Vogue Alemania

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REISE Foto: Mario Testino/Art + Partner 351 www.vogue.de / VOGUE SEPTEMBER 2015 350 Anziehend köstlich Mode, Kunst, Esskultur: Lima, nicht Machu Picchu ist das schönste Abenteuer, das Peru zu bieten hat as Taxi vom Flughafen fährt durch die war- me Nacht ins Herz von Lima, nach Miraflores. Dort bin ich im „Rafael“ mit Freunden verabredet, die auch angereist sind, um die Mode- woche Perú Moda zu besuchen. Mich überrascht, wie viele Labels hier produzie- ren, darunter Marc Jacobs, Hugo Boss, Polo Ralph Lauren, Sandro, Tommy Hil- figer, Lacoste, Calvin Klein und Max Ma- ra. Während ich mich im Restaurant um- schaue, wird mir bewusst, dass dies der erste Ort ist, den ich in Peru entdecke. Bisher war das Land für mich eine Kli- schee-Collage aus Machu Picchu, Regen- wald und farbenprächtigen Stoffballen auf D Textilmärkten. Lima, in der Jaqaru-Spra- che „gelbe Blume“, kam darin gar nicht vor. Und weil ich es diesmal versäumt hat- te, mein Reiseziel vorab zu recherchieren, war mir entgangen, dass in Peru gerade Winter herrscht, wenn auch ein milder, vergleichbar mit unserem Frühling. Die Fischgerichte sind so köstlich, dass unsere Gespräche kurz verstummen. Li- ma ist ein Sehnsuchtsort für Feinschme- cker, einige der hiesigen Restaurants tau- chen auf der Liste der Weltbesten auf, dar- Die Kreativität treibt die buntesten Blüten in der Stadt, die „gelbe Blume“ heißt unter auch das „Rafael“. „Vor ein paar Tagen habe ich hier Mario Testino und Mario Vargas Llosa gesehen“, erzählt eine Bekannte, die früher eingeflogen war, um in einem Dorf am Amazonas bei einer Schamanenzeremonie den psychedelisch wirkenden Ayahuasca-Trank zu sich zu nehmen: „Die Erfahrungen unter dem Einfluss des Pflanzensafts ersparen dir zehn Jahre Therapie“, sagt sie, „aber zu dem Ritual gehört auch eine bestimmte Diät, um die Giftstoffe zu absorbieren, deshalb sollte man die Völlerei in Lima zeitlich vom Erleuchtungs-Trip trennen.“ Beim Herausgehen steuern wir die Li- mousinen vor dem Lokal an, aber Carrie, unsere einheimische Freundin, hält uns zu- rück: „Darauf fallen nur Touristen her- GUTE AUSSICHTEN Diese Seite: Limas Waterfront, fotografiert von Mario Testino. Linke Seite: 1 Die Peruanerin Adriana Cachay (links) und die Dänin Laerke Skyum leiten das „Ayni Design Lab“, das auf Strickwaren aus Alpaka spezialisiert ist (Foto rechts); „Ayni“ ist Quechua und bedeutet „gut für alle“. 2 Auftritt von Alessandra Petersen, einer Avantgardistin der jungen Modeszene in Lima, auf der Fashionshow „Perú Moda“ Ende Mai 2015. 3 Alpaka- Kimono aus dem Atelier des Designers Jorge Salinas. 1 3 2

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Anziehend köstlichMode, Kunst, Esskultur: Lima, nicht Machu Picchu ist das schönste Abenteuer, das Peru zu bieten hat

as Taxi vom Flughafen fährt durch die war-me Nacht ins

Herz von Lima, nach Miraflores. Dort bin ich im „Rafael“ mit Freunden verabredet, die auch angereist sind, um die Mode-woche Perú Moda zu besuchen. Mich überrascht, wie viele Labels hier produzie-ren, darunter Marc Jacobs, Hugo Boss, Polo Ralph Lauren, Sandro, Tommy Hil-figer, Lacoste, Calvin Klein und Max Ma-ra. Während ich mich im Restaurant um-schaue, wird mir bewusst, dass dies der erste Ort ist, den ich in Peru entdecke. Bisher war das Land für mich eine Kli-schee-Collage aus Machu Picchu, Regen-wald und farbenprächtigen Stoffballen auf

D Textilmärkten. Lima, in der Jaqaru-Spra-che „gelbe Blume“, kam darin gar nicht vor. Und weil ich es diesmal versäumt hat-te, mein Reiseziel vorab zu recherchieren, war mir entgangen, dass in Peru gerade Winter herrscht, wenn auch ein milder, vergleichbar mit unserem Frühling.

Die Fischgerichte sind so köstlich, dass unsere Gespräche kurz verstummen. Li-ma ist ein Sehnsuchtsort für Feinschme-cker, einige der hiesigen Restaurants tau-chen auf der Liste der Weltbesten auf, dar-

Die Kreativität treibt die buntesten Blüten

in der Stadt, die „gelbe Blume“ heißt

unter auch das „Rafael“. „Vor ein paar Tagen habe ich hier Mario Testino und Mario Vargas Llosa gesehen“, erzählt eine Bekannte, die früher eingeflogen war, um in einem Dorf am Amazonas bei einer Schamanenzeremonie den psychedelisch wirkenden Ayahuasca-Trank zu sich zu nehmen: „Die Erfahrungen unter dem Einfluss des Pflanzensafts ersparen dir zehn Jahre Therapie“, sagt sie, „aber zu dem Ritual gehört auch eine bestimmte Diät, um die Giftstoffe zu absorbieren, deshalb sollte man die Völlerei in Lima zeitlich vom Erleuchtungs-Trip trennen.“

Beim Herausgehen steuern wir die Li-mousinen vor dem Lokal an, aber Carrie, unsere einheimische Freundin, hält uns zu- rück: „Darauf fallen nur Touristen her-

GUTE AUSSICHTEN Diese Seite: Li mas Waterfront, fotografiert von Mario Testino. Linke Seite: 1 Die Peruanerin Adriana Cachay (links) und die Dänin Laerke Skyum leiten das „Ayni Design Lab“, das auf Strickwaren aus Alpaka spezialisiert ist (Foto rechts); „Ayni“ ist Quechua und bedeutet „gut für alle“. 2 Auftritt von Alessandra Pe tersen, einer Avantgardistin der jungen Mode szene in Lima, auf der Fashionshow „Perú Moda“ Ende Mai 2015. 3 Alpaka-Kimono aus dem Atelier des Designers Jorge Salinas.

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ein.“ Also eilen wir davon in Richtung Hauptverkehrsstraße, um uns allesamt in ein klappriges Taxi zu zwängen, die High Heels aus den Fenstern hängend.

 Im Hotelzimmer finde ich in einem Pa-ket Broschüren, die vor Nachtfahrten mit unregistrierten Taxis warnen oder von Perus Modeindustrie erzählen. Im

Vergleich zum Rest der Welt besitzt die Baumwolle, die an der nördlichen Küsten-region angebaut wird, doppelt so lange Fa-sern und ist seidiger als die anderer Län-der. Eine weiche Alpakadecke ist auch im Paket. 80 Prozent aller Alpakas leben in Peru, ihre Züchter haben eine enge Bezie-hung zu ihnen. Ihre Tradition, Strickwaren von Hand herzustellen, besteht in den pe-ruanischen Anden seit Jahrtausenden.

Nahe dem Laufsteg der Perú Moda fin-det die Geschenkemesse statt, mit Aus-stellern, die die gesamte Fertigung von hochwertigen Kollektionen anbieten. Ich erfahre, dass Giorgio Armani schon seit zwanzig Jahren mit der erstklassigen pe-ruanischen Fairtrade-Baumwolle arbeitet.

Im tiefgekühlten Medienzimmer emp-fängt uns Handels- und Tourismusministe-rin Magali Silva. Unter ihrer Regie soll das Land noch interessanter für die Produk-tion internationaler Luxuskollektionen werden und gleichzeitig peruanische La-bels auf den globalen Vertrieb vorberei-ten. Die einheimische Designerin Ales-sandra Petersen erzählt backstage, dass der Staat sogar Laufsteg, Models, Haar- und Make-up-Styling kostenlos zur Verfü-gung stellt und so den Kreativen die üb-lichen fünf- und sechsstelligen Investiti-onen in eigene Runwayshows erspart. Als Nächs tes zeigt Jorge Salinas seine kunst-voll gestrickten Kimonos, für die er etwa hundert Handar beits expertin nen aus dem ganzen Land für fünf Monate nach Lima geholt hat. Das extravagante Projekt kann sich der 43-Jährige dank seiner Sports-wear-Marke Emporium leisten. Außer-dem gehört seinen Eltern Gamarra, das größte Textilimperium von Peru, das sich in Lima über zwanzig Straßenblocks er-streckt. Seine Show gewinnt den Haupt-preis: von der Kaufhauskette Macy’s in den USA ausgestellt zu werden und acht Monate lang in Washington mit dem Modegiganten eine neue, kommer zielle Kollektion zu entwickeln.

Am Abend bin ich doppelt gebucht, um zwei weitere Restaurants mit Kultstatus

erkunden zu können: zunächst auf einen Sundowner ins „Cala“ mit Meerblick, da-nach ins „Central“ von Virgilio Martínez, das auf Platz 4 der Liste der weltbesten Gourmetadressen steht.

Der nächste Tag beginnt mit der Prä-sentation der Dänin Laerke Skyum und der Peruanerin Adriana Cachay in der Galerie 80M2 Livia Benavides. 2006 ha-ben die Freundinnen ihr „Ayni Design Lab“ gegründet, eine auf nachhaltige Pro-duktion spezialisierte Sourcing-Agentur für internationale Modemarken mit einer eigenen Kollektion unter dem Label Ayni. „Ayni“ beschreibt das Prinzip der Rezipro-zität, da man sich bei den Andenvölkern gegenseitig unterstütze, statt Geld aus-zutauschen. Laerke und Adriana stellen mir Carla Bedoya Santos vor, die Direkto-rin der Modefakultät, und ihre Stellvertre-terin Alexandra Roodman. Wir fahren zu-sammen zur Universität, wo ich den Stu-dentinnen – männliche Schüler sind rar – beim Zeichnen und Zuschneiden zusehe. Nur wenige können sich den Traum einer Karriere im Modedesign leisten: Ohne Stipendium kostet die Ausbildung 50 000 US-Dollar. Dafür wird man hier gründlich auf die Berufsrealität vorbereitet.

A nschließend fahre ich mit dem Taxi ins Szeneviertel Barran-co, wo ich das Museum MA-TE von Mario Testino besu-

chen will, ein wichtiges Forum für einhei-mische Künstler. Im Café treffe ich seine lang jährige Vertraute Martha Zegarra, die mit ihm an diversen Projekten arbeitet. Später kommt Testino dazu. Er fragt, ob ich schon nebenan im Museo Pedro de Osama war, und empfiehlt, ein paar Tage dranzuhängen, um Zeit zu gewinnen für Limas imposante Kathedralen, z. B. den Convento San Francisco, oder die „Casa de Aliaga“, das älteste Haus der Stadt. „Lima hat schon immer meine Arbeit in-spiriert – Farben, Architektur, Traditionen und Geschichte“, bekundet er leiden-schaftlich. Trotz all der Reisen zwischen Europa und den USA schafft es Testino, einmal im Monat für ein paar Tage hier-herzukommen. Weil ich bekenne, dass nicht nur Lima, sondern ganz Peru für mich Neuland ist, rät er zu einer baldigen Entdeckungsreise und gibt mir dafür ein paar Tipps: Die Textilmärkte in Chinche-ros müsse ich unbedingt durchstreifen, die Strände bei Punta Rocas und den Natio-

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ENTDECKT 1 Mario Testino mit Chiara Macchiavello, der Grün-derin des Modelabels Escudo. 2 Zeigt Flagge: Das Museo Mario Testino, MATE, in Limas Künstler-viertel Barranco widmet sich der Förderung zeitgenössischer Kultur in Peru. Neben Werken einheimischer Künstler sind permanent Fotografien von Testino ausgestellt. 3 Laden in Barranco. 4 Ein- blick ins „Hotel B“, das „B“ steht für Barranco, aber auch für „Beauty“. 5 Far-benfroh: Stoffbänder auf einem Markt in Lima.

nalpark Tambopata, „einen schöneren gibt es nicht auf der Welt“, und natürlich die drei herrlichsten Städte des Landes, Are quipa im Süden, Iquitos im Dschungel und Ayacucho in den Anden. Besonders ans Herz legt er mir die Besich-tigung der über dimensionalen Figuren und Landschafts linien, die von der Nazca-Kultur hinterlassen wurden, „am besten vom Propellerflieger aus“. Während er von seiner Heimat weiterschwärmt, arran-giert Mar tha Zegarra für mich einen Ter-min im Atelier von Chiara Macchiavello – sie ist mit der Designerin befreundet.

A uf dem Weg liegt der Kunst-handwerksladen Dédalo, in dem ich mich dafür entschä-dige, dass ich all die Empfeh-

lungen auf den nächsten Besuch verschie-ben muss. Ich gebe meine letzten Soles-Scheine für ein Silberarmband aus, was ich sofort bereue, da Taxis nur Bargeld neh-men. Zum Glück funktioniert die Fahr-service-App Uber in Lima, und ich muss nicht zu Fuß ins Designstudio, wo mich

Macchiavello und ihre Geschäftspartnerin Janice Rubini empfangen. Die Al paka- und Baumwollkollektion ihres Labels Es-cudo ist clean geschnitten und in Natur tö -nen mit dezenten, traditionellen Mustern gehalten. Vieles davon, auch die große Le- dertasche, hat Lieblingsstück-Potential.

Ich erwäge einen Tagesausflug nach Cusco, doch davon wird mir abgeraten, da man sich langsam an die Höhe gewöhnen sollte. Stattdessen arbeite ich Testinos Lis-te brillanter zeitgenössischer Künstler ab: José Carlos Martinat, Miguel Andrade, Ishmael Randall, Gilda Mantilla, José Vera, Gabriel Acevedo, William Cordova,

Philippe Gruenberg, Ar-mando Andrade in den Galerien Frances Wu, Revolver, Lucía de la Puente und Garúa. Tes-

tino hatte betont, dass er die junge Künst-lergeneration für besonders intelligent, talentiert und politisch engagiert hält.

Der Tag klingt aus mit einem Fest der Kochkunst im Restaurant „Astrid y Gastón“. In Lima haben Köche Starstatus, und der berühmteste von allen ist Gastón Acurio, der sich vielleicht als nächster Präsidentschaftskandidat aufstellen lassen wird. 27 Köche stehen nur für meine zwei Kolleginnen und mich in einer der fünf Kü chen bereit, um das experimentelle 27-Gänge-Menü zuzubereiten, darunter ein Meerschweinchen-Macaron und ein auf Mo lekularebene dekonstruierter Pisco Sour mit Trockeneis. Das Erlebnis dauert knapp vier Stunden, und wir verpassen fast den Rückflug. Beim Einchecken lade ich eine Spanisch-App herunter. Schließlich will ich bald wiederkommen, dann für die Klischee-Collage. Esma Annemon Dil

Köche haben Star-status. Vielleicht wird

Gastón Acurio der nächste Präsident

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ANREISE Mit Lufthansa, Lufthansa.com, z. B. von Frankfurt und München via Bogotá; mit KLM, Klm.com, z. B. von München via Amster-dam, oder mit American Airlines, Aa.com. REISEZEIT Ganzjährig. Von Juni bis September herrscht in Lima ein milder, unserem Frühling vergleichbarer trockener Winter, ideal ist die Zeit für Outdooraktivitäten in den Anden; die sommerliche Idealzeit für Lima und die Küstenregionen währt von Dezember bis Mai. HOTELS Lima: „Hotel B“, 4-Sterne-Boutique-hotel im Viertel Barranco, Hotelb.pe; „Coun-try Club Lima Hotel“, Luxushotel im exklusi-ven Viertel San Isidro, das zugehörige „Perro-quet“ gilt als bestes Hotelrestaurant des Lan-des, Ho telcountry.com; „Belmond Miraflores Park“, Luxushotel im Szeneviertel Miraflores, Belmond.com/miraflores-park-lima. Cusco: „Belmond Hotel Monasterio“, wunderschöne Anlage mit der Bausubstanz eines alten Klos-ters, Belmond.com/hotel-monasterio-cusco. RESTAURANTS in Lima: 1 „Astrid y Gastón“, exquisit experimentell, Astridygaston.com; 2 „Central“, hervorragende peruanische Kü -che, Nr. 4 der welt bes ten Restaurants, Central-restaurante.com.pe; 3 „Cala“, mit dem schöns-ten Meerblick der Stadt, Calarestaurante.com. 4 „Rafael“, Hochgenuss mit Ambiente in Mi ra-flores, Rafaelosterling.pe; MUSEUM MATE (Centro Cultural Mario Testino) mit Ausstel-lungen seiner Fotografien und Werken zeit-genössischer peruanischer Künstler, Mate.pe.

Lima und CuscoINFOS & TIPPS

DIESE SEITE MIT DER BLIPPAR-APP SCANNEN, UM DAS KOMPLETTE INTERVIEW MIT

MARIO TESTINO ÜBER PERU ZU LESEN