansonsten vollkommen geheimgehaltenen Korps in offi-ziellen sowjetischen Dokumenten (zum Beispiel in: Die Grenz-truppen der UdSSR - Dokument Nr. 39).

4.Wir wissen bereits, daß ab Februar 1941 NKWD-Truppen sämt-licher Gattungen und Schattierungen in Richtung Westgrenzezogen.

Die kommunistischen Historiker haben die Gründe dafürniemals zu erklären versucht. Nach dem Erscheinen des vorlie-genden Buches werden sie natürlich eine »Erklärung« finden:Stalin habe beschlossen, sich gegen eine deutsche Invasion zuverteidigen. Wäre dem so gewesen, dann hätte er vermutlichdie Aufstellung neuer Strafbataillone, -regimenter, -divisionenbeenden und dazu übergehen müssen, Pionierregimenter, -divi-

sionen und -korps aufzustel len, um das gesamte westliche Terri-torium der Sowjetunion zu verminen, um es mit Panzer- undSchützengräben zu durchziehen.

Doch mitnichten ist Genösse Stalin mit derartigen Aufgabenbefaßt! Stalin braucht keine Pioniere, sondern Straftruppen!Das ist der Grund, weshalb Anfang 1941 innerhalb des NKWDeine weitere militärische Hauptverwaltung eingerichtet wird.Diesmal rein militärischer Natur: die Hauptverwaltung der ope-rativen NKWD-Truppen. An die Spitze stellt Stalin einen Osnas-

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Veteranen, den ehemaligen Kommandeur der 1. Osnas-Divisiond NKWD P l d i h b i R i

die vorhandenen in gewöhnliche Schützendivisionen der Roten

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des NKWD, Pawel Artemjew, der sich bereits zum Rang einesGeneralleutnants im NKWD hochgedient hat.

Die neue Hauptverwaltung beginnt unverzüglich mit derAufstellung von Truppen in einem grandiosen Maßstab. Haupt-kampfeinheit wird die motorisierte NKWD-Schützendivision,bestehend aus einem Panzerregiment (oder Bataillon), zwei bis

drei motorisierten Schützenregimentern, einem Haubitzenartil-lerieregiment und anderen Einheiten. Die allgemeine Mann-schaftsstärke jeder Division beträgt über 10000 Tschekisten.

Die motorisierten Schützendivisionen des NKWD werdenunverzüglich an die Westgrenze geworfen.

Auf sowjetischem Boden werden NKWD-Strafdivisionen mitPanzern, Haubitzen und anderem schweren Waffengerät nichtgebraucht. In den neuen, vor kurzem eroberten Territorien sindsie ebenfalls nicht vonnöten: Hier war die Terrormaschineriedes NKWD ohne Panzer ausgekommen, im äußersten Notfallhatte man sich an die Rote Armee um Hilfe gewandt.

NKWD-Divisionen sind nicht für den Krieg an der vorder-sten Front bestimmt, sondern für das Hinterland. Die schwerenGeschütze in der Ausrüstung dieser Divisionen zeigen an, daßihr Einsatz gegen einen starken Gegner beabsichtigt ist. Dochim Hinterland der Roten Armee auf sowjetischem Territoriumsteht kein starker Gegner und kann es auch gar keinen geben!

Ein starker Gegner kann nur dann im Rücken der RotenArmee stehen, wenn die Rote Armee die Grenze überschrittenhat und auf dem Vormarsch ist. Hitler ließ es nicht dazu kom-men. Er führte den ersten Schlag und machte die gesamten

motorisierten Schützendivisionen des NKWD sinnlos. DieHauptverwaltung der operativen NKWD-Truppen war in einemVerteidigungskrieg völlig unnötig. Sie welkte dahin wie eineBlume, die in einen ungeeigneten Boden verpflanzt worden ist.Schon am vierten Kriegstag holte Stalin, der dies wohl bedachthaben mag, den NKWD-General P. Artemjew aus der Hauptver-waltung der operativen NKWD-Truppen weg und ließ dieseHauptverwaltung ohne Führung. Nach 1941 wurden motori-sierte Schützendivisionen des NKWD nicht mehr aufgestellt und

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Armee umgegliedert. So wurde die 21. Motorisierte Schützendi -vision des NKWD (unter NKWD-Oberst M. D. Pantschenko) zur109. Schützendivision der Roten Armee umgewandelt, die 13.Motorisierte Schützendivision des NKWD wird zur 95. Schüt-zendivision der Roten Arbeiter- und Bauernarmee (später die75. Gardeschützendivision), die 8. Motorisierte Schützendivi-

sion des NKWD wird zur 63. Schützendivision der Roten Arbei-ter- und Bauernarmee (später die 52. Gardeschützendivision).Alles in allem wurden aus den NKWD-Truppen 29 Divisionen indie Rote Armee übergeführt. (Generalmajor W. Nekrassow,

»Militärhistorische Zeitschrift« 1985, Nr. 9, S. 34)In einem Verteidigungskrieg brauchte Stalin gewöhnliche

Infanteri e und keine Straftruppen.1944 kamen die Rote Armee und in ihrem Gefolge der

NKWD nach Mitteleuropa und errichteten dort die Arbeiter-und Bauernmacht, führten soziale Gerechtigkeit und alle übrigen»Segnungen« ein. Aber die Mechanismen für den Aufbau einesglücklichen Lebens waren von Stalin bereits 1939 geschaffenworden. Hitler hatte bloß verhindert, daß dieser Mechanismusvor 1944 in Gang gesetzt werden konnte. Der sowjetische Ter-rorapparat war gewaltig und nicht nur für Osteuropa, sondernfür das gesamte Europa vorgesehen. Nach Hitlers Invasionmußte er mangels Bedarfs radikal reduziert werden.

Der Aufbau des Apparates zur Sowjetisierung Europas hattevor dem Molotow-Ribbentrop-Pakt begonnen. Der Pakt war un-terzeichnet worden, als bereits die endgültige Entscheidung fürdie Schaffung eines glücklichen Lebens in Europa gefallen war.

Der Pakt war nichts weiter als ein taktischer Schachzug, der esermöglichen sollte, Europa auf das Niveau von 1918 hinunter-zudrücken und damit Tür und Tor für die Sonderabteilungen desOsnas und die Motorisierten Schützendivisionen des NKWDzu ö f fne n .

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WESHALB WURDE DERSICHERUNGSSTREIFEN AM VORABEND

Haupts treitk räfte der gegnerischen Seite treffen, Verluste erlei-den In diesem Sicherungsstreifen operieren lediglich kleinere

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SICHERUNGSSTREIFEN AM VORABENDDES KRIEGES BESEITIGT?

Minen sind eine Sache vonbeeindruckender Wirkung, aber sie

sind ein Instrument für die

Schwachen, für diejenigen, die sichverteidigen ... Wir haben nicht sosehr Minen nötig als vielmehrInstrumente zum Entminen.

  Marschall der Sowjetunion G. Kulik   Anfang Juni 1941 (Starinow, Die Minen

warten auf ihre Stunde, S. 179)

l.

Ein Land, das sich auf seine Verteidigung vorbereitet, stelltseine Armeen nicht unmittelbar an der Grenze auf, sondern imHinterland seines Territoriums. So kann der Gegner in einemÜberraschungsschlag nicht die Hauptstreitkräfte des Verteidi-gers vernichten. Die auf Verteidigung bedachte Seite wird in denGrenzregionen rechtzeitig einen Sicherungsstreifen anlegen,das heißt einen Geländestreifen, der gespickt ist mit Fallen,Sperranlagen, Hindernissen und Minenfeldern. Innerhalb die-ses Streifens wird die verteidigungswillige Seite mit Vorbedachtkeinerlei Baumaßnahmen auf dem industriellen Sektor und im

Bereich des Verkehrswesens vornehmen, sie wird hier keinestärkeren militärischen Formationen unterhalten, keine größe-ren Vorräte lagern. Sie wird vielmehr im Gegenteil in diesemStreifen rechtzeitig alle vorhandenen Brücken, Tunnelanlagenund Verkehrswege zur Sprengung vorbereiten.

Sicherungsstreifen sind ein Schutzschild sui generis, den dieverteidigungswillige Seite gegen einen Aggressor einsetzt. Sobalder auf diesen Streifen trifft, wird der Vorstoß des Angreifers anTempo verlieren, seine Truppen werden, noch ehe sie auf die

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den. In diesem Sicherungsstreifen operieren lediglich kleinere,daf ür jedoch äußerst mobile Abteilungen des Verteidigers. Sieoperieren aus dem Hinterhalt, führen Überraschungsattackendurch und ziehen sich anschließend auf neue, schon zuvor ein-gerichtete Linien zurück. Diese leichten Abteilungen versuchenden Eindruck zu erwecken, daß es sich um die Hauptstreit-macht handle. Der Aggressor ist gezwungen, seinen Vormarschzu stoppen, seine Streitkräfte zu en tfalten, seine Granaten auf leere Räume zu vergeuden, während die leichten Abteilungensich bereits gedeckt und rasch zurückgezogen haben, um Hin-terhalte an neuen Linien vorzubereiten.

Sobald der Aggressor in den Sicherungsstreifen eingedrun-gen ist, büßt er seinen entscheidenden Vorteil ein - das Überra-schungsmoment. Während der Angreifer einen zermürbendenKampf gegen die leichten Abteilungen der gegnerischen Deckungfüh rt, haben die Hauptstreitkräfte des Verteidigers Gelegenheit,die Gefechtsbereitschaft herzustellen und den Aggressor an

einer für die Verteidigung geeigneten Linie zu erwarten.Je tiefer dieser Sicherungsstreifen angelegt ist, um so bes-

ser. Lieber zu viel als zu wenig. Während der Aggressor denbreiten Streifen zu überwinden sucht, verrät er ungewollt seineHauptstoßrichtung. Hat er jedoch erst den Vorteil des Überra-schungsmomentes eingebüßt, wird er selbst zu dessen Opfer:Er kennt nicht die Tiefe des Sicherungsstreifens, weshalb dasZusammentreffen mit der Hauptstreitmacht des Verteidigers zueinem Zeitpunkt erfolgt, den der Aggressor im voraus nichtkennt, wohl aber die sich verteidigende Seite.

Im Laufe der Jahrhunderte, ja seit uralten Zeiten haben dieslawischen Stämme immer wieder mächtige Sicherungsstreifenvon gewaltiger Ausdehnung und riesiger Tiefe angelegt. Sienutzten dabei die verschiedensten Möglichkeiten zur Errich-tung von Hindernissen. Eine der wichtigsten war die Anlage vonBaumsperren. Solche Sperren bestehen aus einem Waldstrei-fen, dessen Bäume in Übermannshöhe so angesägt werden, daßdie Verbindung zwischen Stamm und Reststumpf nicht völligdurchgetrennt wird. Die Baumkronen werden über Kreuz ange-

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ordnet und in Richtung auf den Gegner mit Pflöcken am Bodenbefestigt Die schwachen Zweige werden abgeschlagen die

gungen und ständigen Überfälle der leichten flinken Abteilun-gen zermürb t worden Und wäre es ihm dennoch gelungen dies

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befestigt. Die schwachen Zweige werden abgeschlagen, diekräftigen angespitzt. Die Tiefe dieser Baumverhaue betrug anden Stellen, wo ein Auftauchen des Gegners so gut wie aus-geschlossen war, einige Dutzend Meter. An den voraussichtlichenMarschrouten des Gegners erreichte die Tiefe dieser Verhaueriesige Ausmaße: vierzig bis sechzig Kilometer unpassierbarerBaumsperren, verstärkt durch Palisadenhindernisse, Aufschüt-tungen, Wolfsgruben, schreckliche Fallen, die ein Pferdebeinzermalmen konnten, Fallen ausgeklügeltster Konstruktion. DieBaumsperren in Rußland erstreckten sich über Hunderte vonKilometern, und die Große Sperrzone, die im 16. Jahrhunderterrichtet wurde, erreichte eine Länge von über 1500 Kilome-tern. Hinter diesen Verhauen wurden Festungen und befestigteStädte angelegt. Die Sperren wurden streng von leichten beweg-lichen Abteilungen überwacht, die plötzlich aus der Deckungheraus den Gegner überfielen, der es wagen sollte, die Sperr-verhaue zu überwinden, und die sich ebenso schnell durch

geheime Durchlässe in den Sperranlagen wieder zurückzogen.Jeder Verfolgungsversuch endete übel für den Angreifer: In denSperrverhauen hatte man vorgetäuschte Durchlässe angelegt,die den Gegner in die mit Fallen versehenen Zonen und in Hin-terhalte lockten. Im Bereich der Sperrverhaue war das Fällenvon Bäumen und das Anlegen von Wegen verboten. Interessan-terweise wurden bei der Vorverlegung der Grenzen des Russi-schen Staates in Richtung Süden die alten Sperrstreifen nichtbeseitigt, sie blieben vielmehr vollkommen erhalten und wur-den noch verstärkt, an den neuen Grenzen aber wurde eine neue

Befestigungslinie mit Festungen und befestigten Städten an-gelegt, vor denen ein neuer Streifen mit Baumsperren errichtetwurde. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts mußte ein Gegner, derversuchen sollte, Moskau von Süden her anzugreifen, achtSperrzonen mit einer Tiefe von insgesamt 800 km überwinden.Keine einzige Armee war dazu in der Lage. Aber selbst wennsich ein Angreifer angeschickt hätte, sämtliche Hindernisse zuüberwinden, so wäre ein Überraschungsschlag nicht mehr mög-lich gewesen: Der Aggressor wäre durch die kolossalen Anstren-

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gen zermürb t worden. Und wäre es ihm dennoch gelungen, diesalles zu überw inden , so hätte ihn am Ende seines Marsches einekampfbe reite russische Armee erwartet.

Die Sicherungsstreifen haben ihre Bedeutung auch imzwanzig sten Jahrhundert nicht eingebüßt.

Die Rote Armee wußte sehr wohl, was ein Sicherungsstrei-fen bedeutet, und besaß große Erfahrung im Umgang damit.Nur ein Beispiel: 1920 während des »Befreiungsfeldzuges«nach Warschau und Berlin war die Rote Armee auf den vonpolnischen Truppen errichteten Sicherungsstreifen gestoßen.Hier die Beschreibung des Hauptmarschalls der Artillerie

 N. N. Woronow: »Die polnischen Truppen hatten entlang ihresRückzugsweges alles zerstört: Bahnhöfe, Eisenbahnstrecken,Brücken, sie hatten ihre Dörfer angezündet, die Saaten undHeuschober abgebrannt. Der Vormarsch kostete uns unge-heuere Anstrengungen. Jeder kleine Fluß mußte durch Furtenoder mit Hilfsmitteln, die sich gerade anboten, gewaltsam über-

wunden werden. Mit der Munition wurde es immer schwieriger.«(Im Kriegseinsatz. Moskau 1963, S. 34)

Aufgrund dieser Erfahrungen errichtete die Rote Armeeselbst gewaltige Sicherungsstreifen an den eigenen Grenzen,besonders im Westen. Speziell eingesetzte Regierungskommis-sionen überprüften die Westgebiete des Landes und bestimmtendie für einen gegnerischen Durchbruch mehr oder mindergeeigneten Zonen. Anschließend wurden sämtliche Brücken inden westlichen Regionen des Staates zur Sprengung vorberei-tet. Die Brückensicherungskommandos wurden in den Spren-

gungsarbeiten unterwiesen und waren bereit, die Brücken indie Luft zu jagen. So konnte zum Beispiel die sechzig Meterlange Eisenbahnbrücke bei Olewsk bei Anwendung des Zwei-fachsprengsystems in zweieinhalb Minuten gesprengt werden.(Starinow, Die Minen warten auf ihre Stunde, S. 24) Außer denBrücken wurden Fabrikschlote, Depots, Pumpwerke, Wasser-türme, hohe Erdwälle und tiefe Aushebungen zur Sprengungvorbereitet. (Starinow, Die Minen..., S. 18) Bereits Ende 1929waren allein im Militärbezirk Kiew 60 Sprengkommandos in

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einer Gesamtstärke von 1400 Mann einsatzbereit. Für sie lagen»1640 vollkommen fertige komplizierte Sprengsätze und etliche

Am Anfang des Krieges. Moskau 1964, S. 71) Obendrein war dasVerke hrsne tz nur schwach entwickelt. Von den 6696km Schie-

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»1640 vollkommen fertige komplizierte Sprengsätze und etlichetausend Zündröhrchen, die man buchstäblich im Nu zur Zün-dung bringen konnte«, bereit. (Starinow, Die Mine n.. ., S. 22)Ähnliche Vorbereitungen waren auch in den anderen Militär-bezirken getroffen worden.

Abgesehen von den Sprengkommandos in den Westregionen

des Landes waren Eisenbahnsperrbataillone aufgestellt wor-den, denen die Zerstörung der großen Eisenbahnknotenpunkteim Falle eines Rückzuges oblag sowie die Durchführung vonSperrarbeiten an den Hauptstrecken: Zerstörung der Geleise,Anbringung starker Sprengladungen mit Zeitzünder für denFall, daß der Gegner versuchen sollte, die Schienenwege wie-derherzustellen. In der Ukraine gab es schon 1932 vier Batail-lone dieser Art. (Starinow, Die Minen ..., S. 175)

Daneben wurden Eisenbahnweichen, Anlagen des Nachrich-tenwesens, Telegraphenleitungen und in einigen Fällen sogardie Schienen für eine Evakuierung vorbereitet. (Marschall der 

Sowjetunion M. Tuchatschewski, Ausgewählte Werke. Moskau1964, Bd. l, S. 65-67)

Der sowjetische Sicherungsstreifen wurde ständig vervoll-kommnet. Die Zahl der zur Sprengung bzw. Evakuierung vor-bereiteten Objekte wuchs. Neue, schwer passierbare Hindernisseund Sperren wurden errichtet, Baumsperren und künstlicheWasserreservoire vor den Verteidigungsstellungen angelegt,einzelne Geländeteile wurden zur Überflutung und Versumpfungvorbereitet.

Der Herbst 1939 bescherte der Sowjetunion ein gewaltiges

Glück: Im Molotow-Ribbentrop-Pakt erhielt sie neue Gebietemit einer Gesamttiefe von 200 bis 300 km. Der zuvor geschaf-fene Sicherungsstreifen erfuhr eine beachtliche Ausweitung inder Tiefe, wobei die Natur selbst die neuen Territorien für einenderartigen Zweck ausgestattet hatte: Wälder, Anhöhen, Sümpfe,hochwasserführende Flüsse mit morastigen Ufern, und in derWestukraine reißende Bergflüsse mit steilen Uferhängen. »DasGelände begünstigte eine Verteidigung und die Errichtung vonSperranlagen.« (Marschall der Sowjetunion A. L Jerjomenko,

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Verke hrsne tz nur schwach entwickelt. Von den 6696 km Schienenwegen waren nur 2008 km zweispurig angelegt, und selbstdiese hatten nur eine geringe Durchlaßkapazität. Im Bedarfs-fall e würde es sehr leicht sein, sie völlig unpassierbar zu machen.

Zu eben der Zeit erhielt die Rote Armee eine glänzendeBestätigung dafür, daß die Anlage eines Sicherungsstreifens dieSituation der zur Verteidigung gezwungenen Seite sehr zuerleichtern vermag. Im Herbst hatte die Sowjetunion Finnlandangegriffen, doch ein Überraschungsschlag war dabei nichtherausgekommen: Die finnische Hauptstreitmacht befand sichweit jenseits der Grenze hinter einem Sicherungsstreifen. Indiesen Sicherungsstreifen geriet die Rote Armee. Dabei ist un-bedingt festzuhalten, daß die Mißerfolge der Roten Armee nichtnur ein Resultat von Fehlkalkulationen der sowjetischen Füh-rung sind, viel entscheidender waren Verteidigungs- und Opfer-bereitschaft der finnischen Streitkräfte. Eines der Elementedieser Bereitschaft war der Sicherungsstreifen vor  der Haupt-

verteidigungslinie. Dieser Streifen besaß eine Tiefe von 40 bis60 km. (Sowjetische Militärenzyklopädie, Bd. 6, S. 504) DerStreifen war gespickt mit Minenfeldern und Sperranlagen.Scharfschützen, Pioniere und mobile Abteilungen operiertemäußerst aktiv. Das Ergebnis: Die Rote Armee benötigte zur Be-wältigung dieses Streifens 25 Tage, und als sie auf die Hauptver-teidigungslinie stieß, hatte sie bereits große Verluste erlitten,die moralische Verfassung der Soldaten war gedrückt, es fehltean Munition, Treibstoff, Verpflegung. Die Manövrierfähigkeitwar stark eingeschränkt: Ein Schritt zur Seite konnte zum letz-

ten Schritt werden. Der Troß blieb zurück und war der perma-nenten Bedrohung durch wiederholte Überfälle der leichten fin-nischen Abteilungen ausgesetzt, die das Gelände ausgezeichnetkannten und geheime Durchlässe in den Minenfeldern benutz-ten. Alle sowjetischen Kommandeure, die dort gekämpft hat ten,haben ihre Bewunderung fü r den finnischen Sicherungsstreifenzum Ausdruck gebracht, allen voranK. Merezkow, der die 7. Ar-mee kommandierte. (Im Dienst für das Volk. Moskau 1968,S. 184)

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Nachdem Merezkow einen solchen Sicherungsstreifen be-zwungen und entsprechend zu würdigen gelernt hatte, war er

Kriegsausbruch wurden alle diese Brücken von den deutschenTruppen im Handstreich genommen, eine riesige Truppen-

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zwungen und entsprechend zu würdigen gelernt hatte, war erzum Chef des Generalstabs ernannt worden. Und wie nutzte erdie gewonnene Er fahrung für die Verstärkung des sowjetischenSicherungsstreifens, den man entlang der Westgrenze angelegthatte?

Merezkow erließ folgenden Befehl:1. Beseitigung des früher angelegten Sicherungsstreifens an

der Westgrenze, Auflösung der Sprengkommandos, Entfernungder Sprengladungen, Entschärfung der Minen, Einebnungder Sperranlagen;

2. kein Anlegen von Sicherungsstreifen in den neu hinzugewon-nenen Ländereien;

3. Verlegung der Hauptkräfte des Heeres unmittelbar an dieGrenze, ohne diese Streitkräfte durch einen wie auch immergearteten Sicherungsstreifen zu decken;

4. Heranführung und Konzentration der strategischen Reser-ven der Roten Armee aus dem Landesinnern unmittelbar an

der Grenze;5. Beginn mit der zügigen Durchführung umfassender Arbeiten

zum Ausbau von Flugplätzen und des Verkehrsnetzes imwestlichen Belorußland und in der Westukraine. Ausbau dereingleisigen Schienenstrecken zu zweigleisigen. AllgemeineErhöhung der Durchlaßkapazität und Anlage neuer Ver-kehrswege, die unmittelbar zur deutschen Grenze führen.

2.

Und hier die Resultate dieser Politik:1939 hatte man Polen geteilt. Dadurch waren einige Wasser-läufe zu Grenzflüssen geworden. Die Brücken an diesen Flüssenblieben erhalten - Brücken, die niemand benutzte. Allein im Be-reich der 4. sowjetischen Armee lagen sechs solcher Brücken.Aus begreiflichen Gründen war die Frage ihrer Zerstörung vondeutscher Seite nicht aufgeworfen worden, obwohl sie in Frie-denszeiten niemand brauchte. Aber auch auf sowjetischer Seitewurde die Frage nach ihrer Zerstörung nicht gestellt. Bei

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pp g , g ppmenge ergoß sich darüber, welche die 4. sowjetische Armee völ-lig überraschte . Die Armee erlitt eine vernichtende Niederlage .Die Zersch lagung der 4. Armee machte den deutschen Truppenden Weg in den Rücken der extrem starken 10. Armee frei. Auchdiese Armee e rfuh r eine Niederlage von nie dagewesenem Aus-maß. Ohne auf weitere Hindernisse zu treffen, stieß Guderianin Richtung Minsk vor. Der damalige Stabschef der 4. Armee,

 L. Sandalow, stellt die Frage: »Aus welchem Grunde eigentlichwaren im Rereich der 4. Armee so viele Rrücken über den Bugerhalten geblieben?« (Erlebtes. Moskau 1966, S. 99) Ja wirk-lich, aus welchem Grund? Die deutsche militärische Führunghoffte, die Rrücken im Falle eines Angriffskrieges zu nutzen,deshalb hatte sie die Frage nach ihrer Zerstörung nicht gestellt.Was aber hatte die sowjetische Führung sich gedacht?

Die Historiker haben sich eine schöne Erkärung für alleFälle ausgedacht: Die sowjetischen Kommandeure waren Idioten.

Aber diese Erklärung paßt so gar nicht zu Sandalow, der fürdiese Rrücken verantwortlich zeichnete. Interessanterweisehat ihm niemand diese Rrücken als Fehler angelastet, und erselbst wurde dafür auch nicht an die Wand gestellt. Im Gegen-teil, vom Oberst im Juni 1941 brachte er es sehr schnell zumGeneraloberst und zeichnete sich in vielen Operationen aus.Sein auffallendster Charakterzug ist eine außergewöhnlicheUmsicht und Reachtung selbst von Kleinigkeiten. Mein persön-licher Eindruck aber - ich lernte ihn bei einem Vortrag kennen- war der eines ausnehmend listigen Fuchses. Was also war mit

ihm in diesem Juni 1941 geschehen?

3.Die deutschen Truppen rückten weiter vor, ohne auf neueHindernisse zu treffen, und besetzten die Rrücken über dieDüna, die Reresina, die Memel, den Pripjet und sogar über denDnjepr. Wenn die Rrücken nicht zur Sprengung vorbereitet waren,könnte man das als Fahrlässigkeit einstufen. Aber in diesem

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Fall sieht die Sache ernster aus: Sie waren zur Sprengung vor-bereitetgewesen-,nachdem jedoch die gemeinsame sowjetisch-

Demnach handelte Generalstabschef K. A. Merezkow denVorschriften zuwider Hat Stalin ihn nicht abgesetzt? Er tat es

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g w , j g jdeutsche Grenze hergestellt worden war, hatte man die Spreng-ladungen entfernt. Das war überall geschehen, woraus folgt,daß es sich hierbei nicht um Launen einzelner Idioten handelnkonnte, sondern um eine bestimmte Politik des Staates. »UnserLand war im Westen bereits in enge Berührung mit der starkenMilitärmaschinerie des faschistischen Deutschlands geraten ...England drohte eine Invasion ... Als ich mich über die Vorberei-tungen zum Bau von Sperranlagen im Grenzstreifen unterrich-tete, war ich wie vor den Kopf geschlagen. Selbst das, was inden Jahren 1926-1933 angelegt worden war, erwies sich jetztpraktisch als liquidiert. Es gab keine Depots mehr mit einsatz-bereiten Sprengladungen in der Nähe der wichtigen Brückenund anderer Objekte. Es fehlte nicht nur an Brigaden ... auchdie Spezialbataillone existierten nicht mehr ... Die Uljanow-sker Lehranstalt für Spezialtechniken - die einzige Einrichtungzur Ausbildung hochqualifizierter Offiziere für Spezialeinheiten

bzw. Teileinheiten, die mit ferngesteuerten Minen ausgerüstetwaren, war nun zu einer Fernmeldeschule umgewandelt.«(Starinow, Die Minen warten auf ihre Stunde, S. 175)

Die Wirkung des Überraschungsmomentes bei einem gegne-rischen Angriff konnte beachtlich reduziert werden, wenn dieeigenen Hauptstreitkräfte nicht unmittelbar an der Grenze stan-den. Ein leeres Gelände, selbst wenn es in keiner Weise beson-ders vorbereitet wäre, würde auch dann noch als Sicherungs-streifen dienen, nämlich in der Funktion einer Absicherunggegen einen Überraschungsangriff . Sobald die Hauptstreitkräfte

von den vorgeschobenen Abteilungen ein entsprechendes Signalerhalten, bleibt ihnen immerhin noch Zeit, um die Gefechtsbe-reitschaft herzustellen. Statt dessen »... hatten sich die Armeenunmittelbar entlang der Staatsgrenze zu entfalten,.. . unmittel-bar an der Grenze, ohne Rücksicht auf deren für eine Vertei-digung denkbar ungünstigen Verlauf. Selbst der in unserenVorkriegsinstruktionen vorgesehene Sicherungsstreifen warin vielen Frontabschnitten nicht ausgebaut.« (Geschichte desGroßen Vaterländischen Krieges, Bd. 2, Moskau 1961, S. 49)

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Vorschriften zuwider. Hat Stalin ihn nicht abgesetzt? Er tat es.Aber nicht, weil Merezkow den Sicherungsstreifen zerstörenließ und keinen neuen eingerichtet hat, sondern weil Merezkowzu wenig Aktivität beim Ausbau der Verkehrswege, bei der Er-richtung von Brücken und Flugplätzen in den neuen Gebietenan den Tag legte. Anstelle von Merezkow wurde am 1. Februar

1941 Armeegeneral G. K. Schukow zum Chef des Generalstabsernannt. Von da an gingen die Arbeiten mit echt SchukowschemElan los. Bis dahin hatte es in der Roten Armee fünf Eisenbahn-brigaden gegeben. Schukow hob ihre Zahl unverzüglich auf dreizehn an. (Jede Brigade bestand aus einem Regiment, zweiselbständigen Bataillonen und Versorgungseinheiten.) Nahezusämtliche Eisenbahntruppen wurden in den westlichen Grenz-regionen zusammengezogen und arbeiteten mit intensivem Ein-satz an der Modernisierung der alten und dem Verlegen neuerEisenbahnlinien bis unmittelbar an die Grenze. (»Roter Stern«,15. 9. 1984) Hier einige dieser neuen Linien: Proskurow-Terno-pol-Lemberg (Lwow), Lemberg-Jaworow-Staatsgrenze , Lem-berg-Przemysl (Peremyschl), Timkowitschi-Baranowitschi,Bialowieza (Belowesch)-Orantschiza. Schon die Namen derEndpunkte dieser Eisenbahnlinien zeugen davon, daß die so-wjetische Führung den Grenzstreifen nicht als Kampfzone, son-dern als ihr Hinterland betrachtete, in das - im Falle einesraschen Vormarsches nach Westen - Millionen neuer Reservisten,Millionen Tonnen Munition, Treibstoff und andere Versorgungs-güter transportiert werden mußten.

Der Ausbau der Eisenbahnlinien war von einem intensiven

Ausbau der Straßen in den Westgebieten des Landes begleitet.Einige seien angeführt: Orscha-Lepel, Lemberg-Przemysl,Belaja Zerkow-Kasatin, Minsk-Brest. Bei der Vorbereitung auf einen Verteidigungskrieg werden Rochaden angelegt, das heißtVerbindungswege, die parallel zur Front verlaufen, um Reser-ven aus den passiven Verteidigungsabschnitten an die bedroh-ten Stellen werfen zu können. Dabei werden diese Verbindungs-wege parallel zur Front nicht an der Grenze, sondern weit hin-ten in der Tiefe angelegt, während die Grenzregionen möglichst

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gänzlich ohne Straßen und Brücken belassen werden. Doch dieRote Armee baute Eisenbahnlinien und Autostraßen von Ost

(S. 143): »Die Eisenbahntruppen waren in der Westukraine mitdem weiteren Ausbau und der Verstärkung des Eisenbahnnetzes

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Rote Armee baute Eisenbahnlinien und Autostraßen von Ostnach West, wie es bei der Vorbereitung eines Angriffs zumschnelleren Heranziehen der Reserven aus dem Landesinnerenan die Staatsgrenze und zur anschließenden Versorgung derTruppen nötig ist, sobald diese die Grenze überschritten haben.Die neuen Verbindungswege führt en direkt zu den Grenzstädten

Przemysl, Brest, Jaworow.  Marschall der Sowjetunion G. K. Schukow erinnert sich:»Das Straßennetz im westlichen Belorußland und in der West-ukraine befand sich in einem schlechten Zustand. Viele Brückentrugen nicht einmal das Gewicht mittlerer Panzer und der Artil-lerie.« (Erinnerungen und Gedanken, S. 207) Welch großartigerAnlaß zur Freude für Schukow! Bei diesen schwachen Brückenbrauchte man - bei defensiver Grundeinstellung - eigentlichnur noch die Stützpfeiler anzusägen! Und dann noch Panzer-minen in die Ufer zu packen, Scharfschützen in die Büsche zusetzen und ein paar Pakgeschütze dazu! Aber weit gefehlt!Schukow läßt eifrig Verkehrswege bauen, die alten Brückendurch neue ersetzen, damit Panzer jeder Art und die Artilleriepassieren können!

Bei diesen enormen Anstrengungen leisteten der NKWD undLawrenti Pawlowitsch Berija höchstselbst der Roten Armee eineimmense Hilfe. In sowjetischen Quellen stoßen wir immer wie-der auf die Bezeichnung »Bauorganisation des NKWD« (z. B.bei dem Hauptmarschall der Luftstreitkräfte A. A. Nowikow, AmHimmel von Leningrad. Moskau 1970, S. 65). Wissen wirnicht, wessen Arbeitskraft der NKWD einsetzte? Wozu sonst

werden so viele Gefangene im Grenzstrei fen gehalten, und nochdazu am Vorabend eines Krieges?

Der Krieg aber rückte deutlich näher. In der offiziellenGeschichte des Militärbezirks Kiew (Moskau 1974, S. 147) heißtes: »Anfang 1941 begannen die Hitlerleute Brücken zu bauen,Eisenbahnabzweigungen und Feldflugplätze anzulegen.« Daswaren zweifellos deutliche Anzeichen für die Vorbereitung einerInvasion. Was aber taten die sowjetischen Eisenbahntruppenzu dieser nämlichen Zeit? Wir zitieren aus demselben Buch

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gbeschäftigt.«

Die von Schukow aufgestellten Eisenbahnbrigaden erledigtenauf sowjetischem Territorium ein gewaltiges Arbeitspensum,doch ihre eigentliche Bestimmung war es, auf dem Territoriumdes Gegners unmittelbar hinter den eigenen Angriffstruppen zu

operieren, rasch den Sicherungsstreifen des Gegners zu bewäl-tigen, Verkehrsverbindungen und Brücken wieder instandzu-setzen, auf den Hauptstrecken die schmalere westeuropäischeSpurweite auf die breitere sowjetische Standardnorm umzustel-len. Nach Kriegsausbruch wurden diese Brigaden zum Bau vonSperranlagen eingesetzt, aber das war nicht die Aufgabe, fürdie sie zum Zeitpunkt ihrer Aufstellung vorgesehen waren. DieSperranlagen waren eine Improvisation, »eine schwere undunbekannte Aufgabe«. (Die sowjetischen Eisenbahntruppen.Moskau 1984, S. 98) Diese Brigaden hatten keine Sperrbatail-lone, statt dessen gehörten Instandsetzungstruppen dazu. (Die

sowjetischen Streitkräfte. Moskau 1978, S. 242)Am Vorabend des Krieges bereiteten die sowjetischen Eisen-

bahntruppen keineswegs die Schienenanlagen zur Evakuierungbzw. Sprengung vor, und sie waren auch keineswegs mit demAbtransport der Vorräte aus den Grenzregionen befaßt. Im Ge-genteil: Unmittelbar an den Grenzen wurden gewaltige Vorrätean Schienen, zerlegbaren Brücken, Baumaterialien, Kohle ge-stapelt; dort fielen diese Vorräte auch der deutschen Wehr-macht in die Hände. Nicht nur in deutschen Dokumenten wirddies bezeugt, sondern auch in sowjetischen Quellen. Der Chef 

der Abteilung für Sperranlagen und Verminung in der Führungder Pioniereinheiten der Roten Arbeiter- und BauernarmeeStarinow gibt folgende Schilderung der Grenzstation Brest am21. Juni 1941: »Die Sonne schien auf die Kohlenberge nebenden Geleisen, die Stapel schöner neuer Schienen. Die Schienengleißten in der Sonne. Alles atmete Ruhe und Frieden.« (DieMinen warten auf ihre Stunde, S. 190)

Jedermann weiß, daß Schienen sich sehr schnell mit einemAnflug von feinem Rost überziehen. Demnach muß es sich um

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unmittelbar am Vorabend des Krieges an die Grenze gelieferteSchienen handeln. Wofür hat man sie angeliefert?

ebenfalls einige Abschnitte mit Sperranlagen, die den finni-schen ähnelten , angelegt. Vor Gefechtsbeginn mußten die dort

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Man will uns beständig die Idee einhämmern: »Ach, hätteStalin bloß nicht den Sadisten Tuchatschewski umgebracht,dann wäre alles anders gekommen!« Weit gefehlt! Gewiß hattesich Tuchatschewski durch ungeheuerliche Härte bei der Liqui-dierung der Bauern im Gouvernement Tambow und der ge-fangenen Soldaten von Kronstadt hervorgetan, aber in einemrichtigen Krieg war er von der polnischen Armee geschlagenworden. Ansonsten unterschied er sich in nichts von den übri-gen sowjetischen Marschällen: »In die Vorbereitungen einerOperation sind unbedingt Maßnahmen zur Bereitstellung vonHolzbrückenbauteilen und zur Konzentrierung von Eisenbahn-instandsetzungstruppenteilen an den entsprechenden Eisen-bahnlinien mit einzubeziehen... Bei der Umstellung von derschmalen Spur auf die Breitspur..«. usw. usf. (Marschall der Sowjetunion Tuchatschewski Ausgewählte Werke, Bd. l, S. 62-63)

Zusätzlich zu den Eisenbahntruppen waren an den West-grenzen praktisch alle sowjetischen Pioniertruppen zusammen-gezogen. Im Bereich des Grenzstreifens waren vor dem Kriegnicht nur diejenigen Pioniereinheiten bzw. -teileinheiten undTruppenteile eingesetzt, die zu den einzelnen unmittelbar ander Grenze konzentrierten Divisionen, Korps und Armeengehörten, sondern auch solche aus Truppenformationen, mitderen Verlegung an die deutschen Grenzen man eben erst be-gonnen hatte. Und das ist es, womit sich die sowjetischen Pio-niere beschäftigten: »Vorbereitung von Ausgangsstellungen für

einen Angriff, Anlage von Kolonnenmarschwegen, Errichtungvon Sperranlagen sowie Maßnahmen zur Räumung von Sper-ren, operative und taktische Tarnung, Organisation des Zusam-menwirkens von Infanterie und Panzern in den Sturmgruppen,Vorkehrungen für gewaltsame Flußüberquerungen...« (Diesowjetischen Streitkräfte. Moskau 1978, S. 255) Der Leser mögesich nicht durch den Wortlaut »Errichtung von Sperranlagen«irritieren lassen. Vor dem entscheidenden Sturm auf die »Man-nerheim-Linie« in Finnland hatten die sowjetischen Pioniere

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zusammengezogenen sowjetischen Truppen diese Trainings-hindernisse überwinden, anschließend gingen sie zum echtenSturmangriff über.

4.

Bei aller Hochachtung vor der deutschen Wehrmacht kommtman dennoch nicht um die Feststellung herum, daß sie, verblen-det durch die Blitzkriegsidee, für einen ernsthaften Krieg inkatas troph alerweise unvorbereitet war. Man gewinnt den Ein-druck, der sorglose deutsche Generalstab habe einfach nicht ge-wußt, daß sich die osteuropäischen Verkehrswege ein wenigvon den deutschen unterscheiden und daß in Rußland mitunterauch Winter herrscht. Das deutsche Waffenöl wird starr beiextremer Kälte, und die Waffen funktionieren nicht mehr. Esheißt, der Frost sei schuld gewesen. Nein, es war einfach

schlechtes Waffenöl. Oder besser noch, ein schlechter General-stab, der nicht das richtige Waffenöl für die real existierendenBedingungen angefordert hatte. Es heißt, ein Blitzkrieg habesich wegen der schlechten Straßen nicht entwickeln können.Das ist gelogen. Hitler wußte, daß der Krieg mit Rußland nichtzu umgehen war. Weshalb hat er nicht Waffen und Kampfmi ttelin Auftrag gegeben, die auch in Rußland eingesetzt werdenkonnten? Wenn die deutsche Industrie nur Waffen produzierte ,die allein in Westeuropa und in Afrika zu verwenden waren, je-doch nicht in Rußland, wie kann man dann annehmen, Deutsch-

land sei für diesen Krieg vorbereitet gewesen?Aber Hitler hatte Glück. Unmittelbar vor Kriegsausbruchwaren in den Westgebieten der UdSSR riesige Anstrengungenzur Erweiterung und Modernisierung des Verkehrsnetzes unter-nommen worden. Gewiß, auch das reichte nicht aus für diedeutsche Wehrmacht. Was aber wäre erst geschehen, wennSchukow, Merezkow und Berija nicht unmittelbar am Vorabenddes Krieges die Verkehrswege ausgebaut hätten? Wenn sie nichtriesige Vorratslager an Schienen, Brückenkonstruktionsteilen

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und Baumaterialien angelegt hätten? Wenn ein mächtiges Ver-teidigungssystem wirksam geworden wäre: sämtliche Brücken

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heißen. Dann dächten die Leute auch anders. Aber so hieß esimmer wieder: Verteidigung, Verteidigung ... Schluß jetzt da-

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gesprengt, alles mobile Inventar und die Schienen abtranspor-tiert, alle Vorräte vernichtet, Straßen und Schienenwege zer-stört, überflutet, in einen Morast verwandelt, vermint? Es gibtnur eine Antwort: Der deutsche Blitzkrieg hätte sich nicht erstvor den Toren Moskaus festgefahren, sondern sehr viel früher.

An dem Vordringen der deutschen Armeen in das Innere des

Landes sind Merezkow, Schukow, Berija mitschuldig. Hat Stalinsie erschießen lassen? Nein, binnen kurzer Zeit wurden sie zuMarschällen befördert. Wofür hätte man sie erschießen sollen?Hitler hatte die Früchte ihrer Mühen geerntet, aber die Straßenund Schienenwege und die Vorräte hatten sie natürlich nicht fürHitler angelegt, sondern um ungehindert und schnell die Befrei-ungsarmeen nach Europa zu führen und sie während ihreswortbrüchigen vernichtenden Überraschungsangriffes zu ver-sorgen.

Am Vorabend des Krieges machte sich niemand in der Roten

Armee Gedanken über eigene Sperranlagen, jeder dachte nuran die Überwindung der Sperranlagen auf dem Territorium desGegners.

Das ist der Grund, weshalb an der Westgrenze unter demSchutz des TASS-Kommuniques vom 13. Juni (heimlich) sowje-tische Marschälle und führende Experten zur Räumung vonSperren auftauchten.

Hier ein Auszug aus einer Unterhaltung zwischen Marschallder Sowjetunion G. Kulik (der heimlich in Belorußland einge-troffen war) und Oberst Starinow: »Minensucher, vorwärts, Pio-

nier, her mit dem Suchgerät!« (Starinow, Die Minen warten auf ihre Stunde, S. 179) Der Marschall spricht, notabene, von deut-schem Gebiet: Auf sowjetischem Boden waren alle Minen be-reits entschärft und die Sperranlagen beseitigt. Im übrigenweiß man, wo die eigenen Minen liegen, man kann sie auchohne Minensucher entschärfen. Im weiteren Verlauf des Ge-spräches äußert der Marschall: »...Eure Truppe hat nicht denrichtigen Namen. Eigentlich müßte sie, wenn es nach unsererDoktrin ginge, Sperräumabteilung und Minenräumabteilung

104

mit!« (Hervorhebung durch Starinow). Mit demselben Problemmuß sich der Befehlshaber des Sondermilitärbezirks West,Armeegeneral D. G. Pawlow, auseinandersetzen (der Bezirk istbereits insgeheim auf die West-Front umgestellt worden). Erstellt verärger t fest, daß dem Problem der Räumung der Sper-ren nicht genügend Bedeutung beigemessen wird. Ist das nicht

merkwürdig? In einem Verteidigungskrieg braucht man derFrage nach der Beseitigung der Sperren doch überhaupt keineBeachtung zu schenken. Man braucht die Sperren nur zu er-richten und, auf sie gestützt, den Gegner zu zermürben, um sichanschließend rasch auf die nächste zuvor schon eingerichtetedahinterliegende Sperrlinie zurückzuziehen.

Die Rote Armee hatte lehrreiche Erfahrungen bei der Be-zwingung des finnischen Sicherungsstreifens gesammelt, wes-halb sie ihren Fehlern sehr wohl Rechnung trug und sich jetztdafür ungemein gründlich auf die Überwindung der deutschen

Sperranlagen vorbereitete. Hätten die sowjetischen Marschällebloß gewußt, daß sie nur den Krieg nicht, wie geplant, im Juli1941, sondern bereits am 21. Juni hätten anfangen müssen,dann hätte es überhaupt keiner Räumungsvorkehrungen beiden Sperren bedurft. Die deutsche Wehrmacht tat nämlich ih-rerseits unter Umgehung ihrer eigenen Vorschriften dasselbe:Sie beseitigte die Minen, machte die Hindernisse dem Erdbodengleich, zog ihre Truppen unmittelbar an der Grenze zusammen,ohne sich auf eine Verteidigungszone stützen zu können!

Anfang Juni hatten die deutschen Truppen damit begonnen,

die Stacheldrahtverhaue unmittelbar an der Grenze zu besei-tigen. Marschall der Sowjetunion K. S. Moskalenko sieht darineinen unwiderleglichen Beweis dafür, daß ihr Angriff bald be-vorstand. (An der Südwest-Front. Moskau 1969, S. 24)

Aber auch die Rote Armee tat genau das gleiche, nur mitgeringer zeitlicher Verzögerung. Aus Moskau kommend, fandsich an der Westgrenze die ganze Elite des militärischen Pionier-wesens ein, einschließlich des Generalleutnants der Pionier-truppen Professor D. Karbyschew Bei der Abreise aus Moskau

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Anfang Juni verkündete er seinen Freunden , daß der Krieg be-reits begonnen habe, und verabredete ein Wiedersehen nachd K i d h i ht i M k d d Stätt d

Es fällt auch auf, daß weder der Kommandierende Generalder 3. Armee, der hier kämpfen soll, noch der Kommandanti B f ti t R d th ti h V t idi (i

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dem Kriege, doch nicht in Moskau, sondern »an der Stätte desSieges«. An der Grenze angelangt, entfaltete er eine fieberhafteAktivität: Er besichtigte Truppenübungen zur gewaltsamenÜberwindung von Wasserhindernissen (was in Abwehrkämpfennicht erforderlich ist) und zur Bewältigung von Panzersperrendurch die neuesten Panzer vom Typ T-34 (was ebenfalls ineinem Verteidigungskrieg irrelevant ist). Am 21. Juni besuchteer die 10. Armee. Aber »zuvor war Karbyschew in Begleitungdes Kommandierenden Generals der 3. Armee, W. I. Kusnezow,und des Kommandanten des Befestigten Raumes Grodno, OberstN. A. Iwanow, bei einem Grenzposten gewesen. Entlang derGrenze, neben der Straße Augustöw-Sejno, hatten sich amMorgen unsere Drahtverhaue hingezogen; als wir jedoch dieStrecke zum zweitenmal passierten, waren die Sperren besei-tigt«. (Je. G. Reschin, General Karbyschew. Moskau 1971,S.204)

Können wir uns ein solches Bild überhaupt vorstellen:Tschekisten räumen den Stacheldraht an den Grenzen fort! Diekommunistischen Historiker haben sämtliche sowjetischenMarschälle und Generale zu Idioten erklärt und damit die Ur-sachen für die Niederlage begründet. Unklar bleibt dann aller-dings, warum nicht Hitler alle diese Idioten besiegt hat. Dochlassen wir es einmal dabei: Jawohl, sämtliche Militärs warenIdioten. Wie aber soll man dann das Verhalten der heldenmü-tigen Tschekisten erklären? Eben jener Tschekisten, die geradeerst die Große Säuberung abgeschlossen haben? Jener Tscheki-

sten, die die sowjetische Grenze dichtgemacht haben? JenerTschekisten, die das ganze Land mit Stacheldraht umzogen ha-ben? Warum räumen gerade sie den Stacheldraht unmittelbaran der Grenze beiseite? Haben sie vor, die deutschen Spioneherein- oder die eigenen Flüchtlinge hinauszulassen? Und da-bei stehen direkt an der Grenze Massen sowjetischer Soldatenund Offiziere, die doch so sehr mit dem Gedanken spielen, sichabzusetzen, egal wohin immer es geht... Und dazu noch dieseUnmenge Strafgefangener!

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eines Befestigten Raumes, der theoretisch zur Verteidigung (i nWahrhe it aber für eine Offensive) vorgesehen ist, noch ein hoch-karäti ger Experte aus Moskau, der weiß, daß der Krieg bereitsbegonnen hat, in irgendeiner Weise auf diese Aktionen reagie-ren. Im Gegenteil: Die Beseitigung der Drahtverhaue fällt zeit-lich mit ihrem Besuch des Grenzpostens zusammen. Und damiterhebt sich eine neue Frage: nämlich die nach dem Anlaß ihresErscheinens.

Können wir uns überhaupt den Führer eines sowjetischenGrenzpostens im Range eines NKWD-Ober leutnan ts vorstellen,der aus eigenem Ermessen beschlossen hat, den Stacheldrahtfortzuräumen? Werden seine Untergebenen, falls er einensolchen Befehl erteilen sollte, dies nicht als »eindeutiges Ver-brechen« ansehen? Doch der Oberleutnant gab diesen Befehl,und seine Untergebenen führten ihn schnell und bereitwilligaus. Also kann diese Aktion wohl kaum ohne Befehl des Chefs

der Grenztruppen des NKWD in Belorußland, GeneralleutnantI. A. Bogdanow, erfolgt sein. Vielleicht begrei ft Bogdanow nicht,daß der Krieg näherrückt? Oh nein, das begreift er gut. »Am18. Juni 1941 traf der Chef der Grenztruppen des NKWD in Belo-rußland, Generalleutnant Bogdanow, die Entscheidung zur Eva-kuierung der Familien von Armeeangehörigen.« (Vorposten anden Westgrenzen. Kiew 1972, S. 101)

Konnte Bogdanow überhaupt gleichzeitig und selbständigderartige Entscheidungen treffen: Evakuierung von Familien-angehörigen der Grenztruppen und Abbau des Stacheldrahtes

ohne Wissen des Volkskommissars für innere Angelegenheiten,des Generalkommissars der Staatssicherheit L. P. Berija? Erkonnte es nicht. Und selbst Berija hätte es kaum von sich ausgewagt. Das tat er auch nicht.

Berija handelt in völligem Einvernehmen mit Schukow, wasbedeutet, daß ein anderer weiter oben die Aktionen von Armeeund NKWD koordiniert (und das gar nicht schlecht). Militärs undTschekisten machen ein und dasselbe, und zwar sowohl in derSache wie auch nach Ort und Zeit aufeinander abgestimmt.

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Man versucht, uns zu überzeugen, daß die ersten Nieder-lagen der Roten Armee das Resultat einer mangelnden Vorbe-reitung für den Kriegsfall gewesen seien Unsinn Wäre sie nicht

WESHALB HAT STALINDIE »STALIN-LINIE« ABGEBAUT?

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reitung für den Kriegsfall gewesen seien. Unsinn. Wäre sie nichtauf den Krieg vorbereitet gewesen, dann wäre der Stacheldrahtzumindest an der Grenze heil geblieben, und die Armeeeinhei-ten hätten auf diese Weise zumindest ein wenig Zeit gewonnen,um ihre Gefechtsbereitschaft herzustellen. Dann wäre es auchnicht zu diesen entsetzlichen Katastrophen gekommen.

Natürlich beseitigten die Tschekisten den Stacheldraht ander Grenze nicht, um der deutschen Wehrmacht Durchlässe vor-zubereiten. Der Draht wurde fü r einen anderen Zweck beiseite-geräumt. Stellen wir uns vor, der deutsche Angriff hätte sich ausirgendwelchen Gründen verzögert. Was würden die Tschekistenan der Grenze in dieser Situation wohl tun: die Grenzbarrierenbeseitigen, die Grenze offenhalten und mit der Errichtungneuer Sperren beginnen? Natürlich nicht. Es bleibt nur eine ein-zige Variante: Die Tschekisten hatten den Stacheldraht durch-trennt, um die Befreiungsarmee in das Territorium des Gegners

vordringen zu lassen. Genauso hatten die Tschekisten denStacheldraht vor der »Befreiung« Polens, Finnlands, Estlands,Lettlands, Bessarabiens und der Bukowina zerschnitten. Jetztwar die Reihe an Deutschland gekommen.

Es heißt, Stalin habe Hitler 1942 angreifen wollen. Einensolchen Plan hat es tatsächlich gegeben, doch dann wurde derTermin vorverlegt. Hätte Stalin die »Befreiung« für 1942 vorge-sehen, dann hätte man den Draht an der Grenze auch erst 1942zu zerschneiden brauchen. Im allerletzten Augenblick.

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Nur naive Menschen glauben, daßdie Hauptaufgabe der Befestigten

Räume in der Verteidigung bestehe.Nein - Befestigte Räume werdenzur solideren Vorbereitung eines

Angriffs angelegt. Sie müssenzuverlässig die Entfaltung der

Angriffsgruppierungen decken, jeden Versuch des Gegners, diese

Entfal tung zu stören, abweisen,und sobald unsere Truppen zum

Angriff übergehen, diese mitgeballter Feuerkraft unterstützen.General R G. Grigorenko, mitbeteiligt 

am Bau der »Stalin-Linie«

(Im Keller  t ri f f t   man nur Ratten. NewYork 1981, S. 141)

l.

In den dreißiger Jahren waren in den Westregionen der Sowjet-union heimlich dreizehn Befestigte Räume (UR = Ukrepljonnyrajon) geschaffen worden. Jeder Befestigte Raum bildete einemilitärische Formation, die an Krä ften einer Brigade, an Feuer-kraft jedoch einem Korps entsprach. Jeder Befestigte Raum

setzte sich zusammen aus Führung und Stab, einem Artillerie-regiment, einem Panzerbataillon, einem Nachrichtenbataillon,einem Pionierbataillon, drei bis vier Artillerie-/Maschinen-gewehrbataillonen und anderen Einheiten bzw. Teileinheiten.Jeder Befestigte Raum umfaßte eine Fläche von 100-180 kmFrontlänge und 30-50 km Tiefe. Jeder Befestigte Raum be-stand aus einem komplizierten System von panzerbewehrtenGefechtsanlagen und Pioniersperren aus Stahlbeton. Um dieKampfbereitschaft zu gewährleisten, verfügte jeder Befestigte

109

Raum über unterirdische, aus Stahlbeton errichtete Lager,Stromaggregate, Lazarette. Die Gefechts- und Versorgungs-anlagen waren durch unterirdische Stollen miteinander ver-

Verteidigungsgü rtel angelegt war; zwischen den einzelnen Be-festigten Räumen hatte man Zwischenräume von mitunter biszu einigen Dutzend Kilometern Breite gelassen Die Erbau er

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anlagen waren durch unterirdische Stollen miteinander verbunden. Jeder Befestigte Raum war in der Lage, auf sich selbstgestellt langanhaltende Kampfhandlungen unter Bedingungenvölliger Isolierung durchzuhalten. Zu diesem Zweck besaßen dieGefechtsanlagen beachtliche Munitionsvorräte und Verpfle-gung, sie waren mit Kanalisation, Wasserleitungen, Luftfilter-

systemen, Belüf tung und eigener Stromversorgung ausgestattet.Die Linie dieser Befestigten Räume erhielt die inoffizielle

Bezeichnung »Stalin-Linie«. Zwischen der Stalin-Linie und demfranzösischen Verteidigungssystem der Maginot-Linie bestan-den viele Unterschiede. Die Stalin-Linie konnte nicht seitlichumgangen werden: Ihre Flanken grenzten an die Ostsee unddas Schwarze Meer. Sie war nicht nur auf das Abweisen gegne-rischer Infanterieangriffe eingerichtet, sondern vor allem zurPanzerabwehr bestimmt, außerdem verfügte sie über eine starkeFliegerabwehr. Beim Bau der Stalin-Linie war nicht nur Beton

verwendet worden, sondern auch eine Unmenge Panzerstahl,und obendrein Granit aus Saporoschje. Im Gegensatz zur Magi-not-Linie war die Stalin-Linie nicht unmittelbar an der Grenzeangelegt worden, sondern hinter dem Sicherungsstreifen: Umdie Stalin-Linie zu stürmen, mußte der Gegner zuvor ein Ge-lände von einigen Dutzend bis zu einigen hundert KilometernTiefe überwinden, in dem sämtliche Brücken und Tunnel zer-stört, alle Verkehrswege vermint, alle Brunnen und Wasser-türme unbrauchbar gemacht sein würden und in dem aktivePartisaneneinheiten operierten.

Die Anlage der Stalin-Linie tief im Hinterland und ihre her-vorragende Tarnung machten es möglich, dem Überraschungs-moment des Angriffs das Moment einer überraschenden Vertei-digung gegenüberzustellen: In Unkenntnis der genauen Lageder Befestigten Räume konnte der Gegner unversehens mitGefechtsanlagen konfrontiert sein und sich im gleichen Augen-blick bereits im Bereich eines mörderischen Abwehrfeuersbefinden. Ein weiterer Unterschied zur Maginot-Linie bestanddarin, daß die Stalin-Linie nicht als durchgehend geschlossener

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zu einigen Dutzend Kilometern Breite gelassen. Die Erbau erder Linie schienen e inem Aggressor gleichsam die Möglichkeitzu suggerieren, unter Vermeidung einer Erstürmung der Befe-stigten Räume den Durchbruch in dem dazwischenliegendenGelände zu versuchen. Ließ sich der Gegner jedoch auf einenderartigen Versuch ein, setzte er seine Flanken und anschlie-

ßend auch seine rückwärtigen Truppenteile dem gezieltenAngriff von zwei Seiten aus. Es war eine ebenso einfache wie ge-niale Idee: Treibt eine große Eisdecke einen Fluß hinunter, wirdman sie nicht durch eine Mauer aufhalten können -Wasser undEis würden jede Mauer zermalmen; stellt man jedoch einzelneBlöcke in ihren Weg, wird der Druck auf diese Blöcke wesentlichgeringer als auf die geschlossene Mauer sein. Je mehr der Druckdes Eises wächst, um so heftiger wird die kompakte Massezerschellen und beim Passieren der Blöcke ihre Strömungs-geschwindigkeit, Energie und Geschlossenheit einbüßen. Später

werden wir sehen, daß die Durchlässe zwischen den BefestigtenRäumen auch noch eine weitere Bestimmung hatten.

2.Dreizehn Befestigte Räume - das bedeutete gewaltige An-strengungen und Ausgaben während der beiden ersten Fünf-

  jahrpläne. 1938 wurde beschlossen, alle dreizehn BefestigtenRäume wesentlich zu verstärken, und zwar durch den Bau vonErdwallbunkern für schwere Artillerie und die Aufstellung über-

schwerer Artillerie. Außerdem wurde der intensive Ausbau wei-terer acht Befestigter Räume in Angriff genommen. Im Verlauf eines einzigen Jahres wurden über tausend Gefechtsanlageneinbetoniert. Und gerade in dem Augenblick wird der Molotow-Ribbentrop-Pakt unterzeichnet!

Der Pakt bedeutete eine gewisse Vorverlegung der sowje-tischen Grenzen nach Westen - ein positives Moment im Hinblickauf die Verteidigung des Staates. Aber derselbe Pakt zog auchzwei sehr gefährliche Fakten für die Verteidigung der Sowjet-

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union nach sich: Zwischen der UdSSR und Deutschland wareine gemeinsame Grenze entstanden, und in Europa brach derZweite Weltkrieg aus Die Kommunisten wollen uns glauben

so hört e zum Beispiel die Herstellung von Panzerabwehrkano-nen (Pak) auf, und die Panzerbüchsen verschwanden aus derBewaffnung der sowjetischen Infanterie

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Zweite Weltkrieg aus. Die Kommunisten wollen uns glaubenmachen, Stalin habe Hitler gefürchtet. Wäre dem so gewesen,was mußte Stalin dann wohl tun, als er plötzlich eine gemein-same Grenze mit Deutschland bekam und in Europa der Welt-krieg ausgebrochen war, dessen Flammen nach jeder Richtungausschlagen konnten? Stalin hätte den Betrieben, die die Waf-

fen für die Befestigten Räume produzierten, befehlen müssen,ihre Produktion rigoros zu erhöhen. Stalin hätte den Befehl ge-ben müssen, die Garnisonen der Befestigten Räume zu ver-stärken und die Bauarbeiten energisch voranzutreiben. NachAbschluß des Ausbaues und der Ausrüstung der Stalin-Linie mitden erforderlichen Waffen hätte Stalin den Befehl zur Errich-tung einer weiteren gleichartigen oder einer sogar noch stär-keren Linie vor oder hinter der bereits existierenden gebenmüssen, und dann noch zu einer dritten und abermals einer zu-sätzlichen. Und obendrein hätte er den Feldtruppen befehlen

müssen, Tausende Kilometer Schützengräben von der Ostseebis zum Schwarzen Meer auszuheben, unter Nutzung der Be-festigten Räume als eines stählernen Skelettes, das die Stand-festigkeit der Truppen im Verteidigungsfall entscheidend zustärken vermag.

Doch Stalin kann Hitler nicht sonderlich gefürchtet haben,und auch die Verteidigung war keineswegs sein Hauptanliegen.Kaum hat er Hitler - unter Wahrung der eigenen »Neutralität«- in den Zweiten Weltkrieg getrieben, ändert sich Stalins Vor-gehen abrupt. Im Herbst 1939 ergeht ein Befehl zur Reduzierung

der Garnisonen in den Befestigten Räumen und zur Einstellungder Bauarbeiten. Die Waffen sind aus den Befestigten Räumenabzuziehen und abzuliefern, die Betriebe, in denen bis dahindie Waffen für die Befestigten Räume hergestellt wurden, sindunverzüglich auf die Produktion anderer Waffenarten umzustel-len. Stalin hat Verteidigungswaffen nicht länger nötig. Gleich-zeitig mit der Einstellung der Waffenproduktion für die Befestig-ten Räume stellt die sowjetische Rüstungsindustrie auch dieProduktion vieler anderer Arten von Verteidigungswaffen ein,

112

Bewaffnung der sowjetischen Infanterie.Hitler rückt immer weiter nach Westen, Norden , Süden fort,

und Stalin trifft immer neue Entscheidungen im Hinblick auf dieStalin-Linie: Die Kampfeinheiten der Befestigten Räume sindnicht nur zu reduzieren, sondern aufzulösen, die Gefechtsanlagenund Sperren sind zuzuschü tten bzw., wo dies nicht möglich ist,

zu sprengen.Im Sommer 1940 wird ein weiterer Beschluß gefaßt: An der

im Molotow-Ribbentrop-Pakt festgelegten neuen sowjetisch-deutschen Grenze ist mit dem Bau neuer Befestigter Räume zubeginnen. Diese neue Linie, die als solche niemals fertiggestelltworden ist, wurde im sowjetischen Generalstab mit einemgewissen Quentchen an Ironie »Molotow-Linie« genannt.

3.

Beim Bau der Molotow-Linie geschahen höchst seltsame Dinge.Die neuen Befestigten Räume waren so angelegt, daß der Geg-ner sie einsehen konnte. Die Gefechtsstellungen entstandenunmittelbar an der Grenze. Gebaut wurde Tag und Nacht - beivoller Beleuchtung. Die fertigen Gefechtsanlagen wurden nicht getarnt. Sollte einer meiner Leser gelegentlich die sowjetischeGrenze bei Brest überqueren, dann möge er seine Aufmerksam-keit auf die grauen Betonklötze unmittelbar am Ufer des Grenz-flusses richten. Früher wurden Befestigte Räume weit hinterder Grenze angelegt, und der Gegner konnte nicht wissen, wo

sich diese Befestigten Räume befanden , wo die Durchlässe zwi-schen ihnen lagen, und ob es solche überhaupt gab. Das konnteder Gegner erst herausfinden, wenn er bereits in den Kampf verwickelt war, eingedeckt vom Feuer der sowjetischen Ge-fechtsstellungen. Jetzt war es dem Gegner nicht nur gut mög-lich, die Begrenzungen der Befestigten Räume einzusehen, son-dern auch jede einzelne Gefechtsanlage und selbst die Richtungder Schießscharten, nach denen er unschwer die Feuerrichtungbestimmen konnte. Die Gefechtsanlagen an der Molotow-Linie

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waren weder durch Minenfelder noch durch Pioniersperren ge-schützt. Die Soldaten des Gegners konnten sich nach Beliebeneinen außerhalb des Feuerbereichs liegenden Sektor aussu-

Wenn für die neuen Befestigten Räume Waffenbedarf be-stand, dann war die sowjetische Industrie in der Lage, dieseWaffen zu produzieren, man hätte sie nur anzufordern brau-

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gchen, sich an die Stellungen heranarbeiten und die Schieß-scharten mit Sandsäcken verstopfen (wie es dann am 22. Juni1941 auch tatsächlich geschah).

Und schließlich wurden die Befestigten Räume der Molotow-Linie nicht in den Hauptangriffs richtungen, sondern auf Neben-

abschnitten errichtet. So verläuft zum Beispiel im Raum Brestdie Grenze gleich über mehrere Verkehrsverbindungen, hier lie-gen einige Grenzbrücken von vorrangiger Bedeutung, aber derBefestigte Raum Brest wird nicht im Bereich der Brücken, son-dern nördlich der Stadt angelegt, wo es weder Verkehrswegenoch Brücken gibt. Nicht nur aus taktischer, sondern auch ausstrategischer Sicht waren die neuen Befestigungen in Neben-abschnitten errichtet worden. 1941 wurden gigantische sowje-tische Panzerstreitkräfte, Artillerie sowie Luftlandekorps in derUkraine zusammengezogen und eine weniger kampfstarke

Gruppierung in Belorußland. Warum? Schukow sagt: Wir erwar-teten hier den Angriff. Träfe dies zu, dann hätte man auch Befe-stigte Räume in erster Linie in der Ukraine anlegen müssen underst an zweiter Stelle in Belorußland; aber über 2000 Gefechts-anlagen der Molotow-Linie waren für das Baltikum geplant (nur300 wurden tatsächlich gebaut). 2000 plangemäß - das warmehr als die Hälfte aller überhaupt vorgesehenen Anlagen.Doch in der Ukraine, wo man Schukows Beteuerungen zufolge»die deutsche Invasion erwartete«, war nur ein Siebentel derfür das Baltikum vorgesehenen Anzahl geplant. Warum?

4.Die kommunistischen Historiker umgehen schamhaft dieGründe für die Zerstörung der Stalin-Linie. Es gibt eine einzigeVersion, die man zudem nicht ernstnehmen kann: Für dieneuen Befestigten Räume habe man Waffen gebraucht, weshalbsie von der Stalin-Linie abgezogen werden mußten. So kann nur

 jemand antworten, der bewußt den Kern der Frage verdrehen will.

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chen . Dann hätten die neuen Befestigten Räume auch eine voll -kommen neue Waffenbestückung bekommen, während dasfrüher Produzierte ruhig in der Stalin-Linie bleiben mochte!Doch die sowjetische Industrie nahm die Waffenproduktion fürdie Befest igten Räume nicht wieder auf: Die einstigen Pro duk -

tionsstätten hatten Eilaufträge zur Herstellung von U-Boot-Kanonen erhalten.

Das Jahr 1940 hatte gezeigt, wie wichtig es war, nicht nurüber eine, sondern über zwei Verteidigungslinien zu verfügen.1940 hatte die Rote Armee unter blutigen Anstrengungen diefinnische Mannerheim-Linie durchbrochen, und damit war dersowjetisch-finnische Krieg beendet . Aber was wäre geschehen,wenn h inter der Mannerheim-Lin ie tief im Hinterland des finni-schen Territoriums noch eine zweite Linie existiert hätte? 1940hatten die deutschen Truppen die französische Maginot-Linie

seitlich umgangen. Stellen wir uns vor, was geschehen wäre,wenn im Hinterland auf französischem Territorium noch eineweitere Linie vorhanden gewesen wäre, die nicht umgangenwerden konnte. Doch weder in Frankreich noch in Finnlandhatte es eine solche zweite Linie im Hinterland gegeben. Stalindagegen besaß eine derartige Linie! Aber eben zu dieser Zeitwar er intensiv mit ihrer Auflösung beschäftigt.

Die kommunistischen Erklärungen für dieses seltsame Vor-gehen sind absolut inakzeptabel. Im Verteidigungsfall kann esgar keine überflüssigen Gefechtsanlagen geben, und ebenso-wenig veraltete. Dem Soldaten fällt es leichter, sich in einerFestung aus dem 19. Jahrhundert oder jedem beliebigen ver-flossenen Jahrhundert zu verteidigen als im freien Felde. Stehtdem Soldaten keine Festung zur Verfügung, wird er sich leichterin einem gemauerten Haus verteidigen als dort, wo es keineHäuser gibt. Im Abwehrkampf nutzt der Soldat jeden Grabenund jeden Granattrichter, um diese in eine uneinnehmbareFestung zu verwandeln.

Die Molotow-Linie hätte ein zusätzlicher Verteidigungs-

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gürtel sein können, aber sie war kein Ersatz für die Stalin-Linie.Werfen wir einen Blick auf eine beliebige Burganlage: Im Zen-trum steht ein Turm aus dem elften Jahrhundert, umgeben von

5.Um das Schicksal der Stalin-Linie zu verstehen, muß man in dasJahr 1927 zurückgehen, als der Entschluß zu ihrer Errichtung

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gMauern aus dem dreizehnten und Türmen aus dem fünfzehn-ten Jahrhundert, und rundherum wieder Bastionen aus demachtzehnten und schließlich Forts aus dem neunzehnten Jahr-hundert. Niemand war auch nur auf die Idee verfallen, beimBau einer neuen Verteidigungsanlage die alte zu vernichten.

Ein voller Beutel tut nicht weh, und überflüssige Mauern kannes im Verteidigungsfalle gar nicht geben, je mehr, um so besser,lieber zuviel, als zuwenig.

Die Zerstörung der Stalin-Linie konnte auch nicht die Folgeder Errichtung einer neuen Linie sein: Mit der Zerstörung hatteman fast ein Jahr vor Aufnahme der neuen Bauarbeiten begon-nen. Wer aber zerstört das Alte, ehe das Neue fertiggestellt,geschweige denn, wenn es noch gar nicht angefangen ist?

Die Verlagerung der Waffen aus den alten Befestigten Räu-men in die neuen Abschnitte ist nicht der Grund , es ist lediglich

eine Ausrede: In Belorußland hatte man beispielsweise an derMolotow-Linie 193 Gefechtsanlagen errichtet und mit Waffenbestückt, bis zu diesem Zeitpunkt aber in der Stalin-Linie be-reits 876 Gefechtsanlagen von größeren Abmessungen, besse-rer Qualität und hervorragender Tarnung von Waffen entblößtund gesprengt. In der Ukraine wurde noch weniger gebaut undnoch sehr viel mehr zerstört.

Und schließlich: Wenn man schon die Geschütze, Maschi-nengewehre und Periskope aus der Stalin-Linie abziehenmußte, wozu dann die Sprengung von Tausenden Tonnen Stahl-beton? In einem Verteidigungskrieg hätte die Stalin-Linie auchohne Waffenbestückung zu einem Gerüst werden können, umdas sich die 170 sowjetischen Divisionen der Ersten Strategi-schen Staffel zu einem tatsächlich unüberwindbaren Verteidi-gungsgürtel hätten formieren können. Doch die sowjetischenFührer hatten ganz offensichtlich keine Verteidigung im Sinn.

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gefaßt wurde, um von da aus ihre Bestimmung zu begreifen.Verteidigungsanlagen werden keineswegs ausschließlich zuVerteidigungszwecken gebaut. In einem Angriffskrieg sind sienicht minder nötig als im Verteidigungsfall. Für einen Über-raschungsangriff auf den Gegner müssen an der Staatsgrenze -

getarnt und in sehr schmalen Abschnitten - Angriffsgruppie-rungen von kolossaler Stoßkraft konzentriert werden. Zur Auf-stellung dieser Angriffsgruppierungen, zur Kräft ekonzentrie rungin bestimmten Abschnitten, müssen andere Abschnitte entblößtwerden. Es ist ein äußerst riskantes Unternehmen, und um dasRisiko möglichst niedrig zu halten, müssen rechtzeitig Befesti-gungen in den Nebenabschnitten angelegt werden. Die relativkleine Garnison eines Befestigten Raumes ist dann dank der ge-waltigen Feuerkraft im Verein mit Pioniersperren und festenDeckungen in der Lage, riesige Flächen zu verteidigen und zu

behaupten, und erlaubt somit, Feldeinheiten für den Angriff freizustellen. Der Hauptzweck der Stalin-Linie bestand darin,als sichere Aufmarschbasis fü r den »Befreiungs«-Feldzug nachEuropa zu dienen. Für den Vormarsch der sowjetischen Truppennach Westen hatte man die Durchlässe zwischen den BefestigtenRäumen bewußt vorgesehen.

Durch den Molotow-Ribbentrop-Pakt war die sowjetischeGrenze in Richtung Westen vorgeschoben worden, folglich warauch die Linie, von der aus die »Befreiung« erfolgen sollte, nachWesten vorgerückt, und die Stalin-Linie nützte niemandemmehr bei einem Angriffskrieg. Sie hätte auch in einem Verteidi-gungskrieg Verwendung finden können, aber eine derartigeMöglichkeit schloß man nach dem Molotow-Ribbentrop-Paktaus: Hitler hatte seinen Krieg im Westen bekommen, und nachStalins Auffassung konnte er nicht zusätzlich einen Krieg imOsten beginnen. Hätte sich Stalin auf eine Verteidigung einge-stellt oder einfach hinter seinen Befestigungen die Zeit absitzenwollen, dann hättte ihn die Stalin-Linie dabei nicht gestört, viel-mehr im Gegenteil eine Sicherheitsgarantie in einem Weltkrieg

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bedeutet, der bereits in Europa wütete. Aber Stalin dachte garnicht daran, sich zu verteidigen, so wie er auch nicht neutral zubleiben gedachte. Er mußte die »Befreiung« vorbereiten. Dafü r

Hin dru ck eines völligen Fehlens irgendwelcher Angriffsvor-bereit ungen unsererseits zu erwecken und ihm breit angelegteMaßnah men zur Errichtu ng von Verteidigungsstellungen, und

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waren vor allem mehr Durchlässe für die gewaltigen Massen so-wjetischer Truppen erforderlich, die im allerletzten Augenblickaus der Tiefe des sowjetischen Raumes hervorbrechen sollten.Zum zweiten aber mußte ein neuer Aufmarschplatz für den»Befreiungsfeldzug« geschaffen werden. Stalins Handlungs-

weise ist einfach und logisch: Zunächst wird die Stalin-Liniegesprengt, und ihre einsatzbereiten Gefechtsanlagen werdenzugeschüttet. Nach der so erreichten Erweiterung der Durchlässewird mit dem Bau der Molotow-Linie begonnen.

Die Stalin-Linie war in erster Hinsicht zur Angriffsvorberei-tung bestimmt, in zweiter Hinsicht für Verteidigungszwecke.Die Molotow-Linie dient nur dem Angriff. Aus eben diesemGrund halten ihre Befestigten Räume die Brücken und Ver-kehrswege für die Angriffslawine der sowjetischen Truppenoffen, während sie die dann entblößten Nebenabschnitte decken.

Eben deshalb werden die Gefechtsanlagen unmittelbar an derGrenze errichtet - nicht um passiv tief hinten im sowjetischenTerritorium zu bleiben, sondern um mit geballter Feuerkraft dieangreifenden sowjetischen Truppen zu unterstützen und denGegner daran zu hindern, seine Truppen von den Neben-abschnitten abzuziehen. Eben deshalb werden die Gefechtsstel-lungen nicht durch Minenfelder und Sperranlagen geschützt.Falls nötig, werden die sowjetischen Truppen das ganze Terri-torium als einen einzigen gigantischen Durchlaß nach Mittel-europa nutzen: Weshalb also den eigenen Truppen den Wegdurch eigene Minen und eigenen Stacheldraht versperren?

Schließlich und endlich fällt der Molotow-Linie noch eineweitere Rolle zu: Die Betonklötze, die man ohne jegliche Tar-nung an den Grenzflüssen errichtet, schreien gleichsam zuranderen Seite hinüber: »Wir bereiten uns auf eine Verteidigungvor, auf nichts anderes als Verteidigung!«

1939 hatte der große Schukow am Chalchyn-gol in einemÜberraschungsschlag die 6. japanische Armee auf diese näm-liche Weise vernichtet: »Wir waren bemüht, beim Gegner den

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g g g gzwar nur Verteidigungsstellungen, vorzuf ühren.« (G. K. Schu-kow, Erinnerungen und Gedanken. Moskau 1969, S. 161) DieTäuschung der Japaner gelang, die der Deutschen nicht. Sie ge-lang deshalb n icht, weil Deutschland zur selben Zeit dieselbenVorkehrungen ergriffen hatte, nur in geringerem Umfang und

deshalb mit einem gewissen zeitlichen Vorsprung. Vor jedemÜberraschungsschlag errichteten die deutschen Truppen eben-falls betonierte Verteidigungsanlagen fast unmittelbar an derGrenze an den Frontnebenabschnitten. Am 23. August 1939, alsSchukow seinen glänzenden Angriff in der Mongolei durch-führte und Molotow den Pakt zum Zweiten Weltkrieg unter-zeichnete, wurde der deutsche General H. Guderian zum Be-fehlshaber einer Organisation mit der Bezeichnung »Befesti-gungsstab Pommern« ernannt. Diese Organisation leitete denintensiven Ausbau von Verteidigungsanlagen an der polnischen

Grenze.Vor dem »Unternehmen Barbarossa« hatte die deutsche

Armee demonstrativ Verteidigungsanlagen an den unwichtigerenNebenabschnitten der sowjetisch-deutschen Grenze errichtet.Die Bauarbeiten wurden in einer Weise durchgeführt, daß diesowjetischen Grenztruppen die Verteidigungsanstrengungengut einsehen konnten. Und sie haben es beobachtet! An dendeutschen Betonbefestigungen an der neuen deutsch-sowje-tischen Grenze wurde bis unmittelbar vor dem 21. Juni 1941 ge-arbeitet, aber der Bau wurde nie abgeschlossen. Interessanter-

weise ist an der alten deutsch-polnischen Grenze entlang derOder in den dreißiger Jahren von der deutschen Wehrmachteine eindrucksvolle Linie von unterirdischen Festungsanlagenaus Stahlbeton errichtet worden; nach der Unterzeichnung desMolotow-Ribben trop-Paktes wurden ihre Garnisonen reduziertund später völlig aufgelöst. Deutschland ging ebenso wie die So-wjetunion zum Bau neuer, wesentlich leichterer Befestigungs-anlagen an der neuen Grenze über. Deutschland war so wie dieSowjetunion zu diesem Ze itpunkt ohne Verteidigungsgürtel: Die

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Befestigungen an der alten Grenze waren aufgegeben, an denenlängs der neuen Grenze wurde zwar demonstrativ gearbeitet,aber sie waren noch nicht fertiggestellt. Mit Angriffsplänen be-f ß h Hi l h hi i l i B f i l

PARTISANEN ODER DIVERSANTEN?

Hitler . . . wird seine Hauptst oßkraftnach Westen richten und Moskau

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faßt, hat Hitler ohnehin niemals seine Befestigungsanlagen ander Oder mit Truppen besetzt. Selbst im Januar 1945, als die so-wjetischen Truppen zum Herzen Deutschlands vorstießen, warendiese Forts genauso wie die Stalin-Linie nicht mit Truppenbelegt.

6.Lange Zeit später, Anfang der siebziger Jahre, hatte ich alssowjetischer Offizier Gelegenheit, die Verteidigungs- (oder bes-ser gesagt Angriffs-) Anlagen der Deutschen zu besichtigen, diesie am Ufer des San, des damaligen Grenzflusses, vor Beginndes »Unternehmens Barbarossa« errichtet hatten. Das erste,was in die Augen springt, ist die sehr geringe Tiefe der befestig-ten Abschnitte. Alles, was unmittelbar an der Grenze befestigtwerden konnte, ist erfaßt. Das ist schlecht für eine Verteidigung,

aber gut für den Angriff: Sobald die deutschen Truppen zurOffensive übergehen, werden diese Stellungen sie mit ihremFeuer unterstützen. Und auf dem sowjetischen Ufer? Genau diegleichen Beton-Blöcke. Und ebenfalls alles unmittelbar am Ufer.Die Konstruktion der Anlagen an beiden Ufern ist nahezuidentisch - würde man einem Experten Fotos vorlegen und ihnbitten, die deutschen und die sowjetischen Blöcke zu identifizieren,er könnte sie nicht unterscheiden. Mich interessierte die Panze-rung der deutschen Stellungen, ich maß sie nach - 200 mm. Füreinen Panzer ist das viel, für eine feste Anlage wenig. Die deut-sche Wehrmacht hatte ganz offensichtlich nicht vor, sich an die-ser Stelle lange zu verteidigen. Ich maß die Panzerung in densowjetischen Stellungen - 200 mm: wie Zwillinge.

Wenn Guderian seine Betonklötze unmittelbar an das Ufereines Grenzflusses setzen läßt, dann hat das keineswegs zubedeuten, daß er sich auch verteidigen will. Es bedeutet dasGegenteil. Wenn aber Schukow demonstrativ ebensolche Klötzean das Ufer desselben Flusses setzen läßt, was könnte dies wohlzu bedeuten haben?

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nach Westen richten, und Moskauwird voll die Vorteile dieser

Situation nutzen wollen. L Trotzki, 21. Juni 1939 (»Bulletin der 

Opposition« Nr. 79-80,5.14)

Nach der Unterzeichnung des Molotow-Ribbentrop-Paktes hattedie Sowjetunion mit der planmäßigen Beseitigung der neutra-len Staaten begonnen, um »sich zu dem Zeitpunkt in geballterMasse in Richtung auf die Grenzen Deutschlands zu bewegen,wenn das Dritte Reich in einen Kampf um die Neuordnung derWelt verwickelt ist«. (Trotzki) Die »Befreiungsfeldzüge« verlau-fen erfolgreich, aber in Finnland gerät dieser Rhythmus ausdem Takt. Wir wissen bereits, daß die Rote Armee dort auf den

finnischen Sicherungsstreifen stieß. Hier ein Bild von einerStandardsituation: Eine sowjetische Kolonne, bestehend ausPanzern, motorisierter Infanterie und Artillerie, rückt über eineStraße in einem Waldgelände vor. Rechts oder links von derStraße abzuweichen ist wegen der Minengefahr unmöglich. Vorder Kolonne eine Brücke. Die Pioniere haben sie überprüft -keine Minen. Die ersten Panzer rollen auf die Brücke und flie-gen mit ihr in die Luft: Die Sprengladungen waren schon beimBau in die Stützpfeiler eingelassen worden, sie zu entdecken istnicht einfach, aber selbst wenn diese Ladungen entdeckt wer-den, führt jeder Versuch, sie zu entfernen, zur Detonation. DerMarsch der sowjetischen Kolonne, die sich über viele Kilometerwie eine riesige Schlange hinzieht, ist also gestoppt. Jetzt sinddie finnischen Scharfschützen an der Reihe. Sie haben es nichteilig: zwei Schüsse peitschen. Und wieder Stille im Wald. Dannfallen erneut ein paar Schüsse. Die Scharfschützen schießenaus großer Entfernung. Sie zielen nur auf die sowjetischenKommandeure. Und auf die Kommissare. Den Wald zu durch-kämmen ist unmöglich: Wir erinnern uns - rechts und links vom

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Wege breiten sich unpassierbare Minenfelder aus. Jeder Ver-such der sowjetischen Pioniere, sich der gesprengten Brücke zunähern oder die Minen am Straßenrand unschädlich zu ma-h d i d i l S h ß i fi i h S h f

eigenen Landes noch zu Friedenszeit en leichte Partisanenabtei -lungen aufgestellt, um einer eventuellen Invasion des Gegnersbegegnen zu können? Die Westgebiete der Sowjetunion sind

h N d h ff hi i P i

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chen, endet mit dem gezielten Schuß eines finnischen Scharf-schützen. Die auf drei parallelen Straßen vor drei gesprengtenBrücken eingeschlossene 44. sowjetische Schützendivision ver-lor an einem einzigen Kampftag ihre sämtlichen Komman-deure. Nachts aber beharkt Granatwer ferfeuer die sowjetischen

Kolonnen aus einem fernen Waldstück. Ab und zu wird die wehr-lose Kolonne in der Nacht von einer langen Maschinengewehr-garbe von irgendwoher aus den Büschen bestrichen, und wie-der ist alles still.

Man sagt, die Rote Armee habe sich in Finnland nicht vonihrer besten Seite gezeigt. Es ist die reine Wahrheit. Aber stellenwir uns anstelle unserer sowjetischen Division eine Division

 jeder beliebigen anderen Armee vor. Was soll man tun in solcherSituation? Die Kolonne zurückziehen? Die schweren Artillerie-Zugmaschinen mit den riesigen Haubitzen im Schlepp können

ihre viele Tonnen schweren Lafetten nicht zurückstoßen. Unddie Scharfschützen halten auf die Fahrer der Zugmaschinen.Mühsam versucht die Kolonne mit eingelegtem Rückwärtsgangden Rückzug, da fliegt hinter ihr zu eben diesem Zeitpunkt nocheine Brücke in die Luft: Die Kolonne ist eingesperrt. Auch beidieser zweiten Brücke sind sämtliche Zugänge vermint, und dieScharfschützen haben es dort ebensowenig eilig. Ihre Ziele: dieKommandeure, die Kommissare, die Pioniere, die Fahrer. Weitvoraus die fast uneinnehmbare Linie der finnischen Befesti-gungen aus Stahlbeton - die Mannerheim-Linie. Ein Durch-

bruch ist ohne Artillerie, ohne Tausende Tonnen Munition un-möglich. Die sowjetischen Truppen haben sich in die finnischenBefestigungen verbissen, doch die schwere Artillerie ist weitzurückgeblieben, sie sitzt auf den Waldwegen fest, zwischenMinenfeldern und gesprengten Brücken, eingedeckt vom Feuerder Scharfschützen.

Sicher haben die sowjetischen militärischen Befehlshaberaus der in Finnland erteilten Lehre die entsprechenden Schlüssegezogen? Zweifellos haben sie doch in den Westregionen des

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schon von Natur aus dazu geschaffen, um hier einen Partisa-nenkrieg gegen die Verbindungswege eines nach Osten vor-rückenden Aggressors zu füh ren. Hat Stalin leichte beweglicheAbteilungen eingerichtet, die im Falle eines deutschen Angriffsin den Wäldern zurückbleiben sollen? Ja, Stalin hat solche Ab-

teilungen geschaffen. Das geschah bereits in den zwanzigerJahren. Allein in Belorußland gab es in Friedenszeiten sechsPartisanenabteilungen zu je 300 bis 500 Mann. Die geringe Zah-lenstärke sollte hier nicht irritieren. Die Abteilungen warenlediglich hinsichtlich der Kommandeure, Organisatoren understklassigen Spezialisten vollzählig ausgestattet. Jede Parti-sanenabteilung bildete in Friedenszeiten eine Art Kern, um densich unmittelbar nach Kriegsausbruch mächtige Partisanenein-heiten in einer zahlenmäßigen Stärke von einigen tausendMann formieren würden.

Für die Partisaneneinheiten waren zu Friedenszeiten in denundurchdringlichen Wäldern und auf kleinen Inseln inmittender endlosen Sümpfe unterirdische Bunker, Lazarette, Vorrats-lager, unterirdische Werkstätten zur Herstellung von Waffenund Munition angelegt worden. Allein in Belorußland hatte maniür den Fall eines Partisanenkrieges in unterirdischen Ver-stecken Waffen, Munition und Ausrüstungsgegenstände für50000 Partisanen eingelagert.

Für die Ausbildung der Partisanenführer, Organisatorenund Instrukteure waren heimlich Schulen geschaffen worden.Geheime wissenschaftliche Forschungszentren entwickeltenein Spezialinstrumentarium für den Partisanenkrieg: eine be-sondere Ausrüstung, Bewaffnung, Kommunikationsmöglich-keiten. Die Partisanen absolvierten regelmäßige Ausbildungs-lehrgänge, wobei als Gegner gewöhnlich Osnas-Divisionen desNKWD fungie r t en .

Außer den Partisaneneinheiten wurden kleine Untergrund-gruppen vorbereitet, die im Falle eines Angriffs nicht in die Wäl-der gehen, sondern in den Städten und Dörfern bleiben sollten,

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um sich dem Gegner zur Zusammenarbeit anzubieten, in seineDienste zu treten, und wenn sie erst sein Vertrauen gewonnenhatten ...

Derartige Vorbereitungen gab es nicht nur in Belorußland

und Sümpfe zu entgehen, zu denen der Gegner keinen Zuganghatte.

Jawohl, das alles hatte es gegeben: die Stalin-Linie, denSicherungsstreifen davor mit seinenriesigenverwüsteten Land

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Derartige Vorbereitungen gab es nicht nur in Belorußland,sondern auch in der Ukraine, auf der Krim, im Gebiet von Lenin-grad und in anderen Regionen. Neben den Aktivitäten derGeheimpolizei in diesem Sektor wurden dieselben Vorarbeitenparallel dazu, aber völlig unabhängig vom N K W D , durch die

sowjetische militärische Aufklärung geleistet: Geheime Stütz-punkte, Schlupfwinkel, konspirative Wohnungen und Anlaufstel-len, konspirative Nachrichtenverbindungen wurden vorbereitetund noch sehr vieles mehr getan. Die sowjetische militärischeAufklärung unterhielt ihre eigenen geheimen Schulen, ihreeigenen Organisatoren und Instrukteure.

Neben dem NKWD und der militärischen Aufklärung berei-tete die Kommunistische Partei viele ihrer Funktionäre in denWestgebieten des Landes auf den Übergang in die Illegalität imFalle einer gegnerischen Besetzung des Territoriums vor. Die

Kommunisten verfügten über alte konspirative Traditionen undverstanden, ihre Geheimnisse zu hüten. Die Traditionen der Un-tergrundarbeit in den zwanziger und dreißiger Jahren warengeblieben, und viele Parteiorganisationen konnten sich, fallsnotwendig, erneut in streng konspirative Zentren eines heim-lichen Kampfes verwandeln.

Vergessen wir nicht, daß die Partisanenabteilungen in dersogenannten Todeszone, im sowjetischen Sicherungsstreifen,aufgestellt wurden, in dem beim Abzug der sowjetischen Trup-pen alle Brücken gesprengt, sämtliche Tunnel verschüttet, dieEisenbahnknotenpunkte unbrauchbar gemacht werden sollten,die Weichen und sogar die Schienen und Telefonkabel zumAbtransport vorgesehen waren. Den Partisanen blieb lediglichdie Aufgabe, die Instandsetzung der schon zerstörten Objektezu verhindern. Die Partisanen waren praktisch unverwundbar,weil die Partisanenführer die Durchlässe in den riesigenMinenfeldern kannten, der Gegner jedoch nicht. Die Partisanenkostete es keine besondere Mühe, im Bedarfsfall jeder belie-bigen Verfolgung durch den Rückzug in die verminten Wälder

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Sicherungsstreifen davor mit seinen riesigen verwüsteten Land-strichen und den endlosen Minenfeldern und die Partisanen-abteilungen, die darauf vorbereitet waren, vom ersten Augenblickan in der verwüsteten Zone zu operieren. Sie alle zusammen-genommen stellten ein großartiges Verteidigungssystem der

Sowjetunion dar. Aber Hitler ist 1939 in eine äußerst heikle stra-tegische Situation geraten, die ihn zwingt, im Westen Krieg zuführen. Von diesem Augenblick an hat Stalin keine Verteidi-gungssysteme mehr nötig. Gleichzeitig mit der Stalin-Linie unddem Sicherungsstreifen wurden auch die sowjetischen Parti-sanenabteilungen aufgelöst, ihre Waffen, die Munition und derSprengstoff ausgelagert, die heimlichen Schlupfwinkel undMagazine zugeschüttet, die Partisanenstützpunkte zerstört. Alldas geschieht im Herbst 1939. In den letzten Herbsttagen aberbeginnt die Rote Armee mit dem »Befreiungsfeldzug« nach

Finnland und stößt hier auf dieselben Verteidigungselemente,die es bis vor kurzem auch in der Sowjetunion gab: eine befe-stigte Linie mit Anlagen aus Stahlbeton, einen Sicherungsstrei-fen davor und leichte partisanenartige Abteilungen, die in die-sem Streifen operieren. Hat Stalin vielleicht nach dieser hartenLehre in Finnland seine Meinung geändert und erneut Parti-sanenformationen in den Westregionen der Sowjetunion aufge-stellt? Nein, er änderte seine Meinung nicht, und er hat auch diePartisanenabteilungen nicht wieder aufgestellt.

Der 22. Juni 1941 bedeutete den Beginn zahlreicher Impro-visationen, darunter auch die Schaffung einer Partisanenbewe-gung. Ja, man hat sie erneut geschaffen! Sie ist entwickelt wor-den. Aber das geschah ganz intensiv erst 1943-44. Wäre sienicht 1939 aufgelöst worden, hätte sie von den ersten Kriegs-tagen an ihre ganze Schlagkraft entfalten können. Sie hätte umein Vielfaches ef fizienter sein können. Im Verlauf des Kriegeshatten die Partisanen einen hohen Blutzoll für jede gesprengteBrücke zu entrichten. Um eine Brücke zu sprengen, mußte siezuvor genommen werden, doch die Brücken waren bewacht,

125

die Bäume in der Umgebung abgeholzt und ringsum alles ver-mint. Und wo sollten die Partisanen den Sprengstoff herneh-men? Und selbst wenn er vorhanden war, wieviel konnte schoneine Partisanengruppe mit sich führen? Bei der Vorbereitung

mus , de r KGB-Obe r s t 5 . A . W a u p s c h a s , z u d e r Z e i t K om m a n d e u reiner Partisanenabteilung des NKWD in Belorußland, erklärtden Grund für die Zerschlagung der Partisanenformationen:

In jenen bedrohlichen Vorkriegsjahren hatte die Doktrin vom

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eine Partisanengruppe mit sich führen? Bei der Vorbereitungder Sprengung mußte die Sprengladung hastig auf die Brückengelegt, konnte sie nicht innerhalb der Stützpfeiler angebrachtwerden. Nach der Sprengung konnte der Gegner eine solcheBrücke rasch wieder instandsetzen, und die Partisanen mußten

von vorn beginnen. Während der Gegner diese eine Brücke re-parierte, blieben die übrigen Brücken intakt, und der Gegnerkonnte den Verkehrsfluß umdirigieren. Dabei war alles zurSprengung sämtlicher  Brücken vorbereitet gewesen; zu einerSprengung, bei der nichts zu reparieren übrigblieb; zu einerSprengung ohne Aderlaß auf Seiten der Partisanen. Die Spren-gung wäre durch einen einfachen Knopfdruck in einem gehei-men Partisanenbunker ausgelöst worden, und anschließendhätte man aus den unpassierbaren Minenfeldern heraus nurnoch mit Zielfernrohrgewehren die Offiziere, Pioniere, Fahrer

abzuschießen brauchen. Das völlige Fehlen von Brücken, Hun-derttausender und Millionen von Partisanenminen auf den Ver-kehrswegen, Hinterhalte und Scharfschützenterror von den er-sten Stunden der Invasion an hätten das Tempo des Blitzkriegesspürbar reduzieren können.

Wer aber hatte die sowjetische Partisanenbewegung nach  Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zerschlagen, und warum?

Einer der Väter des sowjetischen militärischen Terrorismus,der Oberst in der Hauptverwaltung Aufklärung Professor I. Sta-rinow, war in jenen Jahren Leiter einer Geheimschule, die dersowjetischen militärischen Aufklärung unterstellte Partisanen-gruppen ausbildete. In seinen großartigen Memoiren nennt derOberst den wahren Schuldigen: »Die sicher in der Erde verbor-genen Waffen und Sprengstoffe warteten auf ihre Stunde. Abernoch ehe diese Stunde kam, wurden die geheimen Partisanen-stützpunkte zerstört, zweifellos mit Wissen Stalins und wahr-scheinlich sogar auf seinen direkten Befehl.« (Die Minen wartenauf ihre Stunde, S. 40)

Einer der Veteranen des sowjetischen politischen Terroris-

126

»In jenen bedrohlichen Vorkriegsjahren hatte die Doktrin vomKrieg auf fremdem Boden die Oberhand gewonnen ... sie trugeinen klar umrissenen offensiven Charakter.« (An Alarmpunk-ten. Moskau 1971, S. 203)

Man mag dem KGB-Obersten zustimmen oder ihm wider-

sprechen, aber einen besseren Grund für die Zerschlagungder Partisanenformationen und deren Stützpunkte hat bisher

 jedenfalls noch niemand genannt.Es wäre falsch zu glauben, Stalin habe nach der Zerstörung

der Stützpunkte der Partisanen und ihrer Formationen 1939die Partisanenführer vorzeitig in Pension geschickt. In der So-wjetunion wurde nach dem Krieg eine Unmenge Materialienüber den Krieg und die ihm unmittelbar vorausgegangene Peri-ode veröffentlicht. In meiner eigenen Kollektion habe ich dieSchicksale Dutzender Menschen gesammelt, die bis 1939 dafür

ausgebildet wurden, im Falle eines Krieges in Partsanenforma-tionen in den Westregionen der UdSSR zu kämpfen. Nach 1939erlebten sie ein Standardschicksal: Entweder werden sie in dieOsnas-Einheiten des N K W D versetzt, oder sie bleiben in sehrkleinen Gruppen in der Nähe der sowjetischen Westgrenzen zuirgendeinem unverständlichen Zweck.

Stellvertretend seien hier die beiden eben erwähnten Ober-sten angeführt, zwei Veteranen, der eine aus der militärischenAufklärung, der andere ein Angehöriger der Geheimpolizei. Am21. Juni 1941 befindet sich Oberst Starinow in der GrenzstadtBrest im Bereich der Eisenbahnlinien, die zu den Grenzbrückenführen. Er ist nicht dort, um die Brücken in die Luft zu sprengen,das erwähnt er selbst. Bei der Abreise aus Moskau einige Tagezuvor hat te man ihm gesagt, daß es um Truppenübungen ginge;an der Grenze angekommen, erfährt er, daß keinerlei Übungenstattfinden werden ... In diesem Zusammenhang sei ein kleinesDetail erwähnt , auf das wir noch zurückkommen werden: Vomersten Kriegstag an hat Oberst Starinow als Fahrer einen Solda-ten namens Schleger, einen Mann deutscher Nationalität.

127

Der Tschekist S. Waupschas erlebte den Kri egsausbruchnicht in der Grenzregion, sondern bereits auf dem Territoriumdes Gegners! Waupschas - ein Mann mit einem erstaunlichenSchicksal - hatte jahrelang bis einschließlich 1926 in einer so-

WOZU HATTE STALINZEHN LUFTLANDEKORPS NÖTIG?

In den kommenden Kämpfen

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Schicksal hatte jahrelang bis einschließlich 1926 in einer sowjetischen »Partisanen«-Abteilung auf polnischem Territoriumgekämpft und Menschen um der Weltrevolution willen umge-bracht. Danach ist er einer der Leiter bei den großen GULag-Bauten. Später finden wir ihn in Spanien wieder, wo er das

Politbüro der Spanischen Kommunistischen Partei und den spa-nischen Sicherheitsdienst während des Bürgerkrieges bewachtund kontrolliert. Anschließend leitet Waupschas in der Sowjet-union eine Partisanenabteilung in Belorußland. Nach der Auf-lösung der für einen Verteidigungskrieg vorgesehenen Parti-sanenabteilungen erhält Waupschas das Kommando über einOsnas-Bataillon des NKWD und begibt sich in die »befreiten«Landstriche Finnlands. 1941 wird dieser Terrorist, Mitarbeiterder Straforgane und GULag-Aufseher auf das Territorium des»mutmaßlichen Gegners« zur Durchführung irgendeiner gehei-

men Mission abkommandiert.Hat man ihn dorthin vielleicht zu Verteidigungsaufgabengeschickt? Nein, nach dem 22. Juni 1941 wird er unverzüglichnach Moskau zurückbeordert.

128

In den kommenden Kämpfenwerden wir auf dem Territoriumdes Gegners operieren. So lauten

unsere Dienstvorschriften. Wir sindmilitärisch erzogen und richten uns

nach der Dienstvorschrift.Oberst A. L Rodim zew auf dem

18. Parteikongreß 1939

l.

Luftlandetruppen sind für Angriffsoperationen bestimmt. Dasist ein Axiom, das keines Beweises bedarf. Vor dem ZweitenWeltkrieg hat sich kaum jemand auf einen Angriffskrieg vor-bereitet, und da dem so war, sind Luftlandetruppen in vielen

Ländern nicht ausgebildet worden.Zwei Ausnahmen hat es gegeben. Auf Angriffskriege berei-tete sich Hitler vor, und 1936 schuf er die Luftlandetruppe. DieAnzahl der Fallschirmjäger in dieser Truppe betrug zu Beginndes Zweiten Weltkrieges 4000 Mann. Die zweite Ausnahme bil-dete Stalin. Er schuf seine Luftlandetruppe im Jahre 1930. ZuBeginn des Zweiten Weltkrieges besaß die Sowjetunion über eine Million ausgebildeter Fallschirmspringer.

Zählt man alle militärischen Fallschirmspringer der ganzenWelt bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zusammen, dannstellt sich heraus, daß die Sowjetunion ungefähr zweihundert-mal mehr  ausgebildete Fallschirmspringer als alle Länder derWelt einschließlich Deutschlands besaß.

Die Sowjetunion war das erste Land der Welt, in dem Luft-landetruppen aufgestellt wurden. Als Hitler an die Macht kam,verfügte Stalin bereits über mehrere Luftlandebrigaden. AlsHitler an die Macht kam, grassierte in der Sowjetunion bereitsdie Fallschirmspringerpsychose. Die ältere Generation erinnertsich noch an die Zeit, als es keinen einzigen Stadtpark ohne Fall-

129

schirmspringerturm gab, als das Fallschirmspringerabzeichenfür jeden jungen Mann zum absolut unentbehrlichen Symbolder Männlichkeit geworden war. Dieses Abzeichen zu erwerbenwar gar nicht so leicht Es wurde für echte Abspränge aus

Stahl zu verwenden. Doch die Ausbildung einer Million sowje-tischer Fallschirmspringer hatte mehr als Gold gekostet. Für dieAusbildung der Fallschirmspringer und die Bereitstellung derFallschirme hatte Stalin mit dem Leben einerRiesenzahl sowje

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war gar nicht so leicht. Es wurde für echte Abspränge ausdem Flugzeug verliehen, zu diesen Absprängen aber wurde nurzugelassen, wer zuvor die erforderlichen Leistungen im Laufen,Schwimmen, Schießen, Handgranatenwerfen nach Weite undZielgenauigkeit, bei der Überwindung von Hindernissen, im

C-Waffenschutz und in vielen anderen im Krieg erforderlichenFertigkeiten nachgewiesen hatte. Im Grunde genommen warendie Flugzeugabspränge die Schlußetappe der individuellenAusbildung des künftigen Kämpfers in der aus dem Luftraumeinsetzbaren Infanterie.

Um die Tragweite von Stalins Absichten richtig zu würdigen,muß man sich ins Gedächtnis rufen , daß die Fallschirmspringer-psychose in der Sowjetunion zur gleichen Zeit grassierte, als imLande eine entsetzliche Hungersnot herrschte. Die Kinder quol-len auf von Hungerödemen , aber Stalin verkaufte Getreide ins

Ausland, um Fallschirmtechnologie für die Sowjetunion einzu-handeln, um gewaltige Seidenkombinate und Fallschirmfabri-ken zu errichten, um das Land mit einem Netz von Flugplätzenund Fliegerklubs zu überziehen, um in jedem städtischen Parkdas Skelett eines Fallschirmspringerturms aufzurichten, umTausende von Instrukteuren auszubilden, um Anlagen zumTrocknen und Aufbewahren der Fallschirme zu bauen, um eineMillion wohlgenährter Fallschirmspringer heranzubilden undfür diese die notwendigen Waffen, Ausrüstungsgegenständeund Fallschirme bereitzustellen.

Im Verteidigungskrieg werden Fallschirmspringer nichtgebraucht. Fallschirmjäger im Verteidigungsfall als einfacheInfanteristen einzusetzen wäre dasselbe, als wollte man beieinem Bau goldene anstelle von stählernen Armiereisen ver-wenden: Gold ist weicher als Stahl. Die Fallschirmjägerabtei-lungen haben keine so schwere und starke Bewaffnung wie diegewöhnliche Infanterie, weshalb ihre Widerstandskraft im Ver-teidigungsfall deutlich niedriger als bei der einfachen Infante-rie liegt. Zudem wäre es viel zu kostspielig, Gold anstelle von

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Fallschirme hatte Stalin mit dem Leben einer Riesenzahl sowje -tischer Kinder gezahlt. Wofür hatte man die Fallschirmspringerausgebildet? Doch nicht, um die Kinder zu verteidigen, dieverhungert waren?

Die Kommunisten versichern, Stalin habe keine Kriegsvor-

bereitungen getroffen, aber in unserem Dorf in der Ukraineerinnern sich die Menschen einer jungen Frau, die ihre eigeneTochter getötet und gegessen hat. Man erinnert sich an sie, weilsie ihr eigenes Kind tötete. An diejenigen, die fremde Kindertöteten, denkt man nicht mehr. In meinem Dorf haben dieMenschen sämtliches Riemenzeug und die Stiefel gegessen, siehaben die Eicheln aus dem kümmerlichen Nachbarwäldchengegessen. Die Ursache dafür aber war, daß Stalin seine Kriegs-vorbereitungen traf. Er bereitete sich in einer Weise auf diesenKrieg vor wie noch niemand vor ihm. Im Verteidigungskrieg

allerdings erwies sich diese ganze Vorbereitung als unnötig.In einem Verteidigungskrieg braucht man keine Fallschirm- jäger im gegnerischen Hinterland abzusetzen, es ist einfacher,beim Abzug in den Wäldern Partisaneneinheiten zurückzulassen.

2.Man könnte mir entgegenhalten, diese Million StalinscherFallschirmspringer am Vorabend des Zweiten Weltkrieges seinur das Ausgangsmaterial für die Aufstellung von Kampfeinhei-ten. Solche Gruppen müssen aufgestellt und intensiv trainiertwerden. Denkt Stalin daran? Er tut es.

In den dreißiger Jahren werden die Westgebiete des Landeswiederholt Schauplatz von grandiosen Manövern. Jedes Manö-ver ist nur einem einzigen Ziel gewidmet - der Operation in dieTiefe, das heißt dem plötzlichen Vorstoß riesiger Panzermassenin eine gewaltige Tiefe. Das Szenarium ist stets einfach, abervon bedrohlichem Eindruck. Dem plötzlichen Vorstoß der Land-streitkräfte geht bei jedem Manöver ein nicht minder plötz-

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lieber und nicht minder vernichtender Angriff der sowjetischenLuftstreitkräfte auf die Flugplätze des »Gegners« voran, demdas Absetzen von Fallschirmjägern zur Eroberung der Flug-plätze folgt, und unmitte lbar nach der Welle der Fallschirmjäger

dann ihre Ladung abgesetzt, würde Deutschland ohne Erdöldagestanden haben, d. h. ohne den für den Krieg lebenswichtigen

Ro hs to f f .

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plätze folgt, und unmitte lbar nach der Welle der Fallschirmjägerwird in einem Luft landemanöver auf den eroberten Flugplätzendie zweite Welle der Luft lande truppen mit dem schweren Gerätangelandet.

Im Jahre 1935 war bei den berühmten Kiewer Manövern im

Verlauf einer beeindruckenden Operation einem Fallschirm-  jägerabsprung in Stärke von 1200 Mann unmittelbar ein Luft-landemanöver mit 2500 Mann und schweren Waffen einschließ-lich Artillerie, Panzerwagen und Panzern gefolgt.

Im Jahre 1939 waren in Belorußland bei der Durchführungder gleichen Angriffsoperation 1800 Fallschirmjäger abgesetztworden, gefolgt von einem Luftlandemanöver mit 5700 Mannund schweren Waffen. Im selben Jahr war während der Angriffs-manöver des Militärbezirks Moskau die gesamte 84. Schützen-division in voller Stärke in einem kombinierten Luftlandemanöver

angelandet worden.1938 läßt Stalin im Hinblick auf die künftigen »Befreiungs-feldzüge« sechs zusätzliche Luftlandebrigaden in einer Gesamt-stärke von 18000 Fallschirmjägern aufstellen. 1939 werden auf Stalins Geheiß die Partisanenstützpunkte zerstört und ihre For-mationen aufgelöst, doch dafür werden neue Luftlandeein-heiten aufgestellt: Regimenter und selbständige Bataillone. ImMilitärbezirk Moskau werden zum Beispiel drei Regimenter ge-bildet, jeweils aus drei Bataillonen bestehend, und mehrereselbständige Bataillone zu je 500 bis 700 Fallschirmjägern.

Im Juni 1940 werden sowjetische Luftlandebrigaden erst-mals in Gefechtslage aus der Luft abgesetzt: die 201. und204. Brigade in Rumänien (Bessarabien), die 214. in Litauen ander ostpreußischen Grenze. Beide Luftlandeoperationen, be-sonders die in Rumänien, beunruhigten Hitler ernsthaft. Diegesamte deutsche Wehrmacht ist zu der Zeit in Frankreich zu-sammengezogen, die Erdöllieferungen erfolgen aus Rumänien.Wären die sowjetischen Transportmaschinen noch 200 km wei-ter geflogen (woran sie niemand gehindert hätte) und hätten

132

3.1940 hatte Stalin sämtliche neutralen Staaten, die die tren-nende Barriere gebildet hatten, beseitigt und war überall, wosich dies als möglich erwies, unmittelbar an die Grenzen

Deutschlands vorgerückt. Nun hätte Stalin eigentlich die Zahlseiner Luftlandeeinheiten reduzieren müssen, denn weiter inRichtung Westen ist nur noch Deutschland und die mit ihm ver-bündeten Staaten übriggeblieben - mit Deutschland aber hat ereinen Nichtangriffspakt unterzeichnet.

Doch Stalin löste seine Luftlandeeinheiten nicht auf. ImGegentei l: Im April 1940 hat die Sowjetunion heimlich fünf Luft-

landekorps aufgestel lt, und zwar durchweg in den Westgebietendes Landes.

Um diese Tatsache richtig einzuordnen, sollte man sich be-

wußt machen, daß es am Ende des 20. Jahrhunderts auf unse-rem ganzen Planeten keine einzige Einheit gibt, die mit vollemRecht die Bezeichnung Luftlandekorps verdiente. Ein Korps -das ist zu viel und zu teuer, um in Friedenszeiten unterhalten zuwerden.

Die Luftlandekorps verfügten neben der Luftlandeinfanterieüber eine beachtlich starke Artillerie und sogar Bataillone mitleichten Schwimmpanzern.

Sämtliche Luftlandekorps waren so nahe der Grenze auf-gestellt worden, daß sie ohne zusätzliche Verlegung von ihremStandort aus auf dem gegnerischen Territorium abgesetzt wer-

den konnten. In sämtlichen Korps wurde die bevorstehendeLuftlandeoperation intensiv geübt. Sämtliche Korps waren inden Wäldern fern von unerwünschten Einblicken konzentriert.Dabei konnte das 4. und 5. Korps ohne vorherige Verlegung un-mittelbar gegen Deutschland eingesetzt werden, das 3. Korps ingleicher Weise gegen Rumänien, das 1. und das 2. Korps warohne Verlegung sowohl gegen Deutschland wie auch gegenRumänien einsetzbar und sogar gegen die Tschechoslowakei

133

oder Österreich, um im Gebirge die Erdöltransportadern ausRumänien nach Deutschland zu unterbinden .

Am 12. Juni 1941 wird in der Roten Armee die Führung derLuftlandetruppen eingerichtet, und im August werden weitere

zendivisionen vorbereitet. So wurde zum Beispiel im Verlauf einer Truppenübung des Militärbezirks Sibirien am 21. Juni1941 eine dafür speziell ausgebildete Division im Rücken des»Gegners« durch eine Luftlandeoperation abgesetzt. Bis dahin

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fünf Luftlandekorps aufgestellt. Dabei sei darauf hingewiesen,daß die zweite Serie von Luftlandekorps keine Antwort auf diedeutsche Invasion gewesen ist. Im Verteidigungskrieg ist derEinsatz derartiger Massen von Fallschirmtruppen unmöglich.

Von sämtlichen Korps der zweiten Serie nahm kein einzigeswährend des Krieges seiner eigentlichen Bestimmung entspre-chend an den Kampfhandlungen teil. Aus der ersten Seriewurde ein einziges Korps ein einziges Mal seiner ursprüng-lichen Bestimmung gemäß während des Gegenangriffs vor Mos-kau eingesetzt. Hier ist zu ergänzen, daß noch eine dritte Serievon Luftlandekorps existierte, von denen eines 1943 in einemLuftlandeunternehmen eingesetzt wurde.

Bei der Aufstellung der fünf Korps der zweiten Serie war dieWirkung des Trägheitsmomentes innerhalb der Roten Armee

zum Tragen gekommen: Die Entscheidung über die Aufstellungder Korps war vor der deutschen Invasion gefallen, und späterhatte man einfach vergessen, den Beschluß rückgängig zu ma-chen. In jedem Falle waren die Fallschirme, die Bewaffnungund die Fallschirmjäger selbst für die zweite Serie von Luft-landekorps vor der deutschen Invasion bereitgestellt.

Außer den Luftlandekorps, -brigaden und -regimentern gabes innerhalb der normalen sowjetischen Infanterie eine großeMenge von Fallschirmjägerbataillonen. Marschall der Sowjet-union I. Ch. Bagramjan berichtet zum Beispiel von der inten-siven Ausbildung einiger Fallschirmjägerbataillone Anfang Juni1941, die zum 55. Schützenkorps gehörten, das zu der Zeitunmittelbar an der rumänischen Grenze lag. Aus BagramjansBeschreibung und Schilderungen anderer Quellen geht hervor,daß das 55. Schützenkorps (die Rote Armee verfügte insgesamtüber 62) keine Ausnahme darstellte, sondern eher die Regel.

Neben reinen Fallschirmjägereinheiten wurden für denTransfer auf dem Luftwege in das Hinterland des Gegners unddas Anlanden aus der Luft auch mehrere gewöhnliche Schüt-

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waren sämtliche Experimente mit dem Absetzen sowjetischerTruppen aus der Luft hauptsächlich in den Westgebieten desLandes durchgeführt worden. Weshalb nun auf einmal derartigeExperimente in Sibirien? Nun, eben deshalb, weil alle Truppen

des Militärbezirks Sibirien zu diesem Zeitpunkt bereits insge-heim zur 24. Armee zusammengefaßt sind, die an der deut-schen Grenze auftauchen soll. Die Armee führt die letzten Trup-penübungen vor der Verladung in die Transportzüge durch. DieZielsetzung der Gefechtsausbildung dieser Armee bedarf keinesKommentars.

Zusammenfassend sei noch einmal betont, daß zu keineranderen Zeit irgendein Land, ja nicht einmal alle Staaten ein-schließlich der Sowjetunion insgesamt, über so viele Fallschirm-

  jäger und Luftlandeeinheiten verfügt haben, wie sie Stalin imJahre 1941 besaß. Rechnet man sämtliche Luftlandetruppender Welt einschließlich der Sowjetunion am Ende des 20. Jahr-hunderts zusammen, so ergibt das nur 13 Divisionen (davonsind acht sowjetisch).

Die Gründe, die Stalin zur Aufstellung solcher Massen vonLuftlandetruppen veranlaßten, und insbesondere der explosions-artige Prozeß der Formierung extrem starker Luftlandekorps1941 harren noch ihrer Untersuchung und Erklärung.

4.Beim Sammeln des Materials über die sowjetischen Luftlande-truppen, die in der ersten Hälfte des Jahres 1941 aufgestelltwurden oder deren Entfaltung in der zweiten Hälfte desselbenJahres vorgesehen war, stieß ich auf ein interessantes Detail.Jeder sowjetische Kommandeur im Range eines Obersten oderGeneralmajors, der zu dieser Zeit bei den Luftlandetruppenstand oder sich auf die dortige Verwendung vorbereitete, hattein seiner nächsten Umgebung Soldaten oder Unteroffiziere

135

deutscher Abstammung. Bei dem einen Kommandeur diente einDeutscher als persönlicher Fahrer, bei einem anderen als Or-donnanz, bei einem dritten als Melder. Jeder Kommandeur be-richtet es als kleines, nettes Detail: Sieh einmal an, heißt es da,

ihn fast jeden Tag nach Hause. Das heißt, daß wir uns alle inKonversation übten. Und zu Kriegsbeginn sprach er bereit s flie-ßend Deutsch.«

Die Verbindungen von der Roten Armee zu den deu tschen

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die Deutschen haben den Krieg angefangen, und ich habe einenDeutschen als Fahrer, aber der ist ein braver Bursche, diszipli-niert und anhänglich. So hat z. B. Oberst K. Stein, Kommandeurder 2. Brigade des 2. Luftlandekorps, einen Deutschen als

Ordonnanz. Der Kommandeur der 5. Brigade des 3. Luftlande-korps, Oberst A. Rodimzew, hat einen deutschen Fahrer. Es istübrigens derselbe Rodimzew, der auf dem Parteikongreß getönthatte, die Rote Armee würde nur auf dem Territorium des Geg-ners kämpfen. Ich hatte Gelegenheit, eine Rede von Rodimzewzu hören, als er bereits Generaloberst war. Ein sehr gescheiterGeneral. Es waren seine Gardesoldaten gewesen, die 1942 dieletzten Häuser Stalingrads unmittelbar an der Wolga hielten.Seine Brigade mußte so wie alle anderen im Laufe des Verteidi-gungskrieges in gewöhnliche Schützendivisionen übergeführt

werden, sie mußte ihre Fallschirme abliefern, statt dessen ver-teidigungstauglichere Waffen in Empfang nehmen, und diesehaben sich bei der Verteidigung nicht schlecht bewährt. Aber1941 denken weder Rodimzew noch seine Untergebenen an Ver-teidigung. Sie haben keine Verteidigungswaffen, sind in der Ver-teidigung nicht ausgebildet, wohl aber in offensiver Taktik, undsie haben Fallschirme.

Anfang 1941 braucht Stalin Luftlandetruppen, Luftlande-truppen und nochmals Luftlandetruppen. Viele höhere sowje-tische Offiziere und Generale wechselten kurzfristig ihre Be-rufssparte. Besonders viele Kommandeure von der Kavalleriekamen zu den Luftlandetruppen, auch der eben erwähnte Ro-dimzew. Viele Kavalleriekommandeure stellten sich darauf ein,die überlebte Kavallerie zu verlassen und zu den Luftlande-streitkräften zu gehen, aber dafür brauchte man natürlichDeutschkenntnisse. So erzählt zum Beispiel die Witwe des Ka-valleriegenerals Lew Dowator in der Armeezeitung »RoterStern« vom Jahresanfang 1941: »In unserem Regiment hattenwir einen Deutschen. Von nun an brachte Lew Michailowitsch

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Kommuni sten sind alt und eng. Ernst Thälmann selbst hatte beiseiner Ankunft in der Sowjetunion keine Hemmungen gehabt,in sowjetischer Militäruniform aufzutreten. Walter Ulbrichtwurde als Kämpfer in der sowjetischen 4. Schützendivision

»Deutsches Proletariat« geführt. Aber das ist gewissermaßendie Vorzeigeseite. Es gab auch eine andere, die ein Außenste-hender nicht so ohne weiteres überschaut. Bereits 1918 war inder Sowjetunion unter der Leitung des deutschen KommunistenOskar Obert die »Sonderlehranstalt der deutschen roten Kom-mandeure« gegründet worden. Diese Lehranstalt wechselteihre Bezeichnungen, war bald eine geheime Institution, dannwieder trat sie ganz öffentlich in Erscheinung, ein andermalwar sie wieder geheim. Die Schule hat nicht wenige Truppen-kommandeure deutscher Nationalität ausgebildet. Einige Absol-venten brachten es bis zu Generalsrängen innerhalb der RotenArmee. Anfang 1941 zog es viele Absolventen dieser und ande-rer ähnlicher Schulen unter die Kriegsfahnen der sowjetischenLuftlandekorps.

Eine aufmerksame Beschäftigung mit den Publikationenüber die 1941 aufgestellten Luftlandekorps legt die Vermutungnahe, daß die Anzahl der Soldaten, Unteroffiziere und Offizieremit klar erkennbaren deutschen Familiennamen in diesenFormationen, gelinde ausgedrückt, oberhalb der üblichen Normlag.

137

DER FLUGFÄHIGE PANZER

Die Fliegerkräfte sind auf denFlugplätzen niederzuhalten und zu

i h D E f l i

er dann nicht die besten Köpfe zur Entwicklung von Sportfahr-rädern abstellen können?

Die militärische Zielsetzung in der sowjetischen Segelfliege-rei steht außer Diskussion. Noch ehe Hitler an die Macht ge-l i d S j i d L l d W l

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vernichten ... Der Erfolg einerBekämpfung auf den Flugplätzen

hängt vom Grad des Überraschungs-charakters der Aktion ab. Wichtig

ist, daß die Fliegerkräfte auf denFlugplätzen angetroffen werden. Marschall der Sowjetunion L S. Konew(»Militärhistorische Zeitschrift« 1976,

 Nr. 7, 5. 75)

l.

Die Ausbildung von Hunderttausenden von Fallschirmspringernund die Bereitstellung der Fallschirme für sie ist nur ein Teil derAufgabe: Gebraucht werden auch Militär-Transportmaschinenund Lastensegler. Die sowjetischen Führer hatten dies ausge-zeichnet begri ffen, weshalb auch die Fallschirmspringerpsychosein den dreißiger Jahren von einer Segelfliegerpsychose beglei-tet war. Die sowjetischen Segelflieger und ihre Flugzeuge hattendabei durchaus Weltniveau oder übertrafen dieses sogar. Es ge-nügt, daran zu erinnern, daß zu Beginn des Zweiten Weltkriegsvon 18 Weltrekorden in der Segelfliegerei 13 von der Sowjet-union gehalten wurden.

Die besten Konst rukteure der sowjetischen Kampfflugzeugewaren zeitweise von ihrer Hauptbeschäf tigung abgezogen wor-

den, um Segelflugzeuge zu konstruieren. Selbst der künftigeSchöpfer des ersten Sputnik, Sergej Koroljew, wurde auf dieEntwicklung von Segelflugzeugen angesetzt. Er war im übrigenauf diesem Gebiet ausgesprochen erfolgreich. Wenn die Kon-strukteure von Kampfflugzeugen und Raketen zur Entwicklungvon Segelflugzeugen herangezogen wurden, dann geschah diesganz offensichtlich nicht einfach um irgendwelcher Weltrekordewillen. Wäre es Stalin nur um Rekorde gegangen, warum hätte

138

langte, war in der Sowjetunion der erste Lastensegler der Welt,der G-63, von dem Konstrukteur B. Urlapow entwickelt worden.Später wurden in der Sowjetunion schwere Gleitflugzeuge kon-struiert, die in der Lage waren, je einen Lastkraftwagen zu be-

fördern. P. Gorochowski entwickelte ein aufblasbares Segelflug-zeug aus Gummi. Nach dem Absetzen ihrer Ladung im Rückendes Gegners konnten mehrere dieser Segelflugzeuge in ein ein-ziges Transportflugzeug verladen und auf eigenes Gebiet füreinen erneuten Einsatz zurückbefördert werden.

Die sowjetischen Generale träumten nicht nur davon, Hun-derttausende Infanteristen aus der Luft in Westeuropa abzu-setzen, sondern auch Hunderte oder möglichst Tausende vonPanzern. Sowjetische Konstrukteure suchten angestrengt nacheinem Weg, diesen Traum auf die einfachste und billigste Weisezu verwirklichen. Oleg Antonow, derselbe Konstrukteur, derspäter die größten Militärtransportflugzeuge der Welt entwickelnsollte, schlug vor, einen gewöhnlichen serienmäßigen Panzermit Flügeln und Leitwerk auszustatten und dabei die Panzer-wanne als Skelett für diese ganz erstaunlich einfache Konstruk-tion zu nutzen. Das System erhielt die Bezeichnung KT (zurussisch: Krylja Tanka = Flügel des Panzers). Die Seilzüge vonHöhen- und Seitenruder wurden an der Panzerkanone befestigt.Die Panzerbesatzung steuerte den Flug von innen durch Dre-hung des Turms und Änderung des Anstellwinkels seines Kano-nenrohrs. Die ganze Konstruktion zeichnete sich durch ver-

blüffende Einfachheit aus. Natürlich war das Risiko bei einemFlug in diesem Panzer ungewöhnlich hoch, aber ein Menschen-leben war in der Sowjetunion noch billiger als die Flügel diesesPanzers.

Die exzellenten westlichen Panzerexperten Steven J. Zalogaund James Grandsen bringen in ihrem Buch »Soviet Tanks andCombat Vehicles of World War Two« (London 1984) eine Abbil-dung des Panzers mit Flügeln und Flugzeugheck.

139

Vor der Landung des Panzers wurde das Triebwerk angelas-sen, und die Raupenketten begannen sich in Höchstgeschwin-digkeit zu drehen. Der KT landete auf seinen eigenen Kettenund bremste nach und nach ab. Anschließend wurden Flügel

d L it k b f d d Fl d lt

Im Januar 1940 wurde auf Beschluß des Zentralkomitees(d. h. Stalins) innerhalb des Volkskommissariats für die Flug-zeugindustrie eine Verwaltung für die Produktion von Lasten-seglern eingerichtet. 1940 war ein Jahr intensiver Vorberei-t b it d i F ühj h 1941 b di B t i b

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und Leitwerk abgeworfen, und der Flugpanzer verwandeltesich wieder in einen gewöhnlichen Panzer.

Oleg Antonow hatte sich bei der Entwicklung des Flug-panzers im Hinblick auf den Zeitpunkt des Kriegsausbruchs ver-

spätet, und dieser Krieg hatte auch nicht in der von Stalin vor-gesehenen Weise begonnen, weshalb sich der Flugpanzer alsebenso unnötig erwies wie Stalins immense Luftlandetruppe.

2.Den sowjetischen Segelflugzeugkonstrukteuren unterliefenFehler, sie erlebten Mißerfolge, es gab Rückschläge und Nieder-lagen. Aber ihre Erfolge sind nicht zu bestreiten. Als die Sowjet-union in den Zweiten Weltkrieg eintrat, besaß sie weit mehrSegelflugzeuge und -flieger als die gesamte übrige Welt. Allein1939 wurden gleichzeitig 30000 Mann als Segelflugpiloten aus-gebildet. Die Technik des Segelfliegens erreichte dabei häufigein sehr hohes Niveau. So wurde zum Beispiel 1940 in derUdSSR ein Gruppenflug von elf Segelflugzeugen im Schleppeines einzigen Motorflugzeuges vorgeführt.

Stalin tat alles, um seine Segelflieger mit einer ausreichen-den Anzahl von Segelflugzeugen zu versorgen. Natürlich ist hiernicht die Rede von einsitzigen Sportmaschinen, sondern solchenSeglern, die ganze Luftlandetrupps aufnehmen konnten.

Ende der dreißiger Jahre standen gleichzeitig über zehn

Konstruktionsbüros in hartem Konkurrenzkampf um die Kon-struktion des besten Lastenseglers für Luftlandeunternehmen.Oleg Antonow entwickelte außer seinem Flugpanzer den mehr-sitzigen Luftlandesegler A-7. W. Gribowski konstruierte dengroßartigen Luftlandesegler G-11. D. Kolesnikow baute den La-stensegler KZ-20, der zwanzig Soldaten befördern konnte, undG. Korbula arbeitete an der Entwicklung eines Riesenlasten-seglers.

140

tungsarbeiten, und im Frühjahr 1941 begannen die Betriebe,die dieser Verwaltung unterstellt waren, mit dem Massenaus-stoß von Lastenseglern.

Damit sind wir bei einem recht interessanten Aspekt ange-

langt: Die im Frühjahr 1941 ausgelieferten Lastensegler hätteman im Sommer 1941 einsetzen können, oder spätestens imFrühherbst desselben Jahres. Die Lagerung dieser Lastenseglerbis 1942 war bereits unmöglich. Sämtliche Hangare - von de-nen es in der Sowjetunion nicht allzu viele gab - waren längstmit den bereits früher produzierten Lastenseglern überfüllt.Die Lagerung eines riesigen Lastenseglers unter freiem Himmelwar jedoch angesichts der herbstlichen Regenfälle und Stürme,bei Frost oder unter der Last tonnenschwerer Schneemassenschlechthin unmöglich.

  Die Massenproduktion von Lastenseglern im Jahr 1941macht die Absicht ihres Einsatzes 1941 deutlich. Hätte Stalinseine etlichen Hundert tausende von Luftlandesoldaten in West-europa 1942 absetzen wollen, würde der Massenausstoß vonLastenseglern für das Frühjahr 1942 geplant worden sein.

3.Ein Lastensegler dient zur Beförderung von Lasten und Grup-pen von Luftlandesoldaten ohne Fallschirm. Mit Fallschirmenausgerüstete Luftlandetruppen werden mit Militärtransport-

maschinen in das Hinterland des Gegners gebracht. Das besteMilitärtransportflugzeug der Welt zu Beginn des Zweiten Welt-kriegs war die legendäre amerikanische C-47. Logischerweisesollte man annehmen, daß der Sowjetunion bei Kriegseintritt -wenn schon die beste Transportmaschine in den USA entwickeltworden ist und die Sowjetunion daher nicht den ersten Platzeinnehmen konnte - zumindest der zweite Platz gebührte.

Eine derartige Annahme wäre falsch, weil eben dieses groß-

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artige Flugzeug, wenn auch unter anderem Namen, die Basisder sowjetischen Transportfliegerkräfte darstellte. Die Regie-rung der USA hatte aus irgendeinem G rund noch vor Kriegsaus-bruch Stalin die Herstellungslizenz dafü r verkauft und die erfor-derliche Menge an komplizierter Ausrüstung dazu Stalin

sowjetischen Luftherrschaft realisierbar war. Die Zeitung »RoterStern« vom 2 7. September 1940 sprach offen und direkt davo n,daß das Absetzen solcher Massen von Luftlandetruppen ohnevorherige Erlangung der Lufther rschaft nicht möglich ist.

Das grundlegende streng geheime Dokument das die Ope-

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derliche Menge an komplizierter Ausrüstung dazu. Stalinschöpfte die gebotenen Möglichkeiten voll aus: Die C-47 wurdein der UdSSR in so großen Serien produziert, daß einige ameri-kanische Experten davon ausgehen, die UdSSR habe zu Kriegs-beginn mehr Flugzeuge dieses Typs besessen als die USA.

Außer der C-47 verfügte die Sowjetunion noch über einigehundert veralteter strategischer Bomber vom Typ TB-3, die zuMilitärtransportmaschinen umfunktioniert worden waren. Allegroßen Luftlandeübungen in den dreißiger Jahren waren mitTB-3-Maschinen durchgeführt worden. Sie waren in ausrei-chender Menge vorhanden, um gleichzeitig einige tausend Fall-schirmjäger und schwere Waffen einschließlich leichter Panzer,Panzerspähwagen und Artillerie befördern zu können.

4.Wie viele Transportmaschinen Stalin aber auch immer bauenließ, sie hätten in jedem Falle permanent Tag und Nacht meh-rere Wochen hindurch und sogar monatelang im Einsatz seinmüssen, um in vielen Flügen zunächst die große Masse der so-wjetischen Luftlandetruppen im Rücken des Gegners abzuset-zen und diese anschließend dort zu versorgen. Damit entstanddas Problem, wie die Militärtransportmaschinen während desersten Einsatzes für einen zweiten Einsatz zu sichern seien undwährend des zweiten Einsatzes für die nächstfolgenden Flüge.

Die Verluste an Flugzeugen, Lastenseglern und Luftlandetrup-pen konnten bereits während des ersten Einsatzes ungeheuer-lich groß sein, die Verluste während des zweiten Einsatzes mög-licherweise noch größer, da nun das Überraschungsmomentfehlte.

Die sowjetischen Generale hatten dies alles sehr wohl be-griffen. Es lag auf der Hand, daß massiertes Absetzen von Fall-schirmjägern nur unter der Voraussetzung einer absoluten

142

Das grundlegende, streng geheime Dokument, das die Operationen der Roten Armee im Kriegsfall regelte, war die Feld-dienstvorschrift PU (von russisch: Polewoi ustaw). Zu der Zeitwar die Felddienstvorschrift von 1939 in Kraft: PU-39. DieseVorschrift besagt eindeutig und klar, daß die Durchführung ei-ner »Operation in die Tiefe« im allgemeinen, und das massierteAbsetzen von Luftlandetruppen im besonderen, nur unter derVoraussetzung einer vorherigen Erringung der Luftherrschaftdurch die sowjetischen Luftstreitkräfte durchgeführt werdenkann. Die Felddienstvorschrift wie auch die Gefechtsfliegervor-schriften und die »Instruktion für selbständige Einsätze derFliegerkräfte« sahen für die Anfangsphase des Krieges dieDurchführung einer großangelegten strategischen Operationzum Niederhalten der Fliegerkräfte des Gegners vor. An einerderartigen Operation sollten nach den Vorstellungen der sowje-

tischen Führung die Fliegerkräfte mehrerer Fronten, Flotten,die Fliegerkräfte des Oberkommandos und sogar die Jagdfliegerder Luftverteidigung teilnehmen. Den entscheidenden Garan-ten für den Erfolg der Operation sahen die sowjetischen Vor-schriften in ihrem Überraschungsmoment. Die überraschendeOperation zur Zerschlagung der Fliegerkräfte des Gegnerssollte »im Interesse des Krieges insgesamt« durchgeführt wer-den. Mit anderen Worten: Der Überraschungsangriff auf dieFlugplätze mußte so massiv ausfallen, daß sich die Luftstreit-kräfte des Gegners bis zum Kriegsende nicht wieder davon er-

holen würden.Im Dezember 1940 erörterten die höchsten Offiziere derRoten Armee in Anwesenheit Stalins und der Mitglieder des Po-litbüros in geheimer Beratung bis ins Detail gerade derartigeOperationen. Im sowjetischen Jargon waren das »Sonderopera-tionen in der Anfangsphase des Krieges«. Der Befehlshaber dersowjetischen Luftstreitkräfte, P. Rytschagow, unterstrich besondersdie Notwendigkeit einer sorgfältigen Tarnung der vorbereit enden

143

Maßnahmen zur Durchführung des Überraschungsangriffs durchdie sowjetischen Luftstreitkräfte, um »die gesamten Fliegerkräftedes Gegners auf den Flugplätzen anzutreffen«.

Es ist völlig klar, daß dieses »Antreffen der Fliegerkräfte desGegners auf den Flugplätzen« im Krieg nicht möglich ist. Das

BIS NACH BERLIN!

Die Rote Arbeiter- und Bauern-armee wird die aggressivste von

allen jemals dagewesenen

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Gegners auf den Flugplätzen« im Krieg nicht möglich ist. Dasgelingt nur in Friedenszeiten, wenn der Gegner mit keiner Be-drohung rechnet. Man kann nicht zuerst einen Krieg beginnenund hernach einen Überraschungsschlag gegen die Mehrzahlder Flugplätze in der Hoffnung führen, die gesamte Luftflotteauf ihren Liegeplätzen zu treffen, aber man kann einen solchenSchlag in Friedenszeiten führen, und dieser Schlag erst wirdden Krieg auslösen.

Stalin hatte so viele Luftlandetruppen aufgestellt, daß ihrEinsatz nur in einer einzigen Situation erfolgen konnte: Die Rote

  Armee mußte den Krieg überraschend und unter Bruch des ge-schlossenen Vertrages durch einen Angriff ihrer Luftstreitkräfteauf die Flugplätze des Gegners beginnen. In jeder anderen Si-tuation war der Einsatz Hunderttausender Luftlandesoldatenund Tausender von Transportflugzeugen und Lastenseglern ein-

fach unsinnig.

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allen jemals dagewesenenOffensivarmeen sein.

Felddienstvorschrift der Roten Arbeiter- und Bauernarmee von 1939,

S. 9

l.

Als Hitler seine Divisionen nach Frankreich warf, hatte er Stalinden Rücken zugekehrt. Zu der Zeit ist Stalin intensiv mit derBeseitigung seiner Verteidigungsvorkehrungen und der Verstär-kung des Angriffspotentials der Roten Armee beschäftigt.

Zu den zahlreichen Verteidigungssystemen der Sowjetunionhatte auch die Dnjepr-Kriegsflottille gehört. Der große Dnjepr-Strom versperr t einem von Westen eindringenden Angreifer denWeg in das sowjetische Hinterland. Sämtliche Dnjepr-Brückenwaren bis 1939 vermint gewesen und hätten so gesprengt wer-den können, daß nichts mehr übrigblieb, was eine Wieder-instandsetzung lohnte. In sämtlichen vorangegangenen Feld-zügen hatten die deutschen Truppen kein einziges Mal das Über-setzen über ein Wasserhindernis von so gewaltigen Ausmaßenwie die des Dnjepr unter Kampfbedingungen bewältigen müs-sen. In einem Verteidigungskrieg konnten die deutschen An-griffskeile zumindest im Mittel- und Unterlauf des Dnjepr durchden Druck auf wenige Knöpfe vollkommen zum Stillstand ge-

bracht werden. Um ein gewaltsames Überqueren des Dnjeprund den Bau von behelfsmäßigen Übergängen zu verhindern,war in den dreißiger Jahren die Dnjepr-Kriegsflottille geschaf-fen worden, die zu Beginn des Zweiten Weltkrieges 120 Kriegs-schiffe und Kutter zählte, einschließlich 7 starker Monitor-Schiffe, jedes mit einer Wasserverdrängung bis zu 2000 BRT,durch eine 100 mm-Panzerung geschützt und mit 152 mm-Geschützen bestückt. Außerdem verfügte die Dnjepr-Flottille

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über eigene Fliegerkräfte sowie Küsten- und Flak-Batterien.Das linke Dnjepr-Ufer eignet sich besonders für Operationenvon Flußkriegsschiffen: Es gibt eine Menge Inseln, Kanäle,Buchten, Flußarme, die Kriegsschiffen - auch den stärksten -gute Tarnungsmöglichkeiten bieten und Überraschungsangrif fe

vom Dnjepr war nicht leicht: Die kleineren Schiffe wurden pe rBahn verfrach tet, die großen mußten jedoch unter besonder enSicherheit svorkehrungen bei ruhigem Wetter über das SchwarzeMeer herangeführt werden.

Die Donau-Kriegsflottille umfaßte etwa siebzig Flußkriegs-

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gute a u gs ög c e te b ete u d Übe asc u gsa g eerlauben, um jeden Versuch des Gegners zur gewaltsamenÜberquerung des Stromes zu unterbinden.

Das mächtige Wasserhindernis des Dnjepr, die zur Sprengung

vorbereiteten Brücken und die Flußflottille konnten im Zusam-menwirken mit den Feldtruppen, der Artillerie und den Flieger-kräften zuverlässig den Weg zu den Industriegebieten in derSüdukraine und den Marinebasen der UdSSR an der Schwarz-meerküste versperren.

An der Dnjepr-Linie hätte ein deutscher Blitzkrieg zumStehen gebracht oder doch zumindest für einige Monate auf-gehalten werden können. In dem Falle hätte der gesamte Kriegeinen anderen Verlauf genommen. Aber: In dem Augenblick, alsHitler Stalin den Rücken zukehrte, befahl Stalin, die Spreng-ladungen in den Dnjepr-Brücken zu entschärfen und die Kriegs-

flottille aufzulösen.Die Dnjepr-Flottille war nur auf dem Territorium der Sowjet-

union verwendbar, und nur in einem Verteidigungskrieg. So istes verständlich, daß Stalin ihrer nicht länger bedurfte.

2.Anstelle der einen zur Verteidigung bestimmten Flottille bildeteStalin zwei neue Flottillen: auf der Donau und auf der Pina. Warensie zur Verteidigung bestimmt? Wir wollen sehen.

Die sowjetische Donau-Flottille war aufgestellt worden, nochbevor  die Sowjetunion einen Zugang zur Donau bekam. ImVerlauf von Schukows »Befreiungsfeldzug« in die GrenzgebieteRumäniens trennte Stalin die Bukowina und Bessarabien vonRumänien ab. Unmittelbar an der Donaumündung fiel dabei einLandstrich von einigen Dutzend Kilometern Länge an die So-wjetunion. Unverzüglich wurde die bereits für diesen Fall gebil-dete Donau-Flottille dahin verlegt. Der Transport der Schiffe

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g g gschiffe und Kutter, Jagdfliegerkräfte, Flak- und Küstenartille-rie. Die Stationierungsbedingungen waren denkbar ungünstig.Das sowjetische Ufer im Donau-Delta ist kahl und unges chütz t.Die Schiffe mußten auf offenen Liegeplätzen ankern, die rumä-nischen Truppen lagen in unmittelbarer Nachbarschaft, mit-unter nur dreihundert Meter von den sowjetischen Schiffenentfernt.

In einem Verteidigungskrieg saß die gesamte Donau-Flot tillevom ersten Augenblick an in der Falle: Ein Rückzug aus demDonaudelta war unmöglich - hinter ihr lag das Schwarze Meer.Die Flottille besaß keinen Raum, um zu manövrieren. Bei einemAngriff brauchte der Gegner nur die sowjetischen Schiffe mitMaschinengewehrfeuer zu bestreichen, um sie daran zu hin-dern, die Anker zu lichten und die Leinen loszumachen. In

einem Verteidigungskrieg konnte die Donau-Kriegsflottill e nichtnur aufgrund der Art und Weise ihrer Stationierung keinerleiVerteidigungsaufgaben übernehmen, hier konnten sich viel-mehr überhaupt keine Verteidigungsaufgaben ergeben. DasDonau-Delta bedeutet Hunderte von Seen, undurchdringlicheSümpfe und Schilfwälder über Hunderte von Quadratkilome-tern hin. Kein Gegner wird die Sowjetunion vom Donau-Deltaher angreifen!

Es gab eine einzige Variante für Aktionen der Donau-Flott ille- bei einem allgemeinen Angriff der Truppen der Roten Armee

flußaufwärts zu operieren. Wenn im Delta eines großen Stromessiebzig Flußschiffe zusammengezogen sind, dann können siesich lediglich flußaufwärts bewegen. Andere Richtungen gibt esnicht. Flußaufwär ts aber bedeutet im vorliegenden Fall, daß dieSchiffe auf den Territorien Rumäniens, Bulgariens, Jugosla-wiens, Ungarns, der Tschechoslowakei, Österreichs und Deutsch-lands operieren müssen.

In einem Verteidigungskrieg wird die Donau-Flottille von

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niemandem gebraucht, und sie wäre zur unverzüglichen Ver-nichtung auf ihren ungeschützten Liegeplätzen vor einem imgegnerischen Feuerbereich liegenden Ufer verurteilt. In einemAngriffskrieg dagegen bedeutete die Donau-Flottille eine töd-liche Gefahr für Deutschland: Sie brauchte sich nur 130 km

der Führung der 79. Grenzabteilung des NKWD sind schon frü-her geplant und sorgfältig ausgearbeitet worden. Am 25. Juni1941 werden von Kriegsschiffen der Donau-Flottille un ter demSchutz der Küstenbatterien und der Artillerie des Schützen-korps sowie der Artillerie seiner Divisionen Aufklärungs- und

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flußaufwärts zu bewegen, und die strategisch wichtige Brückebei Cernavodä läge in Reichweite ihrer Geschütze, und das wie-derum hieße, daß die Erdölleitung von Ploiesti zum Hafen Con-stanta unterbrochen wäre. Noch weitere 200 km flußaufwärt s -und die ganze deutsche Kriegsmaschinerie käme zum Still-stand, weil den deutschen Panzern, Flugzeugen und U-Bootender Treibstoff ausgegangen ist...

Ein bemerkenswertes Detail: Zur Donau-Kriegsflottille ge-hörten auch mehrere mobile Küstenbatterien, die mit 130 mm-und 152 mm-Geschützen ausgerüstet waren. Wenn die sowje-tische Führung tatsächlich zu dem Schluß gekommen wäre,

 jemand könnte sich mit der Absicht tragen, die UdSSR vom Do-nau-Delta her anzugreifen, dann mußten die Küstenbatterienunverzüglich in die Erde eingegraben und bei erstbester Gele-

genheit Grabenwehren aus Stahlbeton angelegt werden. Aberniemand tat dergleichen, die Geschütze waren und bliebenmobil. Es gab nur eine einzige Möglichkeit, ihre Mobilität zu nut-zen, und eine einzige Richtung, in der sie sich bewegen konn-ten: Bei Angriffsoperat ionen begleiten die mobilen Batterien dieFlottille am Ufer und unterstützen diese durch ihre Feuerkraft.

3.Interessant ist die Reaktion der Führung der Donau-Kriegs-

flottille auf den Ausbruch des sowjetisch-deutschen Krieges.Das Wort »Krieg« bedeutete für sowjetische Kommandeurenicht Verteidigung, sondern Angriff. Kaum haben die sowje-tischen Kommandeure die Nachricht vom Kriegsausbruch er-halten, schließen sie die letzten Vorbereitungen einer Lande-operation ab. Die Aktionen der sowjetischen Marineoffizierewie auch der Führung des 14. Schützenkorps, dessen Divisio-nen im Raum des Donau-Deltas zusammengezogen sind, und

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korps sowie der Artillerie seiner Divisionen Aufklärungs undSabotageeinheiten des NKWD ans rumänische Ufer überge-setzt. Unmittelbar darauf erfolgt die Anlandung von Regimen-tern der 51. Schützendivision des 14. Schützenkorps. Die sowje-

tischen Landetrupps handeln zügig, durchgreifend und schnell.Die komplizierte Operation aus dem Zusammenwirken vonFlußschiffen, Fliegerkräften, Feld-, Küsten- und Schiffsartille-rie, Einheiten der Roten Armee und des NKWD ist mit der pein-lichen Genauigkeit eines Uhrwerks ausgearbeitet. Alles ist vor-bereitet, koordiniert, aufeinander abgestimmt, wieder und wie-der überprüft. Am Morgen des 26. Juni 1941 wird über derHauptkathedrale der rumänischen Stadt Chilia die rote Flaggegehißt. Die sowjetischen Truppen verfügen über einen mäch-tigen Brückenkopf auf rumänischem Boden in einer Längenaus-dehnung von 70 km. Die Donau-Flottille bereitet sich auf An-griffsoperationen stromaufwärts vor. Sie braucht nur 130 kmvorzurücken, was bei fehlendem Widerstand (und es gibt ihn sogut wie nicht) kaum mehr als eine Nacht beanspruchen dürfte.Zur Unterstützung kann das 3. Luftlandekorps abgesetzt werden,das im Raum Odessa stationiert ist.

Die Donau-Flottille wäre durchaus in der Lage gewesen,sich einige Dutzend Kilometer flußaufwärts zu bewegen. DenBeweis dafür hat sie später angetreten. 1944 zum zweiten Maleaufgestellt, hat sie sich ohne Fliegerkräfte und ohne schwereMonitore 2000 km donauaufwärts durchgekämpft und den

Krieg in Wien beendet. 1941 verfügte die Donau-Flottille überwesentlich stärkere Kräfte und sah sich mit weit weniger gegne-rischem Widerstand konfrontiert.

149

4.Sowohl Hitler wie auch Stalin verstanden sehr wohl, was dieAussage bedeute te: »Das Erdöl ist das Blut des Krieges«. Gene-raloberst Jodl ist sowjetischen Vernehmungsprotokollen vom17. Juni 1945 zufolge Zeuge, daß Hitler in einer erregten Dis-kussion mit Guderian erklärte: »Sie wollen ohne Erdöl angrei-

weist Hitler in einer Unterredung mit Molotow auf die Notwen-digkeit hin, ein großes Kontingent deutscher Truppen in Ru mä-nien zu un terhalten - eine deutliche Anspielung auf die sowje-tische militärische Bedrohung des rumänischen Erdöls. Molo-tow überhört die Anspielung. Das ist der Grund, weshalb Hitlernach Molotows Abreise alles noch einmal überdenkt und dann

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kussion mit Guderian erklärte: »Sie wollen ohne Erdöl angreifen - gut, wir werden sehen, was dabei herauskommt.« Stalinhatte sich 1927 sehr ernsthaft mit den Fragen eines künftigenzweiten Weltkrieges auseinandergesetzt. Eine zentrale strategi-

sche Frage stellte für ihn das Erdölproblem dar. Am 3. Dezem-ber 1927 äußerte er: »Ohne Erdöl einen Krieg zu führen istunmöglich, wer daher in Sachen Erdöl im Vorteil ist, der hatauch Siegeschancen im kommenden Krieg.« (Werke X, S. 277)

Mit diesen beiden Standpunkten vor Augen wollen wir unsauf die Suche nach dem Urheber des sowjetisch-deutschenKrieges begeben. Im Juni 1940, zu einem Zeitpunkt, als nie-mand die Sowjetunion bedroht, tauchen, wie bereits erwähnt,Dutzende sowjetischer Flußkriegsschiffe im Donau-Delta auf.Dieser Schritt hat keinerlei Verteidigungsbedeutung, sondern

stellt eine Bedrohung der völlig ungeschützten rumänischenErdölleitungen und folglich auch eine tödliche BedrohungDeutschlands dar. Im Juli 1940 hält Hitler intensive Bespre-chungen mit seinen Generalen ab und gelangt zu dem unerfreu-lichen Schluß, daß eine Verteidigung Rumäniens keineswegseinfach sein würde: Die Versorgungswege sind lang und führendurch gebirgiges Gelände. Wirft man ein großes Truppenkontin-gent zur Verteidigung nach Rumänien, werden Westpolen unddas östliche Deutschland einschließlich Berlins entblößt undschutzlos einem sowjetischen Angriff preisgegeben. Zieht manstarke Kräfte in Rumänien zusammen, damit es um jeden Preis

gehalten wird, hilft auch das nicht weiter: Die Erdölfelder kön-nen durch Feuersbrünste zerstört werden, die unvermeidbarwären, wenn Rumänien zum Kriegsschauplatz würde.

  Im Juli 1940 spricht Hitler den Gedanken aus, daß dieSowjetunion sehr gefährlich werden könnte, besonders wenndie deutschen Truppen vom europäischen Festland auf die Briti-schen Inseln und nach Afrika übersetzen. Am 12. November

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nach Molotows Abreise alles noch einmal überdenkt und dannim Dezember die Weisung zur Durchführung des »Unterneh-mens Barbarossa« gibt.

Im Juni 1940 hatte Schukow, während die deutsche Wehr-

macht in Frankreich kämp fte, auf Stalins Befehl ohne irgend-welche vorherigen Konsultationen mit dem deutschen Bündnis-partner ein Stück von Rumänien - Bessarabien - abgetrenntund Flußschiffe in das Donau-Delta verlegt. Wenn Hitler nocheinen Schritt weiter in Richtung Westen, wenn er nach Englandgeht, wo bleibt für ihn die Garantie, daß Schukow auf StalinsGeheiß nicht auch einen Schritt weiter in eben demselben Ru-mänien tut, einen Schritt von nur 100 Kilometern, der aber fürDeutschland eine tödliche Gefahr bedeuten würde?

Hitler hatte den sowjetischen Regierungschef aufgefordert,

die sowjetische Bedrohung von der Quelle des deutschen Erdölsabzuwenden. Stalin und Molotow haben dies nicht getan. Weralso ist schuld am Ausbruch des Krieges? Wer hat wen bedroht?Wer hat wen zu Gegenaktionen provoziert?

Der britische Militärhistoriker B. H. Liddell Hart, der sicheingehend mit dieser Frage beschäftigt hat, kam zu dem Schluß,daß der deutsche Plan im Juli 1940 sehr einfach war: Um Rumä-nien im Falle einer sowjetischen Offensive zu verteidigen, mußein deutscher Schlag an einer anderen Stelle erfolgen, um da-durch die Aufmerksamkeit der Roten Armee von den Erdölfel-dern abzulenken. Bei der Analyse der möglichen Varianten kamman überein, daß ein Ablenkungsangriff nur dann Erfolg habenkonnte, wenn es sich dabei um eine machtvolle und zugleichüberraschende Operation handelte. Das Truppenkontingent fürdiesen Einsatz wurde nach und nach so weit erhöht, bis schließ-lich - was man sich nicht eingestand - an dieser Operationpraktisch sämtliche Landstreitkräfte und ein Großteil der Luft-waffe beteiligt waren.

151

Hitlers Rechnung ging auf: Der deutsche Angriff 1941 aneiner anderen Stelle zwang die sowjetischen Truppen, sich ander gesamten Front zurückzuziehen. Die sowjetische Donau-Flottille war von ihren Truppen abgeschnitten und ohne jedeRückzugsmöglichkeit. Die Mehrzahl ihrer Schiffe mußte ge-sprengt oder versenkt werden und die riesigen Vorräte die die

hätte das Ende des »Tausendjährigen Reiches« bedeutet. Stal inaber tat nur einen Schritt in Richtung Erdöl, als er den Auf-marschplatz für den künftigen Angriff annektierte, doch dannverharrte er in einer Warteposition. Damit hatte er sein Inter-esse am rumänischen Erdöl bewiesen und Hitler aufgeschreckt ,der bis dahin mit seinem Krieg im Westen Norden und Süden

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sprengt oder versenkt werden, und die riesigen Vorräte, die dieBewegung der Flottille donauaufwärts gewährleisten sollten,mußten aufgegeben werden.

Hitlers Schlag war gewaltig, aber nicht tödlich gewesen.

Schon Machiavelli hat festgestellt, daß ein starker, aber nichttödlicher Schlag den Tod desjenigen bedeuten kann, der einenderartigen Schlag geführt hat. Stalin erholte sich von dem Über-raschungsschlag mühsam, aber es gelang. Er stellte neueArmeen und Flottillen anstelle der in den ersten Kriegstagenverlorenen auf, und die Erdölader Deutschlands wurde dennochdurchtrennt, wenn auch einige Jahre später als vorgesehen.

5.

Weshalb Stalin das rumänische Bessarabien im Juni 1940annektierte, verrät ein Telegramm Stalins an den Befehlshaberder Süd-Front, Armeegeneral I. W. Tjulenew, vom 7. Juli 1941.Stalin befiehlt darin, Bessarabien um jeden Preis zu halten »imHinblick darauf, daß wir das Territorium Bessarabiens alsAufmarschbasis für die Organisierung unseres Angriffs benö-tigen«. Hitler hat bereits seinen Überraschungsschlag geführt,aber Stalin denkt nicht an Verteidigung, seine Hauptsorge giltder Organisierung des Angriffes von Bessarabien aus. EinAngriff aus Bessarabien jedoch bedeutet den Angriff auf dierumänischen Ölfelder.

In Stalins Karriere hat es nur wenige Irrtümer gegeben.Einer dieser wenigen - allerdings der entscheidendste - war dieBesetzung Bessarabiens 1940. Stalin hätte entweder Bessara-bien besetzen und sofort bis Ploiesti vorrücken müssen, wasden Zusammenbruch Deutschlands zur Folge gehabt hätte;oder er mußte Hitlers Landung in Großbritannien abwarten unddanach Bessarabien und ganz Rumänien besetzen, auch dies

152

der bis dahin mit seinem Krieg im Westen, Norden und Südenbeschäftigt war.

Die Annexion Bessarabiens durch die Sowjetunion und dieKonzentrierung eines starken Angriffspotentials in diesem

Raum einschließlich eines Luftlandekorps und der Donau-Flot-tille ließ Hitler die strategische Situation in einem völlig neuenLicht erscheinen und veranlaßte ihn, entsprechende Vorkehrun-gen zu treffen. Doch es war bereits zu spät. Selbst ein Über-raschungsschlag der Wehrmacht gegen die Sowjetunion konnteHitler und sein Imperium nicht mehr retten. Hitler hatte begrif-fen, von wo die entscheidende Gefährdung ausging, doch es warzu spät. Daran hätte er vor der Unterzeichnung des Molotow-Ribbentrop-Paktes denken sollen.

6.In den Memoiren des Marschalls der Sowjetunion G. K. Schukowgibt es eine Karte mit der Verteilung der sowjetischen Marine-basen im ersten Halbjahr 1941. Darunter ist eine im Gebiet vonPinsk in Belorußland aufgeführ t. Die Entfernung bis zum näch-sten Meer beträgt nicht weniger als fünfhundert Kilometer.Diese Marinebasis in den belorussischen Sümpfen erinnert sehran einen Scherz unserer Kindertage - »U-Boot in der ukraini-schen Steppe«. Nur handelt es sich im vorliegenden Fall um al-les andere als einen Scherz.

Nach der Auflösung der mit reinen Verteidigungsaufgabenbetrauten Kriegsflottille auf dem Dnjepr war ein Teil ihrerSchiffe in das Donau-Delta verlegt worden, der andere Teil aberfuhr flußaufwärts in einen Nebenfluß des Dnjepr - den Pripjet.Die Schiffe gingen so weit flußaufwärts, bis die Breite des Flus-ses nur noch 50 Meter betrug. Hier wurde die Basis für die neueFlottille angelegt.

153

Die Pinsker Kriegsflottille stand an Kampfstärke der Donau-Flottille kaum nach, gehörten zu ihren Einheiten doch nichtweniger als vier mächtige Monitore und zwei Dutzend andererSchiffe, eine Fliegerstaffel, eine Kompanie Marineinfanterieund andere Einheiten bzw. Teileinheiten. Ein Einsatz der Pin-sker Kriegsflottille für Verteidigungsaufgaben war unmöglich:

verkehr passieren. Zudem wäre es ein recht langer Weg gewor-den: vom Dnjepr zum Pripjet, durch den Kanal zum Mucha wezvon da in den Bug - auf dem es übrigens damals keine Han de ls -schiffahrt gab - und von da weiter bis zur Weichsel. Nein, demHandel zuliebe war dies offensichtlich nicht geschehen. Es warein rein militärischer Kanal. Zur Verteidigung am Bug? Durch

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sker Kriegsflottille für Verteidigungsaufgaben war unmöglich:Die Monitore, die bis hierher vorgedrungen waren, hätten nichteinmal wenden können. Wenn man die Schiffe im Verteidigungs-fall einsetzen will, muß man sie zum Dnjepr zurückschicken,

auf dem Pripjet aber, dem stillen Waldfluß, können sie einfachnichts tun, und auch der Gegner wird schwerlich in diese un-durchdringlichen Wälder und morastigen Sümpfe kriechen.

Die Aufgaben der Pinsker Kriegsflottille bleiben demnachunerfindlich, wenn wir nicht den Dnjepr-Bug-Kanal in unsereÜberlegungen mit einbeziehen. Unmittelbar nach der »Befrei-ung« des westlichen Belorußland hatte die Rote Armee damitbegonnen, von Pinsk bis Kobrin einen Kanal in einer Gesamt-länge von 127 km zu graben. An dem Kanal wurde winters undsommers gebaut. An den Bauarbeiten waren Pioniertruppen-

teile der 4. Armee und »Bauorganisationen des NKWD« betei-ligt, das heißt Tausende von Strafgefangenen aus dem GULag.Für die rein militärische Nutzung des Kanals spricht alleinschon die Tatsache, daß die Bauarbeiten vom Oberst und späte-ren Marschall der Pioniertruppen Alexej Proschljakow geleitetwurden. Die Bedingungen, unter denen dieser Kanal gebautwurde, waren in der Tat entsetzlich. In dem morastigen Geländeversank das technische Gerät, und es blieb eine einzige Mög-lichkeit, den Kanal in der von Stalin gesetzten Frist fertigzustel-len: Sämtliche Arbeiten mußten von Hand bewältigt werden.Der Kanal wurde fertig . Mit wie vielen Menschenleben dafür ge-zahlt wurde, wird kaum jemand erfahren. Und wer sollte dieseLeben auch gezählt haben?

Der Kanal verband das Dnjepr-Becken mit dem Flußsystemdes Bug. Zu welchem Zweck? Um mit Deutschland Handel zutreiben? Der Handel lief über die Ostsee und die Eisenbahn.Handelsschiffe mit einer auch nur einigermaßen kommerziellvertretbaren Ladekapazität konnten den Kanal nicht im Gegen-

154

g g gdie Sowjetunion verlief doch nur ein ganz kleines Teilstück desBug im Räume Brest, und von da wendet sich der Bug in einerscharfen Schleife in Richtung Warschau. Eine Verteidigung war

in diesen Gebieten nicht vorgesehen, selbst in der FestungBrest hätte im Kriegsfall nur ein einziges Bataillon gelegen, undauch das nicht zur Verteidigung, sondern für den Garnisons-dienst.

Die einzige Bestimmung des Kanals konnte nur darin beste-hen, Schiffe in das Flußsystem der Weichsel und weiter in Ric h-tung Westen passieren zu lassen. Ein anderer Zweck ist für denKanal nicht auszumachen. Im Verteidigungskrieg mußte er ge-sprengt werden, um keine deutschen Schiffe aus dem Weichsel-becken in das Flußgebiet des Dnjepr gelangen zu lassen. Im

Verteidigungskrieg hatte man sämtliche Schiffe der PinskerFlottille sprengen und aufgeben müssen.Ende 1943 allerdings wurde am Dnjepr erneut eine Flottille

zusammengestellt, und wieder zog sie den Pripjet hinauf, undwieder setzten sowjetische Pioniere den Kanal vom Pripjet zumkleinen Fluß Muchawez instand, der weiter zum Bug führte.

 Admiral W. Grigorjew, der 1943 bei Kiew die neue Flottilleübernahm, erinnert sich an die Worte von Marschall Schukow:»>... Vom Pripjet aus können Sie in den westlichen Bug gelan-gen, in den Narew und auf der Weichsel bis nach Warschau, undvon dort führt der Weg zu den Flüssen Deutschlands. Wer weiß,

vielleicht bis nach Berlin!< - Er wandte sich abrupt um, blicktemich fragend an und wiederholte, indem er jedes Wort einzelnbeton te: >Bis nach Berlin? Na , was meinen Sie?<« (»Militärhisto-rische Zeitschrif t« 1984, Nr. 7, S. 68)

Admiral Grigorjew ist mit seiner Flottille bis nach Berlin ge-kommen. In jedem Buch über die Geschichte der sowjetischenKriegsmarine begegnet uns das symbolische Foto von der Flagge

155

der sowjetischen Kriegsmarine vor dem Hintergrund des Reichs-tagsgebäudes.

Es hat sich so ergeben, daß Stalin als Antwort auf HitlersÜberfall bis nach Berlin gekommen ist. Doch das ist eineVariante, die Stalin nicht vorausgesehen hatte. Hätte er an dieMöglichkeit eines deutschen Angriffes geglaubt, dann hätte er

MARINEINFANTERIE IN DENWÄLDERN BELORUSSLANDS

Man hat uns gelehrt, daß Kriegeheute nicht mehr mit dem

ritterlichen »Ich greife an!«

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g g g g ,Millionen von Strafgefangenen an die Grenze werfen und siedort entlang dieser Grenze Panzergräben ausheben lassen müs-sen. Stalin hatte die Absicht gehabt, nach Berlin zu kommen,

aber nicht als Antwort auf einen Angriff, sondern aus eigenerInitiative. Das ist der Grund, weshalb die sowjetischen Straf-gefangenen und die Pioniere der Roten Armee keine Panzer-gräben aushoben, sondern diese zuschütteten und den Kanalvon Osten nach Westen bauten.

Wir wollen diese Gefangenen nicht vergessen, die Stalin1940 in den morastigen Sumpfböden umkommen ließ, um dieFlagge der Kommunisten über der Hauptstadt des DrittenReiches hissen zu können.

156

ritterlichen Ich greife an!beginnen.

Flottenadmiral der Sowjetunion N. G.

Kusnezow (»Militähistorische

  Zeitschrift« 1965, Nr. 9, S. 166)

1.

Marineinfanterie besaß die Rote Armee ursprünglich nicht.Bei Landschlachten war es einfacher und billiger, gewöhnlicheInfanterie einzusetzen, und eine Landung an fernen Ufern warvorerst in Stalins Plänen nicht vorgesehen.

Doch nun war Hitler nach Westen gestürmt und hatte Stalinseinen ungeschützten Rücken zugekehrt. Dieses unvorsichtigeVorgehen Hitlers zog ungemein radikale strukturelle Verände-rungen innerhalb der Roten Armee nach sich; die Reste der Ver-teidigungsvorkehrungen wurden beseitigt und das Offensiv-potential rapide erhöht. 1940 ist das Geburtsjahr der sowjetischenMarineinfanterie. Sie wurde im Juni geschaffen, das heißt justin dem Monat, da Hitler Frankreich niederzwang. Zu der Zeitgab es innerhalb der sowjetischen Streitkräfte zwei Ozeanflot-ten und zwei Binnenmeerflotten sowie zwei Flußflottillen: dieAmur- und die Dnjepr-Flottille. Die Ozeanflotten bekamen keineMarineinfanterie. Der Stille Ozean und das Nördliche Eismeerinteressierten Stalin vorerst noch nicht. Die Kriegsflottille auf 

dem Amur schützte die sowjetischen Grenzen im Fernen Ostenund bekam ebenfalls keine Marineinfanterie. Die Dnjepr-Kriegsflottille war, wie wir bereits wissen, in zwei Flottillen mitAngriffscharakter aufgeteilt worden, wobei die in den WäldernBelorußlands stationierte Pinsker Flottille zwei RegimenterMarineinfanterie zugeteilt erhielt. Dies ist nun in der Tat bemer-kenswert: Keine Marineinfanterie auf den Ozeanen, wohl aber

157

in den belorussischen Sümpfen. Daraus lassen sich Schlüssehinsichtlich der Räume ziehen, in denen Stalin an Verteidigungbzw. an Angriff dachte .

Die sowjetische Ostseeflotte, deren einzige Gegner Deutsch-land und seine Verbündeten sein konnten, bekam eine BrigadeMarineinfanterie in einer Gesamtstärke von einigen tausendM t ilt

Über noch stärkere Kräfte verfügte die Schwarzmeerflotte.Offiziell besaß sie keine Marineinfanterie, aber Anfang Juni1941 war aus Transkaukasien heimlich das 9. Spezial-Schützen-korps unter Generalleutnant P. J. Batow auf die Krim verlegtworden. Das Korps stellte etwas völlig Ungewöhnliches dar inbezug auf Zusammensetzung, Bewaffnung und Zielsetzung der

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Mann zugeteilt.Die sowjetische Marineinfanterie erhielt ihre Feuertaufe am

22. Juni 1941 in den Abwehrkämpfen um die Marinebasis Libau(Lijepaja). Diese Marinebasis lag keine hundert Kilometer vonder deutschen Grenze entfernt, besaß jedoch keine Verteidi-gungsanlagen auf der Landseite und war auf Abwehrkämpfeauch nicht vorbereitet. Nach dem Zeugnis sowjetischer Admi-rale wie auch erbeuteter deutscher Dokumente war Libau mitU-Booten vollgestopf t »wie ein Heringsfaß«. Die von der Akade-mie der Wissenschaften der UdSSR herausgegebene offizielleGeschichte der sowjetischen Kriegsmarine gibt offen zu, daßLibau als vorgeschobene sowjetische Flottenbasis für einen An-griffskrieg zur See vorgesehen war. (A. W. Bassow, Die Kriegs-marine im Großen Vaterländischen Krieg. Moskau 1980, S. 138)

Die Marineinfanterie lag in Libau so nahe an der deutschenGrenze, daß sie bereits am ersten Kriegstage in Abwehrkämpfeverwickelt wurde, obwohl die Marineinfanterie natürlich nichtdafür aufgestellt worden war. Für Abwehrkämpfe ist die ge-wöhnliche Infanterie besser geeignet als die beste Marine-infanterie.

2.Die Donau-Kriegsflottille verfügte über zwei Kompanien an

Landstreitkräften; sie sind in den Dokumenten offiziell nicht alsMarineinfanterie deklariert. Dennoch spricht das nicht für einegroße Friedensliebe. Wir wissen bereits, daß sich noch vor demdeutschen Angriff mindestens zwei sowjetische Schützendivi-sionen - die im Donau-Delta statonierte 25. Tschapajew-Division und die 51. Perekop-Division - auf einen Einsatz alsMarineinfanterie vorbereiteten.

158

Gefechtsausbildung. Am 18. und 19. Juni 1941 führte dieSchwarzmeerflotte eindrucksvolle Manöver mit offensiver The-matik durch, wobei eine Division des 9. Spezial-Schützenkorps

auf Einheiten der Kriegsmarine eingeschifft wurde und dieseanschließend eine Landung am Ufer des »Gegners« durch-führ te. Das Anlanden einer ganzen Division durch Kriegsschiffewar bis dahin noch nie in der Roten Armee praktiziert worden.

Den gemeinsamen Übungen der Flotte und der Truppen des9. Spezial-Schützenkorps wurde in Moskau besondere Bedeu-tung beigemessen. Die Übungen verliefen im Beisein eigens ausMoskau angereister hochrangiger Offiziere. Einer von ihnen,Vizeadmiral L L Asarow, bezeugt, daß alle Teilnehmer das Ge-fühl hatten, diese Übungen würden nicht von ungefähr durch-geführt, und die erworbenen Fertigkeiten würden wohl bald ineinem Krieg eingesetzt werden müssen, natürlich nicht auf eigenem Territorium. (Das belagerte Odessa. Moskau 1962,S. 3-8)

Sollte es zum Krieg kommen und die sowjetische Führungdas 9. Spezial-Schützenkorps seinem besonderen Ausbildungs-profil entsprechend zum Einsatz bringen wollen, wo könnte dasAnlanden erfolgen? Man wird schließlich nicht auf sowje-tischem Territorium ein Korps von See aus anlanden! Wo aberdann? Theoretisch bleiben nur drei Möglichkeiten: Rumänien,Bulgarien und die Türkei. Wo immer aber auch dieses Korps an

Land gesetzt würde, es müßte versorgt werden, und dafür müß-ten weitere Truppen angelandet werden, oder aber die sowje-tischen Truppen müßten zügig eine Vereinigung mit dem9. Spezial-Schützenkorps herstellen, und das bedeutet in

 jedem Fall über rumänisches Territorium.In seltsamer Koinzidenz wurden an denselben Tagen eben-

falls auf der Krim vom 3. Luftlandekorps eindrucksvolle Manö-

159

ver abgehalten, bei denen Führung und Stab des Korps sowiedie Brigadestäbe aus der Luft abgesetzt wurden.

Sowjetische Historiker haben niemals diese Ereignissezueinander in Beziehung gesetzt: die Übungen des 14. Schüt-zenkorps zur Anlandung durch Schiffe der Donau-Flottille, dieLuftlandemanöver des 3. Luftlandekorps mit Flugzeugen und

WAS IST EINE SICHERUNGSARMEE?

Dem modernen Begriff der»Sicherungsarmee« liegt die

grundsätzliche und dominierendeoperativ-strategische Vorstellung

i kti üb h d

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Lastenseglern und die Landeübungen des 9. Spezial-Schüt-zenkorps von Schiffen der Schwarzmeerflotte aus. Aber dieseVorgänge hängen zusammen. Sie sind durch Ort, Zeit und Ziel

miteinander verbunden. Es ist die Vorbereitung einer Angriffs-operation von gigantischen Ausmaßen. Eine Vorbereitung imallerletzten Stadium.

160

einer aktiven überraschenden Invasion zugrunde. Dies macht

deutlich, daß der moderne

Verteidigungsterminus »Siche-rungsarmee« eher ein Deckmantelfür einen überraschenden

offensiven Vorstoß einer »Invasions-armee« ist.

Probleme der strategischen Entfaltung.

  Herausgegeben von der Frunse-Kriegs-akademie der Roten Arbeiter- und 

 Bauernarmee. Moskau 1935

(Hervorhebungen d urch die Autoren)

l.

Im europäischen Teil der Sowjetunion gab es fünf Militärbe-zirke, die an ausländische Staaten grenzten. Die Truppen dieserfünf Grenzbezirke und die drei Flotten bildeten zusammen dieErste Strategische Staffel. Die Grenzbezirke wie auch alle ande-ren Militärbezirke verfügten über Divisionen und Korps, Armeengehörten jedoch nicht dazu.

Armeen hatte es im Bürgerkrieg gegeben, danach waren sieaufgelös t worden. Armeen sind zu große Verbände, um sie auch

in Friedenszeiten unterhalten zu können. Die einzige Ausnahmebildete die Besondere Rotbannerarmee. Diese brauchen wirhier jedoch nicht zu berücksichtigen, da unter diesem Terminusalle sowjetischen Truppen im Fernen Osten und jenseits desBaikalsees einschließlich der Fliegerkräfte, Marineeinheiten,Militärsiedlungen usf. zusammengefaßt waren. Dieses riesigeformlose Gebilde besaß sogar Kolchosen und seine eigenen

161

Konzentrationslager. Die Sonderstellung dieses Verbandeswurde noch dadurch unterstrichen, daß er in keine Zählungeinbezogen war und daß an der Spitze dieser gigantischenOrganisation ein Marschall der Sowjetunion stand.

1938 wurden im Fernen Osten erstmalig in Friedenszeitenzwei Armeen aufgestellt: Die 1. und die 2. Armee. Dieser Schrittder Sowjetregierung ist ganz begreiflich denn die Beziehungen

Gründen nicht einsetzbar. Gegen wen also dann? Doch nichtgegen Hitler, mit dem man hinter den Kulissen so emsige Ver-handlungen wegen einer Annäherung führt?

Die sowjetische Diplomatie sucht also »einen Weg zur Erhal-tung des Friedens«, aber an den Westgrenzen tauchen heimlichArmeen auf, plötzlich und serienweise: Die 3. und 4. Armee inB l ßl d di 5 d di 6 A i d Uk i di 7 8

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der Sowjetregierung ist ganz begreiflich, denn die Beziehungenzu Japan waren ausgesprochen gespannt, und die Periodenanhaltender Feindseligkeiten waren wiederholt in reguläre

Kämpfe und Schlachten unter Beteiligung großer Truppenkon-tingente ausgeartet.Im europäischen Teil des Landes hatte es jedoch seit dem

Bürgerkrieg keine Armeen mehr gegeben. Hitlers Machtergrei-fung, die wirtschaftlichen, politischen und militärischen Krisenin Europa, der unmittelbare Zusammenstoß zwischen sowje-tischen Kommunisten und den Faschisten in Spanien, die Ein-verleibung Österreichs durch Deutschland und die Besetzungder Tschechoslowakei, das alles hatte nicht zur Aufstellung so-wjetischer Armeen in Europa geführt.

Doch nun war die Große Säuberung abgeschlossen, und mitdem Jahr 1939 tritt die Sowjetunion in eine neue Epoche ein.Der Beginn dieser Epoche wird durch Stalins Rede auf dem18. Parteikongreß markiert, eine Rede, die laut Ribbentrop inBerlin auf Verständnis stieß. Die sowjetische Außenpolitik voll-zieht einen scharfen Kurswechsel: Großbritannien und Frank-reich werden offen zu Kriegshetzern erklärt. Stalin reicht Hitlernicht die Hand der Freundschaft, doch die sowjetische Diploma-tie gibt Hitler deutlich zu verstehen, daß man die von ihm gebo-tene Hand ergreifen würde. Im übrigen wurde Hitlers ausge-streckte Hand ergriffen, zwar nicht von Stalin persönlich, aber

immerhin von seinem treuen Gefolgsmann Molotow. Allerdingsist dies nur die an der Oberfläche liegende, sichtbare Seite desBeginns einer neuen Epoche, und hier nun die Kehrseite: 1939begann die Sowjetunion mit der Aufstellung von Armeen imeuropäischen Teil ihres Landes. Darf man neugierig fragen:gegen wen? Gegen die »Kriegshetzer« Großbritannien undFrankreich waren Landstreitkräfte aus rein geographischen

162

Belorußland, die 5. und die 6. Armee in der Ukraine, die 7., 8.und die 9. Armee an der finnischen Grenze. Die Armeen verstär-ken ihre Kampfkra ft, und unterdessen kommen neue hinzu: die

10. und die 11. Armee in Belorußland, die 12. Armee in derUkraine.Die kommunistische Propaganda ist mitunter bemüht, die

Sache so hinzustellen, als sei zuerst der Krieg in Europa ausge-brochen und hernach habe die Sowjetunion mit der Aufstellungihrer Armeen begonnen. Aber so war es nicht. Es gibt genügendBeweise dafür, daß zuerst Stalin die Aufstellung der Armeen be-schloß und anschließend Kriege und Konflikte ausbrachen. DerBeginn der Aufstellung dieser Armeen war sogar sowjetischenoffiziellen Quellen zufolge dem Molotow-Ribbentrop-Pakt vor-ausgegangen. Von der 4. und 6. Armee weiß man, daß sie be-reits im August 1939 existierten. Es gibt Informationen, diebesagen, daß die 5. Armee im Juli existierte. Die 10. und die12. Armee waren »vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges« auf-gestellt, d. h. vor dem 1. September 1939. Von den übrigenArmeen ist ebenfalls bekannt, daß sie zuerst im Gebiet künftigerKonflikte geschaffen wurden und daß hernach die Konflikteausbrachen.

Jede dieser Armeen war kurze Zeit nach der Aufstellung inAktion: Sämtliche sieben an der polnischen Grenze entfaltetenArmeen »befreiten« Polen, und die drei Armeen an der finni-

schen Grenze »halfen dem finnischen Volk, das Joch der Unter-drücker abzuwerfen«. Drei Armeen reichten hier allerdingsnicht aus, und deshalb die neu geschaffenen Armeen: die 13.,14. und 15.

Nach dem Winterkrieg verschwanden vier sowjetischeArmeen an der finnischen Grenze gleichsam in der Versenkungund lösten sich auf. Die 15. erschien bald darauf im Fernen

163

Osten, die 8. taucht an der G renze zu den baltischen Staaten auf und die 9. an der Grenze Rumäniens. Dann treffen die »Bittender Werktätigen« um Befreiung ein. Und die heldenmütigensowjetischen Armeen »befreien« Estland, Litauen, Lettland,Bessarabien und die nördliche Bukowina. Anschließend gleitetdie 9. Armee zurück in den Schatten, ist jedoch genauso wie die13 A b i i j d b li bi M i d f

nur im Verlauf des mit aller Erbitterung geführten russischenBürgerkrieges (1918-1920) erreicht hatte.

Die sowjetischen Führer begriffen sehr wohl, daß sie nachder Aufstellung einer Armee mit der Nummer 17 den für einenAußenstehenden unsichtbaren Rubikon überschritten hatten.Noch zwei Jahre zuvor konnte es sich der Staat nicht leisten,

h i i i V b d h l d

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13. Armee bereit, in jedem beliebigen Moment wieder aufzu-tauchen. Und sie wird aufta uchen .

Nach Beendigung der Kämpfe und »Befreiungs«-Feldzüge

wurde keine einzige Armee aufgelöst. Ungeachtet der enormenAufwendungen für ihren Unterhalt existierten sie weiter. Daswar ein nie dagewesener Präzedenzfall in der Geschichte derUdSSR. Bis dahin waren Armeen nur während eines Kriegesund nur für den betreffenden Krieg aufgestellt worden. Dochdie UdSSR hatte alles, was nur irgendwie zur Disposition stand,»befreit«. Mehr war in Europa nicht zu befreien übrig. Dahinterlag nur noch Deutschland. Und gerade zu diesem Zeitpunktwird der Prozeß der Aufstellung von Armeen rapide voran-getrieben.

2.Im Juni 1940 werden in Transbaikalien zwei Armeen auf-gestellt: die 16. und die 17. Die 16. Armee wurde nach ihrerAufstellung so disloziert, daß sie jederzeit rasch nach Westengeworfen werden konnte. Doch nicht ihr gilt unser Interesse. Die17. Armee zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich. Die Aufstel-lung einer Armee mit der Nummer 17 ist ein Moment von außer-ordentlicher Bedeutung. Im Bürgerkrieg war selbst währendder ausgesprochen dramatischen Zeit des blutigen Kampfes umdie Erhaltung der kommunistischen Diktatur mit der Ziffer 16

die höchste Nummer zur Armeebezeichnung erreicht. Eine17. Armee hatte es in der ganzen Geschichte der Sowjetunionnicht gegeben. Das Auftauchen einer Armee mit dieser Num-mernbezeichnung zeigt an, daß die Sowjetunion in der Anzahlihrer regulären Armeen in Friedenszeiten, ohne einen Angriff von außen befürchten zu müssen, jenes Niveau überschrittenhat, das sie nur ein einziges Mal für einen kurzen Zeitraum und

164

auch nur einen einzigen Verband zu unterhalten, den man - anmilitärischem Standard gemessen - als Armee hätte bezeich-nen können . Jetzt hatte man Armeen in einer Anzahl aufgestellt

wie niemals zuvor, selbst nicht im Bürgerkrieg, d. h. unter denBedingungen einer allgemeinen totalen Mobilisierung der ge-samten Bevölkerung, unter voller Ausschöpfung des wirtschaft-liche n Potentials des Landes, unter Einsatz der gesamten geisti-gen und physischen Kräfte der Gesellschaft. Die Sowjetunionhatte die kritische Grenze militärischer Macht überschritten,und von nun an verlief die Entwicklung des Landes unter völligneuen Voraussetzungen, wie man sie früher nicht gekannthatte.

Es ist klar, daß die Aufstellung der 17. Armee ein hochrangi-ges Staatsgeheimnis war und Stalin alles tat, dieses Geheimnissowohl jenseits der Grenzen als auch im Landesinneren zu be-wahren. Die Aufstellung der 16. und 17. Armee verlief in einerWeise, die für einen Außenstehenden kaum zu erkennen war.Zusätzli ch wurden Vorkehrungen getroffen, um die Verbreitungvon Gerüchten über das Anwachsen der sowjetischen Militär-macht zu unterbinden. Der Befehl über die Aufstellung der17. Armee wurde von Marschall der Sowjetunion S. K. Timo-schenko am 21. Juni 1940 unterze ichnet (siehe Befehl des Volks-kommissars für Verteidigung Nr. 4, Punkt 3), und am folgendenTag, dem 22 . Juni 1940, verbreitete der sowjetische Rundfunk

eine TASS-Meldung. Autor dieser Meldung war wie üblich Stalinselbst. Der deutsche Botschafter Graf von der Schulenburgidentif izierte zweifelsfrei den Autor und sprach gegenüber Mo-lotow offen über seine Entdeckung. Molotow hielt es nicht fürnötig, von der Schulenburgs Vermutung zu widerlegen.

Stalin bedient sich in dieser TASS-Meldung seiner beliebtenMethode, zunächst den Gegnern Worte in den Mund zu legen,

165

die diese nicht geäußert haben, um sie anschließend mit Leich-tigkeit als Lügner zu entlarven . ». . . Es gehen Gerüchte um, ander litauisch-deutschen Grenze seien bald 100, dann wieder150 sowjetische Divisionen zusammengezogen worden ...« Dasist eine Stalinsche Erfindung. Ich habe die Zeitungen in Groß-britannien, Frankreich und den USA durchgesehen, die Stalinals Verleumder entlarvt zu haben behauptet - aber nicht eine

Aber ein Unterschied bestand nicht nur darin. Damals ver te il -ten sich die Armeen auf sechs verschiedene Stoßrichtungen,

  jetzt waren sie nur auf zwei Richtungen zusammengezogen,und das durchaus nicht in gleicher Verteilung: Gegen Japan,dem gegenüber die Konflikte kein Ende finden, stehen 5 Armeenbereit , gegen Deutschland , mit dem ein Nichtangrif fspakt unter-zeichnet ist, unddessenVerbündete sind 12 Armeen aufgeste llt.

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als Verleumder entlarvt zu haben behauptet aber nicht eineeinzige hat derartig phantastische Zahlen genannt. NachdemStalin zuvor der westlichen Presse etwas angelastet hat, wasdiese gar nicht äußerte, fällt es ihm leicht, diese nicht existi-rende Verleumdung zu widerlegen, und er kommt auf seineigentliches Anliegen zu sprechen:

»In den verantwortlichen sowjetischen Kreisen geht mandavon aus, daß die Verbreiter dieser unsinnigen Gerüchte damitein spezielles Ziel verfolgen: Sie wollen einen Schatten auf diedeutsch-sowjetischen Beziehungen werfen. Doch diese Herr-schaften geben dabei ihre heimliche Wünsche als Wirklichkeitaus. Sie sind, wie es scheint, unfähig, die offensichtliche Tat-sache zu begreifen, daß die gutnachbarlichen Beziehungen, diesich zwischen der UdSSR und Deutschland infolge des Nicht-

angriffspakts entwickelt haben, nicht durch irgendwelche Ge-rüchte und kleinkarierte Propaganda zu erschüttern sind.«(»Prawda«, 23. 6.1940)

Stalins Meldung enthält eine Teilwahrheit: Die sowjetischenTruppenverbände werden nicht unmittelbar an der Grenze auf-gestellt. Das ist es, worüber Stalin spricht. Aber er verschweigt,daß tief im Innern des Landes und fern von neugierigen Blickenextrem starke Verbände aufgestellt werden, die unter demSchutz einer weiteren (ebenfalls falschen) TASS-Meldung einesTages an der deutschen Grenze auftauchen werden.

3.Es ist völlig klar, daß die Armeen der »Vorkriegsperiode« hin-sichtlich ihrer Einsatzbereitschaft, technischen Ausstattung,Feuerkraft , Angriffs- und Kampfstärke auf einem unvergleich-lich höheren Niveau standen als die Armeen im Bürgerkrieg.

166

zeichnet ist, und dessen Verbündete sind 12 Armeen aufgeste llt.Damit war der stürmische Prozeß der Aufstellung neuer Ar-

meen noch nicht zu Ende . Im Juni 1940 wird an der deutschenGrenze eine weitere Armee aufgestellt... die 26.

Woher kommt diese Nummer? Wie ist das zu verstehen?Noch nie hat es in der Roten Armee derartige Z iffern gegeben,und die Reihenfolge der Numerierung war bisher strikt einge-halten worden. Die nächste Nummer mußte die Achtzehn sein.Woher also diese 26? Weshalb wird die fortlaufende Num erie -rung unterbrochen?

Bei den sowjetischen Marschällen und den bekannten kom-munistischen Historikern werden wir keine Antwort auf dieseFrage finden. Studiert man jedoch aufmerksam den ganzenProzeß der Aufstellung dieser Armeen, dann liefert uns die Ge-

schichte selbst die Antwort. 1940 hatte man die Numerierungder Armeen nicht durchbrochen, weil ganz einfach zu der Zeitdie Nummern von 18 bis 28 bereits besetzt waren. Nach der Ent-faltung von fünf gegen Japan und zwölf gegen Deutschland auf-gestellten Armeen faßte die Sowjetregierung im Sommer 1940den Beschluß zur Aufstellung weiterer elf Armeen. Eine gegenJapan - zehn gegen Deutschland.

Innerhalb dieser imposanten Serie war die 26. Armeeunmittelba r an der Grenze aufgestellt und dieser Prozeß eher alsbei den anderen Armeen abgeschlossen worden. Aber alle wei-

teren Armeen dieser Serie befanden sich gleichfalls im Stadiumder Formierung, oder aber ihre Aufstellung war zumindest be-reits beschlossen. Die Armeen aus dieser Serie schlössen denAufstellungsprozeß etwas später ab als die 26. Armee, aber esunterliegt keinem Zweifel, daß diese Aufstellung vor der deut-schen Invasion in Angriff genommen wurde.

Im Mai 1941 waren die 23. und 27. Armee in den westlichen

167

Militärbezirken aufgetaucht. In demselben Monat tritt eine unsschon bekannte Gespensterarmee aus dem Dunkel hervor: diedreizehnte Armee. Wenige Wochen später verwandelt sich eineweitere Geisterarmee - die 9. - aus einer verschwommenenFata Morgana in eine Realität. Am 13. Juni 1941, dem Tag derVerbreitung einer anderen wichtigen TASS-Meldung, tratenauch alle übrigen Gespenster ans Licht: die 18., 19., 20., 21.,

4.Grundlage der sowjetischen Strategie war die Theorie von der»Operation in die Tiefe«. Bildlich gesprochen geht diese Theoriedavon aus, durch tief vorangetragene Überraschungsangriffeden Gegner an der empfindlichsten Stelle zu treffen. Gleichzei-tig mit der Theorie von der »Operation in die Tiefe« war auchdie Theorie von den »Stoßarmeen« entwickelt worden d h

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auch alle übrigen Gespenster ans Licht: die 18., 19., 20., 21.,22., 24., 25. (gegen Japan) und die 28. Armee, und sie bezeugtennunmehr eine geschlossene ununterbrochene Nummernfolge.

Offiziell war die Formierung all dieser Armeen in der erstenHälfte des Jahres 1941 abgeschlossen. Dies gibt freilich nur dasEnde des Prozesses an. Wo aber liegt der Anfang? Das wird unsvon den kommunistischen Historikern vorenthalten, und siehaben guten Grund dazu. Die Schaffung dieser Armeen entlarvtallzu deutlich das hinterhältige Spiel Stalins: Als Hitler einerklärter Feind war, kam man ohne Armeen aus, als man sichPolen teilte und sowjetische und deutsche Truppen einandervon Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden, begnügte sichStalin im Westen mit 7 bis 12 Armeen. Aber nun hat Hitler Stalinden Rücken zugekehrt, jetzt hat er seine Wehrmacht nach Däne-

mark, Norwegen, Belgien, Holland und Frankreich geworfenmit der offenkundigen Absicht, in Großbritannien zu landen.Deutsche Truppen sind an den sowjetischen Grenzen so gut wienicht verblieben. Und in eben diesem Augenblick beginnt Stalinmit der getarnten Aufstellung einer großen Anzahl von Armeen,zu denen auch die 26. gehörte. Je weiter sich die deutschenDivisionen in Richtung Westen, Norden, Süden entfernen, um somehr sowjetische Armeen werden gegen Deutschland aufge-stellt. Stellen wir uns vor, Hitler wäre noch weiter vorgerückt,hätte seine Truppen in Großbritannien landen lassen, hätte Gi-

braltar, Afrika und den Nahen Osten besetzt. Wie viele Armeenhätte Stalin dann erst an der ungeschützten deutschen Grenzeaufmarschieren lassen? Und wofü r?

Stalin hat seine Armeen noch vor den berühmten »Warnun-gen« Churchills entfaltet, und sogar noch bevor der Plan für das»Unternehmen Barbarossa« ins Leben gerufen war.

168

die Theorie von den »Stoßarmeen« entwickelt worden, d. h.eben jenes Instrument, mit dessen Hilfe diese Vorstöße durc h-gef ühr t werden. Stoßarmeen wurden zur Lösung rein offensiver

Aufgaben geschaffen. (Sowjetische Militärenzyklopädie, Bd. l,S. 256) Sie setzten sich aus einer beachtlichen Konzentrationvon Artillerie und Infanterie zusammen, um die Hauptkampf-linie des Gegners zu durchbrechen, und verfügten über massivePanzerkräfte, d. h. ein bis zwei mechanisierte Korps zu je500 Panzern, um einen massiven Schlag von maximaler Stärkein die Tiefe voranzutragen.

Die deutsche »Blitz-Krieg«-Theorie und die sowjetische»Operation in die Tiefe« sind einander nicht nur dem Sinn nach,sondern auch in Details verblüffend ähnlich. Für die Reali-sierung des »Blitzkriegs« hatte man ebenfalls ein speziellesInstrument geschaffen - die Panzergruppen. Bei der Invasion inFrankreich waren drei derartige Gruppen eingesetzt worden,beim Angriff auf die UdSSR waren es vier. Jede bestand aus 600bis 1000 Panzern, bisweilen auch bis zu 1250 Panzern, undeiner stattlichen Zuteilung von Infante rie und Artillerie, um fürdie Panzer eine Bresche zu schlagen.

Der Unterschied zwischen den sowjetischen und deutschenKriegsmethoden bestand darin, daß in Deutschland alles beiseinem Namen genannt wurde, wobei die Panzergruppen eineeigene Beziff erung aufwiesen und die Feldarmeen ebenfalls. In

der Sowjetunion existierten die Stoßarmeen in der Theorie, undspäter wurden sie als solche auch in der Praxis geschaffen, aberformal führten sie nicht die Bezeichnung »Stoßarmee«. DieseBezeichnung wurde offiziell erst nach der deutschen Invasioneingeführt . Bis dahin hatten alle sowjetischen Armeen eine ein-zige Zählung und unterschieden sich der Bezeichnung nachnicht voneinander. Das führte sowohl damals wie auch heute

169

noch zu Irrtümern: In Deutschland sehen wir klar ausgeprägteoffensive Großeinheiten - die Panzergruppen. In der RotenArmee sind sie nicht so deutlich zu erkennen. Das spricht indes-sen nicht für eine größere Friedensliebe, sondern nur für einegrößere Geheimhaltung.

Die sowjetischen Armeen wirken auf den ersten Blick wieSoldaten in Reih und Glied eine sieht aus wie die andere Doch

union. Die anderen Armeen dagegen werden von Generalenkommandiert, die sich in der Vergangenheit durch nichts her-vorgetan ha ben und von denen auch künftig nichts zu hörensein wird.

Bemerkenswert ist die Position der 7. (Stoß-) Armee. An derStelle, wo die sowjetische Führung diese Armee entfaltete, be-gann die »finnische Militärclique« wenige Monate später ihre

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Soldaten in Reih und Glied - eine sieht aus wie die andere. Dochlohnt sich eine genauere Betrachtung, um die Unterschiedesehr schnell wahrzunehmen. Da wurden beispielsweise für die

»Befreiung« Finnlands wenige Monate vor der »finnischenAggression« auf sowjetischem Territorium mehrere Armeenentfaltet. Sie setzten sich im Dezember 1939 wie folgt zu-sammen (die Aufzählung der Armeen erfolgt von Norden nachSüden):14. Armee: keine Korps, zwei Schützendivisionen;9. Armee: keine Korps, drei Schützendivisionen;8. Armee: keine Korps, vier Schützendivisionen;7. Armee: 10. Panzerkorps (660 Panzer); drei Panzerbrigaden

(zu je 330 Panzern); 10., 19., 34., 50. Schützenkorps

(zu je drei Schützendivisionen); eine selbständigeBrigade; elf selbständige Artillerieregimenter außer  jenen Artillerieregimentern, die in die Korps undDivisionen dieser Armee integriert sind; mehrereselbständige Panzer- und Artilleriebataillone;Armeeflieger.

Wir sehen, daß die 7. Armee, die sich der Bezeichnung nach innichts von ihren Nachbarn unterscheidet, an Panzern undArtillerie um ein Mehrfaches die drei anderen Armeen zusam-mengenommen übertrifft. Außerdem kommandiert K. A. Merez-kow die 7. Armee, ein Günstling Stalins und Befehlshaber des

Militärbezirks Leningrad. Er wird in Kürze zum Chef des Gene-ralstabs ernannt werden, und dann erhält er den Rang einesMarschalls der Sowjetunion, in der 7. Armee übrigens nicht erallein. Die Armee weist vielversprechende Kommandeure auf,die jetzt schon hohe Posten einnehmen und in Zukunft nochhöher steigen werden. So leitet zum Beispiel den Artilleriestabder 7. Armee L. A. Goworow, ein künftiger Marschall der Sowjet-

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gann die »finnische Militärclique« wenige Monate später ihre»bewaffnete Provokation« und erlebte dafür den »Gegen-schlag«. Dort dagegen, wo sich die schwachen sowjetischen Ar-

meen befanden (in Wirklichkeit waren es keine Armeen, son-dern einfache Korps), ließ es die »finnische Militärclique« ausirgendeinem Grunde nicht zu Provokationen kommen.

Die sowjetische Organisationsform zeichnete sich durchextreme Flexibilität aus. Durch einfache zusätzliche Eingliede-rung von Korps konnte jede Armee zu jedem beliebigen Zeit-punkt in eine Stoßarmee umgewandelt und ebenso schnell wie-der in den Normalzustand zurückgeführt werden. Ein krassesBeispiel dafür bietet eben diese 7. Armee. 1940 stärkste Armee,war sie im Jahr darauf die schwächste - ohne Korps, vier Divi-sionen, und auch diese nur Schützeneinheiten.

Um den Sinn der Vorgänge an der sowjetisch-deutschenGrenze zu begreifen , müssen wir genau unterscheiden, welcheArmeen als Stoßarmeen ausgelegt sind und bei welchen es sichum gewöhnliche Armeen handelt. Formal sind alle Armeengleich, keine von ihnen führt die Bezeichnung Stoßarmee. Indes-sen verfügen einige Armeen kaum über Panzer, während sie inanderen Armeen zu Hunderten zugeteilt sind. Zur Bestimmungder Stoßarmeen bedienen wir uns eines einfachen Vergleichsder Schlagkraft der sowjetischen Armeen mit den deutschenPanzergruppen und mit den sowjetischen Vorkriegsnormen, die

festlegen, was eine Stoßarmee ist. Das Element, das eine ge-wöhnliche russische Armee zu einer Stoßarmee macht, ist dasmechanisierte Korps in einer neuen Zusammensetzung, dasetatmäßig über 1031 Panzer verfügt. Es bedarf nur der Einglie-derung eines einzigen derartigen Korps in eine gewöhnliche Ar-mee, und sie wird sich an Schlagkraft mit jeder deutschen Pan-zergruppe messen können oder diese sogar noch übertre ffen.

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Und hier gelangen wir zu einer verblüf fenden Feststellung:Am 21. Juni 1941 entsprachen sämtliche sowjetische Armeenan der deutschen und rumänischen Grenze, aber auch die23. Armee an der finnischen Grenze den sowjetischen Stan-dardnormen für Stoßarmeen, obwohl sie, wie ich nochmals be-tone, diese Bezeichnung formal nicht führten. Es waren - vonNorden nach Süden aufgezähl t - die 8., 11., 3., 10., 4., 5., 6., 26.,12 18 d di 9 A Z ä li h d di 16 A

5.Früh er benutzt en sowjetische Experten den Terminus »Inva-sionsarmee«. Wir müssen ihnen recht geben: Es klang nichtsehr diplomatisch, und besonders nicht in den Ohren der be-nach bart en Länder, mit denen die sowjetische Diplomatie nachKräften »normale Beziehungen« zu unterhalten bemüht war. Inden dreißiger Jahren wurde daher der allzu eindeutige Termi-

I i d h di hlkli d B i h

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12., 18. und die 9. Armee. Zusätzlich wurde die 16. Armee aus-geladen - eine typische Stoßarmee, die über mehr als 1000 Pan-zer verfügte . (Zentralarchiv des Verteidigungsministeriums der

UdSSR, Fonds 208, Inventarverzeichnis 2511, Vorgang 20,S. 128) Diesem Standard entsprachen ebenfalls vollkommendrei weitere getarnt an die deutsche Grenze herangeführteArmeen: die 19., 20. und die 21. Armee.

Deutschland besaß in den Panzergruppen einen schlagkräf-tigen Angriffsapparat. Die Sowjetunion besaß im Prinzip die-selben Angriffsmechanismen. Der Unterschied besteht in derBezeichnung und Anzahl: Hitler hatte vier Panzergruppen,Stalin sechzehn Stoßarmeen.

Man hält mir entgegen, nicht alle mechanisierten Korps

seien vollständig mit Panzern aufgefüllt gewesen. Das ist wahr.Aber um Stalins Absichten voll zu würdigen, darf nicht nur be-rücksichtigt werden, was er zu Ende führen konnte, man mußvielmehr auch einbeziehen, was man ihn nicht vollenden ließ.Der deutsche Angriff traf die Sowjetunion mitten in der Aufstel-lung einer großen Anzahl von Stoßarmeen. Die Gerippe diesergewaltigen Mechanismen waren im Rohbau vorhanden, und dieFertigstellung, Vervollkommnung, Abstimmung waren im vollenGang. Nicht alle Armeen konnten auf das geplante Niveau ange-hoben werden, doch wurde daran gearbeitet, und Hitler unter-

brach diese Aktivitäten, weil er genügend Verstand besaß, nichtden Augenblick abzuwarten, an dem sämtliche Großeinheitenfertiggestellt und einsatzbereit sein würden.

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nus »Invasionsarmee« durch die wohlklingendere Bezeichnung»Stoßarmee« abgelöst. Indessen betonen sowjetische Histori-ker, daß dies ein und dasselbe sei. (»Militärhistorische Zeit-

schrift« 1963, Nr. 10, S. 31) Aber auch die Bezeichnung »Stoß-armee« wurde, wie wir gesehen haben, aus Tarnungsgründenvor Kriegsbeginn nicht mehr verwendet, obwohl der Großteilder sowjetischen Armeen sie mit vollem Recht beanspruchenkonnte. Um ihre Absichten zu tarnen, führten die sowjetischenGenerale den Terminus »Sicherungsarmee« ein. Unter sichwaren sich die Kommunisten sehr wohl des Hintersinns diesesBegriffes bewußt. Im kommunistischen Sprachgebrauch gibt esnicht wenige derartiger Termini. Die sowjetischen Bezeich-nungen »Befreiungsfeldzug«, »Gegenschlag«, »Ergreifen der

strategischen Initiative« meinen dementsprechend Angriff, Vor-stoß, plötzlichen Kriegsbeginn ohne voraufgegangene Kriegs-erklärung. Jeder dieser Termini ist eine Art Koffer mit doppel temBoden: Der sichtbare Inhalt dient nur zur Tarnung dessen, wasdarunter verborgen ist. Man kann nur bedauern, daß einigeHistoriker bewußt oder einfach aus Unkenntnis die sowjetischenmilitärischen Termini übernehmen, ohne ihren Lesern derenwahre Bedeutung zu erläutern.

Die »Sicherungsarmeen« waren in Wirklichkeit dazu be-stimmt, in der Anfangsphase des Krieges die Mobilisierung, Ent-

faltung und das Eintreten der Hauptstreitkräfte der Roten Ar-mee in den Kriegszustand gegen fremde Einblicke zu sichern.Diese »Sicherung« meinte indessen keineswegs Verteidigung.Ganz im Gegenteil. Bereits am 20. April 1932 hatte der Revolu-tionäre Militärrat der UdSSR verfügt, daß in Friedenszeiten inden Grenzregionen des Staates kampfstarke mobile Invasions-gruppen zu unterhalten seien, die im ersten Augenblick eines

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Krieges blitzschnell die Grenze überschreiten sollten, um dieMobilmachung des Gegners zu verhindern und strategische Vor-räte und wichtige Räume zu erobern. Derartige Operationenwürden nach Auffassung der obersten sowjetischen militäri-schen und politischen Führung die beste Sicherung der sowje-tischen Mobilisierung bedeuten. Und genau in diesem Sinneerhielten die sowjetischen Grenzarmeen ihre Bezeichnung als

Panzer der Typen T-34 und KW. Die Fliegerdivisionen dieserArmeen verfügten über Hunde rte der neuesten Flugzeuge vomTyp Jak-1, Mig-3, I1-2, Pe-2.

Nach abgeschlossener Aufstellung mußte jede dieser Armeen2350 Panzer, 698 gepanzerte Fahrzeuge, mehr als 4000 Ge-schütze und Granatwerfer sowie über 250000 Mann a ufweise n.Außer diesen Hauptkräften sollten diese Armeen zusätzlich 10

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Sicherungsarmeen.Im Juli 1939 war der Zeitpunkt erreicht, an dem die Theorie

in die Praxis umgesetzt wurde: An den Westgrenzen der Sowjet-union beginnt die Aufstellung von »Sicherungsarmeen«, danntreibt Stalin durch den Molotow-Ribbentrop-Pakt Hitler in denKrieg gegen den Westen, sorgt für eine gemeinsame sowjetisch-deutsche Grenze und stellt immer mehr neue »Sicherungs-armeen« auf.

Um sich nicht in den Fallstricken sowjetischer Wortmani-pulationen zu verfangen, muß man den Terminus »Sicherungs-armee« entweder mit Anführungsze ichen versehen und erläutern,daß diese »Sicherung« auf dem Wege der Invasion vorgesehenwar, oder man benutzt einfach den Terminus Invasionsarmee.

6.Unter den normalen sowjetischen Invasionsarmeen (bestehendaus einem mechanisierten Korps, zwei Schützenkorps und meh-reren selbständigen Divisionen) begegnen uns auch solche, dienicht ganz der Norm entsprechen. Es sind deren drei: die 6., 9.und 10. Armee. Diese Armeen haben nicht drei, sondern sechsKorps: zwei mechanisierte Korps, ein Kavalleriekorps, dreiSchützenkorps. Jede dieser Armeen ist in maximaler Grenz-

nähe disloziert, wobei im Falle großer Frontbogen in Richtungdes Gegners diese ungewöhnlichen Armeen gerade in solchenAusbuchtungen angetreten sind. Jede dieser Armeen ist mit mo-dernster Bewaffnung ausgerüstet. So verfügt zum Beispiel das6. Mechanisierte Korps der 10. Armee unter anderem über 452allerneueste Panzer der Typen T-34 und KW. Das 4. Mechani-sierte Korps der 6. Armee hat unter anderem 460 allerneueste

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bis 12 schwere Artillerieregimenter, NKWD-Truppenteile undvieles andere mehr erhalten.

Ich weiß nicht, wie man diese ungewöhnlichen Armeenbezeichnen soll. Wenn wir uns jedoch formal ihrer wirklichenBezeichnung bedienen, nämlich 6., 9., 10. Armee, dann gera tenwir unwil lkürlich in eine Falle, die der sowjetische Generalstabbereits 1939 aufgestellt hat. Wir büßen unsere Wachsamkeit einund behandeln diese Armeen in unserer Vorstellung wie ge-wöhnliche Stoßarmeen oder gewöhnliche Invasionsarmeen.Dabei sind es völlig ungewöhnliche Armeen! Weder in Deutsch-land noch in irgendeinem anderen Lande der Welt hat es jeetwas Vergleichbares gegeben: Armeen, von denen jede ein-zelne über mehr als 2000 Panzer verfügt! Jede dieser völlig

ungewöhnlichen Armeen entsprach, gemessen an der Anzahlihrer Panzer, der halben deutschen Wehrmacht oder überstiegdiese sogar! In qualitativer Hinsicht aber war die Überlegenhe itdieser Panzer einfach überraschend.

Doch auch das ist noch nicht alles. Die sowjetische Führunghatte eine hinreichende Anzahl von Korps zur Verfügung, diekeiner Armee angeschlossen, aber in genügender Grenznähedisloziert waren. Die einfache Eingliederung dieser Korps in

  jede beliebige gewöhnliche Armee konnte diese in eine Stoß-armee verwandeln und aus jeder beliebigen Stoßarmee eine

Superarmee machen, ohne daß die Numerierung und Bezeich-nung der Armeen geändert werden mußten.

Wenn wir die deutschen Panzergruppen mit ihren jeweils600 bis 1000 Panzern als aggressive Einheiten bezeichnen, wiesollen wir dann erst die 6., 9. und 10. sowjetische Armee defi-nieren?

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7.Innerhalb der drei extrem starken Stoßarmeen lenkt natürlichdie stärkste von ihnen, die 9. Armee, unsere besondere Auf-merksamkeit auf sich. Noch vor kurzem, während des Winter-krieges, war sie nicht mehr als ein Schützenkorps (bestehendaus drei Schützendivisionen) mit einer hochtrabenden Bezeich-nung gewesen. Nach dem Winterfeldzug löste sich die 9. Armee

Gener alob erst. Für damalige Zeiten bedeutet das einen ausneh-mend hohen Rang. In den gesamten Streitkräften der UdSSRgab es insgesamt nur acht Generaloberste, davon keinen ein-zigen in den starken sowjetischen Panze rtruppen, ebensowenigbei den Luftstreitkräften und auch nicht beim NKWD. An derSpitze der dreißig sowjetischen Armeen standen Generalmajoreund Ge nerall eutnante. Die 9. Armee bildet die einzige Aus-

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im Nebel auf, tauchte an anderer Stelle auf, verschwand erneutund tritt nun unter dem Schutz des TASS-Kommuniques vom

13. Juni 1941 wieder aus der Versenkung hervor. Sie ist nochnicht komplett. Vorerst gleicht sie dem Rohbau eines Wolken-kratzers, der zwar noch nicht fertiggestellt ist, aber doch schonmit seiner riesigen Masse die Sonne verdunkelt. Im Juni 1941 istdie 9. Armee das unfertige Stahlgerippe der mächtigsten Armeeder Welt. Sie umfaßt sechs Korps, darunter zwei mechanisierteund ein Kavalleriekorps. Insgesamt verfügt die 9. Armee am21. Juni 1941 über siebzehn Divisionen, und zwar zwei Flieger-,vier Panzer-, zwei motorisierte, zwei Kavallerie- und siebenSchützendivisionen. Das erinnert sehr an die anderen extremstarken Stoßarmeen, doch die 9. Armee soll auch noch ein wei-

teres mechanisiertes Korps erhalten, das 27., unter General-major I. Je. Petrow. Dieses im Militärbezirk Turkestan aufge-stellte Korps, dessen Formierung noch nicht abgeschlossen ist,wird heimlich nach Westen geworfen. Nach seiner Einbindungin die 9. Armee wird diese 20 Divisionen umfassen, daruntersechs Panzerdivisionen. Wenn alle diese Einheiten ihre volleKampfstärke erreicht haben, werden die sieben Korps der9. Armee insgesamt über 3341 Panzer verfügen. Quantitativentspricht das dem, was die ganze Wehrmacht besitzt, und qua-litativ ist es noch besser. Generaloberst P. Below (zu der Zeit Ge-

neralmajor und Kommandeur des 2. Kavalleriekorps der 9. Ar-mee) bezeugt, daß sogar die Kavallerie dieser Armee Panzervom Typ T-34 erhalten sollte. (»Militärhistorische Zeitschrift«1959, Nr. 11, S. 66)

Noch kurz davor hatte die 9. Armee Kommandeure, die sichweder zuvor noch später in irgendeiner Weise hervortaten. Nunhat sich alles geändert. An der Spitze der 9. Armee steht ein

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nahme. Obendrein sind in dieser außergewöhnlichen Armeedurcha us vielversprechende Offiziere und Generale vertreten,unter ihnen drei künftige Marschälle der Sowjetunion: R. Ja.Malinow ski, M. W. Sacharow und N. I. Krylow, außerdem derkünftige Marschall der Luftstreitkräfte und Dreifache Held derSowjetunion A. Pokryschkin, die künftigen Armeegenerale L Je.Petrow, P. N. Laschenko und L G. Pawlowski sowie viele anderebegabte und aggressive Kommandeure, die sich bereits in Ge-fechten ausgezeichnet hatten - wie der 28jährige Generalmajorder Lufts treitkräft e A. Ossipenko - oder zu großen Hoffnungenberechtigten (die sich in der Mehrzahl glänzend bewahrheite-ten). Es drängt sich der Eindruck auf, daß irgend jemandessorgsame Hand fü r diese ungewöhnliche Armee peinlich genau

alles ausgewählt hat, was es an Bestem und Vielversprechend-stem gab. Wo aber stand diese Armee?

Bei der Beantwortung dieser Frage machen wir eine kleine,aber bedeutsame Entdeckung: In der ersten Junihälfte desJahres 1941 wird in der Sowjetunion die mächtigste Armee derWelt aufgestellt, aber nicht an der deutschen Grenze.

Diese verblüffende Tatsache ist (zumindest für mich per-sönlich) ein hinreichender Beweis dafür, daß das gigantischeAnwachsen der sowjetischen militärischen Präsenz an derWestgrenze insgesamt und insbesondere die Steigerung der

Kampfkraft in der Ersten Strategischen Staffel nicht durch einedeutsche Bedrohung ausgelöst worden war, sondern auf ande-ren Überlegungen basierte. Die Dislozierung der 9. Armee gibteinen deutlichen Hinweis auf diese Überlegungen: Sie war ander rumänischen Grenze aufmarschiert. Nach ihrem ersten Ver-schwinden war die 9. Armee im Juni 1940 plötzlich an der rumä-nischen Grenze aufgetaucht, und zwar nicht mehr als irgend-

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eine zweitrangige Armee, sondern jetzt war sie in der neuenQualität einer echten Stoßarmee auferstanden. Der »Befrei-ungsfeldzug« nach Bessarabien stand bevor, und sowjetischeQuellen sprechen davon, daß »die 9. Armee speziell für dieDurchführung dieser wichtigen Aufgabe geschaffen wordenwar«. (»Militärhistorische Zeitschrift« 1972, Nr. 10, S. 83) Dieentsprechende Vorbereitung der Armee lag in den Händen deraggressivsten sowjetischen Kommandeure. Am Vorabend des

Das ist der Grund, weshalb sich die tüchtigsten Komman-deu re an eben dieser Stelle eingefunden hatten. Die 9. Armeewar urpl ötzlich Mitte Juni 1941 aufgetaucht. Doch dieses Über-raschungsmoment galt nur für Außenstehende. Die 9. Armeewar schon immer da gewesen, mindestens aber seit Mitte 1940.Man hatte sie offiziell einfach eine Zeitlang nicht bei ihremName n genannt , und die Befehle waren vom Stab des Militärbe-zirks unmittelbar an die Korps übermittelt worden. Der Stab

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aggressivsten sowjetischen Kommandeure. Am Vorabend des»Befreiungsfeldzuges« inspizierte der aus dem Gefängnis ent-lassene K. K. Rokossowski die Armee. Die 9. Armee gehör te zur

Südfront; als führende Armee in einer Schlüsselfunktion war siemit derselben Aufgabe betraut, wie sie der 7. Armee in Finnlandzugefallen war. Die Front wurde von G. K. Schukow persönlichbefehligt. Nach dem kurzen »Befreiungsfeldzug« taucht die9. Armee erneut unter. Jetzt aber erscheint sie abermals - ge-deckt durch das TASS-Kommunique vom 13. Juni 1941 -, undzwar genau da, wo sie ein Jahr zuvor die »Befreiung« Bessara-biens beendet hatte. Doch nun ist sie nicht länger eine einfacheStoßarmee im Rahmen einer Invasionsoperation, jetzt ist sieeine superstarke Angriffsarmee und auf dem besten Wege, diestärkste Armee der Welt zu werden. Wofür? Zur Verteidigung?

Ich bitte Sie, auf rumänischer Seite stehen nur geringe Streit-kräfte, und selbst wenn dort ein großes Truppenkontingentläge, würde doch kein einziger Aggressor den entscheidendenVorstoß über Rumänien vorantragen, schon weil dies ganz ein-fach die elementarsten geographischen Überlegungen verbie-ten. Aber nun könnte ein neuer »Befreiungsfeldzug« der 9. Ar-mee nach Rumänien die gesamte strategische Lage in Europaund der ganzen Welt verändern. Rumänien ist der Haupterdöl-lieferant Deutschlands. Ein Vorstoß nach Rumänien würde fürDeutschland den Zusammenbruch bedeuten, würde den Still-

stand aller Panzer und Flugzeuge, sämtlicher Maschinen,Schiffe, der ganzen Industrie und des Transportwesens zurFolge haben. Das Erdöl ist der Lebenssaft des Krieges, und dasHerz Deutschlands schlug, wie seltsam das auch klingen mag,in Rumänien. Ein Angriff auf Rumänien war ein unmittelbarerAngriff auf den Herzschlag Deutschlands.

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zirks unmittelbar an die Korps übermittelt worden. Der Stabder 9. Armee und der Stab des Militärbezirks Odessa (der übri-gens im Oktober 1939 eingerichtet worden war) waren einfach

zu einer Einheit verschmolzen, und sie trennten sich späterebenso unkompliziert. Diese Trennung wurde am 13. Juni 1941vollzogen.

Die Erfahrun g hat gezeigt, daß spätestens einen Monat nachdem Auftauchen einer Stoßarmee an der Grenze eines kleinenStaates der Befehl zur »Befreiung« des benachbarten Territo-riums erging. Unabhängig davon, wie sich die Ereignisse nacheiner Invasion sowjetischer Truppen in Deutschland entwickelnmochten (das sich, nebenbei gesagt, ebensowenig auf eine Ver-teidigung vorbereitete), konnte die Entscheidung über den Aus-gang des Krieges fern von den eigentlichen Schlachtfeldern

fallen. Stalin ging ganz offensichtlich von einer solchen An-nahme aus. Das ist der Grund, weshalb die 9. Armee die stärkstevon allen Armeen war. Das ist der Grund, weshalb bereits imMärz 1941, zu einem Zeitpunkt, als die 9. Armee offiziell nochgar nicht existierte, an dieser Stelle der noch recht junge, unge-wöhnlich verwegene Generalmajor R. Ja. Malinowski in Er-scheinung tritt. Derselbe Malinowski, der vier Jahre später dieganze Welt mit seinem tollkühnen Vorstoß durch die Wüsten undüber das Gebirge in die gigantische Tiefe der Mandschurei inErstaunen versetzte.

1941 standen Malinowski und seine Kampfgefährten in der9. Armee vor einer ganz einfachen Aufgabe. Sie hatten nicht 810Kilometer zu überwinden wie in der Mandschurei, sondern bloß180 km; ihr Weg führte nicht durch Wüsten und Gebirge, son-dern über eine Ebene mit recht passablen Straßenverhältnis-sen. Die geplante Offensive richtete sich nicht gegen die japa-

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nische Armee, sondern die weit schwächeren rumänischenTruppen. Außerdem sollte der 9. Armee die dreifache Menge anPanzern zur Verfügung stehen im Vergleich zu der Anzahl, diedie 6. Gardepanzerarmee 1945 zugeteilt erhielt.

Hitler hat es nicht so weit kommen lassen. In der Erklärungder Deutschen Reichsregierung, die der sowjetischen Regie-rung bei Kriegsausbruch überreicht wurde, sind die Gründe fü rdie deutschen Aktionen gegen die Sowjetunion genannt, darun-

Vorstoß der sowjetischen Truppen nach Bukarest und Plo iestihabe schützen wollen.

Dann lassen Sie uns doch der Gegenseite Glauben sc henke n!Diese Gegenseite aber sagt genau dasselbe: Selbst die Leut-nants wußten bereits, daß sie bald in Rumänien sein würden.Ein sowjetischer Offizier hat nicht das Recht, als Tourist durchsAusland zu bummeln. Die Sowjetunion ist nicht das alte Russi-sche Reich mit seinen Freiheiten In welcher anderen Eigen-

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die deutschen Aktionen gegen die Sowjetunion genannt, darunter wird auch die unbegründete Konzentration sowjetischerTruppen an der rumänischen Grenze aufgeführt, die eine töd-

liche Bedrohung für Deutschland darstellte. Das alles sind keineHirngespinste »Goebbelsscher Propaganda«. Die 9. extremstarke Armee war ausschließlich als Offensivarmee aufgestelltworden. Generaloberst P.Below ist Zeuge dafür, daß in der9. Armee sogar nach Beginn der deutschen Operationen auf sowjetischem Territorium »jede Verteidigungsaufgabe alles inallem als eine kurzfristige Operation angesehen wurde«. (»Mili-tärhistorische Zeitschr ift« 1959, Nr. 11, S. 65) An diesem Syndromlitt im übrigen nicht nur die 9. Armee, sondern alle übrigensowjetischen Armeen nicht minder.

Eine weitaus interessantere Mitteilung über die Stimmung

in der 9. Armee macht der Dreifache Held der Sowjetunion und   Marschall der Luftstreitkräfte A. L Pokryschkin (damals Ober-leutnant und Stellvertreter des Kommandeurs einer Jagdflie-gerstaffel der 9. Armee). Hier seine Unterhaltung mit einem»Bourgeois«, dem die Befreier seinen Laden weggenommen ha-ben. Der Vorfall spielt sich auf dem Territorium des »befreiten«Bessarabien im Frühjahr 1941 ab:

»>0h, Bukarest! Wenn Sie es nur sehen könnten, was füreine Stadt!<

>Irgendwann werde ich es sehen<, antwortete ich, fest über-

zeugt. Der Hausherr riß die Augen auf in Erwartung dessen,was ich weiter sagen würde. Es war angebracht, das Thema derUnterhaltung zu wechseln.« (A. L Pokryschkin, Der Himmel imKriege. Nowosibirsk 1968, S. 10)

Wir wollen Hitler nicht abnehmen, daß er mit seinem »Un-ternehmen Barbarossa« Deutschland vor einem verräterischen

180

sche Reich mit seinen Freiheiten. In welcher anderen Eigenschaft konnte Pokryschkin nach Rumänien geraten, wenn nichtin der eines »Befreiers«? In den Worten des jungen Offiziers lag

nicht die Spur von Aufschneiderei: Nach dem Krieg ist der»Große Bruder« in Gestalt des Genossen Pokryschkin in dem»befreiten« Bukarest gewesen. Hitler hatte alles getan, um diesabzuwenden. Doch es gelang nicht. Es war lediglich gelungen,die unvermeidliche »Befreiung« ein wenig hinauszuzögern.

181

GEBIRGSJÄGERDIVISIONENIN DEN STEPPEN DER UKRAINE

Von großer Effizienz werdenLuftlandeunternehmungen auf den

Kriegsschauplätzen im Gebirgesein. Angesichts der unter diesen

Bedingungen besonderen

Lösung genau definierter und nur ihr zukomme nder Aufgabenim bevorstehenden »Befreiungskrieg« geschaffen worde n.

Die Unmenge veröffentlichter Materialien würde ausrei-chen, um über jede einzelne der dreißig sowjetischen Armeeneine gesonderte Abhandlung zu schreiben. Läßt man sich auf ein gründliches Studium von Struktur, Dislozierung, Komman-deursbestand und Zielsetzung der Gefechtsausbildung auchnur einer einzigen sowjetischen Armee (gleich welcher auch

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Bedingungen besonderenAbhängigkeit der Truppen, Stäbe

und rückwärtigen Dienste von den

vorhandenen Verkehrswegen istdie Durchführung von Luftlande-

operationen im Rücken derkämpfenden Truppen des Gegners

zur Besetzung von wichtigenHöhen, Engstellen, Pässen,

Verkehrsknotenpunkten usw. anseinen Verkehrs- und Nachrichten-verbindungen sinnvoll und kann im

Endeffekt eminent wichtigeResultate zeitigen ... Außerhalb

einer Angriffsoperation dürfte dasAbsetzen von Luftlandeeinheiten

insgesamt kaum zweckmäßig sein.(»Militärischer Bote« 1940, Nr. 4,

S . 7 6 - 7 7 )

l.

Die eingehende Beschäftigung mit den sowjetischen Armeen

der Ersten Strategischen Staffel läßt vor unseren Augen daserstaunliche Bild einer gründlichen und unermüdlichen Vorbe-reitung der Sowjetunion auf den Krieg entstehen. Verwundertstellen wir fest, daß jede Armee ihre eigene einmalige Strukturbesitzt, ihre spezifischen Besonderheiten, ihren eigenen unver-wechselbaren Charakter. Jede »Sicherungsarmee« war zur

182

g wj (g w aimmer) ein, wird die offensive Zielsetzung der sowjetischen Vor-bereitungen völlig deutlich.

Da es hier an Raum fehlt, um sämtliche Armeen zu beschrei-ben, will ich mich nur kurz bei einer einzigen aufhalten. Offiziellführt sie die Bezeichnung 12. Armee. Sie umfaßt ein mecha-nisiertes und zwei Schützenkorps sowie weitere Truppenteile;insgesamt sind es neun Divisionen, darunter zwei Panzerdivi-sionen und eine motorisierte. Auf den ersten Blick ist es einegewöhnliche Invasionsarmee. Weder anhand der Bezifferungnoch ihrer Benennung noch ihrer Zusammensetzung läßt siesich von anderen ebensolchen Invasionsarmeen unterscheiden.Ihre Entstehungsgeschichte bewegt sich völlig im Rahmen derNorm: Ins Leben gerufen wird sie zur Zeit der Unterzeichnung

des Molotow-Ribbentrop-Paktes. Einige Wochen später ist siebereits im Einsatz: Sie »befreit« Polen. Zu der Zeit besteht sieaus einem Panzerkorps, zwei selbständigen Panzerbrigaden,zwei Kavalleriekorps und drei Schützendivisionen. Die geringeAnzahl von Infanterie und Artillerie kommt nicht von ungefähr:Eine starke Abwehr braucht hier nicht durchbrochen zu wer-den. Dafür weist sie viele mobile Truppen auf. »Die 12. Armee... war ihrem Wesen nach eine bewegliche Frontgruppe.«(Sowjetische Militärenzyklopädie, Bd. 8, S. 181)

Der Norm entspricht auch das weitere Schicksal dieser

Armee: Zwar war der »Befreiungsfeldzug« in Polen abgeschlos-sen, doch die Armee wird aus irgendwelchen Gründen nichtaufgelöst, sondern an der deutschen Grenze belassen. Weshalb?Man sagt, der naive Stalin vertraute Hitler. Weshalb entläßt erdann nicht seine Armeen, die man eigentlich nur für den Falleines Krieges aufzustellen pflegt?

183

Im weiteren Verlauf erfähr t die 12. Armee dieselbe Transfor-mation wie alle benachbarten Invasionsarmeen. Ihr Haupt-angriffsinstrument wird nun nicht mehr als Panzerkorps, sondernals mechanisiertes Korps bezeichnet. Das geschieht, um diepolitischen und militärischen Führer des angrenzenden be-freundeten Staates nicht zu beunruhigen. Allerdings hat dieUmstellung der Bezeichnung keine Reduzierung der Panzer-zahl in dieser Armee zur Folge, sondern deren Vermehrung. Die

gier, Armenier, Aserbaidschaner. Doch in der 12. Armee wir ddieses Element besonders deutlich spürbar. Bei den Offizierenstoßen wir auf Familiennamen wie Parzwanija, Grigorjan, Ka-balawa, Hussein-Sade, Sarkoschjan zu Dutzenden und zu Hun-derten. Und nicht nur auf der Ebene der Kompaniechefs undBataillonskommandeure: Der Befehlshaber des Militärbezirks,Armeegeneral G. K. Schukow, hat unter den Dozenten der Mili-täraka demie einen alten Freund, den Armenier Oberst I. Ch. Ba-

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a d ese ee u o ge, so de de e Ve e u g. eKavallerie wird aus der Armee entfernt. Die Möglichkeiten, dieVerteidigung des Gegners aufzureißen, werden verstärkt: Die

Anzahl der Schützendivisionen wird verdoppelt und ebenso dieMenge an Artillerie in jeder Division, zusätzlich bekommt dieArmee eine Artilleriebrigade und vier selbständige Artillerie-regimenter hinzu. Dank der Integration eines selbständigenPionierregiments in die Armee sind auch die Möglichkeiten,gegnerische Pioniersperren zu überwinden, gewachsen.

Was also ist an dieser Armee so Ungewöhnliches? Alle Inva-sionsarmeen machten ungefähr eine gleiche Entwicklungdurch. Ungewöhnlich ist die nationale Zusammensetzung die-ser Armee. 1939, als sich die 12. Armee auf den Einmarsch inPolen vorbereitete, hatte sie Stalin mit Ukrainern auffüllen las-sen, ganz offensichtlich im Hinblick auf die uralte polnisch-ukrainische Zwietracht. An die Spitze der Armee war S. K. Timo-schenko getreten, und an seiner Seite finden wir zahlreicheKommandeure ukrainischer Herkunft. Die Armee war in derUkraine aufgestellt worden. Deshalb wurden auch die Reser-visten von dort eingezogen, und sie stellten in der 12. Armeeeine konstante Mehrheit dar.

Nach der »Befreiung« Polens vollzieht sich ein langsamerund kaum merklicher Wandel in der Zusammensetzung der12. Armee. Bereits 1940 erkennen wir recht tiefgreifende Ver-

änderungen. Damit die nationale Eigenart dieser Armee nichtsofort ins Auge springt, stehen Russen an ihrer Spitze und ineinigen Schlüsselfunktionen. Aber in ihrer überwiegendenMehrheit ist die Armee bereits kein ukrainischer Truppenver-band mehr, und auch kein russischer. Es ist eine kaukasischeArmee geworden. Auch in anderen Armeen begegnen uns Geor-

184

täraka demie einen alten Freund, den Armenier Oberst I. Ch. Bagramjan, ausgesucht und ihn als Chef der Operativen Abteilung(Krie gsplanung) in den Stab nicht irgendeiner, sondern gerade

dieser 12. Armee kommandiert. Dort aber gibt es inzwischennicht nu r kaukasische Oberste, sondern auch nicht wenige kau-kasische Generale. Selbst der Stabschef der Armee, GeneralBagrat Aruschunjan, stammt aus dem Kaukasus.

Der Befehlshaber des Militärbezirks, G. K. Schukow, ist häu -figer Gast bei dieser Armee und hat nicht ohne Grund aus demKaukasus gebürtige Männer dort zusammengezogen - heimlich,aber unbeirrt wird die Armee in eine Gebirgsjägertruppe um-gewandelt. Schukow persönlich verlangt vom Armeekommandoeine gründliche Kenntnis der Karpatenpässe, und zwar nichtnur aufgrund von Beschreibungen, sondern aus der Praxis. Ergibt Befehl, »im Herbst über die Pässe auf allen mehr oder min-der passierbaren Strecken speziell aus verschiedenen Gefechts-fahrzeugen und Transportmitteln zusammengesetzte Gruppenin Marsch zu setzen, um sich in der Praxis von der Möglichkeitdes Übergangs mit Panzern, Kraftwagen, Zugmaschinen, Pfer-degespannen und Lasttieren zu überzeugen«. (Marschall der Sowjetunion L Ch. Bagramjan, »Militärhistorische Zeitschrift«1967, Nr. l, S. 54) Hier ist die Rede von der ersten Hälfte desJahres 1940. Hitler kämpft zu der Zeit in Frankreich, er stehtmit dem Rücken zur Sowjetunion, derweilen Schukow seine

Experimente zur Überwindung von Gebirgspässen durchführt.Schukow wußte natürlich nicht, daß erst kürzlich deutscheGenerale insgeheim ebensolche Experimente durchgeführthaben, um sich zu vergewissern, daß ihre Truppen, Panzer,Artilleriezugmaschinen und Transpor tfahrzeuge die Ardennenpassieren können.

185

Aber vielleicht bereitet Schukow die 12. Armee auch auf eine Verteidigung vor? Nein. Der für die Kriegspläne verant-wortliche Bagramjan ist Zeuge: »Beim Studium der operativenPläne machte mich folgende Feststellung betroffen: UnsereGrenzarmee besitzt keinen Plan zur Entfaltung für Grenzsiche-rungsaufgaben.« »Beim Studium der Pläne« - das besagt, daßdas Safe der Operativen Abteilung der 12. Armee nicht leer ge-wesen ist. Dort lagen Pläne. Eine rasche Durchs icht reichte zum

er die »offene Demonstration der Verteidigungsarbeiten« beob-achtet - den Bau von Stahlbetonbefestigungen unmittelbar amGre nzf luß , so daß der Gegner dies alles gut einsehen kann.

Ein erstaunlicher Tatbestand: Schukow interessiert sich fürGebirgspässe und deren Passierbarkeit. Aber keineswegs ausdem Blickwinkel einer möglichen Verteidigung. Hätte Schukowdie Absicht, sämtliche Pässe für den Gegner unpassierbar zumachen, dann müßte er Truppen in die Berge werfen und sämt-

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Kennenlernen nicht aus. Es waren komplizierte Unterlagen, sol-che, die man studieren mußte. Aber siehe da, unter den Kriegs-

plänen fand sich kein Plan für den Fall einer Verteidigung.Interessant ist die Beschreibung der Truppenübungen der12. Armee, zu denen Schukow persönlich angereist kam. Eswerden reine Offensivaufgaben ausgearbeitet, wobei sich auf den Karten der Krieg auf deutschem Gebiet abspielt. Das erste,womit die Niederlage auf den Karten beginnt, ist der Sturm-angriff der sowjetischen Truppen über den Grenzfluß San. DasKriegsspiel richtet sich nicht gegen irgendeinen erfundenenGegner, sondern gegen einen sehr realen, unter Verwendungstreng geheimer nachrichtendienstlicher Informationen. Zwi-schen Schukow und dem Kommandierenden General der Armee

kommt es zu Meinungsverschiedenheiten. Nein, nein, nichtüber die Frage, ob Angriff oder Verteidigung. Der Komman-dierende Parussinow vertritt seinen Standpunkt: »Wir müssenversuchen, dem Gegner maximale Verluste bereits durch denersten Angriffsschlag zuzufügen.« Der weise Schukow versteht,daß dies treffliche Absichten sind, gewiß muß ein solcher Schlagerfolgen, doch nicht auf breiter Front, sondern auf einem sehrschmalen Abschnitt. Das ist es, worum der Streit geht.

Nachdem Schukow den Kommandierenden der Armee ersteinmal theoretisch am Boden zerstört hat, läßt er es dabei nicht

bewenden. Parussinow wird bald von seinem Posten abgelöstund an seine Stelle ein alter Freund Schukows, General P. G.Ponedelin, berufen.

Danach werden die Experimente zur Überquerung der Ge-birgspässe fortgesetzt. Bagramjan leitet sie persönlich. Im Ver-lauf dieser Experimente taucht er an der Staatsgrenze auf, wo

186

liche Pfade und Straßen im Gebirge umgraben lassen, dannmüßten die Stahlbetonsperren nicht im Tal unmittelbar am

Fluß, sondern gerade dort oben im Bereich der Pässe errichtetwerden! Das wäre ökonomischer, und der Gegner würde wederdie Bauarbeiten einsehen noch die Pässe überqueren können.Aber wer würde auch die Sowjetunion über die Gebirgskämmeangreifen, wenn sich ohnehin bereits eine Menge offenerRäume in der Ebene anbieten? Doch für die sowjetische Füh-rung besitzen diese Berge einen unschätzbaren Wert: Deutsch-land und seine Haupterdölquellen sind durch eine doppelteGebirgsbarriere in der Tschechoslowakei und in Rumänien von-einander getrennt. Ein Vorstoß sowjetischer Truppen über dasGebirge wäre für Deutschland eine tödliche Gefahr.

Über die eigenen Gebirgspässe vorzurücken und die Pässein der Tschechoslowakei oder in Rumänien zu besetzen wäregleichbedeutend mit dem Durchtrennen der Erdöl-Aorta.

  Marschall der Sowjetunion G. K. Schukow: »Die Schwach-stelle Deutschlands war seine Erdölgewinnung, die es jedochbis zu einem gewissen Grade durch den Import des rumäni-schen Erdöls kompensieren konnte.« (Erinnerungen und Ge-danken, S. 224) Alles Geniale ist einfach. Schukow hat in seinemganzen Leben keine einzige militärische Niederlage erlitten,weil er stets einem einfachen Prinzip folgte: Man muß die

Schwachstelle des Gegners heraus finden und dann überras chendzuschlagen.Schukow kennt die Schwachstelle Deutschlands, und des-

halb werden die Experimente in den Bergen fortgesetzt. DieMöglichkeiten jeder Truppengattung, jeder Art von Kampf- undTransportfahrzeugen werden unter den Bedingungen der Kar-

187

patenpässe nach wissenschaftlichen Kriterien studiert. Peinlichgenau werden Normen festgelegt und überp rüft , Empfehlungenfür die Truppen ausgearbeitet. Die Zeit, welche die verschiedenenFahrzeugtypen für die Überquerung der Karpatenpässe benö-tigen, wird sorgfältig analysiert und fixiert. Das alles ist natürlichaußerordentlich wichtig für die Planung von Angriffsoperatio-nen, und noch dazu blitzartiger Aktionen. Genau wie bei derPlanung eines Banküberfalls muß auch hier selbst das gering-

il b k i h i d ll i ß li h G i

eindeutige Mehrheit darstellen? Ich würde solche Korps Gebirgs-  jägerkorps nennen und die Armee eine Gebirgsjägerarmee.Aber die sowjetische Führung hat ihre Gründe, dies nicht zutun. Die Korps heißen wie früher auch 13. und 17. Schützen-korps, und die Armee bleibt einfach die Zwölfte.

Wir sehen hier nur das Ergebnis der Umstellungen, derProzeß selbst bleibt uns verborgen. Wir wissen nur, daß die Ge-birgsjägerdivisionen ihre offiziel le Bezeichnung am 1. Juni 1941

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ste Detail berücksichtigt und alles mit größtmöglicher Genauig-keit berechnet werden. Und eben damit ist Bagramjan an den

Paßübergängen beschäftigt: Er stellt die Zeiten fest , damit sichdie Planung auf ganz konkrete Erfahrungen stützen kann. Ne-benbei gesagt: Für eine Verteidigung ist das alles völlig unnötig.Wenn man die Karpatenpässe gegen einen Gegner verteidigenwill, bedarf es keiner Zeitmessungen. Da braucht man nur denSoldaten zu sagen: Haltet die Stellung und laßt den Feind nichtdurch! Haltet euch dort ein Jahr lang, oder auch zwei, bleibt biszum Sieg oder Tod!

2.

Die Entwicklung der Ereignisse nimmt einen stürmischen Ver-lauf. Schukow wird befördert, und nach ihm auch Bagramjan.Aber weder der eine noch der andere vergißt die so ungewöhn-liche 12. Armee.

In der 12. Armee werden ebensowenig wie in allen anderensowjetischen Armeen die Dinge bei ihrem Namen genannt.Anfang Juni 1941 werden vier Schützendivisionen (die 44., 58.,60. und 96.) in Gebirgsjägerdivisionen umgewandelt. Zusätzlichwird zur gleichen Zeit die heimlich aus Turkestan heran-geführte, gerade erst aufgestellte 192. Gebirgsjägerdivision der12. Armee unterstellt. Wie soll man ein Korps bezeichnen, dasaus zwei Divisionen besteht, und beide sind Gebirgsjägerver-bände? Wie soll man ein anderes Korps nennen, in dem von vierDivisionen drei aus Gebirgsjägern bestehen? Wie soll man eineArmee bezeichnen, in der von drei Korps zwei in WirklichkeitGebirgsjägertruppen sind; in der die Gebirgsjägerdivisionen die

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erhielten, aber der Befehl hierzu war am 26. April ergangen,während die Umstellung der Schützendivisionen auf Gebirgs-

 jägerdivis ionen schon Anfang Herbst 1940 begonnen hatte, nochbevor Bagramjan seine Experimente in Angriff nahm. Nicht nurdie 12. Armee verwandelt sich in eine Gebirgsjägerarmee, ihrEinfluß erstreckt sich auch auf die Nachbararmeen. Die inner-halb der 12. Armee ausgebildete 72. Gebirgsjägerdivision(unter Generalmajor P. I. Abramidse) wird an die benachbarte26. Armee abgegeben.

Hinter der 12. und 26. Armee wird heimlich die aus demNordkaukasus herangeführte 19. Armee unter GeneralleutnantI. S. Konew entfaltet. Auch bei ihr stoßen wir auf Gebirgsjäger-divisionen (unter ihrem Kommandeur Oberst K. I. Nowik). Und

eben jetzt vollzieht sich unter dem Schutz des TASS-Kommu-niques vom 13. Juni 1941 in den Ost-Karpaten zwischen der 12.(Gebirgsjäger-)Armee und der 9. (extrem starken Angriff s-)-Armee die Entfaltung einer weiteren Armee - der Achtzehnten.Hitler hat diesen Prozeß nicht zum Abschluß kommen lassen,und wir können deshalb nicht mit letzter Sicherheit die Zusam-mensetzung dieser Armee in der Form bestimmen, wie sie vonder sowjetischen Führung vorgesehen war. Hitler warf allesowjetischen Pläne durcheinander, und etwas, womit keiner ge-rechnet hatte, setzte ein. Dennoch gibt es genügend Dokumente,

die den Schluß erlauben, daß die 18. Armee in der ursprüng-lichen Planung eine genaue Kopie der 12. (Gebirgsjäger-)Armeewar, obwohl auch sie diese Bezeichnung nicht führte. Eine ein-gehende Beschäftigung mit den Archiven der 12. und 18. Armeewird jeden wissenschaftlich Interessierten durch die absolutestrukturelle Übereinstimmung der beiden Truppenverbände

189

verblüffen. Es ist ein ganz ungewöhnliches Beispiel von Zwil-lings-Armeen. Die Übereinstimmung geht so weit, daß in der18. wie in der 12. - aber sonst in keiner anderen Armee - derStab von einem kaukasischen General geleitet wird. Es ist derGeneralmajor (und spätere Armeegeneral) W. Ja. Kolpaktschi.

Den Umstellungsprozeß auf ein Gebirgsjägerprofil hatteman auf eine solide Basis gestellt. Die Gebirgsjägerdivisionenwurden durch speziell ausgewählte und ausgebildete Soldaten

f füllt Di Di i i d i i b d Et t

Truppen an dieser Stelle zu Verteidigungszwecken würden sieschon in Friedenszeiten von drei Seiten durch den Gegner um -zingelt sein. Unter Ausnutzung der Ebene n südlich und beson-ders nördlich der Ost-Karpaten könnte der Gegner jederzeiteinen Vorstoß im Rücken der in den Bergen verschanzten Trup-pen wagen und damit deren Versorgungswege abschneiden.

3. 1941 standen in den Karpaten keine gegnerischen Trup-pen in einer für Angriffsoperationen ausreichenden Zahl, unddie so jetische Führ ng ßte das sehr gena (Siehe B G

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aufgefüllt. Diese Divisionen wurden in einem besonderen Etat-plan geführt, der sich markant von dem gewöhnlicher Schüt-

zendivisionen unterschied; sie erhielten auch eine spezielleBewaffnung und Ausrüstung.Im Kaukasus wurde am Vorabend des Krieges eine Gebirgs-

  jägerschule eingerichtet, die die Ausbildung der besten sowje-tischen Alpinisten zu Instrukteuren übernahm. Die ausgebilde-ten Instrukteure wurden eilends an die Westgrenze geschickt,weil eben dort und nicht im Kaukasus und auch nicht in Tur-kestan im Juni 1941 eine große Masse von Gebirgsjägertruppenkonzent riert worden war. Über diese Schule erschien ein kurzerArtikel im »Roten Stern« (1.11. 1986), der auch eine entspre-chende Überschrift trägt: »Die Vorbereitung auf den Krieg im

Gebirge«.Nun ist es allerdings höchste Zeit für die Frage: in welchem

Gebirge?An der sowjetischen Westgrenze erhebt sich nur das relativ

kleine Massiv der Ost-Karpaten, die zum größten Teil eher sanf-ten Hügeln gleichen als einem Gebirge. Eine starke Vertei-digung in den Karpaten 1941 aufzubauen, war aus folgendenGründen unnötig:

1. Die Karpaten eignen sich an dieser Stelle nicht für einenAngriff in west-östlicher Richtung. Der Gegner würde aus denBergen in die Niederungen vorrücken, die Truppen müßten

 jedoch über die Karpaten, die Tatra, das Erzgebirge, die Sudetenund die Alpen versorgt werden. Das ist ausgesprochen be-schwerlich und zudem gefährlich für den Aggressor.

2. Die Ost-Karpaten ragen als stumpfer Keil in das Territo-rium des Gegners hinein. Bei einer Konzentration sowjetischer

190

die sowjetische Führung wußte das sehr genau. (Siehe z. B. Ge-

neralleutnant B. Aruschunjan, »Militärhistorische Zeitschrift«

1973, Nr. 6, S. 61)Die Konzentrierung zweier sowjetischer Armeen in denOst-Karpaten führte zu katastrophalen Folgen. Natürlich hatniemand diese Armeen frontal attackiert. Doch der Vorstoß der1. deutschen Panzergruppe nach Rowno stellte das sowjetischeOberkommando vor ein Dilemma: Sollte man die beiden Ar-meen in den Karpaten belassen, auf die Gefahr hin, daß sie dortohne Nachschub an Munition und Verpflegung untergingen,oder war es nicht besser, sie schnellstens aus dieser Mausefalleabzuziehen? Man entschloß sich für die zweite Lösung. Die bei-den für den Kampf in der Ebene nicht ausgerüsteten Armeen

mit ihrer leichteren Bewaffnung und einer Menge im Tieflandnicht benötigter Ausrüstung flohen aus den Bergen und gerie-ten in den Flankenangriff des deutschen Panzerkeils. Nach demleichten Sieg über diese aus den Bergen flüchtenden Armeendrängte die 1. deutsche Panzergruppe stürmisch voran und ge-langte in den Rücken der 9. (extrem starken Angriffs-) Armee,die ein klägliches Schicksal erlitt. Danach war für die deutschenTruppen der Weg frei zu den unverteidigten sowjetischen Flot-tenbasen, in das Donezbecken, nach Charkow, in das Gebiet vonSaporoschje und Dnjepropetrowsk, das heißt in Industrieregio-nen von immenser Bedeutung. Nach deren Verlust konnte dieSowjetunion in den Kriegsjahren nur noch 100000 Panzer pro-duzieren. Natürlich ist auch das noch weit mehr, als Deutsch-land aufzubringen vermochte, aber ohne den Verlust dieser Ge-biete hätte die sowjetische Panzerproduktion (und natürlich dieArtillerie-, Flugzeug- und Kriegsmarineproduktion usf.) um ein

191

Mehrfaches die auch so noch rekordartigen Ergebnisse über-treffen können.

Der Vorstoß der deutschen Truppen in den Süden derUkraine brachte die sowjetischen Truppen im Räume Kiew inäußerste Bedrängnis und eröffnete Deutschland außerdem denWeg zum Kaukasus - dem Erdölherzen der Sowjetunion - undnach Stalingrad - der Erdöl-Aorta.

Noch einmal mag Bagramjan zu Worte kommen: »Die ge-K i d O K hilf i h fü i kl V

sichtlich nichts zu tun. Um sie einsetzen zu können, müßte m andie sowjetischen Truppen nach Westen vorrücke n lassen, undzwar mehrere hundert Kilometer.

Sämtliche Faktoren, die die Ost-Karpaten für eine Offensivein west-östlicher Richtung ungeeignet erscheinen lassen, erwei-sen sich günstig für einen von Osten nach Westen gerichtetenA ngr i f f .

1. Die Truppen rücken zwar in die Berge vor, doch die Ver-li i bl ib f j ti h T it i d i

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naue Kenntnis der Ost-Karpaten war hilfreich für ein klares Ver-ständnis der außerordentlichen Notwendigkeit einer möglichst

schnellen Umstellung der schweren, nur wenig beweglichenund für Aktionen im Gebirge ungeeigneten Schützendivisionenauf leichtere Gebirgsjägerverbände. Wenn ich heute daranzurückdenke, ertappe ich mich bei dem Gedanken an meinenungewollten Irrtum. Denn diese Divisionen mußten zu Kriegs-beginn in ebenem Gelände kämpfen, weshalb die Umstellungauf alpine Verhältnisse sie nur geschwächt hatte.« (»Militär-historische Zeitschrift« 1967, Nr. l, S. 55)

Ich wiederhole: Zwei Armeen waren in den Karpaten 1941völlig unnötig. Aber selbst wenn sich jemand in den Kopf gesetzthätte, diese Truppen zur Verteidigung heranzuziehen, so wäre

auch dann nicht die Umstellung der schweren Schützendivisio-nen in leichte Gebirgsjägerverbände erforderlich gewesen. DieErfahrungen im Ersten Weltkrieg - darunter auch die der Rus-sen - hatten gezeigt, daß sich eine schwere Infanteriedivision inniedrigem, sanftem Hügelgelände für eine Verteidigung bessereignet als leichte Gebirgsjäger. Hatte die gewöhnliche In-fanterie erst einmal Pässe, Gebirgskämme, Gipfel und Höhenerobert, dann hielt sie, in den Boden eingegraben, diese Stellun-gen bis zum Ende des Krieges, und es hatte keinerlei militäri-sche Gründe gegeben, diese Verteidigung nicht auch noch viele

Jahre hindurch fortzusetzen. Trotz dieses Wissens bildet diesowjetische Führung die Schützendivisionen zu Gebirgsjäger-divisionen um, die im Grunde genommen nur in Angriffsopera-tionen einsetzbar sind. In den sowjetischen Divisionen tauchtenGruppen besonders ausgebildeter alpiner Bergsteiger auf. Inden sowjetischen Ost-Karpaten haben sie indessen ganz offen-

192

sorgungslinien bleiben auf sowjetischem Territorium und imwesentlichen auf ausgesprochen ebenem Gelände.

2. Die Ost-Karpaten erstrecken sich in einem stumpfen Keilnach Westen und zerschneiden damit die Gruppierung des Geg-ners in zwei Teile. Es ist ein natürlicher Aufmarschplatz, dereine starke Konzentration von Streitkräften schon zu Friedens-zeiten gewissermaßen im Rücken des Gegners erlaubt, so daßes nur noch der Fortsetzung der Truppenbewegung nach vornbedarf - unter gleichzeitiger Bedrohung der rückwärtigenFront des Gegners -, um diesen zum Rückzug an der ganzenFront zu zwingen.

3. In den Karpaten standen nur geringe gegnerische Kräfte.Der sowjetischen Führung war dies bekannt, gerade deshalb

hatte sie an dieser Stelle zwei Armeen zusammengezogen.Auf der Stelle treten konnten diese beiden Armeen nicht, für

beide reichte nicht der vorhandene Raum, zur Verteidigungwurden sie nicht gebraucht, und obendrein waren sie für einensolchen Zweck ungeeignet. Der einzig verbleibende Weg füreinen Einsatz dieser beiden Armeen im Krieg war der Vor-marsch. Geht man davon aus, daß eine Gebirgsjägerarmee fürOperationen im Gebirge aufgestellt wird, dann läßt sich dieRichtung der geplanten Bewegung sehr leicht bestimmen. Vonden Ost-Karpaten nehmen zwei Höhenzüge ihren Ausgang: Der

eine verläuft nach Westen in die Tschechoslowakei, der anderein Richtung Süden - nach Rumänien. Andere Fronten gab es fürAktionen der Gebirgsjägerarmeen nicht. Zwei Stoßrichtungen -zwei Armeen, alles ist vollkommen logisch. Jede Richtung istgleich wichtig, führt sie doch zu den Haupttransportadern fürdas Erdöl. Sicherheitshalber empfahl es sich, diese Arterien

193

gleich an zwei Stellen zu durch trennen . Schon die erfolgreicheOperation nur einer Armee würde für Deutschland äußerst kri-tisch sein. Und selbst dann, wenn beiden Armeen ein Erfolg ver-sagt bliebe, müßten immerhin ihre Aktionen auf den beiden Hö-henzügen den Nachschub deu tscher Reserven nach Rumänienschwächen. Vergessen wir nicht, daß außer diesen beiden Vor-stößen über die Gebirge auf die Erdöl -Aorta noch die 9. (extremstarke Angriffs-) Armee bereitsteht, die nur darauf w artet, denTodesstoß zu führen Ihre Operationen werden durch die beiden

nete Gebirgsjägerdivision mit dem ehrenvollen Namen »Ober-ster Sowjet der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjet-repu blik«, die zur 9. Armee gehörte, konnte ihrer eigentlichenBestimmung entsprechend nur in Rumänien eingesetzt werden.Es ist durchaus kein Zufall, daß diese Division (unter ihremKomma ndeur Generalmajo r S. G. Galaktionow) zum 48. Schüt-zenkorps von General R. Ja. Malinowski gehört. Zum einen ister der aggressivste Korps-Kommandeur nicht nur in der 9. Ar-mee sondern an der ganzen Süd Front Zum anderen steht das

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Todesstoß zu führen. Ihre Operationen werden durch die beidenHöhenzüge gedeckt. Um Rumänien vor der 9. Armee zu schüt-

zen, müssen die deutschen Truppen diese Höhenzüge nachein-ander überwinden, wobei sie auf jeweils eine ganze sowjetischeArmee treffen.

Das entscheidende Element in den Operationen der sowjeti-schen Gebirgsjägerarmeen sollen das Überraschungsmomentund das rasche Tempo sein. Gelingt es ihnen, die Gebirgspässezügig zu besetzen, wird es gewöhnlichen Feldtruppen nichtleichtfallen, sie dort wieder hinauszuwerfen. Um die Befesti-gungen der Pässe zu verstärken, waren nicht sämtliche sowjeti-schen Divisionen der Gebirgsarmeen auf Gebirgsjägertruppenumgestellt worden, zusätzlich verfügen diese Armeen über Pan-

zer- und motorisierte Divisionen sowie schwere Panzerabwehr-brigaden. Ein schneller überraschender Vorstoß - und Deutsch-land ist ohne Erdöl... Das ist der Grund, weshalb Bagramjanmit der Stoppuhr in der Hand seine Panzersoldaten auf denBergpässen trainiert. Und Schukow verfolgt höchst aufmerk-sam diese Experimente.

Über den geplanten Einsatz der Gebirgsjägerdivisioneninnerhalb der 12. und 18. Armee läßt sich vielleicht noch streiten;aber immerhin lagen diese Armeen in den Karpaten. Über denVerwendungszweck einer Gebirgsjäger-Division in der 9. Armeekann es indessen keinen Zweifel geben. Die 9. Armee stand beiOdessa, und dennoch war auch für sie auf Befehl von G. K. Schu-kow, der persönlich für die Süd-Front und die Südwest-Frontverantwortlich war, eine Gebirgsjägerdivision aufgestellt wor-den. Was für Gebirge gibt es bei Odessa? Die 30. Irkutsker mitdem Lenin-Orden und dreifachen Rotbannerorden ausgezeich-

194

mee, sondern an der ganzen Süd-Front. Zum anderen steht das48. Korps an der äußersten rechten Flanke der 9. Armee. Auf 

sowjetischem Territorium ist das ohne Belang. Sobald jedochdie übermächtige 9. Stoßarmee in Rumänien einrückt, wird siezur Gänze in der Ebene operieren, nur ihre rechte Flanke wirdans Gebirge angelehnt. Demnach ist es ein Gebot der Vernunft,für diese Situation über eine Gebirgsjägerdivision zu verfügen ,und zwar gerade an der rechten Flanke.

Zusätzlich wird in Eisenbahntransporten aus Turkestaninsgeheim die 21. Gebirgskavalleriedivision unter Oberst Ja. K.Kulijew herangeführt . Hitler hat bald darauf mit seinem Angriff die gesamte Planung durcheinandergebracht, und alles, wasfür den Süden bestimmt war, mußte nach Belorußland gewor-

fen werden, sogar die 19. Armee mit ihren Gebirgsjägerdivisio-nen. Dort finden wir auch die 21. Gebirgskavalleriedivisionwieder, die an dieser Stelle niemand brauchen kann, weil sie fürden Kampf in den Sümpfen untauglich ist und deshalb aucheinen unrühmlichen Untergang erlebt. Allerdings war sie auchnicht für Belorußland vorgesehen gewesen.

3.Die kommunistische Propaganda erklärt, die Rote Armee seiauf den Krieg nicht vorbereitet gewesen, von daher sei all dasUnglück gekommen. Doch das stimmt nicht. Lassen Sie uns nuram Beispiel der 12. Armee und ihrer Kopie, der 18. Armee,verfolgen, was hätte geschehen können, wenn die Sowjetuniontatsächlich nicht auf einen Krieg vorbereitet gewesen wäre.

1. In dem Falle hätte man gewaltige Mittel sparen können,

195

die für die Aufstellung von zwei Gebirgsjägerarmeen und vieleeinzelne Gebirgsjägerdivisionen innerhalb der gewöhnlichenInvasionsarmeen schlichtweg vergeudet wurden .

Hätte man nur einen Teil dieser Mittel für die Schaffung vonPanzerabwehrdivisionen verwandt - der Krieg wäre andersverlaufen.

2. Hätte sich die Sowjetunion nicht auf den Krieg vorbe-reitet, würden in den Karpaten nicht zwei Armeen gestandenhaben die man in Panik aus dieser Mausefalle abziehen mußte

WOZU WAR DIE ERSTESTRATEGISCHE STAFFEL BESTIMMT?

Man muß die Möglichkeit dergleichzeitigen Durchführung von

zwei oder sogar drei Angrif fsopera-tionen verschiedener Fronten auf 

dem Kriegsschauplatz im Augeb h lt d itd Zi l

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haben, die man in Panik aus dieser Mausefalle abziehen mußteund die dann auch nicht dem Zugriff des deutschen Angriffs-

keils beim Rückzug aus den Bergen zum Opfer gefallen wären.3. Hätte man sich nicht auf den Krieg vorbereitet, wären imNorden der Karpaten die deutschen Panzermassen nicht auf dieleichten aus dem Gebirge fliehenden Divisionen gestoßen, siewären vielmehr mit den schweren, zur Kriegsführung in derEbene tauglichen Divisionen mit ihrer zahlreichen schwerenArtillerie, und darunter auch Panzerabwehrartillerie, zusam-mengetroffen.

4. Selbst wenn der deutsche Panzerkeil die Abwehr dieserdann keineswegs auf der Flucht befindlichen Divisionendurchbrochen hätte, so wären dennoch die Folgen nicht gleich

katastrophal gewesen: An der rumänischen Grenze hätten diedeutschen Panzer keine massierten Truppenansammlungenvorgefunden, der Vorstoß wäre nicht in deren Rücken erfolgt,sondern ins Leere gegangen.

Hätte sich die Rote Armee nicht auf einen Krieg vorbereitet,wäre alles anders verlaufen. Doch sie hatte sich vorbereitet,und noch dazu höchst intensiv.

196

behalten, und zwar mit dem Ziel, sobreitflächig wie möglich, auf 

strategischer Ebene die Verteidi-gungsfähigkeit des Gegners zu

erschüttern. Der Volkskommissar für Verteidigung

der UdSSR, Held und Marschall der 

Sowjetunion S. K. Timoschenko in

seiner »Schlußrede anläßlich der 

militärischen Beratung am 31. Dezem-

ber 1940« (Moskau 1941, S. 30)

Wir haben kurz einige Armeen der Ersten Strategischen Staffelgestreift. Wir haben die stärkste dieser Armeen an der rumäni-schen Grenze vorgefunden, wir haben die Gebirgsjägerarmeengesehen, die dazu bestimmt waren, Rumänien (und sein Erdöl)von Deutschland abzuschneiden. Wir haben fünf Luftlande-korps festgestellt und ein Spezialkorps für Landeoperationender Marine. Insgesamt umfaßte die Erste Strategische Staffelder Roten Armee sechzehn Armeen und einige Dutzend selb-ständiger Korps. Die Gesamtzahl der Divisionen innerhalb derErsten Strategischen Staffel betrug 170.

Wozu war diese ganze Erste Strategische Staffel bestimmt?Das Wort haben die sowjetischen Marschälle. Es ist aufschluß-reich, was sie zur Rolle der Ersten Strategischen Staffel - insbe-sondere vor dem Krieg - geäußert haben.

  Marschall der Sowjetunion A. L Jegorow war der Auf-fassung, daß sich der bevorstehende Krieg unter Beteiligung

197

von Millionen und Abermillionen Soldaten abspielen würde.Dennoch schlug er vor, den Angriff einzuleiten, ohne die Durch-führung der allgemeinen Mobilmachung abzuwarten. SeinerMeinung nach mußte man in den Grenzbezirken in Friedenszei-ten »Invasionsgruppen« unterhalten, die die Grenze am erstenKriegstag überschreiten konnten, um die Mobilmachung desGegners zu stören und gleichzeitig die eigene Mobilmachung zusichern. (Vortrag des Stabschefs der Roten Arbeiter- und Bauern-armee vor dem Revolutionskriegsrat der UdSSR am 20. April

zwischen Molotow und Ribbentrop wurde unter der furc htein -flößenden Begleitmusik Schukows geschlossen, der in der Mon-golei das vollbracht hatte, was niemandem gelungen war: dieZerschl agung einer ganzen japanischen Armee. Genau dana chsetzte an den Westgrenzen die Rücknahme sämtlicher Vorkeh -runge n für den Verteidigungsfall ein, und die Schaffung gran -dioser Angriffsverbände wurde aufgenommen. Schukow bekamdas Kommando über den wichtigsten und stärksten sowje-tischen Militärbezirk: Kiew. Danach wurde Schukow nochhöher

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armee vor dem Revolutionskriegsrat der UdSSR am 20. April1932)

 Marschall der Sowjetunion M. N. Tuchatschewski war damitnicht einverstanden. Seiner Meinung nach mußte man nicht»Invasionsgruppen«, sondern »Invasionsarmeen« unterhalten.Tuchatschewski bestand darauf, daß sich »Zusammensetzungund Dislozierung einer Vorausarmee in erster Linie nach denMöglichkeiten des Überschreitens der Grenze unmittelbar nachder Bekanntgabe der allgemeinen Mobilmachung richten müs-sen, . . . mechanisierte Korps müssen 50 bis 70 km hinter derGrenze stehen, um am ersten Tag der Mobilmachung die Grenzeüberschreiten zu können«. (Ausgewählte Werke. Moskau 1964,Bd. 2, S. 219)

Tuchatschewski und Jegorow irrten natürlich beide. Siemußten erschossen werden, und an die Spitze des Militärsgelangte der herrische, harte, unbeugsame, unbesiegbare G. K.Schukow. Er war abstrakten Überlegungen überhaupt nicht zu-getan. Schukow war ein Mann der Praxis, der in seinem ganzenLeben keine einzige militärische Niederlage erlitten hat. Im Au-gust 1939 hatte Schukow, wie erwähnt, die durch ihre Plötzlich-keit, das Tempo und die Kühnheit verblüffende Operation zurZerschlagung der 6. japanischen Armee geleitet. (Später sollteer dieselbe Methode gegen die 6. deutsche Armee bei Stalingradanwenden.) Der Blitzsieg über die 6. japanische Armee war derProlog zum Zweiten Weltkrieg. Als Stalin am 19. August 1939Schukows Telegramm mit der Nachricht erhielt, daß das Wich-tigste erreicht sei: die Japaner würden nichts von den Angriffs-vorbereitungen ahnen, - da gab er seine Zustimmung zur Er-richtung gemeinsamer Grenzen mit Deutschland. Der Handel

198

tischen Militärbezirk: Kiew. Danach wurde Schukow noch höherbefördert - auf den Posten des Generalstabschefs. Und nun traf 

der Generalstab eine Feststellung von außerordentlicher Be-deutung: »Die Durchführung der Au fgab en , die den Invasions-armeen gestellt sind, muß der gesamten Ersten StrategischenStaffel übertragen werden.« (»Militärhistorische Zeitschrift«1963, Nr. 10, S. 31) Folglich waren sämtliche sechzehn Armeender Ersten Strategischen Staffel mit ihren insgesamt 170 Divi-sionen für eine Invasion bestimmt.

Wir werden im weiteren Verlauf dieser Ausführungen sehen,daß die Erste Strategische Staffel nicht nur die Aufgabe zu-gewiesen erhielt, eine Invasion durchzuführen, sondern daßsie mit der Durchführung bereits begonnen hatte! Unter dem

Schutz des TASS-Kommuniques vom 13. Juni 1941 hatte sichdie ganze Erste Strategische Staffel in Richtung deutsche und rumänische Grenze in Bewegung gesetzt.

Es stimmt, daß die Erste Strategische Staffel insgesamt nuretwa drei Millionen Mann umfaßte, aber auch eine Schnee-lawine im Gebirge nimmt ihren Ausgang von einer kleinenSchneeflocke. Die Kampfstärke der Ersten Strategischen Staffelwuchs rapide. Marschall der Sowjetunion S. K. Kurkotkin: »DieTruppenteile, die vor dem Krieg zur Staatsgrenze abgerücktwaren, ... hatten die gesamte eiserne Reserve an Bekleidungund Schuhwerk mitgenommen.« (Die rückwärtigen Dienste dersowjetischen Streitkräfte im Großen Vaterländischen Krieg.Moskau 1977, S. 216) Hier äußert sich ein Marschall darüber,daß in den Vorratslagern im Zentrum des Landes praktisch kei-nerlei Reserven an Uniformausrüstung zurückgeblieben waren,was bedeutet, daß die Divisionen, Korps und Armeen Bekleidung

199

und Schuhwerk für Millionen von Reservisten mitgeschleppthatten. Warum wohl, wenn nicht im Hinblick auf eine unmittel-bar bevorstehende Einberufung dieser Millionen?

Wenn von der Kampfkraft der Ersten Strategischen Staffeldie Rede ist, darf man sich nicht darauf beschränken, wie vieleMillionen Soldaten sie zählte, sondern muß auch jene Millionenmit berücksichtigen, zu deren Einberufung und Einkleidung inGrenznähe Hitler es nicht mehr kommen ließ.

Die beklemmende gigantische Bewegung der Ersten Strate-

STALIN IM MAI 1941

Stalin hat sich »ein außenpoliti-sches Ziel von überragender

Wichtigkeit für die Sowjetuniongesteckt, das er mit Einsatz seiner

Person zu erreichen hofft«. Bericht des Deutschen Botschafters in

der Sowjetunion Graf von der

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Die beklemmende, gigantische Bewegung der Ersten Strategischen Staffel sollte nicht in der Nähe der deutschen Grenze

zum Stillstand kommen. Das ist der Grund, weshalb am 20. Juni1941 sowjetische NKWD-Einheiten den Stacheldraht an derGrenze zu zerschneiden begannen. Die deutsche Wehrmachthatte diese Aufgabe bei sich selbst eine Woche eher begonnen.

200

der Sowjetunion Graf von der 

Schulenburg an das Auswärtige Amt in

 Berlin vom 12. Mai 1941

1.

Um die Ereignisse des Juni 1941 zu verstehen, kommen wirnicht umhin, zum Mai zurückzukehren. Der Mai 1941 ist derrätselhafteste Monat in der ganzen kommunistischen Ge-schichte überhaupt. Jeder Tag und jede Stunde dieses Monatssind angefüllt mit Vorkommnissen, deren Sinn erst noch ergrün-det werden muß. Selbst für Ereignisse, die sich vor den Augender ganzen Welt abspielten, hat noch niemand eine Erklärung

gefunden. Hier ein Beispiel:Am 6. Mai 1941 stellte sich Stalin an die Spitze der Sowjet-

regierung. Dieser Schritt hat viele erstaunt. Aus erbeuteten Do-kumenten wissen wir, daß die deutsche Führung einfach keinebefriedigende Erklärung für diesen Vorgang finden konnte. Zumerstenmal in der gesamten sowjetischen Geschichte war offi -

 ziell die höchste Partei- und Staatsmacht in einer Hand vereint.Dies bedeutet indessen keinerlei Stärkung von Stalins persön-licher Diktatur. War nicht auch bisher schon faktisch alle Machtin Stalins Händen konzentriert? Wenn Macht an der Anzahlklangvoller Titel gemessen würde, dann hätte Stalin schon zehnJahre früher eine üppige Kollektion aller erdenklichen Titel ein-heimsen können. Doch er hatte dies ganz bewußt nicht getan.Seit 1922, als Stalin den Posten des Generalsekretärs über-nahm, hatte er auf sämtliche Staats- und Regierungsämter ver-zichtet. Stalin hatte seinen Kommandoposten oberhalb von

201

Regierung und Staat errichtet. Alles unterstand seiner Kontrolle,doch offiziell war er für nichts verantwortlich. Wie hatte dochbereits 1931 Trotzki den Mechanismus der Vorbereitung deskommunistischen Umsturzes in Deutschland beschrieben? »ImFalle eines Erfo lges der neuen Politik hätten alle Manuilskis undRemmeles verkündet, daß die Initiative hierfür bei Stalin gele-gen habe. Für den Fall eines Mißerfolges jedoch hat sich Stalindie Möglichkeit offengehalten, einen Schuldigen zu finden.Darin besteht schließlich die Quintessenz seiner Strategie. Auf 

einem für Japan kritischen Moment dem durch den Kriegerschöpften Land einen Stoß in den Rücken. Stalins Gewissenist rein: Er hat den Vertrag nicht unterzeichnet.

Aber jetzt ist etwas geschehen (oder es bahnt sich etwas an),und Stalin übernimmt offiziell die Last der staatlichen Verant-wortung. Für Stalin bedeutet der neue Titel keine Stärkungseiner Macht, sondern deren Einschränkung, genauer gesagt -eine Selbstbeschränkung. Von dem Augenblick an trifft er nichtnur alle wichtigen Entscheidungen, sondern er trägt auch die

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diesem Gebiet liegt seine Stärke.« (»Bulletin der Opposition«

Nr. 24, S. 12)Der Umsturz fand nicht statt, und Stalin hat in der Tat Schul-dige gefunden und sie exemplarisch bestraft. Nicht andersregiert er auch im eigenen Land: Alle Erfolge gehen auf Stalinzurück, alle Mißerfolge auf Feinde, Hochstapler, Karrieristen,die sich angebiedert und die Generallinie der Partei entstellthaben. Der »Sieg der Kolchoswirtschaft« ist ein geniales Werk Stalins, die Millionen dabei umgekommener Menschen abergehen zu Lasten eines Teils der für die Durchführung verant-wortlichen Genossen auf Bezirksebene, denen die schwindeler-regenden Erfolge zu Kopf gestiegen waren. Mit den großen Säu-

berungsaktionen hat Stalin überhaupt nichts zu tun - sie sinddas Werk der Jeschow-Leute! Und den Pakt mit Hitler hat nichtStalin unterzeichnet. Der ist in die Geschichte in Verbindung mitden Namen Molotow und Ribbentrop eingegangen. In Deutsch-land trug die offizielle Verantwortung für diesen Pakt nicht sosehr Ribbentrop wie Adolf Hitler - der Reichskanzler, auchwenn er bei der Unterzeichnung selbst nicht zugegen war. Iossif Stalin hingegen, der bei der Unterzeichnung anwesend war, be-kleidete zu der Zeit weder Staats- noch Regierungsämter. Erwar einfach als der Staatsbürger Iossif Stalin dabei, mit keiner-lei Staats-, Regierungs-, militärischen oder diplomatischen Voll-

machten ausgestattet, und demnach auch nicht verantwortlichfür das, was da geschieht.

Genauso war am 13. April 1941 der Vertrag mit Japan unter-zeichnet worden. Stalin ist dabei, aber die Verantwortung fürden Vorgang trägt nicht er. Das Ergebnis: Stalin versetzt in

202

g g goffiziel le Verantwortung dafür. Bis zu diesem Augenblick waren

Stalins Macht nur durch die äußeren Grenzen der SowjetunionSchranken gesetzt, und auch das nicht immer. Was konnte ihnveranlaßt haben, freiwillig die schwere Last der Verantwor tungfür die eigenen Beschlüsse auf seine Schultern zu laden, wo erdoch die Möglichkeit besaß, auf dem Gipfel der Unfehlbarkeit zuverharren, indem er den anderen die Möglichkeit des Irrensüberließ? Die ganze Situation erinnert irgendwie an die be-rühmte Elchjagd Chruschtschows. Solange das Wild noch weitentfernt war, schrie Nikita auf die Jäger ein, machte sich überseinen nicht sehr erfolgreichen Gast Fidel Castro lustig, wäh-rend er selbst keinen Schuß abgab, ja nicht einmal die Waffe in

die Hand nahm. Als hernach jedoch das Wild auf die Jäger zu-getrieben wurde, so daß man es unmöglich verfehlen konnte,da griff auch Nikita zur Waffe ... 17 Jahre lang hatte Stalin dieInstrumente der Staatsgewalt nicht offiziell in die eigenenHände genommen, und nun auf einmal... Warum?

DerFlottenadmiral der Sowjetunion N. G. Kusnezow (zu derZeit Admiral und Volkskommissar der Kriegsmarine der UdSSR)bezeugt: »Als Stalin die Pflichten eines Vorsitzenden des Ratesder Volkskommissare übernahm, gab es praktisch keine Ver-änderungen im Führungssystem.« (»Militärhistorische Zeit-schrift« 1965, Nr. 9, S. 66) Wenn sich denn praktisch nichtsgeändert hat, wozu braucht Stalin diesen Titel? »Aber sämtlicheHandlungen, Aktionen, Verbrechen Stalins sind zweckbestimmt,logisch und von streng prinzipieller Art.«( A. Awtorchanow,DasRätsel um Stalins Tod. Frankfurt a. M. 1984) Wo bleibt hier dieStalinsche Logik?

203

»Ich sehe kein Problem, das durch innere Verhältnisse in derSowjetunion aufgeworfen werden könnte und dem eine der-artige Bedeutung zukäme, daß es einen solchen Schritt Stalinsnotwendig machen würde. Mit großer Gewißheit kann man viel-mehr behaupten, daß, wenn Stalin sich entschlossen hat, dashöchste Regierungsamt zu übernehmen, dies aus Gründen derAußenpolitik geschehen ist.« Das berichtet der deutsche Bot-schafter in Moskau Graf von der Schulenburg am 12. Mai 1941seiner Regierung. (Die Beziehungen zwischen Deutschland undd S j i 1939 1941 251 k d hi

alles sei, ungeachtet des »Embargos«, beim alten geblieben.Der sowjetische Botschafter in den USA, K. Umanski, berichte tediese Äußerung Molotows dem amerikanischen AußenministerHul l. Dieser hätte sich gekränkt zeigen müssen, aber er»brachte das Gespräch auf die Möglichkeiten einer Verbesse-rung der gegenseitigen Beziehungen«! (Geschichte des ZweitenWeltkrieges 1939-1945, Bd. 3, S. 352) In Washington wurdenunverzüglich sowjetisch-amerikanische Verhandlungen überdie Ausweitung der amerikanischen Lieferungen an die UdSSR

f i d V l f di j i h S i f ih

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der Sowjetunion 1939-1941. 251 Dokumente aus den Archivendes Auswärtigen Amtes und der Deutschen Botschaf t in Moskau.Hrsg. A. Seidl. Tübingen 1949, S. 387) Die sowjetischen Mar-schälle drücken es mit anderen Worten aus, aber es ist dasselbe:Die Ernennung Stalins ist mit äußeren Problemen verknüpft.(Siehe z. B. Marschall der Sowjetunion L Ch. Bagramjan, Sobegann der Krieg. Moskau 1971, S. 62) Aber wir verstehen auchso, daß es für Stalin viel bequemer ist, die inneren Probleme ineiner Weise zu lösen, bei der er sich nicht mit Verantwortlichkeitenübernehmen muß. Welche äußeren Probleme können ihn zueinem derartigen Schritt veranlaßt haben? Im Mai 1941 sindviele Staaten in Europa von Deutschland besiegt. Probleme aus

den Beziehungen zu Frankreich zum Beispiel konnte es garnicht mehr geben. Großbritannien, das seine Unabhängigkeitbewahrt hat, bot Stalin die Hand der Freundschaft (siehe denBrief Churchills, der Stalin am 1. Juli 1940 überreicht wordenwar). Roosevelt gab sich Stalin gegenüber mehr als freund-schaftlich: Er warnte vor Gefahren, und amerikanische Techno-logie ergoß sich in breitem Strom in die UdSSR. Zwar hatte US-Präsident Roosevelt, als die Rote Armee im Winterkrieg Finnlandzu »befreien« versuchte, ein »moralisches Embargo« über dieSowjetunion verhängt , doch zog dies keinerlei Auswirkungen inForm einer Kürzung der von den USA an die UdSSR gelieferten

militärischen Technologie nach sich. Molotow machte sich auf der Sitzung des Obersten Sowjets der UdSSR am 29. März 1940über dieses »moralische Embargo« offen lustig, indem er er-klärte, daß sich »die Beziehungen zu den USA in letzter Zeitweder verbessert noch etwa verschlechtert hätten«, das heißt,

204

aufgenommen, in deren Verlauf die sowjetische Seite für ihreIngenieure Zutritt zu den amerikanischen Flugzeugwerkenverlangte. Die »Freundschaft« ging, wie wir sehen, recht weit.So blieben nur zwei mutmaßliche Gegner. Aber Japan, dem imAugust 1939 eine Vorstellung von der sowjetischen militäri-schen Schlagkraft vermittelt worden war, hatte gerade erst sei-nen Vertrag mit der Sowjetunion unterzeichnet und richteteseine Blicke in eine den sowjetischen Grenzen entgegengesetzteRichtung. Also konnte nur Deutschland der auslösende Anlaßfür diesen auf den ersten Blick unverständlichen Schritt Stalinssein. Was aber konnte Stalin im Hinblick auf Deutschland unterEinsatz seines neuen offiziellen Titels als Staatsoberhaupt tun?

Es gibt drei Möglichkeiten:1. Stalin konnte einen festen und unverbrüchlichen Friedens-pakt schließen;

2. Stalin konnte offiziell an die Spitze der Sowjetunion in einerbewaffneten Auseinandersetzung zur Abwehr einer deut-schen Aggression treten;

3. Stalin konnte offiziell einen bewaffneten Kampf der Sowjet-union in einem Angriffskrieg gegen Deutschland leiten.

Die erste Version scheidet sofort aus. Ein Nichtangriffspakt(23. 8. 1939) sowie ein Grenz- und Freundschaftsvertrag (28. 9.1939) mit Deutschland sind bereits von Molotows Hand

unterzeichnet. Nachdem Stalin Molotows Amt in seiner Eigen-schaft als Staatsoberhaupt übernommen hat, unternimmt erabsolut n icht den geringsten Schritt zu einem Treffen mit Hitler.Stalin bedient sich wie ehedem Molotows für weitere Verhand-lungen. Es ist bekannt, daß sich Molotow sogar am 21. Juni um

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ein Treffen mit verantwortliche n deutschen Politikern bemühte,aber Stalin unternahm derartige Versuche jedenfalls nicht.Folglich übernahm er das offizielle Amt auch nicht, um einenFriedenspakt zu schließen.

Die kommunistische Propaganda beharrt auf der zweitenVersion: Weil Stalin den deutschen Überfal l voraussah, beschloßer, persönlich und offiziell die Verteidigung seines Landes zuleiten. Aber damit kommen die Genossen Kommunisten nichtdurch: Der deutsche Angriff erfolgte für Stalin überraschend

gen. Ein Dokume nt von größter Wichtigkeit. Was hat hier ein»Mitglied des Sowjets und ZK-Sekretär« zu suchen?

Am folgenden Tag wird die Zusammense tzung der Obers tenHeeresleitung bekanntgegeben. Stalin hatte sich kategorischgeweigert, an die Spitze zu treten, und nur zugestimmt, diesemhöchsten Organ der militärischen Führung als eines seinerMitglieder anzugehören. »Unter den gegebenen Umständenkonnte der Volkskommissar S. K. Timoschenko ohnehin selb-ständig ohne Stalin keine prinzipiellen Entscheidungen tref fen.

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g gund zweifellos unerwartet. Was bedeuten würde, daß Stalin die

Verantwortung in der Voraussicht von Ereignissen übernahm,die er nicht vorausgesehen hatte.Werfen wir noch einmal einen Blick auf Stalins Verhalten in

den ersten Kriegstagen. Am 22. Juni war der Regierungschef verpflichtet, sich an sein Volk zu wenden und ihm die schreck-liche Nachricht mitzuteilen. Aber Stalin drückte sich vor seinendirekten Pflichten, die für ihn sein Stellvertreter Molotow über-nahm. Weshalb mußte er sich dann im Mai in Molotows Sesselsetzen, nur um sich im Juni hinter dessen Rücken zu ver-kriechen?

Am Abend des 22. Juni erließ die sowjetische Führung eine

Direktive an die Truppen. Das Wort hat Marschall G. K. Schu-kow: »General N. F. Watutin sagte, I. W. Stalin habe das Projektder Direktive Nr. 3 gebilligt und befohlen, daß ich unterzeichnensolle ... > G u t< , sagte ich, >setzen Sie meinen Namen darunter<.«(G. K. Schukow, Erinnerungen und Gedanken, S. 251)

Aus der offiziellen Geschichtsschreibung wissen wir, daßdiese Direktive mit den Unterschriften »des Volkskommissarsfür Verteidigung, Marschall S. K. Timoschenko, des Mitgliedsdes Sowjets und Sekretärs des ZK der Kommunistischen Parteider Sowjetunion (Bolschewiki) G. M. Malenkow und des Chefs

des Generalstabs, General G. K. Schukow«, erlassen wurde.(Geschichte des Zweiten Weltkrieges, Bd. 4, S. 38)Demnach läßt Stalin andere den Befehl unterzeichnen, wäh-

rend er selbst die persönliche Verantwortung vermeidet.Warum hat er sie dann im Mai übernommen? An die Streit-kräfte ergeht der Befehl, den eingedrungenen Gegner zu schla-

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So kam es, daß es zwei Oberkommandierende gab: den Volks-

kommissar S. K. Timoschenko juristisch, wie es der entspre-chende Erlaß vorsah, und I. W. Stalin - faktisch.« (Schukow,Erinnerungen und Gedanken, S. 251) Im Verteidigungskrieggreift Stalin auf seine erprobte Führungsmethode zurück: Dieprinzipiellen Entscheidungen werden von ihm getroffen, dieoffizielle Verantwortung aber übernehmen die Molotows, Ma-lenkows, Timoschenkos, Schukows. Erst einen Monat späterbrachten die Mitglieder des Politbüros Stalin dazu, das offizielleAmt des Volkskommissars für Verteidigung und am 8. Augustdas des Oberkommandierenden zu übernehmen . Lohnte es sichfür Stalin, »in Voraussicht eines Verteidigungskrieges« die Ver-

antwortung zu übernehmen, nur um sich vom ersten Augen-blick eines solchen Krieges an energisch der Verantwortung zuentziehen? Wäre bei dem heutigen Wissen um die Art und Weise,in der Stalin die Geschicke im ersten Monat des Verteidigungs-krieges lenkte, nicht die Annahme logisch, daß er am Vorabenddieses Krieges alles daransetzen wird, keinerlei Titel und Ämterauf sich zu vereinigen, sondern vielmehr zweitrangige, von ihmvöllig kontrollierte Beamtenkreaturen auf die dekorativenAttrappenposten vorzuschieben? Also können wir uns auch mitder zweiten Erklärung nicht zufriedengeben und müssen unsan die dritte Version halten, die bis jetzt noch niemand wider-legen konnte: Durch Hitlers Armeen hatte Stalin Europa nieder-gezwungen, und jetzt bereitete er einen Überraschungsschlagin den Rücken Deutschlands vor. Den »Befreiungsfeldzug« willStalin persönlich leiten, in seiner Funktion als Chef der Sowjet-regierung.

207

Die Kommunistische Partei hatte das sowjetische Volk undseine Rote Armee darauf vorbereitet, daß der Befehl zum Beginndes Befreiungskrieges in Europa von Stalin persönlich erteiltwird. Jetzt haben kommunistische Geschichtsfälscher die Versionin Umlauf gesetzt, daß die Rote Armee mit der Vorbereitung von»Gegenschlägen« befaßt gewesen sei. Aber damals war keineRede von irgendwelchen Gegenschlägen. Das sowjetische Volk wußte, daß die Entscheidung über den Kriegsbeginn im Kremlfallen würde. Der Krieg würde nicht mit dem Überfall irgend-

l h F i d b i d f S li B f hl U d

(Marschall der Sowjetunion S. K. Timoschenko) geöffnet werden.Wie indessen Marschall der Sowjetunion G. K. Schukow bezeugt(siehe oben), konnte Timoschenko »ohne Stalin ohnehin keineprinzipiellen Entscheidungen treffen«. Also hatte Stalin Molo-tows Amt übernommen, damit der entscheidende Befehl nichtvon Molotow, sondern von Stalin ausgesprochen wurde.

Die besagten Umschläge lagen im Safe jedes Kommandeurs,doch am 22. Juni 1941 gab Stalin nicht den Befehl, die RotenUmschläge zu öffnen. Nach dem Zeugnis von Rokossowski ha-b i i K d f i Ri ik ( f d i

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welcher Feinde beginnen, sondern auf Stalins Befehl: »Und

wenn der Marschall der Revolution Genösse Stalin das Signalgeben wird, werden sich Hunderttausende von Flugzeug-führern, Navigatoren, Fallschirmspringern mit der geballtenWucht ihrer Waffe auf das Haupt des Feindes stürzen, mit derWaffe der sozialistischen Gerechtigkeit. Die sowjetischen Luft-flotten werden der Menschheit das Glück bringen!« Das wird zueinem Zeitpunkt geäußert, als sich die Rote Armee bereitsgegen die Grenzen Deutschlands stemmt (»Prawda«, 18. August1940), und das Glück kann man der Menschheit nur über dasdeutsche Territorium bringen, und die geballte Wucht der Waffeder sozialistischen Gerechtigkeit konnte man im August 1940

vor allem über die deutschen Köpfe hereinbrechen lassen.Als Stalin den Posten des Generalsekretärs innehatte,

konnte er jeden beliebigen Befehl erteilen, und dieser Befehlwurde unverzüglich und zuverlässig ausgeführt. Aber jederBefehl Stalins war ein inoffizieller, und gerade darauf beruhteStalins Unverwundbarkeit und Unfehlbarkeit. Jetzt allerdingsgenügt Stalin diese Situation nicht mehr. Er muß einen Befehlgeben (den entscheidenden Befehl seines Lebens), und diesmalso, daß dies auch offiziell Stalins Befehl ist.

Wie Marschall der Sowjetunion K. K. Rokossowski bezeugt(Soldatenpflicht. Moskau 1968, S. 11), hatte jeder sowjetische

Kommandeur in seinem Safe einen »besonderen geheimenoperativen Auftrag«, den sogenannten »Roten Umschlag M«.Dieser Umschlag durfte nur auf Befehl des Vorsitzenden des Ra-tes der Volkskommissare (bis zum 5. Mai 1941 WjatscheslawMolotow) oder des Volkskommissars für Verteidigung der UdSSR

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ben einige Kommandeure auf eigenes Risiko (auf dem eigen-

mächtigen Öffnen des Roten Umschlages stand Erschießungnach Artikel 58) die Roten Umschläge geöffnet. Aber sie fandendarin nichts für den Verteidigungsfall Brauchbares. »Natürl ichbesaßen wir ausführliche Pläne und Anweisungen für das, wasam Tage >M< zu geschehen hat te ... alles war bis auf die Minuteund im Detail vorgezeichnet ... All diese Pläne hat es gegeben.Aber leider war nichts darüber gesagt, was zu geschehen hatte,falls der Gegner plötzlich zum Angriff übergehen sollte.« (General-major M. Grezow, »Militärhistorische Zeitschrift« 1965, Nr. 9,S. 84)

Die sowjetischen Kommandeure waren demnach im Besitz

von Plänen für den Kriegsfall gewesen, aber es hatte keinePläne für einen Verteidigungskrieg gegeben. Die oberste sowje-tische Führung weiß das. Deshalb ist die oberste sowjetischeFührung in den ersten Minuten und Stunden des Krieges mitImprovisationen beschäftigt, sie verfaßt neue Direktiven für dieTruppen, statt den kurzen Befehl zum Öffnen der Umschläge zugeben. Sämtliche Pläne, sämtliche Umschläge, alles, »was imDetail und bis auf die Minute vorgezeichnet« ist, wird unter denBedingungen eines Verteidigungskrieges nicht mehr gebraucht.

Übrigens weisen auch die ersten Direktiven der oberstensowjetischen Führung die Truppen nicht an, sich einzugraben.

Es sind immer noch keine Direktiven zur Verteidigung, ja nichteinmal zum Gegenangriff, sondern reine Angriffsdirektiven.Selbst nach dem Beginn eines aufgezwungenen Verteidigungs-krieges denken und planen die sowjetischen Befehlshaber nurin Angriffskategorien. Die Roten Umschläge sind von sehr ent-

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schlossenem Tenor, doch unter den unklaren Umständen mußder Angriffselan der Truppen bis zur vollständigen Klärung derSituation ein wenig gebremst werden. Das ist der Grund, wes-halb die ersten Direktiven zwar Angriffscharakter tragen, dochist ihr Ton zurückhaltender: Angriff - ja, aber nicht so, wie dasin den Roten Umschlägen festgehalten ist!

Bei der unklaren Lage will Stalin nichts riskieren, weshalbunter den wichtigsten Direktiven des »Großen VaterländischenKrieges«, unter den Direktiven, den Kampf aufzunehmen,St li U t h ift f hlt E h tt i h d f i t llt i

eindrucksvolle Fähigkeit Stalins zu schweigen, dann sind vier-zig Minut en sehr viel. Es ist ungewöhn lich viel. Es ist sogar ver-blüffend viel.

Stalin spricht über etwas außergewöhnlich Wichtiges. DieRede wurde nie veröffentlicht, und das ist eine entscheidendeGarantie für ihre Wichtigkeit. Stalin sprach über internationaleBeziehungen, sprach über den Krieg. In sowjetischen offiziel-len Publikationen gibt es einige Hinweise auf diese Rede. ZumBeispiel in der »Militärhistorischen Zeitschrift« 1978, Nr. 4,S 85 D G l k d ZK KPdSU(B) I W S li b i

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Stalins Unterschrift fehlt. Er hatte sich darauf eingestellt, eine

weit ehrenvollere Pflicht zu übernehmen - andere Direktivenzu unterzeichnen, unter anderen Voraussetzungen, Direktivennicht für einen aufgezwungenen Verteidigungskrieg, er hatteden Befehl für die Befreiungsmission gegenüber den VölkernEuropas unterzeichnen wollen.

Hitler las die Telegramme seines klugen Botschafters vonder Schulenburg und hatte wahrscheinlich auch selbst begrif-fen, daß Stalin »ein außenpolitisches Ziel von überragenderWichtigkeit ... mit Einsatz seiner Person zu erreichen hoffte«.Hitler hatte begriffen, wie gefährlich das war, und Stalin dieserMöglichkeit beraubt. Das ist der Grund, weshalb die ersten

Direktiven in dem für Stalin unerwarteten und ihm aufgezwun-genen Verteidigungskrieg die Unterschrift eines »Mitglieds desSowjets und Sekretärs« tragen.

2.Bei Amtsantritt gibt jeder Regierungschef eine Erklärung überdas von ihm vorgesehene Arbeitsprogramm ab. Und Stalin?Auch er tut es. Gewiß, Stalins Rede, die man als programma-tisch ansehen kann, wurde zwar gehalten, jedoch niemalspubliziert.

Am 5. Mai 1941, als die Entscheidung über Stalins Ernennungbereits gefallen (und möglicherweise auch schon realisiert) war,hält er im Kreml eine Rede anläßlich eines Empfangs zu Ehrender Absolventen der Militärakademien.

Stalin spricht vierzig Minuten lang. Denkt man dabei an die

210

S. 85: »Der Generalsekretär des ZK KPdSU(B) I. W. Stalin gab in

seiner Rede am 5. Mai 1941 anläßlich eines Empfangs von Ab-solventen der Militärakademien deutlich zu verstehen, daß diedeutsche Armee der wahrscheinlichste Gegner sein würde.«Die »Geschichte des Zweiten Weltkrieges« (Bd. 3, S. 439) sagtdasselbe.

Eine Quelle von weit größerer Autorität, Marschall der Sowjetunion G. K. Schukow, teilt viel interessantere Dinge mit.Stalin hatte, Schukows Worten zufolge, wie üblich Fragen ge-stellt und sie gleich darauf selbst beantwortet. Er fragte, ob diedeutsche Armee unschlagbar sei, und seine Antwort lautete:»... die Deutschen hoffen vergeblich, daß ihre Armee eine

ideale, eine unschlagbare Armee sei... Deutschland wird unterden Losungen seiner räuberischen Eroberungskriege, unterden Losungen der Unterdrückung anderer Länder, der Unter-

  jochung anderer Völker und Staaten kein Erfolg beschiedensein.« (Erinnerungen und Gedanken, S. 236)

Die Rede handelt also vom Krieg gegen Deutschland. Warumhielt man sie eigentlich geheim? Es ist begreiflich, daß sie vordem Krieg nicht publik gemacht werden konnte, aber unmittel-bar nach Kriegsausbruch hätte sie doch veröffentlicht werdenmüssen! Oder wenn schon nicht alles zur Veröffentlichunggeeignet war, so hätte Stalin immerhin zu Beginn des Krieges,zum Beispiel in seiner Rede vom 6. November 1941, sagen kön -nen: Ich hatte euch alle gewarnt! Ich habe schließlich vom Krieggegen Deutschland schon am 5. Mai gesprochen! Seht her, einkleines Zitat aus meiner Geheimrede! Aber Stalin hat nichts der-gleichen gesagt. Und dafür gibt es nur einen Grund: Er hatte

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von einem unvermeidlichen Krieg gesprochen, hatte Deutsch-land als den Hauptfeind bezeichnet, allerdings über die Mög-lichkeit eines deutschen Angri ffs kein Wort verloren. Hätte er esgetan, würde er später daran erinnert haben, als Bestätigungseiner Genialität und seines Scharfblicks. Oder Stalins Hand-langer hätten es getan. Aber nichts dergleichen geschah. ZuLebzeiten Stalins wie auch nach seinem Tode ist diese Rede einStaatsgeheimnis der Sowjetunion geblieben. Warum wohl? Inden Gesammelten Werken Stalins sind nicht nur seine Redenveröffentlicht sondern sogar seine Randnotizen in fremden Bü-

bei einer nicht öffentlichen Gelegenheit geschehen, aber dochimmer hin so, daß ihn sämtliche Absolventen der Militärakade-mien, alle Generale und alle Marschälle hörten. Was werden ineiner solchen Situation Schukow, Merezkow und Berija jetzt un -ternehmen? Wahrscheinlich werden sie doch an den GrenzenMinen zu verlegen beginnen, Stacheldraht ziehen, Brücken zurSprengung vorbereiten? Nein, das ganze Gegenteil tritt ein, wiewir wissen. »Anfang Mai 1941, nach Stalins Rede anläßlich desEmpfangs für die Absolventen der Militärakademien, wurdealles was bisher in Sachen Sperranlagenbau und Verminung

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veröffentlicht, sondern sogar seine Randnotizen in fremden Büchern: Das alles wird als kostbare Quelle seiner Weisheit gehü-tet. Aber seine Rede über eine Frage von so entscheidender Be-deutung ist nicht publiziert. Ja nicht nur das, man hat sogarsehr viel dafür getan, daß diese Rede für immer in Vergessen-heit gerät. Gleich nach dem Krieg war in Millionenauflagen undin vielen Sprachen Stalins Buch »Über den Großen Vaterlän-dischen Krieg« erschienen. Das Buch beginnt mit Stalins Rund-funkansprache vom 3. Juli 1941. Der Zweck des Buches ist klar:Uns soll die Vorstellung eingehämmert werden, Stalin habe erstnach dem deutschen Einfall vom sowjetisch-deutschen Krieg zureden begonnen und nur von Verteidigung gesprochen. Aber

Stalin hatte nicht erst nach der deutschen Invasion über diesenKrieg geredet, sondern schon davor, und er hatte auch nichtüber Verteidigung geredet, sondern über etwas anderes.Worüber wohl? Wäre es um die Verteidigung gegangen, weshalbdann überhaupt diese Geheimhaltung, und erst recht nach derdeutschen Invasion?

3.Wir wissen bereits, daß nach der Unterzeichnung des Molotow-Ribbentrop-Paktes die hervorragenden sowjetischen Heerfüh-

rer Schukow und Merezkow sowie der tüchtigste Polizeichef aller Zeiten Lawrentij Berija außerordentliche Anstrengungenzur Beseitigung aller Vorkehrungen für eine Verteidigung dessowjetischen Territoriums unternahmen. Jetzt aber hat Stalindie Rede auf den Krieg mit Deutschland gebracht. Zwar ist dies

212

alles, was bisher in Sachen Sperranlagenbau und Verminungunter nommen worden war, nur noch mehr gebremst.« (Starinow,Die Minen warten auf ihre Stunde, S. 186)

Wenn wir nicht dem Oberst in der Hauptverwaltung Auf-klärung Starinow und seinem wirklich vortrefflichen BuchGlauben schenken wollen, können wir uns auch an die deut-schen Archive halten und werden dort genau dasselbe finden:Die deutsche Abwehr hat allem Anschein nach nie den vollstän-digen Text der Stalin-Rede in die Hände bekommen, doch ausvielen mittelbaren und direkten Anzeichen konnte sie schlie-ßen, daß Stalins Rede vom 5. Mai 1941 eine Rede über den Krieggegen Deutschland war. Dieselbe deutsche Abwehr beobachtete

die Räumung der sowjetischen Minenfelder und anderer Sperr-anlagen im Mai und Juni 1941.Die Beseitigung der Sperranlagen an den Grenzen ist ein

integrierender Bestandteil der letzten Vorbereitungen für denKrieg. Natürlich nicht für einen Verteidigungskrieg.

4.Im Mai 1941 erfolgt eine scharfe Kehrtwendung in der gesam-ten sowjetischen Propaganda. Bis dahin hatten die kommunisti-schen Zeitungen den Krieg gepriesen und ihre Freude darüber,

daß Deutschland immer mehr Staaten, Regierungen, Armeen,politische Parteien vernichtete, nicht verhehlt. Die sowjetischeRegierung war schlichtweg begeistert: »Der gegenwärtigeKrieg in seiner ganzen schrecklichen Schönheit!« (»Prawda«,19. August 1940)

213

Oder hier eine andere Beschreibung Europas im Kriege:»Leichenhalden, ein pornographisches Schauspiel, bei dem dieSchakale einander zerfleischen«. (»Prawda«, 2 5. Dezember1939) Auf derselben Seite der Text einer freunds chaft lichen tele-graphischen Grußbotschaft Stalins an Hitler. Die Kommunistenwollen uns überzeugen, daß Stalin Hitler vertraut und dessenFreundschaft gesucht habe, und zum Beweis dafür hält manuns Stalins Telegramm vom 25. Dezember vor Augen: »An dasdeutsche Staatsoberhaupt, Herrn Adolf Hitler«. Und direktunter Stalins freundschaftlichem Telegramm: »die Schakale

ihre Bedingungen zu diktieren.« (7. W. Stalin, Rechenschafts-bericht auf dem 18. Parteikongreß am 10. März 1939)

Was die »Imperialisten« dort ausgeheckt haben, weiß ichnicht. Doch bei der Unterzeichnung des sowjetisch-deutschenPaktes, der den Schlüssel zum Krieg bedeutete , war jeden fall snur ein Führer anwesend. Bei der Unterzeichnung dieses Pak-tes war der deutsche Reichskanzler nicht dabei. Aber Stalin istdagewesen. Und dieser nämliche Stalin hatte bisher abseits ge-standen in diesem Krieg. Und gerade er brachte jetzt die RoteArmee ins Gespräch, die dem Blutvergießen ein Ende bereiten

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unter Stalins freundschaftlichem Telegramm: »die Schakalezerfleischen einander«. Das betrifft schließlich Hitler! Welcheanderen Schakale sollten einander auf den LeichenhaldenEuropas zerfleischen?

Und mit einemmal hat sich alles verändert.Auch der Ton der »Prawda« am Tage nach der Geheimrede

Stalins: »Jenseits der Grenzen unserer Heimat lodert die Fackeldes Zweiten imperialistischen Krieges. Die ganze Last seinerunzähligen Leiden legt sich schwer auf die Schultern der Werk-tätigen. Die Völker wollen keinen Krieg. Ihre Blicke sind auf dasLand des Sozialismus gerichtet, das die Früchte seiner fried-lichen Arbeit erntet. Sie erblicken zu Recht in den Streitkräften

unserer Heimat - in der Roten Armee und in unserer Kriegsma-rine - ein zuverlässiges Bollwerk des Friedens ... In der gegen-wärtigen schwierigen internationalen Situation muß man auf Überraschungen jeglicher Art gefaßt sein . . .« (»Prawda«,6. Mai 1941, Leitartikel)

So ist das also! Zuerst hat Stalin durch den Molotow-Ribben-trop-Pakt die Schleusen für den Zweiten Weltkrieg geöffnet undsich an dem Anblick erfreut, wie »die Schakale einander zer-fleischen«. Jetzt aber erinnert er sich der Völker, die sich nachFrieden sehnen und ihre hoffnungsvollen Blicke auf die Rote Ar-mee richten!

Im März 1939 hatte Stalin Großbritannien und Frankreichvorgeworfen, sie wollten Europa in einen Krieg stürzen, wäh-rend sie selbst abseits zu bleiben gedächten, nur um hernach»mit frischen Kräften die Bühne zu betreten - natürlich >imInteresse des Friedens< - und den erschöpften Kriegsteilnehmern

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Armee ins Gespräch, die dem Blutvergießen ein Ende bereitenkönnte!

Erst vor kurzem, am 17. September 1939, hatte die RoteArmee einen überraschenden Angriff gegen Polen geführt. Amnächsten Tag hatte die sowjetische Regierung über Rundfunkden Grund erklärt: »Polen war zum geeigneten Aufmarschpl atzfür Zufälle und unerwartete Wendungen aller Art geworden, diefür die UdSSR eine Bedrohung darstellen konnten Die So-wjetregierung kann sich diesen Tatsachen gegenüber nicht län-ger neutral verhalten ... Angesichts dieser Umstände hat dieSowjetregierung das Oberkommando der Roten Armee ermäch-tigt, den Truppen den Befehl zum Überschreiten der Grenze zu

geben und das Leben und Eigentum der Bevölkerung unterihren Schutz zu stellen ...« (»Prawda«, 18. September 1939)Hier wäre es an der Zeit, die Frage zu stellen, wer Polen in einen»geeigneten Aufmarschplatz für Zufälle aller Art« verwandelthatte? Doch darauf komme ich in einem weiteren Buch zurück.

Der Zynismus und die Dreistigkeit Molotows (und Stalins)kennen keine Grenzen. Hitler war nach Polen gekommen, um»den Lebensraum für die Deutschen zu erweitern«. Aber Molo-tow hatte ein anderes Ziel: »um das polnische Volk aus einemunseligen Krieg zu erlösen, in den es durch seine unvernünf-tigen Führer gestürzt worden war, und um ihm die Möglichkeit

zu einem Leben in Frieden zu verschaffen«. (»Prawda«, 18. Sep-tember 1939)

Auch in neuerer Zeit haben die Kommunisten ihre Meinungüber den Charakter der damaligen Ereignisse nicht geändert.1970 erschien in Moskau im Verlag der Akademie der Wissen-

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Schäften der offizielle Sammelband mit Dokumenten zur Ge-schichte der sowjetischen Grenztruppen (Die Grenztruppen derUdSSR 1939-1941). Dokument Nr. 192 behauptet, die sowje-tischen Aktionen im September 1939 hätten zum Ziel gehabt,»dem polnischen Volk zu Hilfe zu kommen, um den Krieg zubeenden«.

Die Sowjetunion hat allen und immer selbstlos geholfen,einen Weg zum Frieden zu finden. Am 13. April 1941 unterzeich-net Molotow das Neutrali tätsabkommen mit Japan, in dem sichbeide Seiten verpflichten, »friedliche und freundschaftliche

KARTEN UND ABBILDUNGEN

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pBeziehungen zu unterhalten und wechselseitig die territorialeIntegrität und Unantastbarkeit des anderen zu achten ... Fallseine der vertragschließenden Seiten Gegenstand von Kriegs-handlungen seitens eines oder mehrerer dritter Staaten werdensollte, wird die andere vertragschließende Seite während derDauer dieses Konfliktes ihre Neutrali tät bewahren«.

Als sich Stalin am Rande des Abgrunds befand, hat Japansein Wort gehalten. Dann aber steht Japan am Rande desAbgrunds, und die Rote Armee führt einen überraschendenVernichtungsschlag. Anschließend erklärt die sowjetische Re-gierung: »Eine derartige Politik ist das einzige Mittel, das geeig-

net erscheint, einen Frieden herbeizuführen, die Völker vonweiteren Opfern und Leiden zu befreien und dem japanischenVolk die Möglichkeit zu geben, sich vor Gefahren und Zerstörun-gen zu bewahren ...« (Erklärung der Sowjetregierung vom8. August 1945) Hierzu sei angemerkt, daß diese Erklärung for-mal am 8. August abgegeben wurde, während die sowjetischenTruppen ihren Angriff am 9. August durchführten. Praktischerfolgte der Angriff jedoch nach fernöstlicher Ortszeit, währenddie Erklärung erst einige Stunden später nach Moskauer Zeitabgegeben wurde.

In der Sprache des Militärs heißt dies: »Vorbereitung und

Durchführung eines überraschenden Erstschlages unter gleich-zeitiger Eröffnung einer neuen strategischen Front«. (Armee-general S. P. Iwanow, Die Anfangsphase des Krieges. Moskau1974,S.281)

In der Sprache der Politik nennt man es: »einen gerechten

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Karte 1.Kaum hatten England und Frankreich Deutschland denKrieg erklärt, da begann die Rote Armee mit d em Abbau der eigenenVer tei di gung ssy ste me. Fragen der Verteidigung des eigenen Territo-riums interessierten die sowjetische militärische Führung nicht mehr.

»Todesstreifen« zur Sicherung gegen einen plötzlich enAngriff von Westen. In diesem Geländestreifen warensämtliche Brücken, Bahnhöfe, Elektrizitätswerke, Tun-nelanlagen, Lokomotivendepots, Fabriken, die Wasser-versorgungs- und Nachrichtennetze zur Sprengungbzw. die Eisenbahnweichen, Schienen und selbst dieTelegrafen- und Telefonleitungen zum Abtransport vor-

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bereitet. In diesem Streifen waren Minenfelder und

andere Pioniersperren in einer Tiefe von 120-150 kmangelegt. Der gesamte Sicherungsstreifen wurde imHerbst 1939 entmint.

In Friedenszeiten vorbereitete Partisanenabteilungenund -Stützpunkte sowie Diversantengruppen. Sie wur-den im September 1939 aufgelöst.

Befestigte Räume (UR) der Stalin-Linie. Beginn des Ab-zugs der Waffensysteme und der Zerstörung der Anla-gen im Herbst 1939.

Vorgesehener Operationsbereich der Dnjepr-Kriegs-

flotte. Die Flotte wurde im Juni 1940 aufgelöst.Grenzen bis 1. 9. 1939.

Westgrenze der Sowjetunion im Juni 1941.

Karte 2 Die Erste Strategische Staffel der Roten ArmeeDie Dislozierung der Ersten Strategischen Staffelmachte eine Verteidigung der Sowjetunion nahezu un-möglich. Selbst ein schwacher gegnerischer Vorstoß inRichtung Lublin-Rowno-Perwomajsk mußte umgehendzum Verlust von fünf sowjetischen Armeen einschließ-lich der stärksten Armee der Welt, der 9., führen. Einsolcher Schlag würde für die UdSSR den Verlust ge-waltiger materieller Werte, fruchtbarster Ländereien,die Preisgabe der unverteidigten Marinebasen derSchwarzmeerflotte sowie strategischer Stützpunkte

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g pder Luftstreitkräfte bedeuten. Ein solcher Schlag desGegners mußte den Verlust großer Energiekapazitätenim Süden der Ukraine zur Folge haben und dem Gegnerden Zugang zum Donezbecken - dem »sowjetischenRuhrgebiet« - eröffnen. Genau diesen Schlag führte imJuni 1941 die 1. deutsche Panzergruppe.

Die Dislozierung der Ersten Strategischen Staffel zeigteine deutlich erkennbare offensive Ausrichtung. Die9. Armee - stärkste Armee der Welt - war insgeheimnicht an der deutschen, sondern vor der rumänischenGrenze konzentriert worden. Der Vorstoß der 9. Armeenach Rumänien hätte einen Schlag gegen die unge-schützte primäre Erdölquelle Deutschlands bedeutet.

Gebirgsjägerinvasionsarmeen und einzig möglicheRichtung ihres Einsatzes im Gebirge. Das Vorrückender sowjetischen Gebirgsjägerarmeen über die unver-teidigten Gebirgszüge hätte nicht nur ein Durchtrennender Erdöl-»Aorta« Deutschlands an vielen Stellen er-möglicht, sondern zusätzlich das Herüberwerfen deut-scher Reserven nach Rumänien vereitelt.

Sowjetische Invasionsarmeen der Ersten StrategischenStaffel, in deren Rücken das getarnte Aufschließen

weiterer sieben sowjetischer Armeen zu den Grenzenerfolgt.

Luftlandekorps der »ersten Angriffswelle«. Im Landes-innern erfolgt zur gleichen Zeit insgeheim die Aufstel-lung von fünf weiteren Luftlandekorps.

Grenzen im Juni 1941.

Karte 3 Der Verlust des rumänischen Erdöls würde für Deutschland 

die unverzügliche Niederlage zur Folge haben. Die Rote Armee war dar-auf vorbereitet, ihren Hauptschlag gegen Rumänien zuführen. Die Vor-bereitungen für diesen Angriff in Rumänien befanden sich in ihremallerletzten Stadium.

Die 18. (Gebirgsjäger-)Armee begann mit der getarntenEntfaltung am 13. Juni 1941.

Einzig mögliche Operationsrichtung einer Gebirgs- jägerarmee im Gebirge. Andere Gebirge gibt es in die-sem Raum nicht.

Die 9. Armee - stärkste Armee der Ersten Strategi-

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Die 9. Armee stärkste Armee der Ersten Strategi

schen Staffel - wurde nicht gegen Deutschland, son-dern gegen Rumänien entfaltet. Beginn dieser Aktionwar der 13. Juni 1941.

Stoßrichtung der 9. Armee (bezeugt durch Marschallder Luftstreitkräfte A. Pokryschkin).

30. Gebirgsjägerdivision der 9. Armee. Auf sowjeti-schem Gebiet ist eine solche Division nicht erforderlich- es gibt in diesem Raum keine Gebirge. Wohl aberwürde bei einer Invasion in Rumänien die rechteFlanke der 9. Armee längs eines Gebirgszuges operie-ren. Eben deshalb braucht diese Armee eine Gebirgs-

 jägerdivision, und zwar gerade an ihrer rechten Flanke.

Übungen des 14. Schützenkorps der 9. Armee zur Über-windung des Donau-Deltas Anfang Juni 1941 und Ver-suche, am 22. Juni 1941, ohne Befehle aus Moskauabzuwarten, dieses Delta zu erstürmen.

Donau-Kriegsflottille und deren einzig mögliche Opera-tionsrichtung im Kriegsfall: stromaufwärts. In einemVerteidigungskrieg wird die Flottille im Donau-Deltanicht gebraucht, und sie hat keine Rückzugsmöglich-keit.

Die 19. Armee - stärkste Armee der Zweiten Strategi-schen Staffel - wurde nicht an die deutsche, sondern andie rumänische Grenze herangeführt. Beginn des ge-tarnten Aufschließens der Zweiten Strategischen Staf-fel an die Westgrenzen ist der 13. Juni 1941.

3. Luftlandekorps und sein vorgesehenes Operationsge-

biet. Das Absetzen allein dieses Korps im Raum Ploiestioder im Gebirge, da wo die Haupt-Erdöl-Transport-adern verliefen, konnte das ganze Schicksal des Zwei-ten Weltkrieges entsche iden.

Das 9. Spezial-Schützenkorps wird, aus dem Nordkau-kasus kommend, am 13. Juni 1941 heimlich auf dieKrim geworfen. Das Korps übt das Anlanden durchKriegsschiffe, den Abtransport auf dem Seeweg undLandeoperationen auf gegnerischem Territorium.

Die Schwarzmeerflotte führte vor dem 21. Juni 1941

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nach Umfang und Inhalt ungewöhnliche Manöver zurBombardierung eines gegnerischen Küstengeländes,zum Anlanden starker Marineinfanterieverbände undderen Feuerunterstützung sowie zum Zusammenwir-ken mit den auf dem gegnerischen Territorium operie-renden Landtruppen durch. Nach dem 22. Juni erhieltdie Schwarzmeerflotte den Auftrag, genau in dieserWeise vorzugehen. Ihr erstes Ziel war die Bombardie-rung von Constanta - dem wichtigsten Erdölausfuhr-hafen Rumäniens.

63. Bomberbrigade der Fliegerkräfte der Schwarz-

meerflotte, speziell ausgebildet für die Bombardierungdes Erdölhafens in Constanta und der Donaubrücke inCernavodä.

4. Fernbomberkorps der Luftstreitkräfte der RotenArbeiter- und Bauernarmee, das speziell auf die Bom-bardierung der Erdölfelder vorbereitet ist.

Ölpipeline.

  Abb. l »Die Rote Arbeiter- und Bauernarmee wird die aggressivstevon allen jemals dagewesenen Offensivarmeen sein.« (Felddienstvor-schrift der Roten Arbeiter- und Bauernarmee von 1939, S. 9)

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 Abb. 2 Im September 1939 benutzte Stalin zum erstenmal Hitler als»Eisbrecher der Revolution«: Polen wurde von der Wehrmacht besiegt,aber die Früchte des Sieges erntete die Rote Armee, die ohne nennens-werte Verluste große Territor ien besetzte. Deutschland galt als Angrei-fer, die Sowjetunion indessen als neutral. Wegen des Angriffs auf Polenund der Auslösung des Zweiten Weltkrieges hat in der Folge die ganze

demokratische Welt Hitler den Krieg erklärt, Stalin dagegen bald dar-auf umfassende und unbegrenzte Hilfe angeboten.Deutsche Infanteristen überreichen Panzersoldaten der »neutralen«Roten Armee Blumen als Siegesgruß. Der Stiefel des deutschen Infante-risten steht auf der Raupenkette eines sowjetischen BT-7. Der deutscheSoldat weiß nicht, daß diese sowjetischen Panzer für Operationen auf den Autobahnen Deutschlands konstruiert sind. Dort sollen sie die Rau-penketten abwerfen und auf Rädern weiterfahren. Die Raupenkettensind nur eine ßehelfskonstruktion zur Durchquerung Polens.

 Abb. 3 Dschingis-Khan hatte seine riesigen Eroberungen nicht durchüberlegene Waffen, sondern dank seiner großen Manövrierfähigkeiterreicht. Er hatte dazu keiner gepanzerten Ritter bedurft, die kaumverwundbar, aber schwerfällig waren. Für seine zügig tief in das Hin-terland des Gegners vorangetragenen Attacken brauchte er vielmehrMassen kaum geschützter, leicht bewaffneter, aber extrem mobilerKrieger.Auf den gleichen Überlegungen beruht die Konstruktion der sowje-tischen BT-Panzer: nie dagewesene Marschgeschwindigkeit undAktionsradius anstelle starker Panzerung und Bewaffnung. Im über-raschenden, massierten Vorstoß sollen sie unter Umgehung der Wider-standsnester in das feindliche Territorium eindringen und die lebens-wichtigen Zentren des Gegners erobern.In einem Verteidigungskrieg waren derartige Panzer allerdings völligwertlos.

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  Abb. 4 und 5 Diese sowjetischen Panzer waren für Operationen ineinem Angriffskrieg auf guten deutschen Straßen konstruiert. Auf sowjetischem Territorium waren sie beinahe wertlos.

  Abb. 6 und 7  Die sowjetischen Panzertruppen bereiteten sich nichtzur Verteidigung des eigenen Territoriums vor, sondern wie die zahl-losen Horden Dschingis-Khans sollten sie in plötzlichen machtvollenVorstößen tief in das Hinterland des Gegners eindringen.

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  Abb. 8 Die I1-2, ein Flugzeug von außerordentlicher Robustheit understaunlicher Feuerkraft, war das erste serienmäßige Flugzeug mitgepanzertem Rumpf (Gesamtmasse der Panzerung 990 kg). Weder imZweiten Weltkrieg noch zu irgendeiner anderen Zeit wurde je ein ande-rer Flugzeugtyp in gleicher Stückzahl produziert. Die I1-2 stellt diegrößte Leistung der sowjetischen Flugzeugtechnik während des Krie-ges dar, doch sie betraf nicht Flugzeuge, die zur Verteidigung des so-wjetischen Himmels bestimmt waren, sondern sie galt Maschinen, dieden Gegner am Boden durch überraschende Angriffe treffen sollten,und zwar im Rahmen einer Angriffsoperation von nie dagewesenen

Ausmaßen.

  Abb. 9 Bei einer Verteidigungsvorbereitung werden die Fliegerkräftevon den Grenzen weg in das Hinterland verlegt und auseinandergezo-gen, bei der Vorbereitung eines Angriffs dagegen werden die Flieger-kräfte - in erster Linie Bomberf lieger - an der Grenze konzentriert. ImJuni 1941 hatte die sowjetische militärische Führung auf den Flugplät-zen im Westen des Landes in unmittelbarer Nähe der Staatsgrenzen diekampfstärkste Angriffsgruppierung an Fliegerkräften in der ganzenGeschichte der Luftkriegsführung zusammengezogen. Die sowjeti-

schen Bomber und Schlachtflieger überfüllten dichtgedrängt Flügel anFlügel die sowjetischen Grenzflugplätze. Bereit zum plötzlichen Schlaggegen den Feind, waren sie selbst in dieser Position bei einem Über-raschungsschlag des Gegners äußerst verwundbar: Am 22. Juni 1941gingen ganze Flugplätze in einem einzigen riesigen Flammenmeer auf.

und humanen Akt der UdSSR«. (Oberst A. 5. Sawin »Militär-

historische Zeitschrift« 1985, Nr. 8, S. 56)  Marschall der Sowjetunion R. Ja. Malinowski wandte sichnach Durchführung des ersten vernichtenden Angriffs an seineTruppen: »Das sowjetische Volk kann nicht in Ruhe leben undarbeiten, solange die japanischen Imperialisten an unserenGrenzen im Fernen Osten mit ihren Waffen klirren und nur auf den geeigneten Augenblick warten, um unsere Heimat zu über-fallen.« (»Der Kommunist« Nr. 12, 1985, S. 85) Die sowjetischenMarschälle leben beständig in der Furcht, jemand könne sieüberfallen. Malinowski hat diese Worte am 10. August 1945gesprochen Hiroshima ist bereits durch eine Atombombe aus-

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  Abb. 10 Jugendliche Fallschirmspringer bei der Ausbildung in eineder vielen Fallschirmspringer-Clubs. Ausbildung und Ausrüstung eineeinzigen Fallschirmspringers bedeutete den Hungertod mindesteneines sowjetischen Kindes. Stalin ließ über eine Million Fallschirm-Springer ausbilden.

gesprochen. Hiroshima ist bereits durch eine Atombombe aus-gelöscht, und Malinowski weiß davon. Als ob die »japanischenImperialisten« nach Hiroshima nichts anderes zu tun hätten,als »auf den geeigneten Augenblick zu warten«.

Jüngere sowjetische Publikationen (zum Beispiel die »Mili-tärhistorische Zeitschrift« 1985, Nr. 8, S. 62) vertreten weiter-hin die Auffassung, daß »der Kriegseintritt der UdSSR gegenJapan auch den Interessen des japanischen Volkes entsprach« ...;... »die Sowjetunion verfolgte das Ziel, die Völker Asiens, unddamit auch das japanische Volk, vor weiteren Opfern und Lei-den zu bewahren«.

Anfang Mai 1941 brachte die sowjetische Presse plötzlichdie Rede darauf, daß die Völker Europas sich nach Friedensehnten und hoffnungsvoll ihre Augen auf die Rote Armee ge-richtet hätten. Es waren derselbe Tenor und dieselben Worte,die vor jeder kommunistischen »Befreiung« ertönen.

5.Ende 1938 hatte die Große Säuberung ihren Abschluß gefun-den. Eine neue Phase war in der Sowjetunion angebrochen.

Neue Zeiten - neue Ziele - neue Losungen. Im März 1939sprach Stalin erstmals davon, daß man sich auf »unerwarteteWendungen« vorbereiten müsse, und zwar nicht im eigenenLande, sondern auf der internationalen Bühne. Im August 1939hat Stalin die erste unerwartete Wendung zu bieten, die erste

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»Überraschung«, die nicht nur das ganze sowjetische Volk auf-stöhnen läßt, sondern die ganze Welt - den Molotow-Ribben-trop-Pakt. Gleich darauf marschieren deutsche Truppen undnach ihnen sowjetische Soldaten in Polen ein. Die offizielle so-wjetische Erklärung lautet: »Polen ist zu einem Feld für man-cherlei Überraschungen geworden.« Was will man eigentlichmehr? Diese Drohung ist durch einen selbstlosen Akt der sowje-tischen Regierung, der Roten Armee und des NKWD abgewen-det worden. Aber Stalin hat dazu aufgerufen, »auf neue Über-raschungen« gefaßt zu sein, weil sich »die internationale Lage

schlingen«, und doch ist sie eines der klangvollsten Motive ausder sowjetischen Propaganda der »Vorkriegsperiode«.

Auf den ersten Blick mag es verwundern, daß Stalin selbstspäter nie wieder an seine eigene Losung erinnert hat, wäre esdoch leicht gewesen zu sagen: Hitler hat uns plötzlich überfal-len, aber ich hatte euch doch schließlich gewarnt, auf Überra-schungen gefaßt zu sein! Doch das hat Stalin niemals gesagt.Marschall Timoschenko hätte wenigstens einmal nach demKriege daran erinnern können: Denkt ihr noch an den BefehlNr. 191? Ich hatte euch sogar in einem Befehl gewarnt! Die

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zunehmend verworrener gestaltet«.Man sollte meinen, nichts sei einfacher als das: Der Nicht-

angriffspakt mit Deutschland ist unterzeichnet. Wo ist die ver-worrene Situation? Aber Stalin wiederholt beharrlich seineWarnung, der scheinbar klaren Situation nicht zu trauen, auf Überraschungen gefaßt zu sein, auf krasse Wendungen und Ver-änderungen.

Der Mai 1941 ist der Monat, in dem plötzlich die Losung »fürÜberraschungen bereit zu sein« mit Sturmglocken im ganzenLande eingeläutet wird. Sie ertönte am Ersten Mai von der

ersten Seite der »Prawda« und wurde tausendfach von allen an-deren Zeitungen, von den Stimmen Hunderttausender Kommis-sare, Politoffiziere, Agitatoren wiederholt, die den Massen dievon Stalin ausgegebene Losung erläuterten. Der Aufruf »fürÜberraschungen bereit zu sein« erklang im Befehl Nr. 191 desVolkskommissars für Verteidigung, der »in allen Kompanien,Batterien, Schwadronen, Fliegerstaffeln und auf den Schiffen«verlesen wurde.

Will Stalin vielleicht das Land und die Armee vor der Mög-lichkeit eines plötzlichen deutschen Überfalls warnen? Nein,natürlich nicht. Für Stalin kam der deutsche Angriff völlig uner-wartet. Wie hätte er da vor Gefahren warnen können, die erselbst gar nicht vorausgesehen hat?

Am 22. Juni 1941 fand alles Gerede über die unerwartetenWendungen ein Ende, und diese Losung wurde von da ab niemehr wiederholt. In den heutigen sowjetischen Publikationenfehlt jede Erinnerung an die Losung »Seid bereit für Überra-

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heutigen sowjetischen Historiker und Parteibürokraten hätten(ohne die Namen Stalin und Timoschenko zu erwähnen) erklä-ren können: Seht ihr nun, wie weise unsere Partei ist? Auf denSeiten ihres zentralen Organs hat sie fast täglich dazu aufgeru-fen, auf unerwartete Wendungen vorbereitet zu sein! Doch we-der Stalin noch Timoschenko noch irgendein anderer hat auchnur ein einziges Mal an die mit Sturmglocken verkündete Lo-sung vom Mai und Juni 1941 erinnert. Warum eigentlich nicht?Nun, weil man unter der »Überraschung« nicht die deutscheInvasion, sondern etwas völlig Entgegengesetztes verstanden

hatte. Unter der Losung »für Überraschungen vorbereitet zusein« hatten die Tschekisten nicht Minenfelder an den Grenzenangelegt, sondern diese beseitigt, und sie wußten, daß genaudies die Vorbereitung auf die Überraschung des 20. Jahrhun-derts war.

Die sowjetische Presse hatte, als sie Armee und Volk dazuaufrief, auf unerwartete Wendungen auf internationaler Ebenevorbereitet zu sein, diesen Aufruf niemals mit der Möglichkeiteiner fremden Invasion und einem Verteidigungskrieg auf eigenem Territorium assoziiert.

Um eine Vorstellung von der wahren Bedeutung dieser

Losung zu gewinnen, müssen wir natürlich die erste Seite der»Prawda« vom 1. Mai 1941 aufschlagen. Diese Seite war esgewesen, die den vielstimmigen Chor intoniert hatte, der danneinfach die Solopartie der »Prawda« wiederholte.

Nehmen wir also die »Prawda« Nr. 120 (8528) vom 1. Mai1941 zur Hand. Auf der ersten Seite dieser Zeitung finden wir

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unter den vielen hohlen Phrasen nur zwei Zitate. Beide stam-men von Stalin.

Das erste steht unmittelbar am Anfang des Leitartikels:»Was in der UdSSR verwirklicht worden ist, kann auch in anderenLändern verwirklicht werden.« (Stalin) Das zweite Zitat ist indem Befehl des Volkskommissars für Verteidigung enthalten, näm-lich auf alle möglichen unerwarteten Wendungen und »Tricks«seitens unserer äußeren Feinde vorbereitet zu sein (Stalin).

Alles übrige auf der ersten Seite Gesagte gilt dem grau-samen Krieg, der ganz Europa erfaßt hat, den Leiden der Werk-

WORT UND TAT

Worte entsprechen nicht immerden Taten.

 Molotow in seiner Unterredung mit  Hitler am 13. November 1940

(Das nationalsozialistische Deutsch-land und d ie Sowjetunion 1939—1941. Akten aus dem Archiv des Deutschen

 Auswärtigen Amts. Department of State,

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tätigen, ihrer Sehnsucht nach Frieden und ihren Hoffnungenauf die Rote Armee. In diesem Zusammenhang ist das zweiteZitat eine Ergänzung des ersten.

Die erste Seite spricht viel über die sowjetischen Bemühun-gen, den Frieden zu erhalten, aber als Beispiel für einen Nach-barn, zu dem endlich normale Beziehungen hergestellt wordensind, wird Japan angeführt (dessen Stunde vorerst noch nichtgeschlagen hat), während Deutschland unter den guten Freundenbereits nicht mehr genannt wird.

Natürlich ist der Feind, laut »Prawda«, schlau und heim-tückisch, und wir werden auf seine Intrigen antworten, aber

nicht durch Verteidigung unseres eigenen Territoriums, sondernim Sinne einer Befreiung der Völker Europas aus den Nöten desblutigen Krieges.

Weil Stalin diese überraschenden Wendungen voraussah,übernahm er fünf Tage nach Einsetzen dieser lautstarken Kam-pagne in allen sowjetischen Zeitungen das Amt des Regierungs-chefs und hielt seine Geheimrede, in der er Deutschland als denHauptfeind bezeichnete.

Im Mai 1941 übernahm Stalin die Verantwortung im Staate,weil er »Überraschungen« voraussah. Im Juni griff Hitler an,

aber das war eine solche »Überraschung«, daß sie Stalin veran-laßte, sich energisch von jeglicher staatlichen Verantwortungzu distanzieren.

Offensichtlich hatte Stalin sich nicht auf eine deutscheInvasion vorbereitet, sondern auf »Überraschungen« ganzentgegengesetzter Art.

22 0

1948. Russische Ausgabe 1983, S. 115)

1.

In seiner geheimen Ansprache vom 5. Mai 1941 hatte Stalinangekündigt, daß »der Krieg gegen Deutschland nicht vor 1942beginnen wird«. Dieser Satz ist das bekannteste Fragment ausStalins Geheimrede. Vom Standpunkt unseres heutigen Wissensum die nachfolgenden Ereignisse ist Stalins Irrtum offensicht-lich. Doch wir wollen uns nicht vorschnell über Stalins Irrtümerlustig machen.

Wir sollten auch etwas anderes beachten: Stalin hält eine ge-heime Rede, die niemals publiziert worden ist. Wenn dies wirk-lich eine Geheimrede ist, dürfte Stalin vermutlich daran interes-siert sein, seine Geheimnisse vor dem Gegner zu verbergen.Aber im Kreml hören Stalin alleAbsolventen aller Militärakade-mien und alle Dozenten aller  Militärakademien, die höchstepolitische Führung des Landes und die höchste militärischeFührung der Roten Armee. Obendrein wird der Inhalt von Sta-lins Geheimrede sämtlichen sowjetischen Generalen und sämt-lichen Offizieren im Range eines Obersten mitgeteilt. General-

major B. Tramm: »Mitte Mai 1941 versammelte der Vorsitzendedes Zentralrats der Gesellschaft zur Förderung der Verteidi-gung, des Flugwesens und der Chemie (Osoawiachim), General-major der Lufts treitkräfte P. P. Kobelew, den Führungsstab desZentralrats und machte uns mit den Hauptthesen der Rede vonL W. Stalin, die er auf dem Regierungsempfang für die Absolven-

221

ten der Militärakademien im Kreml gehalten hatte, bekannt.«(»Milit ärhistorische Zeit schri ft« 1980, Nr. 6, S. 52)So ist demnach Stalins Rede zwar einerseits geheimer Natur

- aber andererseits kennen Tausende ihren Inhalt. Gibt es eineErklärung für dieses Paradoxon? Die gibt es.

Aus den Erinnerungen von Flottenadmiral der Sowjetunion N. G. Kusnezow wissen wir, daß nach der Ernennung von G. K.Schukow zum Generalstabschef »eine äußerst wichtige Direk-tive ausgearbeitet wurde, die die Befehlshaber der Militärbe-zirke und Flotten auf Deutschland als den wahrscheinlichstenGegner in einem künftigen Krieg orientierte«. (Am Vorabend,

sche Krieg er auf Kämpfe mit Aggressoren eingelassen, ohne einKomm ando von oben abzuwarten. Über quert ein Gegner denGrenzfluß, beginnt für den Soldaten der Krieg. Riesige Armeengefürchte ter Eroberer sind durch Rußland gezogen, und jedes-mal hat der russische Krieger seit uralten Zeiten wie die Krie -ger jede r beliebigen anderen Nation und jedes anderen Landesgewußt, daß die Überquerung der Grenze durch den FeindKrieg bedeutet, und er hat, ohne Befehle abzuwarten, gehan-delt. Gerade darin besteht ja der Sinn des Wachdienstes, daß

 jeder Soldat immer wieder in eine Situation versetzt wird, in dervon ihm die selbständige Entscheidung über den Gebrauch der

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S. 313)Zwei Monate hatte diese Direktive im Generalstab gelegen,

am 5. Mai aber wurde sie den Stäben der Grenzmilitärbezirkezur Durchführung zugeleitet. Viele Anzeichen sprechen dafür,daß sie noch am selben Tage in den Stäben eintraf. Das erwähntzum Beispiel Marschall der Sowjetunion I. Ch. Bagramjan. Diesowjetischen Marschälle sprechen von dieser streng geheimenDirektive recht oft, doch sie zitieren sie nicht. Im Verlauf eineshalben Jahrhunderts ist aus der ganzen streng geheimen Ver-schlußsache lediglich eine einzige Phrase in die Presse geraten:

»sich bereitzuhalten, auf Weisung des Oberkommandos ener-gische Angriffe zur Zerschlagung des Gegners durchzuführen,die Kampfhandlungen auf dessen Territorium zu verlagern undwichtige Frontabschnitte einzunehmen«. (W. A. Anfilow, Dieunsterbliche Tat. Moskau 1971, S. 171)

Hätte diese Direktive ein einziges Wort zur Verteidigung ent-halten - die Marschälle und kommunistischen Historiker wür-den nicht versäumt haben, dies zu zitieren. Aber der gesamteübrige Text der Direktive vom 5. Mai ist für Zitate gänzlich unge-eignet. So bleibt diese Direktive selbst ein halbes Jahrhundertnach Beendigung des Krieges geheim.

Nur einen einzigen Passus hat die sowjetische Zensur pas-sieren lassen, aber auch dieser allein legt den Geist des ganzenso sorgsam gehüteten Dokuments bloß. Und zwar deshalb,weil ein Soldat in einen Verteidigungskrieg ohne ausdrück-lichen Befehl eintritt. Jahrhunderte hindurch haben sich russi-

22 2

Waffe verlangt wird. Es ist das Recht und die Pflicht des Sol-daten, jeden zu töten, der den Versuch unterni mmt, in ein be-wachtes Areal einzudringen. Das sowjetische Gesetz schütztinsbesondere das Recht eines jeden Soldaten zum selbständi-gen Waffengebrauch, und dasselbe Gesetz sieht schwere Stra-fen für jeden Soldaten vor, der in einem Fall, da dies erforder-lich war, von seiner Waffe keinen Gebrauch gemacht hat.

Ein Soldat an der Staatsgrenze ist ein Soldat auf Gefechts-posten. In einem Verteidigungskrieg braucht er keine Befehleund Direktiven abzuwarten.

Der normale Ausbruch eines Verteidigungskrieges entstehtetwa aus folgender Situation: Von der Nachtwache durchfroren,will sich der Soldat bereits in seinen Mantel wickeln und ein-schlafen - nicht ohne zuvor mit dem Fuß seine Ablösung ange-stoßen zu haben -, da reibt er sich plötzlich die Augen, weil erden Gegner erblickt, der im Begriff ist, den Fluß zu überqueren.Der Soldat eröffnet ein Reihenfeuer, tötet die ersten gegnerischenSoldaten und warnt seine eigenen Kameraden. Der Gruppen-führe r wacht auf, flucht im Halbschlaf und jagt, sobald er be-greift, was da vor sich geht, die übrigen Soldaten in den Lauf-graben. Unterdessen sind an der ganzen Front über Hundertevon Kilometern hin Schußwechsel entbrannt. Der Zugführertaucht auf. Er koordiniert das Feuer seiner Gruppen. Andere,höherrangige Offiziere , stellen sich ein. Der Kampf nimmt orga-nisierte Formen an. Eine Meldung geht eilends in den Regi-mentsstab, von dort in den Divisionsstab usw.

223

So müßte ein Verteidigungskrieg beginnen. Und nun dage-

gen diese völlig geheime Direktive vom 5. Mai 1941, die denKriegseintritt von Millionen Soldaten der Roten Armee auf einen einheitlichen Befehl vorsieht, der vom sowjetischen Ober-kommando ausgehen wird. Der schlaftrunkene Soldat an derGrenze kann den Angriff des Gegners sehen, aber wie könnendie Genossen im Kreml etwas vom Kriegsbeginn wissen?Höchstens, wenn sie selbst den Beginn festgesetzt haben.

Ein Verteidigungskrieg beginnt zunächst beim einfachenSoldaten, dann erfaßt er den Unteroffizier und nach ihm denZugführer. In einem Angriffskrieg erfolgt alles in umgekehrter

2.

Wir kenn en nicht den Inhalt der streng geheimen Direktive vom5 Mai 1941 und werden diesen Inhalt offensichtlich niemals er-fahren, aber es ist klar, daß es sich dabei um eine Direktive zumKrieg gegen Deu tschland handelte; nur sollte dieser Krieg nichtmit einer deutschen Invasion beginnen, sondern auf andereWeise. Wäre unter den verschiedenen Varianten eine für denFall vorgesehen gewesen, daß dieser Krieg von Deutschland be-gonnen wird , dann hätt en die sowjetischen Führer im Kreml am22. Juni 1941 einfach per Telefon im Klartext oder auf jede be-liebige andere selbst primitive Weise den Befehlshabern der

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Richtung. Er beginnt beim Oberkommandierenden, dem Gene-ralstabschef, dann erreicht er die Befehlshaber der einzelnenFronten und Flotten, die Kommandierenden Generale der Ar-meen. Der gemeine Soldat erfährt als allerletzter vom Beginneines Angriffskrieges. In einen Verteidigungskrieg treten Millio-nen jeweils auf sich selbst gestellter Soldaten ein, einen Angriffs-krieg beginnen alle gemeinsam wie ein Mann.

Hitlers Soldaten betraten das Territorium des Gegners ge-schlossen wie ein Mann, zur selben Stunde, in derselben Mi-nute. Auch Stalins Soldaten haben dies stets getan: in Finnlandebenso wie in der Mongolei und auch in Bessarabien. Undgeradeso sollten sie in den Krieg mit Deutschland eintreten.

Die Direktive vom 5. Mai war ausgegeben, doch der Zeit-punkt für den Beginn des Krieges ist vorerst noch streng ge-heim. Wartet auf das Signal, und haltet euch jederzeit bereit,sagte diese Direktive den sowjetischen Generalen. Nachdem dieDirektive am 5. Mai ausgegeben war, übernahm Stalin umge-hend das Amt des sowjetischen Regierungschefs, um persönlichdas Signal zur Ausführung der Direktive geben zu können.

Hitler gab seinen Truppen den Befehl zur Ausführung seinerDirektive ein wenig eher.

224

Grenzmilitärbezirke mitteilen können: Öffnet eure Safes, nehmtdie Direktive vom 5. Mai und veranlaßt, was dort geschriebensteht. Hätte die Direktive vom 5. Mai mehrere Varianten vorge-sehen und darunter auch nur eine einzige für den Verteidi-gungsfall, hätte man einfach dem Befehlshaber eines Grenzbe-zirkes sagen können: Streich die ersten neun Varianten, und dieletzte, die zehnte, wird ausgeführt. Aber die Direktive enthielt keine Varianten für den Verteidigungsfall. Das ist der Grund,weshalb die Direktive vom 5. Mai niemals in Kraft getreten ist.Mit dem Beginn der deutschen Invasion hatte die sowjetischeDirektive restlos ihren Sinn verloren, sie war im selben Augen-blick so »überholt« wie die sowjetischen Autobahnpanzer,einschließlich derjenigen, die am 21. Juni 1941 ausgeliefertwurden.

Statt eine Direktive in Kraft zu setzen, die im Safe jedes Be-fehlshabers lag, waren die sowjetischen Führer im Kreml vomersten Augenblick des Krieges an gezwungen zu improvisieren.Sie mußten darauf verzichten, eine bereits fertige Direktive inKraft zu setzen, die jeder Befehlshaber eines Grenzmilitär-bezirks in seinen Händen hält. Statt die fertige Direktive in Kraftzu setzen, mußten Timoschenko und Malenkow Zeit auf die

Abfassung einer völlig neuen Direktive verschwenden. An-schließend wird man weitere Zeit für Verschlüsselung, Über-mittlun g, Em pfang und Entschlüsselung vergeuden. Im übrigenwar auch die am 22. Juni erlassene Direktive durchaus offen-siver Art, aber sie bremst ein wenig den Angriffselan der sowje-

225

tischen Truppen: Solange die Lage nicht geklärt ist, soll dieStaatsgrenze nicht überschritten werden.

3.Es wäre falsch zu glauben, daß die streng geheime Direktivevom 5. Mai 1941 in die Safes gelegt worden sei, um dort ihreStunde abzuwarten. Dem war durchaus nicht so. Die Direktivewar zur Ausführung übermitt elt worden. Die Befehlshaber derMilitärbezirke unternahmen sogar sehr viel. In Übereinstim-mung mit dieser Direktive wurden immense Umgruppierungen

1941 zurück. Vor dem vollen Saal spricht Stalin in einer gehei-men Rede über einen Angriffskrieg gegen Deutschland , der . . .1942 beginnen wird. Am selben Tag ergeht in der streng gehei-men Direktive an die Befehlshaber der Grenzmilitärbezirke dieWeisung, sich für einen jederzeit möglichen Angriff bereitzu-halten.

Und noch eine Koinzidenz: Am 13. Juni 1941 wird TASS einKom mun iqu e verbreiten, daß sich die Sowjetunion nicht mit derAbsicht trage, Deutschland anzugreifen, und daß die Truppennur zu militäri schen Übungen an die deutsche Grenze geworfenwürde n, aber am 15. Juni erhalten die sowjetischen Generale in

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der sowjetischen Truppen in Richtung Grenze vorgenommen,wurden die Stacheldrahtverhaue über Hunderte von Kilome-tern geräumt und Tausende von Minen in den Grenzregionenbeseitigt, wurden Hundertt ausende Tonnen Munition unmittelbaran die Grenze gebracht und dort im Boden eingelagert, wurdenin die Grenzregionen kolossale Reserven an unverzichtbarenVorräten verschiedenster Art für den baldigen und unvermeid-lichen Krieg transportiert.

Am 15. Juni 1941 waren die Generale, die die Armeen,Korps und Divisionen kommandierten, an der Reihe, ein wenig

mehr über die Absichten der obersten sowjetischen Führung zuerfahren. An diesem Tag erteilten die Stäbe der fünf Grenzmili-tärbezirke die aufgrund der streng geheimen Direktive vom5. Mai ausgearbeiteten Gefechtsbefehle.

Der Kreis der Eingeweihten erweiterte sich damit auf mehrere hundert Personen. Auch die Befehle, die im mittlerenKommandobereich der Roten Armee am 15. Juni erteilt wer-den, bleiben weiterhin streng geheime Verschlußsache, doch eswaren deren mehrere, und deshalb werden sie häufiger undvollständiger erwähnt. Ich zitiere einen den Historikern be-kanntgewordenen Satz aus einem Befehl, der am 15. Juni vomStab des Sondermilitärbezirks Baltikum an die kommandieren-den Generale der Armeen und Korps, die dem betref fenden Mili-tärbezirk zugeordnet waren, erging: »Wir müssen jederzeit zurErfüllung des Kampfauftrags bereit sein.«

Und nun kehren wir zur Geheimrede Stalins vom 5. Mai

226

den Grenzmilitärbezirken einen nur für ihre Ohren bestimmtenBefehl: sich jederze it für die Eroberung von Frontabschnittenauf fremdem Territorium bereitzuhal ten.

4.Im Mai 1941 war es bereits nicht mehr möglich, die sowjeti-schen Vorbereitungen für den »Befreiungskrieg« zu verbergen.Der weise Stalin weiß das. Deshalb verfaßt er das TASS-Kom-munique vom 13. Juni und erklärt »naiv« der ganzen Welt, daß

es keinen Krieg geben wird. Hitler schenkt natürlich dieser lau-ten Erklärung keinen Glauben, doch zur gleichen Zeit gelangtdie deutsche Abwehr in den Besitz der »geheimen« Rede Stalinsvom 5. Mai: Es wird zum Kriege kommen ... 1942.

Stalin weiß, daß es nicht mehr gelingen wird, seine Absich-ten zu verbergen, aber er hofft , den Zeitpunkt des sowjetischenAngriffs geheimhalten zu können. Dazu ist die ganze Komödiemit der »Geheimrede« erdacht, einer Rede, die Tausende ken-nen: Wenn du, mein lieber Hitler, meinen offenen Erklärungennicht glauben willst, dann glaub eben meinen »geheimen« Er-klärungen. Hitler besaß genügend Verstand, weder das einenoch das andere zu glauben.

22 7

ZÄHNEFLETSCHENDE FRIEDENSLIEBEMan muß bestrebt sein, den Feindzu überrumpeln, den Augenblick

abzupassen, in dem er seineTruppen verzettelt hat.

 Lenin-Zitat durch Stalin in denVorlesungen an der Swerdlow-Universi-tät im April 1924 »Über die Grundlagen

des Leninismus« (Werke VI, S. 158)

die Frucht einer krankhaften Phantasie ihrer Autoren ist ... esgibt keinerlei >Konzentration starker Streitkräfte< an den West-grenzen der UdSSR, und eine solche ist auch nicht vorgesehen.Das in der Meldung von Domei Tsushin enthaltene und nochdazu in grob entstellter Form wiedergegebene Körnchen Wahr-heit besteht darin, daß aus dem Raum Irkutsk angesichts derbesseren Unterkunftsverhältnisse im Raum Nowosibirsk eineeinzige Schützendivision in den Raum Nowosibirsk verlegtwird. Alles andere an der Meldung von Domei Tsushin ist reinePhantasterei.«

Und nun lassen Sie uns sehen, wer im Recht ist: Domei

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l.

Am 8. Mai 1941, nur wenige Tage nach der »geheimen« Stalin-rede, schickte TASS, die Nachrichtenagentur der UdSSR, ein De-menti in den Äther. Einen Monat später, am 13. Juni 1941, wirdTASS ein sehr seltsames Kommunique veröffentlichen. Um die-ses TASS-Kommunique vom 13. Juni zu verstehen, müssen wiraufmerksam das Dementi vom 8. Mai studieren und zu ver-stehen versuchen.

Der Text lautet:

»Japanische Zeitungen verbreiten eine Meldung der Agen-tur Domei Tsushin, in der berichtet wird ... die Sowjetunionwürde starke Streitkräfte an den Westgrenzen konzentrieren... die Truppenkonzentration erfolge in ungewöhnlich großemAusmaß. Infolgedessen sei der Personenverkehr auf der Sibiri-schen Eisenbahn eingestellt worden, da Truppen von Fernostvor allem an die Westgrenzen geworfen würden. Aus Mittelasienwürden ebenfalls starke Truppenverbände dahin verlegt ...Eine Militärmission unter der Leitung von N. G. Kusnezow seiaus Moskau nach Teheran abgereist. Die Agentur hebt hervor,

daß diese Mission im Zusammenhang stehe mit der Frage derÜberlassung von Flughäfen im Zentrum und in den westlichenRegionen des Iran an die Sowjetunion.

TASS ist zu der Erklärung ermächtigt, daß diese verdächtigreißerisch aufgemachte, von einem unbekannten Korrespon-denten der United Press entlehnte Meldung von Domei Tsushin

228

Tsushin und United Press oder TASS.Domei Tsushin erwähnt die sowjetische Iran-Mission, aber

TASS dementiert das. Drei Monate später marschierten sowje-tische Truppen im Iran ein und bauten dort tatsächlich Flug-plätze aus (und nicht nur Flugplätze, sondern noch vieles anderemehr). Ich weiß nicht, wer diese »Befreiung« vorbereitet hat,Kusnezow oder irgendein anderer, nicht das ist wichtig. Sie hatstattgefunden, und das zählt. Die japanischen Zeitungen hattenmit Hilfe ihrer amerikanischen Quellen diese Ereignisse korrektvorausgesagt. Das TASS-Dementi erweist sich bereits in dieser

Hinsicht als falsch.Domei Tsushin spricht von einer »Truppenkonzentration in

ungewöhnlich großem Ausmaß«. Das ist korrekt. Stalin hatteunter anderem an den deutschen Grenzen bekanntlich zwanzigmechanisierte und fünf Luftlandekorps zusammengezogen.Wer hätte jemals zuvor eine solche Masse rein offensiver Trup-penverbände gegen einen einzigen Gegner konzentriert?

TASS spricht von einer einzigen Schützendivision und derenVerlegung »von Irkutsk nach Nowosibirsk«. Hören wir andereZeugen: Generalleutnant G. Schelachow (zu der Zeit General-

major und Stabschef der 1. Rotbanner-Armee an der Fernost-Front): »Laut Direktive des Volkskommissars für Verteidigungvom 16. April 1941 wurden von der Fernost-Front nach Westenverlegt: Die Führung des 18. und des 31. Schützenkorps, die21. und die 66. Schützendivision, die 211. und die 212. Luftlande-brigade und einige weitere Truppenteile für Spezialaufgaben.«

229

(»Militärhistorische Zeitschrift« 1969, Nr. 3, S. 56) Die Verle-gung von Luftlandetruppen ist ein zuverlässiges Anzeichen fürAngriffsvorbereitungen . Die Verlegung der Luftlandebrigadenzusätzl ich zu den in den Westregionen des Landes bereits aufge-stellten fünf Luftlandekorps legt Zeugnis ab für die Vorbereitun-gen einer gewaltigen Angriffsoperation. Das falsche »Dementi«von TASS, das die Truppenverlegung - einschließlich der Luft-landeverbände - bemänteln sollte, zeugt davon, daß diese gran-diose Angriffsoperation unter absoluter Geheimhaltung als einfür den Gegner vollkommen überraschender Schlag vorbereitetwird. Schukow verstand sich meisterhaft auf dergleichen Ein-

bezirk Kiew am 25. Mai 1941. Das bedeutet, daß zu dem Zeit-punk t, als das TASS-Dementi gesendet wird, das 31. Schützen-korps sich irgendwo auf der Transsibirischen Eisenbahn befundenhaben muß. Generaloberst I. I. Ljudnikow berichtet, daß ernach Abschluß der Ent faltung und völligen Mobilisierung der200. Schützendivision und nachdem er deren Führung über-nommen hatte , den Befehl erhielt, sich dem 31. Schützenkorpsanzuschließen. Hernach brach dieses Korps (genauso wie diezahlreichen anderen) heimlich unmittelbar zur deutschenGrenze auf. Hitler verhinderte, daß das 31. Korps das Ziel deseingeschlagenen Weges erreichte.

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falle. Im übrigen ist die 212. Luftlandebrigade Schukows bevor-zugte Brigade. Im August 1939 gehörte sie zusammen miteinem Osnas-Bataillon des NKWD zu Schukows persönlicherReserve und wurde genau in dem Augenblick eingesetzt, als derüberraschende Vernichtungsschlag gegen die japanischen Trup-pen geführt wurde. Die Brigade wurde beim abschließendenVorstoß in die rückwärtigen Linien der 6. japanischen Armeeeingesetzt.

Jetzt ist Schukow dabei, diese beste Brigade der RotenArmee aus dem Fernen Osten zum 3. Luftlandekorps an der

rumänischen Grenze zu verlegen. Hitler ließ es nicht zum Ein-satz dieser Brigade und des ganzen 3. Luftlandekorps (wie imübrigen auch aller anderen derartigen Verbände) in der ihrereigentlichen Bestimmung entsprechenden Weise kommen. Nach-dem das »Unternehmen Barbarossa« angelaufen war, wurdedas 3. Luftlandekorps mangels Verwendbarkeit in einem Ver-teidigungskrieg zur 87. Schützendivision (später 13. Garde-schützendivision) umgegliedert, die sich anschließend tatsäch-lich in Abwehrkämpfen auszeichnete. Wenn Stalin sich wirklichauf eine Verteidigung vorbereitet hat, warum wurden dannnicht von vornherein gewöhnliche Schützendivisionen anstellevon Luftlandebrigaden und Luftlandekorps aufgestellt?

Die heimliche Verlegung der Truppen aus Fernost könnenwir anhand vieler Quellen verfolgen. Die Marschälle der Sowjet-union G. K. Schukow und L Ch. Bagramjan bestätigen beide dasEintreffen des 31. Schützenkorps aus Fernost im Sondermilitär-

230

Die Wege der anderen Armeekorps, Divisionen und Briga-den, die heimlich von Fernost verlegt wurden, kann jeder, derdies will, anhand der zahlreichen Erinnerungen sowjetischerGenerale und Marschälle verfolgen, er kann sie den Aussagender sowjetischen Kriegsgefangenen von den Fernost-Einheitenentnehmen, die am 22. Juni an den deutschen und rumäni-schen Grenzen standen, den Berichten der deutschen Abwehrund vielen anderen Quellen mehr.

2.TASS spricht von einer Schützendivision, die von Irkutsk nachNowosibirsk wegen der »besseren Unterkunftsverhältnisse«verlegt werde. Seit vielen Jahren gehe ich den Spuren diesergeheimnisvol len Division nach. Alle, die die TASS-Erklärungenfür dumm und naiv halten, alle, die dieser rührend naiven Ge-schichte Glauben schenken, bitte ich um ihre Mithilfe bei derSuche nach wenigstens irgendwelchen Erwähnungen dieserDivision, die angeblich im Frühjahr 1941 in Nowosibirsk aus-geladen wurde.

Statt dieser Nachrichten finde ich eine Fülle anderer:Divisionen wurden in Irkutsk und Nowosibirsk, in Tschita undUlan-Ude, in Blagoweschtschensk und Spassk, in Iman undBarabasch, in Chabarowsk und Woroschilow nur verladen, aberausgeladen wurden sie nicht hundert Kilometer weiter in einerNachbarstad t, sondern an den westlichen Grenzen. Da erwähnt

231

zum Beispiel ein ausgerechnet in Irkutsk erschienenes Buch(Der Militärbezirk Transbaikalien, Irkutsk 1972) das Verladenvieler Divisionen, und alle gingen in Richtung Westen. Da wirdheimlich im April die 57. Panzerdivision von Oberst W. A.Mischulin verladen. Den Bestimmungsort kennt der Oberst nicht.

Die 57. Panzerdivision kommt in den Sondermilitärbezirk Kiew und erhält den Befehl, mit dem Ausladen im RaumSchepetowka zu beginnen.

Unterdessen wächst der Truppenstrom auf der Transsibi-rischen Eisenbahn (und allen anderen Hauptstrecken) an. Wirwissen, daß am 25. Mai das Ausladen von Korps aus dem Fernen

Armee. Die Direktive über den Beginn der Verlegung der ZweitenStrategischen Staffel war den Befehlshabern der Truppen am13. Mai zugel eite t worden. Und eben im Hinblick darauf erfolgtedas TASS-»Dementi«. Genau einen Monat später wird die Ver-legung der Zweiten Strategischen Staffel aufgenommen, undTASS melde t sich erneut mit einem »Kommunique« zu Wort, desInhalt s, daß in der Sowjetunion nichts Ernsthaftes im Gange seiaußer üblicher Transporte von Reservisten zu Truppenübungen.

TASS mag ruhig über seine üblichen Reservisten plaudern,wir wollen hören, was andere Zeugen zu sagen haben.

Generalmajor A. A. Lobatschow, zu der Zeit Mitglied des

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Osten in der Ukraine begann (zum Beispiel das 31. Schützen-korps im Kreis Schitomir), am nächsten Tag erhält der Befehls-haber des Militärbezirks Ural den Befehl, zwei Schützendivisio-nen in das Baltikum zu verlegen. (Generalmajor A. Grylew undProfessor W. Chwostow in der Zeitschrift »Der Kommunist«1968, Nr. 12, S. 67) Am selben Tag erhalten der Militärbezirk Transbaikalien und die Fernost-Front den Befehl, weitere neunDivisionen für die Verlegung nach Westen bereitzustellen, ein-schließlich dreier Panzerdivisionen. (Grylew und Chwostow

in derselben Veröffent lichung) Auf der Transsibirischen Eisen-

bahn wird bereits die 16. Armee verladen. Zur TranssibirischenEisenbahn haben sich die 22. und 24. Armee in Bewegunggesetzt.

3.Die größte Lüge im TASS-Dementi stellen nicht einmal die»Unterkunftsverhältnisse« dar. »Es gibt keinerlei Konzentration,und eine solche ist auch nicht vorgesehen« - das ist das Ent-scheidende. Erstens gibt es sie, und die deutsche Invasion hatbestätigt, daß die sowjetischen Truppenkonzentrationen die

kühnsten Voraussagen überstiegen. Zweitens war zum Zeit-punkt der Verlegung aller dieser Brigaden, Divisionen undArmeekorps eine noch gewaltigere und in der Tat in der Weltge-schichte noch nie dagewesene Eisenbahnoperation vorgesehen

- die Verlegung der Zweiten Strategischen Staffel der Roten

232

Militärrats der 16. Armee, berichtet vom 26. Mai 1941:»... Der Stabschef trug vor, daß aus Moskau eine verschlüs-

selte Nachricht eingetroffen sei, die die 16. Armee beträfe ...Der Befehl sah die Verlegung der 16. Armee an einen neuen Ortvor. M. F. Lukin sollte sich umgehend im Generalstab zur Ent-gegennahme entsprechender Anordnungen melden, OberstM. A. Schalin und ich aber hatten die Abfertigung der Militär-transporte zu organisieren.

>Wohin?<, fragte ich Kurotschkin.>Nach Westen.<

Wir berieten die Sache und kamen zu dem Schluß, als erstedie Panzertruppen in Marsch zu setzen, anschließend die152. Division und die übrigen Verbände und am Ende denArmeestab mit den ihm zugeteilten Truppenteilen.

> D ie Abfertigung der Transportzüge erfolgt nachts. Niemanddarf erfahren, daß die Armee abrückt<, warnte der Komman-dierende ...

... Zur Abfahrt der Panzertruppe fanden sich Kurotschkinund Simin ein, und der ganze Führungsstab des 5. Korps kamzusammen. Man gab General Alexejenko und allen Komman-deuren den Wunsch mit auf den Weg, nicht die Traditionen der

Transbaikaler zu vergessen ...... Die Menschen hörten die warmen Geleitworte, und jeder

dachte bei sich, daß vielleicht in Bälde nicht mehr von Gefechts-vorbereitungen, sondern von Kampfhandlungen die Rede seinkönnte.« (Auf schwierigen Pfaden. Moskau 1960, S. 123)

233

Im weiteren Verlauf hat General Lobatschow erstaunliche

Dinge zu berichten. Der Kommandierende der Armee, GeneralLukin, Lobatschow selbst und der Stabschef der 16. Armee,Oberst M. A. Schalin (der künftige Chef der HauptverwaltungAufklärung - V. S.(, wissen, daß die 16. Armee nach Westenverlegt wird, aber sie wissen nicht genau, wohin es geht. Allenübrigen Generalen der 16. Armee wird »vertraulich« mitgeteilt,daß der Bestimmungsort die iranische Grenze sei; den niederenOffiziersrängen werden als Grund der Verlegung Truppenübun-gen genannt; den Ehefrauen der Stabsoffiziere wird gesagt, dieArmee rücke ins Ausbildungslager ab.

I i V idi k i b h i d di

Wir Menschen von heu te können nur schwer auf den vergilb-

ten Seiten aus jenen Jahren direkte Hinweise auf einen baldi-gen und unvermeidli chen Krieg entdecken. Aber die Menschendieser Generation lasen zwischen den Zeilen und wußten, daßder Krieg unausweichlich näherrückte. Wie aber konnte man inSibirien etwas von Hitlers Kriegsvorbereitungen wissen? Wärees möglich, daß man aufgrund der sowjetischen Vorbereitungenspürte, daß der Krieg unvermeidbar war?

Doch wir sind abgeschweift. Kehren wir zur Schilderung vonGeneral Lobatschow zurück. Er erwähnt den unwahrschein-lichen Grad an Geheimhaltung, unter dem die Verlegung der

A f l Di T d h b f i

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In einem Verteidigungskrieg braucht man zumindest dieGenerale nicht über die Richtung zu täuschen, in der die Armeewird operieren müssen. Doch in der 16. Armee wissen nur diedrei höchsten Off iziere um die Westgrenze, die übrigen Generalehaben absichtlich die Fehlinformation über den Iran erhalten.In der deutschen Armee vollzog sich zur selben Zeit ähnliches:Man verbreitete eine Lüge über das der Wahrheit recht nahe-kommende »Unternehmen Seelöwe«. Der Propaganda nachsollte es England be treffen, war aber real für Kreta geplant. Diegezielte Fehlinformation der Truppe über die Richtung der be-vorstehenden Operationen ist ein zuverlässiges Anzeichen fürdie Vorbereitung eines Überraschungsangriffs. Um ihn vor demGegner zu verbergen, muß man ihn auch vor den eigenen Trup-pen geheimhalten. So haben es alle Aggressoren gehalten. Dasmachte Hitler. Das befolgte Stalin.

Interessanterweise begreifen im April 1941 die Betroffenen,daß die 16. Armee im Grunde genommen in den Krieg zieht.

Lobatschows Ehefrau fragt ihn offen heraus:»>Ihr werdet kämpfen? <>Wie kommst du darauf? <>Laß gut sein, ich lese schließlich Zeitungen!<«

Das ist ein hochinteressantes psychologisches Moment, auf das ich noch zurückkommen muß. Ich habe viele Menschen aus jener Generation befragt, und sie alle hatten den Krieg voraus-gefühlt. Ich wunderte mich, woher diese Vorahnungen kamen.Und alle antworteten: Aber ja doch, aus den Zeitungen!

234

Armee erfolgt: Die Transporte werden nur nachts abgefertigt;auf den großen und mittleren Bahnhöfen halten die Züge nichtan; die Verlegung des Stabes der 16. Armee erfolgt in Güterwag-gons mit verschlossenen Türen und Fenstern; auf den kleinenStationen, an denen die Militärtransporte halten, darf niemanddie Waggons verlassen. Damals brauchte ein Personenzug fürdie Gesamtstrecke der Transsibirischen Eisenbahn elf Tage, dieGüterzüge aber fuhren noch langsamer. Man kann in völlig ge-schlossenen Waggons Soldaten und Offiziere verfrachten. Aberdas hier ist ein Armeestab. Dieses Maß an Geheimhaltung istselbst für sowjetische Verhältnisse ungewöhnlich. 1945 ergoßsich der Truppenstrom in umgekehrter Richtung über die Trans-sibirische Eisenbahn für den Überraschungsschlag gegen die

  japanischen Truppen in der Mandschurei und in China. AusTarnungsgründen reisten alle Generale in gewöhnlichen O f f i -

ziersuniformen mit sehr viel weniger Sternen auf den Schulter-stücken, als ihnen zustanden, aber immerhin reisten sie inWaggons zur Personenbeförderung. Doch 1941 wurden sie inGüterwaggons transportiert. Warum?

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NOCH EINMAL ZURÜCKZUM TASS-KOMMUNIQUE

... Stalin gehörte nicht zu denLeuten, die ihre Absichten offen

erklären. Robert Conquest (Am Anfang starb

Genösse Kirow. Düsseldorf 1970, S. 84)

l.

A 13 J i 1941 b it t d M k R df k i i ht

Sowohl in der sowjetischen als auch in der ausländischen

Presse ist über dieses TASS-Kommunique sehr viel geschriebenword en. Alle, die sich mit diesem Thema befaßten, haben sichüber Sta lin lus tig gemacht. Mitun ter geht man so weit, im TASS-Kom muni que fast einen Beweis seiner Kurzsichtigkeit zu sehen.Indessen steckt in dem TASS-Kommunique vom 13. Juni 1941weit mehr Geheimnisvolles und Unbegreifliches als Lächerliches.Klar bean twor tet ist nur eine einzige Frage: die nach dem Autordes Kommun iques. Alles Übrige bleibt rätselhaft.

Das TASS-Kommunique läßt sich in keiner Weise mit StalinsCharakter vereinbaren.

D M d St li h l d ßt i

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Am 13. Juni 1941 verbreitet der Moskauer Rundfunk ein nichtganz alltägliches TASS-Kommunique, in dem bekräftigt wird,daß »Deutschland sich ebenso strikt an die Bedingungen dessowjetisch-deutschen Nichtangriffspakts hält wie die Sowjet-union ...« und daß »diese Gerüchte (d. h. die Gerüchte von denVorbereitungen für einen Angriff Deutschlands auf die UdSSR -V. S.) eine plump zusammengeschusterte Propaganda seitens

  jener Kräfte sind, die der UdSSR und Deutschland feindseliggesonnen und an einer zunehmenden Ausweitung und Ausuferungdes Krieges interessiert sind ...« Am nächsten Tag veröffentlichendie großen sowjetischen Zeitungen dieses Kommunique, undeine Woche später erfolgt der deutsche Angriff auf die UdSSR.

Wer der Autor des TASS-Kommuniques war, wissen alle.Stalins charakteristischen Stil erkannten die Generale in densowjetischen Stäben ebenso wie die Häftlinge in den Lagernund die Experten im Westen.

Es ist nicht uninteressant, daß Stalin die TASS-Agentur zwarnach dem Kriege einer Säuberung unterzog, doch wurde gegenkeinen der Leiter dieser Organisation Anklage wegen der Ver-breitung dieses Kommuniques erhoben, das man als »eindeutigschädigend« hätte ansehen können. Die Schuld für die Aus-

strahlung des TASS-Kommuniques hätte Stalin jedem Mitglieddes Politbüros (zu einer beliebigen, Stalin genehmen Zeit) anla-sten können. Aber er hat von dieser Möglichkeit nicht Gebrauchgemacht und dadurch die gesamte Verantwortung vor derGeschichte persönlich übernommen.

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Der Mann, der von Stalin mehr als andere wußte, sein per-sönlicher Sekretär Boris Baschanow, beschreibt Stalins Wesenals »verschlossen und ungemein schlau; ... Er besaß in hohemMaße die Gabe des Schweigens und war in dieser Hinsichtetwas Einmaliges in einem Land, in dem alle zu viel redeten«.

Und hier andere Urteile: »Er war ein unversöhnlicher Feind jeder Inflation an Worten - der Geschwätzigkeit. Sag nicht, wasdu denks t, denk nicht, was du sagst — das ist eine weitere Deviseseines Lebens.« (A. Awtorchanow) »In kritischen Momenteneilte bei Stalin die Tat dem Wort voraus.« (A. Antonow-Owse-

  jenko) Der hervorragende Kenner der Stalin-Epoche Robert

Conquest bezeichnet die Schweigsamkeit und VerschlossenheitStalins als einen der markantesten Charakterzüge seiner Per-son: »Sehr beherrscht und verschlossen«; »wir müssen unsnoch immer bemühen, in das Dunkel der außerordentlichenVerschlossenheit Stalins einzudringen«; »Stalin erzählte nie-mals, was ihm durch den Kopf ging, nicht einmal das, was sichauf seine politischen Ziele bezog.«

Die Fähigkeit zu schweigen begegnet einem, wie D. Carnegietreffend bemerkt, bei den Menschen weit seltener als jedes an-dere Talent. Unter diesem Aspekt war Stalin ein Genie - er ver-

stand zu schweigen. Und das ist nicht nur ein hervorstechenderCharakterzug, sondern auch eine überaus starke Waffe imKampf. Durch sein Schweigen schläferte er die Wachsamkeitseiner Gegner ein, weshalb Stalins Schläge stets überraschendkamen und nicht mehr abzuwenden waren. Weshalb also hatte

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Stalin in diesem Fall gesprochen, und noch dazu so, daß ihn alle

hörten? Wo bleibt seine Verschlossenheit? Wo die Schlauheit?Wo sind die Taten, die dem Wort voraneilen? Wenn Stalin be-stimmte Vorstellungen von der weiteren Entwicklung der Ereig-nisse hat, warum bespricht er das nicht im engen Kreis seinerMitstreiter? Wäre es letztlich nicht besser gewesen, noch einWeilchen zu schweigen? An wen wendet sich Stalin? An die RoteArmee? Wer übermittelt seiner Armee wichtige Mitteilungen(und hier geht es um Krieg oder Fr ieden, um Tod und Leben) perRundfunk aus der Hauptstadt oder durch die großen Zeitun-gen? Die Armee, die Flotte, die Geheimpolizei, die Konzentra-

tionslager die Industrie das Transportwesen die Landwirt

ten, die die Streitkräfte und eine Revidierung der früher gefaß-

ten Beschlüsse betrafen«. (Ein Lebenswerk. Moskau 1973,S 120) Weiter führt der Marschall aus, daß sich in den Arbeitendes Generalstabs und des Volkskommissars für Verteidigungnichts änderte und auch »nicht zu ändern brauchte«. Über diemilitärischen Geheimkanäle blieb nicht nur eine Bestätigungdes TASS-Kommuniques aus, wir besitzen im Gegenteil Unter -lagen darü ber, daß gleichzeitig mit dem TASS-Kommunique inden Militärbezirken, zum Beispiel im Sondermilitärbezirk Balti-kum, an die Truppen ein Befehl erging, der dem Sinn und Geistdes TASS-Kommuniques direkt widersprach. (Archiv des Ver-

teidigungsministeriums der UdSSR Fonds 344 Inventarver

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tionslager, die Industrie, das Transportwesen, die Landwirt-schaft, alle Menschen, gleich ob hoch oder niedrig, sind ein Teildes Staatswesens und unterstehen nicht Zeitungsmeldungen,sondern ihren Vorgesetzten, die über besondere (oft genuggeheime) Kanäle ihre Befehle von den höherstehenden Vorge-setzten erhalten. Stalins Imperium war zentralisiert wie keinanderes, und der Mechanismus der Staatsverwaltung war soabgestimmt, daß jeder Befehl unverzüglich von der höchstenEbene bis zum letzten Vollzugsgehilfen gelangte und pünktlichausgeführt wurde. Riesenoperationen, wie etwa die Verhaftungund Liquidierung der Jeschow-Anhänger und praktisch die Aus-wechslung des gesamten Führungsapparates der Geheimpoli-zei wurden schnell und effizient durchgeführt, und zwar so, daßdas Zeichen zum Beginn der Operation nicht nur von keinemAußenstehenden entziffert wurde, sondern man wußte nichteinmal, wann und wie Stalin das Signal zur Durchführung die-ser gewaltigen Aktion gegeben hatte.

Wenn Stalin im Juni 1941 irgendwelche Vorstellungen hatte,die unverzüglich den Millionen, die sie umzusetzen hatten, mit-zuteilen waren, hätte man sich des eingespielten Verwaltungs-apparats bedienen können, der jeden Befehl umgehend und

ohne Entstellung weiterleitete. Wenn es dabei um eine wichtigeMitteilung ging, hätte man sie über sämtliche geheimen Kanäledoppelt absichern können. Marschall der Sowjetunion A. M.Wassilewski ist Zeuge dafür, daß nach diesem Kommunique inder Presse »keinerlei neue Weisungen prinzipieller Natur folg-

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teidigungsministeriums der UdSSR, Fonds 344, Inventarver-zeichnis 2459, Vorgang 11, Blatt 31)Die Artikel in den Militärzeitungen (besonders in den für

Außenst ehende nicht zugänglichen) waren ebenfalls vom Inhalther dem TASS-Kommunique völlig entgegengesetzt. (Siehe z. B.Vizeadmiral L L Asarow, Das besetzte Odessa. Moskau 1962)

Das TASS-Kommunique ist nicht nur unvereinbar mit StalinsWesen, sondern auch mit einer zentralen Idee der gesamtenkommunistischen Mythologie. Jeder kommunistische Tyrann(und das gilt für Stalin in ganz besonderem Maße) wiederholtsein Leben lang die einfache und verständliche Formel: DerFeind schläft nicht. Mit dieser magischen Formel kann man so-wohl das nicht vorhandene Fleisch in den Läden wie auch die»Befreiungsfeldzüge« und die Zensur und die Folterungen unddie massenhaften Säuberungen und die geschlossenen Grenzenund überhaupt alles, was immer beliebt, erklären. Die Formeln»der Feind schläft nicht«, »wir sind von Feinden umringt« sindnicht nur Bestandteil der Ideologie, sie stellen auch die schärfsteWaffe der Partei dar. Mit dieser Waffe ist bisher absolut jeglicheOpposition beseitigt worden, mit Hilfe dieser Waffe wurden allekommunistischen Diktaturen errichtet und ausgebaut... Und

hier nun auf einmal, nur ein einziges Mal in der Geschichtesämtlicher kommunistischer Regime verkündet das Ober hauptdes mächtigsten aller dieser Regime, daß eine Bedrohung durcheine mögliche Aggression nicht existiere.

Wir sollten das TASS-Kommunique nicht als dumm, lächer-

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lich oder naiv abtun. Sehen wir es einmal als eine seltsame,unbegreifliche, unerklärli che Meldung an. Versuchen wir, hinterden Sinn dieses Kommuniques zu kommen.

2.Der 13. Juni 1941 ist eines der wichtigsten Daten der sowje-tischen Geschichte. An Bedeutung übertrifft dieses Datum - imGrunde genommen - bei weitem den 22. Juni 1941. Die sowjeti-schen Generale, Admirale und Marschälle gehen auf diesen Tagin ihren Memoiren viel ausführlicher ein als auf den 22. Juni.

Sehen wir uns eine Beschreibung dieses Tages an die sich völlig

bezirk Ural. Moskau 1983, S. 104) hat dieses Datum peinlichgenau fixiert: »Zuerst wurde mit der Verladung der 112. Schüt-zendivision begonnen. Am Morgen des 13. Juni verließ derTranspor tzug die kleine Eisenbahnstation... Ihm folgten wei-tere Milit ärtransport e. Dann begann die Abfertigung der Trup-pentei le der 98., 153., 186. Schützendivision.« Die 170. und 174.Schützendivision, Artillerie-, Pionier-, Flak- und andere Trup-penteile bereiteten sich auf den Abtransport vor. Für die Füh-rung der Uraldivi sionen wurden zwei Korpsführungen gebildetund diese ihrerseits dem Stab der neuen 22. Armee (unter demKommandierenden Generalleutnant F. A. Jerschakow) unter-

stellt Diese ganze Masse von Stäben und Truppen bewegte sich

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Sehen wir uns eine Beschreibung dieses Tages an, die sich völligim Rahmen der Norm bewegt:

Generalleutnant N. L Birjukow (zu der Zeit Generalmajor,Kommandeur der 186. Schützendivision im 62. Schützenkorpsdes Militärbezirks Ural): »Am 13. Juni 1941 erhielten wir vomStab des Militärbezirks eine Direktive von besonderer Wich-tigkeit, derzufolge die Division in ein >neues Lager< abrückensollte. Die Adresse des neuen Quartiers wurde nicht einmal mir,dem Divisionskommandeur, mitgeteilt. Erst als wir Moskau pas-sierten, erfuhr ich, daß unsere Division in den Wäldern westlichvon Idriza konzentriert werden sollte.« (»MilitärhistorischeZeitschrift« 1962, Nr. 4, S. 80)

Meine Leser seien daran erinnert, daß eine Division in Frie-denszeiten »geheime« und mitunter »streng geheime« Doku-mente hat. Ein Dokument von »besonderer Wichtigkeit« kann ineiner Division nur in Kriegszeiten auftauchen, und auch nur imAusnahmefall, wenn es sich um die Vorbereitung einer Opera-tion von außerordentlicher Wichtigkeit handelt. Viele sowje-tische Divisionen haben während der vier Kriegsjahre kein ein-ziges Dokument dieser höchsten Geheimhaltungsstufe besessen.Beachten wir auch die Anführungszeichen, in die General

Birjukow das »neue Lager« gesetzt hat.Innerhalb des Militärbezi rks Ural war die 186. Division nicht

die einzige, die einen derartigen Befehl erhielt. Alle Divisionendieses Militärbezirks haben denselben Befehl erhalten. Dieoffizielle Geschichte des Militärbezirks (Der Rotbanner-Militär-

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stellt. Diese ganze Masse von Stäben und Truppen bewegte sichheimlich unter dem Schutz des beschwichtigenden TASS-Kom-muniques in Richtung belorussische Wälder.

Die 22. Armee war nicht die einzige.  Armeegeneral S. M. Stemenko: »Unmittelbar vor Kriegsaus-

bruch wurde damit begonnen, unter strengster Geheimhaltungin den Grenzmilitärbezirken zusätzliche Streitkräfte zusam-menzu ziehen. Aus dem tiefen Hinterland wurden fünf Armeennach Westen geworfen.« (Der Generalstab in den Kriegsjahren.Moskau 1968, S. 26)

 Armeegeneral S. P. Iwanow ergänzt: »... gleichzeitig berei-ten sich drei weitere Armeen auf ihre Verlegung vor.« (DieAnfangsphase des Krieges, S. 211)

Muß man sich da nicht fragen, warum nicht alle achtArmeen diese Truppenbewegung gleichzeitig begannen? DieAntwort ist einfach: In den Monaten März, April, Mai hatte mandie riesige getarnte Verlegung sowjetischer Truppenmassennach Westen vorgenommen. Das gesamte Eisenbahntransport-wesen des Landes war von dieser gewaltigen Geheimoperationin Anspruch genommen. Zwar wurde sie rechtzeitig abgeschlos-sen, doch mußten viele Tausende von Waggons über Tausende

von Kilometern zurücktransportiert werden. Deshalb reichteam 13. Juni, als eine neue, alle bisherigen Größenvorstellungenübertr effend e geheime Truppenverlegung anlief, die Waggon-kapazität für alle Armeen einfach nicht aus.

Den Umfang der vorangegangenen Truppenverlegung kann

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man sich nur schwer vorstellen. Genaue Zahlenangaben besit-

zen wir nicht. Ein paar bruchstückhafte Zeugnisse seien immer-hin angeführt:

Der ehemalige Stellvertreter des Volkskommissars für Staatskontrolle L W. K o w a l j o w . » V o n Mai bis Anfang Juni hattedas Transportwesen der UdSSR die Beförderung von etwa800000 Reservisten zu bewältigen . . . Diese Transporte mußtenunter Geheimhal tung durchgeführt werden...« (Das Trans-portwesen im Großen Vaterländischen Krieg. Moskau 1981,S. 41)

Generaloberst L L Lj ud ni kow: »Im Mai ... wurde im Raum

Schitomir und in den Wäldern südwestlich davon ein Luftlande-k ( Militä hi t i h Z it h ift

stammt von Genera lleutna nt der Artillerie G, D. Plaskow (da-

mals Oberst ): »Die 53. Division, deren Artilleriechef ich war,war an der Wolga stationiert. Die Stabsoffiziere wurden in denStab unseres 63. Korps beorde rt. An der Besprechung nahm derBefehl shabe r des Militärbezirks, W. F. Gerassimenko, teil. DieAnkunft des hohen Vorgesetzten ließ uns aufhorchen: EtwasWichtiges mußte bevors tehen. Der für gewöhnlich ruhige, uner-schütter liche Korp skommandeur L. G. Petrowski war sichtlicherregt.

>Ge noss en< , sagte er, >wir haben den Befehl erhalten, dasKorps in Mobilmachungszus tand zu versetzen. Die Truppenteile

müssen auf etatmäßige Kriegsstärke gebracht und dazu diei R h d D üb i l t

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Schitomir und in den Wäldern südwestlich davon ein Luftlandekorps zusammengezogen.« (»Militärhistorische Zeitschrift«1966, Nr. 9, S. 66)

  Marschall der Sowjetunion L Ch. Bagramjan gibt eine Schil-derung des Monats Mai im Sondermilitärbezirk Kiew: »Am25. Mai soll zu den Truppen die Führung des 31. Schützenkorpsaus Fernost hinzukommen ... In der zweiten Maihälfte erhiel-ten wir eine Direktive aus dem Generalstab, die vorsah, daß wiraus dem Militärbezirk Nordkaukasus die Führung des34. Schützenkorps, vier zwölftausend Mann starke Divisionenund eine Gebirgsjägerdivision aufzunehmen hatten ... Binnenkurzer Frist sollten wir fast eine ganze Armee unterbringen ...Ende Mai traf in unserem Bezirk ein Militärtransport nach demanderen ein. Die Operative Abteilung wurde zu einer Art Dis-patcher-Zentrale, in der sämtliche Informationen über die ein-treffenden Truppen zusammenliefen.« (»Militärhistorische Zeit-schrift« 1967, Nr. l, S. 62)

Das war die Lage im Mai. In genau dieser Situation lief am13. Juni eine neue getarnte Truppenverlegung von nie dagewe-senen Ausmaßen an. Diese Verbände sollten die Zweite Strate-gische Staffel der Roten Armee bilden. Zur Zeit liegen mir Infor-

mationen über 77 Divisionen und eine sehr große Anzahl vonRegimentern und Bataillonen vor, die unter dem Schutz desTASS-Kommuniques mit der heimlichen Bewegung in RichtungWesten begonnen hatten.

Eine aus den Dutzenden von Aussagen zu diesem Fall

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müssen auf etatmäßige Kriegsstärke gebracht und dazu dieeisernen Reserven herangezogen werden. Der übrige geplanteBestand ist umgehend einzuberufen. Die Reihenfolge der Ver-ladung, Bereitstellung der Militärtransporte und deren Abferti-gung erfahren Sie vom Stabschef des Korps, Generalmajor W. S.Benski .<

Die Besprechung dauerte nicht lange. Alles war klar. Undobwohl General Gerassimenko angedeutet hatte, daß wir zuTruppenübungen aufbrechen würden, begriffen wir dennochalle, daß es um etwas viel Ernsteres ging. Noch nie war man zuTruppenübungen mit vollem Gefechtssatz an Munition aufge-brochen. Noch nie waren die Leute aus der Reserve eingezogenworden ...« (Unter dem Dröhnen der Kanonade. Moskau 1969,S. 125)

Wir wollen nun sehen, was in der Ersten Strategischen Staf-fel zu einer Zeit geschah, als der sowjetische Rundfunk derartigscheinbar naive Erklärungen verbreitete.

»Am 14. Juni erhielt der Militärrat des Militä rbezirksOdessa die Weisung, eine Armeeführung in Tiraspol einzurich-ten.« (»Militärhistorische Zeitschrift« 1978, Nr. 4, S. 86) DieRede ist von der 9. Armee. »Am 14. Juni bestätigte der Militär-

rat des Sondermilitärbezirks Baltikum den Plan für die Ver-legung einer Reihe von Divisionen und selbständiger Regimenterm den Grenzstreifen.« (Sowjetische Militärenzyklopädie, Bd. 6,S. 517)

»Gleichzeitig mit dem Aufschließen der Truppen aus dem

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Landesinnern setzte eine heimliche Umgruppie rung der Verbände

innerhalb der Grenzmilitärbezirke ein. Unter dem Vorwand vonVeränderungen in den Dislozierungen der Sommerausbildungs-lager wurden die Verbände näher an die Grenze herangezo-gen ... Die Mehrzahl der Verbände wurde nachts verlegt...«(Armeegeneral S. P Iwanow, Die Anfangsphase des Krieges,S. 211)

Nachstehend ein paar Standardformulierungen aus jenenTagen:

Generalmajor S. Iowlew (zu der Zeit Kommandeur des44. Schützenkorps der 13. Armee): »Am 15. Juni 1941 befahl

der Befehlshaber des Sondermilitärbezirks West, ArmeegeneralD G P l d Di i i K i h ll ähli

Vorbehalt: An dieser Truppenbewegung war ein beachtlicherTeil der Artillerie nicht beteiligt.« (Erinnerungen und Gedanken,S . 242)

  Marschall der Sowjetunion K. K. Rokossowski (zu der ZeitKommandeur des 9. Mechanisierten Korps) stellt die einfacheUrsache dafür klar, weshalb die Truppen ohne Artillerie zurStaatsgrenze aufschlossen: Die Artillerie war bereits kurz zuvoran die Grenze beordert worden. (Soldatenpflicht, S. 8)

 Marschall der Sowjetunion K. A. Merezkow (zu der Zeit Ar-meegeneral und Stellvertreter des Volkskommissars für Vertei-digung): »Auf meine Anweisung hin wurde eine Truppenübung

des mechanisierten Korps durchgeführt. Das Korps wurde zuÜb k i d G d d b l

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der Befehlshaber des Sondermilitärbezirks West, ArmeegeneralD. G. Pawlow, den Divisionen unseres Korps, sich vollzählig zurVerlegung bereitzuhalten ... Der Bestimmungsbahnhof wurdeuns nicht mitgeteilt...« (»Militärhistorische Zeitschri ft« 1960,Nr. 9, S. 56)

Generaloberst L. M. Sandalow (zu der Zeit Oberst undStabschef der 4. Armee im Sondermilitärbezirk West): »Am süd-lichen Flügel der 4. Armee tauchte eine neue Division auf- die75. Schützendivision. Sie kam aus Mosyr und errichtete in denWäldern sorgfältig getarnte Zeltunterkunftsbereiche.« (Erleb-tes. Moskau 1966, S. 71)

Die offizielle Geschichte des Militärbezirks Kiew: »Die87. Schützendivision unter Generalmajor F. F. Aljabuschewschloß am 14. Juni unter dem Deckmantel von Truppenübungenzur Staatsgrenze auf.« (Der Rotbannermilitärbezirk Kiew. Mos-kau 1974, S. 162) Das Vorrücken von Truppen an die Grenze un-ter dem Deckmantel von Truppenübungen hat nichts mit lokalerEigeninitiative zu tun.

  Marschall der Sowjetunion G. K, Schukow (zu der ZeitArmeegeneral und Generalstabschef): »Der Volkskommissarfür Verteidigung S. K. Timoschenko empfahl den Befehlshabern

der Militärbezirke, taktische Manöver der Verbände in RichtungStaatsgrenze durchzuführen, mit dem Ziel, die Truppen dichteran die Aufmarschräume entsprechend den Sicherungsplänenheranzuführen. Die Empfehlung des Volkskommissars für Ver-teidigung wurde realisiert, allerdings mit einem wesentlichen

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des mechanisierten Korps durchgeführt. Das Korps wurde zuÜbungszwecken in den Grenzraum vorgezogen und dort belas-sen. Dann sagte ich Sacharow, daß im Militärbezirk auch dasKorps von Generalmajor R. Ja. Malinowski stünde, das ebenfallsim Rahmen der Truppenübungen in die Grenzregion vorrückenmüsse.« (Im Dienst für das Volk, S. 204)

  Marschall der Sowjetunion R. Ja. Malinowski (zu der ZeitGeneralmajor, Kommandeur des 48. Schützenkorps im Militär-bezirk Odessa) bestätigt, daß dieser Befehl ausgeführt wurde:»Das Korps rückte noch am 7. Juni aus dem Raum Kirowograd

in Richtung Belzy ab und war am 14. Juni zur Stelle. Diese Ver-legung wurde unter dem Deckmantel großer Truppenübungendurchge führt.« (»Militärhistorische Zeitschrift« 1961, Nr. 6,S. 6)

 Marschall der Sowjetunion M. W. Sacharow (zu der Zeit Ge-neralmajor, Stabschef im Militärbezirk Odessa): »Am 15. Juniwurden die Führung des 48. Schützenkorps sowie die 74. und30. Schützendivision unter dem Deckmantel von Truppenübun-gen in den Wäldern einige Kilometer östlich von Belzy zusam-mengezogen.« (»Fragen der Geschichte« 1970, Nr. 5, S. 45) DerMarschall unterstreicht, daß für die Korpsführung, die Ein-

heiten des Korps und die 74. Schützendivision Gefechtsalarmausgelöst worden war und daß an den »Truppenübungen« zudiesem Zeitpunkt auch die 16. Panzerdivision beteiligt war.

  Marschall der Sowjetunion L Ch. Bagramjan (zu der ZeitOberst und Chef der Operativen Zelle des Sondermilitärbezirks

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Kiew): »Wir hatten die gesamte operative Dokumentation für

das Abrücken der fünf Schützenkorps und der vier mechanisier-ten Korps aus den Gebieten ihrer ständigen Dislozierung in dieGrenzzone vorzubereiten.« (So begann der Krieg, S. 64); »Am15. Juni bekamen wir den Befehl, . . . mit dem Vorrücken allerfünf Schützenkorps an die Grenze zu beginnen ... Sie nahmenalles für die Kampfhandlungen Erforderliche mit. Aus Gründender Geheimhaltung erfolgten die Truppenbewegungen nurnachts.« (So begann der Krieg, S. 77)

Generaloberst I.I. Ljudnikow (zu der Zeit Oberst, Komman-deur der 200. Schützendivision des 31. Schützenkorps) war

einer von denjenigen, die diesen Befehl auszuführen hatten:Di Di kti d Militä b i k di i Di i i t b 16 J i

Korps der 8. Armee): »In der Nacht zum 18. Juni 1941 rückte

unsere Division zu Feldübungen aus.« (Sammelband »An derNordw est-Fron t«, S. 310) An derselben Stelle spricht der Oberstdavon, daß es sich »auf diese Weise ergab«, daß die Einheitender Division zu Kriegsbeginn direkt hinter den Grenzpostenlagen, das heißt in unmittelbarer Nähe der Staatsgrenze.

Bekannt geworden ist ein kleines Bruchstück aus einemGefechtsbefehl, den an selbigem 18. Juni 1941 der Oberst L D.Tschernjachowski (später Armeegeneral) und Kommandeureiner Panzerdivision desselben 12. Mechanisierten Korps erhielt:». . . an den Kommandeur der 28. Panzerdivision Oberst

Tschernjachowski: Nach Erhalt vorliegenden Befehls sind sämt-li h T t il äß Al lä i G f ht b it h ft

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e e vo de je ge , d e d ese e e aus u ü e atte :»Die Direktive des Militärbezirks, die im Divisionsstab am 16. Juni1941 eintraf, sah vor, daß das Abrücken ... in voller Gefechts-stärke erfolgte ... mit Konzentr ierung in den Wäldern 10 bis 15Kilometer nordöstlich der Grenzstadt Kowel. Die Truppenbewe-gungen sollten heimlich erfolgen, nur nachts, in Waldgelände.«(Durch Gewitter hindurch. Donezk 1973, S. 2 4)

  Marschall der Sowjetunion A. L Jerjomenko (zu der ZeitGeneralleutnant und Kommandierender General der 1. Armee):»Am 20. Juni bekam der Stab der 13. Armee von der Führungdes Militärbezirks West die Anordnung zur Verlegung vonMogiljow nach Nowogrudok«. (Am Anfang des Krieges, S. 109)

An die Staatsgrenze wurden nicht nur Armeen, Korps undDivisionen geworfen. Wir begegnen Hunderten von Zeugnissenüber die Verlegung viel kleinerer Einheiten. Zum Beispiel:

Generalleutnant W.F. Sotow (zu der Zeit Generalmajor undChef der Pioniertruppen der Nordwest-Front): »Die Pioniertrup-pen waren auf etatmäßige Kriegsstärke gebracht worden ...die zehn aus Fernost herangeführten Bataillone waren voll-ständig ausgerüstet.« (Sammelband: An der Nordwest-Front.Moskau 1969, S. 172)

Meine Sammlungen enthalten nicht nur Erinnerungen vonGeneralen und Marschällen: Offiziere niedrigerer Dienstgradesagen dasselbe aus.

Oberst S. R Chwalej (zu der Zeit Stellvertreter des Komman-deurs der 202. Motorisierten Division des 12. Mechanisierten

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sc e jac ows : Nac a t vo ege de e e s s d sä tliche Truppenteile gemäß Alarmplänen in Gefechtsbereitschaftzu versetzen, der Alarm ist jedoch nicht auszulösen. Die ganzeAktion hat zügig, aber ohne Lärm, ohne Panikmache und unnö-tiges Geschwätz unter Beachtung der festgelegten Normen fürdie mitzuführenden tragbaren und gezogenen lebens- und ge-fechtsnotwendigen Reserven zu erfolgen...« (»Militärhistori-sche Zeitschrift« 1986, Nr. 6, S. 75) Es ist ungemein schade, daßnicht der ganze Befehl publiziert worden ist. Er wird auch wei-terhin wie schon ein halbes Jahrhundert zuvor geheim bleiben.Erbeuteten deutschen Dokumenten zufolge fand die erste Be-gegnung der deutschen Truppen mit der 28. Panzerdivision beiSchaulen auf litauischem Gebiet statt. Die Division hatte jedochAuftrag gehabt, unmittelbar an die Grenze vorzurücken.

 Marschall der Panzertruppen R R Polubojarow (zu der ZeitOberst und Chef der Kraftfahrzeug- und Panzerführungsebeneder Nordwest-Front): »Die Division [die 28. Panzerdivision]sollte aus Riga abrücken und an der sowjetisch-deutschenGrenze Stellung beziehen.« (Sammelband »An der Nordwest-Front«, S. 114) Die deutsche Invasion überraschte diese Divisionwie viele andere auch beim Aufmarsch, weshalb sie einfach

nicht mehr die Grenzlinie erreichen konnte.Und hier nun die Erinnerungen von Major L A. Chisenko

(Wiederaufgelebte Seiten. Moskau 1963): Das erste Kapitelträgt den Titel: »Wir rücken zur Grenze vor.« Er spricht von der80. Schützendivision des 37. Schützenkorps. »...Am Abend des

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16. Juni versammelte General Prochorow die Mitarbeiter des

Stabes zu einer Beratung. Er gab den Befehl des Befehlshabersdes Sondermilitärbezirks Kiew zum Abrücken der Division inden neuen Konzentrierungsraum bekannt. .. Man spricht dar-über, daß der bevorstehende Marsch kein gewöhnlicher seinwürde...«

Diese Liste ließe sich endlos fortsetzen. In meiner eigenenBibliothek besitze ich so viele Unterlagen über Truppenbewe-gungen in Richtung Grenze, daß man einige dicke Bücher zudiesem Thema füllen könnte. Aber ich habe nicht die Absicht,den Leser mit den Namen von Generalen und Marschällen, mit

den Nummern von Armeen, Korps und Divisionen zu ermüden.Wir wollen lieber versuchen uns eine Vorstellung von dem

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, pWir wollen lieber versuchen, uns eine Vorstellung von demGesamtbild zu verschaffen. Alles in allem bestand die ErsteStrategische Staffel aus 170 Panzer-, Kavallerie-, Schützen- undmotorisierten Divisionen. Davon standen 56 dicht an der Staats-grenze. Sie konnten vorerst nirgendwohin weiter vorrücken.Aber selbst hier war alles, was unmittelbar zur Grenze auf-schließen konnte, in Bewegung und verbarg sich in denGrenzwäldern.

 Armeegeneral I.I. Fedjuninski (zu der Zeit Oberst und Kom-

mandeur des 15. Schützenkorps der 5. Armee) berichtet, daß ervier Regimenter aus der 45. und 62. Schützendivision »in dieWälder dichter an der Grenze« aufschließen ließ. (In Alarm-bereitschaft. Moskau 1964, S. 12)

Die übrigen 114 Divisionen der Ersten Strategischen Staffelstanden im Hinterland der westlichen Grenzbezirke bereit undkonnten an die Grenze herangeführt werden. Uns beschäftigtdie Frage, wie viele von den 114 Divisionen mit dem Abmarschzur Grenze unter dem Schutz des beschwichtigenden TASS-Kommuniques begannen. Die Antwort lautet: Alle! »In der Zeitvom 12. bis 15. Juni erhielten die westlichen Militärbezirke denBefehl, sämtliche im Hinterland stehenden Divisionen näherzur Grenze aufschließen zu lassen.« (W. Chwostow und General-major A. Grylew in der Zeitschrift »Der Kommunist« 1968,Nr. 12, S. 68) Diesen 114 Divisionen der Ersten StrategischenStaffel fügen wir noch die 77 Divisionen der Zweiten Strate-

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  Abb. 12 und 13 Die stärkste Luftlandetruppe der Welt war völligunnötig in einem Verteidigungskrieg.

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  Abb. 14 Das zweisitzige Flugzeug R-5 war für den Transport von 16Fallschirmjägern konzipiert. Die sowjetischen Konstrukteure hattenDutzende origineller Vorschläge zur Lösung des Hauptproblems ausge-arbeitet, wie eine Million sowjetischer Fallschirmjäger in die lebens-wichtigen Zentren Mittel- und Südosteuropas transportiert werden

konnten. Im Verteidigungskrieg erwiesen sich alle diese originellenLösungen als wertlos.

  Abb. 15 Der flugfähige Panzer KT ist der A-40 (Antonow - 1940) inder Luft, geflogen von dem Piloten S. Anochin. Hitler hatte durch seineInvasion dergleichen Experimente überflüssig gemacht. (Abb. aus: Ste-ven J. Zaloga and James Grandsen, Soviet Tanks and Combat Vehiclesof World War Two. London: Arms and Armor Press 1984)

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 Abb. 17 In allen Ländern werden Grenztruppen zumSchutz der Staatsgrenzen eingesetzt, die Grenztruppendes NKWD dagegen bereiteten sich intensiv auf diegewaltsame Überquerung der Grenzflüsse und zuAktionen auf dem Territorium des Gegners vor. Im

Verteidigungskrieg kamen die erworbenen Fertigkeitenden sowjetischen Grenzsoldaten nicht zustatten.

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 Abb. 18 Bei einem Verteidigungskrieg werden Pioniere zur Sprengungder Brücken gebraucht, um den Gegner aufzuhalten. Bei einer Offensive

 benötigt man keine Sprengpioniere, sondern Pontonbrückenbau-Truppenteile zur Überquerung der Flüsse, deren Brücken der Feind gesprengt hat, um die angreifende Rote Armee aufzuhalten.1940/41 verfügte die Rote Armee über relativ wenig Sprengpioniere,dafür hatte sie mehr Pontonbrückenbau-Truppeneinheiten und – Teileinheiten als alle übrigen Armeen der ganzen Welt insgesamt. ImVerteidigungskrieg mußte dieses erstklassige Gerät zum Übersetzen

 beim Rückzug in den Grenzregionen zurückgelassen werden.(Übersetzung der russischen Bildunterschrift: Flußüberquerung mit

schwerer Artillerie im Manöver.Militärbezirk Leningrad 1940) 

 Abb. 19

Stalin ließ in den Jahren 1940/41 63 Panzerdivisionenaufstellen, und die Aufstellung weiterer Divisionen wurde intensivvorangetrieben. Keine sowjetische Panzerdivision verfügte über Pioniere zur Brückensprengung im Falle eines Rückzuges, aber zu

 jeder Division gehörte ein Ponton-Bataillon für den raschenBehelfsbrückenbau auf feindlichem Gebiet im Zuge der geplantenAngriffsoperationen.(Die russische Bildunterschrift besagt: Übersetzen von Panzern

 bei taktischen Übungen. 1940) 

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 Abb. 20 Soldaten der 153. Schützendivision des Militärbezirks Uralüber den Flußübergang während eines Angriffsmanövers. Am 13.Juni

1941 begannen die 153. Division und 76 andere Divisionen der ZweitenStrategischen Staffel mit der getarnten Verlegung an die Westgrenze.

(Russische Bildunterschrift: Taktische Manöver. MG-Bedienung der 153. Schützendivision bei einer Flußüberquerung. 1940)

 Abb. 22 Eines der unvermeidlichen Anzeichen für dieVorbereitung einer Offensive: Die Generale studieren lange und

 pausenlos an der Staatsgrenze das Territorium des angrenzenden

Staates. Die deutschen Generale nahmen dieses Studium imFebruar 1941 auf. Die sowjetischen Generale taten etwas

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 Abb. 23 In den westlichen Grenzregionen der UdSSR waren immenseVorräte an Munition und Treibstoff für Panzer, Flugzeuge und andereKampfmittel konzentriert. Es gab keine freien Lagerräume undVorratsbehälter mehr. Ungeachtet dessen setzte auf Beschluß der Sowjetregierung Anfang Juni 1941 die zusätzliche Anlieferung vonTausenden Tonnen an Munition und hunderttausend TonnenTreibstoff in die westlichen Grenzbezirke ein. Die Munition wurdeeinfach auf dem Boden gelagert, aber der Treibstoff war nirgendwo mehr unterzubringen: Er wurde im Hinblick darauf an die Grenzentransportiert, daß der in den nächsten Wochen geplante riesige Angriff der Roten Armee mit einem gewaltigen Verbrauch an Treibstoff 

verbunden sein würde und daß die unverzügliche Versorgung der Armee mit neuen gewaltigen Mengen an Treibstoff sicherzustellenwar.

 Abb. 25 Die Sowjetunion war der ganzen übrigen Welt hinsichtlich der Anzahl und Qualität ihrer Panzer deutlich überlegen. Es sind Fälle belegt, indenen sowjetische schwere KW-1-Panzer (die es neben den massenhaftenleichten Panzern auch gab) trotz 30-40 Treffern durch deutsch Pak-Geschütze aus sehr kurzer Distanz ohne ernsthafte Beeinträchtigung denKampf fortsetzen konnten. Hätte die Rote Armee einen Überraschungs-

 Abb. 26 bis 29 Bei der Vorbereitung auf einen Verteidigungskrieg gra-ben sich die Truppen ein und verteilen das Kampfgerät auf die Schüt

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ben sich die Truppen ein und verteilen d as Kampfgerät auf die Schüt-zengräben und natürlichen Deckungnn.Bei der Vorbereitung einer Offensive graben sich die Truppen nicht ein,und sie konzentrieren ihre Kampfmit tel in riesigen Mengen an den Ver-kehrswegen, in den Waldom oder einfach auf freiem Feld.Die deutsche Wehrmacht stieß auf sowjetischem Territorium unmittel-bar hinter der deutschen Grenze auf riesige Angriffsgruppierungender Roten Armee. Für eine Verteidigung war eine derart ige Kon zen tra -tion sowjetischer mobiler Truppen nicht nur unnötig, sie bedeutete indiesem Fall sogar eine tödliche Gefahr: Jede deutsche Bombe und je-des Geschoß traf ein sowjetisches Ziel - ein Verfehlen war unmöglich,und jeder brennende sowjetische Kraftwagen, jeder brennende Panzerund jedes brennende Flugzeug wurde zur Brandfackel für Dutzendeund hunderte weiterer Kampfmittel, die dicht an dicht gedrängt standen.

gischen Staffel hinzu, die, wie wir bereits wissen, sich ebenfalls

in Richtung Grenze in Bewegung gesetzt hatten oder auf dieVerlegung dahin vorbereiteten.

So ist denn der 13. Juni 1941 der Beginn der größten Trup-penbewegung in der Geschichte der Zivilisation. Und nun ist esan der Zeit, das TASS-Kommunique vom 13. Juni wieder zurHand zu nehmen und es nochmals aufmerksam zu lesen. DasTASS-Kommunique spricht nicht nur von den AbsichtenDeutschlands (aus irgendeinem Grund konzentrieren die Histo-riker ihre ganze Aufmerksamkeit auf diesen einleitenden Teildes Kommuniques), sondern auch von den Aktionen der Sowjet-

union (diesen Teil des Kommuniques halten die Historiker füruninteressant): »Die Gerüchte darüber, daß sich die UdSSR auf i K i D hl d b i i d l d

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  Abb. 30 Angehöriger einer »schwarzen« Division bei der Gefangen-nahme. Selbst die Armeekleidung macht ihn äußerlich noch nicht zum

Soldaten. Bevor der Plan für das »Unternehmen Barbarossa« entstand, hatte Sta-lin mit der heimlichen Aufstellung »schwarzer« Divisionen, Korps undganzer Armeen begonnen, die in der Mehrheit vom einfachen Soldatenbis hinauf zu den Divisions- und Korps-Kommandeuren aus Häftlingendes GULag bestanden. Auf welchen Territorien und wie plante Stalinwohl, die hungrige Wut und das explosive zerstörerische Potential die-ser bewaffneten Häftlinge einzusetzen?

einen Krieg gegen Deutschland vorbereite, sind verlogen undprovokativ ... die gegenwärtig für die Reservisten der RotenArmee durchgeführten Sommerwehrübungen und die bevor-stehenden Manöver haben keinen anderen Zweck als die Aus-bildung der Reservisten und die Überprüfung der Funktions-fähigkeit des Eisenbahnapparates, wie sie bekanntlich alljähr-lich durchgeführt werden. In Anbetracht dessen ist es höchstunsinnig, diese Maßnahmen als gegen Deutschland gerichtetefeindselige Aktionen hinzustellen.«

Vergleichen wir diese Erklärung mit dem, was sich tatsäch-lich abspielte, so werden wir ein gewisses Auseinanderklaffenvon Worten und Taten entdecken.

Im TASS-Kommunique ist die Rede von einer »Überprüfungdes Eisenbahnapparates«. Hier scheint es erlaubt, Zweifel an-zumelden. Die Verlegung der sowjetischen Truppen begann imFebruar, sie wurde im März intensiviert, erreichte im Apr il -Maienorme Ausmaße und hatte im Juni in Wirklichkeit den Charak-ter einer alles erfassenden Maßnahme angenommen; an dieserBewegung nahmen nur diejenigen Divisionen nicht teil, die be-

reits dicht an die Grenze aufgerückt waren, sowie jene, die sichauf den Einmarsch im Iran vorbereiteten, und schließlich dieje-nigen Verbände, die im Fernen Osten geblieben waren. Der voll-zählige Aufmarsch der sowjetischen Truppen an der deutschenGrenze war für den 10. Juli geplant. (Armeegeneral S. P. Iwanow,

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Die Anfangsphase des Krieges, S. 211) Nahezu ein halbes Jahr

lang war das Eisenbahntransportwesen (Haupttransportmitteldes Staates) durch die geheimen Truppenverlegungen gelähmt.Im ersten Halbjahr 1941 war der ökonomische Staatsplan insämtlichen Richtwerten mit Ausnahme der militärischen Vorga-ben gescheitert. Die Hauptursache dafür war das Transportwe-sen, an zweiter Stelle stand die heimliche Mobilisierung dermännlichen Bevölkerung in den neu aufzustellenden Armeen.Das Scheitern des Staatsplanes mit dem Terminus »Überprü-fung« zu belegen, ist nicht ganz korrekt. Natürlich ist es keineÜberprüfung. Das TASS-Kommunique spricht von gewöhnlichen

Truppenübungen, aber die sowjetischen Marschälle, Generaleund Admirale widerlegen das:Generalmajor S Iowlew: »Die Ungewöhnlichkeit der Wehr

spricht jedoch keiner. Mehr als vier Jahrzehnte nach Beendi-

gung des Krieges ist der Zweck dieser Verlegung noch immerein Staatsgeheimnis der Sowjetunion.Hier könnte der Leser die Frage stellen: Also spürte Stalin

vielleicht, daß etwas Ungutes in der Luft lag, und hat er deshalbseine Truppen zur Verteidigung zusammengezogen? Doch alles,wovon hier die Rede war, sind keine Verteidigungsmaßnahmen.Truppen, die sich auf eine Verteidigung vorbere iten, graben sichein. Das ist eine unumstößliche Regel, die sich jeder Unteroffi-zier seit dem russisch-japanischen Krieg und in allen darau ffol -genden kriegerischen Auseinandersetzungen zu eigen gemachthat. Truppen, die sich auf eine Verteidigung einrichten, versper-ren zunächst die weiten Räume, über die der Gegner seinenAngriffvortragenwird sie riegelndieVerkehrswegeab errichten

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Generalmajor S. Iowlew: »Die Ungewöhnlichkeit der Wehr-übungen, wie sie nicht in den Plänen für die Gefechtsausbildungvorgesehen war, ließ die Leute auf der Hut sein.« (»Militärhisto-rische Zeitschrift« 1960, Nr. 9, S. 56)

Vizeadmiral L L Asarow: »In der Regel wurden die Wehr-übungen mehr gegen Herbst hin durchgeführt, hier aber began-nen sie mitten im Sommer.« (»Militärhistorische Zeitschrift«1962, Nr. 6, S. 77)

Generaloberst L Lju dnikow :»Gewöhnlich werden die Reser-visten nach Einbringung der Ernte einberufen ... 1941 wurdediese Regel durchbrochen.« (»Militärhistorische Zeitschrift«1966, Nr. 9, S. 66)

 Armeegeneral M. L Kasakow war zu der Zeit im Generalstabund hat persönlich Generalleutnant M. F. Lukin und andereKommandierende Generale von Armeen getroffen, die insge-heim an die Westgrenze in Marsch gesetzt worden waren. Gene-ral Kasakow formuliert kategorisch: »Es ist klar, daß sie nichtins Manöver aufgebrochen waren.« (Über der Karte einstigerSchlachten, Moskau 1971, S. 64)

Wir sollten darauf achten, daß sämtliche Marschälle undGenerale den Ausdruck »unter dem Deckmantel von Wehrübun-gen« verwenden. Die Wehrübungen sind nur ein Vorwand, umdas wirkliche Ziel der Umgruppierung und Konzentrierung dersowjetischen Truppen zu verbergen. Über den wahren Grund

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Angriff vortragen wird, sie riegeln die Verkehrswege ab, errichtenStacheldrahtverhaue, heben Panzergräben aus, errichten Ver-teidigungsanlagen und Deckungen hinter  den Wasserhinder-nissen. Doch die Rote Armee tat nichts dergleichen. Die sowje-tischen Divisionen, Armeen und Korps beseitigten bekanntlichdie früher errichteten Verteidigungsanlagen. Die früher ange-legten Stacheldrahtverhaue und Minensperren wurden nichtweiter ausgebaut, sondern fortgeräumt. Die Truppen konzen-trierten sich nicht hinter den Wasserhindernissen (was günstigfür eine Verteidigung ist), sondern vor  ihnen (was günstig füreine Angriffsposition ist). Die sowjetischen Truppen besetztennicht die breiten Geländestreifen, die sich für das Vorrücken desGegners anbieten, sondern sie verbargen sich in den Wäldern,genauso wie die deutschen Truppen, die sich auf einen Angriff vorbereiteten.

Waren all diese Maßnahmen vielleicht nur eine Demonstra-tion militärischer Stärke? Natürlich nicht. Eine solche Demon-stration müßte der Gegner einsehen können. Die Rote Armee

  jedoch demonstrierte lediglich vordergründig Verteidigungs-

bauten, während sie im Gegenteil bemüht war, ihre massivenAngriffsvorbereitungen zu verbergen.

Es ist frappierend, daß die deutsche Armee in diesen Tagengenau dasselbe tat: Sie rückte in Richtung Grenze vor, verbargsich in den Wäldern, aber es war sehr schwer, diese Bewegung

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zu verheimlichen. Sowjetische Aufklärer verflogen sich »irr-tümlich« über deutsches Territorium. Niemand versuchte sieabzuschießen. Über deutsches Territorium flogen nicht nur ge-wöhnliche Piloten, sondern auch Kommandeure von sehr vielhöherem Rang. So betrachtete zum Beispiel der Kommandeurder 43. Jagdfliegerdivision des Sondermilitärbezirks West, Ge-neralmajor der Luftstreitkräfte G. N. Sacharow, die deutschenTruppen von oben: »Es machte den Eindruck, als sei in der Tiefedes riesigen Territoriums eine Bewegung entstanden, die sichhier unmittelbar an der Grenze staute, gegen die sie wie gegenein unsichtbares Hindernis anbrandete, bereit, jeden Augen-

blick überzuschwappen.« (Die Geschichte von den Jagdfliegern.Moskau 1977, S. 43)

sehen Gefängnissen spürte man den beängstigenden Rhythmus

der gewaltigen Bewegung der Roten Armee zur Westgrenze.»Die Leute, die in den Datschen an der belorussischen und Win-dawa-Strecke wohnen, beklagen sich, man könne nachts nichtschlafen - unentwegt rollen die Transporte mit Panzern undGeschützen vorüber!« (Tupolews Sonderlager. Frankfurt a. M.1973,S.90)

Als ich meine ersten Artikel zu der vorliegenden Frage ver-öffentlicht hatte, erhielt ich viele Briefe. Irgendwann einmalwerde ich sie als Buch veröffentlichen. Selbst ohne jeglicheKommentare vermitteln sie ein Bild von dem ungeheuerlichen

Ausmaß der sowjetischen Truppenbewegung in Richtung We-sten. Mir schreiben Menschen unterschiedlichster nationalerH k f M h i hi d S hi k l E

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Eigenartigerweise überflogen die deutschen Flieger eben-falls sowjetisches Territorium, und auch das geschah ebenso»irrtümlich«, und auch sie versuchte niemand herunterzu-holen, und auch ihnen bot sich genau das gleiche Bild! In altenerbeuteten Archiven fand ich eine Schilderung der Eindrückeeines deutschen Fliegers, der den Anblick, den die sowjetischenTruppen boten, mit ähnlichen Worten beschreibt.

Deutsche Militärhistoriker haben mehr als andere dazu bei-

getragen, den Sinn der Vorgänge im Juni 1941 zu begreifen. Ichzitiere bewußt keine deutschen Dokumente, um nicht zu wie-derholen, was in Deutschland bereits gesagt worden ist, undmöchte nur betonen, daß die Worte der sowjetischen Offiziere,Generale und Marschälle vollauf durch das bestätigt werden,was die deutsche Aufklärung noch vor dem 22. Juni 1941 sagte:Die Rote Armee ergoß sich in gewaltigen Strömen in RichtungGrenze.

Es gibt viele andere, voneinander unabhängige Quellen, undsie alle sagen ein und dasselbe aus. Einer der Stellvertreter desFlugzeugkonstrukteurs A. N. Tupolew, G. Oserow, saß zu derZeit mit Tupolew und dessen gesamtem Konstruktionsbüro imGefängnis. Oserow hat sein Buch in der Sowjetunion geschrie-ben, aber verbreitet wurde es durch den Samisdat, das heißt un-ter Umgehung der Zensur. Von da gelangte es in den Westen undwurde in Westdeutschland veröffentlicht. Sogar in den sowjeti-

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Herkunft, Menschen mit ganz verschiedenen Schicksalen. Esgibt Esten unter ihnen, Juden, Polen, Moldauer, Russen, Letten ,Deutsche, Ungarn, Litauer, Ukrainer, Rumänen. Sie alle hieltensich zu diesem Zeitpunkt aus verschiedenen Gründen in den»befreiten« Territorien auf. Später hat der Krieg diese Men-schen über die ganze Welt verstreut. Mich erreichen Briefe ausAustralien, den Vereinigten Staaten, Frankreich, Deutschland,Argentinien, aus Westdeutschland und sogar ... aus der Sowjet-

union. Ich bekam einen Brief aus Kanada von einem ehema-ligen Soldaten der Wlassowschen Russischen Befreiungsarmee.1941 diente er in der Roten Armee, rückte zur Grenze vor, seinRegiment verbarg sich in den Grenzwäldern, wo sie der Kriegerreichte. Dann folgten Gefangenschaft, die Russische Befrei-ungsbewegung, erneute Gefangenschaft, Flucht und lange Zeitein Leben unter fremdem Namen in fremden Ländern. Dieserehemalige Soldat wies mich auf mehrere Bücher einstigerKämpfer und Kommandeure der Russischen Befreiungsarmeehin, die wie durch ein Wunder nach dem Krieg überlebt hatt en.Es fällt auf, daß sie alle ihre Bücher mit dem Augenblick des Ein-setzens der heimlichen Bewegung riesiger Massen sowjetischerTruppen in Richtung Grenze beginnen lassen.

Abgesehen von den an mich persönlich gerichteten Briefen,haben Zeitzeugen oder auch Menschen, die solche persönlichgekannt hatten, an wissenschaftliche Zeitschriften geschrie-

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ben, und einige dieser Zuschriften wurden veröffent licht. Hier

ein Brief aus Großbritannien: Der britische Staatsbürger JamesRushbrook macht auf das Buch von Stefan Szende »The Pro-mise Hitler kept« aufmerksam. Das Buch wurde 1944 geschrie-ben und 1945 in Schweden veröffentlicht. Der Autor, ein pol-nischer Jude, befand sich 1941 in Lemberg. Sein Eindruck von

  jenen Tagen, die dem 22 . Juni vorausgingen: »Militärtrans-porte, vollgestopft mit Truppen und Kriegsmaterial, passiertenimmer häufiger Lemberg in Richtung Westen. MotorisierteTruppenteile rasten durch die Hauptstraßen der Stadt, auf demBahnhof herrschte unentwegt militärischer Verkehr.« (RUSI.Journal of the Royal United Service for Defence Studies, Juni1986, S. 88) Es gibt viele Personen, die mir schreiben oder sichan Zeitschri ften wenden und dabei immer neue kleinste Teilstriche

widerlegen läßt: die Geschichte des Krieges selbst. Nach der

Zerschlagung der Ersten Strategischen Staffel und dem Durch -bruch durch deren Abwehr waren die deutschen Spitzenver-bände plötzlich auf neue Divisionen, Korps und Armeen gesto-ßen (zum Beispiel auf die 16. Armee bei Schepetowka EndeJuni), von deren Existenz die deutschen militärischen Befehls-haber nicht einmal etwas geahnt hatten. Der gesamte Planeines Blitzkrieges basierte auf der Absicht, durch einen blitz-artigen Vorstoß die unmittelbar an der Grenze stehenden sowje-tischen Truppen zu zerschlagen; als dieser Plan jedoch in die Tatumgesetzt war, sah sich die deutsche Wehrmacht plötzlich miteiner neuen Mauer aus Armeen konfrontiert, die von jenseitsder Wolga, aus dem Nordkaukasus und dem Ural, aus Sibirienund Transbaikalien, aus dem Fernen Osten kamen. Nur für eine

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a w adem Gemälde von der Bewegung nach Westen, die die gesamteRote Armee erfaßt hatte, hinzufügen.

In sowjetischen Archiven liegen Tausende von Dokumenten,die das bestätigen, wovon ich spreche. Gewiß, nur sehr wenigeBenutzer haben Zutritt zu diesem Material. Auch trifft es zu,daß die interessantesten Dokumente längst vernichtet sind.Und dennoch sollten diejenigen, die in den Archiven arbeiten,auf die Vielzahl von Bestätigungen für die gewaltige Bewegung

sowjetischer Truppen nach Westen achten. Ich erbitte keine öf-fentliche Bestätigung. Man sollte einfach aus reinem Interessedarauf achten.

Abgesehen von den Geheimarchiven gibt es eine hinrei-chende Menge zugänglicher offizieller Publikationen, darunterdie Darstellungen der Geschichte der sowjetischen Militärbe-zirke, Armeen, Korps, Divisionen. Jeder, den die vorliegendeFrage beschäftigt, kann in ganz kurzer Zeit Hunderte und sogarTausende von Formulierungen etwa folgender Art finden:»Unmittelbar vor Kriegsausbruch begannen auf Weisung des

Generalstabs der Roten Armee mehrere Verbände des Sonder-militärbezirks West zur Staatsgrenze aufzuschließen.« (Der Rot-banner-Militärbezirk Belorußland. Moskau 1983, S. 88)

Wenn jedoch jemand alle diese Quellen nicht für glaubwür-dig hält, dann gibt es für ihn eine Bestätigung, die sich nicht

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einzige Armee werden Tausende von Waggons benötigt. Siemüssen auf den Verladebahnhöfen bereitstehen, die Armee,ihre schweren Waffen, Transportfahrzeuge, Reserven müssenverladen und das alles über Tausende von Kilometern transpor-tiert werden. Wenn also die deutschen Truppen Ende Juni auf Armeen aus Sibirien, vom Ural, aus den Gebieten jenseits desBaikalsees stießen, kann dies nur bedeuten, daß ihre Verlegungnach Westen nicht erst am 22. Juni, sondern eher  begonnen

haben mußte.

3.Gleichzeitig mit den Massentransporten sowjetischer Truppensetzte die Verlegung einer sowjetischen Flotte ein. »Die sowjeti-sche Ostseeflotte verließ den Ostteil des Finnischen Meerbusensam Vorabend des Krieges.« (Das estnische Volk im Großen Vater-ländischen Krieg. Tallinn 1973, Bd. l, S. 143) Sehen wir uns dieKarte an. Wenn die Flotte den Ostteil des Finnischen Meer-

busens verließ, gab es nur eine einzige Marschrichtung - nachWesten. Natürlich lief die Flotte nicht zu einem Manöver aus:»Die Flotte hatte den Auftrag, auf den Schiffahrtswegen desGegners aktiv zu werden.« Wie erstaunl ich: Noch ist kein Krieg,noch weiß Stalin nicht, daß Hitler ihn angreifen wird, aber die

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sowjetische Flotte hat bereits ihren Stützpunkt mit dem Ge-

fechtsauftrag zu aktiven Angriffsoperationen verlassen!Hand in Hand mit den gewaltigen Truppenverlegungen gingeine intensive Verlegung der Stützpunkte der Luftstreitkräftevor sich. Die Fliegerdivisionen und -geschwader wurden in klei-nen Gruppen in der Dunkelheit unter dem Deckmantel vonTruppenübungen auf neue Flugplätze verlegt, von denen einigeweniger als 10 km von der Grenze entfernt waren. Doch darauf kommen wir noch zurück. Jetzt sei nur daran erinnert, daß, ab-gesehen von den Kampfeinheiten der Luftstre itkräf te, auch eineverstärkte Verlegung von neuesten Flugzeugen, die noch keinenRegimentern oder Divisionen zugeteilt waren, erfolgte.

Generaloberst L. M. Sandalow: »Vom 15. Juni an beginnt dieAuslieferung der neuen Kampfmittel. Die Jagdgeschwader in

dem Flugplatz Orscha. (Führung und Stab der Luftstreitkräfte

im Großen Vaterländischen Krieg. Moskau 1977, S. 41) Wennder Befehl lautete, sie am Morgen des 22 . Juni zu übernehmen,waren sie offenbar am Abend des 21. Juni zum Abtransportbereit.

  Hauptmarschall der Luftstreitkräfte A. A. Nowikow berich-tet, daß die Nord-Front (an der er damals als Befehlshaber derFlieger im Range eines Generalmajors der Luftstreitkräfte fun-gierte) am 21. Juni einen Transport mit Mig-3-Jägern erhielt.(»Militärhistorische Zeitschrift« 1969, Nr. l, S. 61)

Außer den Jagdmaschinen aber ergossen sich in dichtem

Strom Panzer, Artillerie, Munition, Treibstoff in dieselbe Rich-tung. »Im Morgengrauen des 22. Juni traf auf dem Bahnhof Schjauljai [Schaulen] mit einem Militärtransport ein schweres

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g p g gKobrin und Pruschany erhalten Jagdflugzeuge vom Typ Jak-1,die mit Bordkanonen bestückt sind, die Jagdbombergeschwa-der bekommen die I1-2, die Bombergeschwader die Pe-2.« (Ander Front vor Moskau. Moskau 1970, S. 63)

Der Leser sei daran erinnert, daß Jagdgeschwader zu jenerZeit jeweils über 62 Flugzeuge verfügten, Jagdbombergeschwa-der über 63 und Bombergeschwader über jeweils 60 Maschi-nen. Folglich wurde in einer einzigen Division (der 10. gemisch-

ten Fliegerdivision) zu diesem Zeitpunkt das Eintreffen von 247Flugzeugen neuester Bauart erwartet. An der gleichen Stelleberichtet der General, daß tatsächlich die neuen Maschinen beider Division einzutreffen begannen, doch die alten Maschinenblieben in der Division. So verwandelte sich die Division in einenriesigen Gefechtsorganismus, der über mehrere hundert Flug-zeuge verfügte. In den Archiven erhaltene Dokumente belegen,daß der gleiche Prozeß überall stattfand. So verfügte zum Bei-spiel die benachbarte und ebenfalls unmittelbar an die Grenzevorverlegte 9. gemischte Fliegerdivision über 409 Flugzeuge,

darunter 176 Maschinen der allerneuesten Mig-3, und ebensoeinige Dutzend Pe-2 und I1-2. Und die neuen Maschinen trafenpausenlos ein.

Am Morgen des 22. Juni erhält dieselbe West-Front denBefehl zur Übernahme von 99 Maschinen des Typs Mig-3 auf 

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Schjauljai [Schaulen] mit einem Militärtransport ein schweresArtillerieregiment zur Ent ladung ein.« (Die Schlacht um Lenin-grad. Moskau 1964, S. 22) Nicht nur ein einziger Transportzugnatürlich, und nicht nur mit Artillerie. Hier ein paar Angaben zuden Kraftwagen. »Ende Juni 1941 standen auf den Schienen1320 Züge mit Kraftwagen.« (»Militärhistorische Zeitschrift«1975, Nr. l, S. 81) Die deutschen Truppen griffen am 22. Juni an,aber bereits gegen Ende Juni stand eine derartige Menge Zügemit Kraftwagen im Frontbereich. Das Standardgewicht einesMilitärtransportzuges betrug zu jener Zeit 900 Tonnen (beste-hend aus 45 Zwanzig-Tonnen-Waggons). Wenn auf jedem Wag-gon ein einziger Kraftwagen stand, bedeutet dies, daß man voneiner Ladung mit 59400 Kraftwagen ausging. Oft genug jedochwurden unter der Voraussetzung, daß ein gegnerischer Angriff auszuschließen war (und mit diesem hatte man nicht gerech-net), die Kraftwagen »in Schlange« verladen. Dabei wurden dieVorderräder auf die Karosserie des davor geladenen Wagens ge-setzt und dessen Vorderräder ihrerseits wieder auf die Karosse-rie des Wagens davor usw. Auf diese Weise konnte aus Gründen

der Wirtschaftlichkeit pro Transport eine größere Anzahl vonKraftwagen verladen werden. Irgend jemand mußte vor Aus-bruch des Krieges eine ungeheure Menge an Waggons undKraftwagen zusammengestellt, die Verladung und den Trans-port über eine riesige Strecke an die Westgrenze veranlaßt

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haben. Es leuchtet ein, daß dieser Prozeß noch vor Kriegsbeginn

eingesetzt haben muß. Nur zum Entladen dieser Fahrzeuge warman nicht mehr gekommen . . . Und gleich nebenan zieht sichder nicht endenwollende Strom von Munitionstranspor ten hin.In der Militärzeitung »Roter Stern« heißt es am 28. April 1985:»Am Abend des 21. Juni 1941 erhielt der Kommandant desStreckenabschnittes Libau [Lijepaja] die Nachricht: >Spezial-transport gemeldet. Munitionsladung. Vorrangige Abfertigungan Bestimmungsorte« Libau lag zu der Zeit ganz dicht an derGrenze, aber der Transport soll durchgehen, d. h. direkt an dieGrenze.

An allen Frontabschnitten lagen riesige Munitionsvorräte inEisenbahnwaggons, was in der Regel bei der Vorbereitung auf einen Angriff in die Tiefe geschieht. In einem Verteidigungskrieg

  Marschall der Sowjetunion S. K. Kurkotkin berichtet, daß

Anfang Juni »die sowjetische Regierung auf Vorschlag desGeneralstabes den Plan zur Verlagerung von 100000 TonnenTreibstoff aus den inneren Landesteilen bestätigte«. (Die rück-wärtigen Dienste der sowjetischen Streitkräfte im Großen Vater-ländischen Krieg. Moskau 1977, S. 59) Allem Anschein nach gabes außer diesem Beschluß auch noch ähnlich lautende andereEntscheidungen: »An den Eisenbahnknotenpunkten und sogarauf den Streckenabschnitten hatten sich an die 8500 Kesselwa-gen mit Treibstoff gestaut.« (Ebenda, S. 173) Selbst wenn mannur die kleinsten 20-Tonnen-Kesselwagen eingesetzt hätte,ginge es dabei nicht um hunderttausend Tonnen, sondern umeine weit größere Menge. Doch der Standard-Kesselwagen warim Jahr 1940 nicht der Zwanzigtonner, sondern ein 62-Tonnen-

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g g g g gist es einfacher, sicherer und billiger, die Munition an den recht-zeitig vorbereiteten Verteidigungslinien zu lagern. Ist die Muni-tion an einer Linie verschossen, können sich die Truppen unbe-lastet rasch auf eine zweite Linie zurückziehen, die zuvor schonmit Munition versehen worden ist, danach auf eine dritte Linieund so fort... Vor einem Angriff jedoch wird die Munition auf mobile Transportmittel verteilt, was sehr teuer und auch gefähr-lich ist... »Die Südwest-Front hatte allein auf der kleinen Sta-

tion Kalinowka 1500 Munitionswaggons stehen.« (Die sowjeti-schen Eisenbahner im Großen Vaterländischen Krieg. Moskau1963, S. 36)

Ich besitze eine große Menge an Material über die Rettungder Munitionstransportzüge im Jahr 1941. Aber natürlichkonnte nicht alles gerettet werden. Generaloberst der Artille-rie L Wolkotrubenko berichtet, daß 1941 allein die West-Front4216 Munitionswaggons verlor. (»Militärhistorische Zeitschrift«1980, Nr. 5, S. 71) Es gab aber nicht nur eine Front, sondernderen fünf. Nicht nur die West-Front büßte Munitionswaggons

ein. Versuchen wir uns in Gedanken eine Vorstellung von derMunitionsmenge an allen Fronten zu machen, sowohl der, diedem Gegner in die Hände fiel, wie auch der, die gerettet werdenkonnte. Mitte Juni war dies alles, gedeckt durch das TASS-Kom-munique, an die deutsche Grenze gerollt.

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Wagen. Folglich ist hier von ungeheuren Treibstoffmengen dieRede. Aber diese 8500 Kesselwagen sind nur das, was auf denBahnstationen steht und auf die Entladung in den ersten Kriegs-tagen wartet. Man darf nicht übersehen, was von der gegneri-schen Luftwaffe in den ersten Minuten und Stunden des Kriegesauf den Bahnhöfen bereits vernichtet wurde.

Generaloberst L W. Boldin (zu der Zeit Generalleutnant undStellvertreter des Kommandierenden Generals der West-Front)

berichtet, die 10. Armee (die stärkste Armee der West-Front)habe genügend Vorräte an Treibstoff in den Vorratstanks und inKesselwagen der Eisenbahn gehabt und dies alles in den erstenMinuten und Stunden des Krieges verloren. (Tagebuchseiteneines Lebens. Moskau 1961, S. 92)

Am Vorabend des Krieges war diese ganze Masse von Kessel-wagen in Richtung Grenze gerollt, zusammen mit den Truppen,den Kampfmitteln, den Waffen und der Munition.

4.Wenn wir über die Ursachen für die Niederlage der RotenArmee in der Anfangsphase des Krieges reden, vergessen wir inder Regel aus irgendeinem Grund einen entscheidenden Um-stand: Die Rote Armee war in Eisenbahnwaggons unterwegs.

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Wer immer ernsthaft den Gründen nachgehen will, kann Tau-sende von Informationen wie die nachfolgenden finden :

»Zu Beginn des Krieges befand sich die Hälfte der Gefecht s-einheiten der 64. Schützendivision in Transportzügen auf derStrecke.« (»Militärhistorische Zeitschrift« 1960, Nr. 9, S. 56)

»Der Krieg überraschte einen Großteil der Einheiten der21. Armee in den Transpor tzügen, die sich über die riesigeStrecke zwischen Wolga und Dnjepr verteilten.« (Auf Befehl derHeimat: Der Kampfweg der 6. Gardearmee im Großen Vater-ländischen Krieg. Moskau 1971, S. 5)

»Der Krieg erreichte das 63. Schützenkorps unterwegs. Nurdie ersten Transportzüge waren rechtzeitig am 21. Juni an ihren

Bestimmungsbahnhöfen Dobrusch und Nowo-Beliza zum Ausla-den eingetroffen. Die nachfolgenden Transporte kamen außer-

d li h i d bi i di J li hi i

rechter Nachbar war so wie wir in den Kampf geworfen worden

- direkt aus den Waggons, während noch nicht einmal alleTransporte den vorgesehenen Entladeort erreicht hatten.« ( Alsdie Geschütze dröhnten. Moskau 1962, S. 21)

  Armeegeneral S. M. Stemenko (zu der Zeit Oberst in derOperativen Führung des Generalstabes): »Die Militärtransportemit den Truppen rollen in dichter Folge nach Westen und Sü d-westen. Bald wird der eine von uns, dann wieder ein andere r zuden Stationen, an denen sie ausgeladen werden, kommandiert.Die Kompliziertheit und Unbeständigkeit der Lage erzwangnicht selten den Abbruch des Ausladens und das Umdirigierender Transporte zu irgendeiner anderen Station. Es kam vor, daßFührung und Stab einer Division an einer Stelle ausgeladenwurden, die Regimenter jedoch an einem anderen Ort oder

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ordentlich auseinandergezogen bis in die ersten Julitage hineinauf verschiedenen Stationen in der Nähe von Gomel an. EinigeTruppenteile des Korps, wie zum Beispiel alle Regimenter der53. Schützendivision, wurden, mit Ausnahme des 110. Schüt-zenregimentes und des 36. Artillerieregimentes, noch ehe sieGomel erreichten, nach Norden geworfen.« (»MilitärhistorischeZeitschrift« 1966, Nr. 6, S. 17)

 Armeegeneral S. P. Iwanow (zu der Zeit Oberst und Chef der

Operativen Abteilung des Stabes der 13. Armee) berichtet vonder 132. Schützendivision unter Generalmajor S. S. Birjusow:»Der Gegner attackierte plötzlich den Militärtransport, in demein Teil der Division und ihr Stab auf dem Weg zur Front war.Der Kampf mußte direkt aus den Waggons und von den Tief-ladern aus aufgenommen werden.« (»Roter Stern«, 21. August1984)

 Marschall der Sowjetunion S. S. Birjusow (zu der Zeit Gene-ralmajor und Kommandeur der 132. Schützendivision): »Imletzten Augenblick waren wir dem 20. mechanisierten Korps

angegliedert worden. Weder den Kommandeur noch den Stabs-chef des Korps bekam ich zu sehen, und, nebenbei gesagt, ichwußte nicht einmal, wo sich ihr Gefechtsstand befand. Linksvon uns operierte die 137. Schützendivision unter der Führungvon Oberst I. T. Grischin. Sie war aus Gorki gekommen ... Unser

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sogar an mehreren weit auseinandergezogenen Stellen.« (DerGeneralstab in den Kriegsjahren. Moskau 1968, S. 30)

»Die feindliche Luftwaffe flog systematische Angriffe auf dieEisenbahnstationen und Strecken. Die Fahrpläne waren un-brauchbar. Das Entladen fand oft genug nicht auf den Bestim-mungsbahnhöfen statt, sondern an anderen Stellen. Es gabFälle, in denen Einheiten zu Nachbararmeen gerieten und vondort aus in den Kampf geführt wurden.« (W.A. Anfilow, Der

mißglückte »Blitzkrieg«. Moskau 1974, S. 465)»Auf der Strecke lagen elf Divisionen der 20., 21. und 22.

Armee . Die 19. Armee unter General I. S. Konew und die 16. Ar-mee unter General M. F. Lukin hatten ihren Aufmarsch nichtzum Abschluß gebracht.« (Geschichte des Zweiten Weltkrieges.12 Bände. Moskau 1975-1985, Bd. 4, S. 47)

»Die ungeheure Ansammlung von Waggons lahmte denBetrieb vieler Eisenbahnknotenpunkte nahezu vollständig. Auf den meisten Bahnstationen war nur noch ein einziger Schienen-strang frei geblieben, um die Züge passieren zu lassen.« (/. W.

K o w a l j o w , Das Transportwesen im Großen VaterländischenKrieg, S. 59)Generaloberst A. S. Kiemin berichtet von den ersten Julitagen:

»Auf den Strecken befanden sich 47000 Waggons mit militärischerLadung.« (»Militärhistorische Zeitschrift« 1985, Nr. 3, S. 67)

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Man könnte annehmen, daß dies alles nach dem 22. Juniverladen und an die Fronten geschickt worden war. Doch dieseAnnahme wäre falsch. Nach dem 22. Juni brauchten die Fron-ten nur leere Waggons zum Abtransport der kolossalen Vorrätean Waffen, Muni tion, Treibstoff und anderen militärischen Aus-rüstungen, die bereits an den Grenzen konzentriert wordenwaren.

Um sich die Tragik der Situation auszumalen, lohnt es, anGeneral M. F. Lukin zu erinnern. Er hatte in seiner Eigenschaftals Kommandierender General seiner Armee bereits bei Sche-petowka gekämpft, während sich der Stab der Armee noch jen-seits des Baikalsees befand. Die Truppentransporte seiner

Armee waren über eine Strecke von Tausenden von Kilometernauseinandergezogen. Dann traf der Stab ein, aber das Nach-i ht b t ill l h i f d St k S l h Sit

aus, daß sich ein gewaltiges militärisches Potential zus amm en-ballte, doch auch sie sah nur die Erste Strategische Staffel undvermute te nichts von einer zweiten (und dritten, von der nochzu sprechen sein wird). Ich denke, daß sich viele sowjetischeGenerale und Marschälle - mit Ausnahme der prominen testenoder unmittelbar selbst von dieser Verlegung betroffenen -ebenfalls nicht den wirklichen Umfang und folglich auch nichtden Zweck dieser Aktion vorstellen konnten. Gerade aus diesemGrunde sprechen viele von ihnen so unbefangen darüber. DieseUnkenntnis der allgemeinen Situation und des wirklichen Aus-maßes der sowjetischen Truppenkonzentration ist durchauskein Zufall. Stalin hatte drakonische Vorkehrungen zur Tarnung

getroffen. Sein TASS-Kommunique ist nur eine davon. Die Tat-sache der Truppenverlegung selbst zu verheimlichen, war ganzoffensichtlich unmöglich doch die Hauptsache dabei den Um

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richtenbataillon lag noch immer auf der Strecke. Solche Situa-tionen ergaben sich allerorten: Auf der einen Station wurdenStäbe ausgeladen, die keine Truppen hatten, an anderen Stellendie Truppen ohne ihre Stäbe. Noch schlimmer wurde es, wenndie Züge nicht auf den Stationen, sondern auf freier Streckehielten. Ein Panzerbataillon stellt eine enorme Kampfkraft dar.Auf dem Transport dagegen ist es hilflos. Wenn der Krieg einenMilitärtransport mit schwerem technischem Gerät dort über-

raschte, wo keine Entlademöglichkeit bestand, mußte der Mili-tärtransport entweder vernichtet oder aufgegeben werden. DieVerluste in den Militärtransporten waren riesengroß.

Aber auch jene Divisionen, die zur Ersten StrategischenStaffel gehörten und ungehindert zur Grenze vorrückten, be-fanden sich in keiner besseren Situation. Divisionen in Marsch-kolonnen sind ein hervorragendes Ziel für die Luftwaffe. Dieganze Rote Armee stellte ein einziges hervorragendes Ziel dar.

5.Viele waren Zeugen der Verlegung der sowjetischen Truppengewesen, aber jeder hatte dabei nur seinen eigenen Truppenteilvor Augen gehabt. Kaum einer konnte sich ein Bild von ihremwirklichen Ausmaß machen. Die deutsche Abwehr ging davon

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offensichtlich unmöglich, doch die Hauptsache dabei, den Um-fang dieser Truppenbewegung und ihren Zweck, verbarg Stalinvor dem ganzen Land, vor der deutschen Abwehr und sogar vorden kommenden Generationen.

Generaloberst A. S. Jakowlew (zu der Zeit persönlicher Refe-rent Stalins) ist Zeuge dafür, daß »Ende Mai oder Anfang Juni«im Kreml eine Beratung zu Fragen der Tarnung stattfand. (DasZiel eines Lebens. Moskau 1968, S. 252)

Wir haben bereits früher einige Maßnahmen kennengelernt,die von den sowjetischen Generalen getroffen wurden: Den Sol-daten wurde erklärt, daß sie zu Truppenübungen transportiertwürden, obwohl die Stabsoffiziere begriffen, daß dies keineTruppenübungen waren. Mit anderen Worten: Man nahm einegezielte Desinformation der eigenen Truppe vor. Die deutscheFührung tat zur selben Zeit genau das gleiche: Unter den Trup-pen gingen Gerüchte über eine Landung in Großbritannien um,viele kannten sogar den Namen dieser Operation (»Seelöwe«),unter den Soldaten tauchten englische Dolmetscher auf usw.

Hier sei daran erinnert, daß eine Desinformation der eigenenTruppen nur vor Angriffsoperationen erfolgt, um vor demGegner die eigenen Absichten, den Zeitpunkt und die Richtungdes Hauptstoßes zu verbergen. In einem Verteidigungskriegoder vor dem Ausbruch eines solchen braucht man die eigenen

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Truppen nicht zu täuschen - Offiziere und Soldaten sind vor die

eine einfache und leicht begreifliche Aufgabe gestellt: Das hierist deine Linie, und keinen Schritt zurück! Hier kannst du drauf-gehen, aber der Feind darf nicht durch!

Die Tatsache, daß die sowjetischen Soldaten und Offizieregetäuscht wurden, ist ein eindeutiger Beweis für die Vorberei-tung einer Angriffsoperation. Warum hätte man - sofern mansich auf eine Verteidigungsoperation einstellte - den Truppennicht sagen können: Ja, Leute, die Lage ist gespannt, man mußmit allem rechnen, wir ziehen los, um Gräben auszuheben unddort abzuwarten. Rücken die Truppen tatsächlich aus, um

Gräben auszuheben, macht es keinen großen Unterschied aus,ob ihnen das Fahrtziel nach der Ankunft oder bei der Abfahrtmitgeteilt wird. Doch eine derartige Information wurde den so-

an dieser Stelle nicht informiert war, sprach ich über Kurzwelle

mit der Operativen Führung des Generalstabs. Ich bekam denStellvertreter des Chefs, A. F. Anissow, ans Telefon. Nachdem ichihm von der verschlüsselten Meldung berichtet hatte, bat ichihn um eine Erklärung, was hier vorginge. Anissow antwortetemir, daß Reiters verschlüsselte Anfrage unverzüglich zu ver-nichten sei, daß er die erforder lichen Anweisungen vom Gene-ralstab erhalten werde und daß der Stab des Militärbezirks sichnicht einzumischen habe.« (»Fragen der Geschichte« 1970,Nr. 5, S. 42)

Des weiteren berichtet Sacharow, daß der Befehlshaber des

Militärbezirks Odessa, Generaloberst Ja. T. Tscherewitschenko,ebenfalls nichts von diesen »Annuschkas« gewußt habe.Man könnte einwenden, daß sowjetische Truppenbewegun-

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wjetischen Offizieren und Soldaten weder bei der Abfahrt nochbei der Ankunft gegeben. Ein anderes Ziel war vorgesehen, dasman damals wie auch heute noch verbirgt, wie wir bereitswissen.

Um sich den Grad der Geheimhaltung dieser Truppenver-legung vorstellen zu können, sei nur ein Beispiel von vielenangeführt:

 Marschall der Sowjetunion M. W. Sacharow: »Anfang Junikam der Leiter des Militärtransportdienstes im MilitärbezirkOdessa, Oberst P. I. Rumjanzew, zu mir - ich war zu der ZeitStabschef im Militärbezirk Odessa - in mein Dienstzimmer, ummir heimlich Meldung zu erstatten, daß in den letzten Tagen ausRichtung Rostow kommende >Annuschkas< die Station Snam-

 jonka >passieren< und im Gebiet von Tscherkassy entladen wer-den. >Annuschka< war die im Militärtransportdienst übliche Be-zeichnung für eine Division. Zwei Tage später bekam ich ausTscherkassy eine chiffrierte Nachricht, die der Stellvertreterdes Befehlshabers im Militärbezirk Nordkaukasus, M. Reiter,

unterzeichnet hatte, in der er die Genehmigung erbat, einigeBaracken der Kleiderkammer unseres Bezirks für die Unter-bringung des Gepäcks der in diesem Gebiet aus dem Nordkau-kasus eintreffenden Truppen belegen zu dürfen. Da der Stab desMilitärbezirks Odessa über die Konzentrie rung fremder Truppen

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j pp ggen stets unter Beachtung großer Vorsichtsmaßregeln erfolgenund daß die sowjetischen Truppen ihre Pläne grundsätzlichgeheimhalten. So ist es in der Tat. Aber alles hat Grenzen. DerBefehlshaber eines Militärbezirks in der Sowjetunion, und ganzbesonders der Befehlshaber eines Grenzbezirks, sowie seinStabschef sind mit außerordentlichen Vollmachten und beson-derer Befehlsgewalt ausgestattete Personen. Sie sind voll ver-antwortlich für alles, was auf dem ihrer Kontrolle unterstehen-den Territorium geschieht. Zeigen Sie mir irgendein anderesBeispiel, in dem der Befehlshaber eines Militärbezirks und des-sen Stabschef nichts davon wissen, daß auf dem Gebiete ihresMilitärbezirks irgendwelche fremden Truppen zusammengezo-gen werden! Und hier verlangt der Generalstab (den zu der ZeitG. K. Schukow leitete), selbst in einer Situation, bei der die Füh-rung des Militärbezirks Odessa per Zufall von der Konzentrierunganderer Truppen auf dem Territorium des eigenen Militärbe-zirks erfährt, die eingegangene Information zu vergessen unddie geheime verschlüsselte Nachricht, die nur für die Augen des

Stabschefs dieses Militärbezirks bestimmt war, zu vernichten.Sogar noch im Safe des Stabschefs des Militärbezirks stellt dieverschlüsselte Information eine Gefahr dar! Ich hatte weiteroben davon gesprochen, daß in den sowjetischen Archiven sehrviele interessante Dokumente aus dieser Periode lägen, und

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dennoch ist das Interessanteste nie in diese Archive geraten

oder wurde später einfach vernichtet. Die Spuren dieser Ver-nichtungsaktionen sind allzu deutlich: Da beginnt ein Satz amEnde einer Seite, aber die nächste Seite fehlt, und mitunter sindauch die folgenden hundert Seiten nicht mehr da. Diese ver-nichtete verschlüsselte Meldung im Militärbezirk Odessa magals Bestätigung meines Kommentars dienen.

Bemerkenswert ist das Verhalten von General leutnant M. A.Reiter in der geschilderten Situation. Max Reiter ist ein diszipli-nierter Deutscher, schon im Ersten Weltkrieg war er Oberst imStab einer russischen Armee, ein alter Haudegen von preußi-schem Zuschnitt. Er weiß gewiß, wie man mit Geheimsachenumzugehen hat. Aber selbst er, der Stellvertreter des Befehls-habers des Militärbezirks Nordkaukasus, hält es in dem Augen-bli k d i h i i A hk f d B d i

s taunl i ch? Weder Sandalow, noch Tschuikow, noch sonst irgend-

wer erteilt den Befehl, die Arbeiten einzustellen und den Bauein paar Kilometer in das Hinterland zu verlegen, damit derGegner nicht die genaue Lage der Feuerpunk te und die Rich-tung der Schießscharten einsehen kann, mit deren Hilfe sichleicht das Feuersystem bestimmen läßt.

  Marschall der Sowjetunion L Ch. Bagramjan beobachtet1940 in einem anderen Militärbezirk das gleiche Bild: Die Bau-arbeiten zur Errichtung eines Befestigten Raumes (UR) erfolgen»direkt vor den Augen der Deutschen«. Die Bauabschnitte sinddurch kleine Zäune geschützt. »Mich erinnerten diese Zäunchenan die Feigenblätter antiker Statuen.

>Was meinen Sie<, fragte ich den Leiter eines dieser Baupro- jekte , >ob wohl die Deutschen dahinterkommen, was Ihre Bau-

b it hi Uf d G fl hi t di kl i

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blick, da er sich mit seinen »Annuschkas« auf dem Boden einesfremden Militärbezirks befindet, für ganz natürlich, Verbindungmit dem ihm gleichgestellten zuständigen lokalen Vertreter dermilitärischen Führung aufzunehmen und (natürlich in einer per-sönlich chiffrierten Nachricht!) die Erlaubnis zu erbitten, eine be-stimmte Maßnahme ergreifen zu dürfen. Doch er wird schnellvom Generalstab zur Vernunft gebracht und hat künftig keineweiteren verschlüsselten Meldungen dieser Art mehr verfaßt.

Und hier noch ein paar andere Beispiele:Generaloberst L. M. Sandalow besichtigt den Bau von Vertei-

digungsanlagen unmittelbar an der Grenze im Raum Brest undstellt verwundert fest, daß man die festen Feuerpunkte so nahean der Grenze errichtet hat , daß sie von der deutschen Seite auseinzusehen sind. Er richtet eine entsprechende befremdeteFrage an W. I. Tschuikow Tschuikow, dieser künftige Fuchs vonStalingrad, seufzt (natürlich verstellt er sich): Es sei wirklichsehr bedauerlich, aber die Sache stünde nun einmal so, daß dieDeutschen den Bau unserer Verteidigungsanlagen bemerken

werden. (An der Front vor Moskau, S. 53) Guderian begann denKrieg genau von der gegenüberliegenden Seite des Flusses ausund hebt hervor, daß er dies alles sehr gut habe einsehen kön-nen: An den Feuerpunkten hatte man Tag und Nacht gearbeitet,und dabei nachts sogar bei greller Beleuchtung. Ist das nicht er-

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arbeiter hier am Ufer des Grenzflusses hinter diesem kleinenZ a un t un? <

>Ganz bestimmt!< antwortete er, ohne lange zu überlegen.>Es wäre schwierig, nicht den Charakter unserer Bauarbeitenzu erkennen.<

Ich überlegte: Eine derartige taktische Unwissenheit derLeute, die die Positionen für die zu errichtenden Feuerpunktefestgelegt hatten, konnte ihnen leicht als Sabotageakt ausgelegt

werden. Wie es ja auch offensichtlich in früheren Zeiten wieder-holt geschehen war.« (»Militärhistorische Zeitschrift« 1976,Nr. l, S. 54)

Im Jahr 1938 hätte man für solche Entscheidungen denSchuldigen an die Wand gestellt. Aber 1940 bis 1941 wurden ausirgendeinem Grunde in sämtlichen westlichen Militärbezirkendie Befestigungsanlagen genau auf diese nämliche Weise errich-tet, und niemand zeigte irgendwelche Befürchtungen; derNKWD mischte sich nicht ein, niemand wurde aus solchenGründen verhaftet und keiner dafür exekutiert. Warum? »Eine

deutliche Demonstration von Verteidigungsarbeiten« - so defi-niert Bagramjan diese Bauarbeiten und fügt auf der Stellehinzu, daß der »Bauplan von der höchsten Führung bestätigt«worden war. Für die Befestigten Räume ist der Befehlshabereines Militärbezirks persönlich verantwortlich. Wer also ist dieser

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Idiot, der diesen Plan bestätigt hat? Zu dem Zeitpunkt - G. K.Schukow. Derselbe Schukow, der einer der glänzendsten Heer-führer des Zweiten Weltkrieges war. Derselbe Schukow, der be-kanntlich keine einzige militärische Niederlage in seinem gan-zen Leben hinnehmen mußte. Derselbe Schukow, der eben erstaus der Mongolei zurückgekehrt ist, wo er ebenfalls zuerstdemonstrative Verteidigungsanlagen hatte errichten lassen unddann den Überraschungsschlag gegen die 6. japanische Armeeführte. Derselbe Schukow, der in wenigen Monaten Chef desGeneralstabs werden und drakonische Maßnahmen zur Ge-heimhaltung von Truppenverlegungen einführen wird, doch die»deutliche Demonstration von Verteidigungsarbeiten« wird an

der Grenze fortgesetzt werden und sogar noch eine merklicheIntensivierung erfahren.

Interessant ist das Verhalten von Bagramjan in dieser Situa-

angerührt, sondern im Gegenteil befördert. Woraus gefolgertwerd en muß, daß die Bauarbeiten un ter den Augen des Gegnersweder eine Idiotie noch Unwissenheit waren, sondern daßdahinter etwas anderes stecken mußte.

Freunde der Sowjetunion haben erklärt, die sowjetischenTruppen hätten keine Gräben ausgehoben, weil Stalin alles dar-ansetzte, auf keinen Fall versehentlich einen Krieg zu provo-zieren. Doch ein einfacher Graben läßt sich mit Befestigungs-anlagen aus Stahlbeton überhaupt nicht vergleichen. Stalin läßtdemonstrativ einen ganzen Verteidigungsgürtel anlegen undhat keine Angst, damit den Vorwand für einen deutschen Angriff zu liefern. Weshalb sollte er dann nicht den Truppen den Befehl

zum Eingraben geben? Gemessen an der neuen Linie mit ihrenBefestigungen aus Stahlbeton konnten Gräben die politischeLage nicht trüben Aber nein die eingetrof fenen Truppen erhal-

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Interessant ist das Verhalten von Bagramjan in dieser Situation. Bagramjan ist der schlaueste Fuchs, den man sich denkenkann, und dabei zugleich ein begabter Kommandeur im bestenSinne dieses Wortes. Während des Krieges machte er die glän-zendste Karriere in der gesamten Roten Armee: Er begann denKrieg als Oberst und beendete ihn als Armeegeneral in einerFunktion, die ihn berechtigte, zum Marschall der Sowjetunionaufzusteigen, was auch geschah. In der genannten Situation

führt ihn ein persönlicher Auftrag Schukows, als dessen Unter-gebener und persönlicher Freund er tätig wird, an die Grenze.Sollte man nicht erwarten, daß Bagramjan losbrüllt und diesedemonstrativen Bauarbeiten einstellen läßt? Aber nein, erbrüllt nicht. Sollte man nicht erwarten, daß er, sobald er Schu-kow sieht, berichtet: Georgi Konstantinowitsch, stell dir die Be-scherung vor! Diese Idioten bauen die Befestigungsanlagendirekt an der Grenze, die Anlagen verschlingen Millionen, aberdie Artillerie bringt sie in der ersten Stunde des Krieges zumSchweigen, denn der Gegner kennt die Lage von jedem einzel-

nen Feuerpunkt! Dich wird man dafür an die Wand stellen, undmich auch! - Doch Bagramjan hat nicht getobt und mit den Füßengestampft. Und am 22. Juni kam es genauso - die Stellungenwurden vom feindlichen Feuer eingedeckt; und dennoch hatStalin Bagramjan nicht erschießen lassen und Schukow nicht

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Lage nicht trüben. Aber nein, die eingetrof fenen Truppen erhalten nicht den Befehl, sich einzugraben. Sie werden in den Wäl-dern versteckt. Alles, was die Verteidigung betrifft, zeigen wirgeflissentlich dem Gegner, doch die anrückenden Truppen sollniemand sehen - folglich sind die Truppen auch nicht zur Ver-teidigung bestimmt, sondern für einen anderen Zweck.

Ein seltsamer Widerspruch: Die aufdringliche Demonstra-tion von Verteidigungsmaßnahmen unmittelbar an der Grenze

und die vernichtete verschlüsselte Nachricht im Stab des Mili-tärbezirks. Und dennoch handelt es sich nur um die beidenSeiten ein und derselben Medaille: eine intensivierte Verteidi-gungsvorbereitung, die der Gegner einsehen kann, und gleich-zeitig die heimlich zunehmende Truppenkonzentration in denWäldern für einen Überraschungsschlag.

Schukows Vorstöße kamen stets überraschend .

6.

Am 13. Juni ließ Molotow den deutschen Botschafter zu sichkommen und übergab ihm den Text des TASS-Kommuniques.(Vgl. das Telegramm von der Schulenburgs an Ribbentrop,Nr. 1368, vom 13. Juni 1941) In dem Kommunique heißt es, daßDeutschland die UdSSR nicht angreifen wolle, daß die UdSSR

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Deutschland nicht angreifen wolle, daß jedo ch »der UdSSR undDeutschland feindselig gesonnene Kräfte, die an einer zuneh-menden Ausweitung und Ausuferung des Krieges interessiertseien«, sie zu entzweien versuchten, indem sie provozierendeGerüchte über einen nahe bevorstehenden Krieg verbreiteten.

In dem Kommunique werden diese »feindlich gesonnenenKräfte« beim Namen genannt: »der britische Gesandte inMoskau Mr. Cripps«, »London«, »die englische Presse«.

Unsere Untersuchung wäre nicht vollständig, wenn wir unsnicht an diesem 13. Juni 1941 kurz nach London begäben.

Die Annahme, daß es am 13. Juni zu einer Begegnung zwi-schen dem sowjetischen Botschafter I. M. Maiski und dem

Außenminister Großbritanniens A. Eden gekommen sei, wäre nurlogisch. Bei dieser Begegnung wirft Maiski das TASS-Kommuni-que auf den Tisch, schlägt mit der Faust auf die Platte, stampft

Koalition bezei chnen wird. Aus der Sicht Großbritanni ens istüberhaupt nichts Verwerfliches dabei: Großbritannien führtKrieg gegen Hitler. Doch die Sowjetunion spielt ein schmutz igesSpiel. Mit Deutschland hat man einen Nichtangriffspakt ge-schlossen und gleich darauf einen Freundschaftsvertrag. Wenndie Sowjetregierung meint, daß diese Dokumente nicht längerder realen Situation entsprechen, m uß sie sie annullieren . Aberdas tut Stalin nicht, vielmehr versichert er Hitler seiner glühen-den Freundschaft und entlarvt in dem TASS-Kommunique die-

 jenig en, »die an einer Ausweitung des Krieges interessiert sind«- die britischen Politiker. Zur gleichen Zeit abe r werden in Lon-don Verhandlungen über ein militärisches Bündnis mit Deutsch-

lands Gegner und über konkrete militärische Maßnahmen gegenDeutschland geführt. Wie erstaunlich: Das geschieht noch vorHitlers Überfall auf die UdSSR!

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que auf den Tisch, schlägt mit der Faust auf die Platte, stampftmit dem Fuß auf und verlangt, daß der Botschafter Cripps ausMoskau abberufen werde, daß man nicht Zwietracht zwischenden guten Freunden Stalin und Hitler säen solle, daß das Aus-streuen provokatorischer Gerüchte über einen Krieg zwischender UdSSR und Deutschland zu unterbleiben habe. So etwastellen Sie sich diese Begegnung vor? Sie irren sich. Die Sachesah ganz anders aus.

Am 13. Juni 1941 fand tatsächlich eine Begegnung zwischenMaiski und Eden statt. Maiski übergab nicht der britischen Re-gierung das TASS-Kommunique, auch stampfte er nicht auf undschlug ebensowenig mit der Faust auf den Tisch. Die Begegnungfand in freundschaftliche r Atmosphäre statt. Es galt eine ernsteFrage zu besprechen: die Maßnahmen, die Großbritannien zurUnterstützung der Roten Armee ergreifen würde, »falls in näch-ster Zukunft ein Krieg zwischen der UdSSR und Deutschlandausbrechen sollte«. (Geschichte des Zweiten Weltkrieges 1939-1945, Bd. 3, S. 352) Zu diesen konkreten Maßnahmen gehörten:

direkte Kampfeinsätze der Royal Airforce zugunsten der RotenArmee, Kriegslieferungen, Koordinierung der Aktionen der mi-litärischen Führung beider Länder.

Am 13. Juni legt die Stalinsche Diplomatie das Fundamentfür etwas, was man in Bälde mit dem Terminus Anti-Hitler-

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Hitlers Überfall auf die UdSSR!Hinter dem neutralen diplomatischen Tenor verbergen sich

sehr ernste Dinge. Vor noch gar nicht so langer Zeit hat diesowjetische Diplomatie mit Deutschland Verhandlungen überPolen geführt: »... falls es auf dem Territorium des polnischenStaates zu Veränderungen kommen sollte ...« Jetzt ist die Zeitgekommen, daß sowjetische Diplomaten hinter DeutschlandsRücken in ähnlichem Ton über Deutschland zu reden beginnen.

Erstaunlicherweise bedienen sich bei den Verhandlungen inLondon beide Seiten der Wendung »falls ein Krieg ausbrechensollte« anstelle von »falls Deutschland angreifen sollte«; mitanderen Worten - die Gesprächspartner schließen keineswegsaus, daß dieser Krieg auch auf andere Weise und nicht nurdurch eine deutsche Aggression ausgelöst werden könnte. Es istbemerkenswert, daß bei den Unterhandlungen in London dieUdSSR an erster Stelle genannt wird: »falls es zu einem Kriegzwischen der UdSSR und Deutschland kommen sollte«, genausoim TASS-Kommunique: »Gerüchte von einem nahe bevorste-

henden Krieg zwischen der UdSSR und Deutschland«. Warumdrückt man es nicht umgekehrt aus: zwischen Deutschland undder UdSSR, wenn man doch davon ausgeht, daß Deutschlandder Angreifer sein wird?

Vielleicht wird mir auch hier der eine oder andere e rwidern,

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der sowjetische Botschafter habe seine Unterhandlungen ohne

Wissen Stalins geführt und seine Vollmachten ebenso über-schritten wie jene sowjetischen Generale, die ihre Truppen anden deutschen Grenzen zusammenziehen, »ohne Stalin davonin Kenntnis gesetzt zu haben«. Nein, damit kommt man im vor-liegenden Falle nicht durch. Maiski selbst hat betont, daß er vorseiner Abreise nach London 1932 zum Dienstantritt eine Zu-sammenkunft mit M. Litwinow hatte, bei der der Volkskommis-sar für auswärtige Angelegenheiten ihn warnte, daß Maiskinicht seine, Litwinows, Instruktionen ausführen würde, »son-dern die höherer Instanzen«. »Höher« standen zu der Zeit nurnoch Molotow (Chef einer Regierung, der Litwinow selber ange-hörte) und Stalin. 1941 hatte man Litwinow bereits ausgebootet(seine Nachfolge hatte nach seinem Rücktritt am 3. 5. 1939W Molotow angetreten) und als »höhere Instanzen« waren nur

7.

Das TASS-Kommunique verfolgt das Ziel, die Gerüchte übereinen unvermeidlichen Krieg zwischen der UdSSR und Deuts ch-land zu unterbinden. Der 13./14. Juni bringt ein plötzliches Auf-flackern des Terrors in Moskau. Es rollen Köpfe, darunter auchrecht prominente.

Hitler sah sich mit demselben Problem konfrontiert. DieKriegsvorbereitungen zu verbergen war schwierig. Das Volksah sie und äußerte alle möglichen Vermutungen. Am 24. Apr ilschickte der deutsche Marineattache Baumbach in Moskau einealarmie rende Nachricht nach Berlin, daß er gegen »unverkenn-bar unsinnige Gerüchte über einen bevorstehenden deutsch-sowjetischen Krieg anzukämpfen habe«. (Telegramm Nr. 34112/ 110, bestimmt für die Kriegsmarine) Am 2. Mai berichtet Bot-schafter von der Schulenburg daß er gegen diese Gerüchte

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W. Molotow angetreten), und als »höhere Instanzen« waren nurnoch Molotow und Stalin übriggeblieben. Maiski überlebte dieSäuberungen und saß recht lange auf seinem Posten, wobei ernur deshalb seinen Kopf behielt, weil er sich an die Instruktio-nen der »höheren Instanzen« hielt und diese nicht verletzte.

Um dem Leser ein abgerundeteres Bild von dem GenossenMaiski und der Sowjetdiplomatie insgesamt zu vermitteln, seinoch ergänzt, daß Maiski nach seiner Rückkehr von elfjähriger

Tätigkeit in London Stalin bei dessen Begegnungen mit Chur-chill und Roosevelt begleitete und Verstärkung der Hilfeleistungforderte. Später schrieb er dann sein Buch »Wer Hitler geholfenhat«, das 1962 in Moskau erschien. Darin erfahren wir, daßHitler allein den Zweiten Weltkrieg gar nicht habe beginnen kön-nen, Großbritannien und Frankreich hätten ihm dabei geholfen.Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen lädt der sowjetischeBotschafter die Schuld für »die unzähligen Opfer und Leiden«auf die Schultern jenes Landes, das Stalin militärische undwirtschaftliche Hilfe bereits am 13. Juni 1941 angeboten hatte.

272

schafter von der Schulenburg, daß er gegen diese Gerüchteangehe, aber alle deutschen Mitarbeiter, die aus Deutschlandkommen, brächten nicht nur Gerüchte, sondern auch Faktenmit, die diese bestätigen. Im Mai redet der Leiter der Auslands-presseabteilung im Propagandaministerium Deutschlands KarlBömer in angetrunkenem Zustand ein bißchen zuviel über dieBeziehungen zur Sowjetunion. Er wird umgehend verhaftet.Hitler selbst nahm sich dieser Angelegenheit an, die man laut

Goebbels »künstlich aufgebauscht« hatte. (Die Tagebücher vonJoseph Goebbels. Sämtliche Fragmente. Hrsg. Elke Fröhlich.Teil l, Bd. 4. München/New York/London/Paris 1987, S. 658,687, 690) Am 13. Juni 1941, dem Tag, an dem das TASS-Kommu-nique darüber, daß es keinen Krieg geben werde, verbreitetwurde, stand Karl Bömer vor dem Volksgerichtshof (wie er-schütternd: auch hier ein Volksgericht, genauso wie in derSowjetunion) und erklärte die von ihm geführten Reden alstrunkenes Gefasel: Natürlich wird es keinen Krieg zwischenDeutschland und der Sowjetunion geben! Das bewahrte den ar-

men Karl Bömer nicht vor harter Bestrafung, die ganz Deutsch-land zur Lehre gereichen sollte: Es gibt keinen Krieg! Es gibtkeinen Krieg! Und damit auch im Ausland niemandem Zweifelkämen, schickte Ribbentrop am 15. Juni streng geheime Tele-gramme an seine Botschafter: Mit Moskau stünden höchst wich-

273

tige Verhandlungen bevor. Dies sollen die Botschafter gewissenPersonen unter dem Siegel strengster Vertraulichkeit mitteilen.

So war zum Beispiel der Botschaf tsrat der Deutschen Botschaftin Budapest beauftragt, diese Neuigkeit als ein besonderes Ge-heimnis dem ungarischen Staatschef anzuvertrauen.

Die Prinzipien der Desinformation sind überall dieselben:Wenn du nicht willst, daß der Feind ein Geheimnis erfährt, dannhüte es auch vor deinen Freunden! Und siehe da, am Tag nachder Verbreitung des TASS-Kommuniques sorgt Deutschlandgezielt für eine Desinformation des eigenen diplomatischenDienstes und der eigenen militärischen Verbündeten. Wir wis-sen bereits, daß die oberste sowjetische Heeresleitung dasselbe

mit den sowjetischen Truppen tat.Bei unserem Versuch, in das Dunkel der Geschichte des

deutschen Nationalsozialismus und des sowjetischen Sozialis-

8.Nach dem Erscheinen meiner ersten Publikationen empörten

sich sowjetische Historiker: Gewiß, die sowjetischen Truppenseien aufmarschiert, aber sowjetische Quellen hätten längsteine befriedigende Erklä rung für diese Aktion (nämlich als Ver-teidigungsmaßnahme) gegeben, weshalb man auch keine an-dere Erklärung zu suchen brauche, alles sei ohnehin bereitsklar.

Nein, es ist nicht alles klar! Und niemand in der Sowjetunionhat jemals eine befriedigende Erklärung gegeben. Gerade dasFehlen von Erklärungen für diese Aktionen hatte ja meine Auf-merksamkeit geweckt. Die sowjetischen Generale und Mar-

schälle haben nicht nur keine Erklärung anzubieten, sondernkeiner von ihnen hat auch nur ein einziges Mal die genaue An-zahl der Divisionen genannt, die an dieser riesigen Truppen-b b ili 191 Di i i ! K i i i h

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mus einzudringen, stellen wir verblüffende Ähnlichkeiten nichtnur in den Losungen, Liedern und Ideologien fest, sondern auchin den historischen Ereignissen. In der Geschichte des National -sozialismus gibt es ein Ereignis, das dem TASS-Kommuniqueausgesprochen ähnelt. Am 8. Mai 1940 verbreitet der Großdeut-sche Rundfunk die Meldung, Großbritannien plane eine Inva-sion in den Niederlanden. Dann folgt das Interessanteste: Die

Berichte, daß zwei deutsche Armeen an die holländischeGrenze geworfen würden, seien »unsinnige Gerüchte«, die vonden »britischen Kriegshetzern« in Umlauf gesetzt wordenseien. Was danach geschah, ist gut bekannt. Diese Meldung desdeutschen Rundfunks und die Meldung des sowjetischen Rund-funks entsprechen einander nahezu wörtlich. Der Hauptge-danke lautet: Wir verlegen keine Truppen, das haben sich nur»die britischen Kriegshetzer« ausgedacht. Ich weiß, ein Ver-gleich ist noch kein Beweis, doch im vorliegenden Fall sind sichdie beiden Meldungen nicht nur ähnlich, sie sind fast schon

Kopien.

274

bewegung beteiligt waren: 191 Divisionen! Kein einziger hat  jemals auch nur eine annähernde Zahl genannt. Können wirvon einem General eine befriedigende Erklärung erwarten, derdas wahre Ausmaß der Vorgänge, die sich da abspielen, ent-weder nicht kennt oder aber bewußt verhüllt?

Ein ausgezeichneter Kenner der Anfangsphase des Krieges,W. A. Anfilow, berichtet vom Sondermilitärbezirk West: »Aus

den Zentralregionen des Militärbezirks wurden entsprechendder Direktive des Volkskommissars für Verteidigung zehn Schüt-zendivisionen nach Westen in Marsch gesetzt.« (Die unsterb-liche Tat, S. 189) An derselben Stelle äußert er sich über den be-nachbarten Sondermilitärbezirk Baltikum: »Näher zur Grenzeschlössen vier Schützendivisionen auf (die 23., 48., 126. und128.).« Das ist alles richtig, und wir werden eine Menge Belegedafür finden, daß sich die Sache genau so verhielt. Aber warenim Sondermilitärbezirk Baltikum nicht außerdem die 11. unddie 183. Schützendivision an die Grenze verlegt worden? Warenetwa alle Panzerdivisionen und motorisierten Divisionen stehen-geblieben?

Einige sowjetische Marschälle - auch G. K. Schukow - sagen,aus dem Landesinneren seien 28 Schützendivisionen in Marschgesetzt worden. Es ist die lautere Wahrheit. Nur nicht die ganze

275

Wahrheit. Marschall der Sowjetunion A. M. Wass ilewsk i betont,daß 28 Divisionen »nur den Anfang machten bei der Erfüllung

des Planes zur Konzentrierung der Truppen«. (Ein Lebensw erk.Moskau 1973, S. 119) Wir wissen, daß es eine Fortsetzung gab,die den Anfang um ein Vielfaches übertraf, aber Marschal l Was-silewski verstummt, nachdem er nur ein klein wenig verratenhat, und genaue Zahlenangaben werden wir bei ihm nicht fin-den.

Um ein bestimmtes Phänomen erklären zu können, mußman zuvor seinen Umfang genau bestimmen. Jeder, der ver-sucht, die sowjetischen Truppenbewegungen und das TASS-Kommunique, das diese Bewegungen tarnen soll, zu erklären,

kann von uns erst dann ernstgenommen werden, wenn er sichbemüht, zumindest annähernd zusammenzufassen, was überdiese Truppenbewegungen bekannt und offiziell publiziert

d i t

men, der nichts davon weiß, daß auf dem Territorium seinesMilitärbezirks heimlich eine ganze Armee, nämlich die desGeneralleutnants I. S. Konew und seines Stellvertreters, desGenera lleutnants Max Reiter, zusammengezogen wird.

 /. S. Konew wurde während des Krieges zum Marschall derSowjetunion befördert . Wir greifen zu seinem Buch in der Hoff-nung, eine Erklärung darüber zu entdecken, wie und warum ersich mit seinen »Annuschkas« in einem fremden Militärbezirkbefand; doch verwundert stellen wir fest, daß der wackere Mar-schall schlichtweg die ganze Anfangsphase des Krieges aus-gelassen hat. Er zog es vor, über das Jahr fünfundvierzig zuschreiben, und so hat er sein Buch auch genannt: »Das Jahr

Fünfundvierzig« (2. Aufl. Moskau 1970). Wir greifen zu denMemoiren des Armeegenerals P.I. Batow, ist es doch schließlichsein Korps gewesen, das Tscherewitschenko auf der Krim be-

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worden ist.Da mich die Erklärungen der Experten in der vorliegenden

Frage nicht zufriedenstellten, griff ich zu den Memoiren derGenerale und Marschälle, die an dieser Truppenbewegung be-teiligt gewesen sind bzw. diese geleitet haben. Und erst da ent-deckte ich die erstaunliche Geschmeidigkeit der sowjetischenGeschichtswissenschaft und der sowjetischen Memoirenschrei-

ber, die einer Antwort ausgewichen sind.Beispiele:Der Oberkommandierende der Truppen im Militärbezirk

Odessa, Generaloberst Ja. T. Tscherewitschenko befand sich inder Zeit vom 9. bis 12. Juni auf der Krim, wo er die Truppen des9. Spezial-Schützenkorps übernahm. Das wissen wir von

  Marschall der Sowjetunion M. W. Sacharow. (»Fragen der Ge-schichte« 1970, Nr. 5, S. 44) Auf dieses Korps kommen wir nochzurück. Es war ein sehr ungewöhnliches Korps und führte inseiner offiziellen Bezeichnung nicht grundlos den Zusatz»Spezial-«. Aber versuchen Sie, auch nur eine einzige Zeileüber diesen Vorgang bei General Ja. T. Tscherewitschenko zufinden. Aus irgendeinem Grund wird das von dem General mitSchweigen übergangen. Das soeben eintreffende Korps wird,nebenbei gesagt, von demselben Tscherewitschenko abgenom-

276

p ggrüßt, doch welch Malheur - Batow läßt einfach sämtliche Fak-ten weg. (Im Felde. 3. Aufl. Moskau 1974) Batow ist Stellvertre-ter des Befehlshabers im Militärbezirk Transkaukasien. Wiekommt er am Vorabend des Krieges an der Spitze eines Korpsauf die Krim? Welche Divisionen umfaßte dieses Korps? Wiesowar es ein Spezialkorps? Wer war der Stellvertreter des Korps-kommandeurs, wer der Stabschef? Wieso übte das Korps Ein-

schiffungsoperationen, das Anlanden an feindlichen Ufern, dasSprengen von Erdölbohrtürmen? Die Antworten auf diese Fra-gen können wir durch entsprechend langes Suchen finden, wirkönnen sie aus vielen verschiedenen Quellen gewinnen, nurnicht aus den Memoiren Batows, der diesen ganzen Zeitabschnitteinfach überschlagen hat.

Da wir hier keine Erklärung gefunden haben, wollen wir unsauf eine höhere Ebene begeben. Allerdings haben Stalin und dieMitglieder des Politbüros keine Memoiren geschrieben. Sobleibt uns als einzige Möglichkeit, um etwas in Erfahrung zu

bringen, der Griff zu den Memoiren von Marschall G. K. Schu-kow. Er war zu der betreffenden Zeit Chef des Generalstabs, erwar persönlich fü r die Dislozierung und Verlegung der Truppenverantwort lich; ohne seinen Sichtvermerk konnte kein einzigesBataillon verlegt werden, geschweige denn mehrere Regimen-

277

ter oder ganze Divisionen. Ja mehr noch: Der gesamte Mili-

tärtransportdienst war ihm unmittelbar unterstellt, das heißtalles, was die militärische Nutzung des Eisenbahnnetzes betraf.So öffnen wir denn gespannt den stattlichen Band mit

Schukows Erinnerungen und . . .Schukow gibt zu, daß es eine Truppenverlegung gegeben

hat. Schukow gibt zu, daß sie kolossale Ausmaße besaß, aberSchukow nennt keine genauen Daten und gibt keine Erklärun-gen. Er weicht einer Antwort aus. Anstelle von Zahlen und Er-klärungen bietet Schukow auf drei Seiten Beschreibungen derTruppenverlegung, doch er tut dies nicht von seiner hohenWarte als Generalstabschef aus. Schukow zitiert einfach dreiSeiten lang seinen Freund I. Ch. Bagramjan, der zu der ZeitOberst war. Hört nur, was Bagramjan darüber denkt, der keinenZugang zu Staatsgeheimnissen hatte! Hört einen Mann, der zur

gel iefert und werden es auch nicht mehr tun. Sie sind längst vondieser Welt abgetreten. Die Dokumente aber, die sie für ihreOperationen brauchten, wurden schon vor dem 22. Juni 1941vernichtet. Das ist der Grund, weshalb ich die schwierige Auf-gabe, eine Antwort zu suchen, auf mich genommen habe, dieSuche nach einer Antwort, die man sorgfältig vor uns verbirgt.

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g g gErsten Strategischen Staffel gehörte und nur die aus Moskaukommenden Befehle ausführ te, der nur Transport auf Transportübernahm, ohne Erklärungen zu erhalten, wozu dies nötig war.

Mein lieber Georgi Konstantinowitsch, Genösse Marschallder Sowjetunion! Wenn wir die Meinung von Iwan Christoforo-witsch Bagramjan kennenlernen wollen, dann schlagen wirselbst seine guten Bücher auf und blättern darin. Aus Ihren Me-

moiren aber wollen wir Ihre Ansichten erfahren, Ihre Zahlenund Ihre Erklärungen. Wir wollen die Situation von der schwin-delerregenden Höhe Ihrer Position überschauen und nicht vonder Warte des lieben Iwan Christoforowitsch. Er sagt viel, und ersagt es gut, er verfügt über eine glänzende Bildung, die Kunstder feinen Analyse, ein bemerkenswertes Gedächtnis und eineprächtige Kenntnis der Umstände. Aber er hatte an der Truppen-bewegung selbst nicht teil und hat sie auch nicht geleitet. DieseTruppenbewegung leiteten Sie!

Schukows geschicktes Rückzugsmanöver hinter den Rücken

von Bagramjan, das Fehlen genauer Zahlen und Erklärungenverstärken nur unseren Verdacht, daß hier nicht alles in Ord-nung ist, daß hier nicht alles gesagt wird, daß es hier etwas gibt,was weder damals noch heute zur Sprache kommen darf.

Die sowjetischen Marschälle haben uns keine Erklärungen

278 279

DIE VERWAISTEN MILITÄRBEZIRKE

Es ist eine seit langem eingeführteOrdnung in der Roten Armee:Während die Truppen noch im

Anmarsch sind, ist die Führungbereits an den Ort der bevorstehen-

den Aktionen vorausgeeilt. Marschall der Sowjetunion

K. K. Rokossowski (Soldatenpflicht,S.166)

l.

Auf seinem Weg nach oben in der militärischen Hierarchie ver-

galten. Natürlich hat jeder Militärbezirk seine eigene Bedeu-

tung. In den inneren Militärbezirken war ein gewaltiges Indu-striepotential konzentriert, durch die inneren Militärbezirkeverliefen die Transportadern des Landes, und die inneren Mili-tärbezirke umfaßten ein großes Menschenreservoir.

Am 13. Mai 1941 erreichte die Befehlshaber von sieben deracht inneren Militärbezirke (nur der Militärbezirk Moskau warausgenommen) eine Direktive von besonderer Wichtigkeit: dieStäbe der Militärbezirke waren in Armeestäbe umzuwandeln.Jeder Befehlshaber hatte sämtliche Korps und Divisionen sei-nes Militärbezirks zu einer Armee zusammenzufassen, persön-lich die Führung dieser Armee zu übernehmen und genau einenMonat später, am 13. Juni 1941, mit der getarnten Verlegungseiner Armee nach Westen zu beginnen.

Lassen Sie uns die Vorgänge am Beispiel der 186. Schützen-

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sieht ein sowjetischer General nacheinander die Funktion einesDivisionskommandeurs, Korpskommandeurs, Armeekomman-dierenden ... Die nächste Position, Befehlshaber eines Militär-bezirkes, bedeutet nicht bloß einen weiteren Schritt auf dermilitärischen Stufenleiter - es ist vielmehr ein abrupter quali-tativer Sprung, weil der Befehlshaber eines Militärbezirks nichteinfach ein militärischer Vorgesetzter mit einem besonders ho-

hen Dienstgrad ist, sondern weil er eine Art Militärgouverneurin einem riesigen Territorium darstellt, in dem Millionen Men-schen leben. Der Befehlshaber eines Militärbezirks trägt nichtnur die Verantwortung für die Truppen und deren militärischeAusbildung, sondern auch für die Vorbereitung der Bevölke-rung, der Industrie, des Transportwesens, der Landwirtschaftdieser Region auf die Erfordernisse der Kriegsführung. DerBefehlshaber eines Militärbezirks ist verantwortlich für die Auf-rechterhaltung des kommunistischen Regimes in dem ihm an-vertrauten Territorium, das er erforderlichenfalls mit militäri-

scher Gewalt schützen wird.Vor dem Zweiten Weltkrieg war die Sowjetunion in 16 Mili-tärbezirke unterteilt (auch gegenwärtig sind es 16), von denenacht an fremde Staaten grenzten, während die anderen achtMilitärbezirke ohne Auslandsgrenzen als innere Militärbezirke

280

g g pdivision des Militärbezirks Ural verfolgen:

Am 13. Juni 1941 begann die 186. Schützendivision und mitihr alle anderen Divisionen des Militärbezirks Ural mit demheimlichen Abrücken in Richtung Westen. Die Divisionen wur-den in zwei Korps vereinigt, die ihrerseits die 22. Armee bilde-ten. Der Befehlshaber des Militärbezirks Ural, GeneralleutnantF. A. Jerschakow, trat persönlich an die Spitze dieser Armee.

Das Mitglied des Militärrats des Militärbezirks KorpskommissarD. S. Leonow und der Stabschef des Militärbezirks, General-major G. F. Sacharow, wurden dementsprechend zum Mitgliedbzw. Stabschef der neuen Armee. Die Chefs der Artillerie, derPioniertruppen, der Rückwärtigen Dienste, der Nachrichten-truppen und aller sonstigen Truppenteile wurden mit ihren Unter-gebenen in die 22. Armee eingegliedert, in Eisenbahnwaggonsverladen und nach Westen in Marsch gesetzt.

Wer aber bleibt im Ural? Im Ural liegt Magnitogorsk mit sei-nem Eisenhüttenkombinat, der Uralmasch (S. Ordschonikidse-

Schwermaschinenbaubetrieb) in Swerdlowsk, die »Traktoren«-Werke in Tscheljabinsk mit ihrer Panzerproduktion, die derStadt den inoffiziellen Namen Tankograd (Panzerstadt) ein-getragen hat. Der Ural ist Standort einer leistungsfähigen Rü-stungsindustrie; durch den Militärbezirk Ural verlaufen wich-

281

tige Verkehrswege, dort befinden sich Konzentrationslager mitHunderttausenden und vielleicht sogar Millionen von Straf-

gefangenen. Ist es nicht riskant, dieses ganze Territorium ohneeinen Militä rgouverneur zu belassen? Man wird mir entgegnen,

  jeder Befehlshaber habe einen Stellvertreter, dessen Aufgabegerade darin bestehe, den Befehlshaber in dessen Abwesenheitzu vertreten. Doch eben hier ergibt sich ein Problem, weil näm-lich der Stellvertreter des Befehlshabers im Militärbezirk Ural,Generalleutnant M. F. Lukin, schon zuvor den Befehl erhaltenhatte, sich nach Transbaikalien zu begeben. Dort hatte er die16. Armee aufgestellt, und zum Zeitpunkt der Verbreitung desTASS-Kommuniques befindet sich seine Armee bereits auf 

dem Weg von Transbaikalien nach Westen. Das ist der Grund,weshalb sich nach dem Fortgang der gesamten militärischenFührung an der Spitze des Militärbezirks Ural der völlig unbe-kannte Generalmajor A W Katkow praktisch ohne militäri

sondern in der Ukraine befand, genauer gesagt in Tscherkassy.wo lauf end die Transportzüge der 19. Armee eint rafen. Daß Rei -

ter sich in der Ukraine aufhielt, wissen wir nicht nur aus denMemoi ren von Marschall der Sowjetunion M. W. Sacharow, son-dern auch aus vielen anderen Quellen, u. a. aus den Memoirenvon Marschall der Sowjetunion L Ch. Bagramjan. (So begannder Krieg , S. 63)

Werfen wir einen Blick auf die Kommandeure der Flieger-kräfte des Militärbezirks Nordkaukasus: Chef der Fliegerkräfteist Generalmajor der Luftstreitkräfte Je. M. Nikolajenko, Stabs-chef der Fliegerkräfte ist Oberst N. W. Kornejew, Kommand eurder Jagdfliegerdivision ist Generalmajo r der Lufts trei tkrä fte Je.

M. Belezki. Nach der Verbreitung des TASS-Kommuniques fin -den wir sie in denselben Dienststellungen, nur nicht in ihremMilitärbezirk, sondern in der 19. Armee, die heimlich in dieUkraine verlegt wird

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kannte Generalmajor A. W. Katkow praktisch ohne militäri-schen Stab befand.

Dasselbe spielte sich im Militärbezirk Charkow ab. Wir wis-sen bereits, daß am Vorabend des Krieges an der rumänischenGrenze die 18. Armee aufgestellt wurde. Führung und Stab die-ser Armee setzten sich aus Führung und Stab des MilitärbezirksCharkow zusammen. Der Befehlshaber des Militärbezirks,

Generalleutnant A. K. Smirnow, der Stabschef, GeneralmajorW. Ja. Kolpaktschi, der Chef der Fliegerkräfte des Militärbezirks,Generalmajor S. K. Gorjunow, waren mitsamt ihren Unterge-benen an die rumänische Grenze beordert worden, zur neuen18. Armee - der Militärbezirk aber blieb ohne Führung.

Die 19. Armee besteht aus sämtlichen Truppen und Stäbendes Militärbezirks Nordkaukasus. Der Befehlshaber dieses Mili-tärbezirks, Generalleutnant I. S. Konew, hatte alle Truppen sei-nes Militärbezirks in der 19. Armee zusammengefaßt, war andie Spitze dieser Armee getreten und heimlich in Richtung We-sten aufgebrochen, und wieder blieb der Militärbezirk ohne jeg-liche militärische Kontrollorgane zurück. Theoretisch hätte anseiner Stelle sein Stellvertreter, der deutsche Kommunist Gene-ralleutnant Max Reiter, zurückbleiben müssen, aber wir wissenbereits, daß auch dieser sich zu der Zeit nicht im Kaukasus,

282

Ukraine verlegt wird.Die 20. Armee rekrutierte sich aus dem Militärbezirk Orjol.

Der Befehlshaber des Militärbezirks, Generalleutnant F. N. Re-mesow, hat seine eigenen Truppen und die Truppen des Militär-bezirks Moskau unter seinem Befehl vereint, den Stab seinesMilitärbezirks in den Stab der 20. Armee umgewandelt und sichin Richtung Westen in Bewegung gesetzt, womit er Zent ralruß-

land seinem Schicksal ohne militärische Kontrolle überließ.Die 21. Armee ist nichts anderes als der Militärbezirk Wolga.Der Befehlshaber des Militärbezirks Wolga, GeneralleutnantW. F. Gerassimenko, wurde zum Kommandierenden der 21. Armee,der Stabschef des Militärbezirks, General W. N. Gordow, zumStabschef der 21. Armee. Die Chefs der verschiedenen Truppen-gattungen und Dienste, Hunderte anderer Truppenführer än-derten in ihren Dienstbezeichnungen einfach »MilitärbezirkWolga« in »21. Armee« um. Soll ten Sie zum Beispiel auf die In-formation stoßen, daß der Hauptmarschall der LuftstreitkräfteG. A. Woroschejkin Anfang 1941 (damals natürlich mit einemniedrigeren Dienstgrad) die Fliegerkräfte des MilitärbezirksWolga befehligt habe, dann können Sie ruhigen Gewissens,ohne einen Blick in die Archive zu werfen, behaupten, daß ernach dem 13. Juni Chef der Fliegerkräfte der 21. Armee gewor-

283

den sei und sich auf dem Weg zur deutschen Grenze befundenhabe. Wenn Sie wissen, daß der Generaloberst der Pioniertrup-

pen Ju. W. Bordsilowski zu derselben Zeit in eben diesem Mili-tärbezirk (natürlich mit einem niedrigeren Dienstgrad) in derPionierabteilung des Stabes gedient habe, dann können Sieunbesorgt behaupten, daß er nach dem TASS-Kommunique inder Pionierabteilung des Stabes der 21. Armee eingesetzt gewe-sen sei.

Im Militärbezirk Sibirien (unter dem Befehlshaber General-leutnant S. A. Kalinin) war die 24. Armee aufgestellt worden undim Militärbezirk Archangelsk (unter Generalleutnant W. Ja.Katschalow) die 28. Armee.

An einem einzigen Tag, dem besagten 13. Juni 1941, brachpraktisch mit dem Augenblick der Verbreitung dieser seltsamenNachrichten durch den sowjetischen Rundfunk in den riesigenGebieten Zentralrußlands des Nordkaukasus Sibiriens im

Vertreter, den Stabschef und den gesamten Stab bei seinemheimlichen Aufbruch nach Westen mitgenommen, Stalin aber

hat te nicht zur gleichen Zeit einen neuen General als Nachfolgerberufen . So hatte zum Beispiel der Befehlshaber des Militär-bezi rks Sibirien, Generalleutnant S. A. Kalinin, sämtliche Trup-pen und den Stab seines Militärbezirks zur 24. Armee zusam-mengefaßt und diese nach Westen geführt, während ein neuerGeneral erst 1942 in Sibirien eintraf. (Sowjetische Militärenzy-klopädie, Bd. 7, S. 338) In allen anderen inneren Militärbezir-ken tauchten die neuen Befehlshaber entweder mit mehrmona-tiger Verspätung auf, oder man griff auf drittrangige Generalezurück, die weder jemals zuvor noch jemals danach wieder mit

der Führung eines Militärbezirks oder einer Armee betrautwurden. Ein Beispiel dafür ist Generalmajor M. T. Popow imMilitärbezirk Wolga.

So bleibt uns nur die Vermutung daß allen diesen Befehls

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Gebieten Zentralrußlands, des Nordkaukasus, Sibiriens, imUral, von Archangelsk bis zum Kuban und von Orjol bis Tschitadie bisherige militärische Territorialordnung zusammen. Hättees einen Aufstand gegeben, wäre niemand zu seiner Unterdrük-kung dagewesen: Sämtliche Divisionen befanden sich auf demWeg zur deutschen Grenze. Ja nicht einmal die Entscheidungzur Unterdrückung des Aufstandes hätte fallen können: Alle

Generale waren ebenfalls heimlich nach Westen aufgebrochen.Aufstände werden vom NKWD unterbunden, aber unter entspre-chend ernsten Umständen reichen die NKWD-Truppen allein nichtaus, dann muß auf die Armee zurückgegriffen werden. Im übrigengingen bei den NKWD-Truppen zur selben Zeit nicht wenigerseltsame Dinge vor sich, auf die ich noch kommen werde.

Was aber steht hinter alledem? Traut Stalin vielleicht seinenBefehlshabern in den inneren Militärbezirken nicht mehr, undhat er deshalb beschlossen, sie alle gleichzeitig ihrer Posten zuentheben? Nein, das ist nicht der Grund. Alle, denen Stalin miß-

traute, hatte er vorsorglich schon früher beseitigen lassen undin ihre Positionen diejenigen berufen, die sein Vertrauen be-saßen. Hier gilt es unbedingt im Auge zu behalten, daß anstelleder abgezogenen Generale praktisch niemand zurückgebliebenwar. Jeder Befehlshaber eines Militärbezirks hatte seinen Stell-

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So bleibt uns nur die Vermutung, daß allen diesen Befehls-habern und Kommandeuren etwas Wichtigeres zu vollbringenvorbehalten war als den Schutz der Sowjetmacht in den innerenRegionen der Sowjetunion zu garantieren. Hätte man etwasminder Wichtiges im Sinne gehabt, wären sie alle auf ihren Po-sten geblieben.

2.Unter den acht inneren Militärbezirken stellt der MilitärbezirkMoskau eine Ausnahme dar. Das ist verständlich - Moskau istdie Hauptstadt des Landes. Hier lag die Führung im Unter-schied zu allen anderen inneren Militärbezirken nicht in denHänden eines Generalleutnants, ja nicht einmal in denen einesGeneralobersten - Befehlshaber im Militärbezirk Moskau warArmeegeneral I. W. Tjulenew.

Nun aber verlassen unter dem Schutz des TASS-Kommuni-

ques die sowjetischen Generale, die Stäbe und Truppen die inne-ren Militärbezirke, und selbst die Sonderstellung des Militär-bezirks Moskau bewahrte ihn nicht vor diesem Los. SämtlicheTruppen wurden zur Verstärkung der Ersten Strategischen Staf-fel und der 20. Armee der Zweiten Strategischen Staffel abgege-

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ben. Sämtliche Vorräte an Waffen, Munition und sonstigem Habund Gut des Militärbezirks Moskau wurden an die Westgrenzen

geschickt. Danach war die militärische Führung an der Reihe.Natürlich nahm General I. W. Tjulenew zu der Zeit einen zuhohen Rang ein (und er genoß zudem das besondere VertrauenStalins), um nur mit dem Kommando über eine Armee betrautzu werden. Auf einen im Beisein Stalins vom Politbüro gefaßtenBeschluß hin wurde Tjulenew zum Befehlshaber der Süd-Fronternannt. Beim Aufbruch dorthin nahm er den ganzen Stab desMilitärbezirks Moskau unter Generalmajor G. D. Schischeninmit. Die Zusammensetzung der Südfront kennen wir bereits: esist die 9. (extrem starke) und die 18. (Gebirgsjäger-)Stoßarmee,

das 9. Spezial-Schützenkorps und das 3. Luftlandekorps sowiedie Fliegerkräfte dieser Front.

Der Beschluß, Führung und Stab des Militärbezirks Moskauin dieFührung der Süd-Front umzuwandeln und sie nachWinniza

Funktion, von der aus er zum Militärbezirk Moskau kam, wardie eines Chefs der Hauptverwaltung der operativen Truppen

des NKWD. Im Juli ernannte Stalin auch ein Mitglied des Militär-rats des Militärbezirks Moskau - den Divisionskommissar derNKWD-Truppen (und späteren Generalleutnant) K. F. Telegin.Auch er ist ein reinblütiger Tschekist, der früher in den Osnas-Finheiten gedient hatte, während der Großen Säuberung poli-tischer Kommissar im NKWD-Bezirk Moskau der Inneren Trup-pen war und später einen verantwortungsvollen Posten imzentralen NKWD-Apparat einnahm.

Und das ist nun wirklich erstaunlich: Selbst während derGroßen Säuberung waren die Militärbezirke in militärischen

Händen geblieben. Jetzt aber gibt es keinen Unterschied mehrzwischen dem NKWD-Bezirk Moskau und dem MilitärbezirkMoskau. Theoretisch existiert ein Militärbezirk Moskau, aber erverfügt nicht mehr über Kampfeinheiten der Roten Armee son-

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in die Führung der Süd Front umzuwandeln und sie nach Winnizazu verlegen, war am 21. Juni 1941 gefaßt worden, doch gibt esgenügend Hinweise darauf, daß für die Offiziere dieses Stabesder Beschluß nicht unerwartet kam, ja mehr noch, viele Stabs-abteilungen waren zu diesem Zeitpunkt bereits auf den Wegdorthin in Marsch gesetzt. Ein Beispiel: Generalmajor A. S. Ossi-penko, Stellvertreter des Chefs der Fliegerkräfte im Militär-

bezirk Moskau, befand sich Anfang Juni 1941 bereits an derrumänischen Grenze.Führung und Stab des Militärbezirks Moskau waren nach

Winiza aufgebrochen und hatten ihren Militärbezirk, auf des-sen Territorium die Hauptstadt des Landes liegt, verlassen,ohne ihre Aufgaben irgendjemandem übertragen zu können, daanstelle der abgezogenen Kommandeure keine neuen ernanntworden waren.

Blieb etwa auch der Militärbezirk Moskau ohne militärischeFührung? So ist es. Gewiß, am 26. Juni 1941, d. h. nach demdeutschen Angriff, hatte das Kommando über den MilitärbezirkMoskau Generalleutnant P. A. Artemjew übernommen. (Der Mi-litärbezirk Moskau. Moskau 1985, S. 204) Formal ist der Postendes Befehlshabers besetzt. Aber praktisch ist niemand da!Artemjew kommt nicht von der Armee. Er ist ein Tschekist. Die

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verfügt nicht mehr über Kampfeinheiten der Roten Armee, sondern nur über zwei NKWD-Divisionen und fünfundzwanzigselbständige Jägerbataillone — und sie sind ebenfalls NKWD-Einheiten.

Generalleutnant K. F. Telegin erinnert sich, daß in demAugenblick, als im Stab des Militärbezirks Moskau die »neuenLeute«, d. h. die Tschekisten, auftauchten, viele Stabsabteilun-

gen spürbar geschwächt wurden, und die wichtigsten, ohne dieein Militärbezirk nicht existieren kann — die Operative Abtei-lung und die Abteilung Aufklärung - gab es überhaupt nicht.Den »neuen Leuten« mangelte es an militärischem Fachwissen,und sie mußten »nicht wenig Kräfte und Zeit aufwenden, umsich mit den Verhältnissen im Militärbezirk, mit seinen Auf-gaben und Möglichkeiten, vertraut zu machen«.

So haben sich denn unter dem Schutz des TASS-Kommuni-ques die Generalstabsoffiziere an der Spitze von Armeen und ineinem Falle sogar an der Spitze einer Front heimlich an diedeutschen Grenzen begeben und sämtliche inneren Militärbe-zirke der Willkür des Schicksals (und des NKWD) überantwor-tet. Es steht unbestreitbar fest, daß sich etwas Vergleichbares inder ganzen sowjetischen Geschichte weder davor noch später

  jemals ereignet hat, und es ist ebenso unbestreitbar, daß eine

287

derartige Bewegung in einer bestimmten Richtung unmittelbarmit einem Krieg in Verbindung stand, der fü r die Sowjetunion

völlig unvermeidlich und unabwendbar war. Hätte es auch nurden geringsten Zweifel an der Unvermeidbarkeit dieses Kriegesgegeben, dann wären doch wenigstens an der einen oder ande-ren Stelle die Befehlshaber auf ihren Posten geblieben.

 Aber: Diese Aktionen der sowjetischen Führung stellten keineVorbereitungen auf einen Verteidigungskrieg dar. In einemlangwierigen Verteidigungskrieg werden nicht sämtliche Be-fehlshaber und Generalstabsoffiziere an die Grenzen des Geg-ners geschickt, ein paar militärische Experten beläßt man auchin den Territorien, in denen der Gegner plötzlich auftauchen

könnte. Außerdem ist in einem langwierigen Verteidigungskriegunbedingt die Anwesenheit wirklicher militärischer Generale(und nicht die von Polizeioffizieren) in den Räumen mit denwichtigsten Industriezentren und Verkehrsadern des Landes

WESHALB HAT STALIN

CHURCHILL NICHT GETRAUT?

l.Weshalb hätte Stalin Churchill trauen sollen?

Wer war dieser Churchill? Ein Kommunist? Ein großer Freundder Sowjetunion? Ein glühender Verfechter der weltweitenkommunistischen Revolution?

Wenn wir einen Brief erhalten, der eine nicht ganz gewöhn-liche Information enthält, stellen Sie und auch ich uns die

Frage, wie ernst diese Informationsquelle zu nehmen ist. Ichvermute, daß auch Stalin sich diese Frage stellte. Wer war eigent-lich dieser Churchill vom Standpunkt der sowjetischen Kommu-nisten? Churchill war der erste politische Führer der Welt, der

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wichtigsten Industriezentren und Verkehrsadern des Landeserforderlich, und zwar zu deren Schutz wie auch zur umfassen-den und richtigen Nutzung des gesamten militärischen Poten-tials dieses gewaltigen Hinterlandes für die Erfordernisse derKriegsführung.

Nur wenn die sowjetische Führung einen blitzartigen Über-raschungsfeldzug auf dem gegnerischen Territorium plant, der

sich vornehmlich auf die vor Ausbruch des Krieges mobilisier-ten Vorräte stützt und weniger auf die Waffenproduktion imLaufe des Krieges, dann allerdings haben die Generale in denIndustriezentren nichts mehr zu tun, dann ist ihr Platz an denGrenzen des Gegners.

Sind wir zu weit gegangen mit unseren Überlegungen? 0nein. Generalleutnant K. F. Telegin, Sie haben das Wort: »Daman davon ausging, daß der Krieg auf dem Territorium des Geg-ners geführt werden würde, waren die in der Vorkriegszeit in-nerhalb des Militärbezirks angelegten Mobilmachungsvorräte

an Bewaf fnung, Versorgungsgütern und Munition in die Grenz-bezirke verlagert worden.« (»Militärhistorische Zeitschrift«1962, Nr. l, S. 36)

Habe wirklich nur ich mir dies alles ausgedacht?

288

nisten? Churchill war der erste politische Führer der Welt, derbereits 1918 die große Gefahr des Kommunismus begriff undalles tat, um dem russischen Volk bei dem Versuch, sich davonzu befreien, behilflich zu sein. Diese Anstrengungen reichtenzwar nicht aus, dennoch hatte Churchill mehr getan als vieleanderen führenden Staatsmänner in der Welt. Churchill ist einFeind der Kommunisten und hat dies niemals verheimlicht.

Churchill äußerte 1918 die Idee, mit Deutschland im Kampf gegen die sowjetische kommunistische Diktatur zusammenzu-arbeiten. (Der Bürgerkrieg und die militärische Intervention inder UdSSR. Enzyklopädie. Moskau 1983, S. 653) Churchill hattebereits zu einer Zeit aktiv und beharrlich die Kommunistenbekämpft, als es den Reichskanzler Hitler noch gar nicht gab,sondern nur den einfachen Gefreiten.

Lenin hat Churchill als den »größten Hasser Sowjetrußlands«definiert. (Vollständige Werkausgabe, Bd. 41, S. 350)

Wenn Ihr größter Feind, der Mensch, der Sie am meistenhaßt, Ihnen einen Brief mit einer Warnung vor Gefahren zu-kommen läßt, werden Sie ihm dann wohl großen Glaubenschenken?

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2.Um Stalins Verhältnis zu den Churchill-Briefen zu verstehen,

muß man sich die damalige politische Situation in Europavergegenwärtigen.

Im diplomatischen Krieg der dreißiger Jahre ist die Situa-tion Deutschlands denkbar ungünstig. Dank seiner Lage imZentrum Europas steht es auch im Mittelpunkt sämtlicherKonflikte. Wo immer ein Krieg in Europa ausbrechen mag, wirdDeutschland fast unweigerlich hineingezogen werden, weshalbdie diplomatische Strategie vieler Länder in den dreißiger Jah-ren auf eine Position hinausläuft, die etwa lautet: Setzt ihr euchruhig mit Deutschland auseinander, ich will mich lieber abseits

halten. München ist ein eklatantes Beispiel für diese Denk-weise.

Der diplomatische Krieg der dreißiger Jahre wurde vonStalin und Molotow gewonnen. Durch den Molotow-Ribbentrop-

Flottenadmiral der Sowjetunion N. G. Kusnezow: »Stalinhat te natürlich absolut hinreichende Gründe zu der Annahm e,

daß England und Amerika es darauf anlegten, uns und D eutsch-land mit den Köpfen zusammenzustoßen.« (Am Vorabend,S. 321)

Bei jedem Brief von Churchill konnte Stalin, auch ohne ihngelesen zu haben, den Inhalt erraten. Was braucht Churchill?Was beunruhigt ihn? Ist es die Sicherheit des kommunistischenRegimes in der Sowjetunion, oder hat Churchill wichtigereBeweggründe? Wovon kann Churchill in politischer Hinsichtträumen? Doch wohl nur, wie ein Rollentausch mit Stalin zuerreichen wäre, damit Stalin sich mit Hitler herumschlagen

muß, während Churchill bei der Rauferei als Außenstehenderzusieht.In dieser Situation ist Churchill selbst viel zu sehr involvier t,

als daß Stalin seinen Worten hätte Glauben schenken können .

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g pPakt gab Stalin grünes Licht für den Zweiten Weltkrieg, wäh-rend er selbst »neutraler« Beobachter blieb und unterdesseneine Million Fallschirmspringer für den Fall »unerwarteterWendungen« ausbilden ließ.

Großbritannien und Frankreich hatten den diplomatischenKrieg verloren und waren nun gezwungen, einen echten Krieg

zu führen. Dabei scheidet Frankreich rasch aus dem Kriege aus.Worin besteht also das politische Interesse Englands? Betrach-tet man die Lage aus dem Blickwinkel des Kreml, dann kannman sich nur ein einziges politisches Ziel Churchills vorstellen:einen Blitzableiter für den deutschen Blitzkrieg zu finden undden deutschen Schlag von Britannien in irgendeine andereRichtung abzulenken. In der zweiten Jahreshälfte von 1940konnte dieser Blitzableiter nur die Sowjetunion sein.

Einfacher gesagt: Britannien möchte (nach Stalins Meinung,die er auch offen am 10. März 1939 ausgesprochen hat), daß dieSowjetunion und Deutschland aneinandergeraten, während esselbst bei der Prügelei abseits bleibt. Ich weiß nicht, ob sichChurchill mit dieser Absicht trug, aber vor diesem Hintergrundinterpretierte Stalin jede Aktion der britischen Regierung undDiplomatie.

290

3.Um Stalins Einstellung zu den Churchill-Br iefen zu verstehen,muß man sich auch die strategische Lage in Europa ins Ge-dächtnis rufen. Grundprinzip der Strategie ist die Konzentra-

tion. Machtkonzentration gegen Schwäche. Im Ersten Weltkriegkonnte Deutschland diese Grundkonzeption der Strategie nichtanwenden , weil es an zwei Fronten zu kämpfen hatte. Der Ver-such, gleichzeitig an zwei Fronten Stärke zu zeigen, führte zueiner allgemeinen Schwäche, die Versuche zur Konzentrationstarker Kräfte an einer Front hatten automatisch eine Schwä-chung der anderen Front zur Folge, was von der gegnerischenSeite umgehend ausgenutzt worden war. Wegen des Vorhanden-seins zweier Fronten war Deutschland damals gezwungen, auf das Prinzip des Einsatzes konzentrierter Kräfte zu verzichtenund damit auch auf eine Strategie, die auf eine Zerschlagungder gegnerischen Kräfte ausgerichtet ist; statt dessen mußte siedurch die einzige Alternative ersetzt werden - die Strategie derZermürbung. Doch Deutschlands Ressourcen sind begrenzt, dieRessourcen der Gegner dagegen unbegrenzt. Deshalb konnte

291

ein Zermürbungskrieg für Deutschland nur in einer Katastro-phe enden.

Das deutsche Oberkommando der Wehrmacht und selbstHitler hatten im Zweiten Weltkrieg ausgezeichnet begriffen,daß ein Zweifrontenkrieg einer Katastrophe gleichkäme. In denJahren 1939 und 1940 hatte es Deutschland auf Dauer prak-tisch mit nicht mehr als einer Front zu tun. Deshalb war es demOKW möglich, das Prinzip der Kräftekonzentration anzuwen-den, und dies hat es glänzend getan, indem es das gewaltigedeutsche militärische Potential nacheinander erst gegen deneinen, hernach gegen den nächsten Gegner zum Einsatzbrachte.

Worin besteht die Hauptaufgabe der deutschen Strategie? Inder Vermeidung eines Zweifrontenkrieges. Nur an einer Frontzu kämpfen ist gleichbedeutend mit dem Erringen glänzenderSiege. Zwei Fronten wären die Abkehr vom entscheidenden

Ü

Zweite Weltkrieg wird diese Regel später abermals bestätigen,wobei für Hitler persönlich der Zweifrontenkrieg den Selbst-

mord im wahren Sinn des Wortes bedeuten wird.Hätte Ihnen jemand im Jahre 1940, nachdem Frankreich ge-

fallen war, gesagt, Hitler bereite sich auf einen selbstmörderi-schen Zweifrontenkrieg vor, würden Sie dem Betreffenden wohlgeglaubt haben? Ich nicht.

Wenn die sowjetische militärische Aufklärung etwas derar-tiges gemeldet hätte, würde ich ihrem Chef, General Golikow,geraten haben, seinen Posten aufzugeben, zur Militärakademiezurückzugehen , um nochmals die Ursachen für die NiederlageDeutschlands im Ersten Weltkrieg zu studieren. Hätte mir diese

Neuigkeit von dem selbstmörderischen Krieg eine unbeteiligteneutrale Person erzählt, würde ich ihr geantwortet haben, daßHitler kein Idiot sei - wahrscheinlich bist du es selber, lieberZeitgenosse, wenn du glaubst, daß Hitler sich freiwillig auf 

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Prinzip der Strategie, es würde den Übergang vom Prinzip derVernichtung zum Prinzip der Zermürbung bedeuten, und dashieße keinen Blitzkrieg mehr, sondern hieße das Ende und dieKatastrophe.

Worauf kann Churchill 1940 in strategischer Hinsicht hof-fen? Doch nur darauf, daß der Krieg für Deutschland aus einemEinfrontenkrieg zu einem Zweifrontenkrieg wird.

Hitler selbst ging davon aus, daß es unmöglich sein würde,den Krieg an zwei Fronten zu führen. Bei einer Besprechungdes Oberkommandos des Heeres am 23. November 1939 sprachHitler davon, daß man einen Krieg gegen die Sowjetunion erstführen könne, wenn der Krieg im Westen beendet sei.

Und nun stellen Sie sich vor, da ist eine Person, die Ihnen1940 die Nachricht zukommen läßt, Hitler beabsichtige, auf dieAnwendung dieses großen strategischen Prinzips zu verzichtenund anstelle einer Konzentration die Zersplitterung seinerKräfte vorzubereiten. Stellen Sie sich vor, da ist eine Person, die

Ihnen beharrlich zu suggerieren versucht, Hitler wolle mit vol-ler Absicht den entscheidenden Fehler Deutschlands im ErstenWeltkrieg wiederholen. Jeder Schuljunge weiß, daß ein Kriegan zwei Fronten für Deutschland den Selbstmord bedeutet. Der

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einen Zweifrontenkrieg einlassen könnte.Churchill war derjenige Mensch auf der ganzen Welt, der

das größte Interesse daran haben mußte, daß Hitler anstelleeiner Front deren zwei bekam. Wenn Ihnen Churchill unter die-sen Umständen heimlich anvertrauen würde, daß Hitler sichauf einen Zweifrontenkrieg vorbereite, wie würden Sie wohldiese Mitteilung auffassen?

4.Abgesehen von der rein strategischen und politischen Lage istauch die allgemeine Atmosphäre zu berücksichtigen, in derChurchill seine Botschaften schrieb und Stalin diese las.

Am 21. Juni 1940 war Frankreich gefallen, und der Zugriff der deutschen U-Boote auf die Seewege hatte eine spürbareIntensivierung erfahren. Dem mit der ganzen Welt durch engeHandelsbeziehungen verknüpften Inselstaat Großbritannien

drohte eine Seeblockade, eine schwere Handels-, Industrie- undFinanzkrise. Schlimmer noch, die deutsche Kriegsmaschinerie,die vielen zu diesem Zeitpunkt unbesiegbar erscheint, bereitetsich intensiv auf eine Landung auf den britischen Inseln vor.

293

In dieser Situation schreibt Churchill am 2 5. Juni Stalin einenBrief. Am 30. Juni werden von den deutschen Stre itkräften die

britischen Kanalinseln Guernsey und Jersey besetzt. Im Verlauf der tausendjährigen Geschichte Britanniens gibt es nur wenigeFälle, in denen ein Gegner auf einer britischen Insel gelandetist. Was wird als nächstes folgen? Die Landung in England?Guernsey und Jersey waren ohne Widerstand eingenommenworden. Wie lange wird Britannien Widerstand leisten?

Genau am Tage nach der Besetzung von Guernsey undJersey durch Deutschland erhält Stalin Churchills Botschaft.

Fragen wir uns, worin Churchills Interesse besteht. Will erdie kommunistische Diktatur in der Sowjetunion retten oder

das Britische Imperium? Ich glaube, daß es die britischen Inter-essen waren, die Churchill veranlaßten, diesen Brief zu schrei-ben. Wenn Sie und ich dies so verstehen, sollte es da nicht auchStalin in diesem Sinne aufgefaßt haben? Churchill ist für Stalink i t l B b ht d f d h ftli h G fühl

dort befi nden sich in einer katastrophalen Lage. Die Frage la u-tet nur noch, ob ihre Evakuierung gelingen wird oder nicht . In

dieser Situation erhält Stalin Churchills wichtigsten Brief.Stalin hatte gute Gründe für seinen Argwohn nicht nurhinsichtlich der Motive Churchills, sondern auch im Hinblickauf die Quellen der Information. Churchill hatte Stalin einenBrief im Juni 1940 geschrieben. Warum aber schrieb derselbeChurchill nicht ähnlich lautende Briefe im Mai desselben Jahresan die Regierung Frankreichs und seine eigenen Truppen auf dem Kontinent?

Churchi ll schreibt an Stalin im April 1941, aber einen Mona tspäter führen die deutschen Streitkräfte die glänzende Lande-operation auf Kreta durch. Weshalb - so mochte Stalin immer-hin denken - arbeitet die britische Aufklärung ausgezeichnet,wenn es um die Interessen der Sowjetunion geht, aber warumist sie nicht ebenso erfolgreich, wenn es um die Interessen vonGroßbritannien geht?

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kein neutraler Beobachter, der aus freundschaftlichen Gefühlenauf eine Gefahr aufmerksam macht, sondern ein Mann, derin eine schwierige Situation geraten ist, ein Mann, der Hilfebraucht, Verbündete im Kampf gegen einen furchtbaren Feind.Deshalb verhält sich Stalin so vorsichtig gegenüber ChurchillsBriefen.

Churchill hat mehrere Briefe an Stalin gerichtet. Aber un-

glücklicherweise erreichten sie alle Stalin zu einem Zeitpunkt,als sich Churchill selbst in einer recht schwierigen Lage befand.Nehmen wir zum Beispiel den bekanntesten Churchill-Brief ausdieser Serie, den Stalin am 19. April 1941 erhielt . Sämtlichesowjetischen und auch andere Historiker sind sich darübereinig, daß gerade dieser Brief die entscheidende Warnung anStalin enthalten habe. Der Brief wird ausgiebig von vielen Histo-rikern zitiert. Wir wollen jedoch zunächst nicht den Brieftext,sondern Churchills Situation betrachten. Am 12. April habendeutsche Truppen Belgrad erobert. Am 13. April stößt Rommel

bis zur ägyptischen Grenze vor. Am 14. April ergibt sich Jugosla-wien. Am 16. April wird bei einem Bombenangriff auf LondonSt. Paul's Cathedral beschädigt. Im April steht Griechenlandunmittelbar vor der Kapitulation, und die britischen Truppen

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Großbritannien geht?

5.Und schließlich gibt es einen noch triftigeren Grund dafür, daßStalin Churchills »Warnungen« nicht glaubte - Churchill hatStalin vor der deutschen Invasion gar nicht gewarnt.

Die kommunistische Propaganda hat große Anstrengungenunternommen, um den Mythos von Churchills »Warnungen« zuuntermauern. Zu diesem Zweck zitierte Chruschtschow Chur-chills Botschaft an Stalin vom 18. April 1941. Der ausgezeich-nete sowjetische Militärhistoriker (und höchst raffinierte Fäl-scher) W. Anfilow zitiert diese Botschaft Churchills in allen sei-nen Büchern. Marschall der Sowjetunion G. K. Schukow führtden Wortlaut der Botschaft vollständig an. Armeegeneral S. P.Iwanow tut dasselbe. Die offizielle »Geschichte des GroßenVaterländischen Krieges« hämmert uns beharrlich die Sache

mit Churchills Warnungen ein und zitiert die Botschaft vom18. April vollständig. Obendrein finden wir Churchills Botschaftin Dutzenden und Hunderten sowjetischer Bücher und Auf-sätze.

295

Und so lautet sie:»Ich bekam von einem vertrauenswürdigen Agenten die

zuverlässige Information , daß die Deutschen, nachdem sie fest-gestellt haben, daß ihnen Jugoslawien ins Garn gegangen ist,das heißt am 20. März, mit der Verlegung von drei der fünf inRumänien liegenden Panzerdivisionen in das südliche Polen be-gonnen haben. In dem Augenblick, als sie von der serbischenRevolution erfuhren, wurde diese Truppenverlegung rückgän-gig gemacht. Eure Exzellenz wird leicht die Bedeutung dieserFakten zu würdigen wissen.«

In dieser Fassung wird Churchills Botschaft von sämtlichensowjetischen Quellen publiziert, wobei sie auf der Versicherungbeharren, daß dies in der Tat eine »Warnung« sei. Ich persön-lich kann überhaupt keine Warnung darin erkennen. Anstelleeiner Warnung ist es eher eine Rätselfrage nach dem Motto: Undnun zerbrich dir selbst dein Köpfchen, liebe Marusenka, waswohl dahinterstecken mag

neter Aufmarschplatz für eine Offensive: Die Versorgung derdeuts chen Truppen gestaltete sich in Rumänien schwieriger als

in Polen; im Falle einer Aggression von Rumänien aus ist derWeg zu den lebenswichtigen Zentren Rußlands fü r den Angrei-fer weit länger und beschwerlicher, er hat eine Menge von Hin-derni ssen zu überwinden — einschließlich des Dnjepr an seinemU n t e r l a u f .

Wenn Stalin sich tatsächlich auf eine Verteidigung vorberei-tet und Churchills »Warnung« Glauben geschenkt hätte, würdeer erleichtert aufgeatmet und das Tempo seiner militärischenVorbereitungen gemäßigt haben. Churchill nennt zudem denGrund, weshalb die deutschen Truppen nicht nach Polen verlegt

werden, sondern in Rumänien bleiben: Die Deutschen habenProbleme in Jugoslawien insgesamt, und insbesondere in Ser-bien. Mit anderen Worten: Churchill sagt, die deutschen Panzer-truppen seien keineswegs für einen nach Osten gegen die So-

j t i i ht t A iff i R ä i bli b d

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wohl dahinterstecken mag.Churchill spricht von drei Panzerdivisionen. Nach Churchills

Normen ist das sehr viel. Für Stalin nicht sonderlich. Stalinselbst ist im Augenblick dabei, heimlich 63 Panzerdivisionenaufstellen zu lassen, von denen jede an Quantität und Qualitäteiner deutschen Division überlegen ist. Mußte Stalin, als er dieNachricht über die drei deutschen Divisionen erhielt, unbedingt

auf eine deutsche Invasion schließen?Wenn wir die Mitteilung über drei Panzerdividisonen für

eine hinreichende »Warnung« vor der Vorbereitung einer An-griffsoperation halten, dann brauchen wir Hitler keiner Aggres-sivität zu beschuldigen: Die deutsche Abwehr hatte Hitler Infor-mationen über Dutzende von Panzerdivisionen geliefert, diesich an den Grenzen Deutschlands und Rumäniens formierten.

Churchill schlägt Stalin vor, »die Bedeutung dieser Faktenselbst zu würdigen«. Wie sollte man sie würdigen? Polen wardas historische Einfallstor für sämtliche Aggressoren, die von

Europa nach Rußland zogen. Hitler hatte die deutschen Panzer-divisionen nach Polen werfen wollen, doch dann hat er es sichanders überlegt.

Rumänien ist im Vergleich zu Polen ein sehr schlecht geeig-

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wjetun ion gerichteten Angriff in Rumänien geblieben, sondernzielten vielmehr aus Rumänien in südwestliche Richtung, dasheißt, sie haben Stalin den Rücken gekehrt.

Zu der Zeit führte Großbritannien einen intensiven diploma-tischen und militärischen Krieg im ganzen Mittelmeerraum,und besonders in Griechenland und Jugoslawien. ChurchillsTelegramm ist von eminenter Bedeutung, nur darf man es kei-nesfalls als Warnung einstufen. Es enthält in weit höheremMaße eine Aufforderung an Stalin: Die Deutschen wollten ihreDivisionen nach Polen werfen, doch jetzt haben sie es sich an-ders überlegt - du hast nichts zu befürchten, und dies um somehr, als sie dir in Rumänien den Rücken zugekehrt haben!Würdige diese Fakten und handle!

Im Verlaufe des Krieges hat Stalin, als er selbst in eine kri ti-sche Lage geriet, ähnliche Botschaften an Churchill und Roose-velt gerichtet: Deutschland hat seine Hauptstreitmacht gegenmich konzentriert und euch den Rücken zugekehrt, das ist für

euch der beste Augenblick! Also los doch, vorwärts, eröffne t diezweite Front! Doch dann waren erneut die westlichen Verbün-deten an der Reihe: Als sie die zweite Front eröffnet hatten undin Schwierigkeiten gerieten, wandten sich die westlichen Führer

297

im Janu ar 1945 an Stalin mit der gleichen Botschaft: Kannst dunicht, lieber Stalin, ein bißchen kräftiger nachstoßen!

Wir haben keinen Grund , Churchills Briefe als Warnung an-zusehen: Churchill schrieb seinen ersten langen Brief an Stalinam 25. Juni 1940, als es den Plan zum »Unternehmen Barba-rossa« noch gar nicht gab! (Die unheilige Allianz. Stalins Brief-wechsel mit Churchill 1941-1945. Hamburg 1964, S. 47f.) Chur-chills Briefe basieren nicht auf einem Wissen um die deutschenPläne, sondern auf einem nüchte rnen Kalkül. Churchill will ein-fach Stalins Aufmerksamkeit auf die Lage in Europa lenken:Heute hat Großbritannien Probleme mit Hitler, aber morgenwird es unweigerlich der Sowjetunion nicht anders ergehen.

Churchill lädt Stalin zu einem Bündnis gegen Hitler ein, dasheißt er fordert die Sowjetunion zum Kriegseintritt an der SeiteGroßbritanniens und des ganzen unterjochten Europa auf.

Der britische Militärhistoriker B. H. Liddell Hart hat einebrillante Analyse der strategischen Situation zu diesem Zeit

auf die Vermeidung eines Krieges mit Deutschland ausgerich-tet, aber Deutschland kann die Sowjetunion im Frühjahr 1941

angreif en, falls zu diesem Zeitpunkt Großbritann ien den Kriegverloren hat.« (Zitiert nachR. Goralski, World War II. Almanach1931-1945. London 1981, S. 124)

Aus Stalins Antwort geht hervor, daß er in Frieden leben,geduldig den Fall von Großbritannien und - mit Hitler alleinzurückgeblieben - die deutsche Invasion abwarten möchte.

Ach, wie dumm ist dieser Stalin, entrüsten sich einige Histo-riker. Wir werden uns ihnen allerdings nicht anschließen: DieseBotschaft ist nicht an Churchill, sondern an Hitler adressiert!Am 13. Juli 1940 übergibt Molotow auf Stalins Geheiß eine Auf-

zeichnung über die Gespräche zwischen Stalin und dem briti-schen Botschafter Cripps an den deutschen Botschafter Graf vonder Schulenburg. Ein seltsamer Schritt, nicht wahr? Da werdenmit Churchill (durch den Botschafter Cripps) Verhandlungengeführt und die Geheimprotokolle der Verhandlungen Hitler

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brillante Analyse der strategischen Situation zu diesem Zeit-punkt aus der Perspektive Hitlers vorgenommen. Nach demZeugnis von General Jodl, auf den sich Liddell Hart beruft, hatHitler seinen Generalen gegenüber wiederholt geäußert, daßBritannien eine einzige Hoffnung habe: die sowjetische Inva-sion in Europa. (B. H. Liddell Hart, History of the Second WorldWar. London 1978, S. 151) Churchill selbst notierte am 22. April

1941: »Die Sowjetunion weiß sehr gut, ... daß wir auf ihre Hilfeangewiesen sind.« (L. Woodward, British Foreign Policy in theSecond World War. London 1962, S. 611) Was für eine Hilfe er-wartet Churchill von Stalin? Und wie kann Stalin diese Hilfeleisten, es sei denn durch einen Angriff auf Deutschland?

6.Stalin hat also hinreichende Gründe, Churchill nicht zu ver-trauen. Aber Stalin muß doch von sich aus begreifen, daß er

nach dem Fall Großbritanniens Deutschland allein Auge in Augegegenüberstehen wird. Begreift Stalin das? Natürlich. Und ererwähnt es gegenüber Churchill in seiner Antwort auf dessenBotschaft vom 25. Juni 1940: »Die Politik der Sowjetunion ist

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geführt und die Geheimprotokolle der Verhandlungen Hitler(durch den Botschafter Graf von der Schulenburg) zugespielt.

Nebenbei gesagt treibt auch hier Stalin ein hinterhältigesSpiel. Er läßt Hitler nicht das Original des Memorandumsübergeben, sondern eine sorgfältig redigierte Kopie, die eineVielzahl unnötiger Details peinlich genau bewahrt, doch die ent-scheidenden Formulierungen sind vollständig verändert. Ich

meine, daß man im vorliegenden Fall nicht von zwei Kopien einund desselben Memorandums sprechen darf, sondern von zweiverschiedenen Dokumenten, die mehr Unterschiede als Über-einstimmungen aufweisen.

Wenn man die Stalinsche »Kopie« von ihrer diplomatischenSchale befreit und das Memorandum in seinem Klartext studiert,dann sagt dieses Dokument:1. Hitler möge ruhig seinen Krieg führen und sich nicht darum

kümmern, was in seinem Rücken geschieht; er möge voran-gehen und brauche sich nicht umzusehen, denn hinter ihm

stünde sein Freund Stalin, der nichts als Frieden wolle undihm unter gar keinen Umständen in den Rücken fallenwürde.

2. In Moskau seien zwar Verhandlungen mit dem britischen

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Botschafter geführt worden, doch richteten sich diese Ver-handlungen nicht gegen ihn. Zum Beweis dessen erhielte er

sogar die Geheimprotokolle der Unterredung mit Cripps.Kann man den Versicherungen aus dem Kreml trauen? VieleHistoriker tun es. Doch Hitler traute ihnen nicht, und nach kräf-tigem Nachdenken über die »Kopie« des Protokolls der Unter-redung zwischen Stalin und Cripps gibt er am 21. Juli 1940 denBefehl zur Ausarbeitung des Planes für das »UnternehmenBarbarossa«. Hitler ist im Begriff, die Entscheidung für einenZweifrontenkrieg zu fällen. Diese Entscheidung erscheint vielenunbegreiflich und unerklärlich. Viele deutsche Generale undFeldmarschälle verstanden diese wirklich selbstmörderische Ent-

scheidung nicht und hießen sie auch nicht gut. Doch Hitler hattebereits keine Wahl mehr. Er war weiter und weiter nach Westen,Norden und Süden vorgerückt , derweil Stalin mit der Axt in derHand in seinem Rücken stand und süße Friedenstöne flötete.

Hitler hatte einen irreparablen Fehler begangen doch war

Winter. War Hitler aber auch darauf vorbereitet, diesen Kriegin Sibirien fortzusetzen, in den unendlichen Weiten, die völlig

wegelos sind, wo man tatsächlich im Schlamm versinkt, wo dieHärte des Frostes der Härte des Stalinschen Regimes ent-spricht?

Stalin konnte davon ausgehen, daß Hitler keinen Krieg imOsten anfangen würde, ohne den Krieg im Westen zuvor bee n-det zu haben. Stalin wartete daher auf den Schlußakkord desdeutsch-britischen Krieges: die Landung der deutschen Panzer-korps auf den Britischen Inseln. Die beeindruckende Luftlande-operation auf Kreta hatte Stalin und nicht nur er allein für eineGeneralprobe der Landung in England gehalten. Gleichzeitig

traf Stalin alle Vorkehrungen, um Hitler von seiner Friedens-liebe zu überzeugen. Deshalb schoß die sowjetische Flak nichtauf deutsche Aufklärungsflugzeuge über sowjetischem Gebiet,und deshalb posaunten die sowjetischen Zeitungen und TASS inalle Welt hinaus daß es keinen Krieg zwischen der UdSSR und

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Hitler hatte einen irreparablen Fehler begangen, doch wardies nicht am 29. Juli 1940 geschehen, sondern am 19. August1939. Als Hitler seine Zustimmung zur Unterzeichnung desMolotow-Ribbentrop-Paktes gab, hatte er vor sich den unaus-bleiblichen Krieg gegen den Westen und den »neutralen« Stalinin seinem Rücken. Genau von dem Augenblick an hatte Hitlerseine zwei Fronten. Der Entschluß, das »Unternehmen Barba-rossa« im Osten anlaufen zu lassen, ohne einen Sieg im Westenabzuwarten, ist kein schicksalhafter Irrtum, sondern nur einVersuch Hitlers, einen bereits früher begangenen schicksalhaf-ten Fehler zu korrigieren. Aber dazu war es zu spät. Der Krieghatte bereits zwei Fronten und war nicht mehr zu gewinnen.Selbst eine Eroberung Moskaus hätte das Problem nicht mehrgelöst: Hinter Moskau lagen noch immer 10000 Kilometer nichtendenwollenden Raumes, gewaltige Industriekapazitäten, un-erschöpfliche natürliche Reserven und ein riesiges Menschen-potential. Einen Krieg mit Rußland zu beginnen ist immer

leicht, diesen Krieg auch zu beenden dagegen weniger. DasKriegführen im europäischen Teil Rußlands mochte Hitler nochleicht erschienen sein: ein begrenzter Raum, viele Verkehrs-wege von relativ guter Qualität und ein gemäßigt strenger

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alle Welt hinaus, daß es keinen Krieg zwischen der UdSSR undDeutschland geben würde.

Wenn es Stalin gelingt, Hitler zu überzeugen, daß die UdSSRein neutrales Land ist, dann werden die deutschen Panzerkorpsganz zweifellos auf den Britischen Inseln landen. Und dann ...

Dann wäre tatsächlich eine nie dagewesene Lage entstan-den: Polen, die Tschechoslowakei, Dänemark, Norwegen, Bel-

gien, die Niederlande, Luxemburg, Jugoslawien, Frankreich,Griechenland, Albanien besitzen keine Armeen, keine Regierun-gen, keine Parlamente, keine politischen Parteien mehr. Mil-lionen Menschen sind in die nazistischen Konzentrationslagergejagt, und ganz Europa wartet auf seine Befreiung. Auf demeuropäischen Festland zurückgeblieben aber sind lediglich einRegiment der persönlichen Leibgarde Hitlers, die Bewachungs-mannschaften für die nazistischen Konzentrationslager, dierückwärtigen Truppendienste der Deutschen, die militärischenLehranstalten ... gegen fünf sowjetische Luftlandekorps, etliche

tausend Schnellpanzer, die speziell für Operationen auf denAutobahnen konstruiert worden sind, Tausende und aber Tau-sende von Flugzeugen — deren Piloten zwar nicht gelernt haben,wie man Luftkämpfe führt, wohl aber, wie man Einsätze auf 

301

Bodenziele fliegt -, NKWD-Divisionen und ganze Armeen desNKWD, Armeen, die mit sowjetischen Lagerhäftlingen aufgefüllt

worden sind, riesige Lastenseglerformationen für schnelle Luft-landeoperationen auf dem Territorium des Gegners, Gebirgs-

 jägerdivisionen, die darin geübt sind, die Transportwege für dasErdöl, den Lebenssaft des Krieges, im Sturmangriff zu nehmen.

Hat es jemals in der Geschichte eine so günstige Situationfür eine »Befreiung« Europas gegeben? Und diese Situation warnicht von selbst entstanden. Lange, hartnäckig und beharrlichhatte sie Stalin stückchenweise wie ein feines Mosaik zusam-mengesetzt und aufgebaut. Stalin hatte Hitler dazu verhelfen,an die Macht zu gelangen, Stalin hatte aus Hitler einen wirk-

lichen Eisbrecher (eine Formulierung Stalins) gemacht. Stalinhatte den Eisbrecher der Revolution auf Europa angesetzt. Sta-lin hatte von den französischen und den anderen Kommunistenverlangt, diesen Eisbrecher am Zertrümmern Europas nicht zuhindern Stalin hatte den Eisbrecher mit allem für den siegrei

munisten nötig, um in jedweder Situation ihre eigenen aggres siven Vorbereitungen rechtfertigen zu können: Ja, sagen sie, wir

haben den Stacheldraht auf unserer Seite durchtrennt, abernicht, weil wir von uns aus angreifen wollten . . . Churchill hatteuns schließlich gewarnt!

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hindern. Stalin hatte den Eisbrecher mit allem für den siegrei-chen Vormarsch erforderlichen Rüstzeug versehen. Stalin hattedie Augen vor allen Verbrechen der Nazis verschlossen undfrohlockte, »als die Welt in ihren Grundfesten erschüttertwurde, als die Mächtigen untergingen und die Erhabenenstürzten«.

Aber Hitler hatte Stalins Absichten durchschaut, und das istder Grund, weshalb der Zweite Weltkrieg für Stalin ein so nichterwartetes Ende nahm: Er hat nur das halbe Europa bekom-men, und ein bißchen von Asien dazu.

7.Und eine letzte Frage: Wenn Churchill Stalin keine Warnungüber die Vorbereitung einer Invasion zukommen ließ, warumklammern sich dann die Kommunisten so hartnäckig an dieseLegende? Um dem Sowjetvolk zu zeigen, daß Churchill ein guter

Mensch gewesen ist? Oder um zu beweisen, daß man den west-lichen Führern vertrauen müsse? Natürlich ist es weder daseine noch das andere.

Die Legende von Churchills »Warnungen« haben die Kom-

302 303

WESHALB HAT STALINRICHARD SORGE NICHT GETRAUT?

l.Stalin nahm die Vorbereitungen für den Krieg sehr ernst. Seinebesondere Sorge ließ Stalin dabei der sowjetischen militäri-schen Aufklärung angedeihen, die heute die Bezeichnung GRU(zu russisch >Glawnoje raswedywatelnoje uprawlenije< = Haupt-verwaltung Aufklärung) führt. Es genügt, die Liste der Leiterder GRU seit ihrer Einr ichtung bis zu Golikows Amtsantritt imJahre 1940 durchzugehen, um das ganze Ausmaß der »Für-sorge« Stalins für seine heldenmütigen Geheimagenten würdi-gen zu können:

Aralow — verhaftet; gegen ihn lief ein jahrelanges Unter-suchungsverfahren unter Anwendung von »Maßnahmen physi-

diesen Gerüchten nicht. Die GRU war vor und während desZweiten Weltkrieges die mächtigste Nachrichtenbeschaffungs-

organisation der Welt und ist es bis heute geblieben. Die GRUsteht zwar zahlenmäßig hinter ihrem Hauptgegner und Konk ur-renten, der sowjetischen Geheimpolizei - der Tscheka bzw. demKGB - zurück, ü bertrif ft diese jedoch wesentlich hinsichtlichder Qualität der beigebrachten Geheiminformationen. Dieandauernden Wellen blutiger Säuberung der sowjetischen mil i-tärischen Aufklärung haben in keiner Weise ihre Macht ge-schwächt. Im Gegenteil - die abgetretene Generation wurde

 jeweils durch eine neue, noch aggressivere abgelöst. Dieser Ge-nerationswechsel ist dem Zahnwechsel bei einem Haifisch ver-gleichbar. Die neuen Zähne erscheinen reihenweise, verdrän-gen die vorher dagewesene Reihe, und dahinter schimmernschon die nächsten und abermals neue Reihen durch. Je größerdas Scheusal wird, um so größer werden auch die Zähne in sei-nem abscheulichen Rachen, um so häufiger erfolgt ihr Wechsel

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g g p yscher Gewalt«

Stigga - liquidiert (29. 7. 1938)Nikonow - liquidiert (29. 7. 1938)Bersin - liquidiert (29. 7. 1938)Unschlicht - liquidiert (1937)Urizki - liquidiert (1937)

Jeschow - liquidiert (1940)Proskurow (Golikows Vorgänger als GRU-Chef) - liquidiert(28. 10. 1941)Es versteht sich von selbst, daß bei der Liquidierung eines

Führers der militärischen Aufklärung auch seine Ersten Stell-vertreter, die Berater, die Chefs der einzelnen Verwaltungenund Abteilungen liquidiert werden mußten. Bei der Ausschal-tung der Abteilungsleiter mußte unweigerlich auch ein Schattenauf die operativen Offiziere und die von ihnen geführten Agen-ten fallen, weshalb die Vernichtung der Spitze der militärischen

Aufklärung zumindest zweimal auch die Vernichtung der ge-samten militärischen Aufklärung nach sich zog.Es heißt, diese Sorge Stalins um seine militärischen Geheim-

dienstleute habe katastrophale Folgen gehabt. Glauben Sie

304

und um so länger und schärfer werden sie.Bei dem raschen Generationswechsel unter den Geheim-

dienstlern gab es oft (sogar sehr oft) auch unschuldige (nachkommunistischen Normen) Opfer, und dennoch ist der sowje-tische Haifisch dadurch nicht zahnlos geworden. Erinnern Siesich, wie Hitler eine ganze Menge eifriger Nazis in einer der

größten nationalsozialistischen Massenorganisationen, der SA,liquidierte? Wurde dadurch das Hitler-Regime geschwächt?

Der Unterschied zwischen Hitler und Stalin besteht darin,daß Stalin sich auf diesen Krieg wirklich ernsthaft vorbereitethat. Stalin organisierte Nächte der Langen Messer nicht nur ge-gen seine eigenen kommunistischen »Sturmabteilungen«, son-dern auch gegen seine Generale, Marschälle, Konstrukteure,Geheimagenten. Zwar war Stalin durchaus der Meinung, daß eswichtig sei, von seiner Aufklärung Aktentaschen, vollgestopftmit Geheiminformationen, zu bekommen, aber noch wichtiger

war es ihm, daß er nicht von seiner Aufklärung eine Akten-tasche mit einer Bombe zugesteckt bekam. Dabei ließ er sichnicht nur von seinem persönlichen Interesse leiten, sondernhatte auch das Wohl des Staates im Auge. Die Stabilität der

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höchsten politischen und militärischen Staatsführung in kritischenund mehr als kritischen Situationen ist eines der wichtigsten

Elemente der Kriegsbereitschaft eines Staates.Stalin wurde von niemandem in einer kritischen Situationeine Bombe unter den Tisch gelegt, und das ist kein Zufall.Durch den ständigen zweckbestimmten Terror gegen die GRUhatte Stalin nicht nur eine außerordentliche Qualität der bei-gebrachten Geheiminformationen erreicht, sondern auch diehöchste Führung des Landes gegen »Überraschungen jeglicherArt« in Augenblicken der Krise abgesichert.

Der 1944 von den Japanern hingerichtete deutsche Journa-list und Geheimagent in sowjetischen Diensten Richard Sorgeist ein Spion aus jener Reihe von Zähnen, die Stalin prophylak-tisch am 19. Juli 1938 auszureißen befahl.

2.i j i h ili i h A fkl i i h i h di

Frage seine zahlreichen Verdienste für die Sowjetmacht auf.Was ist das für ein seltsames Telegramm? Jeder Agent weiß,

daß er nach dem Krieg in seine Heimat zurückkehren darf.Warum also unnötigerweise mit dieser Frage in den Äther ge-hen? Jede von einer absolut geheimen Sendestation in denoffenen Äther geschickte Meldung in einer unverständlichenChiffre stellt ein gewaltiges Risiko für Sorges gesamte Spionage-organisa tion dar. Die Funkstation seiner Agentur und ihre Codeshöchster Geheimhaltungsstufe sind doch nicht eingerichtetworden, damit Sorge derartige Fragen stellen kann?

Noch eigenartiger mutet das dritte Telegramm an, wennman es mit den beiden ersten vergleicht (wobei ich wiederhole ,daß es von der Art der erstgenannten nicht nur zwei, sondernmehrere gibt). Die GRU forder t Sorge auf: Komm, mach Urlaub,wann immer du willst! Vergiß diesen Krieg und schau zu, daß duherkommst, erhol dich! Warum dann diese Frage nach derRückkehrerlaubnis nach dem Krieg, wenn ihm doch beharrlich

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Die sowjetische militärische Aufklärung ist nicht so töricht, dieinteressantesten Meldungen von Sorge zu veröffentlichen. Aberselbst die Analyse der relativ geringen Menge zur Veröffent-lichung freigegebener Meldungen Sorges bringt uns in Ver-legenheit. Ohne allzu viele dieser Botschaften zitieren zu wollen(die sich im übrigen alle recht ähnlich sind), seien hier doch drei

sehr charakteristische aufgeführt:  Januar 1940: »Ich danke für Ihre Grüße und Wünsche zu

meinem Erholungsurlaub. Wenn ich jedoch jetzt meinen Urlaubnehme, würde das auf der Stelle die Informationen reduzie-ren.«

  Mai 1940: »Es versteht sich von selbst, daß wir im Hinblickauf die gegenwärtige militärische Lage den Zeitpunkt unsererHeimkehr verschieben. Wir versichern Sie nochmals, daß jetztnicht die geeignete Zeit ist, diese Frage zu stellen.«

Oktober 1940: »Kann ich damit rechnen, nach Beendigungdes Krieges zurückkehren zu können?«

Das klingt seltsam, nicht wahr? Ein Agent fragt zu Beginneines Krieges, ob man ihm gestatten wird, am Ende des Kriegesheimzukehren! Im übrigen zählt Sorge im Anschluß an diese

306

diese Rückkehr gleich jetzt, gleich während des Krieges, nahe-gelegt wird?

Über Sorge sind in der Sowjetunion eine Menge Bücher undAbhandlungen geschrieben worden. Aus einigen klingt ein selt-sam anmutendes Lob: Er war ein edelmütiger Agent, ein sotreuer Kommunist, daß er sogar sein eigenes Geld, dieses mit

der durchaus nicht leichten Journalistentätigkeit verdienteGeld, für seine illegale Arbeit geopfert hat. Was für ein Unsinn!Graben vielleicht in Kolyma die sowjetischen Strafgefangenennicht mehr nach Gold für den Staat? Ist die GRU so sehr ver-armt, daß sie ihren illegalen Residenten auf solche Weise düpie-ren muß?

Eine äußerst interessante Mitteilung brachte die Zeitschrift»Ogonjok« 1965 (Nr. 17), des Inhalts nämlich, daß Sorge höchstwichtige Dokumente besaß, die er jedoch nicht an die Zentraleweiterleiten konnte: Die Zentrale schickte ihm keinen Kurier.

Die Zeitschrift verrä t nicht, weshalb die Zentrale keinen Kuriergeschickt hat. Uns hat diese Frage ebenfalls stutzig gemacht.Doch des Rätsels Lösung war ganz einfach:Zum Zeitpunkt dieser Vorgänge ist der Mann, der Richard

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Sorge angeworben hatte, Jan Bersin, ein glänzender Chef dersowjetischen militärischen Aufklärung, nach grausamen Fol-

terungen bereits liquidiert. Solomon Urizki, ein weiterer Chef der GRU, der Sorge persönlich Anweisungen gegeben hatte, istgleichfalls liquidiert. Der sowjetische illegale Resident Ja.Gorew, der für Sorges Transfer aus Deutschland gesorgt hatte,sitzt im Gefängnis. (»Komsomolskaja Prawda«, 8. Oktober 1964)Ajna Kuusinen, die Frau des Stellvertreters des GRU-Chefs undChefs der Volksregierung der 1939 zu Beginn des Winterkr iegesausgerufenen Finnischen Demokratischen Republik (und künf-tigen Mitglieds des Politbüros des ZK der KPdSU) Otto Kuusinen,eine heimliche Mitarbeiterin Sorges, sitzt im Gefängnis. Jekate-rina Maximowa, Richard Sorges Frau, ist verhaftet, sie gesteht,Kontakte zu den Feinden unterhalten zu haben, und wird liqui-diert. Der illegale GRU-Resident in Schanghai und ehemaligeStellvertreter Sorges, Karl Ramm, wird »zu einem Urlaub«nach Moskau zurückgerufen und liquidiert. Und nun hat Sorge

Die Zentrale hat seine Finanzierung eingestellt. Hier liegt dieUrsache dafür, daß keine Kuriere zu ihm eilen. Schließlich kann

man nicht einen illegalen Kurier zu einem böswilligen Rück-kehrverweigerer schicken!Da Sorge nicht zu schnellem Gericht und böser Abrechnung

zurückkehren will, setzt er seine Arbeit für die Kommunistenfort, doch nun nicht länger in der Rolle eines geheimen Mitar-beiters, sondern in der eines Zuträgers aus Enthusiasmus, dernicht um des Geldes willen die Feder über das Papier kratzenläßt, sondern aus purem Vergnügen. Ramsays Überlegung istrichtig: Jetzt fahre ich nicht, aber nach dem Krieg, wenn diedort dahintergekommen sind, daß ich die reine Wahrheit be-richtet habe, wird man mir auch verzeihen und mich wieder zuschätzen wissen. Auch die Zentrale verliert bis zum Ende nichtden Kontakt mit ihm: Sie empfängt seine Telegramme, aller-dings offensichtlich nur, um zu antworten: Komm heim! Worauf Ramsay seinerseits wiederholt: Bin zu beschäftigt!

i A f di ll l S li h

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den Befehl erhalten, seinen Urlaub in der Sowjetunion anzutre-ten. Kennt er den wahren Grund für den Rückruf? Er kennt ihn.Auch die sowjetischen kommunistischen Quellen verheimlichenihn nicht: »Sorge weigert sich, in die UdSSR zurückzukehren«;»Zweifellos konnte Sorge erraten, was ihn in Moskau erwarte te.«Publikationen zu diesem Thema hatte es während des »Tau-

wetters« nach Stalins Tod nicht wenige gegeben.In Moskau hält man demnach Richard Sorge, alias Ramsay,

für einen Feind und fordert ihn auf, zur Erschießung anzu-treten. Sorge antwortet auf die beharrlichen Aufforderungen:Zur Exekution komme ich nicht, ich will meine interessanteArbeit nicht abbrechen.

Und nun wollen wir versuchen, uns in die Formulierungeines sowjetischen kommunistischen Historikers hineinzuden-ken: »Er weigerte sich, in die UdSSR zurückzukehren.« Wieheißt im offiziellen kommunistischen Sprachgebrauch eine sol-

che Person? Richtig: Rückkehrverweigerer. Zu jener Zeit hatteman sich sogar einen noch treffenderen Terminus ausgedacht:böswilliger Rückkehrverweigerer. Jetzt erkennen wir auch denGrund, weshalb Sorge seine Agenten aus eigener Tasche bezahlt:

308

Die erste Antwort auf die gestellte Frage lautet: Stalin hatRichard Sorge nicht getraut, weil Sorge ein Rückkehrverweige-rer war, und das bedeutete allein schon mindestens zweimal dieHöchststrafe. Man hätte ihm - ganz klar - Artikel 38 (Volks-feind) aufgebrummt, nach der Standardliste, wie allen anderenauch. Und dann hätte es zusätzlich etwas für die böswillige

Rückkehrverweigerung gegeben. Genösse Sorge selbst trautdem Genossen Stalin nicht so recht, deshalb kommt er auchnicht zurück. Wie aber kann dann erst der Genösse Stalin

 jemandem vertrauen, der Stalin nicht traut?

3.Irgendjemand hat die Legende erfunden, Richard Sorge habeder GRU irgendwelche wichtigen Informationen über die deut-sche Invasion zukommen lassen, aber man habe ihm nicht

geglaubt.Sorge war ein wirklich großer Geheimagent, aber zur deut-schen Invasion hat er überhaupt nichts Wichtiges nach Moskauberichtet. Ja mehr noch: Sorge wurde ein Opfer der Desin-

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formation und hat die GRU sogar mit falschen Informationengefüttert.

Da ist zum Beispiel sein Telegramm vom 11. April 1941: »DerVertreter des [deutschen -V. S.] Generalstabs hat in Tokio ange-kündigt, daß unmittelbar im Anschluß an die Beendigung desKrieges in Europa der Krieg gegen die Sowjetunion beginnt.«

Auch Hitler ist ein hinterhältiger Bursche. Er bereitet eineInvasion vor, indem er eine Lüge verbreiten läßt, die der Wahr-heit sehr ähnlich ist. Hitler weiß, daß er die Vorbereitungen fürden Einfall in die Sowjetunion nicht mehr verbergen kann. Des-halb erklärt er heimlich (aber so, daß es alle hören können): Ja,ich will Stalin angreifen ..., sobald der Krieg im Westen beendetist. Wir wissen bereits, daß Stalin genau einen Monat spätergenau dasselbe tut. In seiner »Geheim«-Rede sagt er beinahedie Wahrheit : Ja, ich will Hitler angreifen ... 1942.

Aber selbst wenn man dem Telegramm Sorges vom 11. April(und anderen ähnlichen Telegrammen) Glauben schenken will,b h fü di j i h Füh k i G d A f

Noch vor Sorges »Warnungen« hatte der neue GRU -Chef,General leutnant F. I . Gol ikow, am 20. März 1941 vor Sta l in e in

ausfüh rliches Referat gehalten, das mit folgendem Fazit ende te:»Der wahrscheinlichste Termin für den Beginn von feindseligenAkt ionen gegen die UdSSR ist der Augenblick nach einem Siegüber England oder dem Abschluß eines für Deutschland ehren-haften Friedens zwischen diesen beiden Staaten.« (Schukow,E rinn erungen und Gedanken, S. 240)

Stalin aber ist sich der einfachen Wahrheit, daß Hitler kei-nen Zweifrontenkrieg beginnen wird, auch ohne Golikow undohne dessen Ausführungen bewußt. Deshalb sprach er schon inseiner Antwort auf Churchills Rrief vom 25. Juni 1940 davon,daß Hitler einen Krieg gegen die UdSSR 1941 unter der Voraus-setzung beginnen kann, daß zu diesem Zeitpunkt Großbritan-nien seinen Widerstand eingestellt hat.

Aber Hitler, den Stalin durch den Molotow-Ribbentrop-Paktin eine strategische Sackgasse getrieben hatte, begriff plötzlich,d ß i ht h li h tt b fü D t hl d

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besteht für die sowjetische Führung kein Grund zur Aufregung.Der Krieg im Westen geht weiter, glimmt bald schwächer vorsich hin, um dann wieder mit neuer Kraft aufzulodern, aber einEnde ist noch nicht abzusehen. Später allerdings, wenn derKrieg im Westen zu Ende geht, wird das Verlagern der Anstren-gungen der deutschen Militärmaschinerie nach Osten möglich.

Sorge sagt mit anderen Worten, daß Hitler nur an einer Frontkämpfen will.

Bei der GRU versteht man das auch ohne Sorge. Ausgehendvon einem gründlichen Studium aller wirtschaftlichen, politi-schen und militärischen Aspekte der gegebenen Situation wardie GRU zu den beiden folgenden Schlüssen gekommen:

1. Deutschland kann in einem Zweifrontenkrieg nicht ge-winnen;

2. Hitler wird aus diesem Grund keinen Krieg im Osten be-ginnen, solange er den Krieg im Westen nicht beendet hat.

Der erste Schluß war richtig. Der zweite nicht: Bisweilenwird ein Krieg auch ohne Aussicht auf einen Sieg begonnen,zumindest dann, wenn man von falschen Prämissen wie derHoffnung auf einen Blitzkrieg ausgeht.

310

daß er nichts mehr zu verlieren hatte - gab es für Deutschlanddoch ohnehin nicht nur die eine Front, sondern deren zwei -, unddeshalb nahm er den Kampf an beiden Fronten auf. Das hattenweder Golikow noch Stalin erwartet. Es war eine selbstmörderi-sche Entscheidung, aber eine andere war Hitler nicht mehr ge-blieben. Stalin hatte sich einfach nicht vorstellen können, daß

Hitler, der in die strategische Sackgasse geraten war, sich auf diesen selbstmörderischen Schritt einlassen würde. Auch derChef der GRU hatte nicht damit gerechnet. Sorge aber (undnoch einige andere) hatten mit ihren irreführenden Telegram-men die beiden in ihrer Meinung nur noch bestärkt.

Man wird mir entgegnen, daß Sorge am 15. Juni das Datumder deutschen Invasion mit dem 22. Juni richtig angegebenhabe. Das stimmt. Aber, sagen Sie selbst, welchem RichardSorge soll man nun eigentlich glauben, dem, der meldet, daßHitler keinen Zweifrontenkrieg führen wird, oder dem anderen,

der vom 22. Juni redet, was bedeutet, daß Hitler doch an zweiFronten kämpfen will. Sorges Informationen schließen sichgegenseitig aus. Außerdem bleiben Sorges Informationen nurInformationen. Die GRU glaubt keinerlei Informationen, und sie

311

tut recht daran. Was man braucht, sind Informationen mit Be-weisen.

4.Sorge war einer der großen Geheimagenten des 20. Jahrhun-derts. Die höchste Auszeichnung - der Rang eines Helden derSowjetunion - ist ihm nicht ohne Grund posthum verliehen wor-den. Aber Sorges Stärke lag auf einem ganz anderen Gebiet.

Hauptgegenstand von Sorges Aktivitäten in Japan war nichtDeutschland, sondern Japan. Der GRU-Chef Solomon Urizkihatte Richard Sorge persönlich die Aufgabe gestellt: »Der Sinnihrer Arbeit in Tokio besteht darin, die Gefahr eines Krieges zwi-schen Japan und der UdSSR abzuwenden. Ihr Hauptobjekt istdie Deutsche Botschaft.« (»Ogonjok« 1965, Nr. 14, S. 23) DieDeutsche Botschaft ist nur der Deckmantel, dessen sich Sorgebei der Erfüllung seiner Hauptaufgabe bedient. Ich möchtemeine Leser auf ein Detail aufmerksam machen: Sorge hat

i h d V b i fü i I i

Die kommunistische Propaganda bauscht ganz bewußt denMythos von den »Warnungen« Sorges vor einem deutschen An-

griff auf. Sie tut dies, um die Aufmerksamkeit von den wirklicherstaunlichen Erfolgen Sorges beim Eindringen in die höchstenpolitischen und militärischen Führungsebenen Japans abzulen-ken. Sorges Tätigkeit beschränkte sich keineswegs nur darauf,Stalin darüber zu informieren, daß Japan die Sowjetunion nichtangre ifen würde, und nicht einmal nur darauf, daß er — mit Be-weisen untermauert - die Richtung der Intentionen des japani-schen Militarismus angab. Seine Verdienste auf diesem Gebietsind weitaus größer. Entsprechend dem von der GRU erteiltenAuftrag sagte Sorge nicht nur bestimmte Ereignisse voraus,vielmehr hat er in einer Reihe von Fällen auch ihre Richtung be-stimmt. Im August 1951 beschäftigte sich der Kongreß der USAmit dem Fall Sorge. Im Verlauf der Anhörung wurde unwider-leglich nachgewiesen, daß die sowjetische militärische Aufklä-rung über die illegale Residentur »Ramsay« ungemein viel dazub i t h tt d ß J d A iff k i i P ifik

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nicht vor den Vorbereitungen für eine Invasion zu warnen, son-dern diese Invasion abzuwenden, das heißt, die japanischeAggression in eine andere Richtung zu lenken.

Es ist bekannt, daß Sorge im Herbst 1941 Stalin informierte,daß Japan sich nicht auf einen Krieg gegen die Sowjetunioneinlassen wird. Stalin nutzte diese außerordentlich wichtige In-

formation und zog Dutzende sowjetischer Divisionen von derGrenze im Fernen Osten ab, um sie in den Kampf vor Moskau zuwerfen, und er führte auf diese Weise eine Veränderung derstrategischen Situation zu seinen Gunsten herbei.

Weniger bekannt ist der Grund, weshalb Stalin in diesemFalle Sorges Nachrichten glaubte. Er glaubte Sorge, weil diesernicht nur die Informationen, sondern auch die Beweise gelieferthatte. Über die Beweise schweigen sich die sowjetischen Histo-riker lieber aus, und das ist verständlich: Wenn Sorge sagt, daßJapan die Sowjetunion nicht angreifen werde, dann kann er

dies nur beweisen, indem er den anderen Gegner aufzeigt, gegenden Japan einen Überraschungsschlag vorbereitet. Sorge hattegenau gezeigt, gegen wen sich die japanischen Angriffsvorberei-tungen richteten, und unwiderlegbare Beweise beigebracht.

312

beigetragen hatte, daß Japan den Angriffskrieg im Pazifik un-ternahm und auch dafür, daß sich diese Aggression gegen dieVereinigten Staaten von Amerika richtete. (Vgl. Hearings onAmerican Aspects of the Richard Sorge Spy Case. House of Re-presentatives Eighty Second Congress. First Session August 19,22 and 23. Washington 1951)

Nicht Sorge hat den japanischen Eisbrecher produziert,aber Sorge trug viel dazu bei, um ihn in eine Stalin nützlicheRichtung zu lenken. Als Sorge Beweise für seine Informationenbeibringen konnte, da hat Stalin ihm voll und ganz vertraut.

5.Spionage ist die undankbarste Arbeit in der Welt. Wer einem Irr-tum erlegen, wer aufgeflogen ist, wen man aufgehängt hat - derwird berühmt. Wie zum Beispiel Sorge.

Aber Stalin hatte außer Pechvögeln auch Männer von erst-klassigem Rang im Militärspionageapparat, denen Erfolg be-schieden war, die frappierende Resultate erzielten und dabeinicht berühmt, das heißt nicht enttarnt und nicht aufgehängt

313

wurden. Einer dieser sowjetischen Agenten hatte Zutritt zu denwirklichen Geheimnissen Hitlers. Marschall der Sowjetunion

 A. A. Gretschko kann es bezeugen: »Elf Tage nachdem Hitlerden endgültigen Kriegsplan gegen die Sowjetunion akzeptierthatte (18. Dezember 1940), war diese Tatsache und die wesent-lichen Daten dieser Entscheidung der deutschen Führung unse-ren Aufklärungsorganen bekannt.« (»Militärhistorische Zeit-schrift« 1966, Nr. 6, S. 8)

Wir werden offenbar nie den Namen des großartigen Ge-heimagenten erfahren, der diese Heldentat vollbrachte. Es istnicht ausgeschlossen, daß es sich dabei um denselben GRU-Re-sidenten handelt, der 1943 den Plan für das »UnternehmenZitadelle«, die Angriffsoperation zur Abriegelung des KurskerBogens, beschaff te. Aber das ist nur eine Vermutung von mir. ZuStalins Zeiten - ich muß es wiederholen - stand die militärischeAufklärung auf einem sehr hohen Niveau, und dies hätte auchirgendein anderer Agent getan haben können.

I D b 1940 ld t d GRU Ch f G ll t t

In der Folgezeit erstattete Golikow regelmäßig Stalin Bericht ,wobei er jedesmal zu melden wußte, daß die unmittelbaren Vorbe-

reitungen für die Invasion vorerst noch nicht angelaufen seien.Am 21. Juni 1941 fand eine Sitzung des Politbüros statt.Golikow meldete weitere Massierungen deutscher Truppen ander sowjetischen Grenze; er berichtete von riesigen Munitions-vorrä ten, von Umgruppierungen bei der deutschen Luftwaffe,von deutschen Überläufern und vielem, vielem anderem mehr.Golikow kannte die Nummern nahezu sämtlicher deutscherDivisionen, die Namen ihrer Kommandeure, wußte, wo sie stan-den. Sehr vieles war bekannt, einschließlich der Bezeichnungder Operation als »Unternehmen Barbarossa«, des Zeitpunktsihres Planungsbeginns und vieler Geheimnisse von größter Be-deutung. Danach meldete Golikow, daß die unmittelbare Vorbe-reitung zur Invasion noch nicht begonnen habe, ohne diese Vor-bereitung aber könne man den Krieg nicht beginnen. Auf dieserSitzung des Politbüros wurde Golikow die Frage gestellt, ob eri h fü i W t bü kö G lik t t t d ß

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Im Dezember 1940 meldete der GRU-Chef, GeneralleutnantF. I. Golikow, Stalin, daß, bestätigten Informationen z u f o l g e , Hitlerbeschlossen habe, an zwei Fronten zu kämpfen, d. h. die Sowjetunionanzugreifen, ohne das Ende des Krieges im Westen abzuwarten.

Dieses Dokument von äußerster Wichtigkeit wurde AnfangJanuar 1941 in einem sehr engen Kreis der obersten sowje-

tischen Führung im Reisein Stalins erörtert. Stalin traute demDokument nicht und erklärte, daß man jedes beliebige Doku-ment fälschen könne. Er verlangte von Golikow, die Arbeit dersowjetischen militärischen Aufklärung so zu organisieren, daßman jederzeit in Erfahrung bringen könne, ob Hitler tatsächlichAnstalten zu diesem Krieg treffe oder ob er nur bluffe. Golikowmeldete, daß er dies bereits veranlaßt habe. Die GRU verfolgeunter einer ganzen Reihe von Aspekten die militärischen Vorbe-reitungen Deutschlands, mit deren Hilfe die GRU den genauenZeitpunkt bestimmen könne, zu dem die Vorbereitungen für die

Invasion begönnen. Vorerst gebe es nichts dergleichen. Stalinverlangte eine nähere Erklärung, wie Golikow das wissenkönne. Darauf antwortete Golikow, daß er dies nur Stalinpersönlich und niemandem sonst sagen könne.

314

sich für seine Worte verbürgen könne. Golikow antwortete, daßer sich mit seinem Kopf für diese Information verbürge, undwenn er sich irre, dann sei das Politbüro berechtigt, mit ihm ge-nauso zu verfahren, wie es allen seinen Vorgängern ergangensei.

Zehn bis zwölf Stunden später begann das »Unternehmen

Barbarossa«. Was machte Stalin mit Golikow? Keine Angst,nichts Schlimmes. Schon am 8. Juli beauftragt Stalin Golikowmit einer Dienstreise nach Großbritannien und in die USA underteilt ihm persönlich die nötigen Instruktionen. Nach der erfolg-reichen Durchführung dieses Besuchs kommandiert GolikowArmeen und Fronten, und im Jahre 1943 befördert Stalin Goli-kow auf den außerordentlich wichtigen Posten eines Stellvertre-ters des Volkskommissars für Verteidigung (d. h. eines Stellver-treters von Stalin höchstselbst) in Kaderangelegenheiten. Zu-gang zur delikaten Frage der Auswahl und Verteilung der Kader

gewährte Stalin nur den verläßlichsten Leuten. Berija, zum Bei-spiel, besaß ihn nicht.Golikows Aufstieg setzte sich auch nach dem Tode Stalins

fort, und er brachte es bis zum Marschall der Sowjetunion.

315

Es ist begreiflich, daß er in seinen Memoiren mit keinemWort erwähnt, wie er Deutschlands Kriegsvorbereitungen ver-

folgte, wie er es schaffte, am Leben zu bleiben, warum nachdem »Unternehmen Barbarossa« seine Karriere so stürmischnach oben führte.

Wenn wir uns an das Schicksal seiner sämtlichen Vorgängererinnern, während deren Amtsführung sich nichts der deut-schen Invasion Vergleichbares ereignete, und wenn wir dannderen Schicksal mit dem Golikows vergleichen, kennt unserStaunen keine Grenzen.

Das Rätsel Golikow hatte mich persönlich schon lange be-schäftigt, und an der GRU-Akademie fand ich für mich selbsteine Antwort. Später, als ich im zentralen GRU-Apparat arbei-tete, entdeckte ich auch die Bestätigung für die von mir gefun-dene Antwort.

Golikow hatte Stalin regelmäßig berichtet, daß Hitler keineVorbereitungen zu einem unmittelbar bevorstehenden Angriff auf die Sowjetunion treffe Hitler hatte sich damals tatsächlich

Bedingungen stationiert. Jeder Soldat reinigt mindestens ein-mal täglich sein Gewehr. Die Putzlappen und das Papier, das

dabei Verwendung findet, werden gewöhnlich verbrannt oderim Boden vergraben. Aber natürlich wurde diese Regel nichtüberall streng befolgt, weshalb die GRU genügend Möglichkeitenfand , eine Menge gebrauchter Putzlappen aufzutrei ben.

Diese schmutzigen Lappen wurden über die Grenze ge-bracht. Um keinen Verdacht zu erregen, wurde irgendwelchesEisengerät in diese Lappen eingewickelt und auf verschiedenenWegen in die UdSSR geschickt. Sollten sich Komplikationen er-geben , würden die Kontrollen ihr Augenmerk auf die Metalltei lerichten (gewöhnlich war es irgendein völlig harmloses Eisen-ding), nicht aber auf den fettigen Lappen, in den es eingewickeltwar.

Außerdem kamen über die Grenze auf legalem und ille-galem Weg ungewöhnlich große Mengen von Petroleumlampen,Petroleumkochern, Primuskochern, primitiven Laternen ver-schiedenster Art und von Feuerzeugen

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auf die Sowjetunion treffe. Hitler hatte sich damals tatsächlichnicht für einen Krieg auf sowjetischem Boden vorbereitet.

Golikow wußte, daß Stalin sich auf Dokumente allein nichtverließ (Golikow tat es auch nicht), und deshalb glaubte Goli-kow, man müsse irgendwelche Lei tindizien finden, die zuverläs-sig das Einsetzen von Hitlers Vorbereitungen zum Einfall in die

Sowjetunion anzeigen würden. Golikow fand solche Indika-toren. Sämtliche GRU-Residenten in Europa erhielten den Be-fehl, den Hammelmarkt zu beobachten und ihre Agenten in alledirekt oder indirekt mit dem »Hammelproblem« befaßtenSchlüsselorganisationen einzuschleusen. Monatelang wurdenNachrichten über die Anzahl der Hammel in Europa, über dieZentren der Hammelhaltung, über die Schlachthöfe gesammeltund fein säuberlich ausgewertet. Zweimal täglich liefen bei Go-likow die Nachrichten über die Hammelfleischpreise in Europazusammen.

Daneben entfaltete die sowjetische Aufklärung eine wahreJagd auf Putzlappen und Ölpapier, wie es Soldaten dort, wo sieihre Waffen gereinigt haben, zurücklassen. In ganz Europastanden deutsche Truppen. Sie waren unter feldmarschmäßigen

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schiedenster Art und von Feuerzeugen.Das alles wurde von Hunderten sowjetischer Experten ana-

lysiert und umgehend Golikow gemeldet, Golikow aber infor-mier te Stalin, daß Hitler mit den Vorberei tungen zur Invasion indie Sowjetunion noch nicht begonnen habe und man deshalballe Truppenkonzentrationen und Dokumente des deutschen

Generalstabs nicht weiter zu beachten brauche.Golikow glaubte (aus gutem Grund), daß ein Krieg gegen die

Sowjetunion einer sehr ernsthaften Vorbereitung bedürfe. Wich-tigstes Element dieser Vorbereitung Deutschlands auf einenKrieg gegen die Sowjetunion mußten die Schafspelze sein. Da-von würde eine Riesenmenge gebraucht werden - mindestens6000000. Golikow wußte, daß in Deutschland keine einzigeDivision für die Kriegsführung in der UdSSR vorbereitet war. Erhatte sorgfältig die europäischen Hammelmärkte beobachtet. Erwußte ganz genau, daß Hitler, sobald er sich wirklich entschlos-sen haben wird, die UdSSR anzugreifen, den Befehl zur Vorbe-reitung der Operation geben muß. Der Generalstab wird umge-hend die Industrie anweisen, große Mengen von Schafspelzenzu liefern. Diese Tatsache wird sich unweigerlich auf den euro-

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päischen Markt auswirken. Ungeachtet des Krieges müssen diePreise für Hammelfleisch ins Wanken geraten und infolge der

gleichzeitigen Abschlachtung von Millionen Schafen sinken,während zu eben diesem Zeitpunkt die Preise für Schaffelle indie Höhe schnellen müssen. (Aus dem Blickwinkel von russi-schen Offizieren, deren Armeen - nach den Erfahrungen im fin-nischen Winterkrieg — bis hinunter zum einfachen Soldaten imWinter Schafspelze trugen, mußten deutsche Soldaten für einenWinterkrieg mit Schafspelzen ausgerüstet werden. Die Unter-scheidung: Schafspelze für Offiziere, Wattejacken für Soldatenwar für russische Militärs unsinnig.)

Golikow ging des weiteren davon aus, daß die deutscheWehrmacht fü r den Krieg gegen die UdSSR ein neues Schmierölbei ihren Waffen einsetzen würde. Das gewöhnliche deutscheWaffenöl mußte bei starkem Frost erstarren, und die Waffenwürden nicht mehr funktionsfähig sein. Golikow wartete auf den Zeitpunkt, wenn in der deutschen Wehrmacht das Waffenölausgestauscht würde Die sowjetischen Expertisen zu den ge-

Weshalb Hitler so gehandelt hat, wird wohl für immer einRätsel bleiben, wenn man nicht die Erklärung dafür in einer

unkritisch en Übertragung der bis zu diesem Zeitpunkt errunge-nen Blitzkriegserfolge auf die Sowjetunion sucht. Die deutscheWehrmacht war fü r einen Krieg in Westeuropa geschaffen, aberHitler hat nichts für die Vorbereitung der Wehrmacht auf einenWinterkrieg in Rußland unternommen.

Stalin hatte keinen Anlaß, Golikow zur Rechenschaft zuziehen. Golikow hatte alles Menschenmögliche und sogar nochmehr getan, um die Vorbereitungen zur Invasion aufzudecken ,doch eine solche Vorbereitung hatte es nicht gegeben. Da warlediglich die gewaltige Konzentration deutscher Truppen gewe-sen, Golikow aber hatte befohlen, nicht alle deutschen Divisio-

nen zu beobachten, sondern nur diejenigen, die invasionsbereitwaren, d. h. jene Divisionen, von denen eine jede 15000 Schafs-pelze in ihren Vorratslagern hatte. Solche invasionsbereitenDivisionen aber hat es in der ganzen Wehrmacht nicht gegeben.

Golikow war nicht schuld, daß er keine Anstalten zur

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ausgestauscht würde. Die sowjetischen Expertisen zu den gebrauchten Putzlappen zeigten, daß die Wehrmacht ihr altesWaffenfett benutzte und daß es keine Anzeichen für eine Ab-lösung durch ein neues Schmiermittel gab. Die sowjetischenExperten beobachteten auch den deutschen Treibstoff für dieMotoren. Der normale deutsche Treibstoff würde sich unter

starker Frosteinwirkung in nicht brennbare Bestandteile zer-setzen. Golikow wußte, daß Hitler oder sein Generalstab, fallser sich allem zum Trotz für den selbstmörderischen Schritteines Zweifrontenkrieges entschied, den Befehl geben mußte,die bisher verwendete Treibstoffsorte auszuwechseln und dieMassenproduktion eines Treibstoffs aufzunehmen, der sich beiFrost nicht zersetzen würde. Eben deshalb hatte die sowjetischemilitärische Aufk lärung Proben des deutschen Treibstoffs in denFeuerzeugen, Laternen und anderen geeigneten Gegenständenüber die Grenze beförder t. Es gab noch eine ganze Menge weite-

rer Aspekte, die von der GRU sorgfältig im Auge behalten wur-den und das Alarmsignal liefern sollten.Aber Hitler ließ das »Unternehmen Barbarossa« ohne jegliche

Vorbereitung für einen Winterfeldzug anlaufen!

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Golikow war nicht schuld, daß er keine Anstalten zurInvasion bemerkt hatte. Aus seinem Blickwinkel hatte es keineernsthaften Vorbereitungen gegeben.

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WESHALB WURDE DIE ZWEITESTRATEGISCHE STAFFEL GEBILDET?

Mobilisierung bedeutet Krieg -eine andere Auslegung ist für uns

nicht vorstellbar.  Marschall der Sowjetunion

  B. M. Schaposchnikow (Erinnerungen.

  Moskau 1974, S. 558)

1.

Die Kommunisten erklären die Bildung der Zweiten Strategi-schen Staffel und deren Verlegung in die Westregionen des Lan-des mit den Warnungen von Churchill, Richard Sorge und sonstwem noch - kurzum, als die Zweite Strategische Staffel inMarsch gesetzt wurde, sei dies eine Reaktion auf die AktionenHitlers gewesen.

sehen Staffel begann vor der berühmten »Warnung« Church illsvom April 1941, vor den »wichtigen« Informationen Sorges und

auch noch bevor eine massierte Konzentration deutscher Trup-pen an der sowjetischen Grenze einsetzte.Die Verlegung der Truppen der Zweiten Strategischen Sta ffel

war eine gewaltige Eisenbahnoperation, die eine lange unddetaillierte Vorbereitung seitens der Eisenbahnverwaltung er-forderte, der wiederum eine peinlich genaue Planung durchden Generalstab vorauszugehen hatte. Marschall der Sowjet-union S. K. Kurkotkin berichtet, daß der Generalstab alleerforderl ichen Unterlagen für die Truppenverlegung am 21. Fe-bruar 1941 dem Volkskommissariat für das Verkehrswesenübergeben habe. (Die rückwärtigen Dienste der sowjetischenStreitkräfte im Großen Vaterländischen Krieg, S. 33) Aber auchder Generalstab hatte Zeit gebraucht, um diese Unterlagensorgfältig vorzubereiten, denn die Eisenbahnverwaltung benö-tigte genaue Angaben, zu welchem Zeitpunkt welche Transport-mittel für welchen Bestimmungsort bereitzustellen waren, um

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gDoch diese Erklärung hält einer Überprüfung nicht stand.

 Armeegeneral L W. Tjulenew sprach unmittelbar nach demBeginn der Invasion durch die deutschen Truppen mit Schukowim Kreml. Er berichtet Schukows Worte: »Man hat es Stalingemeldet, aber er glaubt es noch immer nicht, er hält es für eine

Provokation seitens der deutschen Generale.« (Nach dreiKriegen. Moskau 1960, S. 141) Derlei Zeugnisse ließen sich ingroßer Zahl beibringen, aber schon vor mir ist oftmals nachge-wiesen worden, daß Stalin an die Möglichkeit eines deutschenAngriffs bis zum letzten Augenblick nicht glaubte, ja daß er diesselbst dann noch nicht tat, als die Invasion bereits angelaufenwar.

Das aber bringt die kommunistischen Historiker in eineSackgasse: Stalin organisierte die gewaltigste Umgruppierungvon Truppen in der gesamten Militärgeschichte, um einen deut-schen Angriff abzuwehren, an dessen Möglichkeit er selbstnicht glaubte?

Die Verlegung der Zweiten Strategischen Staffel ist keineReaktion auf Aktionen Hitlers. Die Bildung der Zweiten Strategi-

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mittel für welchen Bestimmungsort bereitzustellen waren, umLadung und Transport in optimaler Weise durchführen zu kön-nen, welche Streckenführung vorgesehen war, an welchen Or-ten die Massenausladungen von Truppen erfolgen sollten. Umdies alles vorzubereiten, mußte der Generalstab zuvor genaufestgelegt haben, wo welche Truppenteile zu welchem Zeit-

punkt eintreffen mußten. Das aber bedeutet, daß wir den Be-schluß zur Aufstellung der Zweiten Strategischen Staffel undden Planungsbeginn für die Verlegung und den Kampfeinsatzan irgendeinem früheren Zeitpunkt suchen müssen. Und derläßt sich finden.

Im Grunde genommen ist die Aufstellung der Truppen in deninneren Militärbezirken und ihre Verlegung in die westlichenGrenzmi litärbezirke ein Prozeß, der am 19. August 1939 seinenAnfang nahm. Er wurde ausgelöst durch Beschluß des Polit-büros, kam nie zum Stillstand und gewann zunehmend an Dy-namik. Hier sei nur einer dieser Militärbezirke aus dem Lan-desinnern als Beispiel gewählt - der Militärbezirk Ural. ImSeptember 1939 werden dort zwei neue Divisionen aufgestellt:die 85. und die 159. Division. Die 85. begegnet uns am 21. Juni

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1941 unmittelbar an der deutschen Grenze im Raum Augustow,gerade in jenem Abschnitt, wo der NKWD den Stacheldraht

durchtrennt. Auch die 159. Division entdecken wir an derGrenze in Rawa-Russkaja als Einheit der 6. (extrem starken)Armee. Ende 1939 werden in demselben Militärbezirk Ural die110., 125. und 128. Schützendivision aufgestellt, und jedetaucht anschließend an der deutschen Grenze auf, dabei die125. Division - sowjetischen Quellen zufolge - »direkt an derGrenze« zu Ostpreußen. Der Militärbezirk Ural hat noch vieleRegimenter und Divisionen aufgestellt, und sie alle wurden stillund unauffällig näher an die Staatsgrenze vorgeschoben.

Während die Zweite Strategische Staffel offiziell nichtexistierte, während ihre Armeen eine Geisterexistenz führten,arbeitete die oberste sowjetische militärische Führung die For-men des Zusammenwirkens der Ersten und Zweiten Strategi-schen Staffel aus. So führt zum Beispiel in der zweiten Jahres-hälfte 1940 Armeegeneral D. G. Pawlow eine Besprechung mitden Kommandierenden der Armeen und Stabschefs des Sonder-

Begriff einer »Westbewegung«, einer »Bewegung über dieGrenze«. Er kann sich nicht einmal vorstellen, daß man im

Krieg einen Stab auch noch anderswohin verlegen kann .Bei der Besprechung an der Grenze nehmen außer denKommandeuren der Ersten Strategischen Staffel auch hoheGäste aus der Zweiten Strategischen Staffel mit dem Befehls-haber des Militärbezirks Moskau, Armeegeneral I. W. Tjulenew,an der Spitze teil. Tjulenew nimmt in der Reihe der tausend Ge-nerale die dritthöchste Stelle ein. Armeegeneral D. G. Pawlownutzt die Anwesenheit von Tjulenew, um dem Kommandieren-den der 4. Armee, Generalleutnant W. I. Tschuikow (dem künf ti -gen Marschall der Sowjetunion), die Bestimmung der ZweitenStrategischen Staffel zu erläute rn:

»> .. .S ob al d aus dem rückwärtigen Raum die Truppen ausden inneren Militärbezirken< - Pawlow warf einen Blick zu Tju-lenew hin — >aufgeschlossen haben, sobald in dem von IhrerArmee eingenommenen Streifen eine Truppendichte von einerDivision pro siebeneinhalb Kilometer erreicht ist, wird ein Vor-

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militärbezirks West durch. Unter den tausend sowjetischenGeneralen und Admiralen steht D. G. Pawlow an vierter Stelle.

Im Sondermilitärbezirk West werden große Stabsrahmen-übungen vorbereitet. Das Vorgehen von Truppenkommandeuren,Stäben, des Nachrichtendienstes in der Anfangsphase eines

Krieges wird ausgearbeitet. Den sowjetischen Stäben wird beidiesen Übungen die Aufgabe gestellt, eine Verlegung nach We-sten durchzuführen, und zwar so, wie es für den Beginn einesKrieges vorgesehen ist. Der Stabschef der 4. Armee, L. M. Sanda-low, stellt die erstaunte Frage: »Und diejenigen Stäbe, die unmit-telbar an der Grenze liegen? Wo sollen die hin?« (Generaloberst 

 L. M. Sandalow,, Erlebtes. Moskau 1966, S. 65) Hier muß darauf hingewiesen werden, daß bei der Vorbereitung auf einen Verteidi-gungskrieg niemand seine Stäbe »unmittelbar an die Grenze«verlegt. Aber die sowjetischen Stäbe hatte man dahin vorgezo-gen, und dort waren sie konstant seit Errichtung einer gemein-samen Grenze mit Deutschland geblieben.

Interessant ist auch die Reaktion des Stabschefs einerGrenzarmee: Er assoziiert den Befehl »Verlegung« nur mit dem

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p ,rücken möglich, und es besteht kein Grund, an dem Erfolg zuzweifeln.<« (Sandalow, Erlebtes, S. 65)

Die Anwesenheit von Armeegeneral I. W. Tjulenew, demBefehlshaber im Militärbezirk Moskau, bei dieser Besprechungim Grenzmilitärbezirk ist höchst bezeichnend. Bereits 1940

kennt er seine Rolle in der Anfangsphase des Krieges: Er hat mitseinem Stab im Grenzbezirk zu erscheinen, während die ErsteStrategische Staffel die Grenze überschreitet. Im übrigen warim Februar 1941 auf Drängen Schukows, der den Generalstabübernommen hatte, der sowjetische Plan geändert worden, undArmeegeneral Tjulenew sollte mit seinem Stab heimlich an dierumänische und nicht an die deutsche Grenze geworfen wer-den, da sich die Hauptanstrengungen der Roten Armee dortkonzentrierten.

Die Truppendichte von »einer Division pro siebeneinhalbKilometer«, welche die sowjetischen Generale zugrunde legen,ist Standardnorm für eine Angriffsoperation. Zu der Zeit gingman bei Verteidigungsaufgaben von einem drei- bis viermalgrößeren Geländestreifen für jede Division aus. Bei der hier

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genannten Besprechung wird auch noch eine weitere wichtigeFrage behandelt, nämlich die der Tarnung der sowjetischenTruppenbewegungen in Richtung Grenze: »Das Heranführenneuer Divisionen kann unter dem Vorwand von Ausbildungs-lehrgängen erfolgen.«

Der 13. Juni 1941 ist der nämliche Zeitpunkt, zu dem 77 so-wjetische Divisionen aus den Militärbezirken im Landesinnern»unter dem Vorwand von Ausbildungslehrgängen« in RichtungWestgrenzen aufgebrochen sind. In dieser Situation warteteAdolf Hitler nicht mehr ab, bis die sowjetischen Generale die»vorgeschriebene Truppendichte von einer Division pro sieben-einhalb Kilometer« hergestellt hatten, sondern er führte denersten Schlag.

2.Nachdem Deutschland den Präventivschlag geführt hatte,wurde die Zweite Strategische Staffel ebenso wie die Erste zur

Bed eut ung dieses Terminus wird man nach einem Blick zurückauf den Winterkrieg richtig verstehen. Auch vierzig Jahre spä-

ter lautet die sowjetische Version noch immer, daß der Angriff von Finnland ausgegangen sei, die Rote Armee dagegen nureinen »Gegenschlag« geführt habe.

3.Von der Stimmung in der Zweiten Strategischen Staffel berich-tet Generalleutnant S. A. Kalinin: Vor dem Beginn der heimlichdur chgeführt en Verlegung nach Westen bereitet er die Truppendes Militärbezirks Sibirien (die anschließend zur 24. Armee um-gewandelt werden) auf die kommenden Kampfhandlungen vor.

Während der Truppenübungen hört sich der General die Mei-nun g eines jüngeren Offiziers an: »Ja, und diese Verstärkungenwerden doch wohl überhaupt nicht gebraucht. Schließlich be-reiten wir uns nicht auf eine Verteidigung, sondern zum Angriff vor, schließlich werden wir den Feind auf seinem eigenen

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Verteidigung eingesetzt. Doch das besagt durchaus nicht, daßsie dafür auch geschaffen worden war. Armeegeneral M. L Ka-sakow äußert sich zur Zweiten Strategischen Staffel folgender-maßen: »Nach Kriegsausbruch mußten in ihren Einsatzplänengravierende Änderungen vorgenommen werden.« (»Militärhi-

storische Zeitschrift« 1972, Nr. 12, S. 46)Generalmajor W. Semskow drückt sich genauer aus: »DieseReserven mußten wir - nicht wie es dem Plan entsprochenhätte, für den Angriff - sondern zur Verteidigung einsetzen.«(»Militärhistorische Zeitschrift« 1971, Nr. 10, S. 13)

 Armeegeneral S. R Iwanow: »Falls es den Truppen der ErstenStrategischen Staffel gelingen sollte ..., die Kampfhandlungennoch vor der Entfaltung der Hauptstreitkräfte auf das Territo-rium des Gegners voranzutragen, sollte die Zweite StrategischeStaffel die Anstrengungen der Ersten Strategischen Staffel zu-sätzlich verstärken und einen Gegenschlag entsprechend demstrategischen Gesamtziel entwickeln.« (Die Anfangsphase desKrieges, S. 206) In dieser Formulierung sollte sich der Lesernicht durch den Terminus »Gegenschlag« irritieren lassen. Die

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Territorium schlagen.« (Gedanken zu dem, was gewesen ist.Moskau 1963, S. 124) General Kalinin gibt die Worte des jungenOffiziers leicht ironisch wieder: Sieh einmal an, wie naiv derMann war. Aber er sagt nicht, woher bei diesem rangniedrigenOffizier diese Auffassung kommt. Wenn der Offizier nicht recht

hatte, hätte General Kalinin ihn korrigieren und außerdemsämtliche Kommandeure, von den Bataillonen angefangen bishinauf zu den Korps, darauf hinweisen müssen, daß die jungenOffiziere irgend etwas nicht richtig verstanden hätten, daß dieZielsetzung der Gefechtsausbildung zu einseitig ausgerichtetsei. General Kalinin hätte umgehend eine Umfrage bei den Kom-mandeuren der benachbarten Bataillone, Regimenter, Divisio-nen anstellen müssen, und wenn sich diese »unrichtige« Mei-nung dort wiederholen sollte, hätte er einen dringenden Befehlfür die 24. Armee erlassen müssen, daß die Zielsetzung der Ge-fechtsausbildung zu ändern sei. Aber General Kalinin tut diesnicht, und seine Truppen bereiten sich weiter darauf vor, »auf dem Territorium des Gegners zu kämpfen«.

Nicht die jungen Offiziere sind schuld daran, daß sie auf eine

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Verteidigung nicht vorbereitet waren, ja, es ist nicht einmal dieSchuld von General Kalinin. Er kommandierte nur eine einzigeArmee, dabei bereiteten sich immerhin sämtliche Armeen dar-auf vor, »auf dem Territorium des Gegners zu kämpfen«.

Interessant ist eine Erklärung desselben Generals in dem-selben Buch (S. 182-183). Nachdem Kalinin im Herst 1941 die24. Armee an General K. Rakutin übergeben hat, kehrt er nachSibirien zurück und macht sich hier »in Holzfällerbarackensied-lungen« an die Ausbildung von zehn neuen Divisionen. Kalininmag selbst zu Worte kommen: »Womit sollte man beginnen?Worauf war das Hauptaugenmerk bei der Ausbildung der Trup-pen zu konzentrieren -Verteidigung oder Angriff? Die Situationan den Fronten war weiterhin angespannt. Die Truppen der

Roten Armee setzten ihre schweren Abwehrkämpfe fort.Die Erfahrung der vorausgegangenen Kämpfe hatte gezeigt,

daß wir durchaus nicht immer unsere Verteidigung klug organi-siert hatten. Oft genug waren die Verteidigungsstellungen auspioniertechnischer Sicht schlecht angelegt. Mitunter fehlte es ind d ll h b i

Armee für eine Verteidigung nicht gerüstet ist. Aber sie wirdauch nicht darauf vorbereitet. Sie ist nicht verteidigungsbereit?Und wenn schon! Wir werden sie dennoch für den Angriff schulen! Und nur dies!

Wenn sogar nach der deutschen Invasion, zu einem Zeit-punkt, da die deutsche Wehrmacht den Fortbestand des kom-munistischen Regimes selbst bedroht, General Kalinin fortfährt,seine Truppen nur für den Angriff zu schulen, worauf hat er siedann wohl erst recht vor der deutschen Invasion vorbereitet?

4.Die Zweite Strategische Staffel konnte infolge der deutschen

Präventivaktion nicht ihrer eigentlichen Bestimmung entspre-chend eingesetzt werden, sie wurde für die Abwehr gebraucht.Wir verfügen jedoch über genügend Dokumente, um die ur-sprüngliche Bestimmung der Zweiten Strategischen Staffel fest-halten zu können, sowie die Rolle, die ihr in den sowjetischenK i l d h A h hi b ß i i

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der vordersten Stellung an Schützengrabensystemen. Die Ge-fechtsordnung der Verteidiger bestand zumeist aus einer ein-zigen Staffel und einer geringen Reserve, was die Widerstands-kraft der Truppen schmälerte. In vielen Fällen waren die Leuteungenügend in der Panzerabwehr ausgebildet, es herrschte

eine gewisse Panzerfurcht ...Zugleich aber überlegte ich mir: >Wir werden uns nichtimmer nur verteidigen. Dieser Rückzug ist eine Notmaß-nahme ...<

Zudem hatte man in der Verteidigung niemals die Haupt-kampfform gesehen und tat es auch weiterhin nicht ... Folglichmußten die Truppen auf Angriffskämpfe vorbereitet werden ...;... Ich besprach mich mit den Kommandeuren. Wir kamen zuder übereinstimmenden Auffassung, daß das Hauptgewicht beider Ausbildung auf eine sorgfältige Ausarbeitung von Fragen imBereich der Taktik von Angriffsoperationen zu legen war.«

Die Hauptaufgabe des Staates und seiner Armeen besteht zudiesem Zeitpunkt darin, den Feind zumindest vor den MauernMoskaus zum Stehen zu bringen, und allen ist klar, daß die Rote

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Kriegsplänen zugedacht war. Auch hier besaß, genauso wie inder Ersten Strategischen Staffel, jede Armee ihre eigene unwie-derholbare individuelle Ausprägung, ihre eigene Physiognomie,ihren eigenen Charakter. Die Mehrzahl der Armeen war gewis-sermaßen mit leichtem Gepäck ausgerückt, stellte eine Art

mächtiges Skelett dar, das nach der Ankunft und der heimlichenEntfaltung in den Wäldern der Westregionen des Landes auf-gefüllt werden sollte.

Die Standardzusammensetzung der Armeen in der ZweitenStrategischen Staffel bestand aus zwei Schützenkorps zu je dreiSchützendivisionen. Das war keine Stoßarmee, sondern einenormale Armee mit reduzierten Kräften.

Nach ihrem Eintreffen in den Westregionen schritt jedeArmee unverzüglich zur vollständigen Mobilisierung und zurAuffü llung ihrer Divisionen und Korps. Das Fehlen mechanisier-ter Korps mit ihrer Riesenmenge an Panzern in der Mehrzahlder Armeen der Zweiten Strategischen Staffel war völlig logisch.Erstens wurden diese Korps hauptsächlich in den Westregionendes Landes aufgestellt. So mußten sie im Bedarfsfall nicht aus

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den fernen Provinzen im Ural und aus Sibirien nach Westengeworfen werden: Es war einfacher, die von dort eintreffenden

reduzierten Armeen mit diesen Korps erst in den Westregionendes Landes aufzufül len und voll auszurüsten. Eine noch bessereVariante bestand darin, den überwiegenden Teil der mechani-sierten Korps bei dem ersten Überraschungsschlag einzuset-zen, um diesem eine außerordentliche Schlagkraft zu verleihen,danach die Zweite Strategische Staffel in den Kampf zu werfenund diesen leichteren Armeen alle Panzer zu überlassen, die dieersten Operationen überstanden hatten.

Doch gab es auch Ausnahmen innerhalb der Armeen derZweiten Strategischen Staffel . Die 16. Armee war eindeutig eineStoßarmee. Sie zählte zu ihrem Bestand ein vollzählig aufge-

fülltes mechanisiertes Korps, das über mehr als 1000 Panzerverfügte, außerdem wurde zusammen mit dieser Armee dieselbständige 57. Panzerdivision (unter Oberst W. A. Mischulin)nach Westen verlegt, die in operativer Hinsicht dem Komman-dierenden General der 16. Armee unterstellt war. Insgesamt be-

ß di 16 A i hli ßli h di Di i i h l 1200

Armee der Zweiten Strategischen Staffel steht unmittelbardahinter gleichfalls vor Rumänien.

Voreingenommene Freunde der Sowjetunion haben die Le-

gende in Umlauf gebracht, daß die Zweite Strategische Staffelfür »Gegenangriffe« bestimmt gewesen sei. Wenn dem so war,dann wurde der mächtigste »Gegenschlag« gegen die rumäni-schen Erdölfelder vorbereitet.

Die 16. und zweitstärkste Armee innerhalb der ZweitenStrategischen Staffel entfaltete sich in ihrer unmittelbarenNachbarschaft. Sie konnte ebenfalls gegen Rumänien eingesetztwerden, wahrscheinlicher aber war Ungarn als Einsatzgebiet,an der Nahtstelle zwischen der 26. (Stoß-)Armee und der 12.(Gebirgsjäger-Stoß-)Armee, um die Erdölquellen von den Ver-

brauchern abzuschneiden.Hitler hatte jedoch durch seine Invasion diese ganze Ent-faltung gestört. Die 16. und 19. Armee mußten kurzfristig nachSmolensk geworfen werden, und dergestalt wurde auch die»Befre iung« von Rumänien und Ungarn einige Jahre aufgescho-ben

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saß die 16. Armee einschließlich dieser Division mehr als 1200Panzer, und bei abgeschlossener Auffüllung mußte sie zahlen-mäßig 1340 Panzer überschreiten. Noch stärker war die ausdem Nordkaukasus erwartete 19. Armee. Sie umfaßte vierKorps, einschließlich eines mechanisierten, des 26. Korps. Es

gibt genügend Hinweise, daß auch das 25. Mechanisierte Korps(unter Generalmajor S. M. Kriwoschejin) für die 19. Armee be-stimmt war. Sie war eindeutig eine Armee von maximalerSchlagkraft. Sogar ihre Schützenkorps wiesen eine ungewöhn-liche Zusammensetzung auf und wurden von ranghohen Kom-mandeuren befehligt. So verfügte zum Beispiel das 34. Schüt-zenkorps (unter Generalleutnant R. P. Chmelnizki) über vierSchützen- und eine Gebirgsjägerdivision sowie über mehrereschwere Artillerieregimenter. Die Zugehörigkeit von Gebirgs-

  jägerdivisionen zu einer Armee ist kein Zufall. Die 19. Armee,diese stärkste Armee der Zweiten Strategischen Staffel, wurdenicht gegen Deutschland  entfaltet, sondern hierin zeichnet sichdas sowjetische Gesamtkonzept ab: Die stärkste Armee der Er-sten Strategischen Staffel tritt gegen Rumänien an, die stärkste

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ben.Der Kommandierende General der 16. Armee, Generalleut-

nant M. R Lukin, erwähnt nicht, auf welchen Territorien die16. Armee, die zu der Zeit unter seinem Kommando stand, plan-gemäß hätte eingesetzt werden sollen. In keinem Falle aber wares sowjetisches Gebiet: »Wir gingen davon aus, auf gegne-rischem Territorium zu kämpfen.« (»Militärhistorische Zeit-schrift« 1979, Nr. 7, S. 43) Auf derselben Seite unterstreicht

  Marschall der Sowjetunion A. M. Wassilewski, daß man Lukinglauben müsse: »in seinen Worten steckt viel rauhe Wahrheit«.Wassilewski selbst ist ein hervorragender Meister der Kriegs-führung »auf gegnerischen Territorien«. Er war es gewesen,der 1945 den Überraschungsschlag gegen die japanischen Trup-pen in der Mandschurei führte und der erlesenste Klasse darindemonstrierte, wie ein plötzlicher verräterischer Stoß in denRücken eines Gegners zu versetzen ist, den der Krieg an ande-

ren Fronten beschäftigt.

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5.Gleich nach der Teilung Polens im Herbst 1939 war eine Riesen-

menge sowjetischer Truppen von ihren ständigen Garnisonenan die neuen Grenzen geworfen worden. Aber die neuen Territo-rien waren nicht für die Aufnahme großer Truppenmassen ein-gerichtet, vor allem nicht moderner Truppen mit einer großenAnzahl von kampftechnischem Gerät.

In der offiziellen Geschichte des Zweiten Weltkrieges (Bd. 4,S. 27) heißt es: »Die Truppen der westlichen Grenzbezirke hat-ten mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Alles mußte neugebaut und ausgerüstet werden: ... Basen und Versorgungs-punkte, Flugplätze, das Verkehrsnetz, Nachrichtenzentralenund -Verbindungen ...«

Die offizielle Geschichte des Militärbezirks Belorußland (DerRotbanner-Miltärbezirk Belorußland, Moskau 1983, S. 84) sagtdazu: »Die Verlegung von Verbänden und Truppenteilen desMilitärbezirks in die Westgebiete Belorußlands verursachtenicht geringe Schwierigkeiten... Die Kräfte der 3., 10. und4 A it d A b d d B

in den neuen Gebieten oft genug mit Wirtschaftsarbeiten an-stelle ihrer Gefechtsausbildung beschäftigt seien.

Auf derselben Besprechung sagte der Chef der Kraftfahr-zeug- und Panzer-Führung Genera lleutnant der Panzertruppen Ja. N. Fedorenko, daß nahezu sämtliche Panzerve rbände in de rZe i t von 1939-1940 ihre Dislozierung geändert hätten, mit-unter drei- bis viermal. Der Erfolg war, daß »über die Hälfte derTruppenteile, die an neue Orte verlegt worden waren, keineTruppenübungsplätze besaßen«.

Um den Preis ungeheurer Anstrengungen konnte die gewal-tige Truppenmenge der Ersten Strategischen Staffel in den Jah-ren 1939 und 1940 schließlich untergebracht werden. Doch nu nsetzte im Februar 1941 zuerst langsam, dann zunehmend

schneller die Verlegung der riesigen Truppenkontingente derZweiten Strategischen Staffel ein.

In diesem Augenblick ging eine Veränderung von e inschnei-dender Bedeutung vor sich: Die sowjetischen Truppen hörtenauf, sich darum zu sorgen, wo sie den kommenden Winter ver-b i d Di T d E S i h S ff l

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4. Armee ... waren mit der Ausbesserung und dem Bau vonKasernen, Magazinen und Lagern, mit der Einrichtung vonTruppenübungsplätzen, Schießplätzen und Panzerparcours be-schäftigt. Den Truppen wurden große Anstrengungen abver-langt.«

Generaloberst L. M. Sandalow: »Die Verlegung der Truppendes Militärbezirks hierher war mit großen Schwierigkeiten ver-knüpft. Der Kasernenbestand war nicht der Rede wert... Fürdie Truppen ohne Kasernenunterkünfte wurden Erdhütten ge-baut.« (An der Front vor Moskau, S. 41) Doch es kamen immerneue Truppen hinzu. General Sandalow spricht davon, daß fürdie Truppenunterbringung in den Jahren 1939-1940 Vorrats-lager, Baracken, sämtliche verfügbaren Räume genutzt wur-den. »In Brest war eine Riesenmasse an Truppen zusammenge-kommen ... In den unteren Stockwerken der Kasernen wurdenPritschen in vier Etagen aufgestellt.«

Der für die Gefechtsausbildung in der Roten Armee verant-wortliche Generalleutnant W. N. Kurdjumow äußerte bei einerKommandeurbesprechung im Dezember 1940, daß die Truppen

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bringen würden. Die Truppen der Ersten Strategischen Staffelgaben ihre Erdhütten und halbfertigen Kasernen auf und rück-ten in den Grenzstreifen ab. Hier ist die Rede von sämtlichenTruppen und einem Abrücken unmittelbar zur Grenze. (Siehe

  Marschall der Sowjetunion I. Ch. Bagramjan, »Militärhistori-

sche Zeitschrift« 1976, Nr. l, S. 62.) Die Truppen der ZweitenStrategischen Staffel, die aus dem Landesinnern herangeführtwurden, bezogen nicht die unfertigen Kasernen und Militär-siedlungen, die von der Ersten Strategischen Staffel verlassenworden waren. Die eintreffenden Truppen machten keine An-stalten, an diesen Orten zu überwintern, und bereiteten sich inkeiner Weise auf den Winter vor. Sie bauten keine Erdhütten,legten keine Truppenübungsplätze und Schießplätze an, nichteinmal Schützengräben wurden ausgehoben. Es gibt eineMenge Unterlagen und Memoiren von sowjetischen Generalenund Marschällen, aus denen hervorgeht, daß die Truppen jetztnur noch in Zelten kampierten. Einige Beispiele: Im zeitigenFrühjahr 1941 formierte sich im Baltikum die 188. Schützen-division des 16. Schützenkorps der 11. Armee. Im Mai kommen

331

die Reservisten dazu. Die Division errichtet ein provisorischesSommerzeltlager im Gebiet Koslowo Ruda (Entfernung zur

Staatsgrenze: 45-50 km). Unter dem Schutz des TASS-Kommu-niques verläßt die Division diese Zeltstadt und rückt an dieGrenze vor. Jeder Versuch, auch nur eine Anspielung auf Vorbe-reitungen für den Winter zu finde n, ist zum Scheitern verurteilt- die Division hat sich hier nicht auf eine Überwinterung einge-richtet. Gleich nebenan erfolgt die Entfaltung der 28. Panzer-division, und es ergibt sich das gleiche Bild. In sämtlichen Pan-zerdivisionen, bei allen in der Neuformierung begriffenenSchützendivisionen hat sich die Einstellung gegenüber demWinter radikal geändert - niemand trifft noch irgendwelcheVorkehrungen für das Überwintern.

  Marschall der Sowjetunion K. S. Moskalenko (zu der ZeitGeneralmajor und Kommandeur einer Brigade) erhält vomKommandierenden General der 5. Armee, Generalmajor M. I.Potapow, den Auftrag: »- Hier hat deine Brigade mit der For-mierung begonnen - ... Du besetzt diesen Abschnitt, da, imW ld lä d d i ht t i L Di k f t k

auch keine Erdhütte n an. Wo sonst wollten sie den Winter ver-bringen , wenn nicht in Mittel- und Westeuropa?

6.Bei Generalmajor A. Saporoschtschenko finden wir folgende

Beschreibung: »Die abschließende Etappe der strategischenEntfaltung bildete die heimliche Verlegung der Angriffsg ruppie-runge n in die Bereitstellungsräume für die Offensive, die im Ver-lauf einiger Nächte vor dem Angriff erfolgte. Die Tarnung dieserVerlegung wurde durch die Kräfte der bereits früher an dieGrenze vorgezogenen verstärkten Bataillone organisiert, die biszum Aufschließen der Hauptstreitkräfte die für die Divi sionenbestimmten Frontabschnitte kontrollierten.

Die Verlegung der Fliegerkräfte begann in den letzten Mai-tagen und war am 18. Juni beendet. Dabei wurden Jagdfliegerund Armeeflieger auf Flugplätzen konzentriert, die bis zu 40 kmvon der Grenze entfernt waren, und Bomberflieger nicht weiterl 180 k ( ili hi i h i h if 1984 4 S 42)

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Waldgelände und errichtest ein Lager...« Die kampfs tarke,voll aufgefüllte Brigade mit über 6000 Mann und mehrerenhundert schweren Geschützen bis hin zur 85-mm-Artillerie er-richtet ein Lager innerhalb von drei Tagen. Danach beginnt eineintensive Gefechtsausbildung von 8 bis zu 10 Stunden täglich,

nichtgerechnet die Nachtübungen, Selbststudium, Waffen-wartung, Ausbildung an der Waffe. (An der Südwest-Front,S. 18)

Würden sich die sowjetischen Truppen auf eine Verteidigungvorbereiten, dann müßten sie sich in den Boden eingraben, eineununterbrochene Linie von Schützengräben vom NördlichenEismeer bis zur Donaumündung anlegen. Aber das tun sie be-kanntlich nicht. Wenn sie die Absicht hätten, noch einen weite-ren Winter ruhig abzuwarten, müßten sie von April/Mai annichts als bauen, bauen und nochmals bauen. Aber auch das ge-schieht nicht. Einige Divisionen haben irgendwo weiter hintenhalbfertige Kasernen. Aber viele Divisionen werden erst imFrühjahr 1941 aufgestellt, und die verfügen nirgendwo überirgend etwas: weder Kasernen noch Baracken, aber sie legen

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als 180 km.« (»Militärhistorische Zeitschri ft« 1984, Nr. 4, S. 42)In dieser Beschreibung muß uns nur das genannte Datum des18. Juni wundern. Die sowjetischen Fliegerkräfte hatten ihreVerlegung noch nicht abgeschlossen, sondern damit erst am13. Juni unter dem Schutz des TASS-Kommuniques begonnen.

Wieso spricht der General dann vom 18. Juni? Nun, er sprichtnicht von der Roten Armee, sondern von der deutschen Wehr-macht . Dort ging nämlich genau dasselbe vor sich: Die Truppenrückten bei Nacht zur Grenze vor. Vorausgeschickt hatte manverstärkte Bataillone. Die eintreffenden Divisionen nahmen dieAbsprungstellungen für den Angriff ein bzw. verbargen sich —schlichter ausgedrückt - in den Wäldern. Die Aktionen der bei-den riesigen Heere ergeben ein Spiegelbild. Die einzige Nicht-übereinstimmung betrifft die zeitliche Terminierung. Zu Beginnhatten die sowjetischen Truppen einen Vorsprung, jetzt kommtihnen Hitler um zwei Wochen zuvor: Er hat weniger Truppenund muß bei dieser Verlegung nur eine sehr kurze Entfe rnungüberbrücken. Es fällt auf, daß die deutsche Wehrmacht AnfangJuni in einer ausgesprochen mißlichen Lage war: Eine Menge

333

Truppen befand sich in den Militärtransportzügen. Die Ge-schütze sind in dem einen Zug, die Munition dafür in einem an-

deren. Die Kampfbatail lone werden da ausgeladen, wo es keineStäbe gibt, die Stäbe dort, wo keine Truppen sind. Es fehlt anNachrichtenverbindungen, weil aus Sicherheitserwägungen dieArbeit vieler Funkstationen bis zum Einsetzen der Kampfhand-lungen einfach untersagt war. Auch die deutschen Truppen bau-ten keine Erdhütten und legten keine Schießplätze an. Aber diewichtigste Übereinstimmung bestand in der ungeheuren Mengean Vorräten, Truppen, Flugzeugen, Lazaretten, Stäben, Flug-plätzen unmittelbar an der sowjetischen Grenze, und nur ganzwenige kannten den Plan für den weiteren Gang der Ereignisse -dies war ein streng gehütetes Geheimnis der obersten Führung.

Alles, was wir bei der Roten Armee sehen und als Dummheitund Idiotie abqualif izieren, vollzog sich zwei Wochen zuvor beider deutschen Wehrmacht. Doch es ist nichts Abwegiges, son-dern die Vorbereitung für eine gewaltige Angriffsoperation.

Der Chef des sowjetischen Generalstabs, Marschall der Sowjetunion B. M. Schaposchnikow, hatte in dieser Frage einefeste Meinung: »Ein langes Verweilen der eingezogenen Rese r-visten unter der Fahne ohne Aussicht auf einen Krieg kann sichnegativ auf ihre moralische Verfassung auswirken; anstelleeiner Erhöhung der Gefechtsbereit schaft wäre deren Absinkendie Folge ... Kurzum, wie sehr dies (das Andauern diesesZustandes) auch die militärische Führung und um so mehr dieDiplomatie wünschen mag - in jedem Falle können mit der Be-kanntgabe der Mobilmachung aus rein militärischen Gründendie Kanonen von selbst losfeuern.

Es muß daher bezweifelt werden, daß ein langes Verharrenmobilisierter Armeen im Zustand militärischer Ruhe ohne Über-

gang zu aktiven Operationen unter den heutigen Bedingungeneines Krieges möglich ist.« (Das Gehirn der Armee, Bd. 3. Mos-kau 1929)

Die sowjetische Militärwissenschaft ging damals und gehtauch heute noch davon aus, daß »Mobilmachung, Truppen-zusammenziehung operative Entfaltung und Durchführung

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7.Was hätte nach der vollständigen Konzentrierung der sowje-tischen Truppen der Zweiten Strategischen Staffel in den West-regionen des Landes geschehen sollen? Die Antwort auf diese

Frage war lange vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges gegeben.General W. Sikorski: »Das strategische Abwarten kann nichtüber den Zeitpunkt hinaus andauern, an dem sämtliche Kräftemobilisiert sind und ihre Konzentrierung abgeschlossen ist.«(Der künftige Krieg. Moskau 1936, S. 2 40) Das sagt der General-stabschef des polnischen Heeres. Allerdings wurde das Buch inMoskau auf Beschluß des sowjetischen Generalstabs für diesowjetischen Kommandeure veröffentlicht. Das Buch wurdedeshalb veröffentlicht, weil die sowjetische Militärwissenschaftschon vorher zu der festen Überzeugung gelangt war, daß »dasSchlechteste unter den gegenwärtigen Bedingungen das Bestre-ben wäre, sich in der Anfangsphase eines Krieges an die Taktikdes Abwartens zu halten.« (»Krieg und Revolution« 1931, Nr. 8,S. 11)

334

zusammenziehung, operative Entfaltung und Durchführungder ersten Operationen einen einzigen untrennbaren Prozeßdarstellen«. (»Militärhistorische Zeitschrift« 1986, Nr. l, S. 15)Nachdem die sowjetische Führung die Mobilmachung, undmehr noch die Konzentrierung und operative Entfaltung der

Truppen in Gang gesetzt hatte, konnte sie diesen Prozeß garnicht mehr aufhalten oder auch nur bremsen. Das ist genauso,als würde die Hand hastig nach unten fahren, das Pistolenhalf-ter öffnen, die Waffe herausziehen, auf den Gegner richten undgleichzeitig den Abzug spannen. Danach ist das Auslösen einesSchusses, ob uns dies gefällt oder nicht, unausbleiblich - dennsobald die eine Hand zielstrebig nach unten greift, wird derGegner ebenso schnell (oder auch noch schneller) das gleichetun.

Die Historiker sind uns bis auf den heutigen Tag die Antwortauf die Frage schuldig geblieben, wer den sowjetisch-deutschen

Krieg 1941 begonnen hat. Zur Lösung dieses Problems schlagendie kommunistischen Historiker ein Kriterium vor: Wer denersten Schuß abgegeben hat, ist schuld. Warum aber sollen wir

335

uns nicht eines anderen Kriteriums bedienen? Warum solltenwir nicht darauf achten, wer als erster mit der Mobilisierung,Zusammenziehung und operativen Entfaltung der Truppen

begann, das heißt, wer als erster zur Pistole griff?

8.Die Verfechter der kommunistischen Version greifen nach

 jedem Strohhalm. Da hält man mir wieder lautstark entgegen:Schaposchnikow hatte begriffen, daß das Aufschließen derTruppen zur Grenze Krieg bedeutet. Die heutigen sowjetischenStrategen begreifen das. Aber 1941 war nicht mehr Schapo-schnikow Generalstabschef, sondern Schukow Vielleicht hat er

die Truppen in Richtung Grenze verlegt, weil er nicht verstand,daß dies Krieg bedeuten würde?Nein, Schukow hatte alles begriffen, und sogar noch besser

als wir.Um die ganze Entschlossenheit in den Aktionen der sowjeti-

schen obersten Führung zu verdeutlichen, müssen wir uns in

macht, was sich ungemein stark auf die Gesamtverfassung derDivision und ihre Gefechtsbereitschaft auswirkte. Die Diszi pli n

verfiel... « (Erinnerungen und Gedanken, S. 118)Im Frühjahr 1933 hatte die beste Division der Roten Armee»einen extremen Tiefstand erreicht« und »war kampfunf ähig «.Der Divisionskommandeur wurde zum Hauptschuldigen mitallen sich für ihn daraus ergebenden Folgen erklärt, für dieDivision aber »wurde ein neuer Kommandeur ausfindig ge-macht«. Dieser Kommandeur war G. K. Schukow. Genau von daan begann sein Aufstieg. Schukows Tätigkeit wurde nicht nursorgfältig von seinem Korpskommandeur S. K. Timoschenkoüberwacht, sondern vom Volkskommissar für Verteidigung K. Je.Woroschilow höchstpersönlich, trug doch die Division dessen

Namen und hatte als beste Division gegolten. Woroschilow er-wartete von Schukow, daß er den ehemaligen Ruf der 4. Kavalle-riedivision wiederherstellen würde, und das erreichte Schukowdurch eiserne Maßnahmen, womit er gleichzeitig den Nachweiserbracht hatte, daß man ihm jede theoretisch nicht erfüllbareAufgabe übertragen konnte

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g ,das Jahr 1932 zurückbegeben, zur 4. Kavalleriedivision, nichtnur der besten in der ganzen Roten Kavallerie, sondern in derganzen Roten Armee überhaupt. Bis 1931 war sie im Militärbe-zirk Leningrad stationiert und lag dort, wo früher die kaiser-liche berittene Garde untergebracht war. Ein jeder mag sichselbst die Bedingungen ausmalen, unter denen diese Divisionihre Tage verbrachte und ihre Gefechtsausbildung absolvierte.Man kann ihre Unterbringungsverhältnisse nicht anders alsprächtig bezeichnen. Doch dann wurde diese Division aufgrundbesonderer operativer Überlegungen an einen unvorbereitetenStandort verlegt. Marschall der Sowjetunion G. K. Schukow:»Eineinhalb Jahre lang mußte die Division selbst Kasernen,Pferdeställe, Stabsunterkünfte, Wohnhäuser, Lagerräume unddie gesamten Ausbildungsanlagen bauen. Am Ende war dieglänzend ausgebildete Division zu einem schlechten Arbeits-

truppenteil abgesunken. Der Mangel an Baumaterialien, dasregnerische Wetter und andere ungünstige Bedingungen hatteneine rechtzeitige Vorbereitung auf den Winter unmöglich ge-

336

Aufgabe übertragen konnte.1941 waren alle an dieser Geschichte Beteiligten auf eine

höhere Ebene als die von 1933 aufgerückt. Sie waren sogarwesentlich höher aufgestiegen. K. Je. Woroschilow ist Mitglieddes Politbüros, Marschall der Sowjetunion, Vorsitzender des

Verteidigungskomitees; S. K. Timoschenko ist Marschall derSowjetunion, Volkskommissar für Verteidigung; Schukow istArmeegeneral, Stellvertreter des Volkskommissars für Verteidi-gung, Generalstabschef. Sie sind es, die selbdritt die Bewegungder sowjetischen Truppen in Richtung deutsche Grenze leiten.Sie wissen besser als wir - und nicht nur aus theoretischenÜberlegungen -, daß man nicht einmal eine einzige Division ineinem unvorbereiteten Waldgelände überwintern lassen darf.Ein Soldat kann unter jeden beliebigen Bedingungen überwin-tern. Nicht das ist das eigentliche Problem. Das Problem bestehtdarin, daß es an den Westgrenzen, wie bereits erwähnt, keineSchießplätze gibt, keine Truppenübungsplätze, keine Panzer-parcours, keine Ausbildungszentren, daß die Voraussetzungenfür eine Gefechtsausbildung fehlen. Die Truppen müssen ent-

337

weder unverzüg lich in den Kampf geführ t werden, oder es folgtunweigerlich ein Rückgang im erreichten Zustand der Gefechts-

bereitschaft. Also: Sie wissen, daß man keine einzige Divisionüber den Winter an einem nicht entsprechend vorbereiteten Ortlassen kann. Sie wissen, daß man die Schuldigen finden wird,und sie wissen auch, was mit den für schuldig Befundenen ge-schieht. Aber sie verlegen die Truppen an Orte, wo praktisch fürdie gesamte Rote Armee die Voraussetzungen zur Gefechtsaus-bildung fehlen!

Der Krieg begann nicht so, wie Stalin es gewollt hatte, unddeshalb endete er auch nicht so: Stalin bekam nur die Hälftevon Europa. Um aber Stalin zu verstehen und sein Handeln rich-tig einschätzen zu können, lassen Sie uns für einen Augenblick

die folgende Situation ausmalen: Hitler hat Stalin nicht am22. Juni 1941 angegriffen. Hitler hat sich zum Beispiel ent-schlossen, erst Gibraltar zu erobern und das »UnternehmenBarbarossa« für zwei Monate zurückzustellen.

Was würde Stalin in diesem Falle getan haben?Stalin hatte bereits keine Wahl mehr

Gru nd den gesamten Prozeß der Aufstellung und Verlegung derZweiten Strategischen Staffel streng geheimgehalten. Konnte erdamit rechnen, dieses Geheimnis weiterhin wahren zu könn en ,wenn er wochenlang diese Truppenmassen in den Grenz-wäldern beließ?

Die zentrale Frage meines Buches lautet: Wenn die Rote Ar-mee weder zurückkehren noch sich lange in den Grenzgebietenaufhalten konnte, was für ein Handlungsraum blieb ihr dann?

Die kommunistischen Historiker sind bereit, jedes Det ail inmeinem Buche zu erörtern und jeden Fehler ausfindig zumachen. Es enthält Fehler! Das ist unvermeidlich. Irgendwo istdie Nummer eines Korps verwechselt oder die Nummer einerDivision, irgendwo eine Zeile oder ein Satz ausgelassen. Aber

lassen Sie uns von zweitrangigen Details absehen und eine Ant-wort auf die entscheidende Frage finden.

Alle kommunistischen Historiker fürchten sich, diese Fragezu beantworten. Deshalb führe ich die Meinung eines Generalsan, der ab Mai 1940 Stellvertreter des Chefs der OperativenFührung im Generalstab ist; er bearbeitete den operativen Teil

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Stalin hatte bereits keine Wahl mehr.Erstens: Er konnte seine riesigen Armeen nicht zurückziehen.

Viele der im ersten Halbjahr 1941 aufgestellten Armeen undKorps hätten überhaupt nicht gewußt, wohin sie zurückkehrensollten, es sei denn in die »Holzfällerbarackensiedlungen«. Die

Rückverlegung der Truppen hätte erneut viele Monate in An-spruch genommen, sie hätte den gesamten Eisenbahnverkehrgelähmt und eine wirtschaftliche Katastrophe bedeutet. Washätte zudem für ein Sinn darin gelegen, zunächst ein halbesJahr lang heimlich die Truppen an bestimmten Stellen zu kon-zentrieren, nur um sie hernach ein halbes Jahr lang wieder zuentzerren? Aber selbst wenn nach der vollständigen Konzen-trierung eine umgehende Dezentrierung eingesetzt hätte, sowäre dieser Prozeß doch nicht bis zum Wintereinbruch abge-schlossen gewesen.

 Zweitens: Stalin konnte seine riesigen Armeen nicht in den

Grenzwäldern zur Überwinterung liegenlassen. Ohne ange-spannte Gefechtsbereitschaft verlieren die Armeen rasch dieFähigkeit zu kämpfen. Außerdem hatte Stalin aus irgendeinem

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g ; pdes Plans zur strategischen Entfaltung der sowjetischen Streit-kräf te an der Nord-, Nordwest- und West-Front. (SowjetischeMilitärenzyklopädie, Bd. 2, S. 27) In seiner Planung war allesrichtig, weshalb er auch - bei Kriegsbeginn Generalmajor - ein-

einhalb Jahre später Marschall der Sowjetunion wurde. Er isteiner von jenen Männern, die Stalin am nächsten gestandenhaben. Er ist es, und nicht Schukow, der die Rote Armee in denletzten Lebensjahren Stalins leitet und seine hohen Posten mitdem Tod Stalins verlier t.

 Marschall der Sowjetunion A. M. Wassilewski, Sie haben dasWort: »Die Befürchtungen, daß im Westen Lärm wegen derangeblich aggressiven Absichten der UdSSR entstehen könnte,mußten beiseitegeschoben werden. Wir hatten ... den Rubikondes Krieges erreicht, und der Schritt nach vorn mußte festenSinnes getan werden.« (»Militärhistorische Zeitschrift« 1978,

Nr. 2, S. 68)Bei jedem grandiosen Prozeß gibt es einen kritischen Mo-

ment, von dem an die Ereignisse einen irreversiblen Charakter

339

annehmen. Für die Sowjetunion stellte der 13. Juni 1941 diesenAugenblick dar. Nach diesem Tag war der Krieg für die Sowjet-

union völlig unvermeidlich, und zwar mußte er im Sommer1941 beginnen, ganz unabhängig davon, was Hitler unterneh-men würde.

DIE SCHWARZEN DIVISIONEN

Stalin wird nicht vor Gewaltanwen-dung in einem nie dagewesenenAusmaß zurückschreck en.

Trotzki, 21. Juni 1939 (»Bulletin der Opposition« Nr. 79-80, S. 10)

1.

Das wesentliche gemeinsame Merkmal der Ersten und derZweiten Strategischen Staffel bestand darin, daß sie die stärk-sten Armeen innerhalb ihrer Truppenkontingente nicht gegenDeutschland, sondern gegen die Erdölfelder Rumäniens entfal-teten. Der entscheidende Unterschied war farblicher Natur. DieFarbe der Ersten Strategischen Staffel war bestimmt durch dasGrün bzw. Graugrün (die Tarnfarbe, wie es in der Armee heißt)der Millionen Feldblusen. Diese Tarnfarbe dominierte zwarauch in der Zweiten Strategischen Staffel doch war sie dort

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auch in der Zweiten Strategischen Staffel, doch war sie dortreichlich mit Schwarz durchsetzt.

Eines Tages war ich bei einem Treffen mit dem pensioniertenGeneral F. N. Remesow zugegen, der 1941 unter dem Schutz desTASS-Kommuniques den Militärbezirk Orjol verlassen, dessen

Truppen mit den Truppen des Militärbezirks Moskau zur 20.Armee vereinigt hatte und an ihrer Spitze heimlich in RichtungWesten aufgebrochen war. Die Anwesenden bei dieser Begeg-nung waren Offiziere und Generale des Militärbezirksstabes,die das Gesprächsthema nicht nur aus den Memoiren von in denRuhestand abgetretenen Generalen kannten. Es entspann sicheine hitzige Debat te, in deren Verlauf ein schneidiger Oberst Ge-neral Remesow offen heraus fragte, weshalb die Deutschen inihren Dokumenten das 69. Schützenkorps seiner 20. Armee das»schwarze Korps« nannten. Der General gab keine befriedi-gende Erklärung. Er wich auf die 56. Armee aus, die er späterkommandierte und in der man einige Divisionen in Ermange-lung grauer Militäruniformmäntel in schwarze Eisenbahner-mäntel gesteckt hatte. Aber das war im Dezember gewesen.

341

Remesow war offensichtlich bemüht, eine Beantwortungder Frage zu umgehen. Man hatte ihn nach dem Juni 1941 ge-fragt , in dem es noch keinen Mangel gab und die Soldaten natür-

lich auch nicht in Uniformmänteln in den Kampf zogen — es warschließlich eine warme Jahreszeit. Im 69. Schützenkorps aberhatten viele Soldaten im Sommer  eine schwarze Uniform ge-tragen. Es waren ihrer immerhin so viele gewesen, daß dieseTatsache die Aufmerksamkeit der deutschen Abwehr auf sichzog, was zu der inoffiziellen Bezeichnung des 69. Korps als»schwarzes Korps« führte .

Dieses Korps war nicht das einzige. Das 63. Schützenkorpsder 21. Armee der Zweiten Strategischen Staffel taucht gleich-falls in den deutschen Unterlagen als schwarzes Korps auf. Der

Kommandeur des 63. Schützenkorps, Korpskommandeur L. G.Petrowski, war ein in jeder Hinsicht herausragender Truppen-führer. Mit 15 Jahren hatte er an der Erstürmung des Winter-palais in Petrograd und anschließend am gesamten Bürgerkriegkämpfend teilgenommen, wobei er dreimal schwere Verwun-dungen erlitt. Am Ende des Bürgerkrieges ist er im Alter von 18

division (unter dem Brigadekommandeur Ja. S. Fokanow) au sdem Kessel herauszuholen. Bei diesem Durchbruch durch dieUmzinge lung wurde Petrowski tödlich getroffen. Als die deu t-

schen Truppen Petrowskis Leichnam auf dem Schlachtfeld fan-den und identifizierten, wurde der sowjetische General auf höheren Befehl mit allen militärischen Ehren beigesetzt. Auf seinem Grab wurde ein großes Kreuz aufgestellt mit der deut-schen Aufschrift: »Generalleutnant Petrowski, Kommandeurdes schwarzen Korps«.

Sowjetische Quellen bestätigen diese ungewöhnliche, ehrendeGeste der deutschen militärischen Führung für einen sowje-tischen General. Detaillierte Informationen über die Aktionendes 63. schwarzen Korps kann man der »Militärhistorischen

Zeitschrift« 1966, Nr. 6, S. 17 entnehmen. Die »Sowjetische Mili-tärenzyklopädie« (Bd. 6, S. 314) bestätigt die Korrektheit derAngaben dieses Aufsatzes. Das schwarze Korps von Petrowskiwird auch von Generalleutnant der Artillerie G. D. Plaskowerwähnt. (Unter dem Dröhnen der Kanonade, S. 163)

Die ungewöhnliche schwarze Uniform vermerkte die deut-

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Jahren Regimentskommandeur. Mit 20 Jahren hat er bereitsmit Glanz die Generalstabsakademie absolviert. Er komman-diert die besten Einheiten der Roten Armee einschließlich der1. Moskauer Proletarischen Schützendivision. Mit 35 Jahren ist

er Stellvertreter des Befehlshabers im Militärbezirk Moskau.L. G. Petrowski hatte sich in den Kämpfen als Truppenführermit strategischem Weitblick bewährt. Im August 1941 wird erzum Generalleutnant befördert und zum Kommandierendender 21. Armee ernannt. Das 63. Schützenkorps ist zu diesemZeitpunkt nach schweren Kämpfen eingeschlossen. Stalins Be-fehl an Petrowski lautet, das Korps zu verlassen und umgehenddas Armeekommando zu übernehmen. Petrowski erbittet eineFristverlängerung von wenigen Tagen für die Übernahme desneuen Kommandos. Das Flugzeug, das ihn aus dem Kessel aus-fliegen soll, schickt er mit einer Ladung verwundeter Soldaten

zurück. Petrowski gelingt es, sein schwarzes Korps aus derUmzingelung herauszuführen, anschließend begibt er sich noch-mals zurück hinter die feindlichen Linien, um die 154. Schützen-

342

sche Abwehr auch bei anderen Armeen der Zweiten Strate-gischen Staffel. Sofern diese Uniform gegenüber der gewohntengrünen Montur überwog, sind die Regimenter, Divisionen undmitunter sogar ganze Korps als schwarze Einheiten festge-halten. Die 24. Armee der Zweiten Strategischen Staffel, dieheimlich aus Sibirien aufgebrochen war, stellte insofern keineAusnahme dar. Im Verlauf der Kämpfe wurden mehrere ihrerRegimenter und Divisionen bei den Deutschen mit dem Attribut»schwarz« versehen. Aber schon vor Beginn der Kämpfe hattensich in den Divisionen und Korps dieser Armee höchst bemer-kenswerte Dinge ereignet. Ende Juni 1940 zogen sich die Mili-tärtransportzüge der Armee über Tausende von Kilometern hin.Zu dieser Zeit befand sich der Kommandierende der Armee,Generalleutnant S. A. Kalinin (der den Befehl über den Militär-bezirk Sibirien abgegeben hatte), bereits in Moskau, um die Ver-

sorgungsfrage für die 24. Armee zu klären. Dabei kommt erauch zum Sekretär des Moskauer Stadtparteikomitees. Hörenwir, was Generalleutnant S. A. Kalinin zu berichten hat: »Der

343

Sekretär des Moskauer Stadtparteikomitees ließ sich telefo-nisch mit dem Volkskommissariat für innere Angelegenheitenverbinden.

>Der Genösse, mit dem ich eben sprach, hat große Erfahrungin der Lösung von Versorgungsproblemen. Er war lange Zeit mitdiesen Dingen beim Bau des Wolga-Moskwa-Kanals befaßt. Derwird Ihnen helfen.<

Etwa zwanzig Minuten später betrat das Zimmer des Par-teisekretärs ein hochgewachsener, stattlicher Kommandeur derNKWD-Truppen mit drei Rauten auf den Kragenspiegeln undstrammgezogenem Koppel über der Feldbluse. Wir hatten unsschnell über alles geeinigt.« (Gedanken zu dem, was gewesenist, S. 132-133)

Schade, daß General Kalinin sich geniert, den Sekretär desMoskauer Stadtparteikomitees und den stattlichen NKWD-Offi-zier mit dem strammgezogenen Koppel und den drei Rauten amKragenspiegel beim Namen zu nennen.

Nach den ersten Kämpfen kam die 24. Armee in die rich-tigen Hände: Da übernahm das Kommando der NKWD-General-

sionen (über 130000 Mann) werden demnach im Militärb ezirkSibirien nicht an Orten aufgestellt, wo schon früh er militäri scheEinheiten lagen, sondern in »Barackenstädten«. Man wird mir

erwidern, daß selbstverständlich nicht Häftlinge zu Soldatengemacht worden seien. General Kalinin wird einfach die leerenBaracken für die Unterbringung der eintreffenden Reservistenverwendet haben, die hier ausgebildet und zu Soldaten ge-macht werden sollen. Gut, einverstanden. Wo aber sind danndie »Holzfäller« abgeblieben? Weshalb ist die »Siedlung« (u ndnicht nur diese eine) leer? Sehr einfach: Weil General Kal ininvor Kriegsausbruch seine 24. Armee mit diesen »Holzfällern«aufgefüllt und sie heimlich für die Verlegung nach Westen aus-gebildet hat. Das ist der Grund für die schwarzen Uniformen in

den Regimentern und Divisionen dieser Armee und vieler ande-rer Armeen der Zweiten Strategischen Staffel. Die »Holzfäller«waren oft nicht einmal militärisch eingekleidet worden. Das istder Grund, weshalb die von Kalinin heimlich nach Westen ge-führ te Armee versorgungsmäßig nicht der Verwaltung für Ein-richtungen der Rückwärtigen Dienste im Generalstab der RotenA b i d B d d d H

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major Konstantin Rakutin. Generalleutnant S. A. Kalinin aberkehrte auf persönlichen Befehl Stalins nach Sibirien zurück.Nein, nicht um wieder den Befehl über den Militärbezirk Sibi-rien zu übernehmen. Der bleibt verwaist. Kalinin stellt auf 

Stalins Befehl neue Divisionen auf. »Die Einheiten wurden anOrten aufgestellt, wo es früher überhaupt keine militärischenVerbände gegeben hatte. Meine Arbeit begann mit der Besich-tigung dieser Orte.

Der erste Ausflug führte mich in eine Stadt in Sibirien. Schoneinige Jahre vor Kriegsbeginn hatte man dort inmitten abgele-gener Waldgebiete eine Barackenstadt für Holzfäller errichtet.Sie wurde jetzt auch zur Unterbringung der aufzustellendenEinheiten genutzt.

Die Siedlung war nahezu geschlossen von undurchdring-licher Taiga umgeben.« (Kalinin, Gedanken . . ., S. 182)

Alles Wissenswerte über die »Barackenstädte für Holz-fäller« kann man bei Alexander Solschenizyn nachlesen - inseinem »Archipel GULag«, in allen drei Bänden. Zehn neue Divi-

344

Arbeiter- und Bauernarmee unterstand, sondern der Hauptver-waltung der Straflager (GULag) des Volkskommissariats für in-nere Angelegenheiten. Das ist der Grund, weshalb Stalin an dieSpitze der 24. Armee anstelle des halben Tschekisten Kalinineinen Vollblut-Tschekisten, nämlich Rakutin, setzt. Er verstehtsich besser darauf, wie man mit den »Holzfällern« umzugehenhat.

2.Es ist bekannt, daß Stalin im Laufe des Krieges den GULag durch-kämmen ließ, um alles, was eine Waffe zu tragen imstande war,an die Front zu werfen. Mitunter wurden die Häftlinge mangelsZeit und Bekleidungsreserven einfach in ihrer Lagerkluft an dieFront geschickt. Im Grunde genommen war der Unterschiedauch nicht groß: Es waren die gleichen Segeltuchstiefel, wie sie

die Soldaten trugen, im Winter die gleichen schäbigen Fellmüt-zen - und jahraus jahrein die gleichen Uniformblusen, die sichvon denen der Soldaten nur in der Farbe unterschieden.

345

Aber bei uns in der Sowjetunion hält sich hartnäckig dieweiß der Himmel woher stammende Auffassung, daß uns zuerstHitler überfallen und dann Stalin die Häftlinge losgeschickthabe, »ihre Schuld zu sühnen«.

Indessen stießen die deutschen Truppen bereits Anfang Juli1941 auf die schwarzen Divisionen und Korps. Und zur West-grenze des Landes waren diese Divisionen und Korps am 13.Juni 1941 in Marsch gesetzt worden. Die Bildung der Armeender Zweiten Strategischen Staffel jedoch, zu denen alle dieseschwarzen Divisionen und Korps gehörten, hatte schon im Juni1940 begonnen, als Hitler Stalin den Rücken gekehrt und na-hezu alle seine Divisionen von den sowjetischen Grenzen abge-zogen hatte.

Jede Armee der Zweiten Strategischen Staffel war gerade imHinblick auf die Möglichkeit eines überraschenden Auftauchensan den Westgrenzen geschaffen worden. Jede dieser Armeenformierte sich längs einer Haupteisenbahnstrecke. Jede Armeeentstand im Gebiet der Konzentrationslager: Die Männer dortsind an Ordnung gewöhnt, sie sind anspruchslos, und es istl i ht i d L h l l d Dö

Kennen Sie den Satz aus dem Buch von Michail Djo min? »Fastdie gesamte Armee Rokossowskis bestand aus Lagerhäf tlingen.«(Der Gauner. New York 1981, S. 26)

Rokossowski hat in seinem ganzen Leben nur eine einzigeArmee kommandiert: die 16. Er vergißt in seinen Memoirendarüber zu sprechen, woraus sie sich zusammensetzte. DieseVergeßlichkeit ist typisch für ihn. Er beginnt seine Erinnerun-gen mit den Worten: »Im Frühling 1940 war ich zusammen mi tmeiner Familie in Sotschi« und vergißt zu sagen, daß er selbstdavor im GULag gewesen ist.

Gewiß, im weiteren Text erwähnt Rokossowski beiläufig:»Das Leben hatte mich davon überzeugt, daß man auch jenenvertrauen kann, die früher einmal aus irgendwelchen Gründen

gegen die Gesetze verstoßen hatten. Gebt einem solchen Men-schen Gelegenheit, seine Schuld zu sühnen, und ihr werdetsehen, daß das Gute in ihm, die Liebe zur Heimat, zu seinemVolk siegt; das Bestreben, koste es was es wolle, das verloreneVertrauen zurückzugewinnen, macht ihn zu einem wagemuti-gen Kämpfer.« (Marschall der Sowjetunion K. K. Rokossowski,

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leichter, sie aus den Lagern zusammenzuholen, als aus den Dör-fern. Sie stehen schon bereit, sind in Brigaden organisiert, unddie Hauptsache dabei: Holt man die Männer aus den Dörfern,geht es ohne Gerüchte über eine Mobilmachung und einen be-

vorstehenden Krieg nicht ab. Aber Stalin kann kein Aufsehen,keine Gerüchte für diese Aktion brauchen. Eben deshalb hat er ja das TASS-Kommunique verfaßt. Deshalb waren die Männervorsorglich in Lager gesteckt worden, dort hatte man sie anDisziplin gewöhnt - und nun ging es ohne Lärm an die Front.

Viele Jahre später wird man über diese Zeit Bücher undLieder schreiben.

Erinnern Sie sich an die Zeilen des Liederdichters WladimirWyssozki:

Und neue Häftlinge nach unsMögen an den Lagertoren lesen

Unsere Namen hinter GlasUnter der Überschrift:»Sie alle gingen an die Front.«

346

Soldatenpflicht, S. 136)Damit gibt Rokossowski offen zu, daß er reichlich Gelegen-

heit hatte, sich davon zu überzeugen, daß man aus Lagerhäft-lingen Soldaten machen kann. Aber nicht das ist hier wichtig.

Entscheidend ist vielmehr, daß Stalin den Lagerhäftlingen die»Gelegenheit, ihre Schuld zu sühnen« und »wagemutige Kämp-f e r« zu werden, bereits vor Hitlers A n g r i f f   gab. Mit der Aufstel-lung jener Armeen, die speziell dafür vorgesehen waren, Häft-linge als Kanonenfutter in ihren Reihen aufzunehmen, hatteman bereits begonnen, noch ehe der Plan für das »Unterneh-men Barbarossa« entstand! Die 16. Armee - die Stammutterder Zweiten Strategischen Staffel - wurde an der Transsibiri-schen Eisenbahn aufgestellt, um sie rasch nach Westen werfenzu können; in Transbaikalien, wo es Häftlinge in Fülle gab. Siewar schon eine Strafarmee gewesen, bevor Rokossowski das

Kommando über sie erhielt. Rokossowski hat sie nur im August1941 übernommen. Vor ihm hatte sie ein anderer General kom-mandiert - ein Opfer der Großen Säuberung -, Michail Fjodoro-

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witsch Lukin, der sich danach bei Smolensk in den heftigenKämpfen auszeichnen und schwer verwundet werden sollte,der in Gefangenschaft geriet und dem dort ein Bein amputiertwurde. Von deutscher Seite erlebte er Anerkennung seiner Ver-dienste, aber er lehnte eine Zusammenarbeit mit den Deut-schen ab, verbrachte vier schreckliche Jahre in deutschen Kon-zentrationslagern und geriet nach der Befreiung erneut in densowjetischen GULag.

Die Begegnung mit der 16. Armee Lukins Anfang Juli 1941kam für die deutsche Heeresleitung völlig unerwartet, so wiedie Existenz der gesamten Zweiten Strategischen Staffel über-haupt eine Überraschung war. Deshalb findet man hierüber inden deutschen Archiven besonders viele Unterlagen. Jeder, der

sich dafür interessiert, kann in diesen Archiven Hunderte vonPhotographien finden, die den Augenblick der Gefangennahmevon Soldaten der Zweiten Strategischen Staffel festgehaltenhaben. Und immer wieder tauchen darauf inmitten der jungenBurschen die Gesichter von Männern auf, die ein hartes Lebengezeichnet hat, Männer in halbmilitärischer Uniform. Bis-

3.Ich weiß nicht, was der deutschen Abwehr in der ersten Juni-hälfte 1941 bekannt gewesen ist und was nicht. Aber nehmenwir einmal an, sie habe nur ganz wenig gewußt und sei nur imBesitz jener kleinen Bruchstücke und Fragmente von Infor ma-tionen gewesen, die auch wir jetzt kennen:

1. An den Westgrenzen der Sowjetunion werden getarntmehrere Armeen zusammengezogen.

2. Innerhalb dieser Armeen trägt eine bestimmte AnzahlSoldaten, und mitun ter ganze Divisionen (davon jede in e inerStärke von ca. 15000 Mann) und sogar ganze Korps (50000Mann), eine ungewöhnliche schwarze Uniform, die an die Ge-fängniskleidung erinnert.

3. Mindestens eine dieser Armeen untersteht versorgungs-mäßig der Hauptverwaltung der Straflager des NKWD.4. Die Sowjetregierung leugnet im TASS-Kommunique kate-

gorisch und in aller Öffentlichkeit das Außergewöhnliche dieserTruppenbewegung und ihren Massencharakter, indem sie von»gewöhnlichen Truppenübungen« spricht.

Verset en ir ns in die Rolle des Chefs der militärischen

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weilen tragen diese Gefangenen eine normale Militärbluseohne Dienstgradabzeichen. Aber selbst diese Feldbluse machtsie noch nicht den Soldaten gleich. Und noch ein Unterschied istda - jeder dieser Männer hat kräftige, schwielige Hände, eine

ausrasierte Stirn, ein ausgemergeltes Gesicht. Woher? Nochsind sie nicht durch die deutschen Konzentrationslager gegan-gen! Ich will Ihnen sagen, woher diese ausgemergelten Gesich-ter kommen: Die Rokossowskis waren aus dem GULag in dieArmee geraten, nachdem sie zuvor in Sotschi auf der Krim her-ausgefüttert worden waren - doch diese einfachen Soldatenhatten Sotschi nicht einmal gesehen.

Wenn die deutsche Wehrmacht Anfang Juli 1941 auf Divisio-nen und Korps stieß, die mit Lagerhäftlingen aufgefüllt waren,

 jedoch zu Armeen gehörten, die aus weit entfernten Provinzen,aus dem Ural, aus Sibirien, von jenseits des Baikalsees kamen,dann kann dies nur bedeuten, daß Stalin den Häftlingen schonvor dem 22. Juni 1941 eine Waf f e in die Hand  gedrückt  habenmußte.

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Versetzen wir uns in die Rolle des Chefs der militärischenAufklärung des angrenzenden Staates, der die Situation zu be-urteilen hat und seiner Regierung gegenüber kurzfristig eineEmpfehlung aussprechen muß. Die entscheidende Frage, die

eine klare Antwort erfordert, lautet: Was wird Stalin tun, wennwir nicht angreifen? Oder hat Stalin noch andere Varianten fürden Einsatz der bewaffneten Häftlinge im Sinn, die da heimlichan den deutschen Grenzen zusammengezogen worden sind?

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ZWEI PARALLELE SYSTEMEMILITÄRISCHER DIENSTGRADE

... Nur wer zunächst sein eigenesVolk besiegt hatte, konnte einen

starken Gegner bezwingen.Shang Yang, chinesischer Staatsmann,

4. Jahrhundert v. Chr.

In unserem Bericht über die schwarzen Divisionen und Korpshatten wir eingangs vom 63. Schützenkorps der 21. Armeegesprochen. Dabei waren die Namen des Korpskommandeurs

Petrowski und des Brigadekommandeurs Fokanow gefallen.Weshalb sind sie nicht Generale? Die Antwort ist einfach: In denschwarzen Korps und Divisionen waren nicht nur Soldaten undOffiziere, sondern auch die höchsten TruppenkommandeureVeteranen aus den »Holzfällerbarackensiedlungen«.

Bis 1940 gab es in der Roten Armee für die Stabsoffiziere diemilitärischen Dienstgrade des Brigadekommande rs (kombrig)

N. N. Woronow. Der Armeekommandierende W. Ja. Katschalowwurde zum Generalleutnant herabgestuft. KorpskommandeurG. K. Schukow dagegen erhielt die höchste Generalswürde - erwurde zum Armeegeneral ernannt. Es ist nebenbei gesagt einewenig bekannte Tatsache, daß Schukow General Nr. l war: Erhatte als erster in der ganzen Roten Armee den Generalsrangverliehen bekommen. Insgesamt waren durch Beschluß derSowjetregierung im Juni 1940 1000 Stabsoffiziere in den Rangvon Generalen bzw. Admiralen erhoben worden.

Die Einführung der Generalsdienstgrade ist Stalins Zucker-brot nach der großen Züchtigung von 1937/38. Aus welchemAnlaß zeigt sich Genösse Stalin von seiner gütigen Seite? Weil erplant, alle seine Kommandeure in einer überschaubaren Per-

spektive tätig werden zu lassen. Andernfalls hätte er sich mitdem Zuckerbrot nicht so zu beeilen brauchen.Aber Stalin genügen diese tausend Generale noch nicht. Im-

mer neue und abermals neue Divisionen, Korps und Armeenwerden aufgestellt. Dienststellungen von Generalen werden mitObersten besetzt. Wir können noch an die hundert Oberste ent-decken die die Dienststellung eines Generals bekleiden d h in

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militärischen Dienstgrade des Brigadekommandeurs (kombrig),Divisionskommandeurs (komdiv), Korpskommandeurs (komkor)und des Armeekommandierenden (komandarm). Als Dienst-gradabzeichen dienten Rauten auf den Kragenspiegeln: eine

Raute für den Brigadekommandeur, zwei Rauten für den Divi-sionskommandeur usf. Aber dann macht Stalin den Stabsoffizie-ren seiner Roten Armee ein Geschenk: Er führt Generalsrängeein, Lampassen an den Uniformhosen, Sterne anstelle der Rau-ten. Die neuen Ränge Generalmajor, Generalleutnant, General-oberst, Armeegeneral stehen in keinerlei Beziehung zu denalten Dienstgraden. Eine Regierungskommission nahm eine völ-lige Neuattestierung der gesamten Stabsoffiziere vor, wobeiviele Brigadekommandeure zu Obersten wurden, das heißt auf eine Ebene herabgestuft wurden, auf der sie sich viele Jahre zu-vor befunden hatten. Einige Brigadekommandeure wurden Ge-

neralmajore und der Brigadekommandeur I. N. Musytschenkosogar Generalleutnant. Viele Armeekommandierende wurden zuGeneralobersten - 0. L Gorodowikow, G. M. Stern, D. G. Pawlow,

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decken, die die Dienststellung eines Generals bekleiden, d. h. inder Funktion von Divisionskommandeuren. Und wir sind auchbereits Oberst I.I. Fedjuninski in der Funktion eines Komman-deurs des 15. Schützenkorps der 5. Armee begegnet.

Doch die Truppenkommandeure reichen noch immer nichtaus. Als Hitler sich Stalin zugewendet hatte, begnügte sich Sta-lin mit dem vorhandenen Bestand. Dann wandte sich Hitlernach Westen und kehrte Stalin den Rücken zu, und auf einmalhat Stalin einen enormen Bedarf an höheren Offizieren. AnKommandeuren! Deshalb rollen die Gefangenenwaggons soeilig nach Moskau. Da werden die ehemaligen Kommandeure,die den GULag am eigenen Leibe kennengelernt haben, im Lub-

 janka-Gefängnis höflich empfangen, man erklärt ihnen, daß einIrrtum unterlaufen sei, das Strafverfahren werde eingestellt,die Rehabilitierung eingeleitet. Die Kommandeure eilen nach

Sotschi und von da unter die Kriegsfahnen.Nicht allen diesen Kommandeuren wird die gleiche Ehre

zuteil. Einige werden auf Generalsränge befördert. Zu ihnen

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gehört Generalmajor K. K. Rokossowski, der künftige Marschallder Sowjetunion. Die Mehrzahl der aus den Gefängnissen undLagern Entlassenen aber behält einfach den alten militärischenDienstgrad: »Brigadekommandeur« (kombrig), »Divisionskom-mandeur« (komdiv), »Korpskommandeur« (komkor). Das führtzu einer seltsamen Situation innerhalb der Roten Armee: Esgibt nun zwei parallele Systeme militärischer Dienstgrade fürdie Stabs- bzw. Generalstabsoffiziere, zwei verschiedene Sy-steme von Dienstgradabzeichen, zwei verschiedene Uniformen.Die eine Sorte von Kommandeuren schreitet stolz mit Sternenauf den Kragenspiegeln und Lampassen (bei der Truppe nenntman es die gestreiften Hosen) einher, sie haben schmucke Para-deuniformen; die anderen, die die gleichen Aufgaben versehen,

tragen bescheidene Rauten.Bei Melgunow gibt es eine mit Dokumenten belegte Be-

schreibung der von den Tschekisten in Kiew während des RotenTerrors angewandten Verhörmethoden. (S. P Melgunow, DerRote Terror in Rußland. Berlin 1924, S. 129) Wer die Fragen derTscheka-Leute nicht beantwortete, wurde einfach in einen Sarggelegt und eingegraben Später holte man ihn wieder heraus

Können wir uns vorstellen, wie alle diese »Kombrigs« und»Komdivs« darauf brennen, sich einzusetzen, das, was sie gelernthaben , zu tun?

Versuchen Sie, sich einen schuldlos zum Tode Verurteiltenvorzustellen, dem man anschließend eine Arbeit anbietet, fürderen Ausführung ihm Begnadigung und Wiedereinsetzung inseine einstmals hohe Position winken. Wird er die ihm übertra-gene Aufgabe wohl erfüllen?

Stalins Rechnung ging auf. Viele der so Befreiten dientenStalin aufrichtig und überzeugt, sie stürzten sich in den Kampf und bewiesen durch ihre Taten und mit ihrem Blut, daß sie desin sie gesetzten Vertrauens würdig waren. Zu ihnen gehört derDivisionskommandeur Woroschejkin, der die Fliegerkräfte der

21. Armee der Zweiten Strategischen Staffel kommandierte. Erzeichnete sich von den ersten Kämpfen an aus und erhielt imJuli 1941 den Dienstgrad eines Generalmajors der Luftstreit-kräfte. Im August war er bereits Stabschef der Luftstreitkräfteder Roten Armee. Nach weiteren Beförderungen in jedemfolgenden Jahr wurde er 1944 zum Marschall ernannt.

Brigadekommandeur A W Gorbatow der im März 1941 aus

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gelegt und eingegraben. Später holte man ihn wieder herausund setzte das Verhör fort.

Im Grunde tut Stalin in der »Vorkriegsperiode« genau dasgleiche. Während der Großen Säuberung geraten Tausende von

Truppenkommandeuren in den GULag, einige mit einem Todes-urteil, andere mit langen Freiheitsstrafen, die sie in Kolymaverbüßen müssen. Viele Zeugenaussagen bestätigen, daß dasLeben dort durchaus nicht die bessere Lösung im Vergleich zueiner Vollstreckung der Todesstrafe durch Erschießen seinmußte. (Siehe z.B. W. Schalamow, Geschichten aus Kolyma.Berlin 1983) Und auf einmal werden diese Menschen, die be-reits mit ihrem Leben abgeschlossen haben, in komfortablenEisenbahnabteilen befördert, man füttert sie in Sanatorien derPartei-Nomenklatur heraus, legt die frühere Befehlsgewalt inihre Hände zurück und gibt ihnen die »Möglichkeit, ihre Schuld

zu sühnen«. Generalsdienstgrade werden ihnen nicht zugestan-den (d. h. sie erhalten überhaupt keine Garantien) - erfüll dudeine Pflichten als Kommandeur, dann sehen wir weiter ...!

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 Brigadekommandeur A. W. Gorbatow, der im März 1941 ausdem Lager entlassen worden war, erhielt die Dienststellungeines Stellvertreters des Kommandeurs des 25. Schützenkorpsin der 19. Armee der Zweiten Strategischen Staffel. Er stieg biszum Dienstgrad eines Armeegenerals und zur Dienststellungdes Befehlshabers der Luftlandetruppen der Roten Armee auf.

Hier die Schilderung seiner Befreiung:»Meine Frau war beim NKWD gewesen, von dort kam sie

wie auf Flügeln zu mir geeilt und erzählte, wie man sie dort sehrgut empfangen und zuvorkommend mit ihr gesprochen habe,wie man sich nach ihren Lebensumständen erkundigt habe, obman ihr finanziell behilflich sein könne ...

... In der Nacht zum 5. März 1941, um zwei Uhr morgens,brachte mich der Untersuchungsrichter in einem Pkw zumKomsomol-Platz zu meinen Bekannten. Als er mich abgeliefer t

hatte, verabschiedete er sich höflich: >Hier ist meine Telefon-nummer. Sollte etwas sein, rufen Sie mich ruhig jederzeit an.Sie können auf meine Hilfe rechnen.<

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Wie eine Reliquie hatte ich meinen Sack mit den alten Lappen,die Gummischuhe, die pechschwarzen Zuckerstückchen unddas Trockenbrot mitgenommen, die ich für den Fall einer Er-

krankung aufgehoben hatte.« (Jahre und Kriege. Moskau 1965,S. 168-169)

Der Vergleich mit dem Eingraben im Sarg und dem erneutenHerausholen ist nicht meine Idee. Die habe ich von Armeegene-ral Gorbatow entliehen: »Der 5. März ist für mich der Tag, andem ich zum zweiten Mal geboren wurde.«

Brigadekommandeur Gorbatow war (so wie viele andereauch) nach einem guten Zeitplan entlassen worden: Ein MonatUrlaub im Sanatorium, dann folgt der Dienstantritt mit derÜbernahme seiner neuen Aufgaben, und schon sind wir beim

Datum des TASS-Kommuniques angelangt. Da aber ist der wak-kere Brigadekommandeur mit seinen Divisionen, den »An-nuschkas«, bereits auf dem Weg in Richtung Westen.

Die »Souvenirs« aus dem GULag hat er jedenfalls als erfah-rener Lagerhäftling nicht ohne Grund mitgehen lassen. Gorba-tow hat sie nicht wieder nötig gehabt, und das ist gut. Anderehaben sie wieder gebraucht Da ist zum Beispiel der Brigade-

Diese Brigade- und Divisionskommandeure füllten auch d ieleergewordenen Stellen, nachdem die Zweite StrategischeStaffel heimlich zu den Westgrenzen aufgebrochen war. So übtder Brigadekommandeur N. I. Christofanow die Funktion desKriegskommissars in der Region Stawropol aus. Brigadekom-mandeur M. W. Chripunow ist Abteilungsleiter im Stab desMilitärbezirks Moskau. Der Stab war nach dem Abrücken sämt-licher Stabsoffiziere an die rumänische Grenze mit Tscheka-Leuten besetzt worden, die von militärischen Dingen nichtbesonders viel verstehen. Deshalb hatten sie sich den armenChripunow aus dem GULag herbeordert.

Aber zweifellos war der entscheidende vorgesehene Platzfür alle diese Divisions-, Brigade- und Korpskommandeure die

Zweite Strategische Staffel gewesen. Diese Staffel war durch die»Holzfäller« aufgefüllt worden, also waren auch die Truppen-führer gleicher Herkunft für sie bestimmt. Hier stoßen wir auchauf den Korpskommandeur Petrowski. Seine letzte Dienststel-lung war die eines Stellvertreters des Befehlshabers im Militär-bezirk Moskau gewesen. Anschließend hat er gesessen. (Ande-ren Informationen zufolge war Petrowski seines Postens entho

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haben sie wieder gebraucht. Da ist zum Beispiel der Brigade-kommandeur L F. Daschitschew, der die Gummigaloschen einzweites Mal anziehen mußte. Im März 1941 entlassen, war erim Oktober bereits wieder verhaftet und hat mindestens bis

1953 gesessen.Die alten Brigade-, Divisions- und Korpskommandeure fan-den auch bei der Auffüllung der Ersten Strategischen Staffel Ver-wendung: Brigadekommandeur M. S. Tkatschow bei der 109.Schützendivision im 9. Spezial-Schützenkorps; Brigadekom-mandeur N. P. Iwanow als Stabschef der 6. Armee; Divisions-kommandeur A. D. Sokolow als Kommandeur des 16. Mecha-nisierten Korps der 12. Armee; Divisionskommandeur G. A.Buritschenkow als Chef der südlichen Luftverteidigungszone;Divisionskommandeur P. G. Alexejew als Chef der Fliegerkräfteder 13. Armee; Brigadekommandeur S. S. Kruschin als Stabs-chef der Fliegerkräfte der Nordwest-Front; Brigadekomman-deur A. S. Titow als Chef der Artillerie der 18. Armee, und viele,viele andere mehr.

354

ren Informationen zufolge war Petrowski seines Postens entho-ben, aber nicht verhaftet worden. Über zwei Jahre hat er inständiger Erwartung seiner Verhaftung zugebracht.) Im Novem-ber 1940 griff man wieder auf ihn zurück, und er wurde mit der

Aufstellung des 63. Schützenkorps beauftragt. Hier stoßen wirauf den Anfang des schwarzen Korps! Von den drei Divisionendieses Korps werden zwei von den BrigadekommandeurenJa. S. Fokanow und W. S. Rakowski geführt. Die dritte Divisionsteht unter dem Kommando von Oberst N. A. Prischtschep. Erist kein Brigadekommandeur, aber auch er hat gesessen. AuchOberste hatte man eingesperrt und sie hernach zur Komplettie-rung der Zweiten Strategischen Staffel wieder aus den Lagernherausgeholt. Ebenso Majore, Hauptleute und selbst Leutnants.

Das angrenzende 67. Korps derselben Armee ist überreichmit Brigadekommandeuren ausgestattet. Selbst an der Spitzedes Korps steht ein Brigadekommandeur - F. F. Schmatschenko(der später zum Generaloberst befördert wird). Nehmen Sie

 jede beliebige Armee, die heimlich aus dem Landesinneren zur

35 5

Grenze aufschließt, und Sie werden überall in Mengen Brigade-kommandeure finden, die unmittelbar davor aus dem Lagerentlassen worden sind. Zwei Korps hat die 22 . Armee, und beidewerden von Brigadekommandeuren geführt: Powetkin an derSpitze des 51. Korps, I. P. Karmanow an der Spitze des 62.Korps. Werfen Sie einen Blick auf die Stabschefs, die Chefs derArtillerie, der Pioniertruppen, der Rückwärtigen Dienste und

 jedes beliebigen anderen Dienstes oder welcher Waffengattungauch immer - überall begegnen wir entlassenen Strafgefange-nen. Zwei Divisionen dieser Armee sind besonders starkschwarz durchsetzt, es sind eindeutig »Holzfäller«; doch auchdie Truppenkommandeure kommen aus demselben Milieu: die112. Schützendivision steht unter dem Kommando von Brigade-

kommandeur Ja. S. Adamson, die 174. unter dem von Brigade-kommandeur A. I. Sygin.

Ich will nicht diese Ausführungen durch die Aufzählung wei-terer Dutzender Namen und Nummern von Divisionen undKorps überladen. Jeder, der sich für die Geschichte des ZweitenWeltkrieges interessiert, kann auch selbst eine stattliche Liste vonN d G fä i tl St b ffi i l

DER NICHTERKLÄRTE KRIEG

Sind wir ringsum von Feindenumgeben, werden ein plötzlicher

Vorstoß unsererseits, einunerwartetes Manöver, die

Schnelligkeit alles entscheiden.Stalin auf dem 12. Parteikongreß 1923

(Werke V S. 225)

l.

An den Westgrenzen der Sowjetunion gab es fünf Militärbezirke,

in denen heimlich, aber höchst intensiv Truppen zusammen-gezogen wurden, während die sowjetische Führung alle achtMilitärbezirke im Landesinnern, wie wir sahen, militärisch voll-kommen entblößen ließ. Aus den inneren Militärbezirken warenheimlich sämtliche Armeen, Korps, Divisionen und fast alle Ge-nerale und Stäbe an die Westgrenzen abgezogen worden.

Außer den fünf westlichen Grenzbezirken und den acht

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Namen aus dem Gefängnis entlassener Stabsoffiziere anlegen,denen Stalin die »Möglichkeit gab, ihre Schuld zu sühnen«.

Die Kommunisten behaupten, es sei eine SchutzreaktionStalins gewesen, er habe eine ungute Entwicklung voraus-

gefühlt und deshalb seine Armeen verstärkt. Nein, das warkeine Schutzreaktion! Der Prozeß der Entlassung der Brigade-,Divisions- und Korpskommandeure war von Stalin, lange bevorder Plan zum »Unternehmen Barbarossa« entstand, in Gang ge-setzt worden. Der Höhepunkt dieses Prozesses war nicht in demAugenblick erreicht, als die deutschen Truppen an den sowje-tischen Grenzen standen, sondern zu dem Zeitpunkt, als sienach Frankreich gezogen waren.

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Außer den fünf westlichen Grenzbezirken und den achtinneren Militärbezirken gab es noch die Fernost-Front und dreiöstliche Grenzmi litärbezirke: den Militärbezirk Transkaukasien,den Militärbezirk Mittelasien und den Militärbezirk Transbai-

kalien. Interessant ist auch ein Blick auf sie.Im Mai 1941 liefen im Militärbezirk Mittelasien und im Mili-tärbezirk Transkaukasien entgegen dem TASS-Dementi vom9. Mai 1941 angestrengte Vorbereitungen zur »Befreiung« desIran. Dem Militärbezirk Mittelasien war dabei die Hauptrollezugedacht, der Militärbezirk Transkaukasien hatte eine Hilfs-

funktion. Wie üblich stellten den Schlußakkord nach den Vor-bereitungen riesige Truppenübungen in Anwesenheit der höch-sten Offiziere der Roten Armee dar. Im Mai sollte zu diesenTruppenübungen der Generalstabschef, Armeegeneral G. K.

Schukow, und sein Stellvertreter, Generalleu tnant N. F. Watutin,abreisen.  Armeegeneral S. M. Stemenko (zu der Zeit Oberst in der

Operativen Führungsebene des Generalstabs): »Ende Mai soll-

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ten die Hauptkräfte unserer Abteilung nach Tiflis fahren. Wirerhielten Verstärkung aus den anderen Abteilungen ... Unmit-telbar vor der Abreise stellte sich heraus, daß weder der Chef 

des Generalstabs noch sein Stellvertreter abkömmlich warenund daß die Truppenübungen von den Befehlshabern der Trup-pen geleitet werden würden: im Militärbezirk Transkaukasienvon D. T. Koslow und im Militärbezirk Mittelasien von S. G. Trofi-menko. Doch schon am Tag nach unserer Ankunf t in Tiflis wurdeGeneralleutnant Koslow eilends nach Moskau beordert. Manspürte, daß in Moskau etwas Außergewöhnliches vor sich ging.«(Der Generalstab in den Kriegsjahren, S. 20)

So war denn der Militärbezirk Transkaukasien unmittelbaram Vorabend der »Befreiung« des Iran ohne Befehlshaber. Man

wird mir entgegenhalten, General Koslow habe einen Vertretergehabt - Generalleutnant P. I. Batow Der kann den Militär-bezirk leiten. Nein, Batow ist anderweitig beschäftigt. Batowhat gerade aus den besten Truppen des Militärbezirks das 9.Spezial-Schützenkorps formiert und auf die Krim verlegt, unddort ist dieses Korps eben jetzt gemeinsam mit der Schwarz-meerflotte mit der gezieltenVorbereitung für Landeoperationen

Artillerie in der 27. Armee im Baltikum abgestellt worden.Später wird Chlebnikow Generaloberst der Artillerie. Übrigenswar die 27. Armee offiziell in den Westregionen des Landes imMai 1941 aufgetaucht, aber ihre Kader waren schon weit fr ühervon den entlegenen Grenzen zusammengeholt worden. Gleichnach Chlebnikow und vielen anderen Obersten und Generalenwar auch der Stabschef des Militärbezirks, Generalmajor (späterArmeegeneral) M. I. Kasakow, nach Moskau beordert wo rden .General Kasakow berichtet in seinem Buch »Über der Karte ein -stiger Schlachten«, wie er vom Flugzeug aus die riesige Mengevon Transportzügen mit Truppen und Kriegsgerät beobach tete,die aus Zentralasien verlegt wurden.

  Armeegeneral A. A. Lutschinski (zu der Zeit Oberst und

Kommandeur der 83. Gebirgsjägerdivision) gehörte zu den-  jenigen, die in den Militärtransporten aus Mittelasien nachWesten rollten. Lutschinski teilt sein Abteil mit GeneralmajorI. Je. Petrow (er wird später Armeegeneral). Lutschinskis Erin-nerungen an Petrow sind wirklich unbezahlbar: »Wir fuhren ge-meinsam in einem Abteil, weil wir in das Volkskommissariat fürVerteidigung befohlen waren als über das Radio die Nachricht

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meerflotte mit der gezielten Vorbereitung für Landeoperationenvon See aus befaßt. Die Schwarzmeerflotte übt die Landung einerDivision dieses Korps durch Kriegsschiffe.

Der Militärbezirk Transkaukasien blieb ohne Befehlshaber

und ohne Stellvertreter des Befehlshabers bis August 1941, alsGeneral D. T. Koslow zurückkehrte und die »Befreiung« desIran durchführte. Hitler hatte Stalins Karten auch hier durch-einandergebracht. Infolge der nicht vorhergesehenen AktionenHitlers konnte die »Befreiung« des Iran nicht nur erst mit mehr-monatiger Verspätung erfolgen, sondern auch nur mit begrenz-ten Kräften, weshalb man auch ohne »grundlegende sozial-politische Umgestaltungen« auskommen mußte.

Ich habe noch nicht ergründet, ob Stalin Anfang Juni 1941den Befehlshaber des Militärbezirks Mittelasien, General S. G.Trofimenko, nach Moskau beorderte. Der Stab jedenfalls wurdestark ausgedünnt und »von Großbauern befreit«. Bereits imMärz 1941 war aus dem Stab des Militärbezirks MittelasienOberst N. M. Chlebnikow nach Moskau geholt und zum Chef der

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Verteidigung befohlen waren, als über das Radio die Nachrichtvom Überfall des faschistischen Deutschland auf unser Landkam.« Lutschinski erwähnt nicht, weshalb sie in das Volkskom-missariat für Verteidigung zitiert waren, aber er sagt von sei-

nem Freund General Petrow: »Kurz vor Kriegsbeginn war erzum Kommandeur der 192. Schützendivision ernannt worden(Petrow stellte diese Division auf eine Gebirgsjägerdivision umund schickte sie heimlich an die rumänische Grenze -V. S.) undspäter zum Kommandeur des 27. mechanisierten Korps, andessen Spitze er auch an die Front ging.« (»MilitärhistorischeZeitschrift« 1976, Nr. 9, S. 121-122)

Das 27. Mechanisierte Korps wird heimlich aus Mittelasien andie rumänische Grenze verlegt, während der Korpskommandeurnach Moskau fährt, um den Kampfauftrag entgegenzunehmen.Wir sind in diesem Buch schon wiederholt einer derartigen Proze-dur begegnet : So wird zum Beispiel die 16. Armee heimlich an dierumänische Grenze transportiert, während ihr Kommandierender,Generalleutnant M. Lukin, in Moskau den Kampfauftrag erhält.

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In dem ku rzen Artikel von Lutschinski über General Petrowwirkt alles ganz normal und alltäglich. Aber achten Sie einmalauf die Reihenfolge, in der sich die Ereignisse entwickeln.Zunächst formiert Generalmajor I. Je. Petrow das 27. Mechani-sierte Korps, verlädt es in Militärtransporte und schickt es andie Front, aber erst danach, als er bereits im Zuge sitzt, hört erdie Nachricht, daß Deutschland den Krieg begonnen hat.

Doch das Interessanteste geschah ein paar Tage später: Das27. Mechanisierte Korps wird unterwegs aufgelöst. In einemVerteidigungskrieg werden derartige reine Offensivformatio-nen einfach nicht gebraucht. Im Juli 1941 werden gleich nachdem 27. Mechanisierten Korps auch alle übrigen mechanisier-ten Korps aufgelöst. Es waren insgesamt neunundzwanzig

gewesen.Eine scheinbar absurde Situation: Das 27. Mechanisierte

Korps fährt vor Hitlers Überfall in den Krieg, kaum aber hatHitler den Krieg begonnen, da wird das 27. Korps noch vor demZusammentreffen mit dem Gegner aufgelöst. Doch das ist nichtabsurd. Das 27. Mechanisierte Korps wird an die rumänischeGrenze geworfen um dort zu kämpfen aber es sollte nicht in

A. S. Schadow. Von ihm ist bekannt, daß »unmittelbar vorKriegsbeginn A. S. Schadow, der in Mittelasien eine Gebirgs-

kavalleriedivision kommandierte, zum Kommandeur des 4.Luftlandeko rps ernannt wurde und an der Front eintraf, als dieKampfhandlungen bereits in vollem Gange waren«. (»Mi litär -historische Zeitschrift« 1971, Nr. 3, S. 124)

Sollte Ihnen jemand weismachen wollen, Stalin habe seineGenerale an den Westgrenzen versammelt, um eine deutscheAggression abzuwehren oder »Gegenschläge« zu führen , dannerinnern Sie den Betreffenden an General Schadow, der seineGebirgskavalleriedivision in Mittelasien gegen ein Luftlande-korps in Belorußland eintauschte. Sind Luftlandekorps etwa fürGegenschläge oder zur Abwehr feindlicher Angriffe bestimmt?

2.Der Militärbezirk Transbaikalien blieb verwaist, obwohl seineTruppen nicht nur auf sowjetischem Territorium, sondern auchin der Mongolei standen, wo erst vor kurzem ein richtiger Kriegunter Beteiligung von Hunderten von Panzern und Flugzeugen

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Grenze geworfen, um dort zu kämpfen, aber es sollte nicht ineinem Krieg kämpfen, den Hitler begonnen hat, sondern ineinem Krieg, dessen Beginn man sich anders gedacht hat.

Was zu dem Schluß führt: Hätte Hitler nicht angegriffen,

würde das 27. Mechanisierte Korps am Krieg teilgenommenhaben, denn dazu war es schließlich auf dem Weg an die Frontgewesen. Aber Hitler hatte durch seine Aktionen jene Art vonKrieg abgewendet, für die das 27. Mechanisierte Korps aufge-stellt worden war und seine achtundzwanzig Parallelverbändedazu, von denen jeder über mehr als 1000 Panzer verfügensollte.

Außer Petrow und Lutschinski hatten in den Zügen ausMittelasien noch viele andere bekannte hohe Offiziere gesessenoder solche, die sich einen Namen machen sollten. Alle Namen

werde ich nicht anführen, es ergäbe eine zu langweilige Lek-türe. Nur noch einer sei genannt, und auch nur deshalb, weil erzu dem Zeitpunkt Generalmajor war, hernach aber wie Kasa-kow, wie Petrow, wie Lutschinski Armeegeneral wurde. Er heißt

360

unter Beteiligung von Hunderten von Panzern und Flugzeugen,Tausenden von Geschützen und etlichen Tausenden von Soldatengeführt worden war.

Unter allen inneren und östlichen Grenzmilitärbezirken war

der Militärbezirk Transbaikalien der einzige, der auch überArmeen ver fügte. Es waren zwei: die 16. und die 17. Armee. Die17. Armee war in der Mongolei zurückgelassen worden, dochhatte man sie bereits 1940 bis zu einem solchen Grad »erleich-tert« , daß wegen des Mangels an Generalen Oberst P. P. Polubo-

  jarow das Amt des Stellvertreters des Kommandierenden ein-nahm. Wie wir bereits wissen, wurde auch er zuerst nachMoskau geholt und danach an die Nordwest-Front geschickt.

Die andere Armee des Militärbezirks Transbaikalien - die16. Armee — war heimlich nach Westen überführt worden. Und

obwohl man unter den zurückgebliebenen Ehefrauen das Ge-rücht von der iranischen Grenze verbreitete, hatten die Kom-mandeure der 16. Armee gewußt, daß sie in den Krieg zogen,und sie wußten auch gegen wen.

361

Der Stab des Militärbezirks Transbaikalien war beim Abzugder 16. Armee ebenfalls »erleichtert« worden, als man vieleOffiziere und Generale an die Divisionen und Korps der 16. Armee

abgegeben hatte. Ein Beispiel: Generalmajor R N. Tscherny-schow war Kommandeur der 152. Schützendivision der 16. Ar-mee. Er wurde befö rdert und zum Chef der Abteilung Gefechts-ausbildung des Militärbezirks Transbaikalien ernannt. Doch»als die Armee abrückte, erklärte Pjotr Nikolajewitsch«, daß er»mit seiner Division in den Kampf ziehen wird«, und er er-reichte, daß man ihn in die 152. Division zurückversetzte.(Generalmajor A. A. Lobatschow, Auf schwierigen Pfaden,S. 147)

Aber nicht nur Oberste und unbedeutendere Generale wur-

den in Transbaikalien zusammengerafft. Man holte sich auchwirklich bewährte Kommandeure von dort. Zu den größtengehörten die Befehlshaber des Militärbezirks. Wieso Befehls-haber? Hatte der Militärbezirk Transbaikalien nicht nur einenBefehlshaber, sondern gleich mehrere? Genau das ist es: Eswaren mehrere. Gewiß, sie befehligten ihn nicht alle zur glei-chen Zeit, sondern der Reihe nach. Aber diese Wechsel waren

Armeen der Zweiten Strategischen Staffel an der Westgrenzeeinzutreffen.

Was aber wird aus Generalleutnant P. A. Kurotschkin? E ine

ganze Armee in Militärtransporten so zu verladen, daß es nie-mand er fährt, ist nicht einfach. Kurotschkin hat diesen Auft ragerfüllt und atmet erleichtert auf. Doch am 13. Juni, im Augen-blick der Verbreitung des TASS-Kommuniques, erhält Kuro tsch -kin den Befehl, den Militärbezirk Transbaikalien zu verlassenund sich unverzüglich nach Moskau zur Entgegennahme einesneuen Auftrags zu begeben. Die Zeitung der Roten Armee »Ko-ter Stern« vom 26. Mai 1984 beweist, daß sich General leutnantKurotschkin am 22. Juni 1941 im Wagen eines Schnellzugesnach Irkutsk befand ... Der Militärbezirk Transbaikalien aber

blieb ohne Befehlshaber. Die Sowjetische Militärenzyklopädie(Bd. 3, S. 357) informiert darüber, daß der neue Befehlshabererst im September 1941 eintraf.

3.Doch nicht nur aus den inneren Militärbezirken und den halben

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,nicht von Dauer. 1940 leitet Generalleutnant F. N. Remesow denMilitärbezirk Transbaikalien. Er wurde als Befehlshaber desMilitärbezirks Orjol abkommandiert. Dort stellte er insgeheim

die 20. Armee auf und führte sie unter dem Schutz des TASS-Kommuniques an die deutsche Grenze. Nach Remesow fun-gierte vorübergehend Generalleutnant I. S. Konew als Befehls-haber des Militärbezirks Transbaikalien. Er wurde von da inden Militärbezirk Nordkaukasus versetzt, wo er heimlich die19. Armee aufstellte und diese unter dem Schutz desselbenTASS-Kommuniques an die rumänische Grenze führte. DenMilitärbezirk Transbaikalien hatte auf der Stelle Generalleut-nant (später Armeegeneral) P. A. Kurotschkin übernommen.Noch vor dem TASS-Kommunique verlud Kurotschkin die 16.Armee und wünschte den Kommandeuren und Kämpfern eineerfolgreiche Ausführung »jedes beliebigen Befehls der Hei-mat«. Die 16. Armee hatte den längsten Weg vor sich. Deshalbmußte sie früher aufbrechen, um gleichzeitig mit allen übrigen

362

Frontbezirken, sondern auch von einer echten Front wurdenGenerale und Offiziere an die deutsche und rumänische Grenzeverlegt. In Fernost existierte ein Dauerkriegsherd, und bewaff-nete Zusammenstöße hatten sich wiederholt zu Konflikten un-ter Beteiligung von Hunderten von Panzern und Flugzeugen auf beiden Seiten ausgeweitet. Zu der Zeit lag ein Krieg zwischenJapan und der Sowjetunion durchaus im Bereich des Mög-lichen, und einigen ausländischen Beobachtern erschien ersogar unvermeidlich. Deshalb gab es in Fernost keinen Militär-bezirk, sondern eine Front aus drei Armeen.

Ende 1940 hatte man damit begonnen, Generale (aber auchTruppen divisions- und korpsweise) heimlich nach Westen zuverlegen. Diese Verlegungen beschränkten sich nicht nur auf unbedeutendere Generale. Im Januar 1941 war der Befehlsha-

ber der Fernost-Front, Generaloberst G. M. Stern, nach Moskaugeholt worden und hatte dort die Stelle des Chefs in der Leitungder Luftverteidigung übernommen. Am 13. Juni 1941, jenem

363

unvergeßlichen Tag, übergab Stern die Führung der Luftvertei-digung an General N. N. Woronow, während er sich selbst ingeheimer Mission an die deutsche Grenze begab.

Natürlich fand Stalin für den Generaloberst Stern einenangemessenen Ersatz: Die Fernost-Front übernahm Armeegene-ral I. R. Opanassenko. Aber viele höchste Kommandeure verlie-ßen die Fernost-Front, ohne ersetzt zu werden oder zumindestohne einen angemessenen Ersatz. So war zum Beispiel der Chef der Operativen Führungsebene des Stabes dieser Front, Gene-ralmajor G. P. Kotow, nach Westen verlegt worden.

Generalmajor R G. Grigorenko (zu der Zeit Oberstleutnantim Stab der Fernost-Front) erinnert sich: »Noch vor Stern wa-ren Iwan Stepanowitsch Konew, Markian Michailowitsch Popow,

Wassili Iwanowitsch Tschuikow und noch viele andere höchstemilitärische Vorgesetzte nach Westen abberufen worden.« (ImKeller trifft man nur Ratten. New York 1981, S. 246)

Um selbst diese nur kurze Liste recht zu würdigen, möchteich daran erinnern, daß Generalleutnant M. M. Popow (späterArmeegeneral) die 1. Armee kommandierte und General-leutnant L S. Konew (später Marschall der Sowjetunion) die

der 19. Armee ab, wird zu deren Kommandierendem ernanntund beginnt »unter strengster Geheimhaltung« (nach einer For-mulie rung von Armeegeneral S. M. Stemenko für den vorliegen-

den Fall) Ende Mai 1941 mit der Verlegung der Divisionen un dKorps seiner Armee an die rumänische Grenze. Das sind binnenkurzer Frist vier Posten - von der äußersten Ostgrenze an dieäußerste Westgrenze. Ein Fuchs in Generalsuniform. Wie willman ihn anders bezeichnen? Vor sämtlichen Angriffsope ratio-nen (aber nicht vor Verteidigungsaktionen) hat Stalin seine be-sten Generale und Marschälle versteckt. Das betraf vor allemSchukow, Wassilewski, Konew, Rokossowski, Merezkow. Und soverwischte Konew im Frühjahr 1941 geradeso wie vor allenwirklich großen Angriffsoperationen seine Spur in einer Weise,

daß selbst seine engsten Freunde nicht wußten, wohin er gera-ten war.Aber nicht nur Konew verwischte seine Spur. Selbst bei

einem Blick auf die Posten, die Konew zur Irre führung vorüber-gehend übernahm, wird man noch weitere Generale entdecken ,die dieselben Posten zur Ablenkung und Tarnung ihrer Spurenbenutzten. So hatte zum Beispiel Generaloberst F. I. Kusnezow

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2. Armee. Alle etwaigen Ausflüchte, daß die Verlegung dieserGenerale im Hinblick auf die voraussehbare deutsche Invasionerfolgt sei, weise ich schlichtweg zurück. Popow erlebt denKriegsbeginn als Befehlshaber der Nord-Front an der finni-schen Grenze, und Konew bewegt sich zu diesem Zeitpunkt ander Spitze seiner übermächtigen Angriffsarmee in Richtungrumänische Grenze.

Interessant ist der Weg General Konews vom Posten einesArmeekommandierenden in Fernost zum Posten eines Kom-mandierenden Generals einer Armee an der rumänischenGrenze. Konew begibt sich nicht auf direktem Wege dahin. Erschlägt Umwege ein. Nachdem er im April 1941 die 2. Armee inFernost abgegeben hat (Sowjetische Militärenzyklopädie, Bd. 2,S. 409), übernimmt Konew den Militärbezirk Transbaikalien.

Nachdem er sich dort abgemeldet hat, taucht er, ohne viel Auf-sehen zu erregen, ganz still in Rostow auf und übernimmt denMilitärbezirk Nordkaukasus. Hier schließt er die Aufstellung

364

nach Aufgabe seines Postens als Leiter der Akademie des Gene-ralstabs den Militärbezirk Nordkaukasus übernommen, und alser diesen an Konew abgetreten hatte, war er an der Grenze vonOstpreußen als Befehlshaber der Nordwest-Front aufgetaucht.

4.Nach dem geheimnisvollen Verschwinden Genera l Konews vonder fernöstlichen Grenze hatte die dort zurückgebliebene 2. Ar-mee keinen angemessenen Ersatz bekommen. General M. F.Terjochin kann man natürlich nicht als wirklichen Ersatz fürKonew akzeptieren.

Bei der 1. Armee an der Fernost-Front war die Situationsogar noch interessanter. Nach dem Weggang von Genera l M. M.

Popow an die Nord-Front hatte man für ihn einen würdigenNachfolger bestimmt: Generalleutnant A. I. Jerjomenko (späterMarschall der Sowjetunion). Aber lange behielt Jerjomenko

365

dieses Kommando nicht. Am 19. Juni erhielt er den Befehl, die1. Armee abzugeben und sich unverzüglich in Moskau einzufin-den, um seinen neuen Einsatzort zu erfahren.

Hitler hatte alle Karten durcheinandergebracht, und erstnach dem Beginn der deutschen Invasion wird Jerjomenko Be-fehlshaber der West-Front anstelle des abgesetzten GeneralsD. G. Pawlow. Am 19. Juni war allerdings eine derartige Wen-dung der Ereignisse nicht vorauszusehen. Pawlow saß fest auf seinem Posten als Befehlshaber der West-Front. Stalin hatte Jer-

 jomenko zur Erledigung einer anderen Mission kommen lassen,die nicht bekannt ist und möglicherweise auch unerledigt blieb.Mir glückte es, Marschall der Sowjetunion Jerjomenko persön-lich zu begegnen und mit ihm zu sprechen. Sehr behutsam, um

nicht seinen Argwohn zu wecken, versuchte ich mich an dieseFrage heranzutasten. Ich hatte den Eindruck, daß Jerjomenkosich nicht verstellte, sondern wirklich nicht wußte, wofür Stalinihn am 19. Juni 1941 brauchte. Ich lenkte die Aufmerksamkeitdes Marschalls darauf, daß er damals keineswegs der einzigewar. Ich sagte zu ihm, da sei zum Beispiel auch Kurotschkin un-terwegs gewesen und Siwkow und Kurdjumow und Schadow

und die anderen Generale von der Fernost-Front zur Verstär-kung der Verteidigung abberufen. Um restlos alle Zweifel zubeseitigen, will ich nur noch einen einzigen weiteren G ene ral

anführen , den mir ebenfalls Jerjomenko genannt hat: General-major W. A. Glasunow (später Generalleutnant, Befehlshaberder Luftlandetrup pen der Roten Armee) kommandierte Anfang1941 die 59. Schützendivision in der 1. Armee der Fernost-Front.Jerjomen ko hatte die 1. Armee sehr ins Herz geschlossen undwollte sie nicht ohne Kommandierenden General der »Stabs ratte«Schelachow überlassen. Aber Stalin hatte Jerjomenkos Stellv er-treter bereits weggeholt, die Korpskommandeure ebenfalls,und selbst die erfahrenen Divisionskommandeure waren längstnach Westen verlegt worden. Nur noch die 59. Division hatte

einen erfahrenen, kämpferischen, vielversprechenden General -Glasunow. Jerjomenko sagte mir, er habe unverzüglich einechiffrierte Nachricht an den Generalstab mit dem Vorschlaggeschickt, General Glasunow mit der Führung der 1. Armee zubetrauen. Von der Division weg an die Spitze einer Armee - dasist ein großer Sprung, aber was sollte man tun, wenn es andereDraufgänger unter den Kommandeuren im Fernen Osten nicht

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und Petrow und Lutschinski. Der Marschall zeigte sich sehrinteressiert. Ich bedaure ungemein, daß ich kein westlicherHistoriker bin mit dem Paß eines demokratischen Landes in der

Tasche, so daß ich die Unterhaltung mit dem Marschall einfachnicht zu weit ausdehnen konnte.Der aufmerksam gewordene Jerjomenko wies mich auf 

noch ein paar Generale hin, die man aus Fernost geholt unddamit die sowjetische Verteidigung dort nahezu vollkommenentblößt hatte: Generalmajor N. E. Bersarin war Stellvertreterdes Kommandierenden der 1. Armee. Jerjomenko sagte mir, wo-von er in seinen Memoiren nicht berichtet: Als er aus dem Fer-nen Osten aufbrach, sollte er die Armee seinem StellvertreterBersarin übergeben. Dazu ist ein Stellvertreter schließlich da!Aber Bersarin war von Stalin bereits Ende Mai insgeheim nachMoskau zitiert und zum Kommandierenden der 27. Armee imBaltikum, d. h. an der deutschen Grenze, ernannt worden.

Man könnte auch hier erwidern, Stalin habe Jerjomenko

366

mehr gab?Moskau zeigte sich sofort einverstanden - nämlich damit,

daß Glasunow wirklich ein würdiger Kommandeur war, und in

einer chiffrierten Antwort erhielt Glasunow den Befehl, unver-züglich die Division abzugeben und statt dessen das 3. Luft-landekorps an der rumänischen Grenze zu übernehmen.

Auf Stalins Befehl waren Anfang Juni 1941 an den West-grenzen nicht nur sämtliche sowjetischen Luftlandetruppeneinschließlich der erst vor kurzem aus dem Fernen Osten hier-her verlegten Einheiten konzentriert, sondern im allerletztenMoment holte Stalin auch noch die Infanterie- und Kavallerie-generale von den äußersten Grenzen zusammen und machteaus ihnen binnen kurzer Frist Kommandeure von Luftlande-korps. Das betrifft nicht nur die Generale Glasunow und Scha-dow, sondern auch die Generale M. A. Ussenko, F. M. Charito-now und I.S. Besugly.

Die kurzfristige Umstellung der Generale von einem Kom-

367

mando über Infanterie- und Kavallerieeinheiten zur Führungvon Luftlandetruppen ist keine Vorbereitung für den Verteidi-gungsfall und auch keine Vorbereitung für einen Gegenangriff.Es sind Anzeichen für die Vorbereitung einer Aggression - einerunausweichlichen, unmittelbar bevorstehenden, gigantischenAngriffsoperation.

WARUM STALIN FRONTEN BILDETE

Der Krieg der Armen gegen dieReichen wird der blutigste sein, der

 je geführt worden ist.Friedrich Engels, Die Lage der 

arbeitenden Klasse in England 

(Karl Marx. Friedrich Engels. Werke,

 Bd. 2. Berlin 1959, S. 504)

1.

Eine Front stellt eine operativ-strategische Zusammenfassung

von Streitkräften dar. Eine Front umfaßt mehrere Armeen, Flie-gerkräfte, Luftverteidigungskräfte, Truppenteile und Nachschub-einheiten sowie rückwärtige Dienste. In Friedenszeiten gibt eskeine Fronten. Anstelle von Fronten hat man Militärbezirke.Eine Front wird gewöhnlich zu Beginn eines Krieges geschaf-fen. (Sowjetische Militärenzyklopädie, Bd. 8, S. 332)

1938 war angesichts der zugespitzten Beziehungen zu Japan

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368

innerhalb der Roten Armee die Fernost-Front mit der 1. und 2.Armee, Fliegerkräften und Verstärkungen gebildet worden. Am13. April 1941 wurde mit Japan der Neutralitätspakt unter-

zeichnet, aber die Fernost-Front blieb als solche bestehen undwurde nicht in einen Militärbezirk umgewandelt.An den sowjetischen Westgrenzen waren 1939 und 1940 vor-

übergehend Fronten für die »Befreiungsfeldzüge« in Polen,Rumänien, Finnland gebildet worden. Nach Beendigung dieserFeldzüge waren diese Fronten jedoch unverzüglich aufgelöstund an ihrer Stelle erneut Militärbezirke geschaffen worden.Die Historiker werfen Stalin vor, er habe mit Deutschland undJapan jeweils einen Vertrag geschlossen, aber gegen Japan seieine Front gebildet worden und gegen Deutschland nicht.

Auf den ersten Blick erscheint das unlogisch. Aber sehen Siesich Hitler an - er tut genau dasselbe: Gegen Großbritannienwerden Stäbe mit klingenden Namen geschaffen, unterdessenaber Truppen und die besten Generale heimlich an den Grenzen

369

der Sowjetunion zusammengezogen. So bereitet man einenÜberraschungsschlag vor. Auch Stalin handelt nicht anders: ImFernen Osten bildet man eine Front, doch Truppen und Generale

verlassen sie heimlich. An den Westgrenzen existieren weiter-hin Militärbezirke, dennoch erfolgt hier die Truppenkonzentra-tion. Ein Vergleich des militärischen Potentials der Fernost-Front mit dem jedes beliebigen westlichen Militärbezirks fälltkeineswegs zugunsten der Front aus. So verfügt zum Beispieldie Fernost-Front über drei Armeen, ganz gewöhnliche Ar-meen; aber im Sondermilitärbezirk West stehen vier Armeen,davon drei normale Stoßarmeen und eine extrem starke Stoß-armee. Außerdem treffen auf dem Territorium des Sondermili-tärbezirks West noch drei weitere Armeen der Zweiten Strate-

gischen Staffel ein. An der Fernost-Front dagegen niemand, imGegenteil - hier werden noch Korps und Divisionen abgezogen.An der Fernost-Front steht ein einziges mechanisiertes Korps,im Sondermilitärbezirk West sind es deren sechs. An der Fern-ost-Front gibt es keine Luftlandetruppen, im Sondermilitärbe-zirk West ein ganzes Korps. Dieser Vergleich ließe sich weiterfortsetzen. Aber man darf nicht vergessen, daß der Sondermili-

daß dies keiner wissen soll. In den vorangegangenen Ka pi te lnhabe ich die Nord-, Nordwest-, West-, Südwest- und die SüdFront erwähnt, und das war kein Irrtum. Offiziell wurden sie

erst nach der deutschen Invasion gebildet, als Reaktion auf diese Invasion. Aber werfen Sie einen Blick in die Archive, undSie werden verblüfft feststellen, daß bereits seit Februar 1941diese Bezeichnungen in jenen sowjetischen Dokumenten ver-wendet werden, die seinerzeit »streng geheim« waren. Hin Teildieser Dokumente ist jetzt freigegeben und für wissenschaft-liche Untersuchungen zugänglich. Ich zitiere: »Im Februar1941 erhielten die Militärräte der Grenzmilitärbezirke ... An-weisungen zur umgehenden Einrichtung von Frontgefechts-ständen.« (»Militärhistorische Zeitschrift« 1978, Nr. 4, S. 86)

O ffiziel l gab es an den Westgrenzen fünf M il i tärbezi rk e. In of-fiziell bereitet jeder Militärbezirk bereits Frontgefechtsständevor, d. h. er schafft nicht eine militärische Territorialstruktur,sondern eine rein militärische Organisationsform, wie sie nurwährend eines Krieges und nur zur Truppenführung im Kriegebenötigt wird.

Die kommunistischen Historiker wollen uns davon überzeu-

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tärbezirk West nicht der mächtigste ist. Der Militärbezirk Kiewist weit stärker. Wenn wir ihn mit der Fernost-Front verglei-chen, sind wir vollends von der Front enttäuscht. Die Front in

Fernost ist nur ein Deckmantel, sie soll der ganzen Welt demon-strieren, daß hier ein Krieg ausbrechen kann. Aber auch diefünf westlichen Militärbezirke sind nur ein Deckmantel, sie sol-len demonstrieren, daß hier mit keinem Krieg gerechnet wird.In Wirklichkeit stellen die fünf westlichen Grenzmilitärbezirkeseit langem etwas Ungewöhnliches dar. Gewöhnliche Militär-bezirke waren sie bis 1939. Jetzt ist in ihrem Bereich eine sostarke militärische Schlagkraft konzentriert, wie sie selten einesowjetische Front als ein vergleichbares militärisches Macht-potential selbst während der erbittertsten Schlachten imVerlaufe des Krieges vereinte.

Im Fernen Osten hat man die Front auf eine Weise errichtet,daß jeder von ihrer Existenz weiß. Hier im Westen jedoch hatman nicht nur eine, sondern fünf  Fronten entfaltet, aber so,

370

gen, daß bis zum 22. Juni 1941 zwischen der UdSSR undDeutschland Frieden geherrscht habe, der angeblich vonDeutschland am 2 2. Juni gebrochen worden sei. Diese sehr

kühne Hypothese wird leider durch keinerlei Fakten bestätigt.Die Fakten sprechen eine gegenteilige Sprache. Als die Sowjet-union im Februar 1941 ihre Frontgefechtsstände entfaltete, warsie faktisch in den Krieg gegen Deutschland eingetreten, auchwenn sie dies nicht offiziell erklärte.

2.Der Befehlshaber eines Militärbezirks übt in Friedenszeitenzwei Hauptfunktionen aus, und seine Rolle ist eine zweifache:Einerseits ist er ein rein militärischer Befehlshaber, dem meh-rere Divisionen unterstellt sind, mitunter auch mehrere Korpsoder sogar mehrere Armeen. Andererseits kontrolliert derBefehlshaber eines Militärbezirks in Friedenszeiten ein streng

371

definiertes Territorium in der Rolle eines Statthalters oder auchMilitärgouverneurs.

Im Kriegsfall verwandelt sich ein Grenzmilitärbezirk in eine

Front. Dabei können sich drei Situationen ergeben:Erste Situation: Die Front kämpft auf demselben Gebiet, auf 

dem sich vor dem Krieg der Militärbezirk befand. In diesem Fallbehält der Frontbefehlshaber seine Funktion als rein militä-rischer Befehlshaber und kontrolliert außerdem weiterhin dasihm anvertraute Territorium, indem er in den rückwärtigenFrontgebieten die Funktion eines Militärgouverneurs ausübt.

 Zweite Situation: Unter dem gegnerischen Druck weicht dieFront zurück. In einem solchen Fall bleibt der Frontbefehls-haber verantwortlich für die Leitung der Kampfhandlungen

und nimmt beim Rückzug die Organe der militärischen Territo-rialverwaltung mit.

 Dritte Situation: Mit Beginn des Krieges rückt die Front auf das Territorium des Gegners vor. Lediglich im Hinblick auf dieseSituation erfolgt eine Aufteilung der Funktionen des Befehls-habers eines Militärbezirks. Er behält die Funktion des reinmilitärischen Befehlshabers und führt seine Truppen an, während

der West-Front, und für Boldin sehen die entsprechenden Pläneden Einsatz als Kommandeur einer mobilen Gruppe der West-Front vor.

Es geht mir hierbei um Folgendes: Hät te die West-Front dor tkämpfen sollen, wo sie sich vor dem Kriege befand, das heißt inBelorußland, wären keinerlei strukturelle Veränderungen nötiggewesen. Doch die West-Front bereitete sich darauf vor, in dasTerritorium des Gegners einzudringen. Sie wird von den Gene-ralen Pawlow, Boldin und Klimowskich angeführt. Wenn sie

 jedoch vorrücken und alle Armeen, Korps, Divisionen und Bri-gaden mitnehmen, wer bleibt dann in Minsk zurück? Nun, ebenfür diesen Fall ist der zusätzliche Stellvertreter GeneralleutnantKurdjumow vorgesehen. Bereits in Friedenszeiten ist hier die

Trennung der Strukturen erfolgt. Armeegeneral Pawlow kon-zentriert seine Aufmerksamkeit auf rein militärische Problemeund sein neuer Vertreter auf rein territoriale Fragen. Sobald dieWest-Front mit Pawlow an der Spitze auf das Territorium desGegners abrückt, bleibt General Kurdjumow in Minsk zurückund übt die Funktion eines territorialen Militärgouverneursaus, d. h. er sorgt für die Sicherung der lokalen Behörden und

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auf dem Territorium des Mili tärbezirks ein rangniedrigerer Offi-zier zurückbleiben muß, um die Rolle des Militärgouverneurszu übernehmen.

Im Februar 1941 geschah etwas, was von den Historikernnicht bemerkt worden ist. Im Sondermilitärbezirk West wurdedas Amt eines weiteren Stellvertreters für den Befehlshaber desMilitärbezirks eingerichtet. Was hat das zu bedeuten? Armee-general D. G. Pawlow hat ohnehin bereits mehrere Stellvertre-ter! Einige Monate lang bleibt dieser zusätzliche Posten einesStellvertreters vakant. Dann wurde er mit GeneralleutnantW. N. Kurdjumow besetzt.

Es ist ein Ereignis von eminent wichtiger Bedeutung.In Friedenszeiten ist in Minsk der Kommandierende Armee-

general D. G. Pawlow, sein Stellvertreter ist GeneralleutnantI. W. Boldin, Stabschef ist Generalmajor W. Ja. Klimowskich. Fürden Fall der Mobilmachung ist Pawlow bereits zum Befehls-haber der West-Front bestimmt, Klimowskich zum Stabschef 

372

der Verkehrswege, er kontrolliert die Industrie und das Trans-portwesen, führt ergänzende Mobilmachungsmaßnahmendurch und stellt Reserven für die bereits weit vorgerückte Front

bereit.General Kurdjumow haben wir bereits kennengelernt - erwar Leiter der Gefechtsausbildung. Jetzt ist er nach Minsk be-ordert. Vom Standpunkt eines »Befreiungskrieges« eine hervor-ragende Entscheidung: Ein General mit dieser Erfahrung anden Ausfallstraßen, über die immer neue und abermals neueReserven nach Westen ziehen. Er kann besser als alle anderenden durchziehenden Truppen die letzten Anweisungen vor demAntreten zum Gefecht mit auf den Weg geben.

Vier Armeen, zehn selbständige Korps und zehn Fliegerdivi-

sionen stehen auf dem Gebiet des Sondermilitärbezirks Kiewund bereiten sich ebenfalls zum Abrücken auf das Territoriumdes Gegners vor. Sie werden vom Befehlshaber der Südwest-Front, Generaloberst M. P. Kirponos, angeführt. Im Hinblick auf 

373

diese bevorstehende Entwicklung muß umgehend die Auftei-lung der Funktionen des Befehlshabers in diesem Militärbezirkdurchgeführt werden: Ihm verbleiben die rein militärischen

Aufgaben, während die rein territorialen Funktionen einemanderen zu übertragen sind. Und somit wird auch hier das zu-sätzliche Amt eines Stellvertreters geschaffen, zu dem General-leutnant W. F. Jakowlew ernannt wird. Kirponos wird mit denTruppen vorrücken und Jakowlew in Kiew bleiben. Seit AnfangFebruar läßt sich zunehmend deutlicher die Trennung derbeiden Strukturen verfolgen. In Tarnopol wird heimlich einGefechtsstand eingerichtet - hier entsteht die Zentrale der mili-tärischen Struktur, in Kiew verbleibt der Stab - die Zentraleder territorialen Struktur. In Browary bei Kiew wird eine fest

ausgebaute unterirdische Kommandozentrale für die territo-riale Verwaltungsorganisation eingerichtet. Der Gefechtsstandin Tarnopol ist dagegen von besonders leichter Bauart: Erdhüt-ten mit einer einzigen Bretterschicht. Das alles ist völlig logisch:Für die militärische Leitung wird nicht mit einem langen Ver-weilen in der Ukraine gerechnet, wozu also gewaltige Beton-bunker errichten?

Im Sondermilitärbezirk Baltikum erfolgte gleichfalls eine

Gefechtsalarm zusammengeholt und bei Nacht und Nebel ausOdessa in den Feldgefechtsstand verlegt wurde. (»Mil itärh isto -r i sche Zei tschr i f t« 1968, Nr. 7, S . 42) Der Befehlsh aber des M il i -

tärbezi rks Odessa, Generaloberst Ja. T. Tscherewitschenko, istlängst nicht mehr in Odessa. Er war auf der Krim gewesen, woer das heimlich aus dem Kaukasus eingetroffene 9. Spezial-Schützenkorps abgenommen hatte, und fährt jetzt mit dem Zugan Odessa vorbei zum getarnten Gefechtsstand der 9. Armee,deren Kommando ihm übertragen worden ist. Marschalt der Sowjetunion M. W. Sacharow berichtet, daß zum Zeitpunkt derdeutschen Invasion Tscherewitschenko im Zuge saß. (»Fragender Geschichte« 1970, Nr. 5, S. 46) Die 9. Armee hatte den Auf-trag, die Grenzen des sowjetischen Territoriums zu überschrei-

ten, das ist der Grund, weshalb in Odessa vor  der deutschenInvasion ein zusätzlicher General, N. Je. Tschibissow, auf-tauchte. Nach dem Abzug der militärischen Führung der 9. Ar-mee sollte er auf dem aus militärischer Sicht halbleeren Territo-rium zurückbleiben und die militärische Territorialkontrolleübernehmen.

Der Militärbezirk Leningrad stellt dagegen eine Ausnahmedar Hier wird ebenfalls heimlich die Nord Front gebildet aber

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Im Sondermilitärbezirk Baltikum erfolgte gleichfalls eineAufteilung der Strukturen. Die Generalstabsoffiziere gingennach Paneweschis, wo sich von da an die getarnte Zentrale der

rein militärischen Struktur der Nordwest-Front befindet; inRiga aber bleibt ein zweitrangiger General, Je. P. Safronow, zu-rück, der die militärische Territorialkontrolle nach Abzug derHauptmasse der sowjetischen Truppen in Richtung Westenübernehmen wird.

Im Militärbezirk Odessa gibt es eine kleine Nuance. Hier istes ebenfalls zur Aufteilung der Strukturen gekommen. Doch istaus dem Stab des Militärbezirks nicht der Stab einer ganzenFront gebildet worden, sondern der Stab der stärksten aller so-wjetischen Armeen - der Neunten. Die überwiegende Mehrheitder Offiziere des Stabes im Militärbezirk Odessa ist unter ihremStabschef Generalmajor M. W. Sacharow insgeheim in den Stabder 9. Armee versetzt worden. Marschall der Sowjetunion L S.Konew bestätigt, daß am 20. Juni der Stab der 9. Armee unter

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dar. Hier wird ebenfalls heimlich die Nord-Front gebildet, abereine Trennung der Strukturen erfolgt nicht, und auch das istsehr logisch: Die Nord-Front bereitet sich vorerst nicht auf eineweitere Entfernung vom karelischen Territorium vor, weshalbauch kein Anlaß besteht, die Kommandeure aufzuteilen in sol-che, die vorrücken, und die anderen, die zurückbleiben. Da dieNord-Front annähernd auf dem Territorium operieren wird, dasdem früheren Militärbezirk entspricht, müssen zwei getrennteStrukturen hier auch nicht eingerichtet werden. Sie werden nurdort gebraucht, wo ein Teil der Kommandeure und der Truppenvorrücken soll, während der andere Teil zurückbleiben muß.Deshalb wird im Militärbezirk Leningrad auch nicht der Posteneines zusätzlichen Stellvertreters des Befehlshabers eingerich-tet. Kampfhandlungen und Territorialkontrolle werden hier voneiner einzigen Zentrale aus geleitet werden - dem Stab derNord-Front. Er wird nirgendwohin gehen, und deshalb ist auchkeine Führungsstruktur vorgesehen, die ihn ersetzen müßte.

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3.Am 13. Juni 1941, dem Tag der Verbreitung des TASS-Kommuni-ques durch den Run dfunk, wurde die endgültige und vollständige

Trennung der beiden Führungsstrukturen in den westlichenGrenzmilitärbezirken mit Ausnahme von Leningrad vollzogen.An diesem Tag gab der Volkskommissar für Verteidigung denBefehl, die Frontführungsebenen in die vorgeschobenen Feld-gefechtsstände zu verlegen.

Von diesem Augenblick an existieren in Belorußland neben-einander zwei unabhängige militärische Führungssysteme: dieheimlich geschaffene West-Front (unter dem Befehl von Armee-general D. G. Pawlow mit ihrem im Waldgelände gelegenenGefechtsstand im Raum der Bahnstation Lesna) und der Sonder-

militärbezirk West (unter dem Befehl von Generalleutnant W. N.Kurdjumow, mit dem Stab in Minsk). Pawlow spielt weiterhindie Rolle des Befehlshabers im Militärbezirk, aber er ist bereitsoffiziell Befehlshaber der West-Front, und sein Stab wird schonin den geheimen Gefechtsstand verlegt, um unabhängig vomSondermilitärbezirk West zu operieren.

Zwei parallele militärische Führungssysteme auf ein unddemselben Territorium das ist etwa dasselbe wie zwei Kapitäne

bez i r k s Kiew, und die Stabsangehörigen sind besonders da ra uf hingewiesen worden, diese Rolle auch weiterhin zu spielen.Aber neben dem Stab des Militärbezirks ist auf demselben Terri-

torium eine zweite militärische Führungsstruktur geschaffenworden - die Südwest-Front. Dabei hat der Stab des Militärbe-zirks Kiew nicht nur die Funktion einer leeren Hülle. Nein , es istein Vollblutstab, mit einer Fülle von Aufgaben, der intensiv undangestrengt seine Arbeit verrichtet. Werden zwei unabhängigemilitärische Führungsstrukturen wohl lange nebeneinanderexistieren können?

Generalleutnant der Nachrichtentruppen R M. Kurotschkin(zu der Zeit Generalmajor, Chef der Nachrichtentruppen derNordwest-Front) berichtet dasselbe vom Baltikum: »Im Raum

Paneweschis (Panevezys) begannen die Führungsebenen undStabszellen einzutreffen. Die Führung des Militärbezirks ver-wandelte sich praktisch in eine Frontdienststelle, obwohl for-mal bis zum Kriegsbeginn die Bezeichnung Militärbezirks-kommando beibehalten wurde. In Riga wurde eine Gruppe ausGeneralen und Offizieren zusammengestellt, der die Führungs-funktion des Militärbezirks übertragen wurde.« (Sammelband»An derNord West Front« S 196)

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demselben Territorium, das ist etwa dasselbe wie zwei Kapitäneauf einem Schiff, zwei Führer in einer kommunistischen Parteioder zwei Anführer in einer Bande. Eine doppelte militärischeFührung auf ein und demselben Territorium kann es nebenein-ander nicht geben, und sie ist auch nur geschaf fen worden, weildie West-Front binnen kürzester Frist dieses Territorium verlas-sen soll.

Zur gleichen Zeit sind auch in der Ukraine zwei unabhän-gige Strukturformen der militärischen Führung entstanden: dieSüdwest-Front und der Sondermilitärbezirk Kiew. Marschallder Sowjetunion L Ch. Bagramjan bestätigt, daß es eine beson-dere verschlüsselte Order von Schukow gab, »dies streng ge-heim zu halten und die Angehörigen des Stabes im Militärbezirkentsprechend zu instruieren«. (So begann der Krieg, S. 83)

Hier wird dasselbe Täuschungsmanöver wie in Minsk vorge-führt: Für einen Außenstehenden liegt die militärische Führungin der Ukraine nur in den Händen des Stabes des Sondermilitär-

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»An der Nord-West-Front«, S. 196)Die Einrichtung zweier voneinander unabhängiger Füh-

rungssysteme hat notwendigerweise auch die Einrichtung

zweier unabhängiger Nachrichtensysteme zur Folge. Das Nach-richtensystem an der Front im Baltikum stand unter der persön-lichen Leitung von Generalmajor P. M. Kurotschkin, währendsein ehemaliger Stellvertreter, Oberst N. P. Akimow, für das da-von unabhängige Nachrichtennetz des Militärbezirks zuständigwar.

General Kurotschkin widmet sich energisch dem Ausbau desNachrichtennetzes seiner Front. Das geschieht »gleichsam zurKontrolle«. Um nicht das Mißtrauen des Gegners durch dieexplosionsartige Vermehrung von Gesprächen über die neuenmilitärischen Nachrichtenkanäle zu wecken, werden die zivilenNachrichtenverbindungen genutzt. Im übrigen muß man dasWort »zivil« in Anführungszeichen setzen. Zivile Nachrichten-verbindungen gab es nämlich in der Sowjetunion nicht. Seit

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1939 war das staatliche Nachrichtennetz vollständig militari-siert und in den Dienst der Roten Armee gestellt. Das Volkskom-missariat (Ministerium) für das Nachrichtenwesen war direkt

dem Volkskommissariat für Verteidigung unterstellt. In allennormalen Ländern ist das militärische Nachrichtenwesen einTeil des staatlichen allgemeinen Nachrichtenwesens, doch inder Sowjetunion verhält es sich genau umgekehrt: Das allge-meine staatliche Nachrichtenwesen ist Bestandteil des militä-rischen Nachrichtenwesens, und der Volkskommissar für dasNachrichtenwesen der UdSSR, Peressypkin, war offiziell stell-vertretender Leiter des Nachrichtenwesens der Roten Armee.

Die Führung der Nordwes t-Front war nicht zu Übungszwek-ken in den Feldgefechtsstand abgerückt, sondern sie war in den

Krieg gezogen: »Eine übergeordnete operative Organisationzur Leitung der Kampfhandlungen wurde geschaffen.« (Gene-ralleutnant P. M. Kurotschkin, Rufzeichen der Front. Moskau1969, S. 117) Das für Kriegszeiten vorgesehene Frontnachrich-tensystem war rechtzeitig gut vorbereitet und funktionsfähiggemacht worden. »Sämtliche Planungsunterlagen über Fre-quenzen, Rufzeichen, Parolen wurden im Stab des Militärbe-zirks bereitgehalten und brauchten im Falle eines Krieges nur

heimlichen Invasionsvorbereitungen seitens der Roten Armeewar nun angebrochen. Am 19. Juni erteilt der Stabschef derNordwest-Front, Generalleutnant P. S. Kljonow, dem General-

major der Nachrichtentruppen folgenden Befehl:»>Vorgehen gemäß großem Plan. Sie wissen, wovon die Redei s t ? <

>Jawohl, ich verstehe vollkommen<, meldete ich«.(Kurotsch-kin im Sammelband »An der Nordwest-Front«, S. 195)

Schade, daß wir nicht alles vollkommen verstehen, was den»großen Plan« betrifft, und daß sich keiner von den sowjeti-schen Generalen darüber ausläßt, was eigentlich dieser »großePlan« ist. Aber so viel ist klar, daß die sowjetischen Generale imBesitz von Plänen waren und diese bereits in die Praxis umsetz-

ten. Binnen weniger Tage mußte irgendetwas gemäß »großemPlan« geschehen, aber Hitler hat durch seine Initiative die Rea-lisierung des »großen Plans« verhindert und die sowjetischenGenerale gezwungen, nicht gemäß vorgesehenem Plan zu han-deln, sondern zu improvisieren.

Und hier nun die Maßnahmen, die General Kurotschkin zurDurchführung des »großen Plans« traf: »Die Nachrichtenab-teilung des Militärbezirks versandte die Unterlagen, die sich auf 

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zirks bereitgehalten und brauchten im Falle eines Krieges nurnoch an die Truppen weitergeleitet zu werden. Die Zahl derFunkstationen im ganzen Militärbezirk betrug jedoch mehrereTausend, weshalb die Umstellung der Arbeit auf Kriegsbedin-gungen mindestens eine Woche erfordern mußte. Eine vorzei-tige Durchführung dieser Maßnahmen war nicht erlaubt.«(Ebenda, S. 115) Halten wir für uns fest, daß man bei der gesam-ten Umstellung von Friedens- auf Kriegsbedingungen nicht vonder Annahme ausging, daß der Gegner angreifen könnte unddiese Umstellung daher praktisch augenblicklich erfolgenmüßte, sondern daß vielmehr mit einem vorab aus Moskau ein-gehenden Signal zu einer von Moskau bestimmten Zeit gerech-net wurde. Mit anderen Worten: Der Plan für die Umstellung desNachrichtenwesens war nicht für die Bedingungen eines Ver-

teidigungskrieges aufgestellt, sondern für einen Angriffskrieg,für eine offensive Operation mit einer vorausgehenden Periodegetarnter Vorbereitungen auf diese Situation. Diese Periode der

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g ä v a U ag , adie Organisation des Funkverkehrs bezogen ... an die Armee-stäbe und die dem Militärbezirk unterstellten Verbände. Allediese Unterlagen sollten in entsprechender Bearbeitung überdie Korps-, Divisions-, Regiments- und Bataillons-Kommando-instanzen in die Hände der Mannschaft jeder Funkstation ge-langen. Das würde, wie ich schon sagte, nicht weniger als eineWoche beanspruchen.« (Kurotschkin im Sammelband »An derNordwest-Front«, S. 118)

Streng geheime Informationen sind demnach in die Händevon Tausenden von Befehlsempfängern gelangt. Das ist ein irre-versibler Prozeß. Diese Geheiminformationen zurückzuziehenund in den Safes zu verschließen, ist nicht mehr möglich. Alsdiese Materialien die Safes verlassen hatten, war der Krieg

absolut unausbleiblich geworden. Die Vorbereitung eines An-griffskrieges erinnert ein wenig an die Vorbereitung einesStaatsstreiches: Der Plan selbst wird von einer sehr kleinen

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Gruppe ausgearbeitet, die den Tausenden von künftigen Teil-nehmern an den erforderlichen Aktionen nicht ein KörnchenInformation anvertraut. Haben aber die Führer der Verschwö-

rung an Tausende von ausführenden Personen auch nur einTeilchen ihres Planes weitergegeben, ist ihr Heraustreten an dieÖffentlichkei t unvermeidlich geworden. Andernfalls würden dieVerschwörer das Überraschungsmoment einbüßen, das ihrenentscheidenden Trumpf darstellt, und dadurch den Gegner ver-anlassen, eilige Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Aber vielleicht hat auch Generalleutnant Kljonow den Be-fehl zur Weiterleitung von Teilstücken des »großen Plans« anTausende von Ausführenden im Hinblick auf eine unerwartetedeutsche Offensive erteilt? Keineswegs. General Kljonow weist

kategorisch die Möglichkeit einer deutschen Invasion von sich.Selbst als diese begonnen hat, lehnt Kljonow ab, so etwas zuglauben, und er trifft keinerlei Anstalten zur Abwehr der ange-laufenen Offensive. Auf General Kljonow und seine ausschließ-lich aggressiven Vorschläge bei der Dezemberbesprechung derGeneralstabsoffiziere (1940) werden wir noch im zweiten Bandder vorliegenden Publikation zurückkommen. Kljonow hattevorgeschlagen, nur Offensivkriege zu führen, die mit einem

4.Bei der Durchführung riesiger Angriffsoperationen müssen diegleichzeitigen Aktionen mehrerer Fronten koordiniert werd en

Damit befassen sich die Vertreter des Hauptquartiers des Ober-kommandos.

Ein Vertreter des Hauptquartiers begibt sich - unabhängigvon seinem militärischen Rang mit tatsächlich unbeschränktenVollmachten ausgestattet - in das Kampfgebiet. Der Einsatzeines Vertreters des Hautpquartiers ermöglicht eine be acht licheSteigerung der Flexibilität in der gesamten strategischenKriegsführung. Einerseits ist der Vertreter des Hauptquartie rsMitglied des Oberkommandos und damit in die Absichten undPläne eingeweiht, die der gewöhnliche Befehlshaber einer

Front nicht kennen darf. Andererseits leitet der Vertreter desHauptquartiers die Kampfhandlungen nicht aus seinem Mos-kauer Arbeitszimmer, sondern direkt vom Gefechtsstand einerFront oder Armee, an dem er sich unmittelbar vor Beginn derbetreffenden Operationen einfindet. Der Vertreter des Haupt-quartiers ist von den alltäglichen Routineaufgaben des Be-fehlshabers einer Front freigestellt und kann seine ungeteilteAufmerksamkeit der Lösung der Hauptprobleme widmen. In

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g g , g ,überraschenden Vorstoß der Roten Armee beginnen. An Aggres-sivität übertraf er sogar Schukow, und er besaß auch den Mut,in Gegenwart Stalins mit Schukow darüber zu streiten, wie einÜberraschungsschlag geführt werden müsse. An die Möglich-keit einer deutschen Invasion glaubte er genausowenig wie seinGönner, das Politbüromitglied A. A. Schdanow, wie im übrigenauch nicht die vielen anderen sowjetischen militärischen undpolitischen Führer, selbst Stalin nicht.

Am 13. Juni 1941 und in den wenigen auf das TASS-Kommu-nique folgenden Tagen waren in der Sowjetunion sämtlicheMechanismen für den bevorstehenden Krieg mobilisiert wor-den. Der Prozeß der Entfaltung der sowjetischen Fronten gingso weit, daß Tausende von Befehlsempfängern in Geheimnissevon außerordentlicher Wichtigkeit eingeweiht waren. Mitte Juni1941 hatte die Sowjetunion bereits den kritischen Punkt über-schritten, von dem ab ein Krieg unvermeidlich wird.

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Aufmerksamkeit der Lösung der Hauptprobleme widmen. Inkritischen Augenblicken können die Vertreter des Hauptquar-tiers dem Oberkommandierenden unmittelbar zur Seite stehen

und diesem die notwendigen Ratschläge geben, oder aber diesebesten militärischen Köpfe des Staates können sich auf Befehldes Oberkommandierenden am kritischsten Frontabschnitt desKrieges aufhalten, dort, wo sich das Schicksal des Krieges ent-scheidet.

Das Erscheinen eines Vertreters des Hauptquartiers inirgendeiner Region kündigt stets große Ereignisse in allernäch-ster Zukunft an.

Der Tag, an dem das TASS-Kommunique verbreitet wurde,war ein Tag vieler unverständlicher, unerklärlicher, geheimnis-voller Vorgänge, deren Sinn künftige Historikergenerationenerst noch zu enträtseln haben werden. Meine eigenen Informa-tionen sind bruchstückhaft, unvollständig, mitunter wider-sprüchlich. Aber selbst wenn man nur das wenige in Betracht

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zieht, das einer Überprüfung standhält, dann muß man den ent-scheidenden Inhalt dieses Tages in dem heimlichen Aufbruchvon Vertretern des sowjetischen Oberkommandos an die West-

grenze sehen.Ich werde nur einige anführen:Den Stellvertreter des Volkskommissars für Verteidigung

Generalleutnant Pawel Rytschagow. Stalins Günstling. Persön-licher Freund von Schukow. 29 Jahre alt. Er hat sich in Luftkämp-fen in Spanien und China, bei den Kämpfen mit den Japanernam Chassan-See 1938 und am Chalchyn-gol 1939 hervorgetan,die Fliegerkräfte der 1. Armee in Fernost kommandiert, danachdie Fliegerkräfte der 9. Armee während der »Befreiung« Finn-lands. Sein ganzes Soldatenleben hat er am Kriegshimmel zuge-

bracht. Rytschagow war auf persönlichen Befehl Stalins stets daaufgetaucht, wo die Rote Armee in allernächster Zukunft einenÜberraschungsschlag führen sollte. Rytschagow blickt auf einesteile Karriere zurück. 1940 ernennt Stalin ihn zum Stellvertre-ter des Chefs der Lufts treitk räfte der Roten Armee, im gleichenJahr zum Ersten Stellvertreter und im August desselben Jahreszum Chef der Führung der Luftstreitkräfte der Roten Arbeiter-und Bauernarmee. Im Dezember 1940 wird auf einer Bespre-

durch die Ausbildung in der Durchführung überraschendetmassierter Angriffe auf die Flugplätze des Gegners ersetztwurde. Schukow hebt in seinen Memoiren das engagierte Auf -

treten Rytschagows bei dieser Beratung hervor: »Sehr gescheitund sachkundig äußerte sich dazu der Chef der Führung derLuftstreitkräfte der Roten Arbeiter- und Bauernarmee, Genera lP. W. Rytschagow.« (Erinnerungen und Gedanken, S. 194) Wieschade, daß diese gescheite und sachkundige Rede ein halbesJahrhundert später noch immer ein Staatsgeheimnis der Sowjet-union ist!

Schukows und Rytschagows Diskussionsbeiträge haben Sta-lin offensichtlich überzeugt. Noch während der Besprechungund in den darauffolgenden strategischen Spielen auf den Land-

karten setzt Stalin den bisherigen Generalstabschef ab und be-fördert Schukow auf dessen Posten, das heißt, er gibt Schukowfreie Hand, den Krieg gegen Deutschland so zu planen, wie esSchukow für notwendig hält. Innerhalb weniger Tage wird auchPawel Rytschagow befördert. Ungeachtet seines relativ nied-rigen militärischen Ranges erhält Generalleutnant Rytschagowein ausgesprochen hohes Amt: Er wird Stellvertreter des Volks-kommissars für Verteidigung. Anstelle von Rytschagow ernennt

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pchung der Generalstabsoffiziere der Roten Armee in Anwesen-heit Stalins und der obersten politischen Führung des Landes

die Frage eines Krieges gegen Deutschland erörtert. SchukowsVorschlag lautet, durch einen Überraschungsschlag gegen diedeutschen Flugplätze die deutsche Luftwaffe auszuschaltenund umgehend im Anschluß daran durch massierte Vorstößedie deutschen Landstreitkräfte anzugreifen. »G. K. Schukowhielt es für möglich, die Luftherrschaft im wesentlichen durchAngriffe auf die Flugplätze des Gegners zu erringen.« (Ge-schichte des sowjetischen militärischen Denkens. Herausgege-ben von der Akademie der Wissenschaften der UdSSR. Moskau1980, S. 173) Schukows Vorschlag wird vehement von PawelRytschagow unterstützt. Er hatte bereits vor Schukow dieGefechtsausbildung der sowjetischen Luftstreitkräfte dahin-gehend umgestellt, daß die Ausbildung der sowjetischen Pilotenin der Führung von Luftkämpfen nahezu vollständig entfiel und

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Stalin Generalleutnant P. F. Schigarew zum Chef der Lufts trei t-kräfte. Befreit von der Alltagsroutinearbeit, wird Rytschagowfaktisch zum Vertreter des Oberkommandos: Das bedeutet einesder höchsten Ämter, Zutritt zu Staatsgeheimnissen, jedochkeine Verantwortung für die kleinen Alltagsvorkommnisse.Innerhalb der höchsten sowjetischen militärischen Führung istRytschagow zu einer Art Minister ohne Portefeuille geworden.Rytschagow arbeitet zielstrebig weiter an seiner Idee: Die Kom-bination von Überraschungsmoment, Schnelligkeit und Massie-rung wird binnen weniger Stunden intensiven Bombardementsder gegnerischen Flugplätze den Himmel für die sowjetischenLuftstreitkräfte reinfegen. Praktisch sagen Schukow undRytschagow genau das, was Hitler am 22. Juni 1941 tat. Hitler

war Stalin nur um zwei Wochen zuvorgekommen. Das ist keineErfindung von mir: »Der deutschen faschistischen Führung wares buchstäblich in den letzten beiden Wochen vor dem Krieg

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gelungen, unseren Truppen zuvorzukommen.« (5. P. Iwanow,Die Anfangsphase des Krieges, S. 212)

Im Frühjahr 1941 hält sich Rytschagow ständig bereit, auf 

Stalins Befehl dort zu erscheinen, wo sich das Schicksal desKrieges entscheiden wird. Am 13. Juni 1941 taucht unter demSchutz des TASS-Kommuniques der Stellvertreter des Volks-kommissars fü r Verteidigung Generalleutnan t P. W. Rytschagowheimlich an der deutschen Grenze auf. Unsere Geschichtsfäl-scher haben eine einfache Erklärung für das Erscheinen vonGeneral Rytschagow an der Grenze bereit: Stalin ist besorgtwegen einer möglichen deutschen Invasion, deshalb hat erRytschagow an die Grenze geschickt, um für eine Verbesserungder Verteidigungsvorkehrungen zu sorgen.

Hätten Stalin in der Tat Verteidigungsprobleme beunruhigt,dann müßten eiligst die sowjetischen Luftstreitkräfte von denGrenzen weg in das Landesinnere verlegt worden sein. Aus derTiefe heraus sind die Luftstreitkräfte durchaus in der Lage, dieGrenzregion zu decken, doch dann würden zwischen derGrenze und den Flugplätzen mehrere hundert Kilometer liegen,die dem Gegner nicht erlauben, einen Überraschungsschlag ge-gen die sowjetischen Flugplätze zu führen. Die Anwesenheit von

gischer Sicht ein Irrsinn. Vom Standpunkt eines geplantenAngriffs machen die deutschen Generale alles richtig, und zwargenauso wie ihre sowjetischen Kollegen.

Was Rytschagow an die Westgrenze führte , können wir n urzu erraten versuchen: Nach dem Beginn des »UnternehmensBarbarossa« wurde Rytschagow verhaftet und auf Befehl Sta-lins hingerichtet. Weshalb er hingerichtet wurde, bleibt eben-falls ein Rätsel. Zumindest kann es nicht wegen des Verlustseiner Unmenge sowjetischer Flugzeuge auf den grenznahenFeldflugplätzen geschehen sein. Für die Sicherheit der sowje-tischen Flugzeuge war Pawel Rytschagow seit Februar 1941nicht mehr zuständig. Dafür haftete Generalleutnant P. F.Schigarew. Für den Verlust der Flugzeuge hat Stalin Schigarew

nicht erschießen lassen, ja er hat es ihm nicht einmal zum Vor-wurf gemacht. Im Gegenteil: Generalleutnant Schigarewbrachte es bis zum Hauptmarschall der Luftstreitkräfte undüberlebte Stalin um zehn Jahre. Wenn Stalin Schigarew nichterschießen ließ, der die alleinige, direkte und unmittelbare Ver-antwortung für die Verlegung der Luftstreitkräfte und derenSicherheit trug, wofür war dann Rytschagow erschossen worden,der nicht dafür verantwortlich war?

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General Rytschagow an der Grenze fällt keineswegs zeitlich miteiner Verlegung der sowjetischen Luftstreitkräfte in die Tiefedes sowjetischen Raums zusammen, sondern im Gegenteil miteiner Bewegung in umgekehrter Richtung - aus dem Landes-innern an die Grenze. Vom Standpunkt der Verteidigung kommtdie Konzentration der Luftstreitkräfte an der Grenze fast einemSelbstmord gleich, dagegen ist die Konzentrierung der Luft-streitkräfte an der Grenze für eine Offensive unbedingt erfor-derlich, um sie über dem gegnerischen Territorium unter vollerAusnutzung ihres Aktionsradius einsetzen zu können.

Im übrigen machen die deutschen Generale (mit zweiwöchi-gem Vorsprung) genau das gleiche - die Verlegung der Luft-waffe an die sowjetischen Grenzen wird emsig vorangetrieben.

Hätte Stalin als erster zugeschlagen, würden wir heute die deut-schen Generale für verrückt halten. Aber die Verlegung derLuftstreitkräfte an die Grenze ist nur aus verteidigungsstrate-

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Ich vermute, daß Rytschagow an der sowjetischen Grenzeirgendeine verantwortungsvolle Aufgabe erfüllen sollte, dienichts mit der Sicherheit der sowjetischen Luftstreitkräfte zutun hatte. Wegen Nichterfüllung dieses Auftrags, den wir nichtkennen, der jedoch ein sehr verantwortungsvoller Auftraggewesen sein muß, hat Stalin den jüngsten unter allen Stellver-tretern des Volkskommissars für Verteidigung in der ganzenGeschichte der Roten Armee erschießen lassen.

Der ZK-Kandidat Generaloberst A. D. Loktionow bekleidetebereits seit 1937 den Posten eines Stellvertreters des Volkskom-missars für Verteidigung. Bis 1940 war er Chef der sowjetischenLuftstreitkräfte, dann gibt Stalin im Sommer 1940 Loktionowfür einen bestimmten Zweck die Möglichkeit, die Grenzen Ost-

preußens in sämtlichen Details zu studieren, und schickt ihn alsBefehlshaber in den Militärbezirk Baltikum, auf das Territo-rium der erst kürzlich »befreiten« baltischen Staaten. Im

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Februar und März 1941 beginnt Stalin damit, unauffällig diehöchsten militärischen Führer in Moskau zu versammeln. Lok-tionow übergibt den Militärbezirk Baltikum (die Nordwest-

Front) an Generaloberst F. I. Kusnezow und geht selbst »zurärztlichen Behandlung« nach Moskau.Am 13. Juni 1941, im Augenblick der Verbreitung des TASS-

Kommuniques, sind sämtliche Krankheiten Loktionows ver-flogen, und er kehrt heimlich an die Grenze vor Ostpreußenzurück.

Zur selben Zeit begibt sich der ZK-Kandidat Generalleut-nant der Luftstreitkräfte Ja. W. Smuschkewitsch heimlich andie Westgrenze. Smuschkewitsch hatte sich in Spanien bei Luft-kämpfen ausgezeichnet. 1939 war er Kommandeur der gesam-

ten Luftstrei tmacht Schukows in den Kämpfen am Chalchyn-golgewesen. Seine Grundkonzeption: Durch einen massierten Über-raschungsangriff die gegnerischen Fliegerkräfte auf den Flug-plätzen niederzuhalten und unverzüglich eine überraschendeAngriffsoperation gegen die Landstreitkräfte des Gegners anzu-schließen. Seine Vorstellungen hatte Smuschkewitsch bei derZerschlagung der 6. japanischen Armee glänzend verwirklicht.Im Dezember 1940 macht Stalin Smuschkewitsch zum Berater

trag des Generalstabs im Bereich der westlichen Staatsgrenzeaus.« (»Militärhistorische Zeitschrift« 1980, Nr. 10, S. 96) Dem-nach dürfen wir uns Karbyschew hier nicht nur als einen Vertre -

ter der Dozenten- und Professorenschaft der Kriegsa kademienvorstellen, wie sie herdenweise an der Grenze versammelt wur-den, sondern wir müssen ihn auch unter den Vertretern dessowjetischen Oberkommandos anführen. Ich weiß nicht, wo mitsich andere Vertreter der obersten militärischen Führung anden Grenzen beschäftigten, Karbyschew jedenfalls war aktivund energisch an der Vorbereitung einer Angriffsoperationbeteiligt. In seiner Anwesenheit beseitigten sowjetische Grenz-soldaten die Grenzhindernisse, um damit den Weg für eine so-wjetische Offensive von gewaltigen Dimensionen freizumachen.

Karbyschew ist derjenige, der die Besatzungen der neuestensowjetischen T-34-Panzer in der Überwindung gegnerischerPioniersperren und der Überquerung der Grenzflüsse unter Ge-fechtsbedingungen unterweist. Darüber hinaus beteiligt sichKarbyschew an den gemeinsamen Aufklärungsunternehmender Kommandierenden Generale der Armeen und der Befehls-haber der Fronten.

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des Generalstabschefs in Angelegenheiten der Luftstreitkräfteund deren Einsatzplanung in künftigen Kriegen. Im Januarwird Schukow durch seine Ernennung zum Generalstabschef erneut unmittelbarer Vorgesetzter von Smuschkewitsch. Es warein bemerkenswertes Paar aggressiver Generale.

Doch nun ist die Planung abgeschlossen, und Smuschke-witsch begibt sich heimlich in einer uns nicht bekannten Mis-sion an die Westgrenze.

Wir wissen bereits, daß noch vor ihm der Generalleutnantder Pioniertruppen D. Karbyschew an der Westgrenze eingetrof-fen war. Generalmajor R G. Grigorenko stellt in seinem Buch dieFrage: »Wie konnte ein Professor der Akademie des General-stabs an die vorderste Front eines plötzlich ausgebrochenen

Krieges geraten?« Auf diese Frage hat ein Schüler Karby-schews, Generalleutnant der Pioniertruppen Je. Leoschenja,eine offizielle Antwort gegeben: »Karbyschew führte einen Auf-

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5.

Bevor ein Kommandeur einen Schritt nach vorn tut, prüf t er dasvor ihm liegende Gelände. Natürlich hat die Aufklärung schonvieles herausgefunden und vieles gemeldet, natürlich glaubtder Kommandeur seiner Aufklärung, und dennoch kontrollierter vor dem Schritt nach vorn noch ein weiteres Mal das gesamteGelände mit dem Blick des Kommandeurs. Soll ein Bataillonvorrücken, wird das Gelände lange und eingehend von seinemBataillonskommandeur durch den Feldstecher geprüft. Soll einganzes Korps vorrücken, dann wird das Gelände vom Korps-kommandeur persönlich in Augenschein genommen. Das istkeine rudimentäre Tradition und auch kein hohles Ritual. DerKommandeur ist verpflichtet, ehe er seine Truppen vorrückenläßt, persönlich das vor ihm liegende Gelände zu überschauenund mit jeder Faser seines Wesens zu erfassen: Diese kleine

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Bodenwelle da vorn - werden sich seine Panzer nicht im Schlammfestfahren? Und jene kleine Brücke dort - verdammt, vielleichtsind die Stützpfeiler angesägt? Und aus dem Wäldchen da drüben

ist mit einem Gegenangr iff zu rechnen.Wenn der Kommandeur den vor ihm liegenden Raum nicht

mit seinem ganzen Wesen aufnimmt, wenn seine Vorstellungs-kraft nicht den ganzen Raum noch vor seinen Infanteristen zudurchdringen vermag und wenn der Kommandeur nicht vordem Kampf in Gedanken alle Schwierigkeiten, die seine Sol-daten erwarten, richtig abzuwägen versteht, wird er mit einerNiederlage dafür bezahlen. Das ist der Grund, weshalb jederTruppenführer, gleich welchen Ranges, vor einem Angriff dieSoldatenuniform anlegt und auf dem Bauch durch den

Schlamm neben der Staatsgrenze kriecht und stundenlang dasVorfeld rekognosziert und sich noch vor dem Kampf alleSchwierigkeiten vorzustellen und vorauszusehen versucht, dieihn später erwarten.

Das visuelle Studieren des Gegners und des Geländes durchden Kommandeur nennt man Rekognoszieren oder auch Kom-mandeursaufklärung. Das Auftauchen von Gruppen gegne-rischer Kommandeure zur Rekognoszierung an der eigenen

finde Herbst hatten sie ihre Arbeit abgeschlossen und warennach Leningrad zurückgekehrt, und eben dann »provozier te diefinnische Militärclique den Krieg«.

Ab Anfang 1941 nehmen die deutschen Generale und O f f i -ziere erst vereinzelt, dann immer intensiver an der deutsch-so-wjetischen Grenze genau jene Tätigkeiten auf, die erst vor ganzkurzem Merezkow und Schdanow an der sowjetisch-finnischenGrenze vorexerziert hatten. Über meinem Schreibtisch hängteine berühmte Photographie: Generaloberst Heinz Guderianmit den Offizieren seines Stabes bei der letzten Kommandeurs-aufklärung vor Brest in der Nacht zum 22 . Juni 1941. Nicht nu rGuderian, sondern alle deutschen Generale betrachteten durchihre Feldstecher das sowjetische Territorium. Je näher das

Datum für den Beginn des »Unternehmens Barbarossa« rückte,um so mehr bedeutende deutsche Generale erschienen an dersowjetischen Grenze. Die sowjetischen Generale und Marschäl levermerkten zunehmend mehr deutsche Kommandeursaufklä-rungsgruppen an den Grenzen. (Vgl. zum Beispiel Haupt-marschall der Luftstreitkräfte A. A. Nowikow. Am Himmel vonLeningrad, S. 41) Die deutschen Kommandeursaufklärungs-gruppen waren bemüht, unerkannt zu bleiben, ihre Tätigkeit

f ll li h A ki i di i f

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Grenze gehört nicht zu den besonders angenehmen Über-raschungen. Es ist noch nicht das Schlimmste, wenn Sie von

 jenseits der Grenze stundenlang der Kommandeur einer sowje-tischen Panzerdivision durch seinen Feldstecher betrachtet.Aber nun stellen Sie sich vor, daß in ihrem Grenzabschnitt derBefehlshaber des sowjetischen Militärbezirks und nicht nur erallein, sondern in seiner Begleitung auch ein Politbüromitgliedauftaucht; und wenn sich diese Leute nicht nur stundenlang,sondern wochenlang bei den sowjetischen Grenzwachen her-umtreiben, was würden Sie dabei wohl denken?

So war es vor jeder »Befreiung« gewesen. So waren zumBeispiel bereits im Januar 1939 der Befehlshaber des Militär-bezirks Leningrad, K. A. Merezkow, und A. A. Schdanow, derbald darauf Mitglied des Politbüros werden sollte, gemeinsamin einem Wagen die ganze finnische Grenze abgefahren. DieseFahrten wurden im Frühjahr, Sommer und Herbst fortgesetzt.

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auf alle möglichen Arten zu maskieren, sie zogen die Uni formender Grenzposten oder einfacher Soldaten an, aber ein geübtesAuge unterscheidet natürlich eine Kommandeursaufklärungs-gruppe von einer Grenzpatrouille. Von den sowjetischen Gren-zen liefen massenweise Meldungen über intensive Aufklärungs-aktivitäten deutscher Offiziere ein. Das ist ein deutlichesZeichen für das Näherrücken des Krieges. Marschall der Sowjetunion M. W. Sacharoe (zu der Zeit Generalmajor undStabschef der 9. Armee) berichtet, daß seit April 1941 eine»neue Situation« entstanden war (Hervorhebung von M. W.Sacharow), die dadurch charakterisiert wurde, daß »am PrutGruppen von Offizieren in den Uniformen der deutschen und ru-mänischen Armeen auftauchten. Allem Anschein nach handelte

es sich um Kommandeursaufklärungen«. (»Fragen der Ge-schichte« 1970, Nr. 5, S. 43) Kommandeursaufklärungen sindVorbereitungen zu einem Angriff, das versteht Marschall Sacha-

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row 1970 ebensogut, wie er es 1941 verstand. Das Auftauchenvon Gruppen von Kommandeuren zur Rekognoszierung auf deranderen Seite bedeutet noch nicht den Ausbruch des Krieges,

aber es bezeichnet mit Sicherheit das Ende des Friedens.Was aber unternehmen die sowjetischen militärischen Füh-rer? Weshalb ergreifen sie nicht umgehend Verteidigungsmaß-nahmen zur Abwehr einer Offensive, deren Unausweichlichkeitdie gegnerischen Kommandeursaufklärungstrupps bestätigen?Die sowjetischen Generale reagieren aus einem ganz einfachenGrund nicht auf dieses Auftauchen der Rekognoszierungs-gruppen des Gegners: Sie sind zu beschäftigt - mit der eigenenRekognoszierungstätigkeit.

Generalmajor P. W. Sewastjanow (zu der Zeit Chef der Polit-

abteilung der 5. Rotbannerschützendivision aus Witebsk - sieträgt den Namen »Tschechoslowakisches Proletariat« — im 16.Schützenkorps der 11. Armee an der Nordwest-Front): »Wennwir die deutschen Grenzposten in einer Entfernung von zwan-zig bis dreißig Schritt beobachteten, wenn unsere Blicke sichtrafen, dann gaben wir uns nicht den Anschein, daß sie über-haupt für uns existierten, daß wir uns auch nur im geringstenfür sie interessieren könnten.« (Memel - Wolga - Donau, S. 7)Di S hild G l S j ä d ß i h

Metallstäbe zu verwenden, sondern Eisenbahnsc hienen, u nddie nicht einfach in den Boden zu rammen, sondern einzubeto-nieren, jawohl, rein in den Beton damit! Und dahinter erst -

noch ein Minenfeld. Ein vermeintliches. Und dahinter dann einechtes. Und dann wird noch ein Panzergraben ausgehoben. Undhinter alledem werden Baumsperren angelegt usw. usf. Wennsich ein General auf eine Verteidigung einstellt, braucht erdurchaus nicht die deutschen Grenzsoldaten anzustarren. Ermuß nicht das fremde Gelände studieren, sondern das eigene,und je tiefer, um so besser. An der Grenze aber muß er kleinebewegliche Abteilungen unterhalten, die sich im Falle einesAngriffs leicht durch geheime Durchlässe hinter den Sperrstrei-fen zurückziehen können und hinter sich ihren Rückzugsweg

verminen.So etwa hatte sich Finnland auf seine Verteidigung vorberei-tet, und dafür hatten es die finnischen Generale durchaus nichtnötig gehabt, an der Grenzlinie zu stehen und das feindlicheTerritorium zu beobachten.

Aber die Rote Armee errichtete keine Hindernisse an derGrenze, und die sowjetischen Generale tauchten ebenso wieihre deutschen Kollegen wochen- und monatelang am äußer-t E d d j ti h T it i t i S h itt

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Die Schilderung von General Sewastjanow verrät, daß er nichtnur einmal die deutschen Grenzposten in »zwanzig bis dreißigSchritt« Entfernung gesehen hat, sondern daß dies regelmäßiggeschah. Und das führt zu der Frage: Genösse General, washatte Sie eigentlich so nah an die Grenze geführt? Wenn Sie dieMöglichkeit einer deutschen Invasion alarmiert, dann müßtenSie befehlen, fünf bis sechs Reihen Stacheldraht an der Grenzezu ziehen, und damit ja jedem die Lust vergeht, über diesenStacheldraht zu klettern, auch noch ein paar Minenfallen zuverteilen, und zwar möglichst dicht. Und hinter diesen Stachel-drahtverhauen müßten Sie richtige Minenfelder anlegen las-sen, drei Kilometer tief, und hinter diesen Minenfeldern müßtenPanzergräben ausgehoben werden, die ihrerseits durch deto-nierende Sprengbomben gedeckt wären, und dahinter müßtenweitere zwanzig bis dreißig Reihen Stacheldraht gezogen wer-den, und zwar an Metallstäben. Und noch besser wäre es, nicht

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sten Ende des sowjetischen Territoriums unter, wenige Schrittevon der Staatsgrenze entfernt.

Oberst D. L Kotschetkow erinnert sich, daß der Komman-deur der sowjetischen Panzerdivision in Brest (Generalmajorder Panzertruppen W. P. Puganow, Kommandeur der 22. Pan-zerdivision im 14. Mechanisierten Korps der 4. Armee an derWest-Front - V. S.) den Ort für den Divisionsstab und sein Ar-beitszimmer in diesem Stab so ausgesucht hatte, daß »der Regi-mentskommissar A. A. Illarionow und ich im Arbeitszimmer desDivisionskommandeurs saßen und aus dem Fenster direktdurch den Feldstecher auf die deutschen Soldaten am gegen-überliegenden Ufer des West-Bug schauten«. (Bei geschlossenenLuken. Moskau 1962, S. 8)

So eine Idiotie! regen wir uns auf. Wenn der Krieg beginnt,braucht man bloß vom anderen Ufer auf das Fenster des Divi-sionskommandeurs mit der Maschinenpistole zu halten oder

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bezirk Odessa eilt er nach Belorußland, wo er in Begleitung vonArmeegeneral D. G. Pawlow sorgfältig die sowjetisch-deutscheGrenze und das deutsche Territorium rekognosziert. Ein kurzer

Besuch in Moskau, und Merezkow ist bereits wieder an derNord-Front. Beiläufig erwähnt er, daß er den Befehlshaber derNordwest-Front im Stab nicht angetroffen habe, der verbringtviel Zeit an der Grenze. Der Befehlshaber der Nord-Front istebenfalls nicht bei seinem Stab, sondern an der Grenze.

Fügen wir dem Gesagten noch hinzu, daß Stalin und seineGenerale 1945 einen sorgfältig geplanten, brillanten Über-raschungsangriff gegen die japanischen Truppen führten unddie Mandschurei, Nordkorea und mehrere Provinzen Chinaseroberten. Die Vorbereitungen zu diesem Überraschungsschlagwaren in der gleichen Reihenfolge abgelaufen, wie die Vorberei-tungen für den Angriff auf Deutschland im Sommer 1941. Ander Grenze war derselbe Merezkow erschienen. Er ist jetztbereits Marschall der Sowjetunion. An der mandschurischenGrenze findet er sich unter dem Decknamen »GeneraloberstMaximow« ein. Eines der entscheidenden Elemente der Vor-bereitung ist die Rekognoszierung durch den Befehlshaber. »Ichselbst habe mit einem Geländefahrzeug und bisweilen auch zuPferde alle Abschnitte besucht « (»Roter Stern« 7 Juni 1987)

die Stäbe mindestens 10 km von der Grenze entfernt. Berei te teman sich jedoch auf »Befreiungsfeldzüge« vor, dann wurden dieStäbe dicht an die Grenze vorgezogen. Und nicht nur Divis ions-

stäbe, sondern sogar die Stäbe der Korps, Armeen, Fronten. Sohatte Schukow seinen Stab vorverlegt, bevor der Überra-schungsschlag am Chalchyn-gol erfolgte. So handelten allesowjetischen Generale und Marschälle vor jedem Angriff. Gud e-rian verhielt sich, nebenbei gesagt, nicht anders. Und auchManstein. Und Rommel. Und Kleist.

Auch die Kommandeure der sowjetischen im Hinterland lie-genden Divisionen und Korps besuchten die Grenze, und sogarrecht häufig. Marschall der Sowjetunion K. K. Rokossowski (zuder Zeit Generalmajor und Kommandeur eines weiter zurück-liegenden mechanisierten Korps) erinnert sich, daß er häufigI.I. Fedjuninski besuchte, dessen Korps unmittelbar an derGrenze stand. Armeegeneral L L Fedjuninski erwähnt in seinenMemoiren, daß ihn tatsächlich seine Kollegen oft besuchten,zum Beispiel Rokossowski. Dergleichen Erwähnungen findenwir in den Memoiren sowjetischer Marschälle und Generale zuHunderten.

  Marschall der Sowjetunion K. S. Moskalenko (zu der ZeitGeneralmajor der Artillerie und Kommandeur der 1. Panzerab-

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Pferde alle Abschnitte besucht.« (»Roter Stern«, 7. Juni 1987)Generalleutnant der Pioniertruppen W. R Sotow (zu der Zeit

Generalmajor und Chef der Pioniertruppen der Nordwest-Front)bestätigt, daß der Befehlshaber der Nordwest-Front, General-oberst F. I. Kusnezow, fast den ganzen Juni hindurch bis unmit-telbar an den 22. Juni heran im Raum des Stabes der 125.Schützendivision zugebracht hat. Der Militärrat der Front be-fand sich ebenfalls dort. Der Stab der 125. Schützendivisionaber lag so nahe an der Grenze, daß er »bereits von der erstenGranate getroffen wurde«. (Sammelband: An der Nordwest-Front, S. 173-174) Wieder könnte man sagen: Ach, was sinddiese Russen doch für Esel, ihre Stäbe so nahe an die Grenzevorzuverlegen! Ich habe auch derlei Reden geführt. Doch dann

sammelte ich Informationen über die Lage der Stäbe der sowje-tischen Divisionen und Korps an der türkischen und mandschu-rischen Grenze. Und dort gab es nichts dergleichen. Dort lagen

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Generalmajor der Artillerie und Kommandeur der 1. Panzerabwehrbrigade der Reserve des Oberkommandos) bringt dasTASS-Kommunique in unmittelbaren Zusammenhang mit der

massiv verstärkten Aufklärungsaktivität der sowjetischen Kom-mandeure. Der Kommandierende General der 5. Armee, Gene-ralmajor der Panzertruppen M. L Potapow, formuliert im Ge-spräch mit General Moskalenko über das TASS-Kommuniquedie Aufgabe: »Hol dir die guten und in militärischer Hinsichtbeschlagenen Leute zusammen, schick sie an die Grenze, laß siedas Gelände aufklären und die Deutschen und deren Verhaltenbeobachten. Und dir selbst könnte das auch nicht schaden.« (Ander Südwest-Front, S. 21)

Halten wir fest, daß eine Panzerabwehrbrigade an der vor-

dersten Linie in einer Abwehroperation nichts zu suchen hat.Der Kommandierende General einer Armee wirft nur in einerausgesprochen kritischen Situation eine Panzerabwehrbrigade

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in den Kampf, nämlich dann, wenn der Gegner bereits die Ab-wehr der Bataillone, Regimenter, Brigaden, Divisionen undKorps durchbrochen hat, wenn die Lage der ganzen Armee be-denklich geworden ist und die Hauptstoßrichtung des Gegnerssich klar abgezeichnet hat. Das aber kann erst tief hinten ineinem sowjetischen Verteidigungsgürtel geschehen. Doch dieBrigade von General Moskalenko ist keine Armeebrigade, es istnicht einmal eine der Front unterstellte Brigade. Es ist eineBrigade der Reserve des Oberkommandos. Bei Abwehrkämpfenkann man sie dann in die Schlacht werfen, wenn die Verteidi-gung der Armeen und sogar der Fronten bereits aufgebrochen istund sich deutlich eine Krise von strategischem Ausmaß abzeich-net. Um aber eine strategische Krise abwenden zu können, darf die Brigade nicht an der Grenze stehen, sondern sie muß sich

Dutzende oder sogar Hunderte von Kilometern von der Grenzeentfernt bereithalten, dort, wo eine derartige strategische Kriseentstehen kann! Bei der Vorbereitung einer Verteidigungsopera-tion hat der Kommandeur einer Panzerabwehrbrigade derReserve des Oberkommandos an der Grenze absolut nichts zusuchen. Anders dagegen verhält es sich, wenn hier ein gewaltigersowjetischer Vorstoß aus dem Lemberger Bogen tief in das Hin-terland des Gegners erfolgen soll - dann wird die linke Flanke

Pioniertruppen waren, einschließlich solcher aus den höchs tenPositionen. Bereitet man eine Verteidigung vor, dann hat einPionier keinen Anlaß, sich für das Gelände des Gegners zu inte r-

essieren; ihn erwartet vielmehr reichliche Arbeit im eigenenGelände, und je weiter man auf dem eigenen Territorium zu-rückgeht, um so mehr nehmen die Aufgaben für den Pionier zu.Aber die sowjetischen Pioniere beobachten aus irgendeinemGrund stundenlang das Territorium des Gegners.

Wenn den gewaltigen sowjetischen Rekognoszierungsaktivi -täten Verteidigungsabsichten zugrunde lagen, dann hätte mansie nicht an der Grenze durchführen sollen: Etwa hundert Kilo-meter hinter der Grenze hätte man auf dem eigenen Gebiet diegeeigneten Verteidigungslinien bestimmen und diese rekognos-zieren müssen, und dann hätte die intensive Vorbereitung die-ser Linien für Abwehrkämpfe einsetzen müssen. Dann hättenalle diese Stabsoffiziere sich zur alten Grenzlinie zurückbege-ben und eine neue Rekognoszierung an diesen alten verfallenenVerteidigungslinien durchführen müssen, und schließlich hät-ten sie zur Dnjepr-Linie zurückgehen müssen und so weiter undso fo r t .

Aber eine Kommandeursaufklärung von den Grenzpostenaus bedeutet eine Angriffsaufklärung.

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g gder mächtigsten Truppengruppierung, die es bis dahin jemalsgegeben hat, von den Karpaten (und den Gebirgsjägerarmeen,

die dort auftauchen werden) gedeckt, während die rechteFlanke von einer extrem starken Panzerabwehrformation ge-sichert werden muß, und das sogar unmittelbar an der Grenze.Und genau dort befindet sich die Brigade, und General Moska-lenko übernimmt persönlich auf Befehl von General Potapowdie Aufklärung des gegnerischen Territoriums.

Sollte irgendjemand versuchen, die Masse der sowjetischenRekognoszierungsaktivitäten damit zu erklären, daß sich dieSowjetunion auf einen Verteidigungskrieg vorbereitete unddaher die sowjetischen Kommandeure angeblich aus diesem

Grund ihre Blicke über die Grenzen richten mußten, dannmöchte ich daran erinnern, daß unter den sowjetischen Kom-mandeursaufklärungstrupps besonders viele Vertreter der

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aus bedeutet eine Angriffsaufklärung.

6.Am 21. Juni 1941 fand eine geheimnisvolle Sitzung des Politbürosstatt. Der sowjetische Historiker W. A. Anfilow berichtet dar-über: »Die Führer der Kommunistischen Partei und die Mitglie-der der Sowjetregierung waren am 21. Juni im Kreml zusam-mengekommen und mit der Entscheidung wichtiger staatspoli-tischer und militärischer Fragen befaßt.« (Die unsterbliche Tat,S. 185)

Bekannt geworden sind nur die Beschlüsse zu vier der dorterörterten Fragen, aber wir wissen nicht, wieviele Fragen über-

haupt an diesem Tag besprochen wurden und wie die anderenBeschlüsse aussahen.

Hier sei angeführt, was bekannt geworden ist:

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Am 21. Juni 1941 wurde der Beschluß gefaßt, in die Bewaff-nung der Roten Armee den fahrbaren Mehrfachwerfer BM-13einzuführen, seine serienmäßige Produktion sowie die der Ra-

keten vom Typ M-13 aufzuneh men und außerdem mit der Auf-stellung von Truppenteilen der Raketenartillerie zu beginnen.In den nächsten Wochen wird der BM-13 seine offizielle Be-zeichnung als »Katjuscha« (Käthchen - d. Ü.) bekommen, beiden deutschen Soldaten wird er später »Stalinorgel« heißen.

»Am 21. Juni beschloß das Politbüro des ZK der KPdSU (B)die Bildung von Frontverbänden auf der Basis der westlichenGrenzmilitärbezirke.« (Generalleutnant P.A.. Schilin, Korre-spondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, Der Große Vaterländische Krieg. Moskau 1973, S. 64)Dieser Beschluß ist tausendmal wichtiger als der erstgenannte.Natürlich hatten die Fronten auch vorher bereits existiert, dasPolitbüro ratifiziert nur im nachhinein eine bereits getroffeneEntscheidung, und dennoch ist dies ungeheuer wichtig: Fünf Fronten sind geschaffen und heimlich rechtskräftig bestätigt,und zwar nicht nach der deutschen Invasion, sondern vor derenBeginn.

Die Bedeutung besteht in Folgendem: Die Sitzung des Polit-büros dauerte den ganzen Tag und fand erst am späten Abend

Frage: Wenn die höchsten politischen und militärischen Fü h -rer nicht an die Möglichkeit einer deutschen Invasion gla uben ,warum wurden dann Fronten gebildet?

Antwort: D I E F R O N T E N W A R E N N I C H T Z U R A B W E H R E I N E RD E U T S C H E N I N V A S I O N G E S C H A F F E N W O R D E N , sondern zu einemanderen Zweck.

7.Und hier noch ein weiterer Beschluß, den das Politbüro am21. Juni 1941 faßte: Es wird eine Gruppe von Armeen als Re-serve des Oberkommandos geschaffen. Zum Befehlshaber die-ser Gruppe wird der Stellvertreter des Volkskommissars fürVerteidigung Marschall der Sowjetunion S. M. Budjonny ernanntund als Stabschef dieser Gruppe Generalmajor A. P. Pokrowski(später Generaloberst) bestimmt. Dieser Armeegruppe gehörensieben Armeen der Zweiten Strategischen Staffel an, die heim-lich in die Westregionen des Landes verlegt worden sind. Gene-raloberst A. R Pokrowski nennt in seinen Erinnerungen diesenneuen Verband ein wenig anders: »eine Gruppe von Reserve-truppen des Hauptquartiers«. (»Militärhistorische Zeitschrift«1978, Nr. 4, S. 64) Diese Bezeichnung weist darauf hin, daß am

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g g pihren Abschluß. Wenige Stunden später ruft Schukow Stalin anund bemüht sich, ihn davon zu überzeugen, daß sich an den

Grenzen etwas Ungewöhnliches tut. Diesen Augenblick habenviele Augenzeugen und Historiker beschrieben. Es unterliegtkeinem Zweifel, daß nicht nur Stalin, sondern auch Molotowund Schdanow und Berija sich weigerten, an die Möglichkeiteiner deutschen Invasion auch nur zu glauben. Diese Ungläubig-keit in bezug auf eine deutsche Offensive wird durch alle Aktionender Roten Armee bestätigt: Die Flak-Geschütze schießen nichtauf die deutschen Flugzeuge, den sowjetischen Abfangjägern istes untersagt, deutsche Flugzeuge herunterzuholen, den Truppender Ersten Staffel hat man die scharfe Munition weggenommen,

und aus dem Generalstab kommen massenweise eiserne Befehle,nicht auf Provokationen zu reagieren. (Schukow und Timoschenkoglaubten auch nicht so recht an einen deutschen Angriff.)

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, , ) g ,21. Juni das Hauptquartier des Oberkommandos eingerichtetworden ist - das höchste Führungsorgan der Streitkräfte im

Kriege. Zumindest war die Entscheidung für dessen Einrich-tung am 21. Juni vorweggenommen worden.

Es ist sehr gut möglich, daß der Beschluß über die Aufstel-lung der Gruppe von Reservetruppen des Hauptquartiers be-reits eher gefaßt worden ist und am 21. Juni durch das Politbürodiese Entscheidung nur bestätigt wurde. Einen Beweis dafürkann man in den wiederholten Bemerkungen sehen, daß Gene-ralmajor A. P. Pokrowski zu Beginn der deutschen Invasion be-reits auf seinem Gefechtsposten in den Westregionen des Lan-des war. (Vgl. z. B. »Militärhistorische Zeitschrift« 1978, Nr. 11,

S. 126)In jedem Falle stellte die Zweite Strategische Staffel vor der

deutschen Invasion nicht ein Konglomerat aus sieben verschie-

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denen Armeen dar, sondern sie bildete bereits einen Kampfver-band mit eigener Führung. Wozu? Zur Verteidigung? Nein. ImVerteidigungskrieg war eine eigene Führung der Armeen der

Zweiten Strategischen Staffel ganz unnötig, und sie wurde auchaufgegeben, noch ehe die Zweite Strategische Staffel mit demGegner in Berührung kam. In Friedenszeiten aber ist eineZweite Strategische Staffel vollends nicht erforderlich: Im euro-päischen Teil des Landes läßt sie sich nicht unterbr ingen , und esfehlt auch an Übungsmöglichkeiten.

Wenn aber die Armeegruppe der Reserve des Hauptquar-tiers weder für Friedenszeiten noch für einen Verteidigungs-krieg geschaffen worden war, wofür dann wohl?

»Am 21. Juni übertrug das Politbüro des ZK der KPdSU (B)dem Generalstabschef, Armeegeneral G. K. Schukow, die allge-meine Führung der Südwest- und der Süd-Front und dem Stell-vertreter des Volkskommissars für Verteidigung ArmeegeneralK. A. Merezkow die Führung der Nord-Front.« (ArmeegeneralS. P. Iwanow und Generalmajor N. Schechowzew, »Militärhisto-rische Zeitschrift« 1981, Nr. 9, S. 11) Erst kurz zuvor hat K. A.Merezkow eine Armee während der »Befreiung« Finnlandskommandiert. Nun wird er ebendorthin als Vertreter des Haupt-quartiers geschickt. Erst vor kurzem hat G. K. Schukow die Süd-

Teil jenes mächtigen Stromes gewesen, der die Generale aus de mGeneralstab und die Brigadekommandeure aus dem GULag, dieGefangenen und ihre Begleitsoldaten, die Kommandeure der

Reserve und die Truppenführer von den fernen Grenzen, dieHörer aus den Akademien und ihre Dozenten mit sich fortrißund an die westlichen Grenzen des Landes trug.

Sowjetische Historiker sagen von den deutschen Generalen:»Im Juni machten Brauchitsch und Halder bis unmittelbar vordem Überfall auf die UdSSR eine Inspektionsfahrt nach deranderen zu den Truppen.« (Anfilow,Die unsterbl iche Tat, S. 65)Und Schukow und Merezkow - haben die sich etwa andersverhalten?

Die Aktionen der beiden Armeen gleichen einander in ver-

blüffender Weise. Ohne etwas von den Aktionen des Gegners zuwissen, kopieren Wehrmacht und Rote Armee einander bis hinzu den kleinsten Details. Ja, die sowjetischen Befehlshaber undKommandeure zogen ihre Gefechtsstände an die Grenzen vorwie ihre deutschen Kollegen, und sogar noch näher. Ja, die RoteArmee konzentriert zwei extrem starke Gruppierungen an denFlanken dort, wo sich der Grenzbogen in das feindliche Terri-torium hineinwölbt, ganz so wie die deutsche Armee. Ja, diesowjetischen Flugzeuge sind unmittelbar an der Grenze statio-

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Front während der »Befreiung« der Ostgebiete Rumänienskommandiert, jetzt wird er ebendahin als Vertreter des Haupt-

quartiers geschickt, um die Aktionen der beiden Fronten zukoordinieren.

Man will uns weismachen, Stalin habe Schukow an dierumänische Grenze geschickt und Merezkow an die finnischeGrenze, um die Abwehr eines deutschen Angriffs vorzubereiten.Sei dem so. Seltsam ist etwas anderes: Stalin schickt Schukowund Merezkow los, um Ereignisse abzuwenden, an deren Eintritter nicht glaubt.

Merezkow brach unverzüglich auf. Schukow hielt sich nochein paar Stunden in Moskau auf und war deshalb bei Beginn des

»Unternehmens Barbarossa« im Generalstab in Moskau. Aberdas ist ein Zufall. Wäre das »Unternehmen Barbarossa« einpaar Stunden später angelaufen, dann wäre auch Schukow ein

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sowjet sc e ug euge s d u tte ba a de G e e stat oniert, geradeso wie die deutschen. Ja, die sowjetischen Jagdflie-ger dürfen die deutschen Flugzeuge bis zu einem bestimmtenZeitpunkt nicht herunterholen, genauso wie es den deutschenFliegern verboten ist, sowjetische Flugzeuge abzuschießen, umnicht vorzeitig den Konflikt auszulösen, damit der Angriff wirk-lich völlig überraschend erfolgen kann. Ja, der GefechtsstandHitlers (die sog. »Wolfsschanze«) befindet sich in Ostpreußen inder Gegend von Rastenburg, und der sowjetische vorgescho-bene Hauptgefechtsstand liegt im Raum Wilna. Es ist dieselbegeographische Breite, und der sowjetische Gefechtsstand weistannähernd die gleiche Entfernung von der deutschen Grenzeauf wie der deutsche von der sowjetischen Grenze.

Aber: Hitler hat sich bereits in seinen heimlichen Gefechts-stand begeben ..., und wo ist Stalin?

Nach der Sitzung des Politbüros am 21. Juni verfügen sich

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viele seiner Mitglieder eilig an ihre Einsatzorte im Kriegsfall.Schdanow, der als Mitglied des Politbüros die »Befreiung« Finn-lands überwacht hatte, bereitet sich darauf vor, am 23. Juni in

Leningrad aufzutauchen. Nikita Chruschtschow, der die »Be-freiung« in den Ostgebieten Polens und Rumäniens kontrollierthatte, begibt sich eilends nach Kiew (und vielleicht auch nachTiraspol), Andrejew, der im Politbüro für die Militärtransporteverantwortlich zeichnet (Armeegeneral A. A. Jepischew, DiePartei und die Armee. Moskau 1980, S. 176), eilt zur Transsibiri-schen Eisenbahn, um die Verlegung der Armeen der ZweitenStrategischen Staffel zu beschleunigen, und schon am nächstenTag ist seine Anwesenheit in Nowosibirsk belegt. (Generalleut-nant S. A. Kalinin, Gedanken zu dem, was gewesen ist, S. 131)

Was aber ist mit Stalin? Macht er sich auch bereit, wie Hitlerzu seinem geheimen Gefechtsstand aufzubrechen?

8.Der Beschluß des Politbüros zur heimlichen Entfaltung von fünf Fronten an den Westgrenzen bedeutete, daß die Sowjetunion1941 unweigerlich zu aktiven Operationen im Westen überge-hen mußte. Der Grund hierfür ist ausgesprochen ernster Natur:

chosen ... Ich werde mich nicht streiten. Hier ein paar Informa-tionen aus dem sowjetischen Generalstab: »Ungeachtet dergewaltigen Erfolge auf dem Gebiet der Entwicklung der Land-wirtschaft am Vorabend des Krieges war die Getreidefrage auseiner Reihe von Gründen nicht gelöst. Die staatliche Erfassungund die Getreideeinkäufe reichten nicht, um alle Bedürfnissedes Landes auf dem Getreidesektor zu decken.« (»Mili tärh isto-rische Zeitschrift« 1961, Nr. 7, S. 102) Kurzum, die Erfolgewaren gestiegen, aber es gab kein Brot. Und hier die Mei nu ngvon Stalins Volkskommissar für das Finanzwesen, des ZK-Mit-glieds A. G. Swerew: »Anfang 1941 hatte der Rinderbestand beiuns noch nicht das Niveau von 1916 erreicht.« (Aufzeichnungeneines Ministers. Moskau 1973, S. 188) Das Niveau von 1916 istkein normaler Richtwert Rußlands , sondern ein Niveau, auf das

die Landwirtschaft des Staates nach zwei Jahren eines verhee-renden und verlustreichen Krieges abgesunken war. In »Frie-denszeiten« war der Viehbestand in der Sowjetunion demnachniedriger als in Rußland mitten im Ersten Weltkrieg! Das Niveauvon 1916 ist, gemessen an den Normen der vorangegangenenJahrzehnte, ausgesprochen niedrig und ein beinahe schon kata-strophales Niveau, das zu Unruhen führen kann, bei dem diegewohnte Lebensform zusammenbricht und die Massen auf dieS ß h k

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Jede sowjetische Front verzehrte - abgesehen von allem ande-ren - monatlich 60000 Rinder. (Marschall der Sowjetunion S. K.

Kurkotkin, Die rückwärtigen Dienste der sowjetischen Streit-kräfte im Großen Vaterländischen Krieg. Moskau 1977, S. 325)Würde man bis zum nächsten Jahr warten, müßten für die fünf Fronten 3 000 000 Rinder bereitgestellt werden. Außer den fünf Fronten waren noch die sieben Armeen der Zweiten Strate-gischen Staffel durchzufüttern sowie drei Armeen des NKWD,die dahinter aufgestellt waren. Ferner mußten vier Flotten be-köstigt werden sowie die sowjetischen Truppen, die sich auf die»Befreiung« des Iran vorbereiteten, die Flieger, die Truppen derLuftverteidigung und vor allem die Kriegsindustrie, die noch

mehr Esser zählte.Das hat nichts zu besagen, wird man mir entgegnen: Ge-

stützt auf die sozialistische Landwirtschaft, auf unsere Kol-

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Straße gehen können.Nachdem die Kommunisten auf der trüben Woge der Unruhen

nach oben gespült worden waren und die Macht ergriffenhatten, verbesserten sie nicht die Ernährungslage des Landes,sondern verschlechterten diese so sehr, daß sich das Land einVierteljahrhundert später noch immer bemüht, zumindest dasniedrige Niveau zu erreichen, auf das es infolge des Ersten Welt-kriegs abgesunken war. Stalin hatte eine riesige Armee und eineriesige Rüstungsindustrie geschaffen, doch dafür das in Jahr-hunderten angesammelte Vermögen der Nation und den Le-bensstandard der Bevölkerung geopfert.

Seit Anfang 1939 war Stalin dazu übergegangen, die Ein-

künfte der ohnehin katastrophal geschwächten Landwirtschaftin die Armee und Rüstungsindustrie zu pumpen. Armee undIndustrie gewannen zielstrebig an Gewicht, während die Land-

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Wirtschaft in erschreckender Weise an Bedeutung verlor. Erin-nern Sie sich an die 1320 Eisenbahnzüge mit Kraftwagen anden sowjetischen Westgrenzen? Woher waren sie gekommen?

Nun, aus den Kolchosen hatte man sie im Rahmen der Mobil-machung zusammengeholt, und nicht aus der Rüstungsindustrie!Oder nehmen wir die 800000 Reservisten, die im Mai 1941insgeheim in die Rote Armee eingezogen wurden. Binnen einesMonats hatte sich die Zahl der Esser in der Armee um fast eineMillion vermehrt. Aber auf wessen Kosten wächst die Armee?Wir wissen bereits, daß dies auf Kosten der Gefangenen in denLagern geschieht, und natürlich auch auf Kosten der Bauern.In einem Rüstungsbetrieb ist man unentbehrlich. Aber imKolchos?

Folglich mußten diese fünf gefräßigen Fronten, die vor derdeutschen Invasion geschaffen worden waren, sowie die ge-heime Mobilmachung unter den Bauern und der Abzug destechnischen Geräts für diese Fronten vor Einbringung der Ernteunweigerlich für das Jahr 1942 Hunger bedeuten. Und dasselbst ohne deutsche Invasion. Die Vorentscheidung für denHunger war bereits auf der Sitzung des Politbüros am 21. Juni1941 gefallen. Als man die gefräßigen Fronten entfaltet hatte,mußten sie unweigerlich noch im selben Jahr in Aktion gesetzt

ein weiterer Anlaß hinzu, der für Stalin den Kriegsbeginn imJahre 1941 unvermeidlich werden ließ: Wenn er diese fünf Fron-ten, die sieben Armeen der Zweiten Strategischen Staffel und

die drei NKWD-Armeen nicht in den Kampf führt, dann wirdsich zu Beginn des Frühjahrs 1942 eine Situation ergeben, inder es nicht mehr möglich ist, diese ganze Masse an Truppen zuernähren.

Der einzige sowjetische Marschall, dem Stalin völlig ver-traute, B. M. Schaposchnikow, hatte bereits 1929 kategorischdie Auffassung vertreten, daß die Mobilisierung von Hundert -tausenden und Millionen Menschen und deren untätiges Verhar-ren in der Grenzregion auf längere Dauer unmöglich sei. (DasGehirn der Armee, Bd. 3, 1929) Man hat wesentlich leichter ein

Heer während eines Krieges unter Kontrolle, als Millionenmobilisierter bewaffneter Männer, die vor Warten und Nichts-tun vergehen. Und dann unterläßt man es obendrein noch,diese bewaffneten Menschen zu ernähren. Was ergibt das wohl?Als Stalin seine Fronten aufstellte, hatte er das ohnehin frag-liche Gleichgewicht zwischen den gigantischen Armeen und derausgelaugten, ruinierten Landwirtschaft zerstört. Danach wareine Situation des Alles oder Nichts entstanden, und bis 1942abzuwarten war Stalin bereits nicht mehr möglich.

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werden. Andernfalls würden im darauffolgenden Jahr 1942 zuStalins Feinden nicht nur Hitler, sondern Millionen hungriger

bewaffneter Bauern in Stalins eigener Armee gehören. Einüberraschender Vorstoß der Roten Armee 1941 verspricht dage-gen die Eroberung neuer reicher Gebiete und Nahrungsreser-ven (zum Beispiel in Rumänien). Und reichen diese Vorrätenicht, ist es auch nicht weiter schlimm: Eine Hungersnot, diesich im Gefolge eines Krieges ergibt, kann man erklären undbegreifen.

Wir wissen bereits, daß Stalin gezwungen war, die Armeender Zweiten Strategischen Staffel noch 1941 in den Kampf zuführen, und dies ganz unabhängig von Hitlers Aktionen, ganz

einfach, weil in den Westregionen des Landes kein Platz für eineÜberwinterung dieser Armeen war und weil sie im Winter auchnirgendwo ein Übungsgelände besaßen. Und hier kommt nun

404

g

405

WIE HITLER STALINS KRIEG VEREITELTE

Man hatte uns restlos für einenAngriffskr ieg vorbereitet. Und eswar nicht unsere Schuld, daß die

Aggression nicht von unsausgegangen war.

Generalmajor R G. Grigorenko

(Im Keller  t ri f f t   man nur Ratten, S. 138)

l.

Am 17. Juni 1945 führ te eine Gruppe sowjetischer militärischerUntersuchungsrichter eine Vernehmung der höchsten militäri-schen Führer des faschistischen Deutschland durch. General-

 feldm arsch all W. Keitel: »Ich betone, daß alle von uns bis zumFrühjahr 1941 durchgeführten vorbereitenden Maßnahmenden Charakter reiner Verteidigungsvorkehrungen für den Falleines Angriffs durch die Rote Armee trugen. Insofern kann manden ganzen Krieg im Osten gewissermaßen einen Präventiv-krieg nennen ... Wir beschlossen ..., einem Angriff Sowjetruß-lands zuvorzukommen und durch einen Überraschungsangriff d S i k äf hl G F ühj h 1941 k

kriegsverbrechern« gehängt. Eine der Hauptanklagen gegensie lautete auf »Entfesselung eines nichtprovozierten Angriffs -krieges« gegen die Sowjetunion.

Seitdem sind viele Jahre vergangen, und neue Zeugenaus-sagen sind aufgetaucht. Mein Zeuge ist Flottenad miral der So-wjetunion N. G. Kusnezow (1941 Admiral, Volkskommissar fürdie Kriegsmarine der UdSSR, Mitglied des Zentralkomitees, Mit -glied des Hauptquartiers des Oberkommandos seit dessenGründung). Und dies sind seine Aussagen: »Für mich steht un-strittig das eine fest: I. W. Stalin hatte nicht nur die Möglichkeiteines Krieges mit Hitler-Deutschland nicht ausgeschlossen, erhielt einen solchen Krieg im Gegenteil sogar ... für unvermeid-lich ... I. W. Stalin hat diesen Krieg vorbereitet — seine Vorberei-tung war umfassend und vielseitig -, und er ging dabei von denvon ihm selbst vorgegebenen ... Fristen aus. Hitler zerstörteseine Berechnungen.« (Am Vorabend, S. 321)

Der Admiral sagt uns vollkommen offen und klar, daß Stalineinen Krieg für unvermeidlich hielt und sich zielstrebig darauf vorbereitete. In diesen Krieg wollte Stalin jedoch nicht in Reak-tion auf einen von Deutschland ausgehenden Angriff eintreten,sondern zu einem Zeitpunkt, den er selbst wählen würde.Anders ausgedrückt: Stalin bereitete sich darauf vor, als erster

hl d h iß i iff hl d

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dessen Streitkräfte zu zerschlagen. Gegen Frühjahr 1941 kamich zu der festen Überzeugung, daß uns die starke Konzentrie-

rung der russischen Truppen und deren nachfolgender Angriff auf Deutschland in strategischer und wirtschaftlicher Hinsichtin eine außerordentlich kritische Lage bringen könnten ... Inden ersten Wochen hätte ein Angriff von Seiten RußlandsDeutschland in eine extrem ungünstige Situation versetzt. UnserAngriff war eine unmittelbare Folge dieser Bedrohung ...«

Generaloberst A. Jod l, der Chefkonstrukteur der deutschenKriegspläne, behauptete dasselbe. Die sowjetischen Unter-suchungsrichter waren energisch bemüht, Keitel und Jodl denBoden dieses Arguments zu entziehen. Doch das gelang nicht.

Keitel und Jodl änderten ihren Standpunkt nicht und wurdenaufgrund des Urteils des sogenannten »Internationalen Ge-richtshofs« in Nürnberg zusammen mit den anderen »Haupt-

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zuzuschlagen, das heißt, einen Angriff gegen Deutschland zuführen, aber Hitler entschloß sich zu einem Präventivschlag

und zerstörte damit alle Pläne Stalins.Admiral Kusnezow ist ein hochkarätiger Zeuge. 1941 nahm

er in der sowjetischen militärischen und politischen Hierarchiesogar eine noch höhere Position als Schukow ein. Kusnezowwar Volkskommissar, Schukow dagegen nur Stellvertreter einesVolkskommissars; Kusnezow war Mitglied des Zentralkomitees,Schukow dagegen nur ZK-Kandidat.

Keiner unserer Memoirenschreiber nahm 1941 eine gleichhohe Stellung ein wie Kusnezow, und keiner ist Stalin so ver-traut gewesen wie er. Deshalb halte ich Kusnezow für meinen

wichtigsten Zeugen, nach Stalin natürlich. Im übrigen stimmtdas, was Kusnezow nach dem Krieg sagte, völlig mit dem über-ein, was er schon vor dem Kriege äußerte, wie beispielsweise

407

1939 auf dem 18. Parteikongreß. Das war der Parteikongreß ge-wesen, der einen neuen Weg gewiesen hatte: Schluß mit demTerror im eigenen Land und Verlagerung des Terrors in die

Nachbarländer. »Das, was in der UdSSR geschaffen worden ist,kann auch in anderen Ländern geschaffen werden!« Auf diesemParteitag der »Sieger«, die beschlossen haben, nun »Befreier«zu werden, ist Kusnezows Rede vielleicht die aggressivste. Ge-rade dank dieser Rede wird Kusnezow am Ende des Partei-kongresses Mitglied des Zentralkomitees, und zwar unter Um-gehung des Status eines Kandidaten für dieses Amt, und er erhältden Posten eines Volkskommissars.

Alles, was Kusnezow offen ausspricht, hat Stalin viele Jahrevor ihm in seinen geheimen Reden gesagt. Alles, was Kusnezowsagt, wird durch die Handlungsweise der Roten Armee undFlotte bestätigt. Und schließlich muß man Admiral Kusnezow imvorliegenden Fall auch deshalb glauben, weil sein Buch alleFreunde und Feinde gelesen haben, weil es die politischen undmilitärischen Führer der Sowjetunion gelesen haben, weil esdie Marschälle, Diplomaten, Historiker, Generale und Admiralegelesen haben, weil es die voreingenommenen Freunde derUdSSR im Ausland gelesen haben und keiner jemals den Ver-such unternommen hat, Kusnezows Worte in Abrede zu stellen!

V l i h i i W t it d K it l

viel professionelle Ehrlichkeit aufbrachten), die wahren Urh e-ber des Krieges ausfindig zu machen. Aber ich begreife ni cht ,warum dieselben »Richter« nach den Bekenntnissen von Ad mi -ral Kusnezow sich nicht umgehend in Nürnberg einfanden un deinen Teil der Anklage gegen Keitel, Jodl, die deutsche Wehr-macht und Deutschland insgesamt zurücknahmen.

2.Die sowjetischen Marschälle und Generale verhehlen ihre da-maligen Absichten nicht. Der Leiter der Akademie des General-stabs der Streitkräfte der UdSSR Armeegeneral S. P Iwanow hatzusammen mit einer Gruppe führender sowjetischer Historiker1974 im Militärverlag in Moskau eine wissenschaftliche Unter-

suchung über »Die Anfangsphase des Krieges« herausgebracht.In diesem Buch gibt Iwanow nicht nur zu, daß Hitler einen Prä-ventivschlag geführt hat, sondern er nennt auch eine Zeit: »Derdeutschen faschistischen Führung war es buchstäblich in denletzten beiden Wochen vor dem Krieg gelungen, unseren Trup-pen zuvorzukommen.« (S. 212) Wenn sich die Sowjetunion auf eine Verteidigung vorbereitet hätte oder allenfalls zu einemGegenangriff, dann konnten die Deutschen ihr nicht zuvor-kommen Bereitete die Sowjetunion jedoch einen Angriff vor

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Vergleichen wir seine Worte mit denen von Keitel.Generalfeldmarschall W. Keitel sagt, Deutschland habe kei-

nen Angriff gegen die Sowjetunion vorbereitet, die Angriffsvor-bereitungen habe die Sowjetunion getroffen. Deutschland hatsich nur gegen eine unausweichliche Aggression verteidigt, alses seinen Präventivschlag führte.

Flottenadmiral der Sowjetunion N. G. Kusnezow sagt das-selbe: Ja, die Sowjetunion hat sich auf den Krieg vorbereitetund hätte ihn unweigerlich begonnen, aber Hitler hat durchseinen Angriff diese Pläne vereitelt.

Ich begreife nur nicht, warum man Keitel aufgehängt hat,aber Kusnezow nicht. Ich begreife nicht, warum man Hitler für

einen Aggressor hält, Stalin dagegen fü r ein Opfer.Ich verstehe, daß die Richter des »Internationalen Gerichts-

hofs« in Nürnberg nicht das Bedürfnis verspürten (und nicht so

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kommen. Bereitete die Sowjetunion jedoch einen Angriff vor,so konnte man ihr mit einem Vorstoß zuvorkommen, den die

andere Seite nur ein klein wenig eher unternahm. 1941 warder deutsche Vorstoß, wie Iwanow sagt, zwei Wochen ehererfolgt.

Derlei Eingeständnisse gibt es nicht wenige. Hier ein weite-res Beispiel. Es ist der »Militärhistorischen Zeitschrift« von1984 entnommen. Die Zeitschrift ist offizielles Organ des Vertei-digungsministeriums der UdSSR und kann nicht ohne Sichtver-merk des Verteidigungsministers und des Chefs des General-stabs (zu der Zeit die Marschälle der Sowjetunion S. Sokolowund S. Achromejew) erscheinen. Die »Militärhistorische Zeit-

schrift« erklärt, warum in Grenznähe die erwähnten Riesenvor-räte an Munition, Treibstoff und Lebensmitteln angelegt waren.Die Antwort ist einfach - für Angriffsoperationen. (Nr. 4, S. 34)

409

Auf derselben Seite wird offen davon gesprochen, daß derdeutsche Angriff die sowjetischen Pläne vereitelte.

Hätte sich dagegen die Rote Armee auf eine Verteidigungeingestellt oder selbst einen Gegenangriff, dann wäre es nichtso einfach gewesen, ihre Pläne zu vereiteln, vielmehr hätte einedeutsche Invasion für die sowjetischen Truppen nur als aus-lösendes Signal zu einem planmäßigen Vorgehen gedient. Nurwenn sich die Rote Armee auf einen Angriff vorbereitete, konntedie deutsche Invasion diese Pläne vereiteln, weil die Truppen,statt plangemäß zu handeln, gezwungen waren, sich zu vertei-digen, das heißt zu improvisieren, nämlich etwas zu tun, wasnicht vorgesehen war.

3.Kehren wir jetzt zum Juni 1941 zurück.

Am 6. Juni war die deutsche Aufklärung in den Besitz vonInformationen gelangt, daß die Sowjetregierung nach Swerd-lowsk zu übersiedeln beabsichtige.

In Deutschland haben nur Hitler und seine nächste Umge-bung davon Kenntnis. Dr. Goebbels macht in seinem Tagebucheinen entsprechenden Vermerk, daß er eine solche Informationerhalten habe (Die Tagebücher von Joseph Goebbels Teil l

weniger wichtigen Volkskommissariate, die Botschaften. Allewichtigen Institutionen befanden sich in unmittelbarer Nach-barschaft, doch nicht in Kuibyschew, sondern in dem riesigenunterirdischen Tunnelsystem, das man in das Gestein der Schi-guli-Höhen gehauen hat te. Vor dem Krieg war der Bau dieser gi -gantischen Anlage durch den Bau eines anderen Giganten ge-tarnt worden — das Wasserkraftwerk von Kuibyschew. Tausendevon Strafgefangenen hatte man dorthin geschickt, TausendeTonnen an Baumaterialien und Baugerät, und jedermann warklar gewesen, wozu das geschah - für den Bau des Wasserkraft-werks. Nach dem Krieg wurde das ganze gewaltige Bauwerkweiter wolgaaufwärts verlegt und das Wasserkraftwerk an einemneuen Ort errichtet. Für die erste Anlage hatte man eine Bau-stelle gewählt, an der zwar kein Wasserkraftwerk errichtet

werden konnte, wohl aber eine großartige unterirdische, odergenauer gesagt, unter Felsen angelegte Kommandozentrale.

In den deutschen Vorkriegsarchiven habe ich keinerlei Hin-weise auf Kuibyschew als Ersatzhauptstadt gefunden, und nochviel weniger irgendeine Erwähnung der Kommandozentraleunter den Schiguli-Höhen. Die deutsche Abwehr besaß nurInformat ionen über eine Verlegung der sowjetischen Regierungin eine Kommandozentrale in Swerdlowsk. Doch die Regierungkann nicht in eine Kommandozentrale verlegt werden die über

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erhalten habe. (Die Tagebücher von Joseph Goebbels, Teil l,Bd. 4, S. 675)

Und erst viele Jahrzehnte später können wir die Nachrichtvon der Verlegung der sowjetischen Regierung richtig wür-digen. Denn heute wissen wir, daß in Swerdlowsk eine Schein-kommandozentrale eingerichtet worden war. Erst im Laufe desKrieges wurde deutlich, daß als Ersatzhauptstadt nicht Swerd-lowsk vorgesehen war, sondern Kuibyschew, in das, als die Lagekritisch wurde, viele Regierungsinstitutionen der Sowjetunionund die ausländischen Botschaften verlegt wurden. Aber auchKuibyschew ist noch nicht die ganze, sondern nur die halbeWahrheit. In Kuibyschew waren diejenigen Einrichtungen kon-

zentriert, deren Verlust ohne Einfluß auf die Stabilität der ober-sten militärischen und politischen Führung des Landes bleibenwürde: Der Oberste Sowjet mit dem »Präsidenten« Kalinin, die

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kann nicht in eine Kommandozentrale verlegt werden, die über-haupt nicht existiert. Wer aber verbreitet dann Informationen

von einer Übersiedlung in eine Scheinkommandozentrale? Daskann nur jemand tun, der diese Scheinkommandozentraleerfunden hat, das heißt: die Sowjetregierung, oder genauer ge-sagt, der Chef dieser Regierung, I. W. Stalin. Die Scheinkom-mandozentrale wurde ja geradezu geschaffen, damit der Gegnereines Tages davon erfährt. Und nun war dieser Zeitpunkt ge-kommen, und die deutsche Abwehr erhielt die »Geheiminfor-mation«, die speziell für sie fabriziert worden war.

Die Nachricht an die deutsche Abwehr von der Absicht derSowjetregierung, nach Swerdlowsk zu übersiedeln, ist ein

»Geheimnis« aus derselben Serie wie Stalins Rede vor den Ab-solventen der Militärakademie, wie das Geschwätz der sowje-tischen Botschafter und wie das TASS-Kommunique.

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Wenn die deutsche Aufklärung eine falsche Nachrich t überdie Absichten der Sowjetregierung zugespielt erhält, dann be-sagt dies, daß die sowjetische Führung in eben diesem Augen-blick etwas zu verbergen bemüht ist. Es fällt nicht schwer zuerraten, worum es dabei geht. Wenn die sowjetische Führungfalsche Nachrichten über ihre Absicht, sich nach Osten zurück-zuziehen, verbreitet, dann trägt sie sich vermutlich mit derAbsicht, etwas Gegenteiliges zu tun.

Die List bestand darin, daß es außer der stark gesichertenKommandozentrale der Schiguli-Höhen, deren Lage zwar schwerzu bestimmen, aber letztlich doch nicht unauffindbar war, nocheine weitere Regierungszentrale gab: einen Eisenbahnzug. ImKriegsfall konnte diese Kommandozentrale, gedeckt durchmehrere Panzerzüge des NKWD und begleitet von drei Zügendes Volkskommissariats für das Nachrichtenwesen, jederzeit imBereich der Kampfhandlungen auftauchen. Diese Möglichkeit,sich in unmittelbarer Nähe des Hauptschauplatzes der Kriegs-ereignisse aufzuhalten, kommt auch in der Bezeichnung diesesZuges zum Ausdruck: vorgeschobene Hauptkommandozentrale.Für diese Kommandozentrale waren mehrere sorgfältig ge-deckte und getarnte Haltepunkte vorbereitet worden, die be-reits in Friedenszeiten zum Anschluß an das Regierungsnach-richtennetz vorbereitet wurden Die Leitungen brauchten nur

mit einiger Sicherheit behaupten, daß sich an der Eisenbahn-linie Minsk-Wilna (näher an Wilna) eine wichtige Kommando-zentrale befunden haben muß oder vorgesehen war.

Wenige Tage nachdem die deutsche Führung die »Geheim-information« von der Verlegung des sowjetischen Regierungs-sitzes nach Swerdlowsk erhalten hatte, setzte die getarnteVerlegung der Sowjetregierung in Richtung Westgrenze in dieRegionen Minsk und Wilna ein.

Jeder Soldat weiß, wie die Verlegung eines großen Stabesbei Manövern oder unter Gefechtsbedingungen vor sich geht.Die Operative Abteilung wählt den Standort für den künftigenStab, ein übergeordneter Kommandeur bestätigt die getroffeneAuswahl und erteilt die Erlaubnis zur Verlegung. Der Wald, indem der Stab eingerichtet werden soll, wird abgesperrt, so daß

keine Unbefugten Zutritt haben, dann rücken die Pioniere unddie Männer der Nachrichtentruppen an, die für die Tarnung undHerstellung der Nachrichtenverbindungen zuständig sind, an-schließend taucht der Chef des Nachrichtendienstes der betref-fenden Formation (der Division, des Korps, der Armee, desFrontabschnittes) auf und kontrolliert persönlich, ob an dem be-treffenden Ort die Nachrichtenverbindungen zu allen wichtigenTeilnehmern zuverlässig funktionieren, und danach endlicherscheint der Stab dessen Offiziere nur noch ihre Telefone und

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richtennetz vorbereitet wurden. Die Leitungen brauchten nurnoch an die entsprechenden Schaltzentralen in den Zügen an-

geschlossen zu werden.Es bedarf keiner Erläuterung, daß die mobile Kommando-

zentrale für einen Angriffskrieg bestimmt war, für eine Situation,in der die eigenen Truppen im zügigen Vormarsch begriffensind, die Führung aber mit ihren platzraubenden Verwaltungs-und Nachrichtensystemen den angreifenden Fronten und Ar-meen folgen können muß. In einem Verteidigungskrieg ist eseinfacher, zuverlässiger und sicherer, aus dem Arbeitszimmerim Kreml, aus einer unterirdischen Metro-Station in Moskauoder auch aus den Tunnelanlagen in Schiguli die Regierungs-

geschäfte zu führen.Trägt man die verschiedenen kleinen Bruchstücke von Infor-

mationen zusammen und fügt sie aneinander, dann können wir

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erscheint der Stab, dessen Offiziere nur noch ihre Telefone undChiffriermaschinen an die eingemessenen und zuvor überprüf ten

Nachrichtennetze anzuschließen brauchen.Die Rote Armee arbeitet in den letzten Wochen vor dem

22. 6. 1941 wie ein einziger wohlregulierter Mechanismus: Inden Grenzwäldern tauchen Dutzende von Leitern des Nachrich-tendienstes der Schützen- und mechanisierten Korps auf, undgleich danach beginnt die heimliche Entfaltung der Gefechts-stände dieser Korps. Unmittelbar darauf erscheinen in einemanderen Waldgelände die Leiter des Nachrichtendienstes derArmeen. Ihre Anwesenheit ist ein Zeichen dafür, daß hier dem-nächst die Armeestäbe aufkreuzen werden. Es ist ein zuverläs-

siges Anzeichen, und die Stäbe erscheinen in der Tat. Und genauam Tage der Verbreitung des TASS-Komuniques stellen sich inabgelegenen Winkeln der unberührten, gut geschützten Wälder

413

die Chefs der Nachrichtentruppen der Fronten ein. Kaum sinddie Nachrichtenverbindungen überprü ft, ziehen die Frontstäbegetarnt ihre Kolonnen zur Verlegung auseinander.

Jetzt aber ist der Augenblick für einen noch gewichtigerenChef des Nachrichtendienstes gekommen, sich 150 km vor derGrenze Ostpreußens einzufinden. Und deshalb ist der Volkskom-missar für das Nachrichtenwesen, I. T. Peressypkin, heimlichauf dem Weg nach Wilna. Ob wir wohl erraten können, für wenPeressypkin das Nachrichtennetz überprüft? Der Volkskommis-sar Peressypkin hat nur einen einzigen direkten Vorgesetzten -den Vorsitzenden des Rates der Volkskommissare, den Genos-sen I. W. Stalin.

Die Fahrt des Volkskommissars für das Nachrichtenwesen inRichtung ostpreußische Grenze erfolgt so, daß niemand davon

erfahren kann. Der Volkskommissar benutzt einen gewöhn-lichen fahrplanmäßigen Zug, aber hinten ist ein zusätzlicherSonderwaggon angekuppelt, in dem Peressypkin mit seinenStellvertretern anreist. Die Fahrt des Volkskommissars für dasNachrichtenwesen ist streng geheim. Sogar die verschlüsseltenMeldungen, die Peressypkin aus Moskau empfängt, sind mit sei-nem Namen unterzeichnet: »Peressypkin«, damit der Chiffrier-dienst des Regierungsnachrichtennetzes der Meinung ist, daßsich Peressypkin noch immer in Moskau aufhält und nirgend-

R U N G N I C H T R Ü C K K E H R N A C H M O S K A U F Ü R N Ö T I G ? P E R E S S Y P K I N «

(Die Nachrichtentruppen, S. 32-33)

Peressypkin reist über Bahnstrecken, die nicht nur volls tän-dig vom Militär in Beschlag genommen sind, sondern die oben-drein vor wenigen Tagen den Befehl bekommen haben, sich auf Kriegsbetrieb umzustellen und damit bereit zu sein, unter Ge-fechtsbedingungen zu handeln. (Anfilow, Die unsterbliche Tat,S. 184) Peressypkin fährt in ein Gebiet, in dem insgeheim r iesigeTruppenmassen an den Grenzen zusammengezogen werden,die den Befehl haben, »nur das Lebens- und Gefechtsnotwen-dige« mitzunehmen (ebenda). Peressypkin begibt sich auf dasTerritorium eines Militärbezirks, in dem bereits eine Frontexistiert, deren Stab bereits streng geheime Unterlagen an Tau-sende von Befehlsempfängern versandt hat, die vor Kriegsbe-

ginn zu versenden verboten ist. Peressypkin fährt in ein Gebiet,in dem insgeheim eine Regierungskommandozentrale einge-richtet wird. Peressypkin ist auf persönlichen Befehl Stalinsunterwegs und weiß, daß diese »Reise mit den herannahendenKriegsereignissen in Zusammenhang steht«.

Doch nun hat Hitler angegriffen, und Peressypkin verläßtseinen Geheimwaggon, greift sich den erstbesten Lkw undbraust nach Moskau zurück.

Woraus sich folgern läßt, daß der Volkskommissar für das

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yp gwohin abgereist ist.

Aber hören wir lieber, was /. T. Peressypkin selbst zu sagenhat:»Buchstäblich am Vorabend des Krieges trug mir I. W. Stalin

auf, in die baltischen Republiken zu fahren. Diese verantwor-tungsvolle Aufgabe brachte ich aus irgendeinem Grund mit denherannahenden Kriegsereignissen in Zusammenhang. AmAbend des 21. Juni 1941 fuhr ich in Begleitung einer Gruppeverantwortlicher Mitarbeiter des Volkskommissars für dasNachrichtenwesen nach Wilna. Wir waren dahin unterwegs, alsder Krieg begann ...« (Die Nachrichtentruppen in den Jahren

des Großen Vaterländischen Krieges. Moskau 1972, S. 17) AmMorgen des 22. Juni erhält Peressypkin auf der Station Orschaaus Moskau ein Telegramm: »HALTEN SIE WEGEN LAGEV ERÄN DE-

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Woraus sich folgern läßt, daß der Volkskommissar für dasNachrichtenwesen, Genösse Peressypkin, wenn Hitler nicht an-

gegriffen hätte, in der geheimen Kommandozentrale im Gebietvon Wilna eingetroffen wäre und entsprechend »den heran-nahenden Kriegsereignissen« gehandelt hätte, das heißt, erwürde das militärische Nachrichtennetz mit dem Regierungs-netz und dem Staatlichen Nachrichtenwesen im Kriege koor-diniert haben. Aber nun hat Hitler angegriffen, und die Reise inden Krieg muß umgehend abgebrochen werden.

Zwar hat Stalin Peressypkin in den Krieg geschickt, dennochkommt Hitlers Angriff sowohl für Stalin wie auch für Peres-sypkin völlig unerwartet. Hitlers Angriff stellt eine so ernste

»Lageveränderung« dar, daß sie zum Anlaß wird, viele höchstwichtige Maßnahmen der sowjetischen Regierung außer Kraftzu setzen und statt dessen zu improvisieren, bis hin zur Rück-

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kehr des Volkskommissars nach Moskau auf dem erstbestenLkw.

DIE MITGLIEDER DER SOWJETREGIERUNG WAREN BEREITS IN

DEN KRIEG GEZOGEN, IN EINEN KRIEG, IN DEM EINE DEUTSCHE

INVASION NICHT VORGESEHEN WAR.

4.Für dieselbe Nacht war auf derselben Eisenbahnstrecke Moskau-Minsk die Fahrt führend er Mitarbeiter des Volkskommissariatsfür Verteidigung, des NKWD, des Volkskommissariats für Staats-kontrolle und die Verlegung anderer wichtiger Regierungsein-richtungen der Sowjetunion in die Westgebiete des Landes vor-gesehen. Ziel der Reise war der Krieg. Auf diese heimliche Reise

an die Westgrenzen bereiteten sich vor der Volkskommissar fürinnere Angelegenheiten, Politbüro-Kandidat und Generalkom-missar der Staatssicherheit L. P. Berija, ferner das ZK-Mitgliedund Volkskommissar für Staatskontrolle, Armeekommissar1. Klasse L. S. Mechlis, der ZK-Kandidat und Volkskommissarfür Verteidigung Marschall der Sowjetunion S. K. Timoschenkound noch weitere führende Persönlichkeiten in Stalins Impe-rium. Es ist nicht auszuschließen, daß selbst Stalin zu einersolchen Geheimreise nach Westen Vorbereitungen traf.

obgleich der Krieg offiziell noch nicht erklärt ist und obgleichdie Kampfhandlun gen noch nicht begonnen haben. Eben des-halb werden die Gruppen ja insgeheim nach Westen trans-

ferier t, damit diese Kampfhandl ungen beginnen können!Eines ist jedoch erstaunlich: Niemand — einschließlich de rFührer dieser Gruppen, die zur Zeit im Kreml tagen - argwöhnteine bevorstehende deutsche Invasion. Ja, mehr noch, als dar-auf hinweisende Informationen am Abend wie eine Sturzfluthereinzubrechen beginnen, weigern sich die höchsten sowje-tischen Führer, daran zu glauben. Aus dem Kreml, aus demVolkskommissariat für Verteidigung, aus dem Generalstabhagelt es entsprechende Direktiven in Richtung Grenze unddrohende Anschnauzer per Telefon, sich keinesfalls auf irgen d-welche Provokationen einzulassen.

Das führt zu der zwingenden Frage: Wenn die sowjetischenFührer nicht an die Möglichkeit einer deutschen Invasion glau-ben, in was für einen Krieg gedachten sie dann zu ziehen? Undes bleibt nur eine Antwort: Sie waren auf dem Weg in einenKrieg, der ohne deutsche Invasion beginnen sollte.

Die Begleitgruppen der Staatsfunktionäre verbringen qual-volle Stunden des Wartens, und schließlich teilt man ihnen um6 Uhr morgens am 22. Juni mit, daß die Reise an die Westgrenzegestrichen sei weil Hitler den Krieg begonnen hat

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G a g aFür jeden dieser Staatsfunktionäre war eine gemischte Be-

gleitgruppe aus höchsten Vertretern der am stärksten betrof-fenen kriegswichtigen Volkskommissariate zusammengestelltworden. Am Morgen des 21. Juni 1941 war die Aufstellung dieseroperativen Gruppen abgeschlossen. Jede Einsatzgruppe war-tete nur noch auf ihren Leiter, der sich zu der Zeit im Kreml auf einer letzten Sitzung des Politbüros befand, um ihn dann ins-geheim in den Krieg zu begleiten. Sämtliche Mitglieder dieseroperativen Gruppen wissen am Morgen des 21. Juni, daß es inden Krieg geht. Ja, sie kennen sogar Minsk als Bestimmungsort(was auch stimmt), aber nicht Wilna, bis wo es von Minsk nur

noch ein Katzensprung ist.Alle Mitarbeiter dieser Einsatzgruppen wissen, daß sich dieSowjetunion bereits im Kriegszustand mit Deutschland befindet,

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gestrichen sei, weil Hitler den Krieg begonnen hat.Hätten sich die sowjetischen Staatsfunktionäre auf die Reise

in die heimlichen Gefechtsstände an den Westgrenzen vorberei-tet, um die deutsche Invasion aufzuhalten, dann hätten sie auf das Signal hin, daß eine solche Invasion begonnen habe, nachWesten eilen müssen, aber sie sagen ihre Reise in den Krieg ab.Sie waren willens gewesen, an der Grenze anzutreten, um imKrieg eine leitende Rolle zu übernehmen, aber nicht in einemKrieg, der nach einer deutschen Inszenierung statt einer sowje-tischen abläuft. Hitler hatte sie um dieses Vergnügen gebracht.

Ich zitiere einen ganz normalen Standardbericht. MeinZeuge D. Ortenberg bekleidete am 21. Juni 1941 das Amt eines

Leiters der Organisations- und Instruktorenabteilung im Volks-kommissariat für Staatskontrolle. Er selbst umreißt seine Funk-tion als »militärisch ausgedrückt eine Art Stabschef«.

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Generalmajor D. Ortenberg, Sie haben das Wort:»Man fragt mich bisweilen:>Wann hat für dich der Krieg begonnen?<>Ameinundzwanzigsten Juni.<> ? ! <

Ja, so ist es gewesen.. . . Am Morgen wurde ich in das Volkskommissariat für

Verteidigung bestellt, wo man mir sagte, daß eine Gruppe vonMitarbeitern des Volkskommissariats unter der Leitung vonMarschall S. K. Timoschenko nach Minsk fahren würde. Manteilte mir mit, daß ich dazugehören würde. Mir wurde vorge-schlagen, nach Hause zu gehen, meine Uniform anzuziehen undmich im Volkskommissariat einzufinden ... Der Anmelderaumim Volkskommissariat für Verteidigung war vollgestopft mit Leu-

ten in Uniform. Sie hatten Aktendeckel und Landkarten bei sichund waren sichtlich aufgeregt. Die Unterhaltungen werden imFlüsterton geführt. Timoschenko ist in den Kreml gefahren ...Am 22. Juni um fünf Uhr morgens kam der Volkskommissar ausdem Kreml zurück. Er rief mich zu sich:

>Die Deutschen haben den Krieg begonnen. Unsere Fahrtnach Minsk findet nicht statt<.« (D. Ortenberg, Juni-Dezembereinundvierzig. Moskau 1984, S. 5-6)

Man weiß nicht, woher die Legende stammt, Hitler habe am

HAT STALIN EINE N KRIEGSPLAN GEHABT?

Da Stalin seine Ansichten undPläne nicht vortrug und erläuterte,glaubte man, daß er keine habe -

ein typischer Fehler geschwätzigerIntellektueller.

  Robert Conquest (Am Anfang starb

Genösse Kirow, S. 98)

l.

»Die strategische Verteidigung war eine aufgenötigte Form desKampfes, sie war nicht vorhergeplant« - das sagen sowjetische

militärische Handbücher. (Vgl. Anfilow, Der mißglückte Blitz-krieg, S. 590) Aber selbst ohne Lehrbücher wissen wir, daß dieAbwehrreaktionen der Roten Armee im Sommer 1941 auf rei-ner Improvisation beruhten. Die Rote Armee hatte sich vor demKrieg nicht auf eine Verteidigung vorbereitet, Truppenübungenmit Verteidigungsaufgaben waren nicht durchgeführt worden.In den sowjetischen Dienstvorschriften fällt über eine Verteidi-gung im strategischen Maßstab kein Wort (wohl in taktischenZusammenhängen). Die Rote Armee besaß nicht nur keine Ver-

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g22 . Juni 1941 den Krieg im Osten begonnen und fast mit Gewalt

die Sowjetunion in den Krieg hineingezogen. Hören wir dagegenauf diejenigen Personen, die sich tatsächlich in jenen Tagen,Stunden und Minuten in unmittelbarer Umgebung der sowjeti-schen höchsten Führer befanden, dann sieht alles ganz andersaus: Am 22. Juni 1941 hat Hitler den sowjetischen Kriegsplanvereitelt; da hat Hitler seinen Krieg auf das Territorium verlegt,in dem ein anderer Kriegsplan am 19. August 1939 geboren wor-den war. Hitler hat den sowjetischen Führern nicht erlaubt, ihrenKrieg so zu führen, wie sie das vorgesehen hatten, indem er siezu improvisieren und das zu tun zwang, worauf sie nicht vorbe-

reitet waren: Sie mußten ihr eigenes Territorium verteidigen.Nicht ich habe mir das alles ausgedacht.Das sagen sowjetische Generale.

418

teidigungspläne, sondern selbst rein theoretisch waren Pro-

bleme der Durchführung von Abwehroperationen nicht ausge-arbeitet. Ja mehr noch, für eine Verteidigung waren weder dassowjetische Volk noch seine Armee moralisch gerüstet. Volk undArmee waren auf die Erfüllung von Verteidigungsaufgabendurch Angriffsmethoden orientiert: »Gerade im Interesse derVerteidigung werden von der UdSSR breite Angriffsoperationenauf dem Territorium der Feinde gefordert, und das widersprichtnicht im geringsten dem Charakter eines Verteidigungskrieges.«(»Prawda«, 19. August 1939)

Wie tief gedachten die Kommunisten ihre »Verteidigungs-

operationen« in das feindliche Territorium hineinzutragen?Fürs erste nicht allzu tief: »Die Grenzen dieser Front werdenzunächst durch die Grenzen des Festlandes der Alten Welt be-

419

stimmt.« (M. W. Frunsein der Zeitung »Der Kommunist«, 7. No-vember 1921) Der europäische Kontinent - das ist nur dienächstliegende Aufgabe, weitere sind bereits geplant.

Von den ersten Stunden der deutschen Invasion an versuchtdie Rote Armee unentwegt, zum Angriff überzugehen. In denheutigen Handbüchern werden diese Aktionen Gegenstöße undGegenangriffe genannt. Aber auch das ist eine Improvisation.Bei keiner einzigen Truppenübung vor dem Krieg ist das Pro-blem des Gegenstoßes behandelt worden, ja schlimmer noch,man hat sich nicht einmal theoretisch damit auseinandergesetzt:»Die Frage des Gegenangriffs ... hatte sich vor dem GroßenVaterländischen Krieg nicht gestellt.« (Geschichte des GroßenVaterländischen Krieges der Sowjetunion, Bd. l, S. 441)

Die sowjetischen Stäbe hat ten demnach vor dem Krieg keine

Pläne für eine Verteidigung und auch keine Pläne für Gegen-angriffe ausgearbeitet. Vielleicht haben sie überhaupt nichtsgetan? 0 nein, sie haben bekanntlich intensiv gearbeitet. Siehaben Pläne für den Krieg ausgearbeitet. Marschall der Sowjet-union A. M. Wassilewski ist Zeuge dafür, daß im letzten Jahr vordem Krieg die Offiziere und Generale des Generalstabs, derStäbe in den Militärbezirken und der Flotten 15 bis 17 Stundentäglich arbeiteten, ohne freie Tage und ohne Urlaub. Davon be-richten auch die Marschälle Bagramjan, Sokolowski, die Armee-

gebenen die unverzügliche Hinrichtung zur Folge. Binnen weni-ger Tage schickte Schukow siebzehn Offiziere vor das Kriegs-gericht mit der Forderung, auf Todesstrafe zu erkennen. DasKriegsgericht fällte jeweils umgehend diese Urteile. Von densiebzehn Mann, die zum Tode verurteilt waren, wurde ein ein -ziger durch Intervention eines höhergestellten Kommandeursgerettet, die übrigen wurden erschossen. Im Februar 1941hatte Schukow eine gewaltige Machtposition erklommen, derMachtzuwachs überstieg seine bisherigen Möglichkeiten umein Mehrfaches, und es gab niemanden mehr, der einen Un-glücklichen vor seinem Zorn hätte retten können. Die Vete ranendes Generalstabs erinnern sich an das Regiment Schukows alsdie schrecklichste Periode, sie war noch fürchterlicher als dieGroße Säuberung. Zu der Zeit arbeiteten der Generalstab und

alle übrigen Stäbe mit unmenschlicher Anstrengung.Wie konnte es da geschehen, daß die Rote Armee bei Kriegs-

ausbruch ohne Pläne dagestanden hat? Und noch etwas ande-res ist unbegreiflich: Wenn die Rote Armee schon ohne Pläne inden Krieg eingetreten ist, mußte dann Stalin nicht, als er davonerfuhr, Schukow und alle anderen, die an der Ausarbeitung derPläne beteiligt waren, erschießen lassen? Doch das geschahnicht. Im Gegenteil, die an der Ausarbeitung der sowjetischenPläne Beteiligten wie Wassilewski, Sokolowski, Watutin, Malan-

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generale Stemenko, Kurassow, Malandin und viele andere. Es

gibt Berichte darüber, daß General Anissow 20 Stunden am Tagarbeitete, und dasselbe erzählt man sich von General Smorodi-now.

Im Februar 1941 war G. K. Schukow Generalstabschef geworden. Von dem Zeitpunkt an stellte sich der Generalstab imGrunde genommen auf Kriegsverhältnisse ein.

Schukow selbst arbeitete ungemein konzentriert und gestat-tete niemandem eine Ruhepause. Im Sommer 1939 war Schu-kow, damals noch im Range eines Korpskommandeurs, amChalchyn-gol aufgetaucht. Er hatte sich persönlich mit der Lage

vertraut gemacht, rasch seine Pläne entworfen und sich dannintensiv um deren Realisierung gekümmert. Die geringsteNachlässigkeit in der Arbeit hatte für jeden beliebigen Unter-

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gdin, Bagramjan, Stemenko, Kurassow, die zu Beginn des Krie-

ges Generalmajore oder gar nur Oberste gewesen waren, been-deten den Krieg in Marschallsrängen oder zumindest mit vierGeneralssternen. Sie alle haben sich im Krieg als wirklich mei-sterhafte Strategen bewährt. Sie alle waren gewissenhafte undsogar pedantische Stabsoffiziere gewesen, die sich ein Lebenohne Plan nicht vorstellen können. Wie konnte es dahin kom-men, daß die Rote Armee in den ersten Kriegsmonaten gezwun-gen war zu improvisieren? Und weshalb hat Stalin Schukowund seine Planer nicht nur nicht erschießen lassen, sondernihnen auch kein einziges Mal Vorhaltungen gemacht?

Auf die direkte Frage, ob die sowjetische Führung Pläne fürden Kriegsfall gehabt habe, antwortet Schukow mit einemeindeutigen Ja. Es hat solche Pläne gegeben. Muß man sich da

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nicht fragen, warum die Rote Armee als spontane Masse undplanlos agierte, wenn es doch Pläne gab? Darauf ist Schukoweine Antwort schuldig geblieben. Doch die Antwort drängt sichganz von selber auf: Wenn die sowjetischen Stäbe ungemeinintensiv mit der Ausarbeitung der Pläne für den Krieg beschäf-tigt waren, dies aber keine Verteidigungspläne oder Pläne fürGegenangriffe waren, was konnten es dann für Entwürfe sein?Reine Angriffspläne.

Stalin hat aus einem sehr einfachen Grund weder Schukownoch die anderen Kriegsplaner erschießen lassen: Man hatteihnen nie die Aufgabe gestellt, Pläne für den Verteidigungsfallauszuarbeiten. Was hätte er ihnen vorwerfen können? Stalinhatte Schukow, Wassilewski und den anderen Meisterstrategendie Aufgabe gestellt, irgendwelche anderen Pläne auszuarbei-

ten. Es können sehr gute Pläne gewesen sein, aber vom erstenAugenblick eines Verteidigungskrieges an wurden sie genausonutzlos wie Autobahnpanzer und Luftlandekorps.

2.Die Wahrheit kommt dennoch an den Tag.

Zwar hat die sowjetische Führung Maßnahmen getroffen,um alles zu vernichten, was sich auf die sowjetischen Vorkriegs-

Flottenadmiral der Sowjetunion S. Gorschkow berichtet,daß nicht nur die Schwarzmeer-Flotte, sondern auch die Ost-see-Flotte und die Flotte im Nördlichen Eismeer zwar reineVerteidigungsaufgaben hatten, nur war deren Durchführungmit klaren Angriffsmethoden geplant. Admiral Gorschkow hatsich nichts ausgedacht. Davon ging man auch schon vor demKriege aus. So redete man auf den Geheimberatungen der so-wjetischen Führung und offen in der »Prawda«: »Einen Vertei-digungskrieg zu führen bedeutet keineswegs, an den Grenzendes eigenen Landes haltzumachen. Die beste Form der Ver teidi-gung ist der zügig vorangetragene Angriff bis zur volls tändigenVernichtung des Gegners auf dessen eigenem Territorium.«(14 .August 1939)

Das Vorgehen der sowjetischen Flotten in den ersten Minu-

ten, Stunden und Tagen des Krieges zeigt deutlich genug, daßsie Pläne besaßen, aber es waren keine Verteidigungspläne. Am22 . Juni 1941 liefen die U-Boote der Schwarzmeer-Flotte unver-züglich in Richtung auf die Küsten Rumäniens, Bulgariens undder Türkei aus. Am selben Tage liefen die U-Boote der Ostsee-Flotte zur deutschen Küste aus mit dem Kampfauftrag, »sämt-liche Schiffe des Gegners im Rahmen eines uneingeschränktenU-Boot-Krieges zu versenken«. (Vgl. den Befehl des Befehls-habers der Ostsee-Flotte vom 22. 6. 1941) Der Befehl ließ nicht

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pläne für den Krieg bezog. Aber diese Pläne besaßen alle Fron-

ten, Flotten, Dutzende von Armeen, mehr als hundert Korps,alle Schiffe der Kriegsmarine, Hunderte von Divisionen, Tau-sende von Regimentern und Bataillonen. Das eine oder andereist erhalten geblieben.

Entsprechende Untersuchungen der Akademie der Wis-senschaften der UdSSR haben gezeigt, daß die sowjetischeSchwarzmeerflotte vor dem Kriege den Kampfauftrag »zuaktiven Interventionen gegen feindliche Schiffe und den Trans-portverkehr am Bosporus und an den Zugängen zu den Marine-basen des Gegners sowie zur Unterstützung der Landtruppen

bei deren Vorgehen längs der Küste des Schwarzen Meeres«hatte. (A. W. Bassow, Die Kriegsmarine im Großen Vater-ländischen Krieg, S. 117)

422

einmal Ausnahmen zu für Lazarettschiffe, die unter der Flagge

des Roten Kreuzes fuhren.Am 22. Juni flogen die Flieger der Schwarzmeer-Flotte

aktive Kampfeinsätze zur Unterstützung der Donau-Kriegsflot-tille mit dem Ziel, ihr den Weg donauaufwärts zu öffnen. Am 25.und 26. Juni erschienen Kriegsschiffe der Schwarzmeer-Flotteim Bereich des rumänischen Hafens Constanta und eröffnetenein massives Artilleriefeuer mit der deutlichen Absicht einerLandeoperation von See aus. Gleichzeitig führte die Donau-kriegsflottille Landeoperationen im Donaudelta durch.

Am 22. Juni stellte sich die Garnison des sowjetischen auf 

finnischem Territorium gelegenen Marinestützpunktes Hangö(Hanko) nicht auf eine stille Verteidigung ein, sondern sie gingzur Durchführung intensiver Landeoperationen über, wobei sie

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mehrere Tage hindurch 19 finnische Inseln besetzt hielt. Am25. Juni flogen, ungeachtet der riesigen Verluste der sowje-tischen Luftst reitkräf te in den ersten Augenblicken und Stundendes Krieges, 487 Maschinen der Ostsee-Flotte und der im Nörd-lichen Eismeer operierenden Flotte einen überraschenden Ein-satz gegen finnische Flughäfen. Trotz der fürchterlichen Ver-luste verhielten sich die sowjetischen Flieger ausnehmend kühnund aggressiv. Am 22. Juni flog das 1. Fliegerkorps einen mas-sierten Angriff gegen militärische Objekte in Königsberg. Daswar keine Improvisation. Am Morgen des 22. Juni um 6 Uhr 44erhielten die sowjetischen Luftstreitkräfte den Auftrag, plan-gemäß vorzugehen, und sie haben dies einige Tage lang durch-zuführen versucht. Am 26. Juni 1941 nahm das 4. Fliegerkorpsdie Bombardierung der Erdölfelder von Ploiesti in Rumänien

auf. In diesen wenigen Tagen der Bombardierung war die Erdöl-förderung in Rumänien fast um die Hälfte gesunken. Selbst ineiner Situation, bei der praktisch die gesamten sowjetischenFliegerkräfte auf ihren Flugplätzen niedergehalten waren, fandsie noch genügend Kraft, der rumänischen Erdölproduktioneinen so beachtlichen Schaden zuzufügen. In jeder anderenLage wären die sowjetischen Luftstreitkräfte noch viel gefähr-licher gewesen und hätten mit ihren Einsätzen gegen die Erdöl-gebiete die gesamte deutsche militärische, industrielle und

blick, da es seine Beute erreicht hat, wird es selbst von einemgewaltigen Schlag getroffen. Aber auch das kann es nicht auf-halten, und das Krokodil greift an. Es kennt nichts anderes, unddeshalb ändert es auch seine Reaktion nicht.

Am 22 . Juni 1941 überschreitet die 41. Schützendivision des6. Schützenkorps der 6. Armee, ohne einen Befehl von oben abzu-warten, im Raum Rawa-Russkaja die Staatsgrenze. Am Morgendes 22. Juni 1941 gibt der Befehlshaber der Nordwest-Front,Generaloberst F. I. Kusnezow, ohne eine Weisung aus Moskauabzuwarten, seinen Truppen den Befehl zum Vorstoß in Rich-tung Tilsit in Ostpreußen. Für den Stab der Nordwest-Front, fürdie Kommandierenden Generale der Armeen und ihre Stäbestellt diese Entscheidung keine Überraschung dar: Die Varianteeines Vorstoßes auf Tilsit ist wenige Tage zuvor bei den Stabs-

rahmenübungen durchgespielt worden, »und sie war den Kom-mandeuren der Verbände und ihren Stäben wohl vertraut«.(Der Kampf um das sowjetische Baltikum. Tallinn 1980, Bd. l,S. 67)

Das Vorgehen des Befehlshabers der Nordwest-Front istkeine Improvisation. Generaloberst Kusnezow hat einfach denVorkriegsplan in die Tat umgesetzt. Am Abend des gleichenTages befiehlt ihm die oberste sowjetische Führung, ohne etwasvon den Aktionen des Generals Kusnezow zu wissen, genau das

b i i l i h f il i i ß

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Transportkapazität lahmlegen können. Hitler hatte nur zu gut

diese Bedrohung verstanden und eine Invasion in die UdSSR fürdie einzig mögliche Verteidigung gehalten. Aber auch das ret-tete ihn nicht.

3.Die Reaktionen der Roten Armee auf die deutsche Invasion sindnicht die Reaktionen eines Igels, der seine Stacheln zeigt, son-dern die eines Krokodils, dem überraschend ein heftiger Schlagversetzt worden ist. Noch während es langsam ausblutet, ver-

sucht dieses sowjetische Krokodil anzugreifen. Das Krokodilhatte es verstanden, sich vorsichtig an sein Opfer heranzu-schleichen, um es plötzlich zu überfallen. Doch in dem Augen-

424

zu tun, was er bereits eingeleitet hat: auf Tilsit in Ostpreußen

vorzustoßen. Der benachbarten West-Front stellt die obersteFührung die Aufgabe, einen massierten Vorstoß in Richtung derpolnischen Stadt Suwalki zu führen. Und auch für den Befehls-haber der West-Front, Armeegeneral D. G. Pawlow, ist dieskeine Überraschung. Er kennt die Aufgabe seiner Front und hatbereits lange vor dem Eintreffen der Moskauer Direktive denBefehl zum Angriff auf Suwalki gegeben. Allerdings findet die-ser Angriff in einer Situation statt, bei der die deutsche Luft-waffe nicht durch einen Überraschungsschlag ausgeschaltet ist,sondern im Gegenteil die sowjetische West-Front in den ersten

Stunden des Krieges bereits 738 Flugzeuge verloren hat -durchaus nicht die beste aller möglichen Varianten.Die West-Front, ihr Befehlshaber und der Stab, die Komman-

42 5

dierenden Generale der Armeen und ihre Stabschefs hattenlange vor Kriegsbeginn gewußt, daß ihre nächstliegende Auf-gabe die Einkesselung einer starken deutschen Gruppierung imRaum der polnischen Stadt Suwalki sein würde. Der sowjetische

Vorstoß auf Suwalki war lange vor dem Krieg geplant, derKampfauftrag für alle sowjetischen Kommandeure definiert.Gewiß, die Offiziere der taktischen Ebene hatten ihre Aufgabennicht kennen dürfen, aber in den höheren Stäben waren dieseAufgaben fest umrissen und formuliert, sie lagen in versie-gelten, der Geheimhaltung unterliegenden Umschlägen in denSafes eines jeden Stabes bis hinunter zu den Bataillonsstäben.So hatte sich beispielsweise das Aufklärungsbataillon der 27.Schützendivision, die an der Grenze im Raum Augustöw lag, zurDurchführung einer Gefechtsaufklärung in Richtung auf Suwalki

vorbereite t. (Archiv des Verteidigungsministeriums der UdSSR,Fonds 181, Inventarverzeichnis 1631, Vorgang l, Blatt 128) DerKampfauftrag für das Aufklärungsbataillon lautete, eine zügigeAngriffsoperation der gesamten 27. Division aus dem RaumAwgustow in Richtung Suwalki zu gewährleisten. Den publizier-ten Quellen entnehmen wir sogar noch mehr Informationen alsden Archiven. Vor dem Krieg waren im Raum Augustöw starkesowjetische Streitkräfte konzentriert. Es ist genau der Ort, wodie sowjetischen Grenztruppen den Stacheldraht auf ihrer Seiteder Grenze durchtrennen Es ist der nämliche Ort wo der Kom

nutzen . Aber die sowjetischen Truppen hatten den Kanal über-quert und lagerten jetzt an dessen Westufer auf dem schmale nBrückenkopf zwischen der Grenze, an der bereits die Stachel-drahtverhaue beiseitegeräumt sind, und dem Kanal. Im Mor-

gengrauen des 22. Juni sind hier Tausende sowjetischer Sol-daten im überraschenden Vernichtungsfeuer gefallen. DieTruppen konnten sich nirgendwohin zurückziehen - hinterihnen lag der Kanal.

Handelt es sich vielleicht um eine russische Idiotie? Nein.Die deutschen Truppen waren auf der anderen Seite ebenfalls inriesigen Massen unmittelbar an der Grenze zusammengezogenworden, und auch sie hatten den Stacheldraht beiseitegeräumt.Hätte die Rote Armee einen Tag eher zugeschlagen, dann wärendie Verluste auf der anderen Seite nicht geringer gewesen. Die

Zusammenziehung von Truppen unmittelbar an der Grenze istaußerordentlich gefährlich, wenn der Gegner einen überra-schenden Vorstoß macht, sie ist jedoch außerordentl ich günstig,wenn man selbst einen Überraschungsangrif f führen will. BeideArmeen taten genau dasselbe, wie wir wissen.

Die sowjetischen Generale haben niemals verhehlt, daß dieihnen gestellten Aufgaben einen ausgesprochenen Angriffs-charakter hatten. Armeegeneral K. Galizki unterstreicht, sobalder auf die Konzentration sowjetischer Truppen im Raum Augu-stöw zu sprechen kommt daß die sowjetische Führung an die

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der Grenze durchtrennen. Es ist der nämliche Ort, wo der Kom-

mandierende der 3. Armee, Generalleutnant W. I. Kusnezow,und der Vertreter des Oberkommandos Generalleutnant derPioniertruppen D. Karbyschew stundenlang von den Grenz-posten aus das deutsche Territorium beobachten. Es ist der Ort,an dem General Karbyschew Stoßtrupps auf Abriegelung undNeutralisierung der rein taktisch angelegten betonierten Vertei-digungsanlagen des Gegners vorbereite t. Auf sowjetischem Bo-den kann es schlechterdings keine gegnerischen Verteidigungs-anlagen aus Stahlbeton geben!

Hier verläuft der Augustow-Kanal auf sowjetischem Territo-

rium unmittelbar parallel zur Grenze. Hätte man sich auf eineVerteidigung eingestellt, müßten die Truppen hinter dem Kanalliegen, um den Kanal als unüberwindlichen Panzergraben zu

426

stöw zu sprechen kommt, daß die sowjetische Führung an die

Möglichkeit eines deutschen Angriffs nicht geglaubt hat unddaß die sowjetischen Truppen sich auf die Durchführung einerAngriffsoperation vorbereiteten.

Wenn sich schon die gegen Ostpreußen und Polen gerich-teten Fronten auf einen Angriff vorbereiteten, dann mußten diegegen Rumänien, Bulgarien, Ungarn und die Tschechoslowakeizusammengezogenen Fronten erst recht auf reine Angriffsope-rationen eingestellt gewesen sein. Das ist keine Mutmaßung vonmir. Die sowjetischen Generale sagen genau dasselbe.

Generalmajor A. L Michal jow gibt offen zu, daß die Süd- und

die Südwest-Front von der sowjetischen Führung nicht für Ver-teidigungsaufgaben und Gegenangriffe vorgesehen waren. »Diestrategischen Ziele sollten durch den Übergang der Truppen

42 7

dieser Fronten zum entschlossenen Angriff erreicht werden.«(»Militärhistorische Zeitschrift« 1986, Nr. 5, S. 49)

Ob wir nun den sowjetischen Publikationen glauben odernicht, das Verhalten der Roten Armee in den ersten Kriegstagen

zeugt jedenfalls am deutlichsten von den sowjetischen Absich-ten. Schukow koordinierte die Operationen der Süd- und Süd-west-Front, die gegen Rumänien, Bulgarien, Ungarn und dieTschechoslowakei gerichtet waren. Bis zum 30. Juni 1941 be-harrte Schukow auf dem Angriff und verlangte von den Befehls-habern der Fronten nichts anderes als Angriff. Erst im Juli ka-men er und seine Kollegen zu dem Schluß, daß für das Krokodilmit seiner beinahe tödlichen Wunde der Angriff nicht das ganzRichtige sei.

Man muß dem sowjetischen Krokodil Gerechtigkeit wider-

fahren lassen und anerkennen, daß es die Kraft aufbrachte,sich zurückzuziehen und unter unermüdlicher Abwehr der vomGegner ausgeteilten Schläge seine Wunden zu heilen, neueKräfte zu sammeln und bis nach Berlin zu gelangen. Wie weitwäre das sowjetische Krokodil wohl gekrochen, wenn es nichtder schwere Schlag am 22. Juni getroffen hätte, wenn es nichtHunderte von Flugzeugen und Tausende von Panzern verlorenhätte, wenn nicht die deutschen Truppen, sondern die Rote Ar-mee den ersten Schlag geführt hätte? Gab es für die deutschenArmeen etwa genügend Raum für einen Rückzug? Besaßen sie

DER KRIEG, ZU DEM ES NICHT KAM

Das russische Oberkommandoversteht seine Sache besser als das

Oberkommando jeder anderenArmee.

General F. W. von Mellenthin (Panzer   Battles. London 1979, S. 353)

l.

Hitler hielt die sowjetische Invasion für unvermeidlich, aber erhatte sie nicht in allernächster Zeit erwartet. Die deutschenTruppen wurden für Operationen auf Nebenschauplätzen ein-

gesetzt und der Beginn des »Unternehmens Barbarossa« ver-schoben. Am 22. Juni 1941 lief es schließlich an. Hitler war sichganz offensichtlich nicht bewußt, wie sehr ihm das Glück holdgewesen war. Wäre das »Unternehmen Barbarossa» erneut ver-schoben worden, beispielsweise vom 22. Juni auf den 22. Juli,dann hätte Hitler nicht erst 1945 Hand an sich legen müssen,sondern schon sehr viel früher.

Es gibt mehrere Hinweise, daß der Termin für die sowje-tische Operation »Gewitter« auf den 6. Juli 1941 festgesetzt war.Die Memoiren sowjetischer Marschälle Generale und Admirale

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Armeen etwa genügend Raum für einen Rückzug? Besaßen sie

vielleicht unerschöpfliche Menschenreserven und hatten sie dieZeit, um ihre Armeen nach dem ersten Überraschungsschlagder sowjetischen Seite wieder aufzufüllen? Hatten die deut-schen Generale überhaupt Verteidigungspläne?

428

Die Memoiren sowjetischer Marschälle, Generale und Admirale,

Archivdokumente, eine mathematische Analyse der vorliegen-den Daten zu der Bewegung Tausender sowjetischer Militär-transportzüge - das alles deutet auf den 10. Juli als jenen Zeit-punkt hin, an dem der Aufmarsch der Zweiten StrategischenStaffel der Roten Armee in der Nähe der Westgrenzen abzu-schließen war. Aber die sowjetische Militärtheorie sah denÜbergang zum zügigen Angriff nicht nach der abgeschlossenenTruppenkonzentration vor, sondern vor  diesem Abschluß. Indiesem Fall konnte ein Teil der Zweiten Strategischen Staffelbereits auf gegnerischem Territorium ausgeladen und in denKampf geführt werden.

Schukow (und auch Stalin) hatten eine Vorliebe dafür, ihreÜberraschungsschläge an einem Sonntagmorgen zu führen.

429

Der 6. Juli 1941 war der letzte Sonntag vor dem vollständigenAufmarsch der sowjetischen Truppen.

Armeegeneral S. P. Iwanow gibt, wie bereits erwähnt, einendirekten Hinweis auf dieses Datum: Den deutschen Truppen

war es gelungen, uns »buchstäblich um zwei Wochen zuvorzu-kommen«. -Wäre das nicht passiert, hätte die Geschichte einenanderen Verlauf genommen. Die Rote Armee hätte das Ziel Ber-lin sehr bald erreicht und auch noch andere Ziele weiter imWesten Europas.

Vier Jahre später ist Stalin indessen doch noch nach Berlingekommen. Und kaum einer denkt daran, daß die Losung, Eu-ropa und die ganze Welt zu befreien, durchaus nicht zum ersten-mal 1945 ausgegeben wurde, sondern Ende 1938. Als die Große

Säuberung in der Sowjetunion zu Ende ging, schrieb Stalin dieganze Geschichte des Kommunismus um und setzte ihm neueZiele. Das war in dem Buch »Geschichte der KPdSU(B). KurzerLehrgang«. Das Buch wurde zum Buch der Bücher aller sowjeti-schen Kommunisten und aller Kommunisten der Welt. Es endetmit einem Kapitel über die kapitalistische Umklammerung derSowjetunion. Stalin nennt das große Ziel, die kapitalistischeUmzingelung durch eine sozialistische zu ersetzen. Der Kampf gegen die kapitalistische Umzingelung soll solange fortgesetztwerden bis das letzte Land der Erde eine Republik innerhalb

Hitler hatte die Unvorsichtigkeit begangen, mit der Sowjetunion einen Vertrag zu schließen und danach Stalin den Rü ck enzu kehren. Da setzte im Jahre 1940 das Sturmläut en zum gro-ßen Befreiungskrieg ein, der alle Länder der Erde zu Republi-

ken der UdSSR machen soll. Hören wir, wie der sowjetische Fl ie-gergeneral G. Baidukow am 18. August 1940 in der »Prawda«den kommenden Krieg beschreibt: »Welch ein Glück undwelche Freude wird in den Blicken derjenigen stehen, die hierim Kremlpalast die letzte Republ ik in die brüderli che Schar derVölker der ganzen Welt aufnehmen werden! Ich sehe sie deut -lich vor mir, die Bomber, die die Fabriken zerstören, die E isen-bahnknotenpunkte, die Brücken, die Vorratslager und die Stel-lungen des Gegners; die Jagdbomber, die mit einem Feuerhageldie Truppenkolonnen, die Artilleriestellungen attackieren; d ie

Luftlandeflugzeuge, die ihre Divisionen tief im Hinterland desaufmarschierten Gegners anlanden. Die mächtige und gefähr-liche Luftflo tte des Sowjetlandes wird gemeinsam mit der Infan-terie, den Panzermännern und Artilleristen ihre heilige Pflichterfüllen und den unterdrückten Völkern beistehen, sich vonihren Henkern zu befreien.«

Es ist bezeichnend, daß ein Fliegergeneral in seinem langenArtikel über den künftigen Krieg kein einziges Mal einen Vertei-digungskrieg erwähnt, wie er auch kein einziges Mal an die Ab-fangjäger denkt die Luftkämpfe zu bestehen haben Der Gene

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werden, bis das letzte Land der Erde eine Republik innerhalb

der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken geworden ist.Zum Hauptthema der politischen Schulungen in der RotenArmee ist damit »Die UdSSR in ihrer kapitalistischen Umzinge-lung« geworden. Propagandisten, Kommissare, Politfunktio-näre und Kommandeure weihen jeden Kämpfer der Roten Ar-mee in die einfache und logische Stalinsche Lösung des Pro-blems ein. Und über die eisernen Bataillone der Roten Armeesteigt das Lied vom Befreiungskrieg auf, der mit Stalins Befehlbeginnt:

Feuerspeiend, blitzenden Stahls,

Setzen sich dräuend unsere Panzer in Marsch,Wenn Genösse Stalin zum Kampf aufruft ,Und der erste Marschall in den Kampf uns führt !

430

fangjäger denkt, die Luftkämpfe zu bestehen haben. Der Gene-

ral denkt nur an Bomber, Jagdbomber, Luftlandeflugzeuge, dieim »Befreiungskampf« benötigt werden. Und mit Zitaten dieserArt allein aus der »Prawda« könnte man ganze Bände füllen.Die polnische Kommunistin Wanda Wasilewska hat es in derRoten Armee zum Regimentskommissar gebracht, und nun ver-kündet sie in der »Prawda« vom 4. 8. 1940, daß die Henkernicht mehr lange Blut trinken, daß die Sklaven nicht mehr langemit ihren Ketten klirren werden: Wir werden alle befreien!

Die Kommunisten hatten ganz offen ihr Hauptziel genannt:die Befreiung der ganzen Welt, und von Europa zu allererst. Die

Verwirklichung dieses Planes wurde aktiv betrieben: Allein1940, als Deutschland im Westen kämpfte, wurden der Sowjet-union fünf neue »Republiken« einverleibt. Anschließend wurde

431

offen verkündet, daß die »Befreiungsfeldzüge« fortgesetzt wür-den, und dafür wurden gewaltige Streitkräfte aufgestellt. Dasnächste »Befreiungs«-0pfer konnte nur Deutschland oder Rumä-nien sein, was für Deutschland die unverzügliche militärische

Niederlage bedeutet hätte.

Ende des ersten Buches

ABKÜRZUNGEN

Die Umschrift der russischen Abkürzungen erfolgt in Duden-Transkription, die Wiedergabe der russischen Abkürzungsauf-lösungen in der wissenschaftlichen Transliteration der deuts chenBibliotheken.DOSAAF (Vsesojuznoe ordena Krasnogo Znameni dobrovol '-

noe obscestvo sodejstvija armii , aviacii i flotu SSSR)Freiwillige Gesellschaft zur Förderung der Armee,Luftstr eitkrä fte und Flotte der UdSSR

GPU bzw. OGPU (Ob-edinennoe gosudarstvennoe politiceskoeupravlenie pri Sovete Narodnych Komissarov SSSR)

Vereinigte staatliche politische Verwaltung beimRat der Volkskommissare der UdSSR. Sie löste 1922die Tscheka bzw. WeTscheka (s. u.) ab und unter-stand dem NKWD

GRU (Glavnoe razvedyvatel'noe upravlenie) Hauptver-waltung Aufklärung (militärischer Geheimdienst)

GUGB (Glavnoe upravlenie gosudarstvennoj bezopasno-sti) Hauptverw altung für Staatssicherheit, Beze ich-nung der GPU bzw. OGPU ab 1934

GULag (Glavnoe upravlenie lagerej) Hauptverwaltung der

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GULag (Glavnoe upravlenie lagerej) Hauptverwaltung der

Straflager; heute auch als Bezeichnung für das La-gersystem, den Lagerbereich, das Leben im Lagergebräuchlich

KGB (Komitet gosudarstvennoj bezopasnosti pri SoveteMinistrov SSSR) Komitee für Staatssicherheit beimMinisterrat der UdSSR, Bezeichnung der geheimenStaatspolizei ab 1954

KPdSU Kommunistische Partei der SowjetunionMGB (Ministerstvo gosudarstvennoj bezopasnosti) Mini-

sterium für Staatssicherheit, Nachfolger des NKGB

nach Umwandlung der Volkskommissariate in Mini-sterien 1946MWD (Ministerstvo vnutrennich del) Ministerium für in-

433

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443

Zeitungen, Zeitschriften, Reihen:

Bulletin der Opposition= Bjulleten' oppozicii, Nr. 1-97, mit aufeinanderfolgenden Er-

scheinungsorten: Paris -> Berlin -> Zürich -> Paris -> NewYork 1929-1941, enthält fast alle Artikel Trotzkis seit seinerExilierung im russischen Originaltext

Fragen der Geschichte= Voprosy istorii: vom Institut für Geschichte der Akademie

der Wissenschaften der UdSSR herausgegebene Zei tschriftDer Kommunist= Kommunist: vom ZK der KPdSU herausgegebene politisch-

parteitheoretische Zeitschrift mit zahlreichen militärwis-senschaftlichen Beiträgen

Komsomolskaja prawda: Zeitung der sowjetischen Jugendorga-nisation »Komsomol«

Krieg und Revolution= Vojna i revoljucija: vom Volkskommissariat für Verteidigung

in Moskau von Januar 1925 bis Dezember 1936 herausgege-bene Zeitschrift

Militärhistorische Zeitschrift= Voenno-istoriceskij zurnal: vom Volkskommissariat für Ver-

teidigung bzw. Verteidigungsministerium der UdSSR heraus-gegebene Zeitschrift

Sowjetische Verlage:

Donbas: Regionalverlag in Donezk DOSAAF: Verlag der gleichnamigem Gese llschaft

(s. Abkürzungen)GIZ: StaatsverlagGospolitizdat: Staatsverlag für politische LiteraturIzdatel'stvo AN SSSR: Verlag der Akademie der Wissenschaf-

ten der UdSSR (bis 1963)Molodaja gvardija: Literaturverlag in MoskauNauka: Verlag der Akademie der Wissenschaf-

ten der UdSSR (seit 1964)Novosti: Verlag der Presseagentur NovostiOgiz: Vereinigte Staatsverlage

Politizdat: Verlag für politische LiteraturSovetskij pisatel': Verlag des Schriftstellerverbandes der

UdSSRSvjaz': Fachverlag für das NachrichtenwesenVoenizdat: MilitärverlagVostocno-sibirskoe kn. izd.: Ostsibirischer VerlagZapadno-sibirskoe kn. izd.: Westsibirischer Verlag

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Militärischer Bote= Voennyj vestnik: vom Verteidigungsministerium der UdSSRherausgegebenes militärisches Informationsblatt

Ogonjok (Feuerchen): in der UdSSR wöchentlich erscheinendeZeitschrift zur Unterhaltung mit hoher Auflage

Prawda (Die Wahrheit): vom ZK der KPdSU herausgegeb. ZeitungRevolution und Krieg= Revoljucija i vojna: von der Militärwissenschaftlichen Gesell-

schaft der West-Front 1920-1923 herausgegebene militär-wissenschaftliche Zeitschrift

Roter Stern= Krasnaja zvezda: Zentralorgan des Volkskommissariats fürVerteidigung bzw. Verteidigungsministeriums der UdSSR

444 445

DIE MILITÄRISCHEN OFFIZIERSDIENSTGRADE IN DER SOWJET-

Sowjetunion

Heer und Luftstreit kräfte Marine

Die Umschrift der kyrillischen Buchstaben erfolgt nach den Transliterations-grade orientiert sich an den dem sowjetischen Vorbild weitgehend angegliche-

Republik. Mit * sind die dort nicht vor-

0 Unterleutnant Unterleutnant(Mladsij lejtenant)

1 Leutnant (Lejtenant) Leutnant

2 Oberleutnant Oberleutnant(Starsij lejtenant)

3 Hauptmann Kapitänleutnant(Kapitän) (Kapitan-lejtenant)

4 Major Korvettenkapitän(Major) (Kapitän 3 ranga)

5 Oberstleutnant Fregattenkapitän(Podpolkovnik) (Kapitän 2 ranga)

6 Oberst Kapitän zur See(Polkovnik) (Kapitän l ranga)

7 Generalmajor Konteradmiral(General-major) (Kontr-admiral)

8 Genera lleutnant Vizeadmiral(General-lejtenant) (Vice-admiral)

UNION UND IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND

  Bundesrepublik Deutschland 

Heer und Luftwa ffe Marine

regeln der deutschen Bibliotheken. Die Übersetzung der russischen Dienst-nen Dienstgraden der Nationalen Volksarmee der Deutschen De mok rat isc hengesehenen Dienstgrade gekennze ichnet.

Leutnant Leutn ant zur See

Oberleutnant Oberleutnant zu r See

Hauptmann Kapitänleutnant

Major Korvettenkapitän

Oberstleutnant Fregattenkapitän

Oberst Kapitän zur See

Brigadegeneral Flottillenadmiral

Generalmajor Konteradmiral

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9 Generaloberst Admiral(General-polkovnik) (Admiral)

10 Armeegeneral * Flottenadmiral(General armii); * Marschall (einer (Admiral flota)bestimmten Waffengattung)(Marsal roda vojsk, aviacii)

11 * Hauptmarschall (einer —bestimmten Waffengattung)(Glavnyj marsal roda vojsk, aviacii)

12 * Marschall der Sowjetunion * Flottenadmiral der(Marsal Sovetskogo Sojuza) Sowjetunion (Admiral Flota

Sovetskogo Sojuza)13 * Generalissimus der Sowjetunion

(Generalissimus Sovetskogo Sojuza)

446

Generalleutnant Vizeadmiral

General Admiral

447

PERSONENREGISTER

Abramidse , P. L, Gener almajor union 134, 185f., 188f., 192,

189 194, 204, 222, 230, 242, 245,Achromejew, S. F., Marschall der 2 67f. , 278, 283, 331, 376, 392 ,

Sowjetunion 409 42 0f.Adamson, Ja. S., Brigadekom- Baidukow, G. R, Generaloberst d.

mandeur 356 Luftstreitkräft e 431Akimow, N. R, Oberst 377 Baschanow, Boris, Sekret är Sta-Alexejenko, I. R, Generalmajor lins 24 f., 237

233 Bassow, A.W. 158, 422Alexejew, R G., Divisionskomman- Batow, R L, General leutnant, sp.

deur 354 Armeegeneral 159, 277, 358Aljabuschew, F. F., Generalm ajor Baumbach, dt. Marineat tache 273

244 Belezki, Je. M., General major 283Andrejew, Andrei Andrejewit sch, Below, R A., Generalobers t 176,Politbüromitglied 402 180

Andropow, Juri Wladimirowitsch Benski, W. S., Genera lmajor 24 311 Berija, Lawrenti Pawlowitsch 29,

Anfilow, W. A., Historiker 222 , 80, 100, 103f., 107, 212, 315,261, 275, 295, 397, 401, 415 398, 416

Anissow, A. F., Generalmajor 265, Bernstein, Eduard 66420 Bersarin, N. E., Genera lmajor

Anochin, S., Pilot Abb. 15 366Antonow, Oleg, Flugzeugkon- Bersin, Jan K., GRU-Chef 304,

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8/9/2019 Viktor Suworow DER EISBRECHER Hitler in Stalins Kalkül

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strukteur 139 f. 308Antonow-Owsejenko, A. Jun. 50, Besugly, I. S., Generalmajor 367237 Birjukow, N. L, Generalleutnant

Aralow, S. L, GRU-Chef 304 240Artemjew, Pawel A., NKWD-Gene- Birjusow, S. S., Generalmajor, sp.

ralleutnant 85, 88, 286 Marschall der Sowjetunion 260Aruschunjan, Bagrat, General- Bogdanow, I. A., Genera lleut nant

leutnant 185, 191 73, 107Asarow, I. L, Vizeadmiral 159, Boldin, I. W, Generaloberst 259 ,

239, 250 372f.Awtorchanow, A. 203, 237 Bömer, Karl, im dt. Propaganda-

ministerium 273Bagramjan, Iwan Christoforo- Bordsilowski, Ju. W, Genera l-

witsch, Marschall der Sowjet- oberst 284

449

Brauchitsch, Walter v., General- Dimitrow, Georgi, Sekretär derfeldmarschall 401 Komintern 29

Breschnew, Leonid Iljitsch 11,54, Djomin, Michai l 34766 Donskow, S. L, NKWD-Oberst 78

Bucharin , N. L, Komintern-Vorsit- Dowator, Lew Michailowitsch, Ge-zender 20, 24, 26, 29 neralmajor 136Budjonny, Semjon Michaile - Dschingis -Khan 33, 41, Abb. 3, 6, 7

witsch, Marschall der Sowjet- Dserschinski, Felix Edmun do-union 20, 399 witsch, Tscheka-Le iter 29

Buritschenkow, G. A., Divisions-kommandeur 354 Eden, Anthony 270

Engels, Eriedrich 14f., 66, 369Carnegie, D. 237Castro, Fidel 203 Fedjuninski, I. L, ArmeegeneralChamberlain, Arthur Neville 28 248, 351, 395

Charitonow, F. M., Generalleu t- Fedorenko, Ja. N., Generall eut-nant 367 nant 331Chisenko, I. A., Major 247 Fokanow, Ja. S., Brigadekomman-Chlebnikow, N. M., Generaloberst deur 343, 350, 355

358f. Frunse, M. W, General 15, 420Chmelnizki, R. R, Generalleut-

nant 328 Galaktionow, S. G., Generalma jorChripunow, M. W, Brigadekom- 195

mandeur 355 Galizki, K. N., Armeegeneral 427Christie, J. W, Panzerkonstruk- Gerassimenko, W. F., Generalleu t-

teur 31 nant 243, 283Christofanow, N. L, Brigadekom- Glasunow, W. A., Generalmajor

Gorochowski, R, Flu gzeugk on- Iwanow, N. A., Oberst 106struk teur 139 Iwanow, N. R, Brigadekormman-

Gorodowikow, 0. L, Genera l- deur 354oberst 350 Iwanow, S. R, Armeege neral 216.

Gorschkow, S. G., Flottenadmiral 241, 244 , 249, 260, 295, 324,der Sowjetunion 423 384,400,409,530

Gounod, Charles 31Goworow, L. A., Marschall der So- Jäckel , Ebe rhar d 62

wjetunion 170 Jagoda, Genrich GeorgijewitschGrandsen, James, Panzerexperte NKWD-Chef 29, 82

139 Jakowlew, A. S., Gene ralob erst d.Gretschko, A. A., Marschall der Luftstre itkräft e, Flugze ugk on-

Sowjetunion 314 strukteur 61, 263Grezow, M., Generalmajor 209 Jakowlew, W. F., Gen era ll eu tn antGribowski, W, Flugzeugkons truk- 374

teur 140 Jegorow, A. L, Marscha ll der So-Grigorenko, P. G., Genera lmajor wjet union 197f.109, 364, 386, 406 Jepischew, A. A., Armeegeneral

Grigorjew, W, Admiral 155 402Grischin, LT., Generaloberst 260 Jerjomenko, A. L, Marschall derGrylew, A., Generalmajor 232 , Sowjetunion 94, 246, 365ff.

248 Jerschakow, F. A., Generalleu t-Guder ian, Heinz, Generaloberst nant 241, 281

31, 53, 97, 119f., 150, 266, 389, Jeschow, Nikolai L, NKW D-, GRU -392, 395 Chef 21, 29, 82, 202 , 238, 304

Jodl, Alfred, Generalobers t 150,

Page 242: Viktor Suworow DER EISBRECHER Hitler in Stalins Kalkül

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Christofanow, N. L, Brigadekom Glasunow, W. A., Generalmajormandeur 355 367

Chruschtschow, Nikita Sergeje- Goebbels, Joseph 61, 180, 273,witsch 11, 66, 203, 295, 402 410

Churchill, Sir Winston 168, 204, Golikow, F. L, Generalleu tnant272, 289-299, 302f., 311, 320 294, 304, 311, 314-319

Chwalej, S. F., Oberst 246 Gorbatow, A. W, ArmeegeneralChwostow, W., Prof. 232, 248 353f.Conquest, Robert 41, 236f., 419 Gorbatschow, Michail Sergeje-Cripps, Sir Staffo rd, Botschafte r witsch 11

270, 299f. Gordow, W. N., Generaloberst 283Gorew, Ja., GRU-Resident 308

Daschitschew, I. F., Brigadekom- Gorjunow, S. K., Genera lmajormandeur 354 282

450

Halder, Franz, Generalobe rst 401 298, 406, 409Halifax, Edward Frederick Lind-ley Wood, Earl of 56 Kalinin, Michail Iwanowitsch,

Himmler, Heinrich 21 Staatsoberhaupt 410Hull, Cordeil, Außenminister 205 Kalinin, S. A., Generalleutnant

284f.,325ff. ,343ff. ,402Iljin-Mitkewit sch, A. F., General- Kamenew, Lew Borissowitsch, Po-

major 393 litbüromitg l. 26, 29, 63Iljuschin, S. W, Flugzeugkon- Karbyschew, D. M., General leut-

strukteur 39 nant 105, 386f., 426Illarionow, A. A., Regimentskom- Karmanow, L R, Brigadekomman-

missar 391 deur 356Iowlew, S., Generalmajor 2 44, Kasakow, M. L, Armeegeneral250 250, 324, 359f.

451

Katkow, A. W, Genera lmajor 282 Krylow, N. L, Marscha ll der So-Katschalow, W. Ja., Genera lleu t- wje tun ion 177

nant 284 , 351 Kulijew, Ja. K., Oberst 195Keitel, Wilhelm, Generalfeldmar- Kulik, G. L, Marschall der Sowjet-

schall 406, 408 f. union 90, 104Kirponos, M. R, Generaloberst Kurassow, W. W, Armeegeneral

373f.,393 420f.Kleist, Ewald v., Generalfe ldmar- Kurdjumow, W. N., Generalleu t-

schall 395 nant 330, 366, 37 2f. , 376Kiemin, A. S., Generaloberst 261 Kurkot kin, S. K., Marschall derKlimowskich, W. Ja., Generalma- Sowjetun ion 199, 259, 321,

  jor 372 f. 402Kljonow, P. S., Generall eutnant Kurotschk in, P. A., Armeegeneral

379f. 233, 362 f.,366Kobelew, P. P, Generalm ajor 221 Kurotschkin , P M., Generalleut -

Kolesnikow, D. N., Flugzeugkon- nant der Nachrichten tr. 377 ff.strukteur 140 Kusnezow, F. L, Generaloberst

Kolpaktschi, W. Ja., Generalma- 365, 386, 394, 425  jor, sp. Armeegeneral 190, 282 Kusnezow, N. G., Flottenadmiral

Konew, Iwan Stepanowitsch, Ge- der Sowjetunion 157, 203,neralleu tnant, sp. Marschall 22 2 , 228 f., 291, 407 f.der Sowjetunion 138, 189, 261, Kusnezow, W. L, General leutnant277, 282, 362, 364 f., 374 106, 426

Korbula, G., Flugzeugkonstruk- Kuusinen , Ajna 308teur 140 Kuusinen, Otto 308

Kornejew, N. W, Oberst 283

Litwinow, M. M., Volkskommissar 103f., 170, 212 f., 245, 365,f. ausw. Ange legenhei ten 272 388 f., 393 f., 400 f.

Ljudnikow, I. L, Generaloberst Michaljow, A. L, Generalma jor 427231, 24 2, 246, 250 Mischulin, W. A., Oberst 232 , 328

Lobatschow, A. A., Genera lmajor Molotow, Wjatscheslaw M. 12 , 18,233 ff. , 362 36, 53, 62, 66, 72f ., 883f., 89,

Loktionow, A. D., Generaloberst 94, 111, 113, 117, 119, 121, 151,385f. 153, 162 f., 165, 174, 183,

Lukin, Michail Fjodorowitsch, 204ff., 208f., 212, 214f., 22 1,Generalleutna nt 23 3f., 250, 269, 272 , 299f., 311, 398261f., 282 , 329, 347f., 359 Moskalenko, K. S., Marschall der

Lutschinski, A. A., Armeegeneral Sowjetunion 105, 332, 395 f.359f., 366 Mussolini, Benito 28

Musytschenko, I. N., Generalleu l-Machiavell i, Niccolö 152 nant 350

Maiski, I. M., Botschaf ter 2 70, 272Malandin, G. K., Armeegeneral Napoleon I. 6842 0f. Nekrassow, W. R, Generalmaj or 89

Malenkow, Georgi Maximiliano- Nikolajenko , Je. M., Genera lma-witsch 206f., 22 5 jor 283

Malinow ski, Rodion Jakowle- Nikonow, A. M., GRU-Chef 304witsch, Generalmajor, sp. Mar- Nowik, K. L, Oberst 189schall der Sow jetunion 177, Nowikow, A. A., Hauptmarsch all179, 195, 217, 245 d. Lufts trei tkr. 100, 257, 389

Manstein, Erich v., Generalfeld-marschall 395 Obert, Oskar 137

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Koroljew, Sergej P, Flugzeugkon- Laptschinski, A. N., Militärtheore-strukteur 138 tiker 38Koslow, D. T., Generalleu tnant Laschenko, P N., Armeegeneral

358 177Kotow, G. P, Generalmajor 364 Latyschew, polit. Kommissar 53Kotschetkow, D. L, Oberst 391 Lenin, Wladimir Iljitsch, eig. Ulja-Kowaljow, I. W, stellv. Volkskom- now 14-22, 24f ., 27, 29, 52,

missar f. Staatskontrolle 242, 62f. , 66, 85, 228, 289261 Leonow, D. S., Generalleutnant

Krestinski, N. N., Botschafte r 25 281Kriwoschejin, S. M., Generalleut- Leoschenja, Je., Generalleutnant

nant 53, 328 386Kruschin, S. S., Brigadekomman- Liddell Hart, Basil Henry 151,deur 354 298

45 2

Manuilski, D. S., Komin ternfunk- Opanassenko, I. R., Armeegene-tionär 202 ral 364Marx, Karl 14-16, 27, 53 Ortenberg, D., GeneralmajorMaschirin, F. M., NKWD-O berst 417f.

78 f. Oserow, G., Flugzeugkons truk-Maslennikow, I. L, NKWD-G ene- teur 252

ralleutnant 83 Ossipenko, A. S., GeneralmajorMaximowa, Jekaterina, verh. mit 177, 286

Richard Sorge 308Mechlis, L. S., Armeekommissar 416 Pantschenko , M. D., Oberst 89Melgunow, S. P. 352 Parussinow, F. A., General 186Mellen thin, F. W. von, General 429 Pawlow, D. G.m Armeegeneral 105,Merezkow, K. A., Marschall der 244, 322 f., 350, 366, 372f.

Sowjetun ion 60, 95 f., 99, 376, 394. 425

453

Pawlowski, I. G., Armeegeneral Rakut in, Konstantin L, General-177 major 326, 344f.

Peressypkin, I. T., Volkskommis- Ramm, Karl 308sar f. d. Nachrichtenw esen Reiter, Max A., Generalleutnant

378, 414f. 264f f., 277, 282 f.Petrow, L Je., Armeegeneral Remesow, F. N., Generalleutnant176f., 359f., 366 283, 341 f., 362

Petrowski, L. G., Generalleutnant Remmele, Hermann, Politbüro-243, 34 2f ., 350, 355 mitgl. d. DKP 27, 202

Pjatakow, Juri L., ZK-Mitg l. 25 Reschin, Je. G. 106Plaskow, G. D., Genera lleutnant Ribbentrop , Joachim v. 12, 18,

243, 343 36, 50, 53, 62, 66, 72f. 83f f.,Pokrow ski, A. P, Generalobers t 399 89, 94, 111, 113, 117, 121, 153,Pokryschkin, A. L, Marschall der 162 f., 174, 183, 212, 214, 269,

Luft stre itkr äfte 177, 180f., 273, 300, 311

Karte 3 Rodimzew, A. L, Oberst, sp. Gene-Pol Pot 21 raloberst 129, 136Polubojarow, P P, Oberst, sp. Mar- Rokossowski, Konstantin Kon-

schall d. Panzertr. 247, 361 stantinowit sch, Marschall derPonedelin, P G., Generalmajor Sowjetunion 178, 208f., 245 ,

186 280, 347f. , 352, 365, 395Popow, M. M., Armeegeneral 364 f. Rommel, Erwin, FeldmarschallPopow, M. T., General major 285 294, 395Potapow, M. L, Generalmajor 332, Roosevelt, Franklin D. 204, 272,

395 f. 297Powetkin, Brigadekommandeur Rumjanzew, P.I, Oberst 264

356 Rushbrook, James 254

Sandalow, L. M., Genera lobers t 339, 351, 357, 365, 376, 380.84, 97, 244 , 256, 26 6f. , 3 2 2 f. , 3 82 f., 386, 395, 398, 400f.

330 407, 420ff., 42 8f. , Abb. 22Saporoschtschenko, A., General- Schulenburg, Friedrich Wern er

major 333 Graf von der, Bots chaf ter 165.Sawin, A. S., Oberst 217 201, 204, 210, 269, 273, 299Schadow, A. S., Armeeg eneral Semskow, W A., Gen era lma jor

361, 366f. 324Schalamow, W 352 Sewastjanow, P. W, Generalm ajorSchalin, M. A., Oberst 233 f. 84, 390Schaposchnikow, B. M., Marschall ShangY ang, chin. Staat smann 350

der Sowjetunion 320, 335f., Sikorski, Wladyslaw Eug eni usz ,405 poln. General 334

Schdanow, A. A., Politbüromit - Simin, General 233glied 380, 388f., 398, 402 Sinowjew, G. Je., Kom int ernv or-

Schechowzew, N., General major sitzender 24, 26, 29, 63400 Siwkow, A. K., General leu tnant

Schelachow, G., Generalleutnant 36622 9, 367 Smirnow, A. K., Generalleu tnant

Schigarew, P. F., General leutnant 282383, 385 Smorodinow, I. W., General leu t-

Schilin, P. A., General leutnant, Mi- nant 420litärhistoriker 12, 398 Smuschkewitsch, Ja. W, General-

Schischenin, G. D., Generalma jor leutnant 386286 Sokolow, A. D., Divisionskomman-

Schleger, Fahrer Starinows 127 deur 354Schmatschenko, F. F., General- Sokolow, S. L., Marschall der So-

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Price, Alfred, Off. d. Royal Air- Rykow, A. L, Politbüromitg l. 26force 37 Rytschagow, Pawel W, General-

Prischtschep, N. A. , Oberst 355 leutnant 143, 382 -385Prochorow, W. L, Generalmajor

248 Sacharow, G. F., General majorProschljakow, A. L, Oberst, sp. 281

Marschall d. Pioniertr. 154 Sacharow, G. N., Generalmajor d.Proskurow, L L, GRU-Chef 304 Luftstreitkräfte 252Puganow, W. P, General major 391 Sacharow, M. W, Marschall der

Sowjetunion 177, 245, 264f.,Radek, Karl, ZK-Mitgl. 24 f. 276, 283, 374f., 389, 393

Rakowski, W.S., Brigadekomman- Safronow, Je. P, Generalleu tnantdeu r 355 374

454

oberst 355 wjetunion 409Schmidt, W. W, Volkskommissar f. Sokolowski, W. D., Marschall der

Arbeit 25 Sowjetunion 420 f.Schmyrjow, M. F., NKWD-Divi- Solschenizyn, Alexander I. 344

sionskommandeur 87 Sorge, Richard a . Ramsay 304,Schukow, Georgi Konstantino- 306-313, 320

witsch, Marschall der Sowjet- Sotow, W. F., Generalleutnan t 24 6,union 34, 70f., 85f., 99ff., 394103f., 107, 114, 118f., 120, 146, Starinow, I. G., Oberst 46, 93f .,151, 153, 155, 178, 185-188, 98, 101, 104f., 126f., 213194, 198f., 206f., 209, 211 ff., Stein, K., Oberst 136

22 2, 230, 244, 265, 26 8f., 275, Stemenko, S. M., Armeegeneral277f., 295, 320, 323, 336f., 241, 261, 357, 365, 42 0f.

455

Stern, G. M., Generaloberst 350, Tschibissow, N. Je., Genera loberst363 f. 375

Stigga, 0. A., GRU-Chef 304 Tschuikow, W. L, Generalleu tnant,Swerew, A. G., Volkskommissar f. sp. Marscha ll der Sowjetunion

d. Finanzwesen 403 26 6f. , 323, 364Sygin, A. L, Brigadekommandeur Tschumakow, NKWD-Kommissar356 87

Szende, Stefan 254 Tuchatschewski, Michail Nikolaje-witsch, Marschall der Sowjet-

Telegin, K. F., Genera lleutnant union 2 0 f f . , 68-71, 94, 102,

287 198Terjochin, M. F., Genera lleutnant Tupolew, Andrej Nikolajewitsch,

365 Flugzeugkonstruk teur 80, 252 f.Thälmann, Ernst 137Timoschenko, Semjon Konstanti- Ulbricht, Walter 137

nowitsch, Marschall der So- Umanski, Konstantin, Botschafterwjetunion 48, 165, 184, 197, 205206f., 209, 219, 22 5, 244, 337, Umanski, R. G., Oberst 393398, 416, 418, Abb. 22 Unschlicht, I. St., GRU-Chef 25,

Titow, A. S., Brigadekommandeur 304354 Urizki, Solomon R, GRU-Chef 

Tjulenew, I. W, Armeegeneral 304, 308, 312152, 28 5f., 320, 323 Urlapow, R D., Flugzeugkonstruk-

Tkatschow, M. S., Brigadekom- teur 139mandeur 354 Ussenko, M. A., Generalmajor

Tramm, B., Generalmajor 221 367Triandafillow, Wladimir K., Mili-

Wolkotrubenko, I. L, General- witsch, Marschall der Sowjetoberst 258 union 35, 337

Woronow, N. N., Hauptmarschal l Wypow, I. P. 83d. Artillerie 93, 351, 364 Wyssozki, Wladimir S., Lie der

Woroschejkin, G. A., Hauptmar- dichte r 346schall der Luftstreitkräfte 283,353 Zaloga, Steven J., Panze rexpe rte

Woroschilow, Kliment Jefrem o- 139

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tärtheoretiker 70-72 Wasilewska, Wanda, Regiments-Trofimenko, S. G., Generaloberst kommissarin, Schriftstellerin

358 431Trotzki, L. D. 14, 21 f., 24-30, 63, Wassilewski, A. M., Marschall der

68, 121, 202 , 341 Sowjetunion 70, 238, 276, 329,Tscherewitschenko, Ja. T., Gene- 339, 365, 42 0ff.

raloberst 265, 276f ., 375 Watutin, N. F., Generalleutnant,Tschernenko, Konstantin Ustino- sp. Armeegeneral 206, 357,

witsch 11 421Tschernjachowski, I. D., Oberst, Waupschas,S.A. KGB-Oberst 127f.

sp. Armeegeneral 247 Winogradow, NKWD-Oberst 87

Tschernyschow, Pjotr Nikolaje- Wlassow, Andrej Andrejewi tsch,witsch, Generalmajor 362 General 253

456457

GEOGRAPHISCHES REGISTER

Sämtliche Ortsangaben stehen in historischen undmilitärstrategischen Zusammenhängen.

Alpen 190 Browary 374Amur 157 Budapest 274Archangelsk 284 Bug, westlicher Bug 78f., 97,Ardennen 185 154 f. 391Augustow 106, 322 , 42 6f. Bukarest 180f.Augustow-Kanal 42 6f. Bukowina 74f., 77, 86, 108, 146,

164Baikalsee 161, 25 5, 262 , 348Balti kum, Baltische Länder 47f., Cernavodä 148

58, 74f., 77f., 86, 108, 114, 132, Chabarow sk 231

164, 22 6, 232, 239, 243, 24 7, Chalchyn-gol 71, 118, 382, 386,275, 331, 359, 366, 374, 377, 395, 420385, 414 Charkow 31, 191, 282

Barabasch 231 Chassan-See 382Baranowitschi 99 Constanta 148, 42 3Bayern 19Bela jaZerkow 99 Dnjepr 97, 145f., 153ff ., 157,Belgrad 294 260, 297, 397Beloruß land 73, 75, 77f., 96, Dnjepr-Bug-Kanal 154ff.

104, 107, 114, 123, 12 7f., 153f., Dnjepropetrowsk 54, 191157f., 163, 195, 241, 253, 330, Dobrusch 260

Hangö, Hanko 423 Leningrad, Petrograd (1914-1924;Hiroshima 217 18, 21, 81, 124, 170, 336, 342

375f., 388f., 402Idriza 240 Lepel 99

Iman 231 Lesna 376Irkutsk 22 9, 231f., 363 Libau, Lijepaja, Liepäja 158. 258London 20, 27 0ff. , 294

Jaworow 99f.Jersey 294 Maginot-Linie 110, 115

Magnitogorsk 281Kalinowka 258 Mandschurei 34, 179, 235, 329,Karpa ten, Ost-Karpaten 185, 394

187-196, 392, 396 »Mannerheim-Linie« 102, 115, 122Kasatin 99 Memel 97Katyn 73, 77 Minsk 97, 99, 37 2 f., 376, 413,

Kaukasus, s. a. Nordkaukasus 416, 418185, 192, 375 Mittelasien, Militärbezirk 22 8,Kiew, Militär bezirk 86, 93, 100, 357-361

132, 155, 192, 199, 231f. , 24 2, Mogiljow 246244, 246, 248, 352, 370, 373f., »Molotow-Linie« 113-116, 118376f ., 393, 402 Mongolei 34, 119, 199, 224 , 268 ,

Kili ja, Chilia 76, 149 361Kirowograd 245 Moskau, Militärbezirk und En t-Kobrin 154, 256 Scheidungszentrum, auch :Kolyma 307, 352 Kreml 2 5f ., 51, 61 f., 66, 68,Königsberg, Kaliningrad 424 85, 92, 104f., 107, 121, 12 7f. ,Koslowo Ruda 332 132, 134, 159, 208, 210, 215,

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8/9/2019 Viktor Suworow DER EISBRECHER Hitler in Stalins Kalkül

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361, 373, 376, 394 Donau, Donau-D elta 146-154, 158,Belzy 245 160, 332, 423Beresina 97 Donezbecken 191Berlin 20, 38, 93, 145, 150, 155f., Düna 97

162, 201, 273, 428,430Bessarabien 74f., 77, 86, 108, 132, Erzgebirge 190

146, 151ff., 164, 178, 180, 224Bialowieza, Belowesch 99 Finnischer Meerbusen 255Blagoweschtschensk 231Bosporus 42 2 Gibraltar 168, 338Bremen 19 Gomel 260Brest (Litowsk) 17-19, 29, 53, Gorki 260

78, 99ff., 113f., 127, 155, 266, Grodno 106330, 389, 391f. Guernsey 294

458

Kowel 246 221 f., 22 4f. , 228, 233, 240,Kreta 234, 295, 301 263, 270, 2 72 f. , 278, 281, 283,Krim 124, 159, 276 f. , 348, 358, 285ff., 290, 300, 308f., 312,

375, Karte 3 320, 323, 326, 334, 341-344,Kronstadt b. Leningrad, russ. Ma- 351, 355, 358f., 361, 363,

rinehafen 21f., 102 366f., 378, 386, 394, 397, 400,Kuban 284 409, 412, 414-418, 425, 431Kuibyschew 410f. Mosyr 244Kursker Bogen 46, 314 Muchawez 79, 155

München 290Leipzig 38Lemberg, Lwow, Lemberger Bo- Narew 155

gen 99, 254 , 396 Norda frika 13

459

Nordkaukas us, Militärbezirk 68, Rastenburg 401189, 242 , 255, 264, 266, 282ff., Rawa-Russkaja 78, 322 , 393,328, 362, 364f. 425

Nordkorea 34, 394 Riga 247, 374, 377

Nördliches Eismeer 47, 157, Rostow 264, 364332, 423f. Rowno 191Nowo-Beliza 260Nowogrudok 246 San 72, 120, 186Nowosibirsk 229, 231, 402 Saporoschje 110, 191Nürnb erg 406, 408 Schaulen, Schjaulja i, Siauliai

247,257Oder 119f. Schepetowka 23 2, 25 5,2 62Odessa 149, 179, 194, 243, 245, Schiguli-Höhen 411f.

264 f., 276, 374f., 393f. Schitomir 232, 242Olewsk 93 Schwarzes Meer 47, 110, 112,

Orantschiza 99 146f., 159f., 422f.Orjol, Militä rbezi rk 283f., 341, Sejno 106362 Sibirien, Militärbezirk 68, 135,

Orscha 99, 257, 414 255, 28 4f. , 301. 32 5f. , 328,Ostpreußen 36, 48, 132, 322, 343ff., 348

365, 385f., 401, 414, 425, 427 Slowakei 19Ostsee 110, 112, 154, 158, 255, Smolensk 329, 348

423f. Snamjonka 264Sotschi, auf der Krim 347f., 351

Paneweschis, Panevezys 374, Spassk 231377 Stalingrad 136, 192, 198, 266

Paris 20, 68 »Stal in-Lin ie« 109-120, 125P d L i d S l 355

Tiraspol 78f., 243, 402 Ulan-Ude 231Tokio 310, 312 Uljanowsk 98Transbaikalien, Militärbezirk Ural, Militärbezir k 68, 232,

164, 232, 255, 282, 347, 357, 240f . , 255, 281f . , 284, 32 1f . ,

361-364 328, 348Transkaukasien, Militärbezirk159, 277, 357f. Warschau 20, 93, 155

Tscheljabinsk, »Tankograd« Washington 205281 Weichsel 70, 155

Tscherkassy 264, 283 Wien 149Tschita 231, 284 Wilna 401, 413-416Turkestan 176, 188, 190, 195 Windawa, Windau 253

Winniza 286Ukraine, Westukraine , Süd- Witebsk 390

Ukra ine 75, 77, 94, 96, 101, Wolga 136, 243, 255, 260, 283,

114, 116, 124, 131, 146, 163, 285182, 184, 192, 232, 283, 374, Wolga-Moskwa-Kanal 344376 Woroschilow 231

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Petrograd s. Leningrad Stawropol 355Petsamo 75 Stiller Ozean 157, 313Pina 146 Sudeten 190Pinsk 153ff., 157 Suwalki 425f.Ploiesti, Plojescht 148, 152, 181, Swerdlowsk 281, 410f., 413

424, Karte 3Pommern 119 Tambow 21f ., 102Pripjet 97, 153ff. Tarnopol, Ternopol 99, 374Proskurow, seit 1954: Chmelnizki Tatra 190

99 Teheran 228Pruschany 256 Tiflis 358

Prut 79, 389 Tilsit 425Przemysl, Peremyschl 99 f. Timkowitschi 99

460 461