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Vincent van Gogh Briefe

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Vincent van Gogh

Briefe

Ausgewählt und herausgegebenvon Bodo Plachta

Aus dem Niederländischenund Französischen

übersetzt vonChristel Captijn-Müller

und Winfried Jung

Reclam

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Durchgesehene und aktualisierte Auflage

RECLAM TASCHENBUCH Nr. 205382001, 2019 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG,

Siemensstraße 32, 71254 DitzingenUmschlagabbildung: Ölgemälde von Vincent van Gogh, Selbstbildnis mit

grauem Filzhut (Winter 1887/88), Amsterdam, Van Gogh MuseumDruck und Bindung: GGP Media GmbH,

Karl-Marx-Straße 24, 07381 PößneckPrinted in Germany 2019

RECLAM ist eine eingetragene Markeder Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-020538-9

www.reclam.de

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Inhalt

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Briefe

1873–1876London, Paris, Ramsgate,

Welwyn

An Theo van Gogh, 13. Juni 1873 . . . . . . . . . . . . 27An Theo van Gogh, Anfang Januar 1874 . . . . . . . . 29An Theo van Gogh, 27. September 1875 . . . . . . . . 31An Theo van Gogh, 14. Oktober 1875 . . . . . . . . . 33An Theo van Gogh, 17. Juni 1876 . . . . . . . . . . . . 35

1876–1878Etten

An Theo van Gogh, 31. Dezember 1876 . . . . . . . . 39An Theo van Gogh, 22. Juli 1878 . . . . . . . . . . . . 41

1878–1881Brüssel, Cuesmes, Etten

An Theo van Gogh, 13., 15. oder 16. November 1878 . 47An Theo van Gogh, zwischen 22. und 24. Juni 1880 . 55An Theo van Gogh, 24. September 1880 . . . . . . . . 67An Theo van Gogh, 1. November 1880 . . . . . . . . . 75

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An Theo van Gogh, Mitte September 1881 . . . . . . 88An Theo van Gogh, zwischen 12. und

15. Oktober 1881 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90An Theo van Gogh, 7. November 1881 . . . . . . . . 95

1881–1883

Den Haag, Drenthe

An Theo van Gogh, 29. Dezember 1881 . . . . . . . . 102An Theo van Gogh, etwa 7. Mai 1882 . . . . . . . . . 106An Theo van Gogh, etwa 10. Mai 1882 . . . . . . . . 110An Theo van Gogh, 18. Juli 1882 . . . . . . . . . . . 114An Theo van Gogh, 5. August 1882 . . . . . . . . . . 124An Theo van Gogh, 26. August 1882 . . . . . . . . . 128An Theo van Gogh, 22. Oktober 1882 . . . . . . . . 134An Theo van Gogh, etwa 5. September 1883 . . . . . 140An Theo van Gogh, etwa 16. Oktober 1883 . . . . . 148An Theo van Gogh, 2. November 1883 . . . . . . . . 159

1884–1885

Nuenen

An Theo van Gogh, etwa 2. März 1884 . . . . . . . . 164An Theo van Gogh, 30. April 1885 . . . . . . . . . . 176An Theo van Gogh, etwa 28. Oktober 1885 . . . . . 182

1885Antwerpen

An Theo van Gogh, 28. November 1885 . . . . . . . 189

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1886–1888Paris

An Horace Mann Livens, September oder Oktober1886 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

An Willemina Jacoba van Gogh, Ende Oktober 1887 197

1888–1889Arles

An Theo van Gogh, 21. Februar 1888 . . . . . . . . . 205An Émile Bernard, 18. März 1888 . . . . . . . . . . . 206An Theo van Gogh, etwa 11. April 1888 . . . . . . . 208An Theo van Gogh, 28. oder 29. Mai 1888 . . . . . . 210An Paul Gauguin (Entwurf), 28. oder 29. Mai 1888 . 212An Theo van Gogh, etwa 3. oder 4. Juni 1888 . . . . 214An Émile Bernard, 26. Juni 1888 . . . . . . . . . . . . 216An Theo van Gogh, 18. August 1888 . . . . . . . . . 222An Theo van Gogh, 21. oder 22. August 1888 . . . . 226An Theo van Gogh, etwa 29. September 1888 . . . . 228An Paul Gauguin, 3. Oktober 1888 . . . . . . . . . . 234An Émile Bernard, etwa 5. Oktober 1888 . . . . . . . 239An Theo van Gogh, 16. Oktober 1888 . . . . . . . . 242An Theo van Gogh, etwa 25. Oktober 1888 . . . . . 244An Theo van Gogh, 27. oder 28. Oktober 1888 . . . . 247An Theo van Gogh, etwa 19. November 1888 . . . . 249An Theo van Gogh, etwa 11. Dezember 1888 . . . . 255An Theo van Gogh, 2. Januar 1889 . . . . . . . . . . 256An Paul Gauguin (Abschrift im Brief an

Theo van Gogh), 4. Januar 1889 . . . . . . . . . . . 257An Theo van Gogh, 9. Januar 1889 . . . . . . . . . . 258An Paul Gauguin, 21. Januar 1889 . . . . . . . . . . . 262An Theo van Gogh, 19. März 1889 . . . . . . . . . . 265An Theo van Gogh, 3. Mai 1889 . . . . . . . . . . . . 270

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1889–1890

Saint-Rémy

An Theo van Gogh, etwa 23. Mai 1889 . . . . . . . . 276An Anna Cornelia van Gogh, zwischen 8. und

12. Juli 1889 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285An Theo van Gogh, zwischen 5. und

6. September 1889 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288An Theo van Gogh, etwa 20. September 1889 . . . . 299An Theo van Gogh, 5. Oktober 1889 . . . . . . . . . 307An Theo van Gogh, 1. Februar 1890 . . . . . . . . . 311An Theo van Gogh, 4. Mai 1890 . . . . . . . . . . . . 315

1890

Auvers-sur-Oise

An Theo und Johanna van Gogh, 20. Mai 1890 . . . . 320An Theo und Johanna van Gogh, etwa 21. Mai 1890 322An Joseph Jacob Isaacson (Entwurf), 25. Mai 1890 . . 324An Willemina Jacoba van Gogh, 5. Juni 1890 . . . . 327An Willemina Jacoba van Gogh, 13. Juni 1890 . . . . 331An Paul Gauguin (Entwurf), etwa 17. Juni 1890 . . . 336An Theo van Gogh (Entwurf), 23. Juli 1890 . . . . . 338

Anhang

Zu dieser Ausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343Siglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348Zitierte Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351

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Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410Verzeichnis der Personen . . . . . . . . . . . . . . . . 413Verzeichnis der Orte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428Verzeichnis der in den Briefen erwähnten

Werke van Goghs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432

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Einführung

Der Briefwechsel Vincent van Goghs zählt zu den großenKorrespondenzen der europäischen Kultur- und Geistes-geschichte. Immer wieder wurde ihm literarische, ja sogarphilosophische und religiöse Dimension attestiert. Ebensovielfältig, manchmal sogar extrem sind die Deutungen die-ser Briefe: Dem einen gelten sie als Tagebuch einer in vielerHinsicht beschädigten Künstlerexistenz, andere nutzen sieals Quelle für psychologische Erklärungsversuche von vanGoghs ›Wahnsinn‹ und Selbstmord, wieder andere verste-hen sie ausschließlich als authentische Dokumente seinerEntwicklung als Künstler oder als Informationsreservoirfür die Kunst des späten 19. Jahrhunderts. Insgesamt habensämtliche Beschäftigungen mit den Briefen an der ›Legen-de‹ des niederländischen Malers weitergeschrieben und da-mit seine erstaunliche Popularität unanfechtbar gemacht.Und dies, obwohl van Gogh bei seinem Tod im Juli 1890nur einigen wenigen Kunstinteressierten ein Begriff warund sich seine Bilder unverkauft und offenbar unverkäuf-lich in der Wohnung des Bruders Theo van Gogh stapelten.Aber seitdem der Malerfreund Émile Bernard zwischen1890 und 1894 damit begann, in der französischen Zeit-schrift Mercure de France nach und nach Auszüge aus sei-ner Korrespondenz mit van Gogh zu veröffentlichen, ent-wickelte sich unabhängig von der allmählich größer wer-denden Aufmerksamkeit für van Goghs Bilder auch einInteresse an seinen Briefen. Zu deren frühen Lesern zählenu.a. Rainer Maria Rilke, Hugo von Hofmannsthal, FranzKafka und Bertolt Brecht, die sich teilweise zu ihrer Lek-türe auch mit bemerkenswerten Einschätzungen geäußerthaben. Als Émile Bernard 1911 die an ihn gerichteten Brie-fe van Goghs schließlich vollständig zur Veröffentlichung

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freigab, sah er darin ein Mittel, »zugleich mit der Korre-spondenz des Malers seine Bilder bis in die MuseenDeutschlands und Hollands« zu tragen. In der Tat ging die-se Rechnung der Popularisierung van Goghs auf. Aber Ber-nard lag auch daran, »das Leben van Goghs ganz zu zei-gen«, um der Spekulation über die Lebensumstände des zuLebzeiten erfolglosen Künstlers authentische Dokumenteentgegenzusetzen, nachdem erste Begegnungen einer grö-ßeren Öffentlichkeit mit van Goghs Bildern in Ausstellun-gen in Paris, Den Haag, Amsterdam, Kopenhagen oderBerlin sowohl Begeisterung als auch Irritation ausgelöstund mannigfaltige, teilweise absonderliche Erklärungsver-suche nach sich gezogen hatten. Erst nach und nach wurdemehr über die Biographie van Goghs bekannt, und das we-nige prägte schon in dieser Zeit die Rezeption von Lebenund Werk: Die Mischung aus Erfolglosigkeit, Geistes-krankheit und Selbstmord in Kombination mit der vielenBetrachtern seiner Bilder befremdlich anmutenden Malwei-se ließ breiten Raum für extreme und willkürliche Interpre-tationen. Doch Bernard selbst leistete trotz der lobenswer-ten Absicht, mit der Veröffentlichung der Briefe mäßigendund korrigierend auf derartige Spekulationen und Ver-zeichnungen einzuwirken, der Legendenbildung Vorschub,als er den Briefen van Goghs zum besseren Verständnis fol-gendes mit auf den Weg gab: »Leidenschaftliches Strebenbraucht weder Syntax noch Phrasen, wenn es sich zur sitt-lichen Trunkenheit des Denkens und Schaffens steigert.«Bernard versuchte mit dieser Erklärung die besonders inden an ihn gerichteten Briefen van Goghs zutage tretendeEmphase und gedankliche Verstiegenheit zu relativierenund diese vielmehr als ein Qualitätskennzeichen auszuge-ben. Seither wurde seine Argumentation immer dann be-müht, wenn man die Briefe van Goghs nicht nur als biogra-phische Zeugnisse, sondern auch als selbständige Kunst-werke verstehen wollte, die neben den Zeichnungen undGemälden als eigene Gattung Bestand hätten.

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Einführung 13

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Natürlich sind auch die Briefe Vincent van Goghs wie jederandere Briefwechsel in erster Linie subjektive Selbstmanife-stationen, in denen schlaglichtartig Kontexte für Werk undLeben ersichtlich werden, die aber kaum das eine durch dasandere zu erklären vermögen. Van Gogh selbst warnte gegen-über seinem Bruder Theo im April 1882 vor zu einfachen In-terpretationen: »Es besteht sicherlich eine Verbindung zwi-schen Mensch und Werk, doch läßt sich nicht leicht definie-ren, wie diese Verbindung beschaffen ist, und in diesem Punktgreift mancher arg daneben« (Brief 187/216/217). Selbstver-ständlich geben van Goghs Briefe Einblicke in den schwieri-gen Alltag des Künstlers, sie informieren über seine Lebens-gewohnheiten bis hin zu den kargen Mahlzeiten oder derarmseligen Kleidung, und immer wieder schildert van Goghmit großer Ausführlichkeit die Anstrengungen, mit seinenbeschränkten Geldmitteln Ateliers und Wohnungen einzu-richten. Doch diese Briefe sind auf gar keinen Fall als ein vomBriefschreiber autorisierter Lebens- und Werkkommentar zulesen, denn ihre Intention ist vom jeweiligen Adressaten, vonder Zufälligkeit der Schreibsituation, von Stimmungen oderGedankengängen abhängig. Sie sind in ihrer überwiegendenZahl nie aus ›Lust und Laune‹ heraus entstanden, immer ha-ben sie einen konkreten Anlaß oder verfolgen eine bestimmte– allzu oft eine geschäftliche – Absicht. Trotzdem ist immerwieder zu beobachten, daß van Gogh beim Schreiben seinenAdressaten aus dem Auge zu verlieren droht und der Brief zueinem Monolog wird, in dem der Maler nur noch auf sichselbst bezogen seinen Gedanken und Reflexionen in langenAssoziationsketten freien Lauf läßt. Seine Erfahrungen undGedankenspiele werden dann schnell verallgemeinert, habennicht selten idealistisch-utopischen, dann wieder sentimenta-len, pathetischen oder allein auf die eigenen Bedürfnisse be-zogenen Zuschnitt. Nur mit Mühe erlangt der Briefschreiberin solchen Situationen wieder Kontrolle über den Schreibpro-zeß und kann sich auf seinen Briefpartner konzentrieren. DerBrief hat häufig die Funktion der Selbstentlastung, vor allem

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dann, wenn er zur Rechtfertigung des eigenen Handelns inKonfliktsituationen dient. Van Gogh bereitet in seinen Brie-fen auch Entscheidungen vor, die seine anfänglichen berufli-chen Perspektiven als Kunsthändler, Lehrer oder Prediger, dieseine Liebesbeziehungen oder später die Entscheidung, das›gelbe Haus‹ in Arles zu verlassen, um in die Heilanstalt vonSaint-Rémy überzusiedeln, betreffen. In ihnen diskutiert erauch die Tragweite von Selbstfindungsprozessen, etwa wenner dem Bruder im Oktober 1883 erläutert, was es bedeutet zusagen: »I c h w i l l M a l e r w e r d e n« (S. 153). Der Briefkann aber auch zum Druckmittel mit ultimativen Forderun-gen gegenüber dem Adressaten – und hier ist es meistens derBruder Theo – werden, wenn sich van Gogh in die Enge ge-drängt fühlt, sei es aus finanziellen und künstlerischen Grün-den, sei es aufgrund familiärer Auseinandersetzungen. Später,insbesondere nach den psychischen Zusammenbrüchen inArles und Saint-Rémy, ist der Brief lebensrettende Verbin-dung zur Außenwelt. Mit seiner Hilfe beschreibt van Goghmit beobachtender Distanz und kühler Sachlichkeit seine im-mer desolater werdende Lebenssituation und seine Anstren-gungen, dem Teufelskreis der Krankheit zu entgehen. In denakuten Phasen seiner Zusammenbrüche war er nie in der Lagezu schreiben oder zu malen. Nach solchen Phasen psychi-scher Ausnahmezustände sind Briefe und Malerei wichtig,um in den Alltag zurückzukehren; an den Bruder Theoschreibt er in der ersten Septemberwoche 1889 aus Saint-Ré-my, Malen sei ein »Blitzableiter für die Krankheit« (S. 293).

In van Goghs Briefen zeigt sich darüber hinaus ein aus-geprägtes, manchmal jedoch auch redundantes Mitteilungs-bedürfnis, das nicht selten acht, zehn oder zwölf Briefseitenin Anspruch nimmt. Dieses Mitteilungsbedürfnis betrifftnicht nur die eigene Arbeit, sondern auch seine Lektüre,die Auseinandersetzung mit Bildern und Kunstrichtungenoder die Begegnung mit anderen Menschen. Ihm gelin-gen immer wieder spannend geschriebene Berichte über dasländliche und städtische Leben sowie grandiose Land-

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schaftsschilderungen, und mit unglaublicher Anschaulich-keit versteht er es, in Arbeit befindliche oder bereits voll-endete Bilder zu beschreiben und deren Malweise zu kom-mentieren. Am 6. Juli 1882 hatte er dem Bruder die wohlrhetorische Frage gestellt: »Weißt Du wohl, daß mit Wo r -t e n zeichnen auch eine Kunst ist, die zuweilen eine ver-borgene, schlummernde Kraft verrät – ebenso wie das blaueoder graue Rauchwölkchen das Feuer im Herd verrät?«(Brief 212/244/244.) Gegenüber Bernard hatte van Goghim April 1888 sogar betont, daß es ebenso fesselnd sei, »mitWorten zu malen wie mit einem Pinsel« (vgl. Jansen/Luijten/Bakker, 2007, S. 370, Anm. 25). Auch Eugène De-lacroix, van Goghs großes künstlerisches Vorbild, hatte inseinen Tagebüchern auf die besondere Eignung des Briefshingewiesen, die künstlerische Arbeit zu begleiten: »Fastverspüre ich beim Schreiben nicht die gleiche Schwierig-keit, die ich darin finde, meine Bilder zu malen. Um, wennich irgend etwas zu Papier bringe, mich selbst zufrieden-zustellen, brauche ich viel weniger Überlegungen bei derAusarbeitung, als wenn ich in der Malerei völlige Zufrie-denheit erlangen will. […] Man muß täglich Briefe schrei-ben, die unsere ganze Aufmerksamkeit erfordern und vondenen bisweilen unser Schicksal abhängen kann. Das sinddie Gründe, weshalb ein bedeutender Mann immer gutschreibt, vor allem, wenn er Dinge behandelt, die er gutkennt« (Tagebuch-Eintrag vom 27. Januar 1853). Delacroix’Überlegungen lesen sich wie ein ›Briefsteller‹, den vanGogh für seine Briefe beherzigt hat – insofern, als auch inihnen immer wieder jene Differenz thematisiert wird, diezwischen dem gemalten Bild und der Wirklichkeit besteht.

Aber wenn allein während seines Aufenthalts in Arles –zu einer Zeit fruchtbarster künstlerischer Produktion – einViertel der heute bekannten Briefe van Goghs entstandenist, dann muß man die Frage stellen, ob van Gogh nichtauch – abgesehen einmal von seiner Begeisterung über dasneue Lebensumfeld und die neu erwachte Schaffenskraft

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– seine immer offensichtlicher werdende persönliche undkünstlerische Isolation auf diese Weise zu durchbrechenversuchte. Seine aus Arles an Paul Gauguin gerichtetenBriefe zeigen dies sehr deutlich, denn zuweilen bettelt vanGogh regelrecht, um den zögernden und stets auf seineneigenen Vorteil bedachten Malerkollegen zu bewegen, mitihm im ›Atelier des Südens‹ eine Arbeitsgemeinschaft ein-zugehen. Und nach dem Eklat im Dezember 1888 in Arles,als van Gogh sich einen Teil seines Ohres abschneidet, weilGauguin (aus welchen Gründen auch immer) die künstleri-sche Gemeinschaft abrupt beendet, kommt nur allmählichein Briefwechsel wieder in Gang, in dem van Gogh zu-nächst noch mit großer Anstrengung die Fassung gegen-über Gauguin wahrt und erst allmählich auch GauguinsAnteil an den eskalierenden Spannungen und schließlicham Scheitern des gemeinsamen künstlerischen Projekts ein-fließen läßt. All diese Umstände sind für die Briefe vanGoghs sehr genau zu beachten, weil sie nicht nur Aussageund Argumentation beeinflussen, sondern sich sogar im äu-ßeren Erscheinungsbild des Brieforiginals niedergeschlagenhaben.

Die Briefe van Goghs sind oder scheinen im allgemeinenohne besondere Rücksicht auf das Textergebnis verfaßtworden zu sein. »Ich schreibe Dir ein wenig aufs Gerate-wohl, was mir in die Feder fließt«, bekennt van Gogh sei-nem Bruder im Juni 1880 (S. 65), und diese Auffassungwiederholt er in anderen Briefen toposartig. Der Umfangder Briefe beträgt in vielen Fällen mehrere Seiten, wobeider freigebliebene Platz an den Rändern häufig noch fürNachschriften genutzt wurde. Van Gogh schreibt keine›schönen‹ Briefe. Er benutzte Papier, das er gerade zurHand hatte, nur selten datiert er seine Schreiben, und auchsonst folgt er nur widerwillig den in seiner Zeit für das Ver-fassen von Briefen üblichen Konventionen. Charakteri-stisch für seine Briefe ist eine spontane, hastige und häufigvon emotionalen Erregungszuständen beeinflußte Schreib-

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weise, der durchweg die Selbstkontrolle fehlt. Er gliedertseine Texte willkürlich durch Absätze, seine Zeichenset-zung ist äußerst eigenwillig, und orthographische undgrammatische Regeln spielen, wenn überhaupt, eine unter-geordnete Rolle. Nur in den seltensten Fällen hat er einenzu Papier gebrachten Brief noch einmal durchgelesen, undwenn, dann nur deshalb, um am Rand eine Passage weiterauszuführen oder zu kommentieren. Die Gedanken ent-wickeln sich beim Schreiben, Vincent van Gogh denkt aufdem Papier, wobei er assoziativ vorgeht und sich die emo-tionale Erregung im Verlauf eines Briefes extrem steigernkann. Solche Zustände lassen sich symptomatisch an einerVeränderung des Schriftduktus erkennen. Nicht nur dieSchreibrichtung kann sich dabei verändern, sondern auchder Druck auf das Schreibmittel wird stärker. Sogar dieTintenfarbe wird in manchen Briefen gewechselt, manch-mal mehrfach in einem Satz. Die Schriftzüge werden breiterund steiler, so daß hin und wieder der Eindruck entsteht,die Hände hätten gewechselt. Ähnliche Phänomene – aller-dings aufgrund anderer Motivation und in anderer Ausprä-gung – lassen sich auch in Manuskripten Franz Kafkas be-obachten. Auch dort fällt eine besonders vertiefte Arbeitmit Veränderungen der Schrift zusammen. So steigert sichz. B. während der äußerst konzentrierten Arbeit auf ver-schiedenen Seiten der Prozeß-Handschrift die Anzahl derauf einer Seite niedergeschriebenen Wörter. Aus solchenpersönlich-individuellen Voraussetzungen resultieren diemeisten Unregelmäßigkeiten in van Goghs Briefstil. Sie be-legen aber auch einen individuellen, selbststimulierendenUmgang mit dem Medium Brief. Die in den Briefen ables-baren spontanen und eruptiven Schreibgewohnheiten las-sen sich auch in der Malweise des ›späten‹ van Gogh wie-derfinden, besonders seit 1886 in Paris, dann während desAufenthaltes in der Provence und schließlich in Auvers-sur-Oise. So entstehen im Oktober 1888, in den Wochenvor der Ankunft Paul Gauguins in Arles, manchmal bis zu

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zwei Bilder pro Tag, und der Briefwechsel legt davon Zeug-nis ab, daß van Gogh bis zur Erschöpfung gearbeitet hat,um das Ziel rechtzeitig zu erreichen, Gauguins Zimmer im›gelben Haus‹ mit eigenen Bildern zu dekorieren. In Au-vers-sur-Oise, van Goghs letzter Lebensstation, entstandenin den drei Monaten vor seinem Tod am 29. Juli 1890 rund80 Gemälde und mehr als 60 Zeichnungen und Skizzen.»Nur vor der Staffelei beim Malen fühle ich ein wenig Le-ben«, schreibt er der Schwester Willemina am 19. Septem-ber 1889 (Brief W 14/805/804). Diese unvorstellbare, zu-weilen obsessiv anmutende Produktivität spiegelt sich auchin van Goghs Briefen wider.

Der Briefwechsel setzt im August 1872 zu dem Zeit-punkt ein, als Vincent van Gogh eine Kunsthändlerlehre inder Den Haager Niederlassung der Pariser KunsthandlungGoupil & Cie. absolviert. Dieser erste Brief ist an seinenvier Jahre jüngeren Bruder Theo gerichtet, der zu dieserZeit noch die Schule besucht, von nun an aber Vincents be-vorzugter Briefpartner und Vertrauter wird. »Wir müsseneinander nur recht fleißig Briefe schreiben«, fordert er denBruder bereits in seinem zweiten, an ihn gerichteten Briefvom 13. Dezember 1872 auf (Brief 2/2/2). Von den über800 überlieferten Briefen ist der weitaus größte Teil an denBruder gerichtet. So wichtig die nur in Umrissen erhaltenenBriefcorpora an verschiedene andere Familienmitgliederund an Künstlerfreunde wie Anthon van Rappard, ÉmileBernard, Paul Gauguin, Eugène Boch oder Paul Signacauch sein mögen, allein die Korrespondenz mit dem BruderTheo hat – vor allem auch aufgrund ihrer dichten Überlie-ferung – eine herausragende Bedeutung bekommen. Nuraus der Zeit (1886/87), als Vincent und Theo in Paris zu-sammenlebten, sind naturgemäß keine Briefe erhalten. DieBriefe an den Bruder Theo folgen ab einem bestimmtenZeitpunkt meistens ein und demselben Schema: Sie begin-nen mit der immer gleichen Anrede »Teurer« oder »LieberTheo«, dann bedankt sich Vincent ›geschäftsmäßig‹ für die

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eingegangene Geldsendung oder fragt nach dem Ausblei-ben der monatlichen, später wöchentlich erfolgenden Zah-lung. Anschließend berichtet er dem Bruder, wie zurRechtfertigung dieser finanziellen Unterstützung, welcheBilder er fertiggestellt hat und an welchen er gerade arbei-tet, ohne dabei zu vergessen, den Bruder an die nächsteGeldsendung zu erinnern. Bevor er zu anderen Themenwechselt, bittet van Gogh meistens noch um die Zusen-dung von neuen Farben, Pinseln oder Leinwand. Der Briefwird mit der Grußformel »tout à toi« und der expressivenUnterschrift »Vincent«, mit der van Gogh auch seine Bil-der signiert hat, beendet. Aber solche Schemata haben nurvordergründigen Charakter und bilden allenfalls einenRahmen für ein Briefganzes, das ansonsten jegliche Brief-konvention sprengt. Einen Monat nach Vincents Todschreibt Theo van Gogh am 12. August 1890 an den ArztPaul-Ferdinand Gachet, der den Bruder in den letzten Wo-chen betreut hatte: »Gleichwohl hat es mir gutgetan, mitmeiner Mutter zusammen zu sein und mit ihr über meinenBruder zu sprechen, über den sie mir eine Vielzahl jenerkleinen Dinge erzählt hat, welche die Lebensgeschichte ei-nes Menschen abrunden. Zudem haben wir ein BündelBriefe gefunden, die er mir von 1873 bis 1877 geschickt hatund von denen ich einige gelesen habe, die mich von neu-em bewegt haben. […] Diese Briefe könnten uns ungeheuerhilfreich sein, wenn wir beschreiben wollen, wie man einMaler wird und wie sich der Gedanke entwickelt, daß mannicht anders kann, als seinem Weg in diesem Sinne zu fol-gen.« (Ronald Pickvance, »A Great Artist is Dead«. Lettersof Condolence on Vincent van Gogh’s Death, hrsg. vonSjraar van Heugten und Fieke Pabst, Zwolle 1992, S. 142;Übers. zit. nach: Arnold, 1993, S. 1009.)

In der Kunstgeschichte gilt Vincent van Goghs künstleri-sche Entwicklung als äußerst individueller und eigenwil-liger Weg, wobei der Künstler selbst schon früh um dieeigenen Fähigkeiten und die Qualität seiner Produkte weiß

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und sich auch durch Andersdenkende nicht von dieserÜberzeugung abbringen läßt. Seine Ablehnung einer aka-demischen Ausbildung, trotz entsprechender – gescheiter-ter – Versuche in der Antwerpener Akademie oder im Pari-ser Atelier von Fernand Cormon, hat van Gogh den Ruf ei-nes Autodidakten eingebracht. Das von ihm favorisierteSelbststudium mit seinen zahlreichen Höhen und Tiefenzieht sich wie ein roter Faden durch seinen Briefwechsel,immer wieder belastet von Konflikten mit Kollegen undFreunden, mit denen van Gogh meistens dann bricht, wennsie seiner Meinung nach zu ›schulmäßig‹ auf seine künstle-rischen Fähigkeiten Einfluß zu nehmen versuchen. DiesesSelbststudium wird in den Briefen reflektiert, sei es durchÜberlegungen zum Zeichnen von Figuren, zu den erstenMalversuchen mit Ölfarbe, zu den unzähligen Experimen-ten mit Farbe, sei es mit den kunsthistorisch wegweisendenÄußerungen zum Malen von Porträts und Landschaften.Solche Passagen geben den Blick auf die theoretischen undpraktischen Vorstellungen van Goghs frei und werden heu-te als Meilensteine in der Entwicklung einer künstlerischenModerne verstanden. Doch auch die ernüchternde Erfah-rung, daß er mit seinen Arbeiten seinen Lebensunterhaltnicht bestreiten kann und lebenslang auf die Unterstützungseines Bruders angewiesen bleibt – zu Lebzeiten van Goghswird nur ein einziges Bild verkauft –, hält ihn nicht davonab, den einmal eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Das be-deutet nun aber nicht, daß sich van Gogh in seinen Briefennicht auch selbstkritisch zu seinem häufig provozierendenVerhalten gegenüber anderen Künstlern oder Kritikern äu-ßert, meistens jedoch erst dann, wenn das Porzellan bereitsin Scherben liegt. Kritisch sind seine Briefe auch immerdann, wenn er sich mit dem zeitgenössischen Kunstmarktauseinandersetzt. Manchmal attackiert er sogar seinen Bru-der, obwohl dieser sich als Kunsthändler stets auch für dieAvantgarde um Gauguin, Toulouse-Lautrec oder Degas

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eingesetzt hat. Van Gogh klagt dabei die Verantwortung ei-ner Öffentlichkeit ein, die sich ebenso aufmerksam um dielebende Künstlergeneration kümmern solle, wie sie den al-ten Meistern neue Museen zu bauen beginnt. Die Erörte-rung der gesellschaftlichen Situation der Künstler nimmtbreiten Raum in van Goghs Briefen ein. Nicht zuletzt sei-ne Bemühungen, mit Gauguin und anderen Kollegen eineArbeits- und Ateliergemeinschaft zu gründen, resultiertenaus Überlegungen, wonach die Künstler ihre genossen-schaftliche ›Vermarktung‹ selbst in die Hand nehmen soll-ten, um sich auf diese Weise vom offiziellen Kunstmarktund seiner Ausstellungspolitik zu befreien. Van Gogh wur-de damit zu einem Vordenker sezessionistischer Ausstel-lungsprojekte, von denen nach seinem Tod viele Künstlerprofitiert haben.

Doch auch diese weitgehend biographische Betrachtungs-perspektive ist zu erweitern, mindestens aber zu ergänzen.Bei den Briefen Vincent van Goghs handelt es sich nicht nurum Text-Dokumente, die Informationen, Ansichten undBefindlichkeiten vermitteln; sie sind vielmehr aufgrund derbeigefügten Zeichnungen auch ästhetische Dokumente vonherausragender Qualität mit großer Bedeutung für daskünstlerische Werk. Und jede noch so umsichtige Editionnimmt diesen Briefen zwangsläufig ihren Charakter als Ori-ginale, zumal sie aus konservatorischen Gründen nicht wieim Fall der Gemälde oder Zeichnungen wenigstens zeitwei-se in Museen zu besichtigen sind. Eigentlich ist der Brief-wechsel van Goghs nur in einer Faksimileedition präsentier-bar, denn gerade das überaus dynamische Verhältnis vonText und Zeichnung verliert durch eine reine Textedition anAussagekraft. Die in den Briefen angebrachten Zeichnungenhaben nicht nur die Funktion der Illustration, der Kommen-tierung oder der Konkretisierung eines zuvor sprachlichausgeführten Gedankens oder Beispiels. Text und Bild be-dingen sich und gehen derart ineinander über, daß der Brief-

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schreiber häufig überhaupt nicht zu bemerken scheint, daßer einen Wechsel des Mediums vollzogen hat. Die Zeich-nung stellt in den überwiegenden Fällen eine Fortsetzungdes Textes dar, nur in einem anderen Medium, das sich an-derer graphischer Zeichen bedient.

Dieses ineinandergreifende Verhältnis von Text und Bildläßt sich gut am Brief an Theo van Gogh aus dem Septem-ber 1881 (Brief 150/171/172) beobachten, der in der vorlie-genden Ausgabe vollständig reproduziert ist (S. 80–87). Indiesem Brief werden ab einer bestimmten Stelle die Gren-zen zwischen Text und Bild fließend und scheinen sich inkreative Assoziationen zu verlaufen, die sich dann außer-halb des Briefs künstlerisch umsetzen werden. Van Gogherläutert seinem Bruder in diesem Brief Entwicklung undVeränderungen seiner Zeichenweise bei der Wiedergabevon arbeitenden Menschen, einem wichtigen Thema diesesLebens- und Arbeitsabschnitts. Zur Illustration dieser Ent-wicklung hat er offenbar vor der eigentlichen Briefnieder-schrift vier Seiten mit Zeichnungen von arbeitenden Bauernangefertigt, auf die er nun im Brieftext erläuternd Bezugnimmt. Durch die Erwähnung eines offenbar erst vor kur-zem erhaltenen Briefs des Malerkollegen Anthon van Rap-pard, dem Landschaftsskizzen beigelegen haben, bekommtder Brief neue Impulse. Mit van Rappard diskutierte vanGogh schon seit einiger Zeit Fragen der Figurenzeichnung.Van Gogh beschäftigt sich nun, angeregt durch van Rap-pards Brief, mit der Integration dieser Figuren in einenlandschaftlichen Kontext und verdeutlicht dies mit entspre-chenden, spontan angefertigten Skizzen, während er im ei-gentlichen Brieftext über die Erläuterung der Skizzen hin-aus den ursprünglichen thematischen Faden des Briefs fort-zuführen versucht. Dies gelingt ihm allerdings nicht mehr,denn das neue Thema – Figuren innerhalb eines Land-schaftskontextes – hat den ursprünglichen Gedankengangabgelenkt bzw. von ihm nun vollständig Besitz ergriffen.

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Der Brieftext wird dadurch vordergründig konfus, weil dasBedürfnis der zeichnerischen Umsetzung geweckt wordenist, wie die Bemerkung nach der zweiten Skizze: »Enfin,wie Mauve sagt: ›Die Fabrik ist in vollem Betrieb‹«, anzu-deuten scheint. Somit wird dieser Brief zu einem Doku-ment für die zeichnerische Entwicklung van Goghs: Daranläßt sich studieren, wie das »ganz planvolle Vorgehen desAutodidakten« funktioniert, nämlich »vom Einfachen zumKomplizierten« (Arnold, 1995, S.54). Der Brief wird dannsehr schnell mit einigen Aufträgen an den Bruder beendet.Dieses komplizierte und auf den ersten Blick nicht ohneweiteres einsichtige Verhältnis von Text und Bild unddie mit ihm verbundene Freisetzung kreativer Potenz er-schließt sich vollständig nur durch die Betrachtung desOriginals. In diesem und anderen, ähnlichen Fällen drängtsich der Eindruck auf, der Brief übernehme innerhalb derGenese eines bildkünstlerischen Werks die Funktion einerersten Entstehungsstufe.

Rainer Maria Rilke hat Vincent van Gogh im Vergleichmit Paul Cézanne etwas abschätzig als einen »schreibendenMaler« bezeichnet. Obwohl sich Rilke anfangs in Briefen anseine Frau, die Bildhauerin Clara Westhoff, gebannt und be-troffen von van Goghs Briefen gezeigt hatte, irritierte ihnschließlich die Eloquenz dieser Briefe, die er als planvolleVorbereitung seiner Bilder las. Rilke vermißte bei van Gogh– anders als bei Cézanne – das Genie des Künstlers. Den-noch hatte er van Goghs künstlerische Ausnahmestellungerkannt und gleichzeitig hellsichtig gespürt, welche Konse-quenzen und Mißverständnisse der einsetzende Ruhm die-ses Künstlers nach sich ziehen würde. Am 2. Oktober 1907schreibt er Clara Westhoff: »Im Erzählen beginnt er zuzeichnen. Und schließlich merkt er gar nicht, wie er stillwird und nur noch zeichnet. Und seither tut er nichts ande-res mehr, bis in seine letzte Stunde hinein, bis er sich ent-schließt, mit allem aufzuhören, weil er vielleicht wochenlang

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nicht würde malen können; da scheint es ihm natürlich, allesaufzugeben, das Leben vor allem. Was für eine Biographie.Ist es wirklich wahr, daß alle Welt so tut, jetzt, als verstündesie das und die Bilder, die dabei entstehen? Müßten nichtdoch im Grunde Kunsthändler und ebenso -kritiker ratloseroder gleichgültiger sein, diesem lieben Eifernden gegenüber,in dem auch wieder etwas vom heiligen Franz auflebte? Ichwundere mich über seinen raschen Ruhm.«

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1873–1876

London, Paris, Ramsgate,Welwyn

An Theo van Gogh London13. Juni 1873

London 13. Juni 1873.

Meine Adresse lautet:care of Messrs Goupil & Co

17 Southampton StreetStrandLondon.

Teurer Theo,Du wirst wohl schon begierig sein, etwas von mir zu hö-

ren, und ich will Dich deshalb nicht länger auf einen Briefwarten lassen. –

Von zu Hause hörte ich, daß Du gegenwärtig bei HerrnSchmidt im Hause wohnst & daß Pa bei Dir gewesen ist.Ich hoffe von Herzen & zweifle auch nicht daran, daß esDir dort besser gefallen wird als in Deiner letzten Pension.Schreibe mir bald, ich warte schon sehr darauf & erzählemir mal, wie Du Deine Tage verbringst &c. Schreibe mirvor allem, was Du in der letzten Zeit alles an Bildern gese-hen hast & ob etwas Neues an Radierungen oder Lithogra-phien erschienen ist. Du mußt mich gut darüber auf demlaufenden halten, denn von diesem Genre sehe ich hiernicht viel, da das Geschäft hier nur aus einem Lager be-steht. –

Es geht mir den Umständen entsprechend gut. –

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28 An Theo van Gogh, 13. Juni 1873

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Ich habe eine Pension gefunden, in der es mir vorläufigsehr gut gefällt. Es wohnen noch 3 Deutsche im Haus, diesehr gern Musik mögen & selbst Klavier spielen & singen,was die Abende sehr gemütlich macht. Ich habe hier nichtsoviel zu tun wie in Den Haag, da ich nur von morgens 9bis abends 6 Uhr im Geschäft zu sein brauche & samstagsbereits um 4 Uhr fertig bin. – Ich wohne in einer der Vor-städte von London, in der es verhältnismäßig ruhig ist unddie mich ein wenig an Tilburg oder so erinnert. –

In Paris hatte ich sehr vergnügliche Tage & habe, wie DuDir denken kannst, all das Schöne, das ich in der Ausstel-lung & im Louvre & Luxembourg gesehen habe, sehr ge-nossen. – Das Geschäft in Paris ist prächtig & viel größer,als ich es mir vorgestellt hatte. – Vor allem das an der Placede l’Opéra. –

Das Leben hier ist sehr teuer; in meiner Pension beträgtdie Miete 18 Shilling in der Woche, ohne Wäsche, & ichmuß dann noch in der Stadt essen. –

Am letzten Sonntag war ich mit meinem Chef, Mr. Obach,auswärts, in Boxhill, das ist ein hoher Hügel (etwa 6 Stun-den von L. entfernt), teilweise Kreide & mit Buchsbaumbewachsen und hat an einer Seite einen Wald von hohenEichen. Das Land ist hier wunderschön, ganz anders alsHolland oder Belgien. – Überall sieht man herrliche Park-anlagen mit hohen Bäumen & Sträuchern, wo man spa-zierengehen darf. Pfingsten habe ich eine schöne Tour mitden Deutschen gemacht; aber die Herren gehen mir zu ver-schwenderisch mit ihrem Geld um & ich werde in Zukunftnicht mehr mit ihnen ausgehen. –

Es hat mich gefreut, von Pa zu hören, daß es Onkel H.leidlich gut geht. Würdest Du ihn & die Tante herzlich vonmir grüßen & ihnen dies und jenes von mir erzählen. –Wünsche auch den Herren Schmidt & Eduard einen gutenTag von mir & schreibe mir bald. Adieu, laß es Dir gutgehen. Vincent.

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An Theo van Gogh LondonAnfang Januar 1874

London Januar 1874

Teurer Theo,Dank für Deinen Brief.Von Herzen wünsche ich Dir ein sehr gutes neues Jahr.

Ich weiß, daß es Dir im Geschäft gut geht, denn das hörteich von Herrn Tersteeg. – Deinem Brief entnahm ich, daßDu ein Herz für die Kunst hast & das ist eine gute Sache,Junge. Ich bin froh, daß Du Millet, Jacque, Schreijer, Lam-binet, Frans Hals &c. gerne magst, denn »das ist es«, wieMauve sagt. Ja, das Bild von Millet »L’angelus du soir«,»das ist es«. – Das ist reich, das ist Poesie. – Wie gern wür-de ich wieder einmal mit Dir über Kunst sprechen, aberjetzt müssen wir uns eben oft darüber schreiben; f i n d en u r s c h ö n , soviel Du kannst, die meisten f i n d e nn i c h t g e n u g s c h ö n. –

Ich schreibe hier einige Namen von Malern auf, die ichganz besonders liebe. Scheffer, Delaroche, Hébert, Hamon.

Leys, Tissot, Lagye, Boughton, Millais, Thijs Maris, deGroux, de Braekeleer jr.

Millet, Jules Breton, Feyen-Perrin, Eugène Feyen, Brion,Jundt, George Saal. Israels, Anker, Knaus, Vautier, Jourdan,Jalabert, Antigna, Compte-Calix, Rochussen, Meissonier,Zamacois, Madrazzo, Ziem, Boudin, Gerome, Fromentin,de Tournemine, Pasini.

Decamps, Bonnington, Diaz, Th. Rousseau, Troyon, Du-pré, Paul Huet, Corot, Schreyer, Jacque, Otto Weber, Dau-bigny, Wahlberg, Bernier, Emile Breton, Chenu, Cesar deCocq, Mlle Collart. Bodmer, Koekkoek, Schelfhout, Weis-senbruch & last not least Maris & Mauve.

Ich könnte einfach so fortfahren, ich weiß nicht, wie lan-ge & dann kommen all die Alten noch, & ich bin sicher,

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30 An Theo van Gogh, Anfang Januar 1874

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daß ich verschiedene von den besten Neuen übersehenhabe. –

Gehe nur weiter viel spazieren & liebe die Natur, denndas ist die richtige Art, die Kunst mehr und mehr begreifenzu lernen. – Die Maler begreifen die Natur & haben sie lieb& l e h r e n u n s s e h e n.

Und daneben gibt es Maler, die nur Gutes machen, dienichts Schlechtes machen k ö n n e n , wie es auch gewöhnli-che Menschen gibt, die nur Gutes tun können. –

Mir geht es hier gut, ich habe ein schönes Zuhause & esist mir ein besonderer Genuß, London & die englische Le-bensart & die Engländer selbst zu betrachten, & dann habeich die Natur & die Kunst & die Poesie, & wenn das nochnicht genug ist, was sollte dann wohl genug sein. – Trotz-dem vergesse ich Holland & besonders Den Haag & Bra-bant nicht. –

Im Geschäft haben wir viel zu tun, wir sind mit der In-ventur beschäftigt, die jedoch in 5 Tagen abgeschlossenwird; wir haben es also ein wenig leichter als ihr in ’s-Gra-venhage.

Ich hoffe, daß Du ebenso frohe Weihnachtstage verlebthast wie ich. –

Nun mach’s gut, Junge, & schreibe mir bald, ich habeDir hier aufgeschrieben, was mir gerade aus der Feder floß,und hoffe, daß Du daraus klug werden kannst. Adieu, grü-ße alle im Geschäft & wer sonst noch nach mir fragt, be-sonders auch alle bei Tante Fie & bei Haanebeeks.

VincentAnbei ein Wort für Mr. Roos.