ViSdP #215

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Ich werde eine Sendung machen, in der Menschen sich vorzugsweise auf Deutsch un- ter-halten und dazu auf Stühlen mit je vier Beinen sitzen # 215 9. September 2011 UND TROTZDEM: Günther Jauchs neue Sendung ist ein Epochenwechsel

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Magazin für Medienmacher

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Ich werde eine Sendung machen, in der Menschen sich vorzugsweise auf Deutsch un-ter-halten und dazu auf Stühlen mit je vier Beinen sitzen

#2159. September 2011

Und trotzdem:

Günther Jauchs

neue Sendung ist ein

epochenwechsel

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V.i.S.d.P.-Herausgeber Hajo Schumacher über das Gedenken am 11. September

editorial 3

Der meist wiederholte Kommentato-rensatz vor zehn Jahren lautete: Nichts wird mehr so sein wie es war. Man kann diese Worte als Zeichen großer Erschütterung begreifen, aber auch als sich selbst erfüllende Prophezeiung. War 9/11 wirklich ein Schicksals-schlag unfassbaren Ausmaßes, ein Angriff auf alles, was uns heilig ist, der Beginn vom Kampf der Kulturen?

Was wäre gewesen, wenn man Ata und die anderen nicht zu Aggressoren Amerikas ausgerufen hätte, sondern als das betrachtet, was sie waren: ein Haufen Irrer, die über diese Welt kamen wie eine Naturkatastrophe.

Wieviele Soldaten und Zivilisten wür-den noch leben, wenn die damalige US-Regierung nicht dem ersten nahe-liegenden Cowboy-Reflex gehorcht, sondern die Methode Stoltenberg gewagt hätte? Mag man den Angriff auf Afghanistan mit dem Taliban-Regime noch erklären können, so fehlte dem Irak-Krieg jede Basis. Kanz-ler Schröder und Außenminister Fischer haben sich zu Recht verwei-gert; über die Geheimdienst-Informati-onen, die zum Angriff auf Bagdad führ-ten, weiß man, dass sie erlogen waren.

Wer hysterisch oder aggressiv auf Ter-ror reagiert, wer Attentate überhöht

Schumacher!

Macht 9/11 nicht so wichtig

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SocialMediaRankingAuf welchem Rang stehen Sie?

http://socialmedienranking.de/

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Schumacher! 5

und mystifiziert, der folgt dem eiskal-ten Kalkül der Täter. Der norwegische Regierungschef Jens Stoltenberg hat geradezu idealtypisch vorgelebt, wie der Tragik des Terrors zu begegnen ist: zuallererst mit Ruhe und Besonnen-heit, mit dem festen Willen, sich nicht in die Spirale des Hasses hineinziehen zu lassen. Stoltenberg hat den Attentä-ter von Oslo als das begriffen, was er ist – ein Gestörter, gefangen in seinem Wahn. Er hat sich den Hinterbliebe-nen gewidmet, Zusammenhalt gepre-digt und dem Täter nicht allzu viel Aufmerksamkeit geschenkt – ein Schwerkranker eben.

Terrorismus hat immer ein Ziel: Angst verbreiten, demokratische Systeme an ihre Grenzen treiben, ob militärisch, sicherheitstechnisch oder emotional. Grausam aber wahr: Die Toten gelten den Attentätern eher als Nebensache. Im Kern ist Terrorismus vor allem eine fürchterliche Kommunikationsstrate-gie, die erstens möglichst große dest-ruktive Aufmerksamkeit sucht, zwei-tens Regierungen destabilisieren will und drittens verheerende Langzeitwir-kungen in jedem einzelnen Menschen verursacht. Die Wahrscheinlichkeit,

vom Blitz getroffen zu werden, ist sta-tistisch höher, als Opfer eines Terror-anschlags zu werden. Doch unsere Irrationalität im Umgang mit Ängsten führt dazu, dass wir plötzlich jeden Mit-Passagier im Flugzeug weitaus skeptischer mustern als früher. Terror ist das Gegenteil von Freiheit.

Es ist an den Menschen in freiheitli-chen Systemen zu entscheiden, wie viel Mythenmacht sie einem, wenn auch einzigartigen, Attentat wie 9/11 beimessen. Der Jubiläumszirkus, der seit Wochen mit akribischer Erinne-rungswut organisiert wird, erfüllt den Herzenswunsch eines jeden Attentä-ters nach ewigem Ruhm. Angemesse-nes Gedenken kann auch eine Spur ruhiger erfolgen. Ob auf dieser Welt tatsächlich nichts mehr so ist wie frü-her, das dürfen nicht die Attentäter entscheiden.

http://socialmedienranking.de/

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„Es gab ein Wettren-nen zwischen den guten und den bösen Jungs. Wir mussten uns auf die Seite der Guten stel-len, um unserer Mis-sion treu zu bleiben.“

Julian Assange über die Entscheidung, alle US-Botschaftsdepeschen unbear-beitet ins Netz zu stellen. So enttarnte Informanten fürchten nun um ihre Sicherheit

Update

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Update 7

FREITAG: Die Freischreiber, der Berufsverband der freien Journalisten, suchen die fair-ste und die fieseste Redaktion Deutschlands, denen sie jeweils einen “Himmel-und-Hölle-Preis” verleihen möchten.

MONTAG: Dirk Kurbju-weit, SPIEGEL-Hauptstadt-büro-Leiter, stiftet 5.000 Euro für ein Recherche-Stipen-dium, Heute-Journal-Kopf Claus Kleber legt nochmal die gleiche Summe oben drauf.

DIENSTAG: Vor dem Länder-spiel gegen Polen brennt in Gdansk ein Ü-Wagen des ZDF aus, woraufhin die Moderatoren nach Mainz zurückkehren und der DFB Werbeausfälle beklagt.

DIENSTAG: Den Theodor-Wolff-Preis erhalten Mely Kiyak (BERLINER ZEI-TUNG), Uwe Ebbinghaus (FAZ), Kirsten Küppers (TAZ), Rena Lehmann (RHEIN ZEITUNG), Jan Rübel (BERLINER MORGEN-POST) und für sein Lebens-werk Klaus Harpprecht.

GESTERN: Die Komikerin Gaby Köster spricht im STERN und in mehreren Talkshows sichtlich gezeich-net über ihren Schlaganfall und die jahrlanger Zwangs-pause.

GESTERN: Zum ersten Mal liegt eine deutsche Ausgabe der amerikanischen Tech-Magazin-Legende WIRED am Kiosk – als Beilage des Männermagazins GQ. Chefredakteur ist Blogger Thomas Knüwer.

Das Tagebuch

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Update8

Im Social Medien Ranking misst V.i.S.d.P., welche deutschen Medien am besten in Facebook und Twitter kommunizieren. Diese Woche: Die Top 10 der Radio-Sender

SocialMediaRanking

Radio-Sender1 14 Antenne Bayern 70,62 20 Big FM 69.0

3 21 Radio Fritz 68.9

4 28 N-Joy 65.7

5 29 89,8 RTL 65.6

6 32 Hit-Radio FFH 65.4

7 33 Planet More Music Radio 65.2

8 39 SWR3 64.0

9 42 RTL 104,6 63.4

10 45 Ego FM 63.0

Fotos: Ramp, W

DR

Gewinner der Woche

Michael Köckritzweil der Verleger aus Reutlingen seinen kilo-schweren Magazinen nun auch noch einen Männer-Ableger hinzufügt: RAMPSTYLE. Der Mann hat verstanden, wie Print auch heute noch gut funktioniert: kleine Auflagen, hohe Preise,tolle Qualität.

Verlierer der Woche

Harald Schmidtweil nächste Woche seine neue alte SAT.1-Sendung anfängt, er jede Menge Interviews gibt, aber die ewig gleiche Ironie-Huberei nie-manden mehr wirklich interessiert. Aber wer weiß: Vielleicht gibt er sich nun zur Abwechslung mal Mühe.

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Update 9Fo

to: R

OG

Kollegen im Knast

Gefängnis trotz

Revolution

Meinungsfreiheit ist auch im postrevolutionären Ägypten nicht selbstverständlich. Das musste der Blogger Maikel Nabil Sanad erfahren, nachdem er es gewagt hatte, die ägyptische Armee zu kritisieren. In seinem Blog warf er dem Militär vor, während der Revolution an der Verhaftung und Folter von Demonstranten beteiligt gewesen zu sein.

Am 28. März wird Sanad deswegen verhaftet. Zwei Wochen später muss sich der Zivilist und Kriegsdienstverweigerer vor einem Mil-itärgericht verantworten: Verunglimpfung der Armee, Verbreitung falscher Informationen,

Störung der öffentlichen Ordnung – so die Anklage gegen Sanad. In Abwesenheit seiner Rechtsanwältin wird der Blogger zu einer dreijährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Eine Berufung ist ausgeschlossen. Damit ist Sanad der erste politische Gefangene seit Beginn der Revolution.

Der Gesundheitszustand des Inhaftierten ist derzeit äußerst besorgniserregend, nachdem Sanad am 23. August in den Hungerstreik getreten war. Mittlerweile wurde der Blogger in das Krankenhaus des El-Marg-Gefängnisses von Kairo verlegt, und ihm wurde Glukose zugeführt. Der 25-Jährige verweigert allerdings weiter die Einnahme von Medikamenten, die er wegen seiner Herzkrankheit nehmen muss. Er kündigte zudem an, erneut in den Hungerstreik treten zu wollen, um den Protest gegen seine unrechtmäßige Gefängnisstrafe fortzusetzen.

Maikel Nabil Sanad

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LVZ, Springer (2), Burda, Bauer, W

DR

LeUte

Erst im vierten Wahlgang einigte sich der Verwal-tungsrat des skandalumwit-terten MDR auf Bernd Hil-der, den Chefredakteur der LEIPZIGER VOLKSZEI-TUNG, als seinen Kandida-ten für das Amt des Inten-danten.

Gunnar Schupelius verlässt nach kurzer Zeit schon wieder seinen Job als Leiter des FOCUS-Hauptstadtbüros und kehrt als Mitglied der Chefredaktion zurück zur Boulevardzeitung B.Z.

Thomas Garms, kürzlich mit dem Männer-Magazin TRIP gescheitert, geht für Axel Springer in die Schweiz und verantwortet dort den neuen Corporate-Publi-shing-Ableger.

Burdas vielbeachtetes Mode-Blog LES MADS verliert auch die zweite der beiden Gründerinnen: Jessica Weiß wird Online-Chefin von INTERVIEW. Ihren Job über-nimmt Bloggerin Katja Schweitzberger.

Claudia Delorme wird stellvertretende Chefredak-teurin des Magazins MAXI.

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Foto

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LokaLtaLent Die WDR-Sendung „Lokalzeit aus Köln“ ist

nicht unbedingt von überregionaler Bedeutung,

aber die neue Moderatorin Mara Bergmann,

bekannt aus dem ZDF, ist unbedingt ein überre-

gional beachtenswertes Talent.

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…markiert das Ende

der Ära Merkel

Der Beginn der Ära Jauch …

Günther12

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…markiert das Ende

der Ära Merkel

Der Beginn der Ära Jauch …

Jauch 13

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Die politische Talkshowam Sonntagabend ist eine der zen-

tralen Institutionen der Republik.

Der Wechsel von Anne Will zu

Günther Jauch wird darum auch

die politische Kommunikation

verändern. Der Moderatoren-wech-

sel ist ein Anzeichen für das Ende

der Ära Merkel.

Text: Sebastian Esser

Günther14

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Wenn übermorgen nach dem „Tatort“ zum ersten Mal die Titelme-lodie der Sendung “Günther Jauch” ertönt, die Kamera in eine mit Plastik überkuppelte Arena einfährt und der neue Moderator Deutschland einen guten Abend wünscht, dann hat sich etwas Grundlegendes geändert. Jauchs Dienstantritt wird die Stim-mung des politischen Medien-All-tags beeinflussen, das Tempo der Dis-kussion und den Blick auf die Macht. So wie der Wechsel von Sabine Christiansen zu Anne Will das Ende der rot-grünen Ära und der anhalten-den Erregung in der noch unge-wohnt großen und lauten Berliner Republik markierte, läutet der Wechsel von Will zu Jauch den Anfang vom Ende der weniger aufge-regten und eitlen, aber dafür ziem-lich langweiligen Merkel-Jahre ein.

Ist es abwegig, von Fernsehsen-dungen auf Veränderungen der poli-tischen Kultur zu schließen? Gesell-schaftliche Stimmungen, die oft schwer zu erfassen sind und sich unterhalb der Wahrnehmungs-grenze ausbreiten, zeigen sich in unterschiedlichen Formen. Der Zusammenhang von Regierungs-wechseln und den Erfolgen der Fuß-ballnationalmannschaft wird oft als Beispiel angeführt. Gerade das Fern-sehen hat wie kein anderes Medium

einen durch täglichen Quotenwett-bewerb trainierten Spürsinn für die großen, diffusen Strömungen. Und es beeinflusst sie: Die inzwischen klas-sische politische Gesprächssendung am Sonntagabend entscheidet viel-leicht keine Wahlen, aber sie bestimmt doch die Art und Weise, wie wir über Politik sprechen und denken, welche Themen wichtig sind und wem Kompetenz zugebil-ligt wird.

Es ist für die deutsche Politik darum wichtiger, wer diese Sendung moderiert, als zum Beispiel die Frage, wer Bundespräsident ist. Und so sitzt Günther Jauch nun tatsächlich da, wo ihn sich die Leute angeblich wünschen: Er steuert die einfluss-reichste Selbstvergewisserungsinsti-tution der deutschen Gesellschaft.

Diesen zentralen Ort hat Sabine Christiansen geschaffen. Sie sendete 1998 aus einer blauen Kugel in der neuen Hauptstadt Berlin. Das oberste Ziel war Repräsentation: In ihrer Sen-dung sollten die wichtigsten Füh-rungspersönlichkeiten des Landes zu Gast sein. Die Besetzung bestand aus den rot-grünen Ministern, lauten Oppositionsführern, den Deutsch-land-AG-Managern, den Gewerk-schaftsbossen und den Chefs der gro-ßen Lobbyverbände. Je mehr es um

Jauch 15

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„Konsens“ ging, das allzeit gültige Schröder-Motto dieser Jahre, desto kompromissloser war die Sprache und desto mehr plusterten sich die Herren auf. Denn es waren fast immer Männer – auch darum hatte sich die ARD wohl für eine Frau als Moderatorin entschieden. Es ging meist um Wirtschafts- und Sozialpo-litik, „Reformstaus“ und allerlei Kri-sen. Schröders Korporatismus-Modell setzte auf die Zusammen- arbeit der großen organisierten Akteure, moderiert von der Politik. Christiansens Sendung bildete die Machtstrukturen dieser Jahre wahr-scheinlich ganz gut ab.

Die Kritik an Christiansen wurde im Laufe der Jahre immer heftiger, und die Moderatorin reagierte zunehmend dünnhäutiger. Es gab kaum einen Journalisten, der nicht

glaubte, es besser zu können. Polit-ker wie Friedrich Merz (eigentlich ein Profiteur der Christiansen-Kom-munikations-Kultur) beklagten den Bedeutungsverlust des Parlaments. Und irgendwann schalteten auch weniger Zuschauer ein – auch wenn der Rückgang moderat war. Die Anwürfe waren eigentlich Kompli-mente – sie spiegelten den fast unheimlichen Einfluss wider, den ihre Sendung als nationale Polit-Arena erlangt hatte.

2007, im letzten Jahr „Sabine Christiansen“, war die Große Koali-tion zwei Jahre im Amt und arbeitete unter Kanzlerin Merkel konfliktarm, im Rückblick fast harmonisch. Die Opposition war klein und unbedeu-tend, die Wirtschaft hatte zu boomen begonnen. Es war keine gute Zeit, um mit Polit-Krawall Quote zu machen. Die Christiansen-Runden

“ Das Ende von “Anne Will” ist ein Zeichen dafür, dass auch die merkelsche

Art der politischen Kommunikation ihrem Ende entgegen geht.

Günther16

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scheienen überholt; aus dem WDR drängte „Hart aber fair“ ins Erste Pro-gramm, eine Sendung, die die einge-ladenen Politiker mit Einspielfilmen bloßstellte und mit einem Fakten-check drohte, um den üblichen Talk-show-Flunkereien vorzubeugen. „Sabine Christiansen“ bildete die politischen Verhältnisse und die Art und Weise, wie die Politik mit der Öffentlichkeit kommunizierte, nicht mehr gut ab.

Anne Wills Ansatz war es darum, die Vertreter des Establishments aus Regierung, Verbänden und Wirt-schaft mit „den Menschen da drau-ßen“ zu konfrontieren – den soge-nannten Betroffenen –, die sogar auf einem separaten Sofa sitzen durften. Wills journalistische Gesprächs-

runde erarbeitete sich mühsam eine gute Quote – allerdings auf einem unvergleichlich attraktiven Sende-platz. So wie Christiansen in ihrem Habitus und ihrer Vorliebe für Auto-ritäten eher konservativ wirkte, schien Anne Will eher links. Die Moderatorin fragte schlagfertig und intelligent, fröhlich aber kritisch, blieb am Ball und unterbrach ihre Gäste an den richtigen Stellen.

Will machte alles richtig – aber sie erreichte nicht die gleiche Rolle als Symbol und neutral fragende Repräsentantin des Zuschauers wie noch Christiansen. Die alltagsnahen Schilderungen ihrer Betroffenen erdeten ihre Diskussionen auf eine Art, die dem Format nicht entgegen-kam: Denn trotz allem gehört die

Jauch 17

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Sonntagabend-Polit-Arena eben zum Fernsehgenre Show. Die Moderatorin trug wie die Kanzlerin stets Hosen-anzüge, die Uniform der modernen G e s c h ä f t s f r a u . A n n e Wi l l s Gesprächsführung spiegelte den Regierungsstil Angela Merkels: zurückhaltend, unideologisch, keine Mutter der Nation, eher eine Mana-gerin. Das Ende von „Anne Will“ ist ein Zeichen dafür, dass auch die Mer-kelsche Art der politischen Kommu-nikation ihrem Ende entgegen geht.

Es muss zu der Zeit gewesen sein, als Union und FDP 2009 eine Regie-rung bildeten und sich sogleich in Chaos, Krisen und Konfrontationen begaben, als Günther Jauch die Gespräche mit der ARD wieder auf-nahm, die er Anfang 2007 noch ver-ärgert abgebrochen hatte. Die Absage hatte den Mitbestimmern auf allen Etagen des öffentlich-recht-lichen Komplexes klargemacht, wen Jauch repräsentieren wollte: den Zuschauer, und nicht die allzu oft von Parteigunst abhängigen Sender-vertreter. Diese waren nun weichge-kocht, und Jauch konnte sich Unab-hängigkeit zusichern lassen. Der Stolz, mit dem Programmdirektor Volker Herres seinen neuen Star am Montag vorstellte, kam einer Unter-werfung recht nahe.

Jauch ist Mr. Germany. Auf ihn

können sich alle einigen. Er ist beliebt bei Jung und Alt, Links und Rechts, bei Bildungsbürgern und ein-fachen Leuten. Ein moderner Kon-servativer, aber einer mit lockerer Zunge und ohne Scheu vor Autoritä-ten. Jauchs journalistische Tugend ist es, sich noch erregen zu können. Die manchmal zynische Abgeklärt-heit, mit der manche Hauptstadt-Kollegen über Politik berichten, ist von ihm nicht zu erwarten.

Jauchs „Stern TV“-Routine, die großen Themen auf Alltag und Kon-tostand des Durchschnittsbürgers herunterzubrechen, wird ihm in Zei-ten entgegenkommen, in denen das große, wahrscheinlich auch wahlbe-stimmende Thema die Finanzkrise ist. Die komplexen Vorgänge und Vorschläge zu erklären, das gelingt Angela Merkel nicht, schon gar nicht auf unterhaltsame Art und Weise. Ihr Konkurrent Peer Steinbrück hat dagegen eine Karriere als Autor und Redner darauf aufgebaut.

Verständlich über Politik spre-chen – das wird Steinbrück dem-nächst bei Günther Jauch.

Günther18

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Es darf auch mal Rot sein

Enthüllt!

Keine Sorge, Journalisten sind die am schlechtesten angezogenen

Menschen der Welt, sagte ihr Chefredakteur, als

Sandra Middendorf unsi- cher war, was sie zu ihrem

allerersten Interview anziehen sollte. Seitdem

schaut sie genauer hin und berichtet in V.i.S.d.P.

einmal im Monat über Mode in den Medien.

Heute: Die Nachrichtenredaktionen der Öffentlich-rechtlichen.

Kolumne 19

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— Bruno Chirchietti, der unter dem

Namen Jo Krawatte mehrere Online-

Shops für Krawattenbetreibt.

„Diese Farbe lässt den Träger sich voll Ener-

gie fühlen, er ist extrovertiert und will vor-

ankommen. [...] Wenn Sie Rot tragen, kann

es sein, dass Sie damit Ihre Leidenschaft und

eine Art von rücksichtsloser Macht zeigen

wollen. [...] Rote Krawatten werden meis-

tens von Leuten, die Action und Drama

mögen, getragen. Rot steht auch für eine

starke Sexualität.“

Enthüllt20

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Konventionen,

Konventionen, Konventionen

– für niemanden sonst sind

die Vorgaben so streng

wie für Nachrichtenspre-

cher. Der Text ist vorgege-

ben, das Repertoire an Gesten

und Mimik begrenzt und

Anzug ist Pflicht. Wer den

Wunsch nach Individualität

und Abgrenzung verspürt,

hat es schwer. Es bleibt:

Der Stoff des Anzugs, die

Farbe des Anzugs, vor

allem aber die Wahl der

Krawatte, dem immerhin

zentralsten Element im

Gesamtbild. Mit ihr

könnten selbst die Spre-

cher und Moderatoren

der ernsthaftesten Formate

zeigen, wer sie sind, könnten

sich modisch positionieren

und sich aus der Masse abhe-

ben. Denn mehr als genug

Möglichkeiten bietet das kleine

Stück Klamotte – es gibt die

Krawatte aus Leder, aus Stoff,

aus feinster Seide, grob oder

fein gestrickt, glänzend, matt,

in breit oder schmal, in gemus-

tert, gestreift, kariert, geblümt

oder einfach uni.

Sie könnten, wenn sie woll-

ten, oder wüssten wie. Denn

schaut man in die Nachrich-

tensendungen, dann sieht

man nur wenig Variation:

grau, blau und wahlweise

gestreift. Oder eben rot –

und das, aber hier kann

nur spekuliert werden,

ist die kleine Rebellion,

ist mutig, grenzt ab vom

Grau-in-Grau. Dabei

ist es genau das Gegen-

teil – die konserva-

tivste weil offen-

sichtlichste Art von

Rebellion und die

brave Einreihung in die

Schlange derer, die sich für

Individualität entschieden

haben. Rote Krawatten sind

nichts Besonderes, die Häu-

figkeit jedoch, mit der sie in

den Nachrichtensendungen

getragen werden, ist es schon.

Einige Beispiele aus der ARD.

Kolumne 21

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Ingo Zamperoni auf Sendung

in frechem Kariert mit modisch

geschnittenem Jackett.

Zu einer rot-graublau gestreif-

ten Krawatte hat Udo Lielisch-

kies für seinen Bericht über die

Schuldenkrise der USA am 31.

Juli gegriffen – unangenehmer-

weise hatte Republikaner Mitch

McConnel die gleiche Idee, der

damit wenige Minuten zuvor

in derselben Sendung zu sehen

war..

Rainald Becker, Ulrich Dep-

pendorf und Jan Hofer (Reihen-

folge nach zunehmender Auf-

fälligkeit des Rottons) haben

sich für ihr offizielle Foto auf

den Seiten der „Tagesschau“

für leidenschaftliches Rot ent-

schieden.

Enthüllt22

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Dass diese Ideenlosigkeit nicht

schon immer die Kleiderwahl

bestimmt hat, führt Jan Hofer

selbst am 1. August 1991 vor

– mit farbenfroh marmorierter

Krawatte zwischen strahlend

roten Jackett. Und auch das

Einstecktuch beweist: Auch

Nachrichtensprecher hatten

einmal Spaß an Mode.

Jan Hofer, der mit den silbernen

Knöpfen und der Hornbrille

den 70-ern entsprungen sein

könnte.

Kolumne 23

Page 24: ViSdP #215

Immer

in

DeckungSo eng das modische Korsett für Modera-

toren und Nachrichtensprecher in

Deutschland ist, so locker sitzt es offen-

sichtlich bei Auslandskorrespondenten. Je

weiter weg der Korrespondent stationiert

ist, desto legerer wird die Mode – als

würde an jeder Grenze ein bisschen mehr

Kontrolle abgegeben werden. So dürfen

die Kollegen Restle und Bock in Moskau

nicht nur die Krawatten weglassen, son-

dern auch die Haltung lockern und Hemd-

knöpfe öffnen.

Enthüllt24

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Und in Nairobi darf sogar ganz

offizell Cappy oder ein rosafar-

benes Jackett getragen werden.

In Singapur und Istanbul

halten sich sogar die Studio-

leiter Robert Hetkämper und

Michael Schramm an diese

offensichtlich übliche Kleider-

ordnung.

Kolumne 25

Page 26: ViSdP #215

Diese Kleiderordnung ist kein Zeug-

nis fehlenden Modebewusstseins. Diese Kle-

ideordnung ist sicher bewusst gewählt – um

für den Ernstfall gerüstet zu sein und so als

Auslandskorrespondent ernst genommen zu

werden. Erst kürzlich konnte jeder die Regeln

für den Einsatz in Kriegsgebieten im JOUR-

NALIST nachlesen: „Keine militärischen

Kleidungsstücke, keine teuren Klamotten,

Vorsicht mit Kunststoff-Kleidung in feuerge-

fährlichen Situationen (Brände, Molotow-

Cocktails). Goretex-Kleidung schmilzt und

verschmort sich untrennbar mit der Haut.“

Zeppenfeld bestätigt Ähnliches live in der

„Tagesschau“ am 4. August. Im karierten

Holzfällerhemd berichtet er von seiner Arbeit.

„Es gibt immer wieder Situationen, in denen

ich nicht aus dem Auto steigen kann, weil ich

als Weißer unglaublich auffalle.“ Da ist ein

Anzug in der Tat nicht angebracht. Warum

die ARD aber ähnliche Kleidung für die offi-

ziellen Fotos gestattet, bleibt offen.

Eine der seltenen Ausnahmen

– was die Krawatte und die

Prätentiösität angeht – sitzt

in Rio de Janeiro: Thomas

Aders – Dr. Thomas Aders.

Der Studioleiter hält sich an

die Kleiderordnung in den

deutschen Studios – hat

allerdings vorsichtshalber

sein Telefon mit ins Bild

genommen. Man weiß ja nie,

wer anruft.

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Zehn Jahreerinnerungs-Cover

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Zehn Jahreerinnerungs-Cover

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V.i.S.d.P. – Magazin für MedienmacherChefredakteur: Sebastian EsserHerausgeber: Dr. Hajo SchumacherDesign: Markus Nowak; diese Woche: William DavisRedaktion: Till Schröder, Wendelin Hübner, Susan Mücke, Frank Joung, Patrick WeisbrodLektorat: Carla MönigAnzeigen: [email protected]: http://www.visdp.de/magazin/mediadaten/Adresse: Lietzenburger Straße 51, 10789 BerlinTelefon: 030 2196 27287E-Mail: [email protected]

Der Tipp

Noch mehr Zeitver-

schwendungEine weitere Möglichkeit, auf der Arbeit Zeit zu verschwenden, ist das immer unterhalt-same Blog “Büromaterial” beim SZ MAGAZIN. Marc Baumann sammelt dort “Gedanken, Links und schnell notierte Ideen” zu Interes-santem, Skurilem und Bemerkenswertem irgendwo im Inter-net. Diese Woche verdanken wir ihm den Hinweis auf die neue Babybrei-Sorte “Bier&Pizza”.

Verlosung

Zeitver-schwendung

Das BüroFrustKillerBuch von Hans Kan-tereit, nicht zu verwechseln mit dem Frust-jobkillerbuch, macht Vorschläge zur Zeit-verschwendung bei der Arbeit. Praktisch! Wir verlosen ein Exemplar unter allen Interessenten: [email protected]. Die Gewinner des Buchs „Offen für alles und nicht ganz dicht“ von Flo-rian Schröder sind Anke Lau-mann, Kerstin Schumann und Christoph Baum. Die richtige Ant-wort lautete: Kir Royal.

ende