Visionen Schönheit und Entropie...Visionen Schönheit und Entropie Die beiden Bilder oben...

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Visionen Schönheit und Entropie Die beiden Bilder oben unterscheiden sich. Das linke Bild weist einen Himmel auf, der keine Strukturen enthält. Die Wolken wurden entfernt und das Farbenspiel des Abendhimmels ist in einheitlichen Flächen sichtbar. In Befragungen bewerten spontan die meisten Menschen das rechte Bild als interessanter, ansprechender oder schöner als das linke Bild. Diese Art der Befragung wurde in großen Versuchsreihen für viele Arten von Bildern durchgeführt. Die Erforschung dessen, was Menschen mit dem Begriff Schönheit verbinden, hat neben dem bekannteren Merkmal der Symmetrie (beispielsweise in Gesichtern) auch enthüllt, dass sich das Auge über Detailreichtum erfreut. Im rechten Bild sind mehr Strukturen zu erkennen. Die Wolken bilden einen größeren Detailreichtum, der den Blick länger schweifen und an bestimmten Stellen verweilen lässt. Mit anderen Worten wird der ästhetische Genuss vergrößert, wenn es mehr Bildinformation gibt. Der Informationsgehalt eines Bildes wird auch mit dem technischen Begriff der Entropie bezeichnet. Der visuelle Sinn des Menschen ist unser wichtigster Fernsinn. Wir erfassen gerne möglichst viel Information mit unseren Augen. Die Wirkung von Entropie auf unser ästhetisches Empfinden zeigt, wie sehr wir Menschen auf unseren visuellen Sinn ansprechen. Diese Tatsache gibt den Ausschlag für den Gedanken mit Visuellem, mit Bildern zu arbeiten. Wie kann die Arbeit bei assista so gestaltet werden, damit es dieser Tatsache Rechnung trägt? Arbeiten mit Visionen Vi | si | on, die Wortart: Substantiv, feminin Herkunft: mittelhochdeutsch vision, visiun = Traumgesicht; Erscheinung < lateinisch visio (Genitiv: visionis) = das Sehen; Anblick; Erscheinung assista hat sich dem Anspruch verschrieben, die KlientIn in den Mittelpunkt zu stellen. Die Wünsche und Bedürfnisse der KlientIn bilden die Grundlage für die Arbeit in assista. Das Arbeiten mit Wünschen hält jedoch einige Tücken bereit, die nicht leicht zu umgehen sind. Die Wünsche von unseren Mitmenschen zu erfahren, versetzt uns oftmals noch nicht in die Lage diese auch mir nichts, dir nichts erfüllen zu können. Fragen Sie sich selbst was Sie ihren Liebsten zu Weihnachten oder zum Geburtstag schenken möchten. Sie werden auf Nachfrage wahrscheinlich viele Antworten für mögliche Geschenkwünsche bekommen. Vielleicht ist nicht immer jede dieser Antworten

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Page 1: Visionen Schönheit und Entropie...Visionen Schönheit und Entropie Die beiden Bilder oben unterscheiden sich. Das linke Bild weist einen Himmel auf, der keine Strukturen enthält.

Visionen Schönheit und Entropie

Die beiden Bilder oben unterscheiden sich. Das linke Bild weist einen Himmel auf, der keine Strukturen enthält. Die Wolken wurden entfernt und das Farbenspiel des Abendhimmels ist in einheitlichen Flächen sichtbar. In Befragungen bewerten spontan die meisten Menschen das rechte Bild als interessanter, ansprechender oder schöner als das linke Bild. Diese Art der Befragung wurde in großen Versuchsreihen für viele Arten von Bildern durchgeführt. Die Erforschung dessen, was Menschen mit dem Begriff Schönheit verbinden, hat neben dem bekannteren Merkmal der Symmetrie (beispielsweise in Gesichtern) auch enthüllt, dass sich das Auge über Detailreichtum erfreut. Im rechten Bild sind mehr Strukturen zu erkennen. Die Wolken bilden einen größeren Detailreichtum, der den Blick länger schweifen und an bestimmten Stellen verweilen lässt. Mit anderen Worten wird der ästhetische Genuss vergrößert, wenn es mehr Bildinformation gibt. Der Informationsgehalt eines Bildes wird auch mit dem technischen Begriff der Entropie bezeichnet. Der visuelle Sinn des Menschen ist unser wichtigster Fernsinn. Wir erfassen gerne möglichst viel Information mit unseren Augen. Die Wirkung von Entropie auf unser ästhetisches Empfinden zeigt, wie sehr wir Menschen auf unseren visuellen Sinn ansprechen. Diese Tatsache gibt den Ausschlag für den Gedanken mit Visuellem, mit Bildern zu arbeiten. Wie kann die Arbeit bei assista so gestaltet werden, damit es dieser Tatsache Rechnung trägt? Arbeiten mit Visionen Vi | si | on, die Wortart: Substantiv, feminin Herkunft: mittelhochdeutsch vision, visiun�= Traumgesicht; Erscheinung < lateinisch visio (Genitiv: visionis)�= das Sehen; Anblick; Erscheinung assista hat sich dem Anspruch verschrieben, die KlientIn in den Mittelpunkt zu stellen. Die Wünsche und Bedürfnisse der KlientIn bilden die Grundlage für die Arbeit in assista. Das Arbeiten mit Wünschen hält jedoch einige Tücken bereit, die nicht leicht zu umgehen sind. Die Wünsche von unseren Mitmenschen zu erfahren, versetzt uns oftmals noch nicht in die Lage diese auch mir nichts, dir nichts erfüllen zu können. Fragen Sie sich selbst was Sie ihren Liebsten zu Weihnachten oder zum Geburtstag schenken möchten. Sie werden auf Nachfrage wahrscheinlich viele Antworten für mögliche Geschenkwünsche bekommen. Vielleicht ist nicht immer jede dieser Antworten

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wirklich zufriedenstellend. Vielleicht sind nicht immer alle Wünsche tatsächlich erfüllbar, aus finanziellen oder organisatorischen Gründen. Vielleicht weiß ihr Gegenüber aber auch um die begrenzten Möglichkeiten in finanzieller oder organisatorischer Hinsicht Bescheid und versetzt sich in ihre Lage. Wenn Sie sich umgekehrt auch in diese Lage versetzen und sich fragen was Sie jemandem antworten wollen, wenn Sie nach ihren Geschenkwünschen für Weihnachten oder ihren Geburtstag gefragt werden, sehen Sie schnell die Schwierigkeit. Dann kann die Antwort möglicherweise so rücksichtsvoll und bescheiden ausfallen, dass eigentlich nicht mehr wirklich die tief schlummernden Wünsche ausgedrückt werden, sondern etwas ganz anderes. Wie schwierig wird es da erst, wenn es sich um die Frage der Lebenswünsche handelt? Das Reden über Wünsche kann viele Wenn und Aber nahelegen. Nun stellen Sie sich im Gegensatz dazu vor, Sie machen ein Bild von einem Tag in ihrem Leben. Stellen Sie sich vor wie ein Zeitpunkt sein wird, an dem es ihnen gut geht. Vielleicht sehen Sie vor ihrem geistigen Auge wie Sie an einem warmen Tag im Sonnenschein in ihrem Garten eine Pflanze gießen und betrachten. Vielleicht sehen Sie sich aber auch mit ihrer Familie an einem Tisch in einem Restaurant sitzen, während Sie bei einem gepflegten Gespräch ein Glas Wein anheben und den Geschmack auf ihrer Zunge empfinden. Was immer das Bild auch ist, so merken Sie bereits hier beim Lesen einer Zeile, wie schnell es in ihrem Kopf generiert wird. Sofort wird es mit weiteren Details befüllt. Der Garten lässt Sie vielleicht auch wahrnehmen, wie sich einige Blätter sanft im Wind bewegen oder wie sich eine Blüte in der Hand anfühlen würde. Das Restaurant lässt Sie vielleicht sofort an das gedimmte, stilvolle Licht im Raum denken oder an das Geräusch der klingenden Gläser. Mit anderen Worten: Visionen sind ansteckend. Der Sinn für Bilder löst sofort die Aktivität in unserem Gehirn aus, mit welcher wir das Bild weiter zeichnen. Das gemeinsame Gespräch über das Bild bringt den Maler zum Vorschein, der in uns allen steckt. Durch das Hervorheben reichert sich das Bild mit Details. Der bewusste Umgang damit lässt es nicht so einfach wieder in das Unbewusste und das Vergessen verschwinden. Visionen haben viele Vorteile Wenn Sie ganz unbedarft auf die Frage antworten, was Sie sich für ihr Leben wünschen, dann würden Sie vielleicht antworten: ein Haus am Meer, einen teuren Sportwagen, eine Weltreise oder sich noch einmal so richtig zu verlieben. Was auch immer ihre spontane Antwort sein wird, es wird wahrscheinlich schwer für jemand Anderen in den Grenzen der Realität etwas zur Erfüllung ihrer Wünsche beizusteuern. Der Sinn für die Realität ist eine Vorbedingung für die Gemeinsamkeit, mit der man sich in Wünschen bewegen kann. Realismus ist durchaus nicht immer eine Selbstverständlichkeit. Manchmal tun sich Menschen schwer damit realistisch zu sein. Denken Sie an Kinder, also an junge Menschen, die noch keine Gelegenheit hatten die gesamte Persönlichkeit zu entwickeln. Denken Sie aber auch an Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen, die durch verschiedene Einschränkungen der kognitiven Funktionen Schwierigkeiten in diesem Bereich haben können. Die direkte Steuerbarkeit von Realismus ist dabei oftmals schwierig bis unmöglich. Nun fragen Sie sich im Vergleich dazu, was Sie in den nächsten Minuten machen werden. Stellen Sie sich vor, wie Sie in 10 Minuten diesen Text zu Ende gelesen haben werden. Sehen Sie sich selbst in der Kleidung, die Sie gerade tragen, an dem Ort, an dem Sie dies hier gerade lesen. Wenige Minuten in der Zukunft werden Sie in einer Situation sein, die Sie sich jetzt gerade bildlich vergegenwärtigen können. Der Realismus, dass Sie sich in diesem Bild nicht am anderen Ende der Weltkugel sehen, in einer völlig anderen Lebenssituation liegt dieser Vorstellung bereits zugrunde. Es ist schwer bis unmöglich sich dem zu entziehen. Die Frage nach einer Vision für den nächsten unmittelbaren Zeitraum ist ein mächtiges Mittel, um den Grad an Realismus steuern zu können. Gleichzeitig bewegt man sich damit automatisch gemeinsam in diesem Bild, wenn man es bespricht. Diese Gemeinsamkeit ist einer der größten Vorteile bei der Arbeit mit Visionen. Diese Gemeinsamkeit wirkt sich auch in der Weise aus, dass Visionen scheinbar schon angelegt sind, bevor Sie sprachlich zum Anderen hin ausgedrückt werden. In der Regel haben Menschen bereits ein gutes Bild von jenen Mitmenschen, die ihnen nahe stehen. Stellen Sie sich beispielsweise vor,

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was ein guter Tag für ihren Ehemann, ihre Ehefrau, oder aber auch für eines ihrer Kinder sein wird. Stellen Sie sich vor wie der von ihnen geliebte Mensch strahlen wird, wenn es ihm gut geht. Sehen Sie wie dieser Mensch ihnen entgegen kommen wird und hören Sie wie lebendig und erfreut seine Stimme klingt, wenn er ihnen berichtet was los ist. Sehen Sie die Zufriedenheit im Gesicht und im Blick dieses Menschen, wenn die Dinge so gut für ihn stehen wie es sein soll. Vieles von diesem Bild ist bereits vorgezeichnet. Noch bevor Sie über dieses Bild gemeinsam im Gespräch sind, hat dieses Bild bereits so viele Details, die schon vor jeder Beschreibung und vor jedem Wort in ihnen angelegt sind. Wahrscheinlich würden Sie den ihnen besonders nahestehenden Personen ebenfalls zutrauen, einen Tag zu beschreiben, der gut für Sie laufen würde. Der Mensch, der Sie liebt und Sie gut kennt, könnte wohl bereits viel über diesen Tag beschreiben, bevor Sie selbst auf die Frage hier antworten müssten und das Bild dann weiter mit Details bereichern könnten. Mit anderen Worten ist das Malen und Zeichnen eines Bildes so weit vor der Sprache bereits begonnen, dass es auch bei kognitiven und sprachlichen Einschränkungen möglich ist. Nehmen Sie dazu jemanden, der ihnen sprachlich gar nichts mitteilen kann weil Sie oder er stumm geboren wurde. Sehen Sie diesen Menschen mittags mit vollem Gusto Fischstäbchen und Kartoffelpüree essen und dazu ein Glas Himbeersaft trinken. Sehen Sie diese Person nach einer ausgiebigen Mittagsrast eine Runde im Park oder in den Wald spazieren gehen, wie Sie dabei die raschelnden Blätter in den Bäumen wach, neugierig und aufgeregt betrachtet. Sehen Sie diese Person dann müde und zufrieden von diesem Spaziergang zurück kommen und es sich im kuscheligen Fauteuil bequem machen. Fragen Sie sich dann, wie ein guter Tag für diese Person aussieht. Sie haben ein Bild davon.

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Kognitive Karten

Ich möchte an dieser Stelle zu einem Exkurs in das visuelle Denken entführen. Es soll ein vertiefendes Verständnis der grundlegenden Eigenschaften unseres visuellen Sinnes und seiner Verarbeitung schaffen und zu Erklärungen überführen, wieso das Arbeiten mit Visionen zu solch starken Übereinkünften führt. Hierzu soll ein Ausflug in die neuronalen Wissenschaften unserer visuellen Verarbeitung dienen. Kognitive Karten (mental maps) sind ein gutes Beispiel um einige fundamentale Eigenschaften der Arbeitsweise unseres Gehirnes zu erfassen, welche sicherlich auch bei der Arbeit mit Visionen eine Rolle spielen. Der Begriff „kognitiven Karten“ ist dabei ein alter Bekannter in den Hirnwissenschaften. Aus Wikipedia lässt sich eine schöne Beschreibung entnehmen: Als kognitive Karte (auch mental map) bezeichnet man

die mentale Repräsentation eines geographischen Raumes oder räumlich (dreidimensional) vorstellbarer logischer und sonstiger Zusammenhänge. Mit anderen Worten: Kognitive Karten sind mental vereinfachte Repräsentationen von mehrdimensionaler komplexer Realität. Die Abbildung der geographischen Realität ist nur eines vieler Beispiele. Dem Begriff liegt die Annahme zugrunde, dass Menschen die Information über Räume und Landschaften in landkarten-ähnliche Bilder umsetzen, so dass sich also kognitive Karten im Grunde auch zeichnen lassen. Jeder Mensch hat dabei eine andere kognitive Karte eines Raumes, zum einen, da er sich in seinem Heimatort und in dessen Umgebung besser auskennt als in ihm fremden Gegenden; zum anderen, weil jeder Mensch aufgrund seiner individuellen Erfahrung und geistigen Verfassung seine Umwelt anders wahrnimmt. Solche kognitiven Karten zeichnen sich durch einige interessante Eigenschaften aus. Ein Beispiel hierfür wird ebenfalls in Wikipedia beschrieben: Gegenden, die man kennt, nehmen in der kognitiven Karte mehr Raum ein und sind detaillierter abgebildet als fremde Räume. Eine andere Eigenschaft, welche noch wesentlicher erscheint, ist der Zusammenhang mit der Reaktionsneigung. Wenn Orte in den kognitiven Landkarten nahe beisammen liegen, dann werden Sie gedanklich schneller und leichter gedacht. Die Reaktionszeit, um Fragen über naheliegende Orte zu beantworten, ist kürzer als jene Reaktionszeit, wenn es um Orte geht, die weit auseinander liegen. Wenn Sie beispielsweise an Wien denken und eine Frage über Mödling (neben Wien) beantworten sollen, dann ist die Reaktionzeit kürzer, als hätten Sie zuvor an Wels gedacht und dann über Mödling gesprochen. Genau so können Sie von Gedanken über Wels ausgehend schneller über Linz nachdenken und sprechen, als würden Sie beispielsweise zuerst an Wels an dann an Wien denken. Es ist also so, als müssten Sie die gesamte Strecke auf der kognitiven Landkarte erst „abschreiten“, damit Sie dann am neuen Ort „ankommen“. Reaktionszeitmessungen haben dieses fundamentale Prinzip der Arbeitsweise unseres Gehirnes viele Male bestätigt. Bei der Arbeit mit Visionen drehen Sie den Spiess einfach um: Sie geben die Zeit vor. Wenn sie in eine nahe Zukunft fragen („was ist in 2 Tagen“), dann wird die Antwort naheliegender und realistischer ausfallen. Wenn Sie in die ferne Zukunft fragen („was ist in 15 Jahren“), dann kann die Antwort vielleicht weniger hergeben, um daraus ein Ziel abzuleiten, mit dem man arbeiten kann. Aber das Bild kann „größer“ werden. Indem Sie mit der Frage die Zeit vorgeben, bestimmen Sie wie weit der Antwortende „in dieser Zeit“ gekommen ist (in seiner Entwicklung). Sie bestimmen wie greifbar und realistisch die Antwort wird. Insgesamt dürften kognitive Karten in mehrerlei Hinsicht eine gute Grundlage und ein Gleichnis

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bilden, wenn man das Zustandekommen der starken Übereinkünfte bei der Arbeit mit Visionen verstehen möchte. Wenn wir Visionen erschaffen, die eine bestimmte „zeitliche Strecke“ in die Zukunft reichen, dann sind wir so weit von der hiesigen Realität entfernt, wie man sich eben gedanklich in der Zeit auch entfernen oder entwickeln kann. Deshalb ist die Vision der nächsten 10 Minuten so realistisch, dass Sie sich wohl nicht am anderen Ende der Welt sehen. Sie sehen sich in der Vision wohl an dem Ort, an dem Sie gerade sind und sehen diesen Text zu Ende gelesen. Diese „Leichtigkeit“ ist bereits in der fundamentalen Arbeitsweise unseres Gehirnes angelegt. Mit anderen Worten: Weitere Reisen in so kurzer Zeit „drängen sich weniger auf“. Grundideen und Vektoren Gesichter eignen sich ebenfalls sehr gut, um einige grundlegende Eigenschaften des visuellen Denkens zu demonstrieren. Das visuelle Erkennen von Gesichtern spielt in unserem Leben natürlich eine besonders große Rolle. Aus diesem Grund ist auch nicht verwunderlich, dass sich die Forschung sehr eingehend mit der Verarbeitung von Gesichtern durch unseren visuellen Sinn beschäftigt hat. Um mit dem Erfassen von Gesichtern in der Forschung arbeiten zu können, muss man Gesichter in irgend ein System einteilen können. Solch eine Einteilung ist am Besten in einer Art Koordinatensystem zu machen. Man kann Gesichter als Punkte in einem mehrdimensionalen Raum sehen. Je ähnlicher zwei Gesichter sind, desto näher stehen Sie in diesem Raum zueinander. Man kann nach dem Auftragen von Gesichtern in diesen Raum auch (auf künstliche Weise) bestimmte Gesichtsmerkmale in einer Achse des Koordinatensystems „übertrieben weiter zeichnen.“ Dabei wird von einem Vergleich des Gesichts mit einem Durchschnittsgesicht ausgegangen. Man kann also eine Karikatur eines Originalgesichts zeichnen, indem man ein Merkmal im Vergleich zum Durchschnittsgesicht besonders betont. Im oberen Bildbeispiel wurde beispielsweise die Stirn und die Augenwülste (u.a.) besonders betont (50%, 100%, 150%). Wenn man im Vergleich zum Durchschnittsgesicht dieses Merkmal besonders vermindert (-50%), dann entsteht hingegen eine „Antikarikatur“. (Anmerkung: „Durchschnittsgesicht“ bedeutet dabei nichts weiter als der Durchschnitt von beispielweise 500 übereinander gelegten (zufällig ausgewählten) Gesichtern.) Interessant ist hierbei, dass die Unterschiede zwischen Gesichtern somit als ein Vektor ausgedrückt werden können. Ein Vektor ist dabei ein Pfeil, der sich an einer Grundidee (Durchschnittsgesicht) orientiert und eine bestimmte Länge und einer bestimmte Richtung aufweist.

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Unsere inneren Vektoren gehen dabei so sehr von einer Grundidee aus, dass wir die Abweichung von dieser Grundidee besser erkennen, als die Unterschiede verschiedener Ideen zueinander. Im Fall der Gesichter zeigt sich dies beispielsweise, indem Karikaturen schneller und sicherer als eine Person (mit Originalgesicht) erkannt werden. Das heißt die Karikatur wird schneller erkannt als das echte Originalgesicht der Person. Dazu gibt es einen weiteren interessanten Effekt: Zeigt man für einige Sekunden die Antikarikatur, bei dem der ursprüngliche Vektor gerade gespiegelt ist, und präsentiert dann kurz das Durchschnittsgesicht, entsteht vorübergehend ein Wahrnehmungseindruck, der dem Originalgesicht ähnelt. Dieses Phänomen bezeichnen Psychologen als Gesichtsnacheffekt. Es ist also so, als ob der Vektor insgesamt kurzzeitig verschoben wird, aber seine grundlegende Richtung und Länge beibehält. Mit anderen Worten: Das Ansprechen auf einen dieser Vektoren bzw. seinen Ursprung ist also „verschieblich“. Es bleibt trotz Verschiebung aber dabei, dass wir im Sinne des Vektors, seiner Länge und Richtung, besonders reagieren. Mit anderen Worten: wir haben eine Grundidee (welche in einem bestimmten Ausmaß verschieblich oder veränderlich sein kann) und reagieren besonders stark auf die Unterschiedlichkeit zu dieser Grundidee. Diese Reaktionsneigung wurde nicht nur mit Hilfe von Reaktionszeiten und verbalen Ähnlichkeitsurteilen ermittelt. Es wurde auch festgestellt, dass man diese Reaktionsneigung auch direkt an den Nervenzellen im Gehirn ablesen kann. Die Aktivität von Nervenzellen zeigt ebenso die stärksten Ausmaße, wenn sich der Vektor vergrößert, weil man sich von der Grundidee entfernt.

Es zeigt sich bei allen 4 Beispielgesichtern, dass die Nervenzellaktivität im Bereich für die visuelle Verarbeitung am stärksten ausfällt, wenn man sich von der Grundidee entfernt, also den Karikaturlevel im Vergleich zum Durchschnittsgesicht erhöht.

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Die Erklärung für die Vektor-basierte Arbeitsweise unseres Gehirns bei der visuellen Verarbeitung ist auch der Grund, warum wir uns schwer tun beispielsweise asiatische Gesichter untereinander zu unterscheiden (foreign-race-effect). Da jene Gesichter alle weit von unsere „Grundidee“, d.h. unserer europäischen Erfahrung mit Gesichtern entfernt sind, weist unser Vektor bei all jenen Gesichtern immer in die gleiche Richtung und hat immer ungefähr die gleiche Länge. Darum erscheinen uns jene Gesichter untereinander als weniger unterschiedlich, als europäische Gesichter untereinander. Und wer im Übrigen denkt, dass die hier beschriebenen Effekte spezifisch für Gesichter sein werden, der irrt. Bei Menschen, die sich besonders viel mit Autos beschäftigen, wurde festgestellt, dass die Gehirnareale der visuellen Verarbeitung für Gesichter mit den Autos konkurrieren. Je besser man Autos unterscheiden kann, desto schlechter funktioniert es mit den Gesichtern. Ob Auto oder Gesichter ist letztlich egal, die Prinzipien der Arbeitsweise unseres Gehirns bleiben dabei gleich.

Unsere Orientierung an einer Grundidee und die vektorbasierte Arbeitsweise, welche schon im Gehirn verankert ist, spielt sicherlich eine Rolle mit dabei, wenn man mit Visionen arbeitet. Menschen, die einander gut kennen, bewegen sich in Regel nicht nur im selben Kulturkreis und im selben sozialen Umfeld, sondern auch in einer alltäglichen Nähe zueinander, die die Grundideen wahrscheinlich zueinander bringen.Die Distanz dazu fällt unserem Gehirn besonders stark auf und wird besonders aktiv bearbeitet. Das heißt, dass wir uns im gemeinsamen Arbeiten mit einer Vision (Bildern) zunehmend auf die Grundideen synchronisieren und damit immer genauer und besser werden in der Arbeit. Das menschliche Denken und Visionen Die Arbeit mit Visionen umschifft viele Schwierigkeiten, wenn sich verschiedene Menschen über ihre Vorstellungen von der Zukunft unterhalten. Menschen, die bereits in der „hiesigen Realtität“, also der Begegnung in einem gemeinsamen Alltag in das Gespräch hinein gehen, weisen wohl sehr viel Gemeinsamkeit bezüglich ihrer Grundideen auf. Von diesem gemeinsamen Ursprung los zu gehen, erschafft wohl von Anfang an viel Gemeinsamkeit bei der Strecke, die man überhaupt überwinden kann. Es dürfte in diesem Zusammenhang wohl begründet sein, wenn sich regelmäßig eine Überlappung von Zukunftsvisionen ergibt bei Menschen in ganz verschiedenen Rollen: jenen, die Hilfe benötigen und jenen, die helfen wollen. Deckungsgleiche Überlappungen, die regelrecht staunend machen. DeckungsgleicheÜberlappungen, wo man Sie sogar oftmals nicht vermutet hätte, beispielsweise bei Helfenden und Menschen mit Hirnschäden mitsamt Aussagen über „unerfüllbare Wünsche“. Wenn man dann nicht mehr nach den Wünschen fragt, sondern nach der Zukunftsvision, kommt man plötzlich sehr gut zusammen. Man könnte insgesamt vielleicht sagen, dass die Frage nach den Zukunftsvorstellungen sich fundamental unterscheidet von der Frage nach den Wünschen. Wenn man jedoch Beides bewusst verbindet, dann erhält man das volle Spektrum an Vorteilen aus beiden Herangehensweisen. Wenn man fragt: was ist die Zukunftsvision, wenn alles gut läuft und zwar in dem Sinne, wie man es möchte und es sich wünscht, dann kann man sehr gut an einem

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gemeinsamen Bild zeichnen. Die fundamentalen Eigenschaften und die Arbeitsweise unsere Gehirnes scheint genau dafür ausgelegt zu sein. Das kann man nützen. Systematisches Arbeiten mit Visionen assista hat Abläufe geschaffen, wo das Arbeiten mit Visionen in regelrechten Abläufen erfasst wurde. Der bewusste Umgang mit Visionen und die pädagogische Arbeit wurde in internen Dokumenten beschrieben und stützt sich auf verschiedene wissenschaftliche Theorien und betriebsinterne Erfahrungen. Sei es das Prinzip der Bezugspersonenarbeit oder die grundlegenden Entscheidungen etwa für eine bio-psycho-soziale Betrachtungsweise des Menschen, welche sich in der Verwendung der Internationalen Klassifikation der Funktionen (ICF) für die Dokumentation der Arbeit äußert. Konzepte der Bewältigung von Schwierigkeiten nach Gabriele Lucius-Hoene wurden ebenso einem gesamtheitlichen und strukturierten pädagogischen Ablaufplan integriert wie die fortschreitende Entwicklung EDV-gestützter Erfassung, Planung und Dokumentation von Ausgangssituationen und Arbeitsmaßnahmen, um die Erfüllung für den eingangs erwähnten Anspruch zu gewährleisten. Die KlientIn soll in ihren Wünschen und Bedürfnissen in den Mittelpunkt der Arbeit gestellt werden. Diese Arbeit soll für alle Mitarbeiter durch eine fundierte Reflexion und Vorbereitung der Mittel so gut ermöglicht werden, dass dies in erfüllender Weise geschehen kann. Das pädagogische Grundprinzip ist dabei das Arbeiten mit Visionen.