Vita minima - Silvio Pacozzi

5
Silvio Pacozzi Vita minima Medizinthriller Cosmos Verlag

description

Medizinthriller

Transcript of Vita minima - Silvio Pacozzi

Page 1: Vita minima - Silvio Pacozzi

Silvio Pacozzi Vita minimaMedizinthriller • Cosmos Verlag

Page 2: Vita minima - Silvio Pacozzi

Silvio Pacozzi

Vita minimaMedizinthrillerCosmos Verlag

Page 3: Vita minima - Silvio Pacozzi

Alle Rechte vorbehalten© 2013 by Cosmos Verlag, CH-3074 Muri bei Bern

Lektorat: Roland SchärerUmschlag: Stephan Bundi, Boll

Satz und Druck: Schlaefli & Maurer AG, InterlakenEinband: Schumacher AG, Schmitten

ISBN 978-3-305-00441-6

www.cosmosverlag.ch

Über alles hat der Mensch Gewalt, nur nicht über sein Herz.

Friedrich Hebbel

Page 4: Vita minima - Silvio Pacozzi

7

Die Klinik

1

Für eine Minute war nichts als das Ticken der Schwarzwäl-der Tischuhr zu hören. Klack, klack, klack. Nicht zum ers-ten Mal war Manuel froh um diesen tröstlichen Zeitfüller.

«Tja, das Ganze tut mir aufrichtig leid, Oswald. Ich selbst war von den Werten überrascht.»

Oswald versuchte, auf dem harten Besprechungsstuhl eine bequeme Stellung einzunehmen.

«Dieses – dieses BNP, nicht?»Manuel nickte. «Das BNP, das Natrium und auch das

Noradrenalin. Alle drei haben sich verändert, und ich fürchte, in einem zunehmend pathologischen Sinne.»

Oswalds Mundwinkel zuckten zweimal rasch, sodass für eine Sekunde der Eindruck entstand, er wisse nicht, ob er loslachen solle.

«In zunehmend pathologischem Sinne! Sag mal, könnt ihr Ärzte nicht einfach sagen: Hör mal, deine Werte sind im Arsch – oder so irgendwie?»

Manuel suchte nach Oswalds Augen, aber der fixierte einen Punkt zwischen seinen Füssen.

«Es sind nicht nur die Werte. Das Röntgenbild, der Ult-raschall, alles weist in die gleiche Richtung.»

Oswald Grämiger. Wie lange kannten sie sich – fünf Jah-re? Schon damals kein einfacher Patient. Keiner, dem man eben mal ein «Wird schon wieder» zunuschelte.

Oswald Grämiger, geboren am 15. Mai 1973. «Am 15. Mai 73? Da sind wir ja Jahrgänger.» – «Aber vielleicht nicht mehr lange», hatte Oswald gesagt und ihn, den damals pressfri-schen Kardiologen, aufmerksam gemustert. – «Wir wer-den auf unseren Fünfzigsten anstossen!», hatte Manuel

Page 5: Vita minima - Silvio Pacozzi

8 9

geantwortet. – «Okay», hatte Oswald gedehnt von sich gegeben und auf den Stockzähnen geschmunzelt. «Die Wette gilt.» Quer über den Tisch hatte er Manuel die Hand gereicht. «Enttäuschen Sie mich nicht!»

«Deine Werte sind im Arsch, Oswald.»Oswald hob den Kopf und zeigte sein breites Gesicht mit

dem gräulichen Teint. «Wie sehr im Arsch?» «Du kommst auf die Liste.»Oswald stiess einen leisen Pfiff aus und kaute auf den

Lippen herum. Dann sagte er:«Dir ist bewusst, dass es bis zum Fünfzigsten noch zwölf

Jährchen dauert?»Urplötzlich verspürte Manuel eine lähmende Müdigkeit.

Manchmal konnte er es fast nicht mehr ertragen, dieses bleierne, unterschwellig immer mitschwingende «Tut mir leid – das war’s».

«Du kommst auf die Liste», wiederholte er und suchte in Oswalds Gesicht nach einer Regung, aber da war nichts.

«Auf die Liste, das sagtest du bereits. Das heisst dann auch, wenn ihr kein neues Herz findet, bin ich in ein paar Monaten Geschichte.»

Manuel öffnete die Lippen, aber Oswald machte eine ab-wehrende Geste.

«Vergiss nicht, wir haben einen Deal.»Manuel verschränkte die Hände vor der Brust und lächel-

te seinen Patienten an. «Ich suche dir ein prächtiges neues Herz. Versprochen.» Als die Tür ins Schloss fiel, fühlte sich Manuel nicht nur

müde, sondern auch einsam. Was gab ihm die Sicherheit, dass er für seinen Patienten, der mehr schon ein Freund war, rechtzeitig ein neues Herz bekam?

Das Fiepen seines Handys liess ihn zusammenzucken. Es war Susanne vom Katheterlabor. Unten auf der Not-

fallstation hatte das Ambulanzteam eben einen Patienten im kardiogenen Schock angemeldet. Sechzigjährig, seit ei-ner halben Stunde vernichtende Schmerzen hinter der Brust, Diabetiker und Kettenraucher.

Manuel hastete die Treppe hinunter, durchquerte die Notfallaufnahme, wo bereits der Dienstarzt der Inneren Medizin mit dem Anästhesisten und einer Krankenschwes-ter wartete. Susanne, die ihn aufgeboten hatte, stand vor der elektrischen Schiebetür und lief rauchend auf und ab. Ma-nuel verzog angewidert den Mund. Seit die Kranken-hausverwaltung das gesamte Spital zur rauch freien Zone erklärt hatte, lungerten das Pflegepersonal und auch ein paar notorisch rauchende Ärzte vor der Tür herum und gin-gen als leuchtendes Beispiel den Patienten voran, denen sie Minuten später ihre Glimmstengel abnahmen.

Manuel trat die Schwenktür zum Katheterlabor auf und betrat den Vorraum, wo Doktor Hunziker bereits das Inter-ventionsbesteck zurechtlegte, was Manuels Stimmung nicht gerade hob. Ausgerechnet Hunziker! Nicht, dass er mit Un-fähigkeit geschlagen war, aber er war derart von seinen Fähigkeiten überzeugt und mit einem geradezu grenzenlo-sen Glauben an die Technik versehen, dass Manuel den Heisssporn schon mehr als einmal aus brenzligen Situatio-nen hatte retten müssen.

Eben klatschte er sich in die Hände und strahlte über das ganze Gesicht.

«Kardiogener Schock! Dann wollen wir den Kerl mal zurückholen.»

Manuel brummte ein verwaschenes «Guten Morgen» und streifte sich das grüne Operationshemd über.

«Ich mache schon mal die intraaortale Ballonpumpe bereit», erklärte Hunziker immer noch strahlend. Er liess keinen Zweifel offen, dass er geradezu danach lechzte, sich in ein paar heroische Massnahmen zu stürzen.