Vivadrina Juni/Juli 2012

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Das unabhängige Studierendenmagazin der Europa-Universität Viadrina

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TITEL

UNI

MOBIL

KULTUR

Über den Erfolg der ägyptischen Revolution

Im Gespräch mit: Dr. Dagmara Jajesniak-Quast

Eine Entdeckungsreise zu Brandenburgs verborgenen Ausfl ugszielen

Ein Nachmittag in Eisenhüttenstadts DDR-Museen

Alltagsweisheiten und Beziehungstipps aus dem RE 1

Heute: Die Abwesenheit des Aufstandes

Inhalt2

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Vorwort & Impressum

Kifaya - Es reicht!

Pussy Riots

Persönliche Aufstände

Institut für Polenforschung an Viadrina hat neue Leiterin

COMIC

Exzellenz, sind Sie Zuhause?

Wider dem Aufschub!

Wohin mit dem Semesterticket?

Zwischen Alltag und Ideal

Zu(g)gehört

Schwarzsehen für Anfänger

Hellsehen für Fortgeschrittene (4)

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Anja Franzke, Fabian Angeloni, Johanna Kardel, Lisa Dreßler, Natalia Polikarpova, Paul „Fo“ Bogadtke, Vivian Büttner

Kai Goll, Kasimir Bukashowski, Lene Albrecht, Mario Mische, Michèlle Schubert, Ronny Diering, Thomas Bruckert

Mario Mische, Anja Franzke, Natalia Polikarpova

Paul „Fo“ Bogadtke

Anja Franzke

vivadrina e.V.

vor der GD-Mensa, im AStA-Shop, im Selbstlernzentrum und Schreibzentrum des Sprachenzentrums und als Abo

0335 - 5534 [email protected]/Vivadrinavivadrina e.V.Europa-Universität ViadrinaGroße Scharrnstraße 5915230 Frankfurt (Oder)

Große Scharrnstraße („Studierendenmeile“), im Medienkomplex

Liebe Leser,

im letzten Jahr hat es wieder einmal gewaltig rumort in der Welt. Bilder von Straßen und Plätzen großer Städte, überfüllt mit pro-testierenden Menschen, fl uteten eine Zeit lang regelrecht die Nachrichtenredaktionen. Die Hartnäckigkeit und Unbeirrbarkeit, mit der die Bevölkerung etwa in Ägypten gegen ihren verhassten Präsidenten Husni Mubarak aufstand, imponierte und bewegte wohl jeden von uns. Auch die Vivadrina-Redaktion ließ sich davon inspirieren und setzt nun diese Ausgabe vom Juli 2012 unter das Motto „Aufstände“. Ein Beitrag zur Ägyptischen Revolution darf dabei natürlich nicht fehlen und folgt gleich im Anschluss an das Vorwort. Weniger publik geworden als die Ereignisse des „Arabischen Frühlings“ sind die sogenannten „Pussy Riots“ in Russland, dem sich unsere Redakteurin Lisa auf Seite 4 widmet. Auch die Vivadrina-Gastkolumnistin Vivian Büttner hat sich zum Thema „Aufstände“ mal ein paar Gedanken gemacht, was dabei herausgekommen ist, lest ihr auf Seite 19.Nicht um Aufstände, sondern um Ausfl üge geht es hingegen auf den Seiten 14 bis 17. Passend zum Beginn der Sommerseme-sterferien haben unsere Redakteure und Redakteurinnen eine Reihe von zwar etwas weniger bekannten, aber dafür umso loh-nenswerteren Ausfl ugstipps für das schöne Land Brandenburg zusammengetragen. Ein paar Gedanken zur gescheiterten Exzel-lenzinitiative für die Viadrina werden aus studentischer Sicht auf Seite 10 geschildert. Außerdem haben wir auch wieder einen Comic unseres Haus- und Hof-Malermeisters für euch (S. 9) und auch weiterhin ganz genau dem Zuggefl üster im RE1 zugehört (S.18). Die Vivadrina-Ausgabe Juli 2012 bietet also wieder eine ganze Menge zu lesen für die freie Zeit zwischen Sommer- und Wintersemester.Wir wünschen euch allen schöne, erholsame Semesterferien und viel Erfolg bei euren etwaigen persönlichen Aufständen,ob groß oder klein.

Eure Redaktion

Wir danken allen, die das Erscheinen der Zeitung möglich gemacht haben. Besonderen Dank an AStA und StuPa der Europa-Uni-versität Viadrina, die wichtige Förderer sind. Wir weisen darauf hin, dass die Artikel nicht zwangsläufi g die Meinung der Redaktion widerspiegeln. Die Redaktion behält sich vor, Beiträge und Leserbriefe sinnwahrend zu kürzen. Interessierte, Aufgebrachte oder Besucher sind auch jederzeit bei den wöchentlichen Redaktionskonferenzen, dienstags 18 Uhr im Medienkomplex willkommen.

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Diese Ausgabe ist (dieses Malkostenlos) erhältlich:

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Impressum

Vorwort

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Titel 3Titel 3

Inspiriert durch den Sturz des tunesischen Diktators Ben Ali nahmen auch die Ägypter*innen ihr Schicksal selbst in die Hand. Der Tahrir-Platz in Kairo, wo die größte Demonstration gegen das Regime stattfand, wurde zum Symbol des arabischen Frühlings. Am 11. Februar 2011 schließlich trat Staatspräsident Muhammad Husni Mubarak ab und machte damit den Weg frei für eine neue Ordnung.

DER LANGE WEG ZUR REVOLUTION

Für viele Außenstehende begannen die Proteste erst im Januar 2011. Dabei ha-ben die Ägypter*innen schon viel früher begonnen soziale und politische Rechte einzufordern. Neben der fehlenden De-mokratie waren vor allem soziale Un-gleichheiten und Nahrungsmittelkrisen ursächlich für die über Jahre anhaltenden sozialen Spannungen. Im Zeitraum von 2004 bis 2008 beispielsweise beteiligten sich knapp zwei Millionen ägyptische Arbeiter*innen an bis zu 1900 Streiks. Hinzu kam, dass durch stagnierende Reallöhne und steigende Lebensmittel-preise die Mittelschicht immer kleiner wurde. Die Lebensmittelpreise , welche zunehmend vom kapitalistischen Welt-markt bestimmt wurden, sind damit ein großer Faktor für die Entstehung von Un-ruhen in Ägypten. Nicht verwunderlich ist angesichts dessen die Forderung nach Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Ein ägyptischer Arbeiter drückte dies folgendermaßen aus: „Wir hoffen auf ein neues Ägypten, ein großes Ägypten, wo alle Arbeiter ihre eigenen unabhän-gigen Organisationen gründen und alle Bauern ihre eigenen unabhängigen In-teressenvertretungen. Das ist wahre Un-abhängigkeit in Ägypten, und der Wille des ägyptischen Volkes ist stärker als der des ägyptischen Geschäftsmannes “. Die Revolution von 2011 ist daher nicht als Startpunkt, sondern als (bisheriger) Hö-hepunkt des Klassenkampfes in Ägypten zu sehen. Zentraler Faktor war hierbei die Verbindung von sozialen und politischen Forderungen. Eine wesentliche Stütze der arabischen Regime war der Verzicht auf politische Rechte im Austausch für wohl-fahrtsstaatliche Leistungen. Angesichts der Massenverarmung und politischen Exklusion wollten viele Ägypter*innen diesen „autoritären Sozialvertrag“ nicht mehr hinnehmen.

SELBST-ORGANISATION ALS

SCHLÜSSELZUM ERFOLG

Die Situation der Ägypter*innen war seit Jahren katastro-phal. Nahrungsmit-telversorgung und In-frastruktur waren un-genügend. Doch aus der Not machten die Ägypter*innen eine Tugend. Anstatt weiter auf Besserung durch das Regime zu hof-fen, organisierten sie sich selbst. Durch Im-provisation gelang es zum Beispiel in Groß-städten eine dezentra-le, alternative Strom- und Wasserversorgung zu installieren. Auch Telefon und Internet wurden zunehmend selbst organisiert. Auf dem Tahrir-Platz schließlich organisierten die Menschen wochenlange Massenproteste. Die Hoff-nung des Regimes, dass die Menschen nach ein paar Tagen wieder nach Hause gehen würden, erfüllte sich nicht. Auch massive Übergriffe des Regimes konnten die Ägypter*innen nicht davon abhalten weiter für ihre Forderungen auf die Stra-ße zu gehen.

WIE WEITER?

Nach dem Rücktritts Mubaraks übernahm ein Rat des Militärs die Macht, welches traditionell eine starke innenpolitische Rolle spielt. Nach den ersten freien Wahl-en soll ein verfassungsgebender Prozess eingeleitet werden. Viele Revolutionäre des Tahrir-Platzes sind jedoch unzufrie-

den mit dem bisherigen Prozess. Sie kri-tisieren die starke Rolle des Militärs und befürchten, dass sich ihre Forderungen und Träume nicht erfüllen. Klar ist, dass die sozialen Spannungen weiter beste-hen. Ein echter politischer und sozialer Neuanfang kann nur gelingen, wenn sich Ägypten vom Militär und vom Kapitalis-mus emanzipiert. Gesellschaftliche Ord-nungen sind von Menschen geschaffen und können auch wieder von Menschen geändert werden. Die Ägypter*innen sind mit ihrer Revolution von unten, ih-rer Forderung nach politischer und sozi-aler Selbstbestimmung noch lange nicht am Ende. Die ersten Schritte des Wider-standes sind jedoch gegangen.

Ronny Dieringdielinke.SDS Viadrina

Kifaya – Es reicht!

Berichtet live aus Ägypten: Vivadrina-KorrespondentRonny Diering. Foto: privat

Über den Erfolg der ägyptischen Revolution

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4 Titel4 Titel

Pussy Riots

Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit - übersetzt ins Russische - Kontrolle der Medien, unbefristete Untersuchungshaft und jahrelange Gefängnisstrafen. Demokratische Werte werden einem in Russland nicht auf dem Silbertablett serviert. Wer darum kämpft muss mit harten Rück-schlägen rechnen. Regierungskritiker werden durch staatliche Repressionen zum Schweigen ge-bracht.

„Heilige Mutter Maria, jagt Putin weg“, kreischten die jungen Frauen der rus-sischen Punkband Pussy Riot in die Mi-kros bei einem nicht genehmigten Auf-tritt auf dem Roten Platz. Kurz darauf fl o-hen sie vor der Polizei. Dies geschah am 21. Februar, ein Tag vor den Präsident-schaftswahlen. Mit bunten Sturmhau-ben und kurzen Kleidern protestierten die Feministinnen gegen Putin. In der Nacht traten sie ein weiteres Mal auf. In der Christ-Erlöser-Kathedrale in Mos-kau predigten sie vor dem Altarraum „Gottesmutter, ver-treibe Putin“, be-kreuzigten sich und warfen sich nieder. Auch dieser Auftritt wurde nach kurzer Zeit von der Polizei gestürmt. Die mut-maßlichen Teilneh-merinnen wurden verhaftet, des Hoo-liganismus und des Schüren religiösen Hasses beschul-digt. Der weitrei-chende Artikel des russischen Strafge-setzbuches sieht bis zu 7 Jahren Haft für die jungen Frauen und Mütter vor.

Des Weiteren wird Nadjeschda Tolokon-nikown, Maria Aleckina und Jekaterina Samuzewitsch vorgeworfen, die Kathe-drale durch ihre Gotteslästerung entweiht zu haben. Doch diese beschuldigen Patri-arch Kirill selbst die Kirche zu entwei-hen. „Er glaubt an Putin - besser wärs, er glaubt an Gott.“ Die feministische Band kritisiert die fehlende Trennung von Staat und Kirche. Angeblich befi ndet sich im Keller der Kathedrale eine Autowasch-anlage und die Räumlichkeiten werden zu Privatfeiern vermietet.

Die gewünschte Aufmerksamkeit errei-chen die Protestanten vor allem über das Internet. Über Facebook, Twitter, Youtu-be & Co verbreiten sie ihre Meinungen

und Videos der Auftritte. In der Mos-kauer U-Bahn verteilen und verlasen sie ihr Manifest. Kontrollierte Medien und Auftrittsverbote machen es Protestgrup-pen in Russland schwer, ihre Ansichten öffentlich zu vertreten. Illegale Auftritte und Veröffentlichungen im Internet sind daher bevorzugte Maßnahmen.

Die drei Frauen werden nach einer Ge-richtsentscheidung bis zum 24. Juli in Untersuchungshaft bleiben - ganze fünf

Monate. In dieser Zeit wurde bekannt, dass kaum Ermittlungsarbeiten durch-geführt wurden, auch keine Verhöre der Bandmitglieder. Die Beschuldigten sit-zen umsonst ihre Zeit in der Untersu-chungshaft ab. Bisherige Ermittlungen gegen die Protestanten gelten als nicht stichhaltig. Die Ermittlungen stützen sich auf die veröffentlichten Videos der Protestaktionen. Den Straftatbestand wollen dir Ermittler jedoch mit den In-halten der Kommentare zu den Videos beweisen. Diese stammen aber von ano-nymen Internetnutzern. In den Videos selbst ist kein Straftatbestand nachweis-bar. In ihnen ist weder ein Aufruf zu Hass gegenüber bestimmten sozialen Minder-heiten nachweisbar, noch propagierten sie die Minderwertigkeit der Gläubigen. Minderheiten wurden nicht beschimpft

oder diskriminiert aufgrund religiöser Charakteristika. Die Beschuldigten werden in der Unter-suchungshaft unbegründet festgehalten – ihr eigentliches Vergehen: Kritik an Pu-tin. Ein Grundrecht wie Meinungsfreiheit ist da nicht relevant. Widersacher sind dem Staatsoberhaupt ein Dorn im Auge. Der wiedergewählte Präsident will bis 2024 an der Macht bleiben. Dank einer Verfassungsänderung unter Medwedjew wurde die Amtszeit des Präsidenten auf

6 Jahre verlän-gert. Zu den er-sten Amtshand-lungen gehört die Unterzeich-nung eines um-strittenen Ver-sammlungsge-setzes. Putin bezeichnet es als Schutz der Bürger, Men-s c h e n r e c h t -ler als verfas-sungsfeindlich, Teilnehmer an einer illegalen Demonstrati-on werden nun mit sehr hohen G e l d s t r a f e n

oder gemeinnütziger Arbeit bestraft. Als Zuwiderhandlung werden bereits Stö-rungen im Straßenverkehr und das Tra-gen von Masken geahndet. Dass dieses Gesetz dem Schutz der Bevölkerung dient ist unwahrscheinlich, Proteste ge-gen das Staatsoberhaupt zu unterdrücken das eigentliche Ziel.

Wie lange die Mitglieder der Pussy Ri-ots noch hinter Gittern bleiben ist ebenso ungewiss wie die Umsetzung der Men-schenrechte unter Putin. Solange das Al-pha-Männchen an der Macht ist, bedeutet Meinungsfreiheit nach seinem Mund zu reden, Versammlungsfreiheit Gefähr-dung der Bevölkerung und Pressefreiheit Zensur - На здорове!

Lisa Dreßler

Wurden in Untersuchungshaft gesperrt: Die feministische Punkband Pussy Riots protestiert gegen Putin. Foto: Igor Mukhin

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Titel 5Titel 5

Persönliche Aufstände

Der „Arabische Frühling“ rückte Länder in die europäische mediale Aufmerksamkeit, die der Durch-schnittsbürger vorher nur als Umriss auf einer Landkarte wahrnahm. Berichterstattungen überschla-gen sich und ein kurzweiliges Interesse entsteht. Andere Länder dagegen befi nden sich seit langem auf der Liste bekannter Missetäter oder Bündnispartner. Vorsichtiger Tadel und unerwartet starke Kompromissbereitschaft ist die resultierende Gradwanderung im Berichtston. Die Reaktion auf sol-che Nachrichten ist ausbalanciert zwischen Empathie und Voyeurismus, gewürzt mit einer Prise politischer Spekulation. Doch wie ändert sich die Reaktion bei fehlender Distanz zum fernen Land, das direkt in unser Wohnzimmer übertragen wird? In meinem Fall mit der endgültigen Trennung vom Land meiner Vorfahren…

In Russland geboren, in Deutschland auf-gewachsen, bin ich weder „richtig rus-sisch“ noch „richtig deutsch“. So wie man das Kind zweier Eltern ist, ist meine Per-sönlichkeit das Produkt zweier Sozialisa-tionsprozesse, die parallel im russischem Wohnzimmer und an deutschen Schulen liefen. Ein Platz zwischen den Stühlen, weder hier noch da. Unverständnis für die deutsche Brotzeit und fehlende Identifi ka-tion mit dem russischen Selbstverständnis der Frau sind das Resultat.Glückliche politische Umstände erwei-terten jedoch wortwörtlich meinen Ho-rizont, in dem sie mir zwei Reisepässe bescherten. Die doppelte Staatsbürger-schaft – bis jetzt ein bürokratisches Ab-bilden meiner inneren Zugehörigkeit. Der Respekt vor beiden Kulturen und deren Einfl uss. Nur eine von beiden reicht nicht aus, um mich mit ihr zu identifi zieren. Die erste ist meine Wurzel, die zweite meine Ausprägung. Eine Tatsache, auf die ich stolz bin. Beziehungsweise war. Bis zum 7. März 2012. Genauer bis um 7:12 Uhr dieses Tages. Die Nachrichten, sonst eine Geräuschku-lisse für mein schläfriges Gehirn, zeigten Putins Einzug in den Kreml. Demons-tranten auf dem Roten Platz und eine Mau-er schwarzgekleideter Einsatzkräfte, die ohne Provokation mit äußerster Brutalität auf die Masse einschlugen. Begleitet wur-den diese Bilder durch die neutrale Stim-me des Nachrichtensprechers, der von „et-was übertrieben eingesetzter Gewalt bei der Kontrolle der Demonstration“ sprach. Die vorsichtige Ausdrucksweise wenn es um politische Bündnispartner geht… da-bei waren Verharmlosungen unangemes-sen, gerade im Kontrast zur Diskussion um Julia Timoschenko, die als Einzel-person Diskussion um Menschenrechts-verletzungen entfacht. Sie stehen ebenso im Kontrast zum arabischen Frühling, bei dem fast identische Aufnahmen, nur wenige Monate zuvor, mit Empörung zur Menschenrechtsverletzung und extremer Kritik an Brutalität des Regimes kommen-

tiert wurden. Die restriktive Politik zur Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit inRussland ist nichts Neues – der offene Pro-test dagegen schon. Während die Aktion der Pussy Riots (siehe Seite 4) ein Akt der gezielten Provokation mit einem vorher-sehbaren und schlagzeilenträchtigen Er-gebnis ist, läuft der Kampf um die Mei-nungsfreiheit stetig im Hintergrund. Nur wenige Ereignisse schaffen es in die inter-nationalen Nachrichten. Das letzte Ereig-nis, das eine öffentliche Diskussion ver-ursachte, war der Mord an der politischen Journalistin Anna Politkowskaja im Okto-ber 2006. Was damals für Aufsehen sorgte, war nicht der Tötungsakt selbst, sondern das offenkundige Motiv eine oppositio-nelle Stimme zum Schweigen zu bringen, was nicht einmal pro forma verschleiert wurde.Dabei war weder die Verhaftung einer kri-tischen Stimme, noch deren endgültiges Verstummen ein Einzelfall, doch genaue Angaben sind gerade bei dem einge-schränkten Informationsfl uss schwer zu fi nden. Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ spricht von 26 getöteten Journa-listen seit Putins Amtsantritt, die „Interna-tionale Gesellschaft für Menschenrechte“ spricht bereits 2008 von 115 Morden und weiten 440 gewalttätigen Übergriffen mit Tötungsabsicht. Diese Zahlen sind auch ein Abbild der bis vor kurzem herrschenden Zustände. Kri-tik an der Regierung wurde vereinzelt in den wenigen freien Medien geübt, das Ri-siko, das damit einherging, war hoch. Eine organisierte Massenbewegung schien unmöglich. Eine russische Soziologie-studentin gab mir vor zwei Jahren eine treffende Zusammenfassung: „Wir müs-sen immer Lachen wenn wir von naiven Europäern hören, ‚wehrt euch doch wenn etwas nicht passt. Warum veranstaltet ihr keine Demonstration?‘ Bringt doch eh nichts, warum soll ich da meinen Arsch riskieren.“Diese Stimmung hat sich gewandelt. Im

Gespräch mit einer Studentin, deren Ab-reise aus Moskau nicht so lange zurück-liegt, bestätigt sich das Bild, das unsere Generation sich auch in Russland für Ver-änderung einsetzt. Sie meinte, die protes-tierenden Studenten fühlten sich „zum ersten Mal wie Europäer, die ihre Mei-nung bei einer Demonstration ohne Angst äußern konnten.“ Wie sich herausstellt, eine trügerische Einschätzung. Dennoch ist allein bereits dieser einzelne Gedanke, in der Situation, in dem ursprünglichsten Sinne des Wortes, revolutionär.Putin sieht sich nicht als Vertretung des Volkes, sondern als deren Eigentümer. Ausreiseverbote und Republikfl ucht – für mich als europäischen Weltenbumm-ler Relikte eines alten Regimes – sind im herrschenden System aktuelle Vorstel-lungen. Staatsfeinde bedrohen nicht den Staat, sondern deren Führung. So wird je-der Demonstrant zum Feind, der bekämpft werden muss.All das sind Nachwirkungen und Ana-lysen meiner Reaktion auf die oben ge-nannten Szenen. Mein erster Impuls war für mich ebenso überraschend wie emoti-onal – eine tiefe Abscheu gepaart mit der Entscheidung die russische Staatsbürger-schaft abzugeben. Ich bin und bleibe wei-terhin russisch, Adjektiv, die Ansamm-lung von kulturellen Eigenschaften, die über Generationen akkumuliert, mutiert und übertragen wurden. Ich weigere mich jedoch weiterhin Russin zu sein, Sub-stantiv, Eigentum des derzeitigen poli-tischen Apparates. Es ist eine persönliche Entscheidung, weder politisch einfl uss-reich, noch symbolträchtig, eine kleine Änderung in der Datenbank, eine Zahl weniger in der Bevölkerungsstatistik, die vermeintlich hinter der Politik steht. Das ist meine sehr persönliche Form des Auf-standes, die einzige Lösung, die ich sehe, im Konfl ikt zwischen der Verbundenheit zu den Menschen im Land und der Ableh-nung der Politik. Natalia Polikapova

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Exzellenz, sind Sie Zuhause?

NUN DOCH KEINE STATUSPANIK MIT DYSFUNKTIONALEN EFFEKTEN?1

Seit nun sicher einem Jahr gab es in der akademischen Mitverwaltung und auch unter den aktiven Studierenden ein be-stimmendes Thema: Die Exzellenziniti-ative bei uns in Frankfurt.Gefesselt von der Magie des Wett-kampfes wurden Konzepte geschrie-ben, polemische Kritiken formuliert und in der Diskussionsreihe „Exzellenz in motion“, unter der Organisation von Studierenden, kritisch über mögliche Konsequenzen aber auch Chancen mit den Antragssteller_innen debattiert. All dies scheint nach dem 15. Juni belanglos. Die mediale Aufmerksamkeit zog an der Viadrina vorbei. Das wissenschaftliche Deutschland würdigte den Clusterantrag mit keinem Blick.Hier soll kurz dargelegt werden, in wel-chem Rahmen Gelder des Exzellenzwett-bewerbes an die Viadrina geholt werden sollten und welche Konsequenzen dies für Forschung und Lehre ge-habt hätte.

DAS EXZELLENZCLUSTER ALS TEIL DER EXZELLEN-

ZINITIATIVE

Die Exzellenzinitiative wur-de 2005 vom Bund initiiert. Neben der dritten Förderli-nie ganzer Exzellenzuniver-sitäten gab es noch die Mög-lichkeit Konzepte für Gra-duiertenschulen und Cluster einzureichen. Insgesamt sind 37 Cluster in beiden bishe-rigen Runden gefördert wor-den; die durchschnittliche Förderhöhe pro Cluster lag bei jährlich 6,5 Mio. Euro, ihre Förderdauer bei fünf Jahren. Bei der Bewilligung wurde nicht etwa die bereits

geleistete exzellente Forschung, sondern der Plan in Zukunft diese leisten zu kön-nen, bewertet und gefördert.In der dritten und letzten Antragsrunde hatte der Bewilligungsausschuss bei den Exzellenzclustern über 64 Anträge zu ent-scheiden.2 Insgesamt wurden 67 Prozent aller Anträge für Exzellenzcluster bewil-ligt, dabei beträgt die Bewilligungsquote bei den Fortsetzungsanträgen 84 Prozent und bei den Neubewerbungen 44 Pro-zent.3 Damit wird deutlich, dass es in der dritten Runde verhältnismäßig schwer war, als Neuantragsstellerin in die För-derlinie aufgenommen zu werden.

Die Exzellenzcluster zielen auf eine themenorientierte und interdisziplinäre Förderung von Spitzenforschung ab und sollen das Gesamtprofi l der Universität schärfen.4 Gerade an der Viadrina be-stimmt das beantragte Cluster das Profi l vor allem der kulturwissenschaftlichen Fakultät erheblich und es wäre bei der Umsetzung davon auszugehen, dass

das kulturwissenschaftliche Studium in Frankfurt in 10 Jahren in erster Linie von den areastudis und der Grenzraum-forschung dominiert ist. Obwohl die vor einem Jahr eingesetzte Hochschulst-rukturkommission der Brandenburger Landesregierung zu ähnlichen Empfeh-lungen kommt gilt es nun trotz abge-lehnten Antrags eine Profi ldebatte mit Beteiligung aller Statusgruppen tatsäch-lich voranzutreiben. Wenn das Ergebnis dann im Bezug auf die KuWis den An-satz des Antrags widerspiegelt, wäre dies nach zwanzig Jahren eine Annäherung an die Gründungsdenkschrift5 und eine in der ganzen Fakultät anerkannte Profi l-schärfung; eine andere Ausrichtung wäre bei einem Diskussionsprozess aber auch denkbar. Für die juristische und vor allem die wirtschaftswissenschaftliche Fakul-tät reicht eine Beteiligung am Cluster-konzept bei alternativer Umsetzung dessen bei weitem nicht aus, wenn die Gedanken der Hochschulstrukturkom-mission aufgegriffen werden sollen.

Es war eine große Enttäuschung als die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) am 15. Juni bekanntgab, dass die Europa-Universität Viadrina nicht zu den neuen exzellenten Universitäten Deutschlands gehören wird. Achtzehn Professoren und Dutzende Mitarbeiter aus allen Fakultäten investierten ihre Zeit in das Forschungsthema „Borders in motion - Grenzen und Ordnungen in Bewegung“, mit dem sie auch auf den Gründungsgedanken der Viadrina Bezug nahmen. Die Ex-zellenzinitiative von Bund und Ländern besteht aus drei Förderlinien: den Graduiertenschulen zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, den Zukunftskonzepten zum projektbezogenen Ausbau der universitären Spitzenforschung und den Exzellenzcluster zur Förderung der Spitzen-forschung - bei dem es die Viadrina bis in die Endrunde schaffte.

Ausgaben je Studierender laut Bericht der Hochschulstrukturkommission S. 66

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Grundsätzlich war es die Chance des Clusters, erhebliche zusätzliche Mit-tel an die Viadrina zu holen, wobei die Weiterfi nanzierung über den Förderzeit-raum hinaus aus den eigenen Mitteln und damit nur durch Kürzungen in an-deren Bereichen zu stemmen gewesen wäre, was Ausdruck der mit dem Clu-ster implizierten Profi lierung ist. Nun kann die Hochschulleitung sich von der Idee der Elitenförderung verabschieden und ohne Statusunterschiede im Ver-bund aller Brandenburger Universitäten endlich für den Ausbau der grundstän-digen Finanzierung kämpfen, sodass die Brandenburger Bildungslandschaft perspektivisch die letzten Plätze bei den Bildungsausgaben verlassen kann [sie-he Grafi k links]. Ein weiteres, zeitlich befristetes Überbrückungsprogramm kann dabei nicht die Lösung sein, um der strukturellen Unterfi nanzierung der Brandenburger Universitäten entgegen zu wirken. Vielmehr muss es nun end-lich unabhängig leidiger Elitediskussi-onen darum gehen die Voraussetzungen für ein breites Bildungsangebot in Bran-denburg zu schaffen. Sparziele, auch im Verwaltungsapparat, sind völlig fehl am Platz und werden den Ansprüchen und steigenden Studierendenzahlen nicht ge-recht.

WAS ENTGEHT UNS – WOVONBLEIBEN WIR VERSCHONT?

Auch wenn sich im Konkurrenz- und Elitedenken im Sinne eines funktionie-renden Marktes ohnehin die wirklich in-novative Forschung und wirklich guten Forscher durchsetzen würden, hätte das Label eines Exzellenzclusters unwider-sprochen die Reputation der Viadrina gestärkt. Nicht nur, weil leistungsorien-tierte Abiturient_innen lieber auf eine ge-labelte Universität gehen, sondern auch mögliche Kooperationspartner ihre Wahl

vereinfachen, indem sie auf bekannte La-bels zurückgreifen, ohne eine spezifi sche Auswahl zu treffen.Allein die Tatsache, dass im Rahmen des Exzellenzclusters zusätzliche Dok-torandenplätze fi nanziert worden wä-ren, hat die ein oder andere Absolventin von einem (sogar exzellenten) Plätzchen im engen Platzkampf der wissenschaft-lichen Laufbahn träumen lassen. An dem Großteil der Studierenden aber wäre das

Exzellenzcluster wohl, ähnlich wie eine Vielzahl von vermeintlich zusätzlichen Bildungsaspekten des Studiums, unbe-achtet vorbeigegangen, obwohl sie sich selbst als Exzellenzen begriffen hätten. In der Märkischen Oderzeitung sprach Herr Pleuger, Präsident der Europa-Uni-versität Viadrina, am 13.02. davon, dass alle Studierenden von der Exzellenziniti-ative profi tierten, da sie die Vorlesungen der Exzellenzen besuchten.6 In der Re-

alität wäre es aber wohl darauf hinaus-gelaufen, dass die Erfüllung der for-schungsorientierten Exzellenzcluster-vorhaben nur mit massiver Lehrde-putatsminderung7 zu leisten gewesen wäre, worauf die kurz vor der Beru-fung stehende Juni-orprofessur für ver-gleichende KulQuelle: Hochschulstrukturkommissionsbericht S. 43

Quelle: Hochschulstrukturkommissionsbericht

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tur- und Sozialanthro-pologie spätmoder-ner Gesellschaften (vgl. die Denomina-tion vom leitenden Antragssteller Herrn Schiffauer: Profes-sur für vergleichende Kultur- und Sozi-alanthropologie) und die bereits in der Or-ganisationsphase des Clusters verminderte Lehre der Antrags-steller_innen hinge-wiesen haben. Unter Berücksichtigung der seit Jahren steigenden Studierendenzahlen und der in ganz Brandenburg verheerenden Betreuungs-verhältnisse [siehe Grafi k], erscheint einem eine solche Aussage daher als zy-nisch. Gerade im Bezug auf die Lehrka-pazitäten wird deutlich, dass es naiv ist zu glauben, immer mehr Studierende, die kürzer auf dem Gymnasium waren und nebenbei jobben, zu konstanten Kosten bei gleichzeitiger Intensivierung der For-schung, bilden zu können. Mehr als eine profane Ausbildung der Studierenden und eine Steigerung der Forschungsan-tragsaktivitäten auf Seiten der Profes-soren, darf bei der aktuellen fi nanziellen Ausstattung auch vom Brandenburger Ministerium nicht erwartet werden.So ist auch die exzellente Forschung bis jetzt nur exzellente Antragsstellung und statt eigene Impulse zu setzen, wird bei der Drittmittelakquise zumeist in der Hoffnung, dem aktuellen common sen-se zu entsprechen, nur einem vermeint-lichen Trend hinterher gehechelt. Wirk-

liche Exzellenzen bewegen sich abseits der aktuellen politischen Forschungsauf-träge, entwickeln eigene Lösungsansät-ze für Probleme, die sich gerade erst ab-zeichnen und sind auf keinen Fall zeitlich befristet. Wäre beispielsweise die wirt-schaftswissenschaftliche Fakultät ihrem ursprünglichen Gründungsauftrag ge-folgt und wäre um die Jahrtausendwende nicht dem damaligen Trend zur Stärkung der eurozentrischen Betriebswirtschafts-lehre nachgegangen, dann könnten even-tuell jetzt von der Viadrina wichtige Im-pulse und Antworten rund um die Mittel- und Osteuropäischen Volkswirtschaften und deren fi nanzielle Chancen und Ri-siken bezüglich einer weiteren Erweite-rung der Euroregion gegeben werden.Der Antragsprozess hat unbestritten ei-nen Ruck in unserer Universität initi-iert. Unabhängig der Feststellung, dass es bezeichnend ist, dass zur Umsetzung des Gründungsauftrages bzw. dessen Weiterdenken, externe Impulse in die-

sem Maße nötig waren, besteht nun ohne das bewilligte Cluster die Chance, ohne Statuspanik einzelner konkurrierender Lehrstühle, gemeinsam das Profi l und die Stärken der Viadrina zu konturie-ren. Denn dort wo es Exzellenzen gibt, würde es auch unabhängig der löblichen Diskussion über die Erweiterung der PI-Liste (Principal Investigators, antragsbe-rechtigt) auch Verlierer geben.

Für Labelfreunde noch was Versöhn-liches am Ende. Zwar nicht die Viadri-na, aber unsere Region ist seit einem guten Jahr angesichts exzellenter Inno-vationsförderung in zukunftsträchtigen Wirtschaftsfeldern von Barroso ernann-te „Exzellenz-Region“. Nun bleibt uns wenigstens die exzellente Pleite erspart. Wünschen wir es keinem der erfolg-reichen Forschungsprojekte, doch sehen wir es als Mahnung, dass alleine die Aus-zeichnung nicht existenzsichernd ist. Kai Goll

Fußnoten (letzter Zugriff bei allen Internetadressen: 18.06.2012):

1 Prof. Dr. Heinz Bude: Lehrstuhl für Makrosoziologie, Uni Kassel http://www.youtube.com/watch?v=X7M9vifCUF0

2 Unter den 64 Clusteranträgen waren 37 Fortsetzungsanträge und 27 Neuanträge. Von den 43 bewilligten Anträgen waren 31 Fortsetzungsanträge und 12 Neuanträge. Die Gesamtbewilligungsquote liegt bei 67%, wobei 84 % der Fortsetzungsanträge und 44% der Neuanträge erfolgreich waren.

3 PM der DFG vom 15.06.2012. http://www.dfg.de/service/presse/pressemitteilungen/2012/pressemitteilung_nr_26/index.html

4 Studien zum deutschen Innovationssystem Nr. 16-2012 S. 121http://www.e-fi .de/fi leadmin/Innovationsstudien_2012/StuDIS_16_ZEW_WZB_Joanneum_ISI.pdf

5 In der Gründungsdenkschrift wurde der Gründungsgedanke der Viadrina festgehalten: Sie sollte international sein (eine Brücke zwischen Ost- und Westeuropa) und Impulse für die gesamteuropäische Integration geben. Sie sollte interdisziplinär sein, mit den Kulturwis-senschaften als Brücke zwischen den Fakultäten. Außerdem sollte sie zur Entwicklung der Regionen auf beiden Seiten der Oder beitragen, sowie die deutsch-polnische Zusammenarbeit, vor Allem auf dem Gebiet der Wissenschaft und der Kultur fördern.

6 http://www.moz.de/artikel-ansicht/dg/0/1/1009002

7 Lehrdeputatsminderung: Reduzierung der Zeit die Lehrer_innen und wissenschaftliche Mitarbeiter_innen mit Lehren verbringen.

Betreuungsrelation laut Bericht der Hochschulstrukturkommission S. 57

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Wider den Aufschub!

Es ist ein Dienstagnachmittag, die Tem-peraturen sind sommerlich, als Lara das Schreibzentrum betritt. „Ein gemüt-licher Raum!“, bemerkt sie, während sie die Bücherregale, die Sofa-Ecke und den mit Kaffee und Keksen gedeckten Tisch betrachtet. Sie ist eine der Teilneh-mer_innen an diesem Nachmittag, die in einem vier-stündigen Workshop etwas zum Schreiben von Abschlussarbeiten lernen möchte. Im Fokus steht: Zeitma-nagement. Sie studiert bereits im Master

und steht kurz vor der Abschlussarbeit. „Ich schreibe eigentlich gern, habe aber am Ende immer zu wenig Zeit“, erklärt sie. Timo steht vor einer anderen Heraus-forderung: Er muss bald seine Bachelor-Arbeit schreiben, um sein BWL-Studiumabzuschließen. Texte verfassen musste er dort so gut wie nie und wenn, dann saß ihm oft auch die Zeit im Nacken. „Meistens habe ich mich dann eine Wo-che zu Hause eingeschlossen, viel Kaffee getrunken und geraucht und die Nächte durchgemacht.“

Tatsächlich kennen die meisten Studie-

renden den Zustand, unter extremen Zeit-druck eine Hausarbeit fertig zu stellen, den Essay in der Nacht vor dem Abga-betermin zu schreiben oder ein Referat im Zug vorzubereiten. Was für kleinere Schreibprojekte meist gerade so funkti-oniert, kann bei einem großen Vorhaben wie z.B. der Abschlussarbeit schnell zur Überforderung werden. Da muss man über einen langen Zeitraum sehr diszipli-niert an einem Text arbeiten ohne schnel-le Erfolgserlebnisse zu haben. Wer sich

über Wo-chen mit viel Stress zu Hause einsperrt , verliert die M o t i v a -tion und hat nicht selten mit Ängsten zu kämpfen.

Was aber kann man d a g e g e n tun? Das n ä c h s t e Mal früher anfangen, besser pla-nen, Puffer

einbauen. Ein guter Vorsatz, der nur all-zu schnell wieder in Vergessenheit gerät. Um Stress zu vermeiden, qualitativ bes-sere Texte zu schreiben und vor allem den Spaß am Schreiben nicht zu verlieren, sollte man sich ehrlich fragen, was einen davon abhält, frühzeitig anzufangen. Die Ursachen für das Aufschieben können sehr unterschiedlich sein: Manch einer kämpft mit Unlust, andere wissen nicht, wie man am besten anfängt, wieder ande-re sammeln Literatur über Literatur aus der Angst heraus etwas nicht zu wissen.Im Workshop zum Schreiben von Ab-schlussarbeiten überprüfen die Teilneh-

mer_innen ihre Motivation, Erwartungen an sich selbst und Erwartungen von an-deren. Anhand eines Schreibprozessmo-dels und ihrem persönlichen Terminka-lender versuchen sie anschließend einen langfristigen Zeitplan zu entwerfen. Das Planen über mehrere Wochen fällt nicht leicht, hilft aber einen Überblick zu be-kommen. Zu hoch gesteckte Ziele kön-nen frustrieren und gerade dann, wenn man einmal nicht vorankommt, verliert man schnell die Geduld. Umso wich-tiger ist es, das eigene Schreibverhalten zu kennen und realistische Etappenziele festzulegen. Während des Workshops werden Methoden ausprobiert, die helfen können, ins Schreiben zu kommen, Ideen zu sammeln und zu strukturieren. „Das Freewriting, also das Schreiben ohne den Stift abzusetzen, ist zwar gewöhnungs-bedürftig, aber ich kann mir jetzt vorstel-len, dass man dabei schneller einen Sach-verhalt mit eigenen Worten ausdrücken kann.“, bemerkt Timo nach einer Übung. Lara nimmt sich vor, ab jetzt ein wissen-schaftliches Journal – eine Art Tagebuch für die Abschlussarbeit – anzufangen. „Ich dachte immer, mir geht durch so et-was zu viel Zeit verloren, aber ich glau-be, im Endeffekt kommt man schneller voran, wenn man zu Beginn und Ende der Arbeitszeit kurz notiert, woran man gerade arbeitet, welche Fragen man hat und wo man weiter arbeiten will.“Fest steht, dass man diese Art des wis-senschaftlichen Arbeitens, ebenso wie das Schreiben selbst, üben muss. „Hät-te ich früher damit angefangen, mein Schreiben zu organisieren, wäre mir die Bachelor-Arbeit bestimmt leichter gefal-len.“, bemerkt Pawel, ein Teilnehmer, der bereits im Master studiert. Es bietet sich also an, auch bei kleineren Schreibpro-jekten wie Hausarbeiten bereits ein Be-wusstsein dafür zu entwickeln, wie man ein Schreibprojekt organisieren kann.

Lene Albrecht

Informationen zu den Workshops, genaue Zeiten und Anmeldung unter: www.europa-uni.de/schreibzentrumIndividuelle Beratung fi ndet ihr in der Schreibsprechstunde: Im Semester Montag, Mittwoch, Donnerstag, 13.00-14.00 Uhr im Schreibzentrum (AB 115) und dienstags in der Bibliothek.

Das Aufschieben von Schreibarbeiten für die Uni kann ganz unterschiedliche Gründe haben. In die-sem Semester bietet das Schreibzentrum unter dem Motto „Komm mal auf den Punkt.“ kompakte Workshops zu einzelnen Schwerpunkten des akademischen Schreibens an: Von den Anfängen bis hin zum Überarbeiten von Texten.

Studierenden, die an Feedback zu ihren Texten interessiert sind oder Hilfe beim Schreibprozess brauchen, bietet das Schreibzentrum vielfältige Workshops und individuelle Beratung. Foto: Schreibzentrum

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Zu(g)gehörtAlltagsweisheiten und Beziehungstips aus dem RE 1

Kennt ihr sie, diese Gesprächsfetzen, die man manchmal im Zug auffängt, wenn die Nachbarn mal wieder zu laut reden? Meist amüsiert man sich dabei über den Unsinn, den die Mitreisenden so erzählen. Wir sammeln genau diesen alltäglichen Unsinn aus der RE1 in dieser Rubrik. Alle Zitate sind tatsächlich so gesagt und von uns fl eißig mitgeschrieben worden. Also Vorsicht walten lassen und auf die Grammatik achten, wenn ihr beim nächsten Mal im Zug zu laut redet: Vielleicht hört ein Vivadrina-Redakteur zu!

„Mensch, wenn man morgens zur Arbeit geht, dann geht man da doch ausgekackt und mit geladenem Handy hin.“-„A: Probier mal, der hier schmeckt wie Eistee. Mir schmecken die Kiwi-Ge-schmack nicht. Und Dir?B: Also ich mag die orangenen nicht. Die schmecken wie Kondome.“-„Mein Vater ist Arzt und hatte mal einen in Behandlung mit nem chronischen Ge-nitalekzem. Kannst Du Dir das vorstel-len? Chronisches Jucken an einer gewis-sen Stelle?“-„Ich weiß, dass ich schlecht Schlussma-chen kann - deshalb fange ich erst gar keine Beziehung an.“-„A: Wie genau ist eigentlich GPS?B: Weiß nicht. Vielleicht auf 1000m ge-nau?“-„Sie kann alles, sie hat‘s halt noch nie mit nem Mann probiert.“

-„A: ...hast Du gesehen? Sie hatte neulich ne Hose an, wo an der Mumu die Naht aufgerissen war.B: Ehy, ich hab Dir schon öfter gesagt, Du sollst solche Obszönitäten nicht sagen.A: Mmh, nur vier Mal.B: Wir kennen uns erst drei Tage.“-„Mein Portmornee ist weg - was ein Glück, dann kann ich‘s wenigstens nicht mehr verlieren.“-„Ostbrandenburg - Zwei Schimpfwörter in einem Wort...“-„Berlin isch kei Großstadt, i mein, ver-gleich des doch amol mit Kirchheim un-ter Teck: A Sbahn hent mir au.“-„A: Warum wohnst Du eigentlich nicht in Frankfurt/Oder?B: Hast Du dieses Foto von der Fami-lie am Frankfurter Bahnhof gesehen, die über der Eingangstür Werbung für die WohnBau macht? Das erste mal, wo ich

nach Frankfurt gekommen bin, hab ich die gesehen und denke seitdem, ich sehe irgendwann auch so aus wie die, wenn ich hierher ziehe.“ -„A: Mit was für ner Soße machst Du Dei-ne Spargel eigentlich?B: Mit Sauce Hollandaise. Und Du?A: Ich hab neulich Spargel mit Erdnuss-butter gemacht.B: Und, hats geschmeckt?A: Nein“-„Ich hab zu Hause ein Hochbett. Das hat so Querstreben, da kann ich mich beim Sex immer prima festhalten. Nur für mei-nen Freund ist es blöd, der stößt immer gegen die Decke, sobald er sich aufrich-tet. Deshalb muss er, wenn er bei mir ist, immer unten liegen.“-„A: Red mal nicht so laut. Die Leute hö-ren uns doch.B: Ja und? Was sollen sie denn machen? Mitschreiben oder was?“

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Hellsehen für Fortgeschrittene (4)

Der BWL-Studiengang abgeschafft, keine Grünen mehr im Studierendenparlament und kaum noch Lehre an der Viadrina? Alles noch nicht gehört? Die Vivadrina blickt erneut in die Zukunft und stellt mit großer Freude fest: Läuft klasse an der Viadrina, weiter so. Es geht wieder ans Eingemachte: Hellsehen für Fortgeschrittene!

WIR BEFINDEN UNS IM JAHR 2012+X.

Die Viadrina befi ndet sich seit mehreren Jahren im Kürzungszwang. Gekürzt wer-den hauptsächlich Personalkosten, wie es sich schon zu Beginn der bundesländ-lichen Zehn-Prozent-Kürzung im Bil-dungsbereich ankündigte. Folgen sind aber nicht nur schlechter ausge-stattete Lehrstühle, sondern sogar die Einsparung ganzer Lehrstühle. Krux der Sparungen war jüngst die Abschaffung des BWL-Studien-ganges, damit die Viadrina ihrer rein internationalen Ausrichtung vollends gerecht werden kann. Die Hemmschwelle dafür war denkbar gering, denn es gebe - so das Zen-trum für Strategie und Entwicklung (ZSE) der Viadrina - in der Regi-on genug Möglichkeiten, reine Be-triebswirtschaftslehre zu studieren. Um die Internationalität der Uni-versität weiter voranzutreiben, be-kam das Institut für transkulturelle Gesundheitswissenschaften sogar einen weiteren Lehrstuhl! Deutsch-landweit büßte die Viadrina dafür an Reputation ein, weil die Universi-tätsleitung offenbar damals ihre Oh-ren zuhielt, als das Institut für den umstrittenen Masterstudiengang „Kulturwissenschaften - Komple-mentäre Medizin“ regelmäßig durch den Kakao gezogen wurde. Die Schaffung neuer, umstrittener, privatfi nanzierter Lehrstühle riss indes nicht ab. Spätestens mit dem letzten Exzellenzzuschlag wur-den an der Viadrina fragwürdige Profes-suren gestartet. Die einst vorrausgesagte Fokusverschiebung von Lehre auf For-schung (Vivadrina 1/2011 „Studium In-ternationale“, S. 31) ist damit so richtig in Schwung gekommen.

In Schwung gekommen ist auch der Trend in der studentischen Selbstver-waltung, nach Amtsantritt zeitnah wie-der abzudanken. Einer der Höhepunkte dieser demokratielosen Unkultur war die Legislatur 2011/2012. Die Wahlleitung bedankte sich herzlich für ihre Anwesen-heitspfl icht bei fast jeder StuPa-Sitzung,

weil in der Besetzung der AStA-Referate alles andere als Kontinuität herrschte und eine AStA-Wahl auf fast jeder Tagesord-nung stand. Seit jeher ist zu befürchten, dass das Prinzip AStA dem Untergang geweiht ist, denn ohne ReferentInnen kein AStA...

Die oben vermisste Kontinuität war aber an anderer Stelle, nämlich in den vertre-tenen Fraktionen im StuPa, zu fi nden. Mit dem Rückzug der Grünen Hochschul-gruppe machten es sich die Mitglieder der Jungen Union auf den StuPa-Stühlen bequem. Vor den geistigen Augen einiger Veteranen der hiesigen Hochschulpolitik lief ein übler Film ab. Es war schlicht zu befürchten, dass alle grünen Belange, die Anfang des Jahrzehnts hart erkämpft wurden, nun in Vergessenheit geraten würden.

Apropos: Die gute alte Vollversammlung, die Achillesferse unserer studentischen Selbstverwaltung, gerät in Vergessenheit. Eigentlich schon ziemlich lange. Seit der engagierte politische Nachwuchs fehlt,

fehlen auch die Anwesenden bei der Voll-versammlung. Da ist das häufi ge Ärger-nis darüber, dass man nicht gleichzeitig zur Wiederholungsversammlung einge-laden hat (um wenigstens ansatzweise in den Bereich der Beschlussfähigkeit zu kommen), die Mühe kaum noch wert.

Ängstliche Schlauköpfe unter den Studis hörten von einem Horrosze-nario des Jahres 2010, als in dem zweiten Viadrina-Musical „Stupa-star“ einzig die Vollversammlung darüber entscheiden konnte, dass Studiengebühren an der Viadrina abgeschafft werden. Sollte jemals - so die Befürchtungen der Studis - die Universität auf die Idee kom-men, der gesamten Studierenden-schaft eine solch gewichtige Stim-me zu geben, sei der Untergang vorprogrammiert. In den Gängen, und hinter vorschlossenen Türen der Viadrina, wurde über ein drit-tes Musical getuschelt. Es sollte alle Register ziehen und mit den neusten Entwicklungen der Hoch-schullandschaft Deutschland ab-rechnen. Es herrscht nur die Sorge, dass die Skriptschreiber nach jah-relangem Untätigsein etwas aus der Übung gekommen sind.

Die Europa-Universität wurde vor einigen Jahren um das Seminar „Halb-wahrheiten im Schatten spekulativer Vermutungen“ ergänzt. Sinn dahinter war das bewusste Über-den-Tellerrand-schauen engstirniger Studierender, damit diese nicht in die Cliché-Schiene abdrif-ten, sondern ihr eigenes Schubladenden-ken beginnen zu hinterfragen. Das Semi-nar ist so beliebt, dass die angebotenen Seminarplätze noch nie ausgereicht ha-ben. Am engagiertesten im Kurs war ein gewisser Nostradomas, der mit Blicken in die Zukunft die eigene Gegenwart kri-tisierte.

Bis zum nächsten Mal,euer Nostradomas

Wer Hintergrundinfos haben will:[email protected]

Sieht schneller als sein Schatten: Hellseher Nostradomas(Profession: Prophet im eigenen Land) Foto: Michèlle Schubert

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