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DAS KULTURELLE GEDÄCHTNIS

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DAS KULTURELLEGEDÄCHTNIS

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12. NOVEMBER 2012

Das kulturelle Gedächtnis

theoretische Grundlagen

die DDR-Gesellschaft als Projekt

Fallbeispiel: DEFA-Spielfilme als Teil des visuellen kulturellen Gedächtnisses der DDR

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LITERATUR

Aleida Assmann (1993): Arbeit am nationalen Gedächtnis. Eine kurze Geschichte der deutschen Bildungsidee, Frankfurt/Main.

Jan Assmann (1992): Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München.

Hartmut Rosa (2010): Theorien der Gemeinschaft, Hamburg.

Harald Welzer (2002): Das soziale Gedächtnis. Geschichte, Erinnerung, Tradierung, München.

Stefan Zahlmann (2001): Körper und Konflikt. Filmische Gedächtniskultur in BRD und DDR seit den sechziger Jahren, Berlin.

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Was ist ein kulturelles Gedächtnis?

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Eine Weitergabe von Wissen durch Kultur.

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„WEITERGABE“

kult. Gedächtnis ist Ergebnis von Handlungen ≠ Sammlung, Katalog

„materialisiert“ in und assoziiert mit Praktiken und Orten, die Gültigkeit und Aktualität des k.G. dokumentieren

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„WISSEN“

die zu erinnernden Inhalte, die ein Sinnangebot an die Mitglieder der Gemeinschaft darstellen

trotz unterstellter kollektiver Gültigkeit und individueller Kenntnis können Inhalte individuell bedeutungslos sein, denn

Wissen gewinnt Legitimität durch „Lebensnähe“, „Alltagstauglichkeit“ = Konkretheit seiner Anschlußfähigkeit an individuelle Dispositionen

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„KULTUR“

ein k.G. ist kein neurologisches, organisches System, sondern rein artifiziell (und nicht selbstverständlich, es muss gestiftet werden)

gebunden an Erinnerungsmedien als Träger der Inhalte

ein k.G. ist nicht vererbbar; es gibt keine genetische Disposition, die Menschen mit einem k.G. verbindet

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Unselbstverständlichkeit eines kG

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WISSENSCHAFT UND KULTURELLES GEDÄCHTNIS

k.G. ist Beschreibungsmetapher für kollektive Auseinandersetzungen mit Vergangenheit, die nicht (mehr) deckungsgleich mit akademischer Lehre sein müssen (und nicht sprachlich als k.G. bezeichnet werden müssen)

neue Zugänge zu (virtuellen) Vergangenheiten; neue Konzepte von Historizität (auch ohne Authentizität)

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FUNKTIONEN EINES KULTURELLEN GEDÄCHTNISSES

Bereitstellung eines leicht akzeptierbaren Wissens durch Selektion der Inhalte bei Bildung der k.G.

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FUNKTIONEN EINES KULTURELLEN GEDÄCHTNISSES

Bereitstellung eines leicht akzeptierbaren Wissens durch Selektion; „Kanonisierung“

Reduktion lebensweltlicher Komplexität durch Vereinfachung von Zusammenhängen

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FUNKTIONEN EINES KULTURELLEN GEDÄCHTNISSES

Bereitstellung eines leicht akzeptierbaren Wissens durch Selektion; „Kanonisierung“

Reduktion lebensweltlicher Komplexität durch Vereinfachung von Zusammenhängen

positive Besetzung des „eigenen“ Wissens, das nicht mehr hinterfragt werden muss und eine antagonistische Solidarisierung gegenüber anderen Gedächtniskulturen ermöglicht

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FUNKTIONEN EINES KULTURELLEN GEDÄCHTNISSES

„Wir“-Gefühl, das Gemeinschaften mit Gefühlen der Auserwähltheit, Einzigartigkeit, Überlegenheit und uneingeschränkten Legitimität der eigenen Position versieht („Siegergemeinschaften“/“Opfergemeinschaften„ = Schicksalsgemeinschaften)

kompetitive Auseinandersetzungen mit anderen Gedächtniskulturen

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FUNKTIONEN EINES KULTURELLEN GEDÄCHTNISSES

k.G. können in Opposition zu anderen k.G. auf gleicher Ebene treten (Religionen, Ideologien, Parteien, Vereine, Nationen)

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FUNKTIONEN EINES KULTURELLEN GEDÄCHTNISSES

k.G. können in Opposition zu anderen k.G. auf gleicher Ebene treten

Teilhabende/„Erinnernde“ können sich, auch als demographisch zu vernachlässigende Gruppe, als eigentliche Träger von Großgemeinschaften fühlen (Bürgerrechtsbewegung, Exilanten, Logen etc.)

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FUNKTIONEN EINES KULTURELLEN GEDÄCHTNISSES

k.G. können in Opposition zu anderen k.G. auf gleicher Ebene treten

Teilhabende können sich, auch als demographisch zu vernachlässigende Gruppe, als eigentliche Träger von Großgemeinschaften fühlen

sie können „Gemeinschaft“ in einen Gegensatz zur „Gesellschaft“ (in allen völkerrechtlichen Erscheinungsformen) stellen (s. Coming out (1989))

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FUNKTIONEN EINES KULTURELLEN GEDÄCHTNISSES

k.G. bieten unter anderem Antworten auf aktuelle Fragen:

Warum bin ich arm, unterdrückt, diskriminiert?

Wer bedroht mich/uns/das, was mir/uns wichtig ist? Was muss ich fürchten?

Was passiert morgen/nach meinem Tod/im Rest der Welt?

Was ist das Böse und warum gibt es das Böse?

Was soll/muss/darf ich tun oder unterlassen?

Wer bin ich? Und wie erkenne ich andere, die so sind wie ich?

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FUNKTIONEN EINES KULTURELLEN GEDÄCHTNISSES

aber k.G. erzeugen diese Ängste auch erst: Teil des Wissenskanons ist Entwertung von Alternativen und Ausrichtung des Wissens und Praktiken auf die Abwehr eines in der Regel nur im eigenen Gedächtnis entwickelten Bedrohungsszenario

„Untergang“ eines Volkes/einer Kultur

Jenseitskonzepte mit „Höllen“, „Paradiesen“

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KULTURELLE GEDÄCHTNISSE IN DER MODERNE

Individuum kann sich durch Aufklärung von traditionellen kulturellen Gedächtnissen emanzipieren

„Freiheit“ als Projekt der westlichen Moderne

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KULTURELLE GEDÄCHTNISSE IN DER MODERNE

Individuum kann sich durch Aufklärung von traditionellen kulturellen Gedächtnissen emanzipieren; „Freiheit“ als Projekt der Moderne; „Monade“/„Subjekt“

„Ziele“, „Diesseits“, eigene Gegenwart und Zukunft

Freiheit bedeutet hier: Unsicherheit; fordert Anerkennung der Kontingenz, Eigenverantwortung und Sinnlosigkeit

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KULTURELLE GEDÄCHTNISSE IN DER MODERNE

k.G. ersetzen individuelle biographische „Ziele“ durch „Rollen“

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KULTURELLE GEDÄCHTNISSE IN DER MODERNE

k.G. ersetzen „Ziele“ durch „Rollen“; „Ludifizierung“

„Erinnernde“ sind Teil einer positiv akzentuierten Gemeinschaft und ordnen sich Prämissen (darunter ggf. auch abstrakten Zielen) dieser Gemeinschaft unter

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KULTURELLE GEDÄCHTNISSE IN DER MODERNE

die Unterordnung individueller Wertvorstellungen, Handlungspräferenzen und Zielvorstellungen unter die „Rolle“ wird als Positivum erfahren; im Extremfall als eigentlicher Lebenszweck

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KULTURELLE GEDÄCHTNISSE

basieren auf tatsächlichen oder imaginierten „Stiftern“

definieren Gemeinschaften

verpflichten Mitglieder auf Akzeptanz eines Kanons

appräsentiert in Ritualen

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Sind kulturelle Gedächtnisse veränderbar?

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MODIFIKATIONEN

k.G. werden als Ensemble von Inhalten in ihrer Ganzheit normalerweise nicht hinterfragt (geschweige denn geändert); (auch unterstellte) Versuche der Modifikation werden abgelehnt: „Ketzertum“, „Verrat“, „Renegatentum“

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MODIFIKATIONEN

k.G. können nach Phase der Delegitimation redefiniert werden (Bsp.: Sozialismus)

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MODIFIKATIONEN

k.G. können nach Phase der Delegitimation redefiniert werden (Sozialismus)

k.G. können durch Veränderungen der inhaltlichen Bezüge (Kanon) jedoch neu ausgerichtet werden („Reformation“, „Schisma“, amerik. Verfassung 1860) = kein zwingendes Verschwinden des alten G., sondern eine Akzentuierung neuer/bislang nebensächlicher Aspekte;

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MODIFIKATIONEN

neue k.G. können neben alten existieren; Wechsel/Konversion ist möglich; Wechsel ist nur bei funktional/struktrell gleichartigen Systemen möglich und wird als „Aufstieg“/“Erleuchtung„ etc. begriffen

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NEUDEFINITION

Erinnerungen können von jeweils erinnernder Gruppe umformuliert/angepasst werden, wenn gesellschaftliche Ziele dieses verlangen

Nationalsozialismus/CSA/DDR/

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FILMISCHE KG: DEFA

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DEFA

DEFA: 1946-1992 (VEB ab 1952; ab 1990 unter alternativen Namen)

planwirtschaftl. organ.; festangestellte Mitarbeiter

Spiel- und Dokumentarfilme; Trickfilmstudio Dresden; Coproduktionen mit dem DFF; internat. Coprodukt.

mehr als 700 S-Filme, 750 A-Filme, 2250 Dok-Filme

Alternative für Filmschaffende: Super-8, Video

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GEDÄCHTNISINHALTE

Antifaschismus, Antimilitarismus

Der Mensch im Sozialismus

Arbeiten, Wohnen, Zusammenleben (Ehe (Frauenrolle!), Familie, Arbeitskollektiv, Klasse)

Auslandsdarstellungen: BRD, USA, SU, Afrika

histor. Themen: Protosozialismus, Protosozialist-Innen, „Bio-Pics“ komm. Personen (als „Stifter“ des kG)

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DEFA

analog zum offiziellen politischen Diskurs UND in Reaktion auf die gesellschaftliche Situation lassen sich im filmischen kulturellen Gedächtnis der DEFA verschiedene Phasen der Definition und Redefinition unterscheiden

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DEFINITION

1945 bis Beginn der 1970er Jahre

generelle Tendenz: Der Mensch sucht den Platz im Kollektiv - er braucht und will den Konsens mit der sozialistischen Gesellschaft

Konflikte sind Initiationsrituale für letztendlich überzeugte Sozialisten: Homogenisierung

Zäsur 11. Plenum des ZK der SED 1965

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REDEFINITION

1. Phase: Frühe 1970er bis frühe 1980er Jahre

der Mensch sucht seine individuelle Identität in den Grenzen der sozialistischen Gesellschaft

2. Phase: frühe 1980er bis 1992

der Mensch sucht seine individuelle Identität in Gemeinschaften, die sich selbstdefinierten Wertehorizonten verpflichtet fühlen/sich bewusst selbst isolieren/DDR-Sozialismus ≠ Heimat

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Die Flucht (1977)

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DIE FLUCHT (1977)

Die Flucht (1977); RE: Roland Gräf

nicht der erste SP zum Thema Republikflucht (Septemberliebe, Der geteilte Himmel, Sonntagsfahrer etc.)

aber: Film zeigt Grenzsicherungsanlagen

„Feind“ ist außerhalb der DDR

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Die Architekten (1990)

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DIE ARCHITEKTEN (1990)

Die Architekten (1990); RE: Peter Kahane

„Wendefilm“, zunächst ohne Resonanz beim Publikum

der „Gegner“ ist das System selbst: keine Mitsprache der „Jugend“; die Mauer ist inmitten der Gesellschaft selbst errichtet

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Der Dritte (1972)

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DER DRITTE (1972)

Der Dritte (1972); RE: Egon Günther

Sprechen über Identität erfolgt in Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlich verbreiteten und „gespeicherten“ Wissen

DDR-Sozialismus wird trotz „technischer“ Mängel akzeptiert

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Solo Sunny (1980)

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SOLO SUNNY

http://www.youtube.com/watch?v=szAX0_upoEg

http://www.youtube.com/watch?v=08TbTDzaSQA

http://www.youtube.com/watch?v=JIIxH3B9u3Y

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SOLO SUNNY (1980)

Solo Sunny (1980), RE: Konrad Wolf

Sprechen über Identität benötigt neue Narrative: „Star“-Identität, Singen in englischer Sprache

individualisiertes Wohnen, alternat. Privatleben

man erträgt den Sozialismus, wenn man sich eine Nische erkämpft

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Coming out (1989)

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COMING OUT (1989)

Coming out (1989), RE: Heiner Carow

Sprechen über Identität ist keine Sache der Gesellschaft mehr: Sozialismus bietet keine Gesprächsangebote

man kann in der DDR auch außerhalb der sozialistischen Gesellschaft leben