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Volkswirtschaftslehre von Robin Wells, Paul Krugman 1. Auflage Volkswirtschaftslehre – Wells / Krugman schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG Thematische Gliederung: Wirtschaft Volkswirtschaft Allgemeine Volkswirtschaftslehre Schäffer-Poeschel Stuttgart 2010 Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 7910 2339 7 Inhaltsverzeichnis: Volkswirtschaftslehre – Wells / Krugman

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Hinweise für den BenutzerJedes Kapitel dieses Buches wird durch verschiedene Elemente strukturiert.Sie helfen Ihnen, die vorgestellten ökonomischen Ideen und Sachverhalte besser zu verstehen.

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10Budget und optimaler Konsum

Wie immer können wir den höchsten Punktder Kurve durch einfaches Draufschauen ermit-teln. Aus Abbildung 10-4 wird ersichtlich, dassSams Gesamtnutzen in Punkt C maximal ist, dassein optimales Konsumbündel also 2 KilogrammMuscheln und 6 Kilogramm Kartoffeln enthält.Wir wissen aber auch, dass wir normalerweise»Wie viel«-Probleme besser verstehen, wenn wirdas Konzept der Marginalanalyse verwenden. Imnächsten Abschnitt wollen wir uns daher derDarstellung und Lösung des Problems deroptimalen Konsumentscheidung mithilfe derMarginalanalyse zuwenden.

Gedankenspiele auf Budgetgeraden

Für Wissbegierige

Bei Budgetgeraden geht es nicht immer nur um Geld. Tatsäch-lich gibt es viele andere Budgetgeraden, die unser Lebenberühren. Sie sehen sich beispielsweise einer Budgetbeschrän-kung gegenüber, wenn in ihrem Kleiderschrank nur begrenztPlatz für Ihre Kleidung ist. Jeder von uns sieht sich einer Zeit-Budgetbeschränkung gegenüber: Ein einzelner Tag hat nur24 Stunden.

Und wenn man sich einer »Weight Watchers«-Diät unterzieht,dann sieht man sich einer Budgetbeschränkung hinsichtlichdes Essens gegenüber. Bei der »Weight Watchers«-Diät wird

jedem Nahrungsmittel eine bestimmte Anzahl von Punktenzugeordnet. Eine Kugel Eiscreme hat etwa vier Punkte, einStück Pizza sieben Punkte, eine Schale Weintrauben einenPunkt usw. Die Teilnehmer an der Diät dürfen pro Tag einemaximale Anzahl von Punkten nicht überschreiten, es stehtihnen aber frei, welche Nahrungsmittel sie zu sich nehmen.Anders ausgedrückt, geht es jemandem, der eine »WeightWatchers«-Diät macht, genauso wie einem Konsumenten, derein Konsumbündel wählt: Die Punkte sind das Äquivalent zuden Preisen und die Punktobergrenze ist das Äquivalent zumEinkommen.

KKurzzusammenfassung� Die Budgetbeschränkung besagt, dass

die Ausgaben eines Konsumentennicht größer sein können als seinEinkommen. Die Menge aller Konsum-bündel, die der Budgetbeschränkunggenügen, bezeichnet man als dieKonsummöglichkeiten des Verbrau-chers.

� Ein Verbraucher, der sein gesamtesEinkommen verausgabt, wählt einenPunkt auf seiner Budgetgeraden.

Die Steigung der Budgetgeradenentspricht den Opportunitätskostendes Gutes, das an der horizontalenAchse abgetragen ist, in Einheitendes Gutes, das an der senkrechtenAchse abgetragen ist.

� Die Konsumwahl, die bei gegebenerBudgetbeschränkung den Nutzen desKonsumenten maximiert, bezeichnetman als optimales Konsumbündel. Esmuss auf der Budgetgeraden liegen.

Wirtschaftswissenschaft und Praxis

Die Konsummöglichkeiten amerikanischer Arbeiter 1895 und 2000Die Vereinigten Staaten von Amerika sind überdie letzten 100 Jahre sehr viel reicher gewor-den. Damit hat sich die Budgetgerade desdurchschnittlichen amerikanischen Arbeitersmassiv nach außen verschoben. Eine ein-drucksvolle Illustration dieser Verschiebungfindet sich in Vergleichen, die der ÖkonomJ. Bradford DeLong angestellt hat.

DeLong verglich die Kosten einer Anzahlvon Artikeln aus einem Versandhauskatalogvon 1895 mit den Kosten ähnlicher Artikel vonheute, indem er die Anzahl der Stunden be-rechnete, die ein durchschnittlicher Arbeiter

arbeiten musste, um das Geld für den Kauf die-ser Artikel zu verdienen. Wenn wir davon aus-gehen, dass ein amerikanischer Arbeiter unge-fähr 2.000 Stunden pro Jahr arbeitet –40 Stunden pro Woche, zwei Wochen Urlaub –,können wir berechnen, wie viele Einheiteneines bestimmten Gutes ein Arbeiter kaufenkönnte, der sein gesamtes Jahreseinkommennur für dieses Gut ausgeben würde.

Bei DeLong finden sich unter anderem fol-gende Schätzungen:

� Im Jahr 1895 hätte man mit dem Jahres-einkommen eines durchschnittlichen Arbei-

1 Grundprinzipien

Die gemeinsame Basis

Das jährliche Treffen der American EconomicAssociation lockt Tausende von Ökonomen an –junge und alte, berühmte und unbekannte. Esgibt dort Büchertische, Geschäftstreffen undjede Menge Vorstellungsgespräche. Hauptsäch-lich treffen sich die Wirtschaftswissenschaft-ler jedoch, um zu reden und zuzuhören. Wennes besonders emsig zugeht, kann es sein, dassmehr als 50 Vorträge gleichzeitig stattfinden.Diese Vorträge beschäftigen sich mit Fragenüber die Zukunft der Aktienmärkte bis hin zudem Problem, wer in einem Haushalt mit zweiBerufstätigen das Kochen erledigt.

Was haben all diese Wissenschaftler ge-meinsam? Ein Experte für Aktienmärkte ver-steht vermutlich nur sehr wenig von der ökono-mischen Theorie der Familie und umgekehrt.Dennoch wird ein Ökonom, der aus Versehen inden falschen Vortrag geht und sich auf einmalder Präsentation eines ihm nicht vertrautenThemas gegenübersieht, mit großer Wahr-scheinlichkeit etliches hören, das ihm vertrautist. Die Ursache hierfür liegt darin, dass jedeökonomische Analyse auf einer Menge von ge-meinsamen Prinzipien basiert, die sich aufsehr unterschiedliche Themenbereiche anwen-den lassen.

Einige dieser Prinzipien beziehen sich aufdas Entscheidungsverhalten der Individuen,denn in den Wirtschaftswissenschaften gehtes zuallererst um die Entscheidungen, dieIndividuen treffen. Ziehen Sie es vor, im

Sommer zu arbeiten oder wollen Sie eineRucksackwanderung machen? Kaufen Sie sicheine neue CD oder gehen Sie lieber ins Kino?Diese Entscheidungen implizieren eine Aus-wahl zwischen einer begrenzten Anzahl vonAlternativen – begrenzt deswegen, weil nie-mand all das haben kann, was er sich wünscht.Geht man auf das elementarste Fundamentzurück, berührt jede ökonomische Frage-stellung letztlich das Entscheidungsverhaltenvon Individuen.

Um zu verstehen, wie eine Wirtschaft funk-tioniert, bedarf es natürlich mehr als nur desVerständnisses dafür, wie Individuen ihre Ent-scheidungen treffen. Schließlich ist keiner vonuns Robinson Crusoe, der allein auf seiner In-sel lebt. Vielmehr müssen wir unsere Entschei-dungen in einem Umfeld treffen, das durch dieEntscheidungen anderer geprägt ist. In einermodernen, arbeitsteiligen Wirtschaft werdenselbst die einfachsten Entscheidungen, dieman treffen kann, etwa die Frage, was man zumFrühstück isst, durch die Entscheidungen Tau-send anderer Leute beeinflusst – etwa vom Ap-felanbauer in Südtirol, der eine Zutat für IhrMüsli liefert, oder vom Bäcker um die Ecke, beidem Sie die Brötchen kaufen. Weil jeder vonuns in einer Marktwirtschaft von so vielen an-deren abhängt, die ihrerseits von uns abhän-gen, beeinflussen sich unsere Entscheidungenwechselseitig. Obwohl es bei den Wirtschafts-wissenschaften grundsätzlich immer um die in-

ZLernziele� Eine Reihe von Prinzipien, die zeigen, wie Individuen

ökonomische Entscheidungen treffen.

� Eine Reihe von Prinzipien, die zeigen, wie individuelleEntscheidungen wechselseitig voneinander abhängen.

Für WissbegierigeÖkonomie, die ach so trockene Wissenschaft,macht auch Spaß. Ökonomische Konzeptewerden in unerwarteter oder überraschenderWeise auf Beispiele aus der Praxis angewendet.

Wirtschaftswissenschaft und PraxisJedes Kapitel enthält mehrere Fallstudien, dassind kurze instruktive Anwendungen des imText besprochenen ökonomischen Konzepts.Beispielsweise wird in Kapitel 6 anhand voneBay das Konzept der Effizienz erläutert.

LernzieleDie Lernziele vermitteln Ihnen eine ersteOrientierung über die Inhalte des Kapitels.Die zentralen ökonomischen Ideen und Zieledes Kapitels lassen sich schnell erfassen.

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Hinweise für den Benutzer

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12 Teil 6 Märkte und EffizienzFaktormärkte und Einkommensverteilung

Die Produktionsfaktoren einer VolkswirtschaftVielleicht erinnern Sie sich, dass wir den Be-griff des Produktionsfaktors bereits in Kapitel 2im Kontext des Kreislaufmodells definiert ha-ben: Ein Produktionsfaktor ist jede Ressource,die von Unternehmen verwendet wird, um Wa-

ren und Dienstleistungen zuproduzieren, die Objekte, dievon Haushalten konsumiertwerden. Produktionsfaktorenwerden an Faktormärkten ge-bzw. verkauft. Der Preis, dersich an Faktormärkten heraus-bildet, wird als Faktorpreis be-zeichnet.

Worum handelt es sich beidiesen Produktionsfaktorenund warum spielen Faktor-preise eine Rolle?

Die Produktionsfaktoren

Wie wir in Kapitel 2 gelernt ha-ben, teilen Wirtschaftswissen-schaftler Produktionsfaktorenin vier große Gruppen ein:Land, Arbeit, physisches Kapi-tal und Humankapital. Land isteine Ressource, die von der Na-tur bereitgestellt wird. Arbeitwird von Menschen bereitge-stellt.

In Kapitel 7 definierten wirKapital als Vermögensobjekt, das von einem Un-ternehmen zur Produktion seines Outputs ver-wendet wird. Es gibt zwei grundlegende Artenvon Kapital. Physisches Kapital, oft auch ein-fach als »Kapital« bezeichnet, besteht aus pro-duzierten Ressourcen wie Gebäuden oder Ma-schinen.

In modernen Volkswirtschaften ist Human-kapital, die sich aus Bildung und Wissen erge-bende und an die Beschäftigten gebundene Ver-besserung der Arbeitskraft, mindestens genausowichtig. Die Bedeutung des Humankapitals hatsich durch den technischen Fortschritt deutlicherhöht. Der technische Fortschritt hat dazu ge-

Physisches Kapital, oft aucheinfach als »Kapital« bezeichnet,besteht aus produziertenRessourcen wie Gebäuden undMaschinen.

Als Humankapital bezeichnet mandie durch Bildung und Wissenhervorgerufene und an die Beschäf-tigten gebundene Verbesserung derArbeit.

führt, dass in vielen Bereichen ein hohes Maßan technischen Fertigkeiten unverzichtbar ist.Er ist damit eine der Ursachen für die steigen-den Prämien, die Arbeitnehmern mit höheremBildungsabschluss zufließen.

Warum Faktorpreise eine Rolle spielen:Die Allokation von Ressourcen

Faktormärkte und Faktorpreise spielen bei ei-nem der wichtigsten Wirtschaftsprozesse einezentrale Rolle: der Verteilung von Ressourcenzwischen den Produzenten.

Schauen wir uns als Beispiel den Staat Flo-rida nach dem Hurrikan Andrew an, der 1992zu schweren Verwüstungen führte. Florida be-nötigte nach dem Hurrikan dringend Handwer-ker aus dem Baubereich – Zimmermänner,Klempner usw. –, um die Schäden an Wohnhäu-sern und Geschäftsgebäuden zu reparieren. Wo-durch wurde sichergestellt, dass die benötigtenArbeitskräfte auch tatsächlich nach Florida ka-men? Die starke Nachfrage nach Bauarbeiterntrieb die Löhne nach oben, was viele Arbeit-nehmer mit den entsprechenden Fähigkeitendazu veranlasste, vorübergehend nach Floridazu ziehen, um dort zu arbeiten. Anders ausge-drückt: Der Markt für einen Produktionsfaktor– Arbeiter aus der Baubranche – brachte diesenProduktionsfaktor dorthin, wo er gebrauchtwurde.

In diesem Sinne sind Faktormärkte denMärkten für Waren und Dienstleistungen ganzähnlich, die Waren und Dienstleistungen aufdie Verbraucher aufteilen. Es gibt aber zweibesondere Eigenschaften von Faktormärkten.Anders als bei Gütermärkten sprechen wir imFall von Faktormärkten von abgeleiteter Nach-frage. Damit meinen wir, dass die Faktornach-frage aus der Produktionsentscheidung desUnternehmens abgeleitet wird. Die zweite Ei-genschaft besteht darin, dass die meisten vonuns den größten Teil ihres Einkommens aufFaktormärkten erzielen. (Die zweitwichtigsteEinkommensquelle sind öffentliche Transfer-zahlungen.)

Was ist überhaupt ein Faktor?Stellen Sie sich ein Unternehmen vor, das Hemdenproduziert. Das Unternehmen setzt Arbeiter undMaschinen ein, es nutzt also Arbeit und Kapital. Esverwendet aber auch andere Inputs wie Elektrizitätund Stoff. Handelt es sich bei all diesen Inputs umProduktionsfaktoren? Nein: Arbeit und Kapital sindProduktionsfaktoren, nicht aber Stoff und Elektri-zität.

Der zentrale Unterschied besteht darin, dass einProduktionsfaktor aus dem Verkauf seiner Leistungimmer wieder Einkommen erzielen kann, die ande-ren Inputs, die Vorleistungen darstellen, abernicht. So kann beispielsweise ein Arbeitnehmerüber die Zeit dadurch Einkommen erzielen, dass erwiederholt seine Arbeitsleistung verkauft. Der Ei-gentümer einer Maschine erzielt über die Zeit da-durch Einkommen, dass er wiederholt die Leistungseiner Maschine verkauft. Ein Produktionsfaktorwie Arbeit oder Kapital stellt daher eine dauer-hafte Einkommensquelle dar. Eine Vorleistung wieElektrizität oder Stoff wird jedoch im Produktions-prozess verbraucht. Einmal verwendet, stellt eineVorleistung für ihren Eigentümer keine zukünftigeEinkommensquelle mehr dar.

Denkfallen!

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8Kurzfristige versus langfristige Kosten

Überprüfen Sie Ihr Wissen 8-2

1. Alice verkauft Apfelkuchen an einem Stand. Sie muss für den Stand jeden Tag 9,00 Euro Miete be-zahlen. Darüber hinaus hat sie Kosten in Höhe von 1,00 Euro für den ersten Apfelkuchen, den siean einem Tag herstellt. Die Produktion jedes weiteren Apfelkuchens kostet 50 Prozent mehr als diedes vorhergehenden. So betragen beispielsweise die Kosten des zweiten Apfelkuchens 1 Euro × 1,5 =1,50 Euro usw.a. Ermitteln Sie für Alices Kleinunternehmen die Grenzkosten, die variablen Kosten, die durch-

schnittlichen Gesamtkosten, die durchschnittlichen variablen Kosten und die durchschnittlichenFixkosten, wenn ihre tägliche Apfelkuchen-Produktionsmenge von 0 auf 6 steigt. (Hinweis: Dievariablen Kosten von zwei Kuchen ergeben sich einfach als die Grenzkosten des ersten Kuchensplus die Grenzkosten des zweiten Kuchens usw.)

b. Geben Sie an, in welchem Bereich der Verteilungseffekt dominiert und in welchem Bereich der Ef-fekt abnehmender Erträge dominiert.

c. Wie hoch ist Alices Minimalkostenmenge? Erläutern Sie, warum die Produktion eines weiterenApfelkuchens ihre durchschnittlichen Gesamtkosten verringert, wenn die Produktionsmenge klei-ner ist als die Minimalkostenmenge. Erläutern Sie in analoger Weise, warum die Herstellung ei-nes weiteren Kuchens die durchschnittlichen Gesamtkosten erhöht, wenn die Produktionsmengegrößer als die Minimalkostenmenge ist.

Aufgaben

1. Finden Sie für jede der folgenden Situationen heraus, welchesder neun in diesem Kapitel besprochenen Prinzipien angespro-chen ist.

a. Sie beschließen, Ihre Einkäufe beim Discounter zu erledigen,statt ins Fachgeschäft zu gehen, wo Sie einen höheren Preis be-zahlen müssen.

b. Ihr für den nächsten Sommerurlaub eingeplantes Budget istbegrenzt – Sie können im Durchschnitt maximal 35 Euro proTag ausgeben.

c. Die Fachschaft stellt eine Website zur Verfügung, auf der Stu-denten, die ihr Examen gemacht haben, Dinge wie gebrauchteLehrbücher, Kleingeräte und Möbel verkaufen können, statt siewie früher zu verschenken.

d. Sie bereiten sich auf eine Examensklausur vor. Am Vorabendder Prüfung überlegen Sie, wie viele Tassen Kaffee Sie nochtrinken sollten. Bei Ihrer Entscheidung wägen Sie ab, wie vielzusätzliches Pensum Sie mit einer weiteren Tasse Kaffee schaf-fen und wie nervös Sie diese weitere Tasse macht.

e. Für den Grundkurs in Chemie müssen Sie ein Projekt durchfüh-ren. Die Arbeitsplätze im Labor sind jedoch begrenzt. Der zu-ständige Laborassistent weist jedem Studenten Laborzeit fürden Zeitraum zu, zu dem der betreffende Student kommenkann.

f. Sie stellen fest, dass Sie Ihren Abschluss ein Semester frühermachen können, wenn Sie darauf verzichten, ein Semester imAusland zu studieren.

g. Bei der Fachschaft gibt es ein Schwarzes Brett, auf dem Zettelmit Verkaufsangeboten befestigt sind. Unter anderem werdendort Fahrräder angeboten. Sie stellen fest, dass nach dem He-rausrechnen von Qualitätsunterschieden alle Fahrräder füretwa denselben Preis angeboten werden.

h. Für die Arbeit im Labor sind die Studierenden in Arbeitsgrup-pen mit je zwei Personen eingeteilt. Sie stellen sich bei derDurchführung der Experimente geschickter an, während Ihr Ar-beitsgruppenpartner die Experimente wesentlich besser doku-mentieren kann. Daher einigen Sie sich mit ihm darauf, dass

DenkfallenManche ökonomische Konzepte werden leichtmissverstanden. Dieses Element enthält Hin-weise, wie Sie solche Fehler vermeiden können,beispielsweise herausfinden können, was mit»steigenden Wechselkursen« gemeint ist.

Überprüfen Sie Ihr WissenDie Fragen dieses Elements zeigen Ihnen, ob Siedas soeben Gelesene verstanden haben. ZurÜberprüfung der Antworten reicht die Lektüredes Textes. Sind Sie noch unsicher, sollten Siezurückblättern, bevor Sie weiterlesen.

MarginalienJeder ökonomische Schlüsselbegriff wird nichtnur im Text, sondern auch noch einmal am Randdefiniert. Das erleichtert Ihnen Lernen undWiederholen.

AufgabenMit diesen Aufgaben überprüfen Sie Ihreökonomische Intuition und die Fähigkeit,wichtige ökonomische Größen zu berechnen.Lösungshinweise zu den Aufgaben finden Sieauf www.schaeffer-poeschel.de/webcode.Ihren persönlichen Zugangswebcode finden Sieam Anfang des Buchs.

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1 Grundprinzipien

Die gemeinsame Basis

Das jährliche Treffen der American EconomicAssociation lockt Tausende von Ökonomen an –junge und alte, berühmte und unbekannte. Esgibt dort Büchertische, Geschäftstreffen undjede Menge Vorstellungsgespräche. Hauptsäch-lich treffen sich die Wirtschaftswissenschaft-ler jedoch, um zu reden und zuzuhören. Wennes besonders emsig zugeht, kann es sein, dassmehr als 50 Vorträge gleichzeitig stattfinden.Diese Vorträge beschäftigen sich mit Fragenüber die Zukunft der Aktienmärkte bis hin zudem Problem, wer in einem Haushalt mit zweiBerufstätigen das Kochen erledigt.

Was haben all diese Wissenschaftler ge-meinsam? Ein Experte für Aktienmärkte ver-steht vermutlich nur sehr wenig von der ökono-mischen Theorie der Familie und umgekehrt.Dennoch wird ein Ökonom, der aus Versehen inden falschen Vortrag geht und sich auf einmalder Präsentation eines ihm nicht vertrautenThemas gegenübersieht, mit großer Wahr-scheinlichkeit etliches hören, das ihm vertrautist. Die Ursache hierfür liegt darin, dass jedeökonomische Analyse auf einer Menge von ge-meinsamen Prinzipien basiert, die sich aufsehr unterschiedliche Themenbereiche anwen-den lassen.

Einige dieser Prinzipien beziehen sich aufdas Entscheidungsverhalten der Individuen,denn in den Wirtschaftswissenschaften gehtes zuallererst um die Entscheidungen, dieIndividuen treffen. Ziehen Sie es vor, im

Sommer zu arbeiten oder wollen Sie eineRucksackwanderung machen? Kaufen Sie sicheine neue CD oder gehen Sie lieber ins Kino?Diese Entscheidungen implizieren eine Aus-wahl zwischen einer begrenzten Anzahl vonAlternativen – begrenzt deswegen, weil nie-mand all das haben kann, was er sich wünscht.Geht man auf das elementarste Fundamentzurück, berührt jede ökonomische Frage-stellung letztlich das Entscheidungsverhaltenvon Individuen.

Um zu verstehen, wie eine Wirtschaft funk-tioniert, bedarf es natürlich mehr als nur desVerständnisses dafür, wie Individuen ihre Ent-scheidungen treffen. Schließlich ist keiner vonuns Robinson Crusoe, der allein auf seiner In-sel lebt. Vielmehr müssen wir unsere Entschei-dungen in einem Umfeld treffen, das durch dieEntscheidungen anderer geprägt ist. In einermodernen, arbeitsteiligen Wirtschaft werdenselbst die einfachsten Entscheidungen, dieman treffen kann, etwa die Frage, was man zumFrühstück isst, durch die Entscheidungen Tau-send anderer Leute beeinflusst – etwa vom Ap-felanbauer in Südtirol, der eine Zutat für IhrMüsli liefert, oder vom Bäcker um die Ecke, beidem Sie die Brötchen kaufen. Weil jeder vonuns in einer Marktwirtschaft von so vielen an-deren abhängt, die ihrerseits von uns abhän-gen, beeinflussen sich unsere Entscheidungenwechselseitig. Obwohl es bei den Wirtschafts-wissenschaften grundsätzlich immer um die in-

ZLernziele� Eine Reihe von Prinzipien, die zeigen, wie Individuen

ökonomische Entscheidungen treffen.

� Eine Reihe von Prinzipien, die zeigen, wie individuelleEntscheidungen wechselseitig voneinander abhängen.

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1 Teil 1 Was ist Volkswirtschaftslehre?Grundprinzipien

dividuelle Entscheidung geht, müssen wir auchdas Zusammenwirken dieser Entscheidungenverstehen, um das Verhalten der Marktwirt-schaft insgesamt begreifen zu können. Ganzzentral ist es also auch zu wissen, wie meineEntscheidungen Ihre Entscheidungen beein-flussen und umgekehrt.

Individuelle Entscheidung:Der Kern der Wirtschaftswissenschaften

Im weiteren Verlauf dieses Kapitels wollenwir uns daher mit neun grundlegenden ökono-mischen Prinzipien beschäftigen. Vier von die-sen Prinzipien beziehen sich auf die individu-elle Entscheidung und fünf beziehen sich aufdie Art und Weise, wie individuelle Entschei-dungen miteinander interagieren.

Jeder ökonomische Sachverhalt umfasst im Kerneine individuelle Entscheidung, die Entschei-dung eines Individuums darüber, was es tun willund was es nicht tun will. Man könnte sogarnoch weiter gehen und sagen, dass es sich nichtum eine ökonomische Frage handelt, wenn esnicht um Entscheidungsfindung geht.

Stellen Sie sich vor, Sie betreten ein großesEinkaufszentrum. Dort gibt es Abertausende vonverschiedenen Produkten und es ist extrem un-wahrscheinlich, dass Sie oder irgendjemandsonst es sich leisten könnte, alles zu kaufen,was man gerne hätte. Ganz abgesehen davon istvermutlich auch der Raum in Ihrem Zimmer oderIhrer Wohnung begrenzt. Kaufen Sie sich alsoein weiteres Bücherregal oder einen kleinen

Kühlschrank? Vor dem Hinter-grund der Begrenzungen, diesich aus Ihrem Budget und demverfügbaren Wohnraum erge-ben, müssen Sie sich entschei-den, welches Produkt Sie kau-fen und welches Sie im Ge-schäft lassen.

Auch der Umstand, dassdiese beiden Produkte über-haupt im Geschäft vorhandensind, impliziert Entscheidun-gen: Der verantwortliche Ma-nager des Einkaufscenters hatsich entschieden, den Artikelin sein Programm aufzuneh-men und der Hersteller desProduktes hat sich entschie-den, es zu produzieren. Jede

Die individuelle Entscheidung istdie Entscheidung eines Individuumsdarüber, was es tun will unddeswegen auch, was es nicht tunwill.

ökonomische Aktivität umfasst daher das Tref-fen von individuellen Entscheidungen.

Die ökonomische Theorie der individuellenEntscheidung basiert auf vier Prinzipien, die inTabelle 1-1 zusammengefasst sind. Wir wollenim Folgenden diese Prinzipien etwas genauer be-trachten.

Ressourcen sind knapp

Man kann nicht immer alles bekommen, wasman sich wünscht. Jeder wünscht sich ein schö-nes Haus in bester Lage (und am besten gleichdie Hilfe, die einem das Haus sauber hält), zweioder drei Luxusautos, dann noch recht häufigFerien in noblen Hotels. Aber selbst in reichenLändern, wie den Vereinigten Staaten, Deutsch-land oder Schweden, können sich nur wenige Fa-milien die Erfüllung all dieser Wünsche leisten.Daher müssen wir fast immer Wahlentscheidun-gen treffen: Leisten wir uns einen Urlaub inÜbersee oder kaufen wir uns ein neues Auto?Geben wir uns mit einem kleinen Grundstück fürunser Haus zufrieden oder nehmen wir eine län-gere Fahrt zum Arbeitsplatz in Kauf, um in ei-nem Vorort zu leben, in dem das Grundstück bil-liger ist?

Ein begrenztes Einkommen ist nicht das Ein-zige, was die Leute darin beschränkt, alles zuhaben, was sie sich wünschen. Auch Zeit istknapp: Jeder Tag hat nur 24 Stunden. Und weildie Zeit, die wir haben, begrenzt ist, impliziertdie Entscheidung, Zeit für eine Aktivität zu ver-wenden, gleichzeitig die Entscheidung, diese

Tab. 1-1

Prinzipien, die den ökonomischenEntscheidungen von Individuen zugrundeliegen

1. Ressourcen sind knapp.

2. Die realen Kosten eines Gutes werdendurch das bestimmt, worauf man ver-zichten muss, um das Gut zu erhalten.

3. Die Entscheidung »wie viel« wird durchdas Marginalkalkül bestimmt.

4. Menschen nutzen normalerweiseMöglichkeiten, die es ihnen erlauben,ihre Situation zu verbessern.

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1Individuelle Entscheidung: Der Kern der Wirtschaftswissenschaften

Zeit nicht für eine andere Aktivität zu nutzen:Entscheiden Sie sich dafür, den Abend mit Prü-fungsvorbereitungen zu verbringen, dann ver-zichten Sie gleichzeitig auf eine alternative Ak-tivität, beispielsweise einen Abend im Kino. Esist sogar so, dass viele Leute sich so durch dieZeitknappheit beschränkt sehen, dass sie bereitsind, Geld gegen Zeit zu tauschen. So ist es bei-spielsweise teurer, sich eine Fertigmahlzeit zukaufen, als sich die entsprechenden Zutaten zubesorgen und das Essen selbst zu kochen. DieKunden sind aber bereit, den höheren Preis zubezahlen, weil sie damit Zeit einsparen können.(Vielleicht haben sie aber auch keine Lust zu ko-chen.)

Warum müssen Individuen solche Entschei-dungen treffen? Die dritte Ursache hierfür liegtin der Knappheit der Ressourcen. Als Ressourcebezeichnen wir alles, was zur Produktion von ir-gendetwas anderem verwendet werden kann. Zuden Ressourcen einer Volkswirtschaft gehörenetwa Land, Arbeit (die verfügbare Zeit der Ar-beitnehmer), Kapital (Maschinen, Gebäude undandere produzierte Vermögenswerte) und Hu-mankapital (das Ausbildungsniveau und die Fä-higkeiten der Erwerbstätigen). Eine Ressourceist knapp, wenn die Menge der verfügbaren Res-sourcen nicht groß genug ist, um alles produzie-ren zu können, was gewünscht wird. Die meistenRessourcen sind knapp. Zu den knappen Res-sourcen gehören etwa die so genannten natürli-chen Ressourcen, also Ressourcen der natürli-chen physischen Umwelt wie beispielsweiseMineralien, Holz und Erdöl. Auch die so genann-ten Humanressourcen (Arbeit, Fähigkeiten undIntelligenz) sind in der Regel knapp. Darüberhinaus sind in einer wachsenden Weltwirtschaftmit schnell zunehmender Bevölkerung mittler-weile sogar saubere Luft und sauberes Wasserknapp geworden.

Genau wie Individuen Wahlentscheidungentreffen müssen, zwingt die Knappheit der Res-sourcen auch die Gesellschaft insgesamt zu sol-chen Entscheidungen. Eine Möglichkeit für eineGesellschaft, solche Entscheidungen zu treffen,ist ganz einfach, sie aus vielen individuellenEntscheidungen resultieren zu lassen. Diese Artvon gesellschaftlicher Entscheidungsfindungspielt gewöhnlich in Marktwirtschaften einezentrale Rolle. Betrachtet man beispielsweise

Als Ressource bezeichnet manalles, was genutzt werden kann, umirgendetwas anderes zu produ-zieren.

Ressourcen sind knapp – dieverfügbare Menge ist nicht großgenug, um alle produktivenVerwendungen realisieren zukönnen.

Deutschland, so steht den Deutschen insgesamtnur eine bestimmte Zahl von Stunden pro Wochezur Verfügung. Wie viele dieser Stunden werdensie damit verbringen, im Supermarkt nach güns-tigen Zutaten für ihr Essen zu suchen, statt sichmit Fertiggerichten zu begnügen oder ins Res-taurant zu gehen? Die Antwort auf diese Frageergibt sich aus der Summe der Einzelentschei-dungen: Jedes einzelne der Millionen Individuenunserer Volkswirtschaft trifft diese Entschei-dung für sich und die Gesamtentscheidung er-gibt sich ganz einfach als Summe dieser indivi-duellen Entscheidungen.

Aus verschiedenen Gründen gibt es jedocheine Reihe von Entscheidungen, die eine Gesell-schaft besser nicht den Individuen allein über-lässt. So leben beispielsweise die Autoren diesesBuches in einer Gegend, die bis vor kurzemländlich geprägt war und hauptsächlich ausAckerland, Wiesen und Weiden bestand. Injüngster Zeit entwickelt sich diese Gegend abersehr schnell. Die meisten Anwohner sind derMeinung, dass es für die Gemeinde besser wäre,wenn nicht das gesamte Land bebaut werdenwürde und stattdessen Grünzonen erhalten wür-den. Ein einzelnes Individuum hat aber keinenAnreiz, das eigene Land in seiner ursprüngli-chen Form zu bewahren und es nicht an einenBauträger zu verkaufen. In den VereinigtenStaaten kaufen daher viele Kommunalregierun-gen Land auf, um es als unbesiedelten Bereichzu bewahren. In Deutschland erfolgt ähnlichesdurch Restriktionen in der Verwendung vonLand. Wir werden in späteren Kapiteln sehen,warum die Entscheidung über die Verwendungvon knappen Ressourcen in den meisten Fällenam besten die Individuen treffen, manchmalaber auch von einer höheren Ebene, beispiels-weise einer Gemeinde, getroffen werden sollte.

Opportunitätskosten: Die realen Kosteneiner Sache ergeben sich aus dem, wasman dafür aufgeben muss

Nehmen wir einmal an, Sie verbringen ein Aus-landssemester an einer Universität in den Verei-nigten Staaten. Nehmen wir weiter an, dass Sieneben dem Pflichtprogramm noch die Möglich-keit haben, ein Wahlfach zu belegen. Von den

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1 Teil 1 Was ist Volkswirtschaftslehre?Grundprinzipien

infrage kommenden Fächern sind Sie an zweienbesonders interessiert: Geschichte der amerika-nischen Volkswirtschaft und Außenwirtschafts-beziehungen der Vereinigten Staaten. Zwischendiesen beiden Fächern müssen Sie sich entschei-den.

Nehmen wir an, Sie entscheiden sich für Ge-schichte der amerikanischen Volkswirtschaft.Was sind die Kosten dieser Entscheidung? DieKosten ergeben sich aus dem Umstand, dass Sienun die Außenwirtschaftsveranstaltung nichtbelegen können. Wirtschaftswissenschaftler be-zeichnen diese Art von Kosten – dass Sie auf et-was verzichten müssen, um das zu erhalten, wasSie sich wünschen – als Opportunitätskostenoder Verzichtskosten dieser Sache. Die Verzichts-kosten der Wirtschaftsgeschichtsveranstaltungbestehen also aus dem entgangenen Vergnügen,das Sie an der Außenwirtschaftsveranstaltunggehabt hätten.

Das Konzept der Opportunitätskosten ist zen-tral für das Verständnis der individuellen Ent-scheidungshandlung, weil letztlich alle KostenOpportunitätskosten sind. Kritiker behauptenmanchmal, dass sich Ökonomen nur mit Kostenund Nutzen beschäftigen, die in Euro und Centgemessen werden können. Das stimmt abernicht. Die ökonomische Analyse beschäftigt sichhäufig mit Fällen, wie in unserem Beispiel mitden Vorlesungsveranstaltungen, wo für das Bele-gen eines Wahlfaches keine gesonderten Studi-engebühren erhoben werden – wo es also keinedirekten monetären Kosten gibt. Gleichwohl istdas Wahlfach, das man belegt, mit Opportuni-tätskosten verbunden, weil man auf das Belegendes anderen Kurses verzichten muss.

Vielleicht glauben Sie jetzt, dass Opportuni-tätskosten Zusatzkosten sind, also Kosten, diezusätzlich zu den monetären Kosten einer Sacheentstehen. Nehmen wir einmal an, das Belegeneiner zusätzlichen Veranstaltung würde an IhrerGastuniversität 750 Dollar kosten. Nun gibt esalso monetäre Kosten für das Belegen des Kursesin Wirtschaftsgeschichte. Sind die Opportuni-tätskosten für das Belegen dieses Kurses etwasanderes als diese monetären Kosten?

Um diese Frage zu beantworten, wollen wirzwei Fälle betrachten. Nehmen wir zunächst ein-mal an, dass die Außenwirtschaftsveranstaltungebenfalls mit Gebühren in Höhe von 750 Dollar

Die realen Kosten eines Gutesbestehen in seinen Opportunitäts-kosten – dem, worauf manverzichten muss, um das Gut zubekommen.

verbunden wäre. In diesem Fall müssten Sie die750 Dollar bezahlen, ganz gleich, welche Veran-staltung Sie belegen. Das, was Sie aufgeben, umWirtschaftsgeschichte hören zu können, ist alsoimmer noch die Außenwirtschaftsveranstaltung– und sonst nichts. Die 750 Dollar müssten Sie jain jedem Fall bezahlen. Nehmen wir jetzt abereinmal an, für die Außenwirtschaftsveranstal-tung würden keine Studiengebühren erhoben. Indiesem Fall ergibt sich das, was Sie für das Bele-gen der Wirtschaftsgeschichtsveranstaltung auf-geben würden, aus Ihrem Verzicht auf die Au-ßenwirtschaftsveranstaltung plus dem, was Siesich sonst für die 750 Dollar gekauft hätten.

Wie immer man es betrachtet: Die Kosten derVeranstaltung, die Sie vorziehen, ergeben sichaus dem, was Sie dafür aufgeben müssen. AlleKosten sind letztlich Opportunitätskosten.

Manchmal ist der Geldbetrag, den man für ir-gendetwas bezahlen muss, ein guter Indikatorfür die Opportunitätskosten dieser Sache. Häu-fig ist das aber auch nicht so. Ein für Sie ver-mutlich sehr wichtiges Beispiel, wie schlechtmonetäre Kosten die Opportunitätskosten be-schreiben, sind die Kosten Ihres Studiums. DieWohnheimmiete und Studiengebühren gehörenfür die meisten Studenten zu den größerenGeldausgaben, die sie haben. Aber selbst dann,wenn Sie im Wohnheim umsonst wohnen könn-ten und keine Studiengebühren bezahlen müss-ten, ist das Studium für Sie eine teure Angele-genheit. Warum? Die meisten Studenten wür-den, wären sie nicht an der Universität, einerErwerbsarbeit nachgehen. Mit dem Besuch derHochschule verzichten Studenten folglich aufdas Einkommen, das sie mit der Erwerbsarbeiterzielt hätten. Die Opportunitätskosten einesStudiums ergeben sich also aus Wohnheimmieteund Studiengebühren zuzüglich des entgange-nen Einkommens aus der Erwerbsarbeit, der manaufgrund des Studiums nicht nachgehen kann.

Es ist leicht einzusehen, dass die Opportuni-tätskosten eines Hochschulstudiums für Men-schen besonders hoch sind, die in ihrer Studien-zeit ein sehr hohes Erwerbseinkommen hättenerzielen können. Das erklärt, warum prominenteSportler, Medienstars, aber auch Studenten, diebereits während ihres Studiums ein Unterneh-men aufbauen, häufig die Hochschule verlassen,bevor sie einen Abschluss gemacht haben.

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1Individuelle Entscheidung: Der Kern der Wirtschaftswissenschaften

»Wie viel« ist eine Entscheidung, diesich durch eine Grenzbetrachtung ergibt

Einige wichtige Entscheidungen implizieren eine»Entweder-oder«-Wahl. Dies gilt etwa für dieEntscheidung, ob man nach dem Abitur einHochschulstudium aufnehmen möchte oder sichgleich eine Arbeit sucht. Analoges gilt, wennman sich entscheidet, entweder Wirtschaftswis-senschaften oder irgendein anderes Fach zu stu-dieren. Andere wichtige Entscheidungen impli-zieren dagegen eine »Wie viel«-Wahl. Nehmenwir einmal an, Sie haben in diesem Semester so-wohl eine Vorlesung zur Unternehmensbesteue-rung als auch eine Vorlesung zur EmpirischenWirtschaftsforschung belegt. Die Prüfungen ste-hen bevor und Sie müssen sich entscheiden, wieviel Zeit Sie für die Klausurvorbereitung in bei-den Fächern verwenden wollen. Geht es um dasVerstehen von »Wie viel«-Entscheidungen, kön-nen die Wirtschaftswissenschaften eine wichtige

Einsicht liefern: »Wie viel« ist eine Entschei-dung, die aus einer Grenzbetrachtung resultiert.

Nehmen wir an, Sie haben sowohl Unterneh-mensbesteuerung als auch Empirische Wirt-schaftsforschung belegt. Nehmen wir weiter an,dass Sie später Steuerberater werden möchten.In diesem Fall zählt die Note, die Sie im FachSteuern erzielen, mehr als die Note in Empiri-scher Wirtschaftsforschung. Folgt daraus, dassSie Ihre gesamte Vorbereitungszeit für Steuernverwenden und völlig unvorbereitet in die Wirt-schaftsforschungsklausur gehen sollten? Ver-mutlich nicht. Auch wenn Ihnen die Note derSteuerklausur viel wichtiger erscheint, wäre eswohl sinnvoll, das Fach Empirische Wirtschafts-forschung nicht völlig zu vernachlässigen.

Ein größerer Zeitaufwand für EmpirischeWirtschaftsforschung impliziert einen Nutzen(eine bessere erwartete Note in diesem Fach),sie impliziert aber auch Kosten. (Sie hätten dieZeit für irgendetwas anderes verwenden können

Haben Sie einen Cent?

Für Wissbegierige

Im Folgenden geht es um amerikanische Cent, die umgangs-sprachlich häufig auch als Pennys bezeichnet werden. In denUSA findet man an vielen Kassen von Lebensmittelgeschäften,Cafeterien usw. kleine Schüsseln, die mit Pennys gefüllt sind.Diese Schüsseln können genutzt werden, um die Beträge, diezu zahlen sind, auf- oder abzurunden. Wenn man beispiels-weise 5,02 Dollar bezahlen muss, nimmt man 5 Dollar ausdem eigenen Portemonnaie und 2 Pennys aus der Schüssel,wenn etwas 4,99 Dollar kostet, bezahlt man 5 Dollar und derKassierer legt einen Penny in die Schüssel. Dieses Arrange-ment erleichtert allen das Leben ein wenig. Natürlich wäre esnoch besser, wenn man einfach das Ein-Cent-Stück, den Penny,abschaffen würde, eine Maßnahme, die von einigen Ökonomenempfohlen wird.

Aber warum gibt es überhaupt Ein-Cent-Münzen? Wenn es sichdabei um einen so kleinen Betrag handelt, dass man keinenGedanken daran verschwendet, warum werden dann Preise sogenau kalkuliert?

Die Antwort lautet, dass ein Cent nicht immer ein vernachläs-sigbarer Betrag war: Die Kaufkraft eines Pennys hat sich durchdie dauerhafte Inflation deutlich verringert. Vor 40 Jahrenwar die Kaufkraft eines Pennys größer als heute die einesNickels, der amerikanischen 10-Cent-Münze.

Warum spielt das eine Rolle? Ein altes amerikanisches Sprich-wort hilft bei der Beantwortung dieser Frage. Es lautet:»A penny saved is a penny earned.« Außer Sparen gibt es abernoch andere Wege, um Geld zu verdienen. Daher muss manentscheiden, ob das Sparen eines Pennys eine produktive Ver-wendung der Zeit darstellt. Könnte man mehr verdienen, wennman diese Zeit für andere Zwecke verwenden würde?

Vor 40 Jahren betrug der Durchschnittslohn ungefähr 2 Dollarpro Stunde. Ein Penny entsprach damit dem Wert von 18Sekunden Arbeitszeit. Anders ausgedrückt: Es hat sichgelohnt, einen Penny zu sparen, wenn man dafür weniger als18 Sekunden aufwenden musste. Die Löhne sind aber zusam-men mit dem allgemeinen Preisniveau gestiegen und derDurchschnittslohn liegt nun bei über 17 Dollar pro Stunde. EinPenny entspricht daher dem Wert von 2 Sekunden Arbeitszeit.Es lohnt sich nicht, sich über einen Penny mehr oder wenigerallzu viele Gedanken zu machen, weil die Opportunitätskostender hierfür verwendeten Zeit zu hoch wären.

Zusammengefasst: Der Anstieg der in Geldeinheiten ausge-drückten Opportunitätskosten der Zeit hat das amerikanischeEin-Cent-Stück von einer nützlichen Münze zu einer eher lästi-gen Angelegenheit gemacht.

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1 Teil 1 Was ist Volkswirtschaftslehre?Grundprinzipien

– etwa für die Vorbereitung der Steuerklausur,um dort eine bessere Note zu erzielen.) Folglichist Ihre Entscheidung mit einer Abwägung ver-bunden, einem Trade-off (Zielkonflikt), demVergleich von Kosten und Nutzen.

Wie entscheidet man diese Art von »Wieviel«-Fragen? Die nächstliegende Antwort istdie, dass man diese Entscheidungen im Zeitver-lauf Schritt für Schritt trifft, indem man sich dieFrage stellt, wie man die nächste Stunde nutzensollte. Nehmen wir an, dass beide Prüfungen amselben Tag sind und dass Sie den Vorabend damitverbringen, noch einmal Ihre Vorlesungsunterla-gen für beide Veranstaltungen durchzugehen.Um 18.00 Uhr entscheiden Sie, dass es vernünf-tig ist, für jede der beiden Veranstaltungen we-nigstens eine Stunde Vorbereitungszeit zu ver-wenden. Um 20.00 Uhr entscheiden Sie, dass Siefür beide Kurse jeweils eine weitere Stunde zumLernen brauchen. Um 22.00 Uhr werden Sie all-mählich müde und sagen sich, dass es vernünftigist, nur noch eine Stunde zu lernen, damit Sieam nächsten Tag ausgeschlafen sind. Für welcheVorlesung wollen Sie diese Stunde verwenden –Steuern oder Empirische Wirtschaftsforschung?Wenn Sie später Steuerberater werden wollen,wird es vermutlich Steuern sein, wenn Sie späterbei einem Wirtschaftsforschungsinstitut arbei-ten wollen, wird es wahrscheinlich EmpirischeWirtschaftsforschung sein.

Beachten Sie, wie Sie Ihre Entscheidung be-züglich der Aufteilung Ihrer Zeit getroffen ha-ben: Zu jedem Zeitpunkt ist die Frage, ob Sie fürdas jeweilige Fach eine zusätzliche Stunde ver-wenden sollten oder nicht. Bei der Entschei-dung, ob Sie eine zusätzliche Stunde für Steuernverwenden sollen, wägen Sie die damit verbun-denen Kosten (eine Stunde weniger Zeit für dieVorbereitung der Wirtschaftsforschungsklausuroder eine Stunde weniger Schlaf) gegen denNutzen ab (eine wahrscheinlich bessere Note inder Steuerklausur). Solange der Vorteil einer zu-sätzlichen Stunde für die Vorbereitung der Steu-erklausur die Kosten überwiegt, sollten Sie sichfür diese zusätzliche Stunde entscheiden.

Entscheidungen dieser Art – wie verwendeich meine nächste Stunde, wie verwende ichmeinen nächsten Euro usw. – sind Marginalent-scheidungen. Sie implizieren ein Abwägen amRande: den Vergleich von Kosten und Nutzen,

Mit dem englischen Begriff Trade-off bezeichnet man eine Austausch-beziehung, also zum Beispiel dieAbwägung der Kosten und Nutzeneiner Entscheidung.

Entscheidungen darüber, ob maneine bestimmte Aktivität noch einbisschen ausdehnt oder sie etwaseinschränkt, bezeichnet man alsMarginalentscheidungen. DieUntersuchung solcher Entschei-dungssituationen bezeichnet manals Marginalanalyse.

die sich aus der geringfügigen Ausdehnung einerbestimmten Aktivität ergeben. Die Analyse sol-cher Arten von Entscheidungen bezeichnet manals Marginalanalyse.

Viele Fragen, denen wir uns in den Wirt-schaftswissenschaften gegenübersehen, aberauch viele Fragen, auf die wir im realen Lebenstoßen, haben mit Marginalanalyse zu tun: Wieviele Arbeiter sollte ich in meinem Betrieb ein-stellen? Bei welchem Kilometerstand sollte ichbei meinem Auto einen Ölwechsel machen? Wiegroß ist die akzeptable Rate von Nebenwirkun-gen bei einem neuen Medikament? Die Marginal-analyse spielt in den Wirtschaftswissenschaftendeswegen eine zentrale Rolle, weil sie derSchlüssel bei der Entscheidung ist, »wie viel«man von einer bestimmten Aktivität tun sollte.

Üblicherweise nutzen MenschenMöglichkeiten, um sich zu verbessern

Eines Tages hörten die Autoren dieses Buchesmorgens im Radio einen heißen Tipp, wie manbillig in Manhattan parken kann. Die Parkhäuserin der Gegend um Wall Street verlangen bis zu30 Dollar pro Tag. Dem Nachrichtensprecher zu-folge hatten einige Leute aber eine günstigereMöglichkeit gefunden: Anstatt ihr Auto im Park-haus abzustellen, ließen sie sich bei der FirmaJiffy Lube, einem Autoservice, einen Ölwechselmachen, der nur 19,95 Dollar kostete. Das Autokonnte den ganzen Tag in der Werkstatt bleiben.

Das ist eine tolle Geschichte, die sich aberleider als falsch herausstellte – tatsächlich gibtes überhaupt keine Filiale von Jiffy Lube inManhattan. Würde es aber eine geben, wäre dieGeschichte wahr, dann würde diese Filiale jedeMenge Ölwechsel durchführen. Warum? WennMenschen Gelegenheiten geboten werden, sichbesserzustellen, dann werden sie diese Gelegen-heit normalerweise auch nutzen. Wenn sie dieGelegenheit hätten, ihr Auto den ganzen Tag für19,95 Dollar zu parken statt für 30 Dollar, dannwürden sie das tun.

Versucht man zu prognostizieren, wie Indivi-duen sich in bestimmten wirtschaftlichen Situa-tionen verhalten, kann man getrost darauf wet-ten, dass sie Möglichkeiten nutzen werden, beidenen sie sich besserstellen. Darüber hinaus

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1Individuelle Entscheidung: Der Kern der Wirtschaftswissenschaften

werden die Akteure ihr Verhalten immer weiterfortsetzen, bis die Möglichkeiten vollständigausgeschöpft sind.

Wenn es also in Manhattan tatsächlich eineJiffy-Lube-Werkstatt gäbe und der Ölwechseldort tatsächlich eine billige Möglichkeit wäre,das Auto zu parken, können wir mit großer Si-cherheit vorhersagen, dass es für Ölwechsel in-nerhalb kürzester Zeit eine lange Warteliste ge-ben würde.

Wir können noch einen Schritt weitergehen:Das Prinzip, dass Menschen Gelegenheiten nut-zen, um sich zu verbessern, ist die Basis für jedeökonomische Vorhersage des individuellen Ver-haltens. Wenn die Einkommen von Betriebswir-ten in die Höhe schießen, während die Einkom-men von Juristen sinken, dann werden mehrStudenten Betriebswirtschaftslehre belegen undweniger sich für Jura einschreiben. Steigen dieTreibstoffpreise und verharren für längere Zeit

auf hohem Niveau, dann werden die Menschenkleinere Autos mit geringerem Benzinverbrauchkaufen, um so ihre eigene Situation vor demHintergrund der hohen Benzinpreise zu verbes-sern.

Wenn Änderungen in den verfügbaren Mög-lichkeiten denjenigen Belohnungen verspre-chen, die ihr Verhalten ändern, dann sagt man,diese Leute sehen sich neuen Anreizen gegen-über. Steigen die Preise für das innerstädtischeParken, dann können diejenigen, die auf andereArt und Weise zu ihrem Arbeitsplatz im Stadt-zentrum gelangen können, Geld sparen. Wirwerden folglich ein geringeres Verkehrsaufkom-men in der Innenstadt erwarten können.

Ein letzter in diesem Zusammenhang wichti-ger Punkt: Ökonomen stehen jedem Versuchskeptisch gegenüber, das Verhalten von Men-schen zu ändern, ohne ihre Anreize zu ändern.So wäre beispielsweise der Versuch, Unterneh-

Als Anreiz bezeichnet man einenVorteil, den Menschen realisierenkönnen, wenn sie ihr Verhaltenändern.

Gehalt für gute Noten?

Für Wissbegierige

Die wahre Belohnung für das Lernen ist, natürlich, dasGelernte selbst. Aber Lehrer und Schulen haben oft den Ein-druck, dass es sich lohnt, weitere Anreize zu geben. In Grund-schulen bekommen die Kinder »Fleißbienchen« oder »Gold-sternchen«. In der Realschule und im Gymnasium gibt es fürherausragende Schüler Auszeichnungen in Form von Urkundenoder Medaillen.

Wie wäre es aber mit Bargeld?

Vor einigen Jahren haben in Florida einige Schulen einebreite Diskussion entfacht, weil sie ihren besten SchülernBonuszahlungen in Form von Bargeld bzw. Sparbriefenbezahlt haben. Es ging dabei immerhin um Beträge von biszu 50 Dollar.

Diese Aktionen haben viele Kritiker auf den Plan gerufen,die den Sinn derartiger monetärer Belohnungen bezweifeln.Tatsächlich ist die große Mehrheit unter den Lehrern derAnsicht, dass monetäre Belohnungen für das Lernen eine ganzschlechte Idee sind. Die Beträge, die vergeben werden, könnennicht in einer Größenordnung liegen, die den Schülern einenrealistischen Eindruck davon vermittelt, wie wichtig ihreAusbildung ist. Außerdem lassen derartige Zahlungen das Ler-nen so erscheinen, als handele es sich um bezahlte Arbeit.Wenn es aber so viele kritische Einwände gibt, warum haben

die Schulen in Florida dann überhaupt ein derartiges Bonus-system eingeführt?

Die Ursache dafür liegt in einem leistungsbezogenen Anreiz-system, das der Staat Florida im Jahr zuvor für seine Schuleneingeführt hatte. Nach diesem System erhielten die Schulenzusätzliche staatliche Mittel, deren Schüler bei den zentralenPrüfungen besonders gut abgeschnitten hatten. Damit stelltesich für die Schulleitungen die Frage, wie sie ihre Schüler dazumotivieren könnten, ihre Prüfungen genauso ernst zu nehmen,wie es die Schulleitungen selbst taten. Ein Schulleiter vertei-digte die Bonuszahlungen für gute Noten mit dem Hinweis,dass gute Schüler in der Vergangenheit oft die Prüfungsfrageneinfach ignoriert hätten und stattdessen Lösungszettel mitStrichmännchen abgegeben hätten. Weil für die Schule großeGeldsummen auf dem Spiel standen, beschloss er, seine Zwei-fel beiseitezuschieben und die Schüler für gute Prüfungsleis-tungen zu bezahlen.

Führt die Bezahlung von Schülern für ihre Noten auch zu bes-seren Noten? Untersuchungen lassen vermuten, dass derartigeZahlungen zumindest für einige Schüler einen Anreiz darstel-len, sich bei den Prüfungen mehr anzustrengen. Einige derSchulen in Florida, die monetäre Anreizsysteme für guteNoten eingeführt haben, berichten über deutliche Verbesse-rungen der Leistungen ihrer Schüler.

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1 Teil 1 Was ist Volkswirtschaftslehre?Grundprinzipien

men freiwillig zur Reduktion von Umweltbelas-tungen zu veranlassen, wenig effektiv. Würde

man den Unternehmen dage-gen finanzielle Anreize zur Re-duktionsverringerung geben,wäre der Erfolg wahrscheinli-cher.

IndividuelleEntscheidung:Zusammenfassung

Wie wir in den vorangegange-nen Abschnitten gesehen ha-ben, gibt es vier grundlegendePrinzipien für die individuelleEntscheidung:

� Ressourcen sind knapp. Esist immer notwendig, zwi-schen verschiedenen Mög-lichkeiten Entscheidungenzu treffen.

� Die realen Kosten einer Sache bestehen ausdem, was man für sie aufgeben muss. AlleKosten sind Opportunitätskosten.

� »Wie viel« ist eine Entscheidung, die durcheine Grenzbetrachtung getroffen wird.Normalerweise lautet die Frage nicht »ob«,sondern »wie viel«. Dabei handelt es sichum eine Frage, deren Antwort von denKosten und Nutzen einer geringfügigen Aus-dehnung der infrage stehenden Aktivität ab-hängt.

� Menschen nutzen normalerweise Möglichkei-ten, um sich besserzustellen. Daraus folgt,dass Menschen auf Anreize reagieren.

Haben wir damit alle Grundlagen für unserewirtschaftswissenschaftlichen Überlegungenzusammen? Noch nicht ganz, weil die wirklichinteressanten Dinge in der Wirtschaft nichtdas Ergebnis rein individueller Entscheidungensind, sondern sich vielmehr erst aus dem Zusam-menwirken der individuellen Entscheidungenergeben.

Wirtschaftswissenschaft und Praxis

FrauenarbeitEiner der bemerkenswertesten Aspekte des so-zialen Wandels im 20. Jahrhundert ist in derÄnderung der Frauenarbeit zu sehen. Um 1900arbeiteten nur ungefähr 5 Prozent aller ver-heirateten Frauen gegen Bezahlung außerhalbihres Haushalts. Zu Beginn des 21. Jahrhun-derts liegt diese Zahl in den meisten industria-lisierten Ländern bei mehr als 50 Prozent.

Wodurch wurde dieser Wandel verursacht?Geänderte Einstellungen bezüglich einerArbeit außerhalb des Haushalts spielen si-cherlich eine Rolle: In der ersten Hälfte des20. Jahrhunderts war es oft verpönt, wenn ver-heiratete Frauen außerhalb ihres Haushalts ei-ner Erwerbstätigkeit nachgingen, heutzutagewird dies jedoch als völlig normal angesehen.Ein anderes wichtiges Element, das die Berufs-tätigkeit von Frauen gefördert hat, war die Er-findung und die zunehmende Verfügbarkeit

von Haushaltsgeräten, insbesondere vonWaschmaschinen. Als diese Haushaltsgerätenoch nicht existierten, war die Hausarbeit eineextrem arbeitsaufwendige Angelegenheit.In die Haushaltsführung musste deutlich mehrArbeitszeit gesteckt werden als in einen Voll-zeitberuf. Eine Studie aus den USA, die 1945erstellt wurde, zeigt, dass eine Bäuerin fürdas Wäschewaschen mit der Hand 4 Stundenbenötigte. Das Bügeln erforderte weitere4,5 Stunden. Bei diesen Tätigkeiten legte sieeine Strecke von fast 2 Kilometern zurück.Nachdem man die Bäuerin mit einer Wasch-maschine ausgestattet hatte, betrug die Zeitfür das Waschen desselben Wäscheberges nurnoch 41 Minuten, die Zeit für das Bügeln redu-zierte sich auf unter 2 Stunden und die zu-rückgelegte Strecke verminderte sich um90 Prozent.

KKurzzusammenfassung� Jede Form von ökonomischem Handeln

impliziert individuelle Entscheidungen.

� Menschen müssen Entscheidungen treffen,weil Ressourcen knapp sind.

� Die Kosten eines Objektes ergeben sich ausdem, was man aufgeben muss, um es zubekommen – alle Kosten sind Opportunitäts-kosten. Monetäre Kosten sind manchmal einguter Indikator für Opportunitätskosten,aber nicht immer.

� Bei vielen Entscheidungen geht es nichtdarum, ob etwas getan wird, sondern wie viel.»Wie viel«-Entscheidungen werden durchmarginale Abwägungen getroffen. Die Unter-suchung derartiger Marginalentscheidungenwird als Marginalanalyse bezeichnet.

� Weil Menschen für gewöhnlich Möglichkeitennutzen, um ihre Situation zu verbessern,können Anreize das Verhalten von Menschenändern.

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1Interaktion: Wie Wirtschaften funktionieren

Überprüfen Sie Ihr Wissen 1-1

1. Erläutern Sie, auf welche Weise jede der folgenden Situationen eines der vier Prinzipien der indivi-duellen Entscheidung illustriert.a. Sie haben in einem Restaurant zu Abend gegessen und im Menüpreis ist das Dessertbüfett ent-

halten, von dem Sie sich so oft und so viel nehmen dürfen, wie Sie wollen. Sie stehen bereits zumdritten Mal davor und fühlen sich eigentlich schon ziemlich satt. Obwohl es Sie kein zusätzlichesGeld kosten würde, verzichten Sie auf ein weiteres Stück Sahnetorte, greifen aber beim Schokola-denkuchen noch einmal zu.

b. Selbst wenn es auf der Welt mehr Ressourcen gäbe, würde immer noch Knappheit bestehen.c. Verschiedene wissenschaftliche Mitarbeiter leiten Übungsgruppen zur Veranstaltung »Einführung

in die Volkswirtschaftslehre«. Einige der Mitarbeiter gelten bei den Studenten als besonders gut,besitzen also eine hohe Reputation, während andere als weniger gut eingeschätzt werden. DieÜbungsgruppen, die von den Mitarbeitern mit der hohen Reputation geleitet werden, sind schnellvoll, während in den anderen Übungsgruppen etliche Plätze leer bleiben.

d. Um zu entscheiden, wie viele Stunden Sport Sie pro Woche treiben sollten, vergleichen Sie den ge-sundheitlichen Nutzen einer zusätzlichen Stunde Sport mit den Auswirkungen, die sich aus derVerringerung Ihrer Lernzeit um eine Stunde ergeben.

2. Mit Ihrem gegenwärtigen Job bei der Schlaukopf-Unternehmensberatung verdienen Sie 45.000 Europro Jahr. Sie denken über ein Jobangebot der Geistreich GmbH nach, bei dem Sie 50.000 Euro proJahr verdienen könnten. Welche der folgenden Punkte stellen Elemente der Opportunitätskosten desAnnehmens des Jobangebotes der Geistreich GmbH dar?a. Die zusätzliche Zeit, die Sie für die Fahrt zu der neuen Arbeitsstelle benötigen.b. Die 45.000 Euro Einkommen aus Ihrem alten Arbeitsverhältnis.c. Das größere Büro, das Sie bei der Geistreich GmbH bekommen.

Wie wir in der Einführung gesehen haben, isteine Wirtschaft ein System zur Koordination derproduktiven Aktivitäten vieler Menschen. In ei-ner Marktwirtschaft, einer Wirtschaft also, wieder, in der wir leben, erfolgt diese Koordinationohne Koordinator: Jedes Individuum trifft seineeigenen Entscheidungen. Diese Entscheidungensind jedoch keineswegs unabhängig voneinan-der: Die Gelegenheiten eines jeden Individuumsund damit auch seine Entscheidungen hängen in

hohem Maße von den Entscheidungen andererLeute ab. Um also zu verstehen, wie eine Markt-wirtschaft funktioniert, müssen wir die wechsel-seitige Abhängigkeit der Entscheidungen, dieInteraktion, genauer untersuchen.

Betrachtet man die ökonomische Interaktionnäher, erkennt man schnell, dass das Endergeb-nis individueller Entscheidungen sich deutlichvon dem unterscheiden kann, was die einzelnenIndividuen eigentlich beabsichtigen.

Die Interaktion zwischen Entschei-dungen – meine Entscheidungenbeeinflussen Ihre Entscheidungenund umgekehrt – ist eine Eigen-schaft der meisten ökonomischenSituationen. Das Ergebnis dieserWechselbeziehungen unterscheidetsich häufig von dem, wasIndividuen ursprünglich wollten.

Interaktion: Wie Wirtschaften funktionieren

Vor der Verbreitung von Haushaltsgerätenwaren also die Opportunitätskosten einerErwerbsarbeit außerhalb des Haushalts sehrhoch. Frauen gingen einer solchen Erwerbs-tätigkeit nur aus schierer finanzieller Not-

wendigkeit nach. Mit der Verbreitung moder-ner Haushaltsgeräte haben sich die Möglich-keiten für Frauen geändert – der Rest istGeschichte.

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1 Teil 1 Was ist Volkswirtschaftslehre?Grundprinzipien

So haben beispielsweise die Landwirte wäh-rend der vergangenen 100 Jahre bereitwilligneue Anbaumethoden und verbessertes Saatguteingesetzt, mit denen sie ihre Kosten vermin-dern und ihre Erträge erhöhen konnten. Offen-kundig liegt es im Interesse eines jeden Land-wirts, technologisch auf dem neuesten Stand zusein. Im Ergebnis hat der Versuch der einzelnenLandwirte, ihr Einkommen zu erhöhen, dazu ge-führt, dass viele Landwirte ihren Betrieb aufge-ben mussten. Weil die Landwirte so erfolgreichdamit waren, ihre Erträge zu erhöhen, standendie Preise für Landwirtschaftsprodukte unterständigem Druck. Die sinkenden Preise führtenbei vielen Landwirten zu einem Rückgang derEinkommen und machten damit für immer weni-ger Leute das Führen eines landwirtschaftlichenBetriebes attraktiv. Während also ein einzelnerLandwirt, der eine ertragreichere Getreidesorteanbaut, besser dran ist, kann die Gruppe derLandwirte insgesamt schlechtergestellt sein,

wenn alle diese ertragreichereSorte anpflanzen.

Ein Landwirt, der eine er-tragreichere Getreidesorte sät,erzielt also nicht nur für sicheinen höheren Ertrag, er beein-flusst auch den Markt für Ge-treide durch das verbesserteErgebnis mit Konsequenzen fürandere Landwirte, für die Kon-sumenten usw.

Analog zu den vier ökono-mischen Prinzipien, die unterdie Überschrift »IndividuelleEntscheidung« fallen, gibt esfünf Prinzipien, die unter dieÜberschrift »Interaktion« fal-len. Diese fünf Prinzipien sindin Tabelle 1-2 zusammenge-fasst. Im Folgenden wollen wirsie näher betrachten.

Handel führt zu Vorteilen

Warum gibt es Wechselwirkungen zwischen denindividuellen Entscheidungen? Eine Familiekönnte natürlich versuchen, alle Dinge, die siebraucht, selbst zu produzieren – sie müsste ihr

eigenes Gemüse anbauen, sich selbst Kleidungnähen, für ihre Unterhaltung sorgen und ihreeigenen wirtschaftswissenschaftlichen Lehrbü-cher schreiben. Dies zu versuchen, wäre aberwohl sehr schwierig. Der Schlüssel zu einem hö-heren Lebensstandard für alle liegt im Handel.Arbeitsteilung und Handel bedeuten, dass dieMenschen die verschiedenen Aufgaben untersich aufteilen und jeder ein Gut anbietet, das ermit anderen Menschen, die andere Güter produ-zieren, tauschen kann.

Wir haben eine gemeinsame Wirtschaft undnicht viele einzelne Selbstversorger, weil die Ar-beitsteilung mit Handelsgewinnen verbundenist. Durch Arbeitsteilung und Handel könnenzwei Menschen (oder auch über sechs Milliar-den) mehr von allen Dingen bekommen, alswenn jeder versuchen würde, sich selbst zu ver-sorgen. Handelsgewinne entstehen durch eineArbeitsteilung, die von den Ökonomen als Spe-zialisierung bezeichnet wird.

Die Vorteile der Spezialisierung und die da-raus resultierenden Handelsgewinne waren derAusgangspunkt für das im Jahr 1776 von AdamSmith veröffentlichte Buch The Wealth of Nati-ons, das viele als Grundstein der Volkswirt-schaftslehre betrachten. Am Anfang seines Bu-ches beschreibt Smith eine Fabrik des 18. Jahr-hunderts, die Stecknadeln produziert. Anstattdass jeder der zehn Arbeiter eine Stecknadel vonAnfang bis Ende fertigt, spezialisieren sie sichjeweils auf einen Herstellungsschritt:

»Ein Mann zieht den Draht aus, ein andererrichtet ihn, ein dritter schneidet ihn, ein vierterspitzt ihn an, ein fünfter öffnet das andere Ende,damit dort der Kopf befestigt werden kann; dieHerstellung des Kopfes erfordert zwei oder dreiverschiedene Tätigkeiten; das Befestigen ist einspezieller Schritt, ebenso das Weißfärben; sogardas Abhacken ist eine eigene Tätigkeit; und daswichtige Geschäft der Herstellung von Steck-nadeln ist auf diese Weise in ungefähr 80 ver-schiedene Schritte unterteilt … Diese 10 Perso-nen können daher miteinander mehr als 48.000Stecknadeln pro Tag herstellen. Würden sie jederfür sich und unabhängig voneinander arbeitenund wäre keiner von ihnen speziell für diese Pro-duktion ausgebildet, könnten sie sicherlichnicht mehr als 20, vielleicht noch nicht mal eineeinzige Stecknadel pro Tag anfertigen. …«

In einer Marktwirtschaft befassensich Individuen mit Handel: Sieliefern Waren und Dienstleistungenan andere und erhalten dafür imGegenzug selbst Waren und Dienst-leistungen.

Es gibt Handelsgewinne: Menschenkönnen durch Handel mehr vondem erhalten, was sie wünschen, alswenn sie versuchen würden, autarkzu leben. Diese Zunahme derProduktion beruht auf Speziali-sierung: Jede Person spezialisiertsich auf die Aufgabe, die siebesonders gut erledigen kann.

Tab. 1-2

Der Wechselbeziehung von individuellenEntscheidungen zugrunde liegendePrinzipien

1. Aus Handel ergeben sich Gewinne.

2. Märkte bewegen sich in RichtungGleichgewicht.

3. Ressourcen sollten so effizient wiemöglich genutzt werden, um die Ziele derGesellschaft zu erreichen.

4. Märkte führen für gewöhnlich zuEffizienz.

5. Falls Märkte keine effizienten Lösungenhervorbringen, kann staatliches Ein-greifen die gesellschaftliche Wohlfahrtverbessern.

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1Interaktion: Wie Wirtschaften funktionieren

Dasselbe Prinzip greift, wenn wir uns anse-hen, wie Menschen Aufgaben untereinander auf-teilen und in einer Wirtschaft Handel miteinan-der treiben. Die Wirtschaft insgesamt kann einehöhere Produktionsleistung erbringen, wenn sichMenschen auf bestimmte Aufgaben spezialisierenund mit anderen Handel treiben.

Diese Spezialisierungsvorteile sind derGrund, warum ein einzelner Mensch sich typi-scherweise für eine spezifische Karriere ent-scheidet. Es braucht viele Jahre und große Er-fahrung, um Arzt zu werden; es braucht auchviele Jahre des Lernens und der Erfahrung, umPilot zu werden. Viele Ärzte könnten durchausdas Potenzial haben, exzellente Piloten zu wer-den und umgekehrt. Aber es ist eher unwahr-scheinlich, dass irgendjemand, der beschlossenhat, beide Karrieren zu verfolgen, ein genausoguter Pilot oder genauso guter Arzt wäre, wiejemand, der sich von Anfang an dazu entschlos-sen hat, sich in einem dieser Felder zu speziali-sieren. Es ist daher für alle vorteilhaft, dass In-dividuen sich bei ihrer Berufswahl spezialisie-ren. Es sind die Märkte, die es einem Arzt oderPiloten erlauben, sich in seinem eigenen Fach-gebiet zu spezialisieren. Weil Märkte für denLufttransport und Märkte für die Leistungenvon Ärzten existieren, kann ein Arzt sichersein, dass er einen Flug finden wird, genau wieein Pilot sicher sein kann, dass er einen Arztfinden wird. Solange Individuen wissen, dass siedie von ihnen gewünschten Waren und Dienst-leistungen im Markt finden können, werden siebereit sein, sich nicht selbst zu versorgen, son-dern sich zu spezialisieren. Warum können aberdie Leute darauf vertrauen, dass die Märkte lie-fern, was sie wünschen? Die Antwort auf dieseFrage führt uns zum zweiten Prinzip des wirt-schaftlichen Zusammenwirkens.

Märkte bewegen sich zum Gleichgewicht

Es ist später Nachmittag und Hauptgeschäftszeitim Supermarkt. Vor den Kassen gibt es langeSchlangen. Auf einmal wird eine vorher ge-schlossene Kasse geöffnet. Was passiert?

Das erste, was geschieht, ist natürlich einAnsturm auf diese Kasse. Nach kurzer Zeit aberkehrt wieder Ruhe ein. Die Käufer haben sich

wieder so angestellt, dass die Schlange an derneu geöffneten Kasse ungefähr die gleicheLänge hat wie alle anderen Schlangen.

Warum können wir das so sicher sagen? Wirwissen von unserem vierten Prinzip, der indivi-duellen Entscheidung, dass Menschen Gelegen-heiten nutzen, bei denen sie sich besserstellen.Die Wartenden werden daher zu der neu geöffne-ten Kasse stürmen, um nicht so lange anstehenzu müssen. Dieser Ansturm auf die neu geöff-nete Kasse wird sich legen, sobald die Kundenihre Situation durch das Wechseln der Schlangenicht mehr verbessern können, also dann, wenndie Gelegenheiten für eine Verbesserung voll-ständig ausgeschöpft sind.

Eine solche Geschichte über die Schlangen ander Kasse eines Supermarktes scheint auf denersten Blick wenig mit den Interaktionen in derGesamtwirtschaft zu tun zu haben, sie illustriertaber ein wichtiges Prinzip. Eine Situation, in dersich die Einzelnen durch eine Änderung ihresVerhaltens nicht mehr besserstellen können,also die Situation, in der alle Kassenschlangendieselbe Länge haben, ist das, was Ökonomen alsGleichgewicht bezeichnen. Eine wirtschaftlicheSituation ist im Gleichgewicht, wenn kein Indi-viduum sich durch eine Änderung seines Verhal-tens verbessern kann.

Denken Sie noch mal an die Legende desJiffy-Lube-Autoservices, in der es hieß, dass esbilliger wäre, sein Auto dort zum Ölwechsel ab-zugeben, als für das Parken zu bezahlen. Hättees diese Möglichkeit tatsächlich gegeben undmüssten die Leute tatsächlich 30 Dollar für dasParken im Parkhaus bezahlen, dann wäre dieseSituation kein Gleichgewicht.

Und dies sollte für uns ein eindeutiger Hin-weis sein, dass diese Geschichte nicht wahr seinkonnte. Wäre sie es gewesen, hätten die Men-schen die Möglichkeit des billigen Parkens ge-nutzt, genauso wie sie die Möglichkeiten nut-zen, an der Kassenschlange Zeit zu sparen. Mitihrem Tun hätten sie gleichzeitig diese günstigeGelegenheit eliminiert! Entweder wäre es sehrschwierig geworden, einen Termin für einenÖlwechsel zu bekommen, oder der Preis des Öl-wechsels wäre bis zu dem Punkt gestiegen, beidem der Ölwechsel keine attraktive Option mehrgewesen wäre (es sei denn, Sie hätten denÖlwechsel tatsächlich benötigt).

Eine ökonomische Situationbefindet sich im Gleichgewicht,wenn Menschen auch durch andereHandlungen nicht bessergestelltwerden können.

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1 Teil 1 Was ist Volkswirtschaftslehre?Grundprinzipien

Wie wir sehen werden, gelangen Märkte nor-malerweise durch Preisänderungen ins Gleichge-wicht. Die Preise steigen oder fallen so lange, bisfür die Individuen keine Gelegenheiten mehrübrig bleiben, bei denen sie sich besserstellenkönnen.

Das Gleichgewichtskonzept ist für das Verste-hen von ökonomischen Interaktionen außeror-dentlich hilfreich, weil es eine Möglichkeit dar-stellt, von den manchmal sehr komplexenDetails ökonomischer Interaktionen zu abstra-hieren. Um zu verstehen, was geschieht, wennim Supermarkt eine Kasse neu geöffnet wird,brauchen wir uns keine Gedanken darüber zumachen, wie sich die Käufer genau umordnen,wer vor wem steht, welche Kasse gerade geöffnetworden ist usw. Das Einzige, was wir wissenmüssen: Immer dann, wenn es zu einer Ände-rung kommt, bewegt sich die Situation wiederzu einem Gleichgewicht.

Die Tatsache, dass sich Märkte zum Gleichge-wicht bewegen, begründet, warum wir uns da-rauf verlassen können, dass Märkte in einer vor-hersehbaren Weise funktionieren. Daher könnenwir uns auch darauf verlassen, dass uns Märktemit den für uns lebensnotwendigen Gütern ver-sorgen. So können beispielsweise die Bewohnergroßer Städte sicher sein, dass die Regale in denSupermärkten immer gefüllt sein werden. Wür-den einige Lebensmittelhändler nicht die Warenbereitstellen, entstünde eine ansehnliche Ge-winnmöglichkeit für jeden Händler, der die Wa-ren liefern würde. Ähnlich wie im Supermarktvor der neu geöffneten Kasse käme es zu einemAnsturm auf jene Händler, die gerne die gefrag-ten Waren liefern würden. Auf diese Weise ga-rantiert der Markt die Sicherstellung der Lebens-mittelversorgung der Stadtbewohner. Dies wie-derum, und damit ist die Verbindung zu demvorhergehenden Prinzip hergestellt, erlaubt den

Rechts oder links fahren?

Für Wissbegierige

Warum wird auf deutschen Straßen rechts gefahren? Richtig,Paragraph 2 der Straßenverkehrsordnung schreibt das vor.Aber rechts gefahren wurde auch schon, bevor es die Straßen-verkehrsordnung gab. Ein Ökonom würde sagen: Bei derBenutzung der Straßen hat sich ein Gleichgewicht heraus-gebildet.

Bevor der Verkehr formal geregelt wurde, gab es informelle»Straßenbenutzungsregeln«, also Verhaltensweisen, vondenen jeder erwartete, dass jeder andere ihnen folgen würde.Zu diesen Regeln gehörte auch die stillschweigende Voraus-setzung, dass Verkehrsteilnehmer, die sich in einer Richtungbewegen, normalerweise auf einer Seite der Straße bleibenwürden. In einigen Ländern, wie zum Beispiel in England,führte diese implizite Regel dazu, dass man sich auf derlinken Seite bewegte. In anderen Ländern, wie zum Beispiel inFrankreich, bewegte man sich dagegen rechts.

Warum fiel in einigen Ländern die Wahl auf die rechte Seiteund in anderen auf die linke? Die Gründe dafür sind nicht voll-ständig klar, aber die hauptsächliche Form des Verkehrs könnteeine Rolle gespielt haben. Menschen, die auf Pferden rittenund ihre Schwerter auf der linken Seite trugen, zogen es ver-mutlich vor, auf der linken Straßenseite zu reiten. (Warum?Das wird schnell klar, wenn man sich vorstellt, wie ein solcherReiter auf- oder absteigt.) Andererseits haben Rechtshänder,

die zu Fuß gegangen sind, aber Pferde geführt haben, es ver-mutlich vorgezogen, auf der rechten Straßenseite zu gehen.

Wie dem auch immer sei – wenn sich einmal eine Regel etab-liert hatte, gab es für jedes Individuum starke Anreize, aufder »normalen« Straßenseite zu bleiben: Diejenigen, die sichnicht an die implizite Regel hielten, hatten das Problem, stän-dig mit dem Gegenverkehr zusammenzustoßen. Hatte sich dieRegel der Straßenbenutzung also einmal durchgesetzt, wies sieeinen Selbstverstärkungseffekt auf – ökonomisch gesehen han-delt es sich um ein Gleichgewicht. Heute ist gesetzlich festge-legt, auf welcher Straßenseite man fahren muss. Einige Län-der haben die Seiten per gesetzlichem Beschluss sogargetauscht: So nahm zum Beispiel Schweden im Jahr 1967 denWechsel von links nach rechts vor. Wie sieht es aber mit Fuß-gängern aus? Hier gibt es keine gesetzlichen Vorschriften, sehrwohl aber informelle Regeln. In den kontinentaleuropäischenLändern halten sich Fußgänger normalerweise rechts bzw. wei-chen nach rechts aus. Wenn ein Europäer nach Japan kommt,muss er sich jedoch umstellen: In Japan, wo Linksverkehrherrscht, gehen die Menschen meist auch auf der linken Seitebzw. weichen nach links aus. Wenn man in Japan zu Fußunterwegs ist, verhält man sich am besten genauso wie dieJapaner. Man kommt nicht ins Gefängnis, wenn man rechtsgeht, aber man ist schlechter dran, als wenn man dieGleichgewichtslösung akzeptiert und links geht.

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1Interaktion: Wie Wirtschaften funktionieren

Stadtbewohnern, Stadtbewohner zu sein, d. h.sich auf Arbeiten zu spezialisieren, die in derStadt erledigt werden, und nicht als Bauern zuarbeiten, die auf dem Land ihre eigenen Nah-rungsmittel anbauen.

Eine Marktwirtschaft ermöglicht den Men-schen auch, Vorteile aus dem Handel zu ziehen.Aber wie können wir einschätzen, wie gut einesolche Volkswirtschaft funktioniert? Das fol-gende Prinzip liefert uns einen Standard, um dieLeistungsfähigkeit einer Wirtschaft abzuschät-zen.

Damit die Ziele der Gesellschafterreicht werden, sollten Ressourcenmöglichst effizient genutzt werden

Nehmen wir einmal an, Sie besuchen eine Vorle-sung, die in einem Hörsaal stattfindet, der fürdie Zahl der Studenten viel zu klein ist. VieleKommilitonen sind gezwungen zu stehen oderauf dem Boden zu sitzen, obwohl direkt ne-benan hinreichend große Hörsäle leer stehen.Sie würden völlig zu Recht sagen, dass dieskeine Art und Weise ist, eine Uni zu organisie-ren. Ökonomen würden die Situation als eine in-effiziente Nutzung von Ressourcen beschreiben.

Wenn aber eine ineffiziente Nutzung von Res-sourcen unerwünscht ist, was bedeutet es dann,Ressourcen effizient zu nutzen? Vielleicht stel-len Sie sich vor, dass die effiziente Nutzung vonRessourcen etwas mit Geld zu tun hat, viel-leicht, dass sie in Euro und Cent gemessen wird.In der Wirtschaft, wie auch sonst im Leben, istGeld aber nur ein Mittel für andere Zwecke. DasMaß, um das es den Ökonomen wirklich geht, istnicht Geld, sondern das Glück oder die Wohl-fahrt der Menschen. Wirtschaftswissenschaftlersprechen dann von einer effizienten Nutzungder Ressourcen einer Ökonomie, wenn diese sogenutzt werden, dass alle Möglichkeiten zurBesserstellung der Menschen auch vollständigausgeschöpft werden. Anders gesagt: Eine Volks-wirtschaft ist dann effizient, wenn sie alle Mög-lichkeiten nutzt, um Menschen besserzustellen,ohne dass andere Menschen schlechtergestelltwerden. In unserem obigen Hörsaalbeispiel gibtes offenkundig einen einfachen Weg, alle bes-serzustellen. Die Verlegung der Vorlesung in ei-

Eine ökonomische Situation heißteffizient, wenn alle Möglichkeitengenutzt wurden, Menschen besser-zustellen, ohne dass andereschlechtergestellt werden.

nen größeren Raum würde alle Vorlesungsteil-nehmer besserstellen, ohne dass dadurch irgend-jemand anderes geschädigt würde. Die Zuord-nung der Vorlesung zu dem kleinen Hörsaalstellt eine ineffiziente Nutzung der Universitäts-ressourcen dar, während die Zuweisung einesgrößeren Hörsaals die Ressourcen der Universi-tät effizient genutzt hätte.

Wenn eine Wirtschaft effizient ist, dann pro-duziert sie den maximal möglichen Handelsge-winn vor dem Hintergrund der gegebenen Res-sourcen. Warum? Weil es keine Möglichkeit gibt,die Nutzung der Ressourcen so umzuordnen,dass jedermann bessergestellt wird. Wenn eineÖkonomie effizient ist, dann kann eine Persondurch Umordnung der Ressourcen nur dann bes-sergestellt werden, indem irgendjemand anderesschlechtergestellt wird. Für unser Hörsaal-Bei-spiel gilt: Wären bereits alle größeren Hörsälebesetzt, hätte die Universität die Hörsäle effi-zient zugeordnet. Sie und Ihre Mitstudierendenhätten nämlich nur dann durch den Umzug ineinen größeren Hörsaal bessergestellt werdenkönnen, wenn die Studenten aus dem größerenHörsaal durch den Umzug in einen kleinerenHörsaal schlechtergestellt worden wären.

Sollten Wirtschaftspolitiker sich ganz daraufkonzentrieren, ökonomische Effizienz zu errei-chen? Ganz so einfach ist es nicht, denn Effi-zienz ist nicht das einzige Kriterium zur Bewer-tung einer Wirtschaft. Für die meisten Menschenspielt auch Gerechtigkeit oder Gleichheit einegroße Rolle. Und typischerweise gibt es einenZielkonflikt (Trade-off) zwischen Gerechtigkeitund Effizienz: Maßnahmen zur Förderung derGerechtigkeit führen häufig zu einer Verringe-rung der Effizienz und umgekehrt.

Um das Spannungsverhältnis zwischen Effi-zienz und Gerechtigkeit besser verstehen zukönnen, wollen wir das Beispiel eines Parkhau-ses betrachten, das, sagen wir, zu einer Operoder einem Theater gehört. Behinderte Men-schen haben oft große Schwierigkeiten mit demLaufen, sodass es nur fair erscheint, für sie spe-zielle Parkplätze zu reservieren, die besondersnahe am Ausgang liegen. Wenn Sie selbst schoneinmal in einem solchen Parkhaus waren, ist Ih-nen vielleicht bereits aufgefallen, dass mit derEinrichtung von Behinderten-Parkplätzen eingewisses Maß an Ineffizienz verbunden ist. Um

Gerechtigkeit bedeutet, dass jederseinen fairen Anteil erhält. Weilman darüber streiten kann, was»fair« bedeutet, handelt es sich beiGerechtigkeit nicht um eingleichermaßen wohldefiniertesKonzept wie bei Effizienz.

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1 Teil 1 Was ist Volkswirtschaftslehre?Grundprinzipien

nämlich sicherzustellen, dass es zu jeder Zeiteine angemessene Anzahl von freien Parkplät-zen für Behinderte gibt, werden die Parkplätzetypischerweise so geplant, dass unter normalenUmständen die Zahl der Parkplätze größer ist alsdie Zahl der Behinderten, die einen Parkplatzbrauchen. Im Ergebnis bleibt damit wertvollerParkraum ungenutzt. (Und die Versuchung fürnicht behinderte Menschen, diesen Parkraum zunutzen, ist so groß, dass sie durch die Gefahr,einen Strafzettel zu kassieren, abgeschrecktwerden müssen.) Es gibt somit einen Konfliktzwischen Gerechtigkeit oder Gleichheit, nämlichfairere Bedingungen für Behinderte zu schaffen,und Effizienz, nämlich sicherzustellen, dass alleMöglichkeiten, Menschen besserzustellen, voll-ständig ausgeschöpft werden, indem günstig ge-legene Parkplätze niemals ungenutzt bleiben.

Wie weit Politiker dabei gehen sollten, Ge-rechtigkeit zulasten von Effizienz zu fördern, isteine außerordentlich schwierige Frage, die insZentrum des politischen Prozesses weist. Inso-fern ist es eine Frage, die Ökonomen nicht be-antworten können. Was für Ökonomen jedochzentral ist, ist stets danach zu streben, die Res-sourcen einer Wirtschaft so effizient wie mög-lich bei der Verfolgung der gesellschaftlichenZiele zu nutzen, welche Ziele dies auch immersein mögen.

Märkte führen normalerweisezu Effizienz

Kein Referat und keine Abteilung der Bundesre-gierung sind damit beauftragt, die allgemeineökonomische Effizienz unserer Marktwirtschaftsicherzustellen. Wir haben keine Beamten, diedurch die Lande ziehen und dafür sorgen, dassGehirnchirurgen nicht Felder pflügen, dassRinderzüchter in Schleswig-Holstein nicht Weinanbauen, dass Strandgrundstücke nicht alsSchrottplätze verwendet werden und dass Hoch-schulen nicht wertvollen Hörsaalraum ver-schwenden. Die Regierung muss die Effizienznicht sicherstellen, weil in den meisten Fällendie unsichtbare Hand dies erledigt.

Anders ausgedrückt: Die Anreize, die in einerMarktwirtschaft eingebaut sind, sorgen norma-lerweise für eine gute Verwendung der Ressour-

cen, sodass Möglichkeiten, Leute besserzustel-len, nicht verschwendet werden. Wäre eineHochschule für ihre Unart bekannt, Studentenin zu kleine Hörsäle zu stopfen, während großeHörsäle leer stehen, würden vermutlich die Ein-schreibzahlen zurückgehen und damit die Ar-beitsplätze der Universitätsverwaltung gefähr-den. Der »Markt« für Studenten würde in einerArt und Weise reagieren, die der Hochschulver-waltung Anreize gibt, die Hochschule effizientzu führen.

Eine genauere Erklärung dafür, warum Märktefür gewöhnlich eine vernünftige Ressourcennut-zung sicherstellen, muss warten, bis wir uns mitden Einzelheiten der Funktionsweise von Märk-ten beschäftigt haben. Letztlich liegt dies aberdaran, dass in einer Marktwirtschaft, in der dieIndividuen sich frei entscheiden können, wassie konsumieren und was sie produzieren wol-len, die Möglichkeiten für wechselseitige Ver-besserungen auch genutzt werden. Gibt es einenWeg, einige Menschen besserzustellen, werdendie Menschen normalerweise in der Lage sein,den sich hieraus ergebenden Vorteil auch zunutzen. Und genau das ist es ja, was Effizienzdefiniert: Alle Möglichkeiten, die Gesamtsitua-tion zu verbessern, wurden genutzt.

Wie wir jedoch in der Einführung gesehen ha-ben, gibt es Ausnahmen von dem Grundsatz,dass Märkte effizient sind. Tritt Marktversagenauf, dann führt das Verfolgen der eigenen Inte-ressen im Markt zu einer Verschlechterung dergesellschaftlichen Situation insgesamt – dasMarktergebnis ist ineffizient. Bei der Betrach-tung des nächsten Prinzips werden wir sehen,dass beim Auftreten von Marktversagen Ein-griffe der Regierung hilfreich sein können. Blen-det man das Auftreten von Marktversagen je-doch zunächst einmal aus, dann gilt generell,dass Märkte einen ausgesprochen guten Wegdarstellen, eine Wirtschaft zu organisieren.

Wenn Märkte nicht zu Effizienz führen,können Staatseingriffe die gesell-schaftliche Wohlfahrt erhöhen

Rufen wir uns aus der Einführung noch einmaldie Natur des Marktversagens in Erinnerung, dasdurch den dichten Verkehr verursacht wird: Ein

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1Interaktion: Wie Wirtschaften funktionieren

Pendler hat bei seiner Fahrt zur Arbeit keinenAnreiz, die Kosten zu berücksichtigen, die er an-deren Fahrern mit seinem Beitrag zur Erhöhungder Verkehrsdichte auferlegt. Für diese Situationgibt es verschiedene Heilmittel: So könnte manbeispielsweise an Straßennutzungsgebühren, dieSubvention von öffentlichen Verkehrsmittelnoder die Besteuerung von Treibstoff denken. Alldiese Heilmittel wirken durch eine Veränderungder Anreizstruktur, der sich potenzielle Fahrergegenübersehen. Sie motivieren sie dazu, weni-ger im eigenen Pkw zu fahren und stattdessenalternative Transportmittel zu benutzen. Darü-

ber hinaus weisen sie eine andere Gemeinsam-keit auf: Jede dieser Maßnahmen basiert auf ei-nem Eingriff des Staates in den Markt.

Das bringt uns zu unserem fünften und letz-ten Prinzip der Interaktion: Wenn Märkte nichtzu Effizienz führen, können Staatseingriffe diegesellschaftliche Wohlfahrt erhöhen. Anders ge-sagt: Wenn auf Märkten etwas schiefläuft, kannein angemessener wirtschaftspolitischer Eingriffdes Staates manchmal die Gesellschaft näher zueinem effizienten Ergebnis führen, indem diesePolitik die Art und Weise der Nutzung der gesell-schaftlichen Ressourcen ändert.

Wirtschaftswissenschaft und Praxis

Gleichgewicht auf AutobahnenIm Jahr 1994 wurde das Gebiet von Los Ange-les durch ein starkes Erdbeben erschüttert.Mehrere Autobahnbrücken brachen zusammen,wodurch die normalen Strecken unterbrochenwurden, auf denen sonst jeden Tag Hundert-tausende von Pendlern zur Arbeit und wiedernach Hause fuhren. Das Verhalten der Pendlernach dem Erdbeben liefert ein besonders deut-liches Beispiel dafür, wie das unabhängigeTreffen von Entscheidungen funktioniert. Prä-zise geht es um die Entscheidungen der Pend-ler, wie sie nach dem Erdbeben zur Arbeits-stelle gelangen sollten.

Unmittelbar nach dem Erdbeben machtensich die Behörden und die betroffenen Pendlergroße Gedanken über die Auswirkungen aufden Verkehr, weil die Autofahrer nun vermut-lich die wenigen verbliebenen alternativen Au-tobahnstrecken verstopfen würden bzw. sichSchleichwege durch die innerstädtischen Stra-ßen suchen würden. Verkehrsbehörden undMedien warnten die Pendler vor erheblichenVerzögerungen und forderten sie auf, unnötigeFahrten zu unterlassen, möglichst außerhalbder Hauptverkehrszeit zur Arbeit oder nachHause zu fahren oder, noch besser, öffentlicheVerkehrsmittel zu benutzen. Diese Warnungenwaren unerwartet erfolgreich. Tatsächlich folg-ten in den ersten Tagen nach dem Erdbeben soviele Menschen diesen Hinweisen, dass diejeni-

gen, die ihre ganz normalen Gewohnheitenbeibehielten, viel schneller zur Arbeit undwieder zurückkamen als zuvor.

Natürlich konnte diese Situation nichtlange anhalten. Als sich herumsprach, dass dieVerkehrssituation bei weitem nicht so schlechtwar wie befürchtet, wandten sich die Pendlervon den für sie unbequemeren Wegen zur Ar-beit wieder ab und stiegen wieder auf ihre Au-tos um. Die Folge war, dass sich die Verkehrssi-tuation kontinuierlich verschlechterte. Inner-halb weniger Wochen nach dem Erdbeben kames zu massiven Verkehrsstaus. Noch ein paarWochen später stabilisierte sich die Situationjedoch: Die Tatsache, dass die Staus nochschlimmer waren als üblich, veranlasste genü-gend Fahrer, ihr Auto stehen zu lassen, sodasses nicht zum Albtraum eines umfassenden Ver-kehrskollaps kam. Ökonomisch formulierthatte der Verkehr in Los Angeles ein neuesGleichgewicht erreicht, in dem jeder Pendlerdie für sich beste Entscheidung traf, unter Be-achtung der Entscheidung der übrigen Pendler.

Übrigens war die Geschichte damit nochnicht zu Ende: Die Furcht, die Stadt würde amVerkehr ersticken, veranlasste die kommuna-len Behörden dazu, die Straßen in Rekordge-schwindigkeit zu reparieren. Nur 18 Monatenach dem Erdbeben konnten alle Autobahnenwieder ganz normal befahren werden.

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1 Teil 1 Was ist Volkswirtschaftslehre?Grundprinzipien

Ein sehr wichtiger Zweig der Wirtschafts-wissenschaften widmet sich der Untersuchung,warum es zu Marktversagen kommen kann undwelche wirtschaftspolitischen Maßnahmen er-griffen werden sollten, um die Wohlfahrt derGesellschaft zu erhöhen. Wir werden uns mit

KKurzzusammenfassung� Ein Charakteristikum der meisten

ökonomischen Situationen ist dieInteraktion von individuellen Ent-scheidungen, wobei das Endergebnissich recht deutlich von dem unter-scheiden kann, was ursprünglichgewollt wurde. In einer Marktwirt-schaft treten diese Interaktionen inder Form von Handel zwischen Indivi-duen auf.

� Individuen interagieren miteinander,weil es Handelsgewinne gibt.Handelsgewinne treten als Folge vonSpezialisierung auf.

� Ökonomische Systeme bewegensich normalerweise in RichtungGleichgewicht.

� So weit wie möglich solltenRessourcen effizient genutzt werden,um die Ziele einer Gesellschaft zuerreichen. Effizienz ist jedoch nichtdas einzige Kriterium, um eineWirtschaft zu beurteilen. Gerechtig-keit erscheint ebenfalls erstrebens-wert und häufig gibt es einen Ziel-konflikt (Trade-off) zwischen Gerech-tigkeit und Effizienz.

� Bis auf einige wohldefinierteAusnahmen führen Märkte normaler-weise zu effizienten Ergebnissen.Falls Märkte versagen und nicht zueiner effizienten Lösung führen,kann eine Intervention des Staatesdie Wohlfahrt einer Gesellschaftverbessern.

Überprüfen Sie Ihr Wissen 1-2

1. Erläutern Sie, wie jede der im Folgenden beschriebenen Situationen eines der fünf Prinzipien derInteraktion illustriert.a. Mithilfe des Internets ist jeder Student, der ein gebrauchtes Lehrbuch für mindestens X Euro ver-

kaufen möchte, in der Lage, jemanden zu finden, der dafür bereit ist, X Euro zu bezahlen.b. Die Fachschaft einer wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät organisiert ein Schwarzes Brett, auf

dem Studenten Nachhilfe in Fächern anbieten können, in denen sie besonders gut sind (zum Bei-spiel Mathematik), und im Gegenzug dafür Nachhilfe erhalten, in denen sie schlecht sind (zumBeispiel Buchführung).

c. Stadtparlament und Kommunalverwaltung führen eine Regelung ein, die von Diskotheken undKneipen, die sich in der Nähe von Wohngebieten befinden, die Einhaltung bestimmter Lärmober-grenzen verlangt.

d. Eine Stadt beschließt, unterausgelastete und über die Stadt verstreute kleine Krankenhäuser zuschließen und die frei werdenden Mittel dem Zentralkrankenhaus zur Verfügung zu stellen.

e. Beim Handel mit gebrauchten Büchern im Internet erzielen verschiedene Exemplare eines be-stimmten Lehrbuchs, die ungefähr das gleiche Maß an Gebrauchsspuren aufweisen, in etwa den-selben Preis.

den Problemen und möglichen Lösungsansätzenin späteren Kapiteln genauer beschäftigen. Andieser Stelle wollen wir nur eine kurze Übersichtüber mögliche Gründe für Marktversagen geben.Sie lassen sich in drei Ursachengruppen zusam-menfassen:

� Individuelle Aktionen haben Nebenwirkun-gen, die vom Markt nicht richtig berücksich-tigt werden.

� Eine Seite verhindert wechselseitig vorteil-haften Handel mit dem Versuch, sich selbsteinen größeren Anteil an den Ressourcen an-zueignen.

� Einige Güter sind aufgrund ihrer spezifischenNatur nicht geeignet, um von Märkten effi-zient zugeordnet zu werden.

Für Ökonomen ist es daher wichtig, nicht nur zuverstehen, wann Märkte funktionieren, sondernauch zu verstehen, wann sie nicht funktionierenund zu beurteilen, welche wirtschaftspolitischenMaßnahmen in der jeweiligen Situation ange-messen erscheinen.

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1Zusammenfassung

2. Welche der folgenden Situationen beschreibt ein Gleichgewicht? Welche nicht? Erläutern Sie IhreAntwort.a. Gegenüber der Mensa einer Universität gibt es eine Reihe von Restaurants, in denen besseres und

billigeres Essen serviert wird als in der Mensa. Die große Mehrheit der Studenten nimmt ihreMahlzeiten weiterhin in der Mensa ein.

b. Momentan fahren Sie mit der U-Bahn zur Arbeit. Der Bus ist zwar billiger, aber die Fahrt dauertlänger. Um Zeit zu sparen, sind Sie bereit, den höheren Fahrpreis für die U-Bahn zu bezahlen.

Zusammenfassung

B� � � Ein Blick vorausDie neun beschriebenen grundlegenden Prinzipien stehen hinter fast jeder ökonomischen Analyse.Obwohl sie beim Verstehen vieler Situationen unmittelbar hilfreich sein können, reicht ihre Kennt-nis allein normalerweise nicht aus. Die Anwendung dieser Prinzipien auf reale ökonomische Frage-stellungen erfordert noch einen weiteren Schritt.

Dieser Schritt besteht in der Entwicklung von Modellen, also von vereinfachten Abbildungen öko-nomischer Zusammenhänge. Modelle müssen realistisch genug sein, um eine Leitlinie für reale Pro-bleme bilden zu können, gleichzeitig müssen sie aber auch einfach genug sein, damit sie es unsermöglichen, die Implikationen der in diesem Kapitel beschriebenen Prinzipien klar zu erkennen.Unser nächster Schritt wird daher darin bestehen zu zeigen, wie Modelle im Rahmen ökonomischerAnalysen verwendet werden.

1. Jede ökonomische Analyse basiert auf wenigen grundlegendenPrinzipien. Diese Prinzipien beziehen sich auf zwei Ebenen desökonomischen Verstehens. Erstens müssen wir verstehen, wieIndividuen ihre Entscheidungen treffen. Zweitens müssen wirverstehen, wie diese Entscheidungen zusammenwirken.

2. Jeder muss sich entscheiden, was er tun will und was er nichttun will. Die individuelle Entscheidung ist die Basis deswirtschaftswissenschaftlichen Ansatzes – wenn Entscheidun-gen keine Rolle spielen, dann geht es nicht um Wirtschafts-wissenschaften.

3. Die Ursache dafür, dass Entscheidungen getroffen werdenmüssen, besteht in der Knappheit der Ressourcen. (Als Res-sourcen bezeichnen Wirtschaftswissenschaftler alles, wasdazu verwendet werden kann, irgendetwas anderes zu produ-zieren.) Die Entscheidungsmöglichkeiten der Individuen wer-den durch Geld und Zeit begrenzt. Ökonomien insgesamt wer-den durch das Angebot an menschlichen und natürlichenRessourcen beschränkt.

4. Weil wir unter begrenzten Alternativen auswählen müssen,bestehen die wahren Kosten einer Sache in dem, was man da-für aufgeben muss – in diesem Sinne sind alle Kosten Oppor-tunitätskosten.

5. Viele ökonomische Entscheidungen beziehen sich nichtauf die Frage »ob«, sondern auf die Frage »wie viel« – wieviel man für ein bestimmtes Gut ausgeben sollte, wie vielman produzieren sollte usw. Derartige Entscheidungenmüssen durch eine Abwägung (Trade-off) an der Grenzegetroffen werden – durch den Vergleich von Kosten undNutzen von ein klein bisschen mehr oder ein klein bisschenweniger. Entscheidungen dieses Typs werden als Marginal-entscheidungen bezeichnet. Die Untersuchung vonMarginalentscheidungen bezeichnet man als Marginal-analyse, die eine zentrale Rolle in den Wirtschaftswissen-schaften spielt.

6. Zu überlegen, wie Menschen ihre Entscheidungen treffen soll-ten, ist eine gute Methode, um ihr tatsächliches Verhalten zuverstehen. Üblicherweise nutzen Menschen die Möglichkei-ten, die sie haben, um sich besserzustellen. Ändern sich dieseMöglichkeiten, so ändert sich auch das Verhalten: Menschenreagieren auf Anreize.

7. Interaktion, die Tatsache also, dass die Entscheidungen deseinen von den Entscheidungen des anderen abhängen undumgekehrt, ist für das Verstehen von ökonomischen Entschei-dungen ebenfalls von zentraler Bedeutung. Wenn Individuen

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1 Teil 1 Was ist Volkswirtschaftslehre?Grundprinzipien

interagieren, kann das Endergebnis anders aussehen als das,was ursprünglich von jedem gewollt wurde.

8. Die Menschen interagieren, weil es Handelsgewinne gibt:Durch die Teilnahme am Handel von Waren und Dienstleis-tungen können alle Mitglieder der Gesellschaft ihre Positionverbessern. Handel kann deswegen zu Gewinnen führen, weildadurch die Vorteile der Spezialisierung genutzt werdenkönnen, also die Vorteile, die sich ergeben, weil Individuensich auf das spezialisieren, was sie besonders gut können.

9. Wirtschaften bewegen sich normalerweise in RichtungGleichgewicht – eine Situation, in der sich kein Individuumdurch eine andere Entscheidung oder andere Aktion besser-stellen kann.

Schlüsselbegriffe

10. Eine Wirtschaft ist effizient, wenn alle Möglichkeiten ge-nutzt wurden, jemanden besserzustellen, ohne andereschlechterzustellen. Ressourcen sollten so effizient wie mög-lich genutzt werden, um die Ziele der Gesellschaft zu errei-chen. Bei der Beurteilung einer Wirtschaft ist Effizienz jedochnicht der einzige Gesichtspunkt: Gerechtigkeit (oder Fair-ness) ist ebenfalls wünschenswert. Leider besteht häufig einZielkonflikt (Trade-off) zwischen Gerechtigkeit und Effizienz.

11. Bis auf einige wohldefinierte Ausnahmen führen Märkte nor-malerweise zu Effizienz.

12. Wenn Märkte versagen und keine effizienten Ergebnisse erzie-len, dann kann das Eingreifen des Staates die Wohlfahrt derGesellschaft verbessern.

individuelle Entscheidung S. 4Ressource S. 5knapp S. 5Opportunitätskosten S. 6Trade-off (Zielkonflikt) S. 8Marginalentscheidung S. 8Marginalanalyse S. 8Anreiz S. 9

Aufgaben

1. Finden Sie für jede der folgenden Situationen heraus, welchesder neun in diesem Kapitel besprochenen Prinzipien angespro-chen ist.

a. Sie beschließen, Ihre Einkäufe beim Discounter zu erledigen,statt ins Fachgeschäft zu gehen, wo Sie einen höheren Preis be-zahlen müssen.

b. Ihr für den nächsten Sommerurlaub eingeplantes Budget istbegrenzt – Sie können im Durchschnitt maximal 35 Euro proTag ausgeben.

c. Die Fachschaft stellt eine Website zur Verfügung, auf der Stu-denten, die ihr Examen gemacht haben, Dinge wie gebrauchteLehrbücher, Kleingeräte und Möbel verkaufen können, statt siewie früher zu verschenken.

d. Sie bereiten sich auf eine Examensklausur vor. Am Vorabendder Prüfung überlegen Sie, wie viele Tassen Kaffee Sie nochtrinken sollten. Bei Ihrer Entscheidung wägen Sie ab, wie vielzusätzliches Pensum Sie mit einer weiteren Tasse Kaffee schaf-fen und wie nervös Sie diese weitere Tasse macht.

e. Für den Grundkurs in Chemie müssen Sie ein Projekt durchfüh-ren. Die Arbeitsplätze im Labor sind jedoch begrenzt. Der zu-ständige Laborassistent weist jedem Studenten Laborzeit fürden Zeitraum zu, zu dem der betreffende Student kommenkann.

f. Sie stellen fest, dass Sie Ihren Abschluss ein Semester frühermachen können, wenn Sie darauf verzichten, ein Semester imAusland zu studieren.

g. Bei der Fachschaft gibt es ein Schwarzes Brett, auf dem Zettelmit Verkaufsangeboten befestigt sind. Unter anderem werdendort Fahrräder angeboten. Sie stellen fest, dass nach dem He-rausrechnen von Qualitätsunterschieden alle Fahrräder füretwa denselben Preis angeboten werden.

h. Für die Arbeit im Labor sind die Studierenden in Arbeitsgrup-pen mit je zwei Personen eingeteilt. Sie stellen sich bei derDurchführung der Experimente geschickter an, während Ihr Ar-beitsgruppenpartner die Experimente wesentlich besser doku-mentieren kann. Daher einigen Sie sich mit ihm darauf, dass

Interaktion S. 11Handel S. 12Handelsgewinne S. 12Spezialisierung S. 12Gleichgewicht S. 13effizient S. 15Gerechtigkeit S. 15

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1Aufgaben

Sie sämtliche Experimente durchführen, während er alle Be-richte schreibt.

i. Durch ein Gesetz ist festgelegt, dass es illegal ist, ohne Führer-schein Auto zu fahren.

2. Beschreiben Sie einige Komponenten der Opportunitätskosten,wenn Sie sich entschließen, das Folgende zu tun:

a. eine Universität zu besuchen, statt einer Berufstätigkeit nach-zugehen;

b. ins Kino zu gehen, statt sich für eine Prüfung vorzubereiten;c. mit dem Bus zu fahren, statt das eigene Auto zu nehmen.

3. Lisa muss sich für ihre nächste Wirtschaftsvorlesung ein eng-lischsprachiges Lehrbuch kaufen. In der Universitätsbuchhand-lung kostet das Buch 65 Euro. Im Internet bietet ein Händlerdas Buch für 55 Euro an, ein anderer für 57 Euro. In allen Prei-sen ist die Mehrwertsteuer enthalten. Die beigefügte Tabellezeigt die durchschnittlichen Versandkosten für Lehrbücher, dieonline bestellt werden.

a. Worin bestehen die Opportunitätskosten, wenn man onlinekauft?

b. Stellen Sie die relevanten Entscheidungsmöglichkeiten von Lisadar. Wodurch bestimmt sich, welche dieser Optionen Lisa wäh-len wird?

4. Greifen Sie auf das Konzept der Opportunitätskosten zurück,um das Folgende zu erklären:

a. Bei ungünstigen Arbeitsmarktbedingungen entschließen sichmehr Schulabgänger zu einem Universitätsstudium.

b. In einer konjunkturellen Schwächephase entscheiden sich mehrMenschen dafür, kleinere Reparaturen in ihrer Wohnung selbstvorzunehmen.

c. In Stadtrandgebieten gibt es mehr Parks als im Zentrum.d. Feinkostgeschäfte, die höhere Preise haben als Supermärkte,

liefern ihre Waren zu Leuten ins Haus, die keine Zeit haben.e. In Übungsgruppen, die vor 9.00 Uhr morgens stattfinden,

schreiben sich weniger Studenten ein.

5. Erläutern Sie für jedes der folgenden Beispiele, wie Sie dasMarginalprinzip anwenden würden, um eine Entscheidung zufällen.

a. Die Entscheidung, wie lange Sie warten wollen, bevor Sie dasnächste Mal Wäsche waschen.

Versandmethode Lieferzeit Versandkosten

Standardversand 3–7 Tage 3,99 c

Schnellversand 2 Arbeitstage 8,98 c

Expressversand 1 Arbeitstag 13,98 c

b. Die Entscheidung, wie lange Sie sich mit Literatursuche und Li-teraturauswertung beschäftigen, bevor Sie ihre Seminararbeitschreiben.

c. Die Entscheidung, wie viele Tüten Kartoffelchips Sie essenmöchten.

d. Die Entscheidung, wie oft Sie in »Einführung in die Volkswirt-schaftslehre« nicht an der Vorlesung teilnehmen.

6. An diesem Morgen haben Sie eine Reihe individueller Entschei-dungen getroffen: Sie haben ein belegtes Brötchen und eineTasse Tee in Ihrem Café um die Ecke gekauft, Sie sind mit Ih-rem Auto während der Hauptverkehrszeit an die Universität ge-fahren und Sie haben für eine Kommilitonin die Seminararbeitgetippt, weil Sie sehr schnell tippen können – im Gegenzugwird die Kommilitonin für einen Monat Ihre Wäsche waschen.Beschreiben Sie für jede dieser Aktionen, welche Wechselwir-kungen zwischen Ihren individuellen Entscheidungen und denindividuellen Entscheidungen anderer bestanden. ErläuternSie, ob sich andere Menschen aufgrund Ihrer Entscheidungenschlechter- oder bessergestellt haben.

7. Auf der Ostseite der Elbe leben die Osterburgs, während dieWasserfelds auf der Westseite wohnen. Beide Familien ernäh-ren sich ausschließlich von gebratenen Hühnchen und Kartof-feln. Beide Familien versorgen sich selbst, züchten also ihre ei-genen Hühner und pflanzen ihre eigenen Kartoffeln an.Erläutern Sie die Bedingungen, unter denen jede der beidenfolgenden Aussagen wahr ist.

a. Beide Familien stellen sich besser, wenn die Osterburgs sich aufdie Hühnerzucht spezialisieren, die Wasserfelds sich hingegenauf den Kartoffelanbau spezialisieren und beide Familien mit-einander Handel treiben.

b. Beide Familien stellen sich besser, wenn sich die Wasserfeldsauf die Hühnerzucht spezialisieren, die Osterburgs sich hinge-gen auf den Kartoffelanbau spezialisieren und beide Familienmiteinander Handel treiben.

8. Welche der folgenden Situationen beschreibt ein Gleichgewicht,welche nicht? Falls eine Situation kein Gleichgewicht be-schreibt, wie müsste dann ein Gleichgewicht aussehen?

a. Viele Menschen pendeln regelmäßig zwischen den Vororten unddem Zentrum von Schönhausen. Aufgrund des hohen Verkehrs-aufkommens dauert die Fahrt auf den Hauptverkehrsstraßen30 Minuten, auf Nebenstraßen hingegen nur 15 Minuten.

b. An der Kreuzung von Parkstraße und Schlossallee gibt es zweiTankstellen. Die eine Tankstelle verlangt 1,30 Euro pro Liter fürNormalbenzin, die andere hingegen verlangt 1,25 Euro. Die Au-tofahrer kommen an der ersten Tankstelle sofort dran, an derzweiten müssen sie sich in eine lange Schlange einreihen undwarten.

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1 Teil 1 Was ist Volkswirtschaftslehre?Grundprinzipien

c. Jeder Student der Veranstaltung »Einführung in die Volkswirt-schaftslehre« muss auch an einer wöchentlichen Übungsgruppeteilnehmen. In diesem Semester werden zwei Übungsgruppenangeboten: Übungsgruppe A und Übungsgruppe B. Beide Übun-gen finden zur selben Zeit in nebeneinander liegenden Räumenstatt und werden von gleichermaßen kompetenten Assistentengeleitet. Übungsgruppe A ist überfüllt, die Studenten sitzenauf dem Boden und können oft nicht erkennen, was an die Ta-fel geschrieben wird. In Übungsgruppe B gibt es viele freiePlätze.

9. Erläutern Sie für jeden der folgenden Fälle, ob die beschriebeneSituation effizient ist oder nicht. Wenn sie nicht effizient ist,was sind dann die Ursachen? Mit welchen Maßnahmen ließesich die Situation effizient gestalten?

a. Die Kosten für elektrischen Strom sind in der Miete Ihres Wohn-heimzimmers enthalten. Einige Ihrer Mitbewohner lassen Licht,Computer und sonstige elektrische Geräte an, wenn sie ihreZimmer verlassen.

b. Obwohl die Herstellungskosten genau die gleichen sind, bietetdie Cafeteria Ihrer Universität Tag für Tag zu viele Gerichte an,die den Studenten nicht schmecken. Von den beliebten Gerich-ten ist dagegen ständig zu wenig da.

c. In eine bestimmte Seminarveranstaltung wollen sich mehr Stu-denten einschreiben, als Plätze vorhanden sind. Einige der Stu-denten, die das Seminar belegen müssen, damit sie Examenmachen können, bekommen keinen Seminarplatz, während an-dere, die an der Veranstaltung freiwillig teilnehmen, einenPlatz erhalten.

10. Erörtern Sie die Implikationen der beiden folgenden Politik-strategien für Effizienz und Gerechtigkeit. Wie würden Sie denWunsch nach Gerechtigkeit und Effizienz in diesen beiden Be-reichen zum Ausgleich bringen?

a. Die gesamten Studienkosten werden für jeden Studenten durchden Staat finanziert, unabhängig davon, welches Fach er bele-gen möchte.

b. Wenn Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren, zahlt der StaatArbeitslosenunterstützung, bis sie einen neuen Job finden.

11. Regierungen greifen oft zu bestimmten politischen Maßnah-men, um ein bestimmtes Verhalten ihrer Bürger zu erreichen.Bestimmen Sie für jede der folgenden Politikmaßnahmen, wel-cher Anreiz gesetzt wird und welches Verhalten die Regierungfördern möchte. Erläutern Sie jeweils auch, warum Sie glauben,dass die Regierung eine Verhaltensänderung der Menschen her-beiführen möchte, statt dies der individuellen Entscheidung zuüberlassen.

a. Auf jede Schachtel Zigaretten wird eine Tabaksteuer von 5 Euroerhoben.

b. Die Regierung zahlt den Eltern einen Betrag von 100 Euro,wenn sie ihre Kinder gegen Masern impfen lassen.

c. Die Regierung bezahlt Universitätsstudenten, damit sie Kin-dern von Familien mit niedrigem Einkommen Nachhilfeunter-richt geben.

d. Die Regierung erhebt eine Steuer auf die Luftemissionen, dieein Unternehmen freisetzt.

12. Erklären Sie für jede der folgenden Situationen, wie ein Ein-greifen der Regierung die gesellschaftliche Wohlfahrt durcheine Änderung der Anreize erhöhen könnte, denen sich Men-schen gegenübersehen. In welchem Sinne führt der Markt zueiner falschen Lösung?

a. Die durch Autoabgase hervorgerufene Umweltbelastung hat eingesundheitsgefährdendes Maß erreicht.

b. Jeder Bewohner von Waldheim wäre besser dran, wenn es inder Stadt eine Straßenbeleuchtung gäbe. Keiner der Einwohnerist jedoch bereit, die Kosten für die Installation einer Straßen-laterne vor seinem Haus zu übernehmen. Es scheint nämlichunmöglich, von den Bürgern den Betrag zu erheben, der demNutzen entspricht, den sie durch diese Straßenlaterne erhalten.

Lösungshinweise finden Sie auf www.schaeffer-poeschel.de/webcode. Ihren persönlichen Zugangswebcode finden Sie amAnfang des Buchs.

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2 Ökonomische Modelle:Zielkonflikte und Handel

Die Vision eines Kanals

Im Jahr 1901 schufen Wilbur und OrvilleWright etwas, das die Welt verändern würde.Nein, nicht das Flugzeug – ihr erfolgreicherFlug bei Kitty Hawk kam zwei Jahre später.Was die Gebrüder Wright zu wahren Visionärenmachte, war ihr Windkanal, eine Anlage, die esihnen erlaubte, mit vielen verschiedenen Ent-würfen für Flügel und Lenkeinrichtungen zuexperimentieren. Aus diesen Experimentengewannen sie das Wissen, das später dasFliegen mit Geräten ermöglichte, die schwerersind als Luft.

Ein bewegungslos in einem Windkanalstehendes Miniaturflugzeug ist nicht dasgleiche wie ein wirkliches Flugzeug im Flug.Es ist jedoch ein sehr hilfreiches Modell einessich durch die Luft bewegenden Flugzeugs –eine vereinfachte Darstellung eines realenObjektes, die für die Beantwortung zentralerFragen genutzt werden kann, etwa für dieFrage, wie viel Auftrieb ein bestimmtes Trag-flächenprofil bei einer gegebenen Geschwin-digkeit erzeugt.

Es ist überflüssig, darauf hinzuweisen, dassdas Testen eines Flugzeugentwurfs in einemWindkanal sehr viel billiger und sicherer ist,als es gleich im Maßstab 1:1 zu bauen und zuhoffen, dass es fliegen wird. Allgemein lässtsich festhalten, dass Modelle in fast allenWissenschaftsbereichen eine fundamentaleRolle spielen – und dies gilt auch für die Wirt-schaftswissenschaften.

Tatsächlich könnte man sogar sagen, dassdie ökonomische Theorie hauptsächlich auseiner Sammlung von Modellen besteht, einerReihe von vereinfachten Darstellungen derökonomischen Wirklichkeit, die uns erlaubt,eine ganze Vielfalt von ökonomischen Sach-verhalten zu verstehen. In diesem Kapitel wer-den wir drei ökonomische Modelle betrachten,die einerseits aus sich selbst heraus sehr wich-tig sind und andererseits uns zeigen können,warum Modelle so hilfreich sind. Am Endedieses Kapitels werden wir noch einen Blickdarauf werfen, wie WirtschaftswissenschaftlerModelle in ihrer Forschungsarbeit verwenden.

ZLernziele� Warum Modelle – vereinfachte Abbildungen der Wirklichkeit – in den

Wirtschaftswissenschaften eine zentrale Rolle spielen.

� Drei einfache, aber wichtige Modelle: Die Produktionsmöglichkeitenkurve,komparativer Vorteil und das Kreislaufdiagramm.

� Der Unterschied zwischen positiver Wirtschaftswissenschaft,die versucht, die Wirtschaft zu beschreiben und ihr Verhalten vorherzusagen,und normativer Wirtschaftswissenschaft, die versucht, der Wirtschafts-politik Leitlinien zu geben.

� Wann Ökonomen sich einig sind und warum sie bei manchen Fragenunterschiedliche Auffassungen vertreten.

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2 Teil 1 Was ist Volkswirtschaftslehre?Ökonomische Modelle: Zielkonflikte und Handel

Modelle in den Wirtschaftswissenschaften:Einige wichtige BeispieleEin Modell ist jede vereinfachte Darstellung derRealität, die verwendet wird, um reale Situatio-nen besser verstehen zu können. Aber wie ent-wickeln wir eine vereinfachte Darstellung derökonomischen Realität?

Eine Möglichkeit – sie ist das ökonomischeÄquivalent eines Windkanals – wäre es, einereale, aber vereinfachte Wirtschaft zu findenoder zu konstruieren. So haben beispielsweiseWirtschaftswissenschaftler, die sich für die öko-nomische Rolle des Geldes interessierten, dieTauschsysteme untersucht, die sich in Kriegsge-fangenenlagern im Zweiten Weltkrieg entwickelthaben. Dort wurden Zigaretten als universalesZahlungsmittel akzeptiert, sogar von Kriegsge-fangenen, die selbst nicht rauchten.

Eine andere Möglichkeit besteht in der Simu-lation einer Wirtschaft auf einem Computer. Sowerden beispielsweise von RegierungsbehördenSteuermodelle – große Computerprogramme –verwendet, um die Auswirkungen von ins Augegefassten Änderungen von Steuern auf verschie-dene ökonomische Gruppen zu beurteilen.

Modelle sind deswegen so wichtig, weil sie esden Forschern erlauben, isoliert die Wirkungeneiner bestimmten Änderung zu analysieren. An-ders ausgedrückt, Modelle erlauben uns, allesandere konstant zu halten und zu untersuchen,wie eine bestimmte Änderung sich auf das Ge-samtergebnis auswirkt. Die Annahme einer Kon-stanz aller anderen relevanten Faktoren bezeich-net man als Ceteris-paribus-Annahme. Sie isteine zentrale Annahme bei der Betrachtung öko-nomischer Modelle.

Allerdings findet man nicht immer eine maß-stabsgerecht verkleinerte Version der gesamtenWirtschaft und ein Computerprogramm ist nurso gut wie die Daten, die es verwendet. Für vieleZwecke ist die einfachste und effektivste Formder Modellierung das Gedankenexperiment. Beieinem Gedankenexperiment handelt es sich umdie vereinfachte hypothetische Version einerrealen Situation.

In Kapitel 1 haben wir das Gleichgewichts-konzept am Beispiel von wartenden Kunden ineinem Supermarkt illustriert, die sich neu an-

Ein Modell ist eine vereinfachteAbbildung der Wirklichkeit, mit derwir versuchen, die Realität besserzu verstehen.

Die Ceteris-paribus-Annahmebedeutet, dass mit Ausnahme deruntersuchten Größe alle anderenFaktoren unverändert bleiben.

stellen, wenn eine zusätzliche Kasse geöffnetwird. Obwohl wir nicht darauf hingewiesen ha-ben, war dies ein Beispiel für ein einfaches Mo-dell: Wir haben einen imaginären Supermarktbetrachtet, dabei von vielen Details abstrahiert(z. B. was die Kunden kaufen) und mithilfe un-serer Überlegung »Was wäre, wenn«-Fragen be-antwortet, etwa »Was wäre, wenn eine zusätzli-che Kasse geöffnet wird?«.

Wie dieses Beispiel zeigt, ist es oft möglich,ein nützliches Wirtschaftsmodell mit einfachenWorten zu beschreiben und zu analysieren. Da inden Wirtschaftswissenschaften jedoch häufigquantitative Größen eine zentrale Rolle spielen– Produktpreise, Produktmengen, Zahl der Be-schäftigten eines Unternehmens –, ist es oftsehr hilfreich, sich der Mathematik zu bedienen,um Sachverhalte präziser beschreiben und ana-lysieren zu können. Ein numerisches Beispiel,etwa eine einfache Gleichung oder ein Graph,kann den Schlüssel zum Verstehen eines ökono-mischen Konzepts bilden.

Ein gutes ökonomisches Modell kann, in wel-cher Form auch immer, eine unschätzbare Ver-ständnishilfe sein. Am überzeugendsten lässtsich diese Behauptung durch die Betrachtungeiniger einfacher, aber wichtiger ökonomischerModelle belegen. Als erstes wollen wir uns dieProduktionsmöglichkeitenkurve anschauen, einModell, das Wirtschaftswissenschaftlern hilft,über die Wahlmöglichkeiten nachzudenken, de-nen sich jede Wirtschaft gegenübersieht. Danachwerden wir uns dem komparativen Vorteil zuwen-den, einem Modell, das Handelsgewinne erklärt,und zwar sowohl beim Handel zwischen Indivi-duen als auch beim Handel zwischen Ländern.Schließlich werden wir noch das Kreislaufmodellbetrachten, das Wirtschaftswissenschaftlernhilft, die monetären Transaktionen zu analysie-ren, die in der Volkswirtschaft insgesamt statt-finden.

Bei der Diskussion dieser Modelle werden wirausführlichen Gebrauch von graphischen Dar-stellungen machen, mit denen wir mathemati-sche Beziehungen veranschaulichen. Solche gra-phischen Darstellungen werden für den Rest des

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2Modelle in den Wirtschaftswissenschaften

Buches eine ganz wesentliche Rolle spielen.Wenn Sie mit der graphischen Darstellung vonFunktionen vertraut sind, dürfte Ihnen der for-male Aspekt der nachfolgenden Überlegungenkeine Schwierigkeiten bereiten. Sollten Sie sichjedoch unsicher fühlen, dann wäre es gut, wennSie jetzt den Anhang zu diesem Kapitel durchar-beiten würden, in dem eine kurze Einführung indie Verwendung von Graphen in den Wirtschafs-wissenschaften gegeben wird.

Ein Trade-off:Die Produktionsmöglichkeitenkurve

In dem Erfolgsfilm Cast Away mit Tom Hanks inder Hauptrolle geht es um eine Neuauflage derklassischen Geschichte von Robinson Crusoe,dem Helden von Daniel Defoes Novelle aus dem18. Jahrhundert. Hanks spielt dort den einzigenÜberlebenden eines Flugzeugabsturzes, der aufeiner einsamen Insel strandet. Wie in der ur-sprünglichen Geschichte von Robinson Crusoeverfügt die von Hanks gespielte Figur nur überbegrenzte Ressourcen: die natürlichen Ressour-cen der Insel, einige wenige Dinge, die er ausdem Flugzeug retten konnte und natürlich seineeigene Zeit und Arbeit. Mit diesen begrenzten

Modelle für Geld

Für Wissbegierige

Wie viel ist eigentlich ein ökonomisches Modell wert? Manch-mal eine ganze Menge Geld.

Die meisten ökonomischen Modelle werden für rein wissen-schaftliche Zwecke entwickelt. Daneben werden aber auchModelle entworfen, mit denen die praktische Wirtschaftspolitikunterstützt werden soll. Schließlich werden auch zunehmendModelle entwickelt, um die Entscheidungsfindung von Unter-nehmen zu unterstützen.

Wer entwickelt solche kommerziellen Modelle? Es gibt Dut-zende von Beratungsfirmen, die ihre Modelle nutzen, um künf-tige Trends vorherzusagen. Sie bieten Beratungsleistungen an,die auf ihren Modellen beruhen, und sie entwickeln »maßge-schneiderte« Modelle für ihre Kunden aus dem Unternehmens-und Politikbereich. Die weltgrößte ökonomische Beratungs-firma ist Global Insight. Dieses Unternehmen entstand auseiner Fusion von Data Resources Inc. und Wharton EconomicForecasting Associates. (Data Resources wurde von Professo-ren der Harvard-Universität und des Massachusetts Instituteof Technology gegründet, Wharton Economic Forecasting Asso-ciates wurden von Professoren der Universität von Pennsylva-nia ins Leben gerufen.)

Ein besonders lukrativer Zweig der Wirtschaftswissenschaftenist die Finanztheorie, die Investoren hilft, herauszufinden,welchen Wert Vermögenswerte wie etwa Aktien haben. Finanz-theoretiker werden oft hoch bezahlte Spezialisten bei großenFinanzinstituten, weil die in diesem Bereich verwendetenModelle ein hohes Maß an technischen Fachkenntnissen ver-langen.

Unglücklicherweise geriet die bekannteste Anwendung derFinanztheorie in eine spektakuläre Schieflage. Im Jahr 1994tat sich eine Gruppe von Wall-Street-Händlern mit berühmtenFinanztheoretikern – unter ihnen zwei Nobelpreisträger –zusammen, um Long-Term Capital Management (LTCM) zugründen, ein Fonds, der komplexe finanztheoretische Modelleverwendete, um das Geld seiner vermögenden Klienten zuinvestieren. Zunächst war dieser Fonds ausgesprochen erfolg-reich. Im Jahr 1998 fügten jedoch schlechte Nachrichten ausaller Welt – so unterschiedliche Länder wie Russland, Japanund Brasilien gerieten zur selben Zeit in Schwierigkeiten –den Anlagen von LTCM riesige Verluste zu. Für einige Tagekam es zu einer regelrechten Zitterpartie, bei der vielebefürchteten, dass der Fonds nicht nur zusammenbrechenwürde, sondern auch noch viele andere Unternehmen mit inden Abgrund reißen würde. Nicht zuletzt wegen einer Ret-tungsoperation der amerikanischen Regierung konnte diesverhindert werden. LTCM wurde jedoch wenige Monate spätergeschlossen und einige der Investoren haben fast ihr gesam-tes Geld verloren.

Was war falsch gelaufen? Zum Teil war es sicherlich einfachPech. Experten beschuldigten aber auch die Ökonomen vonLTCM, zu viele Risiken eingegangen zu sein. Deren Modellewaren davon ausgegangen, dass eine solche Zusammenbal-lung von ungünstigen Ereignissen (wie sie tatsächlich eintra-ten) extrem unwahrscheinlich wäre. Als Ökonom müsste manaber eigentlich wissen, dass auch das beste Modell die Realitätmit ihren Unwägbarkeiten nur begrenzt erfassen kann.

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2 Teil 1 Was ist Volkswirtschaftslehre?Ökonomische Modelle: Zielkonflikte und Handel

Ressourcen muss er sein Leben meistern. ImGrunde geht es hier also um eine Ein-Mann-Wirtschaft.

Unser erstes in Kapitel 1 eingeführtes Prinzipbesagte, dass Ressourcen knapp sind und daherjede Wirtschaft, ganz gleich, ob sie aus Millio-nen von Menschen oder einer einzigen Personbesteht, sich Trade-offs gegenübersieht. Verwen-det ein Gestrandeter beispielsweise Ressourcen,um Fische zu fangen, dann kann er dieselbenRessourcen nicht zum Sammeln von Kokosnüs-sen verwenden.

Um über Trade-offs nachzudenken, denensich jede Wirtschaft gegenübersieht, verwendenÖkonomen häufig ein Modell, das als Produkti-onsmöglichkeitenkurve bekannt ist. Hinterdiesem Modell steht die Idee, dass wir einenTrade-off besser verstehen lernen, wenn wir einevereinfachte Wirtschaft betrachten, die nur zweiGüter produziert. Diese Vereinfachung erlaubt esuns, die zur Wahl stehenden Möglichkeiten gra-phisch darzustellen.

Abbildung 2-1 zeigt die hypothetische Pro-duktionsmöglichkeitenkurve für Tom, eineneinsamen Schiffbrüchigen, der zwischen der Pro-duktion von Fisch und der Produktion vonKokosnüssen abwägen muss. Die im Diagrammgezeigte Kurve zeigt die maximale Zahl vonFischen, die Tom während einer Woche fangen

Die Produktionsmöglichkeiten-kurve illustriert die Abwägungs-möglichkeiten bzw. Abwägungsnot-wendigkeiten einer Wirtschaft, dienur zwei Güter produziert. Sie zeigtfür jede gegebene Menge des einenGutes, wie viel von dem anderenGut maximal produziert werdenkann.

kann, unter der Annahme einer gegebenenMenge von Kokosnüssen und umgekehrt. DieProduktionsmöglichkeitenkurve beantwortetalso Fragen der Form: »Welches ist die maximaleZahl von Fischen, die Tom fangen kann, wenn er20 (oder 25 oder 30) Kokosnüsse sammelt?« (Wirerklären das bogenförmige Aussehen der Kurvein Abbildung 2-1 ein wenig später, nachdem wirgesehen haben, wie man die Produktionsmög-lichkeitenkurve interpretieren kann.)

Es besteht ein fundamentaler Unterschiedzwischen Punkten innerhalb oder auf der Kurve(schraffierte Fläche) und außerhalb der Kurve.Liegt ein Punkt innerhalb der Grenze, dann ister erreichbar. (Dies gilt beispielsweise für denmit C bezeichneten Punkt, bei dem Tom 20 Fi-sche fängt und 20 Kokosnüsse sammelt.) EinProduktionspunkt außerhalb der Grenze hinge-gen lässt sich nicht erreichen. (Dies gilt etwafür den mit D bezeichneten Punkt, bei dem Tom– rein hypothetisch – 40 Fische fangen und 30Kokosnüsse sammeln würde. Dieser Punkt ist in-sofern hypothetisch, weil Tom entweder 40 Fi-sche fangen und keine Kokosnüsse sammelnkönnte oder 30 Kokosnüsse sammeln und keinenFisch fangen könnte. Beides zusammen ist je-doch nicht möglich.)

In Abbildung 2-1 schneidet die Produktions-möglichkeitenkurve die waagerechte Achse bei

Abb. 2-1

Die Produktionsmöglichkeitenkurve

Die Produktionsmöglichkeitenkurve illustriert die Abwägungsmög-lichkeiten bzw. den Trade-off, denen bzw. dem sich eine Wirtschaftgegenübersieht, die zwei Güter produziert. Sie zeigt für jede gege-bene Menge eines Gutes die maximale Menge des anderen Gutes,die produziert werden kann. Im vorliegenden Fall hängt die maxi-male Anzahl an Kokosnüssen, die Tom sammeln kann, von derAnzahl der Fische ab, die er fängt, und umgekehrt. Die für ihnerreichbare Produktion wird durch die Fläche innerhalb und aufder Kurve dargestellt. Produktionspunkt C ist erreichbar, abernicht effizient. Die Punkte A und B sind erreichbar und effizient.Punkt D ist nicht erreichbar.

A

B

C

10 20 30 40 500

35

30

25

20

15

10

5

D

Fischmenge

Kokosnuss-menge

Nicht erreichbarErreichbarund effizient

Erreichbar, abernicht effizient Produktions-

möglichkeiten-kurvePMK

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2Modelle in den Wirtschaftswissenschaften

40 Fischen. Würde Tom also seine gesamten Res-sourcen auf den Fischfang lenken, könnte er 40Fische pro Woche fangen, hätte aber keine Res-sourcen mehr verfügbar, um Kokosnüsse zu sam-meln. Die Produktionsmöglichkeitenkurveschneidet die senkrechte Achse bei 30 Kokos-nüssen. Würde Tom seine gesamten Ressourcenfür das Sammeln von Kokosnüssen verwenden,könnte er also 30 Kokosnüsse pro Woche sam-meln, hätte aber keine Ressourcen mehr zur Ver-fügung, um Fische zu fangen.

Die Abbildung zeigt auch weniger extremeWahlmöglichkeiten. Beschließt Tom beispiels-weise, 20 Fische zu fangen, dann kann er 25 Ko-kosnüsse sammeln. Diese Produktionskombina-tion wird durch Punkt A beschrieben. BeschließtTom, 30 Fische zu fangen, dann kann er maxi-mal 20 Kokosnüsse sammeln, wie Punkt B zeigt.

Das Denken in den Kategorien der Produkti-onsmöglichkeitenkurve vereinfacht die Komple-xität der Wirklichkeit. Reale Wirtschaften produ-zieren Millionen von verschiedenen Gütern.Selbst eine auf einer Insel verschollene Personwürde mehr als zwei verschiedene Dinge produ-zieren – so würde ein Verschollener neben Nah-rung auch Kleidung und ein Dach über dem Kopfbenötigen. In diesem Modell stellen wir uns abereine Wirtschaft vor, die ausschließlich zwei Gü-ter produziert. Mit der Vereinfachung der Reali-tät erlaubt uns die Produktionsmöglichkeiten-kurve jedoch, einige Aspekte der Realität besserzu verstehen, als wir es ohne dieses Modellkönnten. Zunächst einmal ist die Produktions-möglichkeitenkurve ein guter Weg, um das allge-meine ökonomische Konzept der Effizienz zu il-lustrieren. In Kapitel 1 hatten wir gesehen, dasseine Wirtschaft dann effizient ist, wenn alleMöglichkeiten genutzt werden, niemand alsobessergestellt werden kann, ohne dass andereschlechtergestellt werden. Insbesondere gehörtzur Effizienz, dass keine Produktionsmöglichkei-ten ausgelassen werden, es also keinen Weg gibt,von einem Gut mehr zu produzieren, ohne vonanderen Gütern weniger zu produzieren.

Solange sich Tom auf seiner Produktionsmög-lichkeitenkurve befindet, ist seine Produktioneffizient. In Punkt A sind die 25 Kokosnüsse, dieer sammelt, das Maximum, das er erreichenkann, unter der Annahme, dass er sich für denFang von 20 Fischen entschieden hat. In Punkt

B sind die 20 gesammelten Kokosnüsse das er-reichbare Maximum unter der Annahme einergegebenen Entscheidung, 30 Fische zu fangen.In analoger Weise lassen sich alle anderenPunkte auf der Produktionsmöglichkeitenkurveinterpretieren.

Nehmen wir einmal an, dass sich Tom ausirgendeinem Grund im Punkt C befindet, wo er20 Fische und 20 Kokosnüsse produziert. In die-ser Situation ist die betrachtete Ein-Personen-Wirtschaft aus ökonomischer Sicht definitiv ineinem ineffizienten Zustand: Sie könnte von bei-den Gütern mehr produzieren.

Die Produktionsmöglichkeitenkurve ist auchinsofern hilfreich, als dass sie uns an das funda-mentale Konzept der Opportunitätskosten erin-nert. Sie zeigt uns nämlich, dass die wahrenKosten eines Gutes nicht einfach in dem Geldbe-trag bestehen, den wir dafür bezahlen müssen,sondern neben Geld auch alles andere umfassen,was aufgegeben werden muss, um das Gut zu er-halten. Würde Tom 30 Fische anstelle von 20fangen, könnte er nur 20 Kokosnüsse anstellevon 25 sammeln. Die Opportunitätskosten der10 zusätzlich gefangenen Fische bestehen alsoin den 5 nicht gesammelten Kokosnüssen. Wenn10 zusätzliche Fische Opportunitätskosten inHöhe von 5 Kokosnüssen aufweisen, dann betra-gen die Opportunitätskosten für einen Fisch5/10 = 0,5 Kokosnüsse.

Wir sind jetzt in der Lage, den bogenförmigenVerlauf der Produktionsmöglichkeitenkurve zuerklären, den wir in Abbildung 2-1 gesehen ha-ben. Er reflektiert die Annahme, wie sich die Op-portunitätskosten ändern, wenn sich die Out-put-Zusammensetzung ändert. Abbildung 2-2zeigt dieselbe Produktionsmöglichkeitenkurvewie Abbildung 2-1. Die Pfeile in Abbildung 2-2illustrieren den Umstand, dass sich Tom mit die-ser nach außen gebogenen Produktionsmöglich-keitenkurve steigenden Opportunitätskosten ge-genübersieht: Je mehr Fisch er fängt, destomehr Kokosnüsse muss er für den Fang eines zu-sätzlichen Fischs aufgeben und umgekehrt. Umbeispielsweise von null auf die Produktion von20 Fischen zu gelangen, muss er auf 5 Kokos-nüsse verzichten. Die Opportunitätskosten die-ser 20 Fische sind also 5 Kokosnüsse. Um aberseine Fischproduktion auf 40 zu erhöhen, alsoweitere 20 Fische zu fangen, muss er weitere

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2 Teil 1 Was ist Volkswirtschaftslehre?Ökonomische Modelle: Zielkonflikte und Handel

25 Kokosnüsse aufgeben, also deutlich höhereOpportunitätskosten tragen. Wir gehen davonaus, dass Opportunitätskosten normalerweisezunehmen. Das ist deswegen so, weil eine Wirt-schaft dann, wenn von einem bestimmten Gutnur eine kleine Menge produziert wird, Ressour-cen einsetzen kann, die sich für die Produktiondieses Gutes besonders gut eignen. Baut bei-spielsweise eine Wirtschaft nur eine kleineMenge von Mais an, dann wird der Anbau dorterfolgen, wo Boden und Klima für das Gedeihenvon Mais geeignet sind und sich weniger gut fürandere Getreidesorten eignen, wie z. B. Weizen.Der Anbau von Mais ist so mit einem vergleichs-weise geringen Verzicht auf potenzielle Weizen-produktion verbunden. Wird in dieser Wirtschaftjedoch sehr viel Mais produziert, dann mussauch Land verwendet werden, das für den Mais-anbau nur bedingt taugt und vielleicht sehr gutfür Weizen geeignet wäre. Die zusätzliche Mais-produktion impliziert daher einen relativ gro-ßen Verzicht auf die Erzeugung von Weizen.

Schließlich hilft uns die Produktionsmöglich-keitenkurve auch zu verstehen, was es bedeutet,wenn wir über Wirtschaftswachstum sprechen.Wir haben das Konzept des Wirtschaftswachs-tums in der Einleitung eingeführt. Dort habenwir Wachstum als die Zunahme der Fähigkeit ei-ner Wirtschaft zur Produktion von Waren undDienstleistungen definiert. Wie wir gesehen ha-ben, gehört Wirtschaftswachstum zu den funda-mentalen Eigenschaften realer Ökonomien. Wiekönnen wir aber tatsächlich sicher sein, dasseine Wirtschaft gewachsen ist? Natürlich produ-ziert etwa die deutsche Volkswirtschaft heutevon vielen Dingen sehr viel mehr als vor 100Jahren. Andererseits produziert sie aber von an-deren Dingen auch deutlich weniger, etwa Pfer-dekutschen. Tatsächlich ist also die Produktionvieler Güter gesunken. Wie können wir also mitSicherheit sagen, dass die Wirtschaft insgesamtgewachsen ist?

Diese Frage beantwortet Abbildung 2-3:Wirtschaftswachstum bedeutet eine Expansionder Produktionsmöglichkeiten einer Volkswirt-schaft. Die betreffende Wirtschaft kann von al-lem mehr produzieren. Liegt Toms Produktionbeispielsweise ursprünglich im Punkt A (20 Fi-sche und 25 Kokosnüsse), dann bedeutet Wachs-tum, dass er sich zu Punkt E (25 Fische und30 Kokosnüsse) bewegen könnte. E liegt außer-halb der ursprünglichen Grenze. Im Modell derProduktionsmöglichkeitenkurve schlägt sichWachstum also als Verschiebung der Kurve nachaußen nieder.

Welche Güterkombination die Wirtschaft tat-sächlich produziert, hängt von den Entschei-dungen der Menschen ab. Nachdem sich seineProduktionsmöglichkeiten verbessert haben,könnte Tom sich tatsächlich für eine höhereProduktion beider Güter entscheiden, also mehrFisch und mehr Kokosnüsse, er könnte aberauch die Erhöhung der Produktion nur eines derbeiden Güter bevorzugen oder sogar die Produk-tion eines der beiden Güter reduzieren. Aberselbst dann, wenn er sich aus irgendeinemGrund entscheiden würde, entweder weniger Ko-kosnüsse oder weniger Fisch zu produzieren alszuvor, würden wir immer noch sagen, dass seineWirtschaft gewachsen ist, weil er von sämtlichenGütern mehr hätte produzieren können.

Abb. 2-2

Zunehmende Opportunitätskosten

Die nach außen gewölbte Gestalt der Produktionsmöglichkeitenkurve reflektiertzunehmende Opportunitätskosten. Für unser Beispiel gilt Folgendes: Um die ersten20 Fische zu produzieren, muss Tom auf 5 Kokosnüsse verzichten. Um jedoch weitere20 Fische zu produzieren, muss er jetzt sogar auf weitere 25 Kokosnüsse verzichten.

A

PMK

10 20 30 40 500

35

30

25

20

15

10

5

Die Produktion derersten 20 Fische . . .

. . . erfordert den Verzichtauf 5 Kokosnüsse.

Aber die Produktion von weiteren 20 Fischen . . .

Fischmenge

Kokosnuss-menge

. . . erfordertden Verzichtauf 25 Kokos-nüsse.

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2Modelle in den Wirtschaftswissenschaften

Die Produktionsmöglichkeitenkurve ist einstark vereinfachtes Modell einer Volkswirtschaft.Sie lehrt uns gleichwohl wichtige Lektionenüber tatsächliche Ökonomien. Sie gibt uns einenersten klaren Eindruck von einem Schlüsselele-ment des ökonomischen Effizienzbegriffs, sie il-lustriert das Konzept der Opportunitätskostenund sie verdeutlicht, worum es bei ökonomi-schem Wachstum überhaupt geht.

Komparative Vorteile undHandelsgewinne

Unter den von uns in Kapitel 1 vorgestelltenneun Prinzipien war auch das der Handelsge-winne, das den wechselseitigen Gewinn charak-terisiert, den Individuen durch arbeitsteiligeSpezialisierung und Tausch der produzierten Gü-ter erreichen können. Das zweite Beispiel, mitdem wir die Bedeutung ökonomischer Modelle il-lustrieren wollen, ist ein Modell, das sich als be-sonders hilfreich zur Beschreibung von Gewin-nen erweist, die aus Handel resultieren, der aufkomparativen Vorteilen beruht.

Bleiben wir bei Tom, der auf seiner Insel ge-strandet ist. Wir wollen jetzt aber annehmen,dass ein zweiter Verschollener, der zufälliger-weise Hank heißt, an Land gespült wird. Könnensie aus wechselseitigem Handel Vorteile ziehen?

Es liegt auf der Hand, dass es potenzielleHandelsgewinne gibt, wenn die zwei Schiffbrü-chigen verschiedene Sachen ausgesprochen guttun können. Wäre beispielsweise Tom ein berufs-erfahrener Fischer und könnte Hank ausgespro-chen gut klettern, dann wäre es offenbar sinn-voll, wenn Tom sich um den Fischfang kümmernund Hank Kokosnüsse sammeln würde. Für beidegemeinsam wäre es sinnvoll, die von ihnen pro-duzierten Güter untereinander zu tauschen.

Eine der wichtigsten Einsichten der gesamtenWirtschaftswissenschaften besteht jedoch darin,dass es auch dann Handelsgewinne gibt, wenneine der am Handel beteiligten Parteien in kei-ner Produktionsrichtung besonders gut ist. Neh-men wir einmal an, Hank ist grundsätzlich fürdas einfache Leben auf der Insel schlechter ge-eignet als Tom. Hank ist ihm in Bezug auf denFischfang weit unterlegen und im Vergleich zuTom lassen selbst seine Fähigkeiten zum Kokos-

nusssammeln sehr zu wünschen übrig. Dennochwird sich zeigen, dass sowohl Tom als auch Hankein besseres Leben führen können, wenn siemiteinander Handel treiben, als wenn jeder aus-schließlich für den Eigenverbrauch produziert.

Für dieses Beispiel wollen wir Toms Produkti-onsmöglichkeiten etwas anders zeichnen, undzwar so, wie es Diagramm (a) von Abbildung 2-4zeigt. Aus dieser Darstellung geht hervor, dassTom maximal 40 Fische fangen könnte, aber nurdann, wenn er keine Kokosnüsse sammelt. Erkönnte auch 30 Kokosnüsse sammeln, aber nurdann, wenn er keine Fische fangen würde.

In Abbildung 2-4 haben wir die gekrümmteProduktionsmöglichkeitenkurve von Abbil-dung 2-1 durch eine gerade Linie ersetzt. Warumhaben wir das getan, wo wir doch schon darübergesprochen hatten, dass Wirtschaftswissen-schaftler eine nach außen gebogene Produkti-onsmöglichkeitenkurve als Normalfall ansehen?Die Antwort ist, dass diese Darstellung unsereDiskussion vereinfacht – und wie wir weiter

Abb. 2-3

Wirtschaftswachstum

Wirtschaftswachstum führt zu einer Verschiebung der Produktionsmöglichkeitenkurve nachaußen, weil die Produktionsmöglichkeiten zunehmen. Die Wirtschaft kann nunmehr vonallem mehr produzieren. Wenn die Produktion beispielsweise ursprünglich durch den PunktA charakterisiert wurde (20 Fische und 25 Kokosnüsse), kann jetzt Punkt E realisiertwerden (25 Fische und 30 Kokosnüsse).

A

10 20 25 30 40 500

35

30

25

20

15

10

5

E

Fischmenge

Kokosnuss-menge

UrsprünglichePMK

NeuePMK

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2 Teil 1 Was ist Volkswirtschaftslehre?Ökonomische Modelle: Zielkonflikte und Handel

oben erläutert haben, geht es bei Modellierungimmer um Einfachheit. Das Prinzip des kompara-tiven Vorteils basiert nicht auf der Annahme ei-ner linearen Produktionsmöglichkeitenkurve, eslässt sich mithilfe dieser Annahme aber leichtererklären.

Die lineare Produktionsmöglichkeitenkurvein Diagramm (a) von Abbildung 2-4 weist einekonstante Steigung von –3/4 auf. (Der Anhangzu diesem Kapitel erläutert, wie man die Stei-gung einer Geraden berechnet.) Für jeweils vierzusätzliche Fische, die sich Tom entschließt zufangen, kann er drei Kokosnüsse weniger sam-meln. Für Tom betragen die Opportunitätskosteneines Fisches daher 3/4 einer Kokosnuss, unab-hängig davon, wie viele oder wie wenige Fischeer fängt. Im Gegensatz zu diesem Fall würdeeine Produktionsmöglichkeitenkurve nach au-ßen gekrümmt verlaufen, wenn sich die Oppor-tunitätskosten eines Gutes in Abhängigkeit vonder Menge ändern, die bereits produziert wird.Betrachten wir noch einmal Abbildung 2-2.Wenn Tom beispielsweise von einem Punkt ausstartet, in dem er keine Fische fängt und 30 Ko-

kosnüsse sammelt, dann betragen seine Oppor-tunitätskosten für den Fang von 20 Fischen5 Kokosnüsse. Beträgt seine Fangmenge in derAusgangssituation aber bereits 20 Fische, dannerhöhen sich die Opportunitätskosten für 20weitere Fische auf 25 Kokosnüsse.

Diagramm (b) von Abbildung 2-4 zeigt dieProduktionsmöglichkeiten von Hank. Wie beiTom ist auch bei Hank die Produktionsmöglich-keitenkurve eine Gerade, was konstante Oppor-tunitätskosten von Fisch in Kokosnusseinheitenimpliziert. Seine Produktionsmöglichkeiten-kurve hat eine konstante Steigung von –2. Hankist in jeder Hinsicht weniger produktiv als Tom:Er kann maximal 10 Fische oder 20 Kokosnüsseproduzieren. Besonders schlecht ist er aber beimFischfang. Während Tom für jeden Fisch, den erfängt, 3/4 einer Kokosnuss aufheben muss, be-tragen für Hank die Opportunitätskosten einesFischs 2 ganze Kokosnüsse. Tabelle 2-1 fasst dieOpportunitätskosten unserer zwei Schiffbrüchi-gen zusammen.

Tom und Hank könnten völlig unabhängigvoneinander leben. Jeder würde auf seiner eige-

Abb. 2-4

Die Produktionsmöglichkeiten der beiden Schiffbrüchigen

Im vorliegenden Fall hat jeder der beiden Schiffbrüchigen konstante Opportunitätskosten des Fischfangsund somit eine lineare Produktionsmöglichkeitenkurve: Für Tom hat jeder Fisch Opportunitätskosten in Höhe voneiner dreiviertel Kokosnuss. Für Hank hat jeder Fisch Opportunitätskosten in Höhe von zwei Kokosnüssen.

28 400

30

9

1060

20

8

Fischmenge Fischmenge

Kokosnuss-menge

Kokosnuss-menge

(a) Toms Produktionsmöglichkeiten (b) Hanks Produktionsmöglichkeiten

Toms Konsumohne Handel

TomsPMK

HanksPMK

Hanks Konsumohne Handel

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2Modelle in den Wirtschaftswissenschaften

nen Seite der Insel leben, seinen eigenen Fischfangen und seine eigenen Kokosnüsse sammeln.Nehmen wir einmal an, dass sie so beginnen unddie Konsumentscheidungen treffen, die in Abbil-dung 2-4 gezeigt werden. Ohne Handel konsu-miert Tom 28 Fische und 9 Kokosnüsse pro Wo-che, während Hank 6 Fische und 8 Kokosnüsseverbraucht.

Ist dies die beste Lösung? Nein. Vor dem Hin-tergrund der Tatsache, dass beide Schiffbrüchigeunterschiedliche Opportunitätskosten haben,können sie einen Weg finden, der sie beide bes-serstellt.

Tabelle 2-2 zeigt, wie das funktioniert: Tomspezialisiert sich auf die Produktion von Fisch,fängt jede Woche 40 Stück und gibt 10 davonHank. Gleichzeitig spezialisiert sich Hank aufdie Produktion von Kokosnüssen. Er sammelt20 Stück pro Woche und gibt 10 davon Tom. DasResultat dieses Verhaltens wird in Abbil-dung 2-5 gezeigt. Tom konsumiert nun von bei-den Gütern mehr als zuvor: Anstelle von 28 Fi-schen und 9 Kokosnüssen isst er jetzt 30 Fischeund 10 Kokosnüsse. Und auch Hank konsumiertmehr, er verbessert sich von 6 Fischen und8 Kokosnüssen auf 10 Fische und 10 Kokosnüsse.Wie Tabelle 2-2 zeigt, haben sowohl Tom alsauch Hank einen Vorteil vom Handel: TomsFischkonsum erhöht sich um 2 und sein Kokos-nusskonsum erhöht sich um 1 Einheit. HanksFischkonsum erhöht sich um 4 und sein Kokos-nussverbrauch um 2 Einheiten. Beide Schiffbrü-chige stellen sich also besser, wenn sie sich aufdas spezialisieren, was sie jeweils besser kön-

nen, und miteinander Handel treiben. Für Tomist es günstig, den Fisch für beide zu fangen,weil seine Opportunitätskosten eines Fisches le-diglich 3/4 einer Kokosnuss betragen, währendes bei Hank 2 Kokosnüsse sind. Analog ist es fürHank sinnvoll, die Kokosnüsse für beide zu sam-meln.

Wir können die Sache auch andersherum be-trachten: Weil Tom beim Fischfang so gut ist,sind für ihn die Opportunitätskosten des Kokos-nusssammelns relativ hoch: 4/3 nicht gefangeneFische für jede gesammelte Kokosnuss. WeilHank ein ziemlich armseliger Fischer ist, sindfür ihn die Opportunitätskosten des Kokosnuss-sammelns sehr viel geringer, nämlich nur 1/2Fisch pro Kokosnuss.

Man spricht in diesem Fall davon, dass Tomeinen komparativen Vorteil beim Fischfangund Hank einen komparativen Vorteil beim Sam-meln von Kokosnüssen hat. Ein Individuum hateinen komparativen Vorteil bei der Produktion

Ein Individuum verfügt über einenkomparativen Vorteil bei derProduktion eines Gutes, wenn dieOpportunitätskosten für dieProduktion des Gutes für diesesIndividuum geringer sind als fürandere Menschen.

Tab. 2-1

Opportunitätskosten von Tom und Hank

Opportunitätskosten von

Tom Hank

Fisch 3/4 Kokosnuss 2 Kokosnüsse

Kokosnuss 4/3 Fisch 1/2 Fisch

Tab. 2-2

Handelsgewinne der Schiffbrüchigen

Ohne Handel Mit Handel Handels-gewinne

Produktion Konsum Produktion Konsum

TomFischKokosnüsse

289

289

400

3010

+2+1

HankFischKokosnüsse

68

68

020

1010

+4+2

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2 Teil 1 Was ist Volkswirtschaftslehre?Ökonomische Modelle: Zielkonflikte und Handel

eines Gutes, wenn die Opportunitätskosten derProduktion dieses Gutes für das betreffende In-dividuum geringer sind als für andere Menschen.Anders ausgedrückt hat Hank einen komparati-ven Vorteil bei der Produktion eines bestimmtenGutes gegenüber Tom, wenn Hanks Opportuni-tätskosten für die Produktion dieses Gutes ge-ringer sind als die von Tom.

Die Geschichte von Tom und Hank verein-facht die Realität offenkundig stark. Sie erlaubtuns aber sehr wichtige Einsichten, die auch aufdie reale Wirtschaft anwendbar sind.

Erstens illustriert das Modell in sehr deutli-cher Weise die durch Handel möglichen Ge-winne: Wenn Tom und Hank sich auf Spezialisie-rung und gegenseitige Versorgung mit Güterneinigen können, dann können sie mehr produ-zieren und konsumieren. Sie sind daher beidebesser dran, als wenn sie versuchen würden,sich jeweils selbst zu versorgen.

Zweitens weist dieses Modell auf einen sehrwichtigen Punkt hin, der bei der Diskussion vonProblemen realer Ökonomien häufig übersehen

wird: Solange Menschen unterschiedliche Oppor-tunitätskosten haben, hat jeder in einem Bereicheinen komparativen Vorteil und in einem anderenBereich einen komparativen Nachteil.

Beachten Sie, dass Tom in unserem Beispielbei der Produktion beider Güter besser ist alsHank: Tom kann in jeder Woche mehr Fische fan-gen und er kann in jeder Woche mehr Kokos-nüsse sammeln. Tom hat also in beiden Aktivitä-ten einen absoluten Vorteil: Er kann mit einergegebenen Menge von Input (in diesem Fall seineZeit) mehr Output produzieren als Hank. Mankönnte daher versucht sein zu glauben, dass Tomaus dem Handel mit dem weniger kompetentenHank überhaupt keine Vorteile ziehen kann.

Wie wir jedoch gerade gesehen haben, kannTom trotzdem vom Handel mit Hank profitieren.Die Basis für den wechselseitigen Gewinn isteben nicht der absolute, sondern der kompara-tive Vorteil. Was zählt, sind die für ihn (in Fischgemessenen) niedrigeren Opportunitätskostendes Sammelns von Kokosnüssen. Obwohl Hankalso auch beim Kokosnusssammeln einen absolu-

Ein Individuum verfügt über einenabsoluten Vorteil in einerAktivität, wenn es diese Aktivitätbesser leisten kann als andereMenschen. Wenn man über einenabsoluten Vorteil verfügt, heißt dasnicht, dass man notwendigerweiseauch einen komparativen Vorteilhat.

Abb. 2-5

Komparativer Vorteil und Handelsgewinne

Durch Spezialisierung und Handel können die beiden Schiffbrüchigen von beiden Gütern mehr produzieren undkonsumieren. Tom spezialisiert sich auf das Fangen von Fisch, wo er einen komparativen Vorteil hat, und Hank,der einen absoluten Nachteil bei der Produktion beider Güter hat, aber über einen komparativen Vorteil bei derProduktion von Kokosnüssen verfügt, spezialisiert sich auf das Sammeln von Kokosnüssen. Im Ergebnis könnenTom und Hank von beiden Gütern mehr konsumieren, als wenn sie keinen Handel treiben würden.

28 400

30

910

Fischmenge

Kokosnuss-menge

Kokosnuss-menge

1060

20

810

Fischmenge

(a) Toms Produktion und Konsum (b) Hanks Produktion und Konsum

Toms Konsumohne Handel

Hanks Konsumohne Handel

Hanks Konsumbei Handel

Hanks Produktionbei Handel

Toms Konsumbei Handel

TomsProduktionbei Handel

30

TomsPMK

HanksPMK

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2Modelle in den Wirtschaftswissenschaften

ten Nachteil hat, verfügt er hier über einenkomparativen Vorteil. Gleichzeitig hat Tom, derseine Zeit besser für das Fangen von Fisch ver-wenden kann, einen komparativen Nachteil beimSammeln von Kokosnüssen.

Wären komparative Vorteile lediglich fürSchiffbrüchige relevant, dann wären sie wohleher uninteressant. Tatsächlich lässt sich dasKonzept der komparativen Vorteile auf viele Ak-tivitäten von Volkswirtschaften anwenden. Dervielleicht wichtigste Anwendungsbereich istnicht der Handel zwischen Individuen, sondernder Handel zwischen Ländern. Wir wollen daherkurz einen Blick darauf werfen, wie das Modelldes komparativen Vorteils uns dabei hilft, Ursa-chen und Wirkungen des internationalen Han-dels zu verstehen.

Komparative Vorteile undinternationaler Handel

Schauen Sie sich das Etikett oder Typenschildeines Gutes an, das in Deutschland verkauftwird. Die Chancen stehen nicht schlecht, dassdieses Gut in einem anderen Land produziertwurde – in China, in Japan, in Frankreich oderin den USA. Auf der anderen Seite verkauft diedeutsche Industrie einen großen Teil ihrer Pro-duktion ins Ausland (dies gilt insbesondere fürAutomobile, Maschinenbauprodukte oder Er-zeugnisse der chemischen Industrie).

Soll man diesen internationalen Austauschvon Gütern und Dienstleistungen nun feiernoder ist er Grund zur Besorgnis? Politiker und dieöffentliche Meinung stellen den Wunsch nach in-ternationalem Handel oft infrage. Es wird gesagt,dass es besser wäre, wenn die Produkte im eige-nen Land hergestellt würden, anstatt sie im Aus-land zu kaufen. Industrien rund um die Welt ver-langen Schutz vor ausländischer Konkurrenz:Japanische Bauern versuchen, den Import vonamerikanischem Reis zu verhindern, amerikani-sche Stahlarbeiter möchten keine Stahlimporteaus Europa. Diese Forderungen werden häufigdurch die öffentliche Meinung unterstützt.

Wirtschaftswissenschaftler sehen den inter-nationalen Handel dagegen in einem sehr positi-ven Licht. Warum? Weil sie ihn unter demAspekt des komparativen Vorteils betrachten.

Abbildung 2-6 zeigt mit einem einfachenBeispiel, wie der internationale Handel unterdem Gesichtspunkt des komparativen Vorteilsinterpretiert werden kann. So, wie es konstru-iert ist, handelt es sich um ein hypothetischesBeispiel, das allerdings auf einem tatsächlich zubeobachtenden Muster des internationalen Han-dels basiert: Schweinefleischexporte der Verei-nigten Staaten nach Kanada und kanadischeExporte von Flugzeugen in dieVereinigten Staaten. Diagramm(a) und (b) von Abbildung 2-6illustrieren hypothetische Pro-duktionsmöglichkeitenkurvenfür die Vereinigten Staatenund Kanada, wobei das Schwei-nefleisch an der horizontalenAchse und die Flugzeuge ander vertikalen Achse abgetra-gen sind. Die Produktionsmög-lichkeitenkurve der Vereinig-ten Staaten verläuft flacher alsdie Kanadas. Dies implizierteinen komparativen Vorteil beiSchweinefleisch für die Verei-nigten Staaten und einen kom-parativen Vorteil bei Flugzeu-gen für Kanada.

Obwohl die Konsumpunktein Abbildung 2-6 rein hypothe-tisch sind, illustrieren sie einallgemeines Prinzip: Genau wieim Beispiel mit den Schiffbrü-chigen Tom und Hank könnenauch die Vereinigten Staatenund Kanada wechselseitigeVorteile aus dem Handel zie-hen. Wenn sich die VereinigtenStaaten auf die Produktion vonSchweinefleisch konzentrierenund einen Teil ihres Outputs nach Kanada expor-tieren, während sich Kanada auf Flugzeuge kon-zentriert und einen Teil seines Outputs in dieVereinigten Staaten exportiert, können beideLänder mehr konsumieren, als wenn sie aufSelbstversorgung bestehen würden.

Weiterhin hängen diese wechselseitigen Ge-winne nicht davon ab, dass jedes der beidenLänder jeweils in der Produktion eines bestimm-ten Gutes besser ist als das andere. Selbst dann,

Komparative Vorteile falschverstehenStudenten passiert es, Fachgelehrten passiert esund Politikern passiert es Tag und Nacht: Sie ver-wechseln komparative Vorteile und absolute Vor-teile. In den 1980er-Jahren sah es so aus, als obdie Volkswirtschaft der Vereinigten Staaten deut-lich hinter der japanischen zurückbleiben würde.Oft war von Kommentatoren zu hören, dass, wenndie Vereinigten Staaten ihre Produktivität nichtenorm steigern würden, sie über kurz oder lang inkeinem Bereich mehr einen komparativen Vorteilgegenüber Japan haben würden.

Was diese Kommentatoren meinten, war, dass dieVereinigten Staaten in keinem Bereich mehr einenabsoluten Vorteil haben würden, dass also Japan inabsehbarer Zeit jedes Produkt besser herstellenkönnte als die USA. (Spätestens in den 1990er-Jahren erwies sich dies als falsch – aber darumgeht es hier nicht.) Dahinter stand die Befürch-tung, dass die Vereinigten Staaten in diesem Fallkeinen Nutzen mehr aus einem Handel mit Japanziehen könnten.

Aber genau wie Hank einen Nutzen aus dem Han-del mit Tom zieht (und umgekehrt), obwohl Tom injedem Bereich besser ist als Hank, können Volks-wirtschaften auch dann Handelsvorteile erzielen,wenn sie in allen Industrien weniger produktivsind als die Länder, mit denen sie Handel treiben.

Denkfallen!

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2 Teil 1 Was ist Volkswirtschaftslehre?Ökonomische Modelle: Zielkonflikte und Handel

wenn ein Land in beiden Industrien einen höhe-ren Output je Arbeitsstunde hat, also einen ab-soluten Vorteil in beiden Industrien aufweist,existieren nach wie vor wechselseitige Handels-gewinne.

Wie erfolgt nun aber der Handel tatsächlichim Rahmen von Marktinteraktionen? Dies bringtuns zu unserem letzten Modell, dem Kreislauf-diagramm, das Ökonomen hilft, die Transaktio-nen in einer Marktwirtschaft zu analysieren.

Transaktionen: Das Kreislaufdiagramm

Der kleinen Volkswirtschaft, die Tom und Hankauf ihrer Insel geschaffen haben, fehlen vieleEigenschaften der Wirtschaft, in der wir leben.Ein Unterschied besteht darin, dass, obwohlmehrere Millionen Deutsche selbstständig sind,die meisten Erwerbstätigen von anderen be-

schäftigt werden, oft von Unternehmen mitHunderten oder Tausenden von Angestellten.Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass Tomund Hank nur die einfachsten ökonomischenTransaktionen betreiben, den Naturaltausch,bei dem Individuen direkt ein Gut, über das sieselbst verfügen, gegen ein anderes tauschen, dassie benötigen. In einer modernen Wirtschaft istder einfache Naturaltausch die absolute Aus-nahme: Normalerweise veräußern die MenschenWaren oder Dienstleistungen gegen Geld – buntbedrucktes Papier ohne inneren Wert – und sietauschen diese bunten Papierscheine gegen dieGüter, die sie benötigen. Sie verkaufen also be-stimmte Waren und Dienstleistungen und kaufenandere Waren und Dienstleistungen.

Die Käufe und Verkäufe in einer Volkswirt-schaft umfassen eine Unmenge verschiedenerObjekte. Die deutsche Volkswirtschaft ist eineenorm komplexe Angelegenheit mit mehr als

Handel findet in Form von Natural-tausch statt, wenn MenschenGüter, die sie besitzen, direkt gegenGüter tauschen, die sie gernehätten.

Abb. 2-6

Komparativer Vorteil und internationaler Handel

In diesem hypothetischen Beispiel produzieren Kanada und die Vereinigten Staaten lediglich zwei Güter:Schweinefleisch und Flugzeuge. Flugzeuge werden an der senkrechten Achse abgetragen und Schweinefleisch wirdan der waagerechten Achse gemessen. Diagramm (a) zeigt die Produktionsmöglichkeitenkurve der VereinigtenStaaten. Sie verläuft relativ flach, was einen komparativen Vorteil der Vereinigten Staaten bei der Produktion vonSchweinefleisch impliziert. Diagramm (b) zeigt die kanadische Produktionsmöglichkeitenkurve. Diese verläuftrelativ steil, was einen komparativen Vorteil Kanadas bei der Produktion von Flugzeugen impliziert. Genau wie zweiIndividuen ziehen die beiden betrachteten Länder Vorteile aus Spezialisierung und Handel.

0

1.500

1.000

AnzahlFlugzeuge

AnzahlFlugzeuge

321 0

3.000

2.000

1.500

10,5 1,5

US-PMKKanadischePMK

Schweinefleischmenge (Mio. t)

(a) US-Produktionsmöglichkeitenkurve (b) Kanadische Produktionsmöglichkeitenkurve

Schweinefleischmenge (Mio. t)

US-Produktionbei Handel

Kanadische Produktionbei Handel

KanadischerKonsum ohneHandel

KanadischerKonsum beiHandel

US-Konsumbei Handel

US-Konsumohne Handel

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2Modelle in den Wirtschaftswissenschaften

34 Millionen Arbeitnehmern, die von Hundert-tausenden von Unternehmen beschäftigt werdenund Millionen von unterschiedlichen Güternproduzieren. Dennoch kann man einige sehrwichtige Dinge über solch komplexe Volkswirt-schaften lernen, wenn man das in Abbil-dung 2-7 gezeigte einfache Modell zurate zieht.Was wir dort sehen, wird als Kreislaufdia-gramm bezeichnet. Dieses Diagramm stellt dieTransaktionen einer Wirtschaft durch zwei Artenvon Strömen dar, die im Kreis fließen: Strömephysischer Größen, wie Waren, Dienstleistun-gen, Arbeit oder Rohstoffe, in eine Richtung undGeldströme, mit denen diese physischen Größenbezahlt werden, in die entgegengesetzte Rich-tung. In Abbildung 2-7 sind die physischenStröme gelb, die Geldströme grün gezeichnet.

Unsere Abbildung zeigt ein sehr stark verein-fachtes Kreislaufdiagramm. In diesem Diagrammwird eine Volkswirtschaft mit nur zwei Artenvon »Bewohnern« modelliert, nämlich Haushal-ten und Unternehmen. Ein Haushalt bestehtaus einem Individuum oder einer Gruppe vonMenschen (normalerweise, nicht jedoch notwen-digerweise eine Familie), die ihr Einkommen tei-len. Ein Unternehmen ist eine Organisation, die

Das Kreislaufdiagramm ist einModell zur Darstellung der Trans-aktionen einer Volkswirtschaftmithilfe von Strömen in einemKreislauf.

Ein Haushalt ist eine Person odereine Gruppe von Personen, die ihrEinkommen gemeinsam verwendet.Ein Unternehmen ist eine Organi-sation, die Güter produziert mitdem Ziel, diese zu verkaufen.

Waren und Dienstleistungen für den Verkaufproduziert und Mitglieder der Haushalte be-schäftigt.

Wie man aus Abbildung 2-7 erkennen kann,existieren in diesem Modell der Wirtschaft zweiArten von Märkten. Auf der einen Seite (in un-serer Darstellung links) gibt es Gütermärkte,auf denen die Haushalte die Waren und Dienst-leistungen kaufen, die sie von den Unternehmenmöchten. Daraus ergibt sich ein Strom von Wa-ren und Dienstleistungen zu den Haushaltenund ein in umgekehrter Richtung fließenderStrom von Geld zu den Unternehmen.

Auf der gegenüberliegenden Seite sind dieFaktormärkte dargestellt. Ein Produktions-faktor ist eine Ressource, die zur Produktionvon Waren und Dienstleistungen verwendetwird. Ökonomen verwenden die BezeichnungProduktionsfaktor in der Regel, um Ressourcenzu charakterisieren, die nicht in der Produktionaufgehen. So verwenden beispielsweise in derTextilindustrie Erwerbstätige Nähmaschinen, umaus Stoff Hemden zu machen. Die Erwerbstäti-gen und die Nähmaschinen sind Produktionsfak-toren, der Stoff jedoch nicht. Wenn man breitabgrenzt, dann kann man als wichtigste Produk-

Unternehmen verkaufen Güter, diesie produziert haben, auf Güter-märkten an Haushalte. Unter-nehmen kaufen die Ressourcen, diesie für die Produktion benötigen(Produktionsfaktoren), aufFaktormärkten.

Abb. 2-7

Das Kreislaufdiagramm

Dieses Modell stellt die Geld- und Güterströme einerVolkswirtschaft dar. Auf dem Gütermarkt kaufenHaushalte Waren und Dienstleistungen von denUnternehmen, wodurch ein Geldstrom zu den Unter-nehmen und ein Güterstrom zu den Haushaltenerzeugt werden. Die Unternehmen kaufen auf denFaktormärkten Produktionsfaktoren von den Haus-halten. Über diesen Kanal fließt das Geld zurück zuden Haushalten.Märkte für

Waren undDienstleistungen

Faktormärkte

Haushalt

UnternehmenGeld Geld

Geld Geld

FaktorenWaren undDienstleistungen

Waren undDienstleistungen Faktoren

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2 Teil 1 Was ist Volkswirtschaftslehre?Ökonomische Modelle: Zielkonflikte und Handel

tionsfaktoren Arbeit, Land, Kapital und Human-kapital unterscheiden. Arbeit ist die Tätigkeitvon Menschen; Land ist eine Ressource, die vonder Natur bereitgestellt wird; Kapital beziehtsich auf »produzierte« Ressourcen wie Maschi-nen und Gebäude; Humankapital schließlich be-zieht sich auf den Ausbildungsstand und die Fä-higkeiten der Erwerbspersonen, wodurch derenProduktivität bestimmt wird. Es sollte klar sein,dass es sich bei den genannten Größen tatsäch-lich um Kategorien handelt und nicht um ein-zelne Faktoren – Land in der norddeutschenTiefebene unterscheidet sich recht deutlich vonLand in den bayerischen Alpen.

Der Faktormarkt, den die meisten von uns ambesten kennen, ist der Arbeitsmarkt, auf demdie Erwerbstätigen ihre Arbeitszeit gegen Geldverkaufen. Wir können uns Haushalte aber auch

so vorstellen, dass sie neben ihrer Arbeit auchals Eigentümer der anderen Produktionsfaktorendiese an die Unternehmen verkaufen. Schüttetbeispielsweise eine Aktiengesellschaft Dividen-den an ihre Aktionäre aus, die Mitglieder vonHaushalten sind, dann bezahlt die Aktiengesell-schaft im Endeffekt für die Nutzung von Maschi-nen und Gebäuden, die letztlich den Haushalts-mitgliedern gehören.

In welchem Sinne ist Abbildung 2-7 einModell? Anders ausgedrückt: In welchem Sinnehandelt es sich um eine vereinfachte Darstellungder Realität? Nun, es werden eine ganze Reihevon Komplikationen der Wirklichkeit ausgeblen-det. Schauen wir uns ein paar Beispiele an:

� In der Realität ist die Unterscheidung zwi-schen Unternehmen und Haushalten nichtimmer ohne Weiteres erkennbar. Betrachten

Abb. 2-8

Wachstum in den Vereinigten Staaten von 1962 bis 1988

Die beiden gezeigten Kreislaufdiagramme – das eine bezieht sich auf 1962, das andere auf 1988 – helfen unszu verstehen, wie die Wirtschaft der Vereinigten Staaten dazu fähig war, für die schnell steigende Zahl derErwerbspersonen genügend neue Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen. Eine ungefähre Verdopplung der Zahl derArbeitnehmer zwischen 1962 und 1988 wurde von einer Verneunfachung der Geldströme zwischen Haushalten undUnternehmen begleitet. Mit zunehmender Zahl der Erwerbspersonen nahm auch der Geldfluss zu den Haushalten zu,ebenso wie deren Ausgaben für Waren und Dienstleistungen. Dies veranlasste die Unternehmen, mehr Arbeitnehmerzu beschäftigen, um den erhöhten Bedarf an Waren und Dienstleistungen befriedigen zu können. Damit entstandenaber auch zusätzliche Arbeitsplätze für die Haushalte.

Geld

Geld

1962

Geld

Geld

1988

GeldGeld

GeldGeld

Märkte fürWaren und

Dienstleistungen

Haushalte

70 Mio.Arbeitskräfte

Haushalte

120 Mio.Arbeitskräfte

Faktormärkte

0,36Bill. $

0,38Bill. $

3,36 Bill. $

3,53 Bill. $Unternehmen

Unternehmen

FaktormärkteMärkte fürWaren und

Dienstleistungen

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2Modelle in den Wirtschaftswissenschaften

wir ein kleines Familienunternehmen – einenBauernhof, ein Einzelhandelsgeschäft oderein kleines Hotel. Handelt es sich um ein Un-ternehmen oder einen Haushalt? Ein detail-lierteres Bild würde einen separaten Kastenfür Familienunternehmen ausweisen.

� Viele Verkäufe von Unternehmen gehen nichtan Haushalte, sondern an andere Unterneh-men. So verkaufen beispielsweise Stahlunter-nehmen ihre Produkte hauptsächlich an an-dere Unternehmen, wie etwa Automobilher-steller, nicht jedoch an Haushalte. Eindetaillierteres Bild würde daher diese Geld-und Güterströme innerhalb des Unterneh-menssektors ausweisen.

� Unsere Darstellung enthält auch nicht denStaat, der in der Realität dem Kreislauf großeGeldbeträge in Form von Steuern entziehtund gleichzeitig wieder Geld in Form vonAusgaben in den Kreislauf zurückführt.

Abbildung 2-7 zeichnet also in keiner Weise einvollständiges Bild – weder von allen Arten von»Einwohnern« einer realen Wirtschaft noch vonallen Geld- und Güterströmen, die zwischen die-sen Einwohnern fließen.

Trotz seiner Einfachheit ist das Kreislaufdia-gramm, wie jedes gute ökonomische Modell,sehr hilfreich, wenn man über das Wirtschafts-geschehen nachdenkt. So hilft uns beispiels-weise ein Kreislaufdiagramm zu verstehen, wieeine Ökonomie es schafft, für eine wachsendeBevölkerung Arbeitsplätze bereitzustellen. Umdiesen Punkt zu illustrieren, wollen wir dieenorme Zunahme der Erwerbspersonen in denVereinigten Staaten zwischen 1960 und 1990 be-trachten. Dieser Anstieg geht zum großen Teilauf den 15 Jahre währenden »Babyboom« zu-rück, der auf den Zweiten Weltkrieg folgte. Dieersten Mitglieder dieser Kohorte strömten inden frühen 1960er-Jahren auf den Arbeitsmarkt,die letzten in den späten 1980ern. Neben die-sem Geburteneffekt führten auch soziale Verän-derungen zu einem starken Anstieg der Erwerbs-beteiligung von Frauen. Im Ergebnis nahm dieAnzahl von Erwerbspersonen, also Menschen,die beschäftigt waren oder eine Arbeit suchten,zwischen 1962 und 1988 um 71 Prozent zu.

Das sind eine Menge neuer Arbeitsuchender.Es sieht wie ein glücklicher Zufall aus, dass sichdie Zahl der Arbeitsplätze in der gleichen Peri-ode um fast exakt denselben Prozentsatz erhöhthat.

Oder war es kein Zufall? Das Kreislaufdia-gramm hilft uns zu verstehen, warum sich dieZahl der verfügbaren Arbeitsplätze mit der Aus-dehnung der Zahl der Erwerbspersonen erhöhthat. Abbildung 2-8 vergleicht die Geldströmedes Wirtschaftskreislaufs für die Wirtschaft derVereinigten Staaten in den Jahren 1962 und1988. Sowohl die Geldbeträge, die den Haus-halten bezahlt wurden, als auch die Geldbe-träge, die die Haushalte ausgegeben haben, er-höhten sich zwischen den beiden Betrachtungs-zeiträumen enorm – und dies war kein Zufall.In dem Maße, in dem die Anzahl der Beschäftig-ten stieg – je mehr also Arbeit auf den Faktor-märkten verkauft wurde –, nahm auch das Ein-kommen der Haushalte zu. Die Haushalteverwendeten das gestiegeneEinkommen, um mehr Warenund Dienstleistungen auf denGütermärkten zu kaufen. Umdiese Waren und Dienstleistun-gen produzieren zu können,mussten die Firmen wiederummehr Arbeitskräfte einstellen!

Obwohl es sich um ein extremvereinfachtes Modell der Wirt-schaft handelt, hilft uns also dasKreislaufdiagramm, wichtigeFragen bezüglich realer Volks-wirtschaften zu klären. Das Mo-dell zeigt uns, dass die Zahl derArbeitsplätze nicht eine gege-bene Größe ist, weil sie vomAusgabenvolumen der Haus-halte abhängt. Das Volumen derAusgaben der Haushalte wie-derum hängt davon ab, wie vieleMenschen arbeiten. Es ist alsokein Zufall, dass Volkswirtschaf-ten irgendwie genügend Ar-beitsplätze bereitstellen, selbstdann, wenn die Zahl der Er-werbspersonen rasch zunimmt.

KKurzzusammenfassung� Die meisten ökonomischen Modelle sind

Gedankenexperimente oder vereinfachteDarstellungen der Wirklichkeit, die auf derCeteris-paribus-Annahme beruhen.

� Ein wichtiges ökonomisches Modell ist dieProduktionsmöglichkeitenkurve, mit der mandie Konzepte Effizienz, Opportunitätskostenund Wirtschaftswachstum illustrieren kann.

� Das Konzept des komparativen Vorteils ist einModell, das die Ursprünge von Handelsge-winnen erklärt, oft aber mit absolutemVorteil verwechselt wird. Jede Person undjedes Land hat in irgendeinem Bereich einenkomparativen Vorteil, was zum Entstehenvon Handelsgewinnen führt.

� In den einfachsten Formen von Volkswirt-schaften erfolgt der Tausch als Naturaltauschund nicht wie in modernen Volkswirtschaftenmithilfe von Geld. Das Kreislaufdiagramm istein Modell zur Darstellung der Transaktioneninnerhalb einer Volkswirtschaft in Form vonStrömen von Gütern, Produktionsfaktorenund Geld zwischen Haushalten und Unter-nehmen. Diese Transaktionen finden aufGütermärkten und Faktormärkten statt.

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2 Teil 1 Was ist Volkswirtschaftslehre?Ökonomische Modelle: Zielkonflikte und Handel

Überprüfen Sie Ihr Wissen 2-1

1. Richtig oder falsch? Erläutern Sie Ihre Antwort.a. Eine Zunahme der für Tom verfügbaren Ressourcen zur Produktion von Kokosnüssen und Fischen

lässt seine Produktionsmöglichkeitenkurve unverändert.b. Eine technologische Änderung, die Tom für jede gegebene Menge von Kokosnüssen erlaubt, mehr

Fisch zu fangen, führt zu einer Änderung seiner Produktionsmöglichkeitenkurve.c. Die Produktionsmöglichkeitenkurve ist nützlich, weil sie zeigt, wie viel eine Ökonomie von einem

Gut aufgeben muss, um mehr von einem anderen Gut zu erhalten, unabhängig davon, ob dieRessourcen effizient genutzt werden.

Wirtschaftswissenschaft und Praxis

Reiches Land, armes LandZiehen Sie einmal Ihre Kleider aus (natürlichzur rechten Zeit, am rechten Ort) und werfenSie einen Blick auf die Etiketten, die Ihnenverraten, wo sie produziert wurden. Sie kön-nen mit einiger Sicherheit darauf wetten,dass viele, wenn nicht die meisten Ihrer Klei-dungsstücke im Ausland produziert wordensind, in einem Land, das viel ärmer ist alsDeutschland – etwa in der Türkei, in Indienoder China.

Warum sind diese Länder so viel ärmer alswir? Der unmittelbare Grund besteht darin,dass ihre Volkswirtschaften eine sehr viel ge-ringere Produktivität aufweisen. Die Unter-nehmen in diesen Ländern sind einfach nichtin der Lage, mit einer gegebenen Ressourcen-menge genauso viel zu produzieren wie dieVereinigten Staaten, Deutschland oder anderereiche Länder. Warum Länder sich in ihrer Pro-duktivität so stark unterscheiden, ist eine sehrschwierige Frage – eine der zentralen Fragen,mit denen sich Ökonomen beschäftigen. Wieauch immer: Dass diese Unterschiede beste-hen, ist ein Faktum.

Wenn die Wirtschaften dieser Länder abereine so viel geringere Produktivität im Ver-gleich zu uns aufweisen, wie können sie danneinen so großen Teil unserer Kleidung produ-zieren? Warum produzieren wir diese Textiliennicht selbst?

Die Antwort lautet »komparativer Vorteil«.Fast jeder Industriezweig in Bangladesch istweniger produktiv als die entsprechende Bran-che in den Vereinigten Staaten oder Deutsch-land. Die Produktivitätsunterschiede zwischenreichen und armen Ländern variieren jedochstark über die einzelnen Güterzweige. Der Pro-duktionsunterschied bei hochwertigen undkomplexen technischen Gütern, wie etwa imFlugzeug-, Maschinen- oder Fahrzeugbau, istsehr groß. Er ist weniger groß bei der Produk-tion einfacher Güter wie Textilien. Von daherentspricht die Position Bangladeschs in Bezugauf die Produktion von Kleidung der Positionvon Hank in Bezug auf das Sammeln von Ko-kosnüssen: Auch beim Kokosnusssammeln ister nicht ganz so gut wie Tom, aber in Bezugauf das Fangen von Fischen macht er seine Sa-che vergleichsweise gut.

Der zentrale Punkt der vorstehenden Über-legungen ist folgender: Obwohl Bangladeschim Vergleich zu entwickelten Industrieländernwie Deutschland in fast allen Bereichen abso-lute Nachteile aufweist, hat es einen kompara-tiven Vorteil bei der Textilproduktion. Dies be-deutet, dass sowohl Deutschland als auchBangladesch insgesamt mehr konsumierenkönnen, wenn sie sich auf die Produktion un-terschiedlicher Dinge spezialisieren: Bangla-desch versorgt uns mit Kleidung und Deutsch-land versorgt Bangladesch mit Textilmaschi-nen.

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2Die Verwendung von Modellen

2. In Italien kann ein Auto mit acht Manntagen und eine Waschmaschine mit drei Manntagen herge-stellt werden. In Deutschland kann ein Auto mit sechs Manntagen und eine Waschmaschine mitzwei Manntagen produziert werden.a. Welches Land hat einen absoluten Vorteil bei der Produktion von Automobilen?

Bei der Produktion von Waschmaschinen?b. Welches Land hat einen komparativen Vorteil bei der Produktion von Waschmaschinen?

Bei der Produktion von Automobilen?c. Welche Art der Spezialisierung führt zu den größten Gewinnen, wenn die beiden Länder

miteinander Handel treiben?

3. Verwenden Sie das Kreislaufdiagramm, um zu erklären, wie eine Zunahme der Geldausgaben derHaushalte zu einem Anstieg der Zahl der Arbeitsplätze in einer Wirtschaft führt. Beschreiben Siemit Ihren eigenen Worten, welche Vorhersage das Kreislaufmodell macht.

Die Verwendung von ModellenIn der ökonomischen Theorie geht es, wie wirjetzt gelernt haben, hauptsächlich um dieSchaffung von Modellen, die auf einer Reihe vongrundlegenden Prinzipien beruhen, aber einigespezifischere Annahmen hinzufügen, die es demModellbauer erlauben, diese Prinzipien auf einebestimmte Situation anzuwenden. Aber wofürwerden diese Modelle tatsächlich verwendet?

Positive versus normative Theorie

Stellen Sie sich vor, Sie sind ökonomischer Bera-ter des Verkehrsministers. Für welche Arten vonFragen könnte der Verkehrsminister Ihren Ratsuchen? Nun, drei für den Verkehrsminister in-teressante Fragen könnten folgende sein:1. Wie hoch werden die Einnahmen aus der Lkw-

Maut im kommenden Jahr sein?2. Um wie viel würden die Einnahmen anstei-

gen, wenn die Lkw-Maut um 50 Prozent er-höht würde?

3. Sollte die Lkw-Maut erhöht werden, wennman bedenkt, dass diese Erhöhung einerseitszu einem Rückgang des Verkehrsaufkommensund damit der Luftverschmutzung führenwürde, gleichzeitig sich aber die finanzielleBelastung für die Spediteure erhöhen würde?

Es gibt einen großen Unterschied zwischen denersten beiden Fragen und der dritten. Bei den

beiden ersten Fragen geht es um Fakten. IhrePrognose für das Mautaufkommen des nächstenJahres wird sich als richtig oder falsch erweisen,wenn die tatsächlichen Zahlen bekannt sind.Ihre Vorhersage für die Auswirkungen einer Er-höhung der Maut lässt sich etwas schwierigerüberprüfen, weil das Ergebnis neben der Maut-höhe auch von anderen Faktoren bestimmt wird,und es problematisch sein könnte, die einzelnenUrsachen für eine Änderung des Mautaufkom-mens auseinanderzuhalten. Im Prinzip gibt estrotzdem nur eine einzige richtige Antwort.

Auf die Frage, ob die Maut erhöht werdensollte, gibt es jedoch keine »richtige« Antwort:Zwei Personen, die sich hinsichtlich der Wirkun-gen einer höheren Maut einig sind, könntentrotzdem unterschiedlicher Auffassung sein, obdie Erhöhung der Maut eine gute Idee ist. So wä-ren beispielsweise für jemanden, der in der Näheeiner Autobahn wohnt, aber selbst kein Spedi-teur ist, der Lärm wichtig und auch die Luftver-schmutzung, nicht aber die aus der Maut resul-tierenden Kosten. Ein Spediteur, der abseits derAutobahn wohnt, würde vermutlich umgekehrtePrioritäten setzen.

Dieses Beispiel beleuchtet einen zentralenUnterschied zwischen zwei Rollen, welche dieökonomische Analyse spielen kann. Eine ökono-mische Analyse, die versucht, Fragen darüber zubeantworten, wie die Welt funktioniert, und diezu definitiv richtigen oder falschen Antworten

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2 Teil 1 Was ist Volkswirtschaftslehre?Ökonomische Modelle: Zielkonflikte und Handel

führt, wird als positive ökonomische Theoriebezeichnet. Im Gegensatz dazu bezeichnet maneine Analyse, die darauf gerichtet ist, Fragendanach zu beantworten, wie die Welt funktio-nieren sollte, als normative ökonomische Theo-rie. Anders formuliert: Bei positiver Theorie gehtes um Beschreibung, bei normativer Theorie umVorschläge. Im Wesentlichen geht es in denWirtschaftswissenschaften um positive Theorie.Und Modelle spielen in praktisch allen Bereichender positiven Theorie eine zentrale Rolle. Wieweiter oben erwähnt, verwenden fast alle Regie-rungen dieser Welt Computermodelle, um dieAuswirkungen von vorgeschlagenen Änderungenvon Steuern zu untersuchen.

Es ist erwähnenswert, dass es zwischen derersten und zweiten imaginären Frage des Ver-kehrsministers einen subtilen, aber wichtigenUnterschied gibt. Bei Frage eins geht es um eineeinfache Vorhersage bezüglich der Erlöse deskommenden Jahres, also um eine Prognose.Frage zwei hingegen ist eine Frage vom »Waswäre, wenn«-Typ: Wie würde sich das Aufkom-men ändern, wenn die Lkw-Maut höher wäre?Ökonomen werden häufig bei beiden Arten vonFragen zurate gezogen, Modelle sind aber beson-ders hilfreich, um zu »Was wäre, wenn«-FragenStellung zu nehmen.

Die Antworten auf solche Fragen dienen oftals Leitlinie für die Politik. Trotzdem sind es im-mer noch positive, keine normativen Antworten.Sie sagen uns, was geschehen wird, wenn die Po-litik eine bestimmte Maßnahme ergreift. Sie sa-gen uns aber nicht, ob dieses Ergebnis gut oderschlecht ist. Nehmen wir einmal an, aus demverwendeten ökonomischen Modell lässt sichfolgendes Ergebnis ableiten: Die vom Verkehrs-minister ins Auge gefasste Erhöhung der Mautführt zu einem Anstieg der Bodenwerte vonGrundstücken, die in der Nähe von Autobahnenliegen, gleichzeitig aber auch zu einer erhebli-chen Belastung der Spediteure. Ist die fraglicheMauterhöhung nun ein guter oder ein schlechterVorschlag? Offensichtlich hängt die Antwort da-von ab, wen man fragt. Eigentümer von in derNähe von Autobahnen gelegenen Grundstückenwerden die Erhöhung vermutlich unterstützen.Die Spediteure, deren Lastwagen die Autobahnbenutzen, werden das aber wohl ganz anderssehen. Bei der Einschätzung, ob die geplante

Als positive Theorie wird der Teilder Wirtschaftswissenschaftbezeichnet, der die Wirtschaft sobeschreibt, wie sie tatsächlich ist.Demgegenüber macht dienormative Theorie Vorschläge, wiedie Wirtschaft sein sollte.

Eine Prognose ist eine Voraus-schätzung künftiger Ereignisse.

Maßnahme gut ist oder schlecht, geht es um einWerturteil. Werturteile lassen sich nicht objek-tiv begründen.

Dennoch geben Ökonomen der Politik häufigRatschläge. Sie bewegen sich damit im normati-ven Bereich. Wie kann das sein, wenn es viel-leicht keine »richtige« Antwort gibt?

Nun, zum einen sind Ökonomen auch Bürgerund haben damit ihre Meinung. Darüber hinaus,und das ist der wichtigere Punkt, kann die öko-nomische Analyse in vielen Fällen zeigen, dassbestimmte Politikvarianten ganz klar bessersind als andere, und zwar unabhängig von sub-jektiven Meinungen.

Nehmen wir einmal an, dass eine bestimmtePolitik A jeden in der Gesellschaft besserstelltals eine andere Politik B – oder zumindest einigeMenschen besserstellt, ohne andere schlechter-zustellen. In diesem Fall ist A eindeutig effi-zienter als B. Es geht hierbei nicht um ein Wert-urteil: Wir sprechen darüber, wie man ein Zielam besten erreichen kann, nicht über das Zielselbst.

Beispielsweise kann es ein Ziel der Politiksein, Familien, die ein niedriges Einkommen be-ziehen, mit ausreichend Wohnraum zu versor-gen. Zur Erreichung dieses Ziels sind zwei An-sätze denkbar: Mietpreiskontrollen, mit denendie Höhe der Miete begrenzt wird, die Vermieterfordern dürfen, und Mietbeihilfen, mit denenden Familien zusätzliche Mittel für die Zahlungvon Mieten zur Verfügung gestellt werden. Na-hezu alle Ökonomen sind sich einig, dass Miet-beihilfen die effizientere Politikvariante darstel-len. (In Kapitel 4 werden wir sehen, warum dasso ist.) Aus diesem Grund befürwortet die großeMehrheit der Ökonomen, unabhängig von ihrerpersönlichen politischen Meinung, Mietbeihilfenim Vergleich zu Mietpreiskontrollen.

Wenn Politikmaßnahmen wie in unserem Bei-spiel in eine eindeutige Reihenfolge gebrachtwerden können, dann sind sich Wirtschaftswis-senschaftler im Allgemeinen einig. Es ist jedochkein Geheimnis, dass Ökonomen häufig unter-schiedlicher Meinung sind. Warum ist das so?

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2Die Verwendung von Modellen

Wann und warum sich Ökonomenuneinig sind

Ökonomen eilt der Ruf voraus, dass sie sehr un-terschiedliche Auffassungen vertreten und sichgern miteinander streiten. Woher kommt dieserRuf? Nun, einerseits neigen die Medien dazu, dietatsächlich bestehenden Auffassungsunter-schiede massiv zu übertreiben. Wenn sich prak-tisch alle Ökonomen hinsichtlich einer bestimm-ten Sache einig sind, etwa die Überzeugung,dass Mietpreiskontrollen zu Wohnraumknapp-heit führen werden, halten Presse, Funk undFernsehen dies vermutlich für nicht besonderserwähnenswert. Über Bereiche, in denen einweitgehender Konsens besteht, wird also kaumberichtet. Gibt es jedoch Fragen, bei denen be-kannte Ökonomen unterschiedliche Seiten ver-treten, ob beispielsweise eine Steuersenkung dieWirtschaft ankurbeln würde, ist dies für die Me-dien viel interessanter. Daher werden in der Öf-fentlichkeit eher die Bereiche wahrgenommen,in denen zwischen Ökonomen Auffassungsunter-schiede bestehen, als die großen Bereiche, indenen weitgehender Konsens besteht.

Weiter ist an die unvermeidbare Verbindungzwischen Wirtschaftswissenschaften und Politikzu denken. Es gibt eine Menge von Fragen, beidenen mächtige Interessengruppen sehr genauwissen, welche Meinungen sie hören möchten.

Sie haben daher einen Anreiz, Ökonomen zu fin-den und zu fördern, die ihre Meinung unterstüt-zen, wodurch diese Ökonomen einen Bekannt-heitsgrad erreichen, der nicht deckungsgleichist mit der Unterstützung, die sie von ihrenFachkollegen erhalten.

Obwohl also der Eindruck von Uneinigkeitunter Wirtschaftswissenschaftlern tatsächlichübertrieben ist, bleibt es natürlich richtig, dassÖkonomen tatsächlich in Bezug auf wichtigeFragestellungen unterschiedlicher Auffassungsind. So gibt es beispielsweise in Deutschlandsehr unterschiedliche Bewertungen der Körper-schaftsteuer oder der Erbschaftsteuer. In denVereinigten Staaten sprechen sich beispielsweiseeinige bekannte Ökonomen nachdrücklich füreine Substitution der Einkommensteuer durcheine Mehrwertsteuer aus. Andere gleichermaßenangesehene Wirtschaftswissenschaftler vertre-ten die gegenteilige Auffassung. In Europa, woin den meisten Ländern die Einnahmen aus derMehrwertsteuer einen erheblichen Anteil am ge-samten Steueraufkommen haben, wird dieserPunkt fast gar nicht diskutiert. Woher kommendiese unterschiedlichen Auffassungen?

Ein wichtiger Grund für Meinungsverschie-denheiten sind unterschiedliche Werte. Wie injeder anderen Gruppe von Individuen könnenbei Wertfragen auch sehr vernünftige Menschenvöllig unterschiedliche Meinungen vertreten.

Wo Ökonomen einer Meinung sind

Für Wissbegierige

»Ökonomie ist das einzige Fach, in dem zwei Forscher denNobelpreis bekommen, weil sie das genaue Gegenteil heraus-gefunden haben.« Dies ist einer von vielen Witzen über Ökono-men. Sind sich Wirtschaftswissenschaftler aber tatsächlich souneinig?

Nach einer umfassenden Befragung der American EconomicAssociation, über die im Mai 1992 im American EconomicReview berichtet wurde, sieht das anders aus. Die Verfasserdieser Studie wollten von den Befragten wissen, ob sie miteiner Reihe von Aussagen über die Wirtschaft übereinstimmenoder nicht. Dabei ergab sich ein hohes Maß an Übereinstim-mung in vielen Bereichen. Zu den Aussagen, denen über 90Prozent der befragten Ökonomen zustimmten, gehörten:»Zölle und Importquoten vermindern im Normalfall die ökono-

mische Wohlfahrt« und »Eine Mietobergrenze vermindert dieMenge und Qualität des verfügbaren Wohnraums«. Im Hin-blick auf diese beiden Aussagen ist bemerkenswert, dass vieleNicht-Ökonomen völlig anderer Meinung sind: Zölle undImportquoten zur Beschränkung des Imports ausländischerWaren werden von vielen Wählern befürwortet. Und in prak-tisch allen Ländern, in denen es Mietobergrenzen gibt, wurdenVorschläge zur Abschaffung solcher Grenzen heftig bekämpft.

Ist also das Stereotyp der ständig streitenden Ökonomen nurein Mythos? Nicht ganz – tatsächlich gibt es unter Ökonomen,insbesondere im Bereich der Makroökonomik, in einigen Berei-chen erhebliche Meinungsunterschiede. Das darf aber nichtdarüber hinwegtäuschen, dass es einen sehr großen Bereichvon Gemeinsamkeiten gibt.

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2 Teil 1 Was ist Volkswirtschaftslehre?Ökonomische Modelle: Zielkonflikte und Handel

Im Vergleich zur Einkommensteuer belastet eineMehrwertsteuer typischerweise die ärmeren Be-völkerungsschichten stärker. Ein Wirtschaftswis-senschaftler, der einer Gesellschaft mit größererEinkommensgleichheit einen hohen Eigenwertzumisst, wird sich tendenziell eher gegen eineMehrwertsteuer aussprechen. Ein Ökonom, derEinkommensunterschiede für weniger problema-tisch hält, wird gegen eine Mehrwertsteuer ver-mutlich weniger Einwände vorbringen.

Ein zweiter wichtiger Grund für Auffassungs-unterschiede liegt in der ökonomischen Model-lierung. Die Schlussfolgerungen von Ökonomenbasieren auf Modellen, also auf vereinfachtenAbbildungen der Realität. Zwei Ökonomen kön-nen aus guten Gründen unterschiedlicher Auf-fassung darüber sein, welche Vereinfachungenangemessen sind. Werden unterschiedlicheModelle zur Analyse eines Sachverhalts ver-wendet, ist es kaum verwunderlich, dass sichunterschiedliche Schlussfolgerungen ergebenkönnen.

Nehmen wir einmal an, die Regierung derVereinigten Staaten überlegt, ob sie eine Mehr-wertsteuer einführen soll. Wirtschaftswissen-schaftler A könnte sich auf ein Modell beziehen,bei dem die Verwaltungskosten eines Steuersys-tems im Vordergrund stehen, also die Kosten für

den Aufbau des Steuersystems, Kosten derSteuererhebung, der Kontrolle usw. Dieser Wirt-schaftswissenschaftler könnte dann auf die be-kanntermaßen hohen Verwaltungskosten einesMehrwertsteuersystems hinweisen und sich ge-gen eine entsprechende Änderung aussprechen.Wirtschaftswissenschaftler B könnte jedoch derAuffassung sein, dass den Verwaltungskostenkein zu großes Augenmerk geschenkt werdensollte und man sich stattdessen darauf konzen-trieren sollte, wie sich die vorgeschlagene Ände-rung im Steuersystem auf das Sparverhaltenauswirkt. Dieser Wirtschaftswissenschaftlerkönnte sich dann auf Studien beziehen, die aufeinen durch die Mehrwertsteuer bedingten An-stieg des Sparens hinweisen, was unter Wachs-tumsgesichtspunkten erwünscht sein könnte.

Weil beide Ökonomen unterschiedliche Mo-delle verwendet haben, also unterschiedlichevereinfachende Annahmen getroffen haben, ge-langen sie zu unterschiedlichen Schlussfolge-rungen. Der eine würde dann in der Öffentlich-keit als Gegner, der andere als Befürworter einerMehrwertsteuer erscheinen.

Die meisten Streitigkeiten zwischen Ökono-men werden schließlich durch zunehmende em-pirische Evidenz gelöst, die zeigt, welches derverschiedenen Modelle die Fakten besser be-schreiben kann. Wie in jeder anderen Wissen-schaft kann dies jedoch auch in den Wirtschafts-wissenschaften lange Zeit dauern. Weil sichVolkswirtschaften permanent ändern, verlierenalte Modelle oft ihre Erklärungskraft und es ent-stehen neue politische Fragestellungen. Es istdaher nicht zu erwarten, dass irgendwann ein-mal der Zeitpunkt kommt, an dem sich alle Öko-nomen über alle Probleme einig sind. Es bleibtdaher im Verantwortungsbereich der Politik zuentscheiden, welcher ökonomischen Auffassungsie bei ihren Maßnahmen folgen will. Es ist da-her wichtig, festzuhalten, dass die ökonomischeAnalyse eine Methode und keine Menge vonSchlussfolgerungen ist.

KKurzzusammenfassung� Ökonomen betreiben überwiegend

positive Wirtschaftswissenschaft, inder das Funktionieren der Wirtschaftanalysiert wird und wo es, jedenfallsprinzipiell, richtige oder falscheAntworten gibt und Prognosen einewichtige Rolle spielen. In der norma-tiven Wirtschaftswissenschaft, in derVorschläge gemacht werden, wie dieDinge aussehen sollten, gibt es meistkeine richtigen oder falschenAntworten, sondern nur Werturteile.

� Meinungsunterschiede zwischenÖkonomen basieren im Wesentlichenauf zwei Faktoren. Erstens gibt eshäufig Uneinigkeiten bei der Frage,welche Vereinfachungen getroffenwerden sollten, um die Wirtschaft zumodellieren. Zweitens sind sichÖkonomen häufig, wie alle anderenMenschen auch, über Werturteileuneinig.

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2Die Verwendung von Modellen

Wirtschaftswissenschaft und Praxis

Wirtschaftswissenschaftler in der PolitikViele Wirtschaftswissenschaftler beschäftigensich hauptsächlich mit Lehre und Forschung.Eine nicht geringe Zahl hat jedoch einen direk-teren Einfluss auf politische Fragen.

Wie in dem Abschnitt »Für Wissbegierige«am Anfang dieses Kapitels erläutert, spielenWirtschaftswissenschaftler in der Geschäfts-welt eine wichtige Rolle, ganz besonders im Fi-nanzsektor. Einen noch unmittelbareren Ein-fluss auf das Geschehen in der »realen« Weltnehmen Ökonomen aber durch ihre Mitarbeitund Beratung im Bereich von staatlichen undüberstaatlichen Organisationen.

Das ist nicht wirklich überraschend: Eineder wichtigsten Funktionen des Staates ist es,Wirtschaftspolitik zu betreiben. Darüber hi-naus müssen aber auch bei praktisch allen an-deren politischen Entscheidungen die ökono-mischen Auswirkungen in Betracht gezogenwerden. Daher beschäftigen alle Regierungendieser Welt Wirtschaftswissenschaftler in denverschiedensten Bereichen.

In den Vereinigten Staaten von Amerikaspielt der »Council of Economic Advisers« eineSchlüsselrolle. Der Council of Economic Advi-sers ist eine Abteilung des Präsidialbüros, des-sen einzige Aufgabe es ist, das Weiße Haus beiökonomischen Fragen zu beraten und denjährlichen »Economic Report of the President«zu erstellen. Was für eine Regierungsbehördeeher ungewöhnlich ist: Die meisten Ökonomendes Council sind keine Angestellten, die aufDauer für die Regierung tätig sind. Vielmehrsind die meisten von ihnen Professoren, diefür ein oder zwei Jahre von ihrer Universitätfreigestellt wurden. Viele der bekanntestenamerikanischen Ökonomen haben zu irgend-einem Zeitpunkt ihrer Karriere als Mitgliederdieses Beratungsgremiums gearbeitet.

Wirtschaftswissenschaftler spielen aberauch in vielen anderen Teilen der US-Adminis-tration eine wichtige Rolle. Das gleiche giltauch für alle anderen Industrieländer. Auch inDeutschland werden auf Bundes- und Landes-ebene viele Ökonomen beschäftigt, insbeson-dere in den Wirtschafts- und Finanzministe-rien.

Auf internationaler Ebene spielen Ökono-men bei den internationalen Organisationeneine sehr wichtige Rolle. Dies gilt insbeson-dere für den Internationalen Währungsfondsund die Weltbank, die beide ihren Sitz in Wa-shington D. C. haben. Der Internationale Wäh-rungsfonds berät Länder, die sich in ökonomi-schen Schwierigkeiten befinden und stelltihnen Kredite zur Verfügung. Die Weltbankberät insbesondere Entwicklungsländer undversucht, durch Finanzierungshilfen derenlangfristige wirtschaftliche Entwicklung zufördern.

Vertreten all diese Ökonomen, die im Regie-rungsbereich arbeiten, stets unterschiedlicheAuffassungen? Sind ihre Positionen im Wesent-lichen durch ihre politische Zugehörigkeit be-stimmt? Die Antwort auf beide Fragen lautetnein. Natürlich gibt es wichtige Streitpunktebei bestimmten wirtschaftspolitischen Fragenund natürlich spielt die jeweilige politischePosition eine gewisse Rolle, bei vielen grund-sätzlichen Fragen gibt es unter Wirtschaftswis-senschaftlern aber eine breite Übereinstim-mung. Darüber hinaus wird man wohl auch denmeisten Ökonomen, die in staatlichen Institu-tionen arbeiten, unterstellen dürfen, dass sieversuchen, ökonomische Fragen so objektivwie möglich zu beurteilen.

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2 Teil 1 Was ist Volkswirtschaftslehre?Ökonomische Modelle: Zielkonflikte und Handel

Überprüfen Sie Ihr Wissen 2-2

1. Welche der folgenden Aussagen ist eine positive Aussage? Welche ist eine normative Aussage?a. Die Gesellschaft sollte durch geeignete Maßnahmen gesundheitsgefährdende Verhaltensweisen

von Individuen verhindern.b. Individuen, die sich gesundheitsgefährdend verhalten, verursachen über eine stärkere Inan-

spruchnahme von Leistungen des Gesundheitssystems höhere Kosten für die Gesellschaft.

2. Richtig oder falsch? Erläutern Sie Ihre Antwort.a. Politikvorschlag A und Politikvorschlag B versuchen dasselbe gesellschaftliche Ziel zu erreichen.

Politikvorschlag A führt jedoch zu einer sehr viel weniger effizienten Nutzung der Ressourcen alsPolitikvorschlag B. Daher werden sich Ökonomen wahrscheinlich eher für Politikvorschlag B aus-sprechen.

b. Wenn zwei Ökonomen über eine bestimmte Politikmaßnahme unterschiedlicher Meinung sind,dann liegt das normalerweise daran, dass einer von ihnen einen Denkfehler gemacht hat.

c. Die wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger greifen immer auf das Wissen von Ökonomenzurück, um herauszufinden, welche Ziele eine Gesellschaft erreichen sollte.

B� � � Ein Blick vorausDieses Kapitel hat Ihnen einen ersten Eindruck davon vermittelt, was Gegenstand der Volkswirt-schaftslehre ist. Wir haben zunächst allgemein erläutert, was ein Modell ist und warum wir Modellebenötigen, um nämlich die grundlegenden Zusammenhänge einer komplizierten Welt erkennen zukönnen. Anschließend haben wir uns mit drei einfachen, gleichwohl wichtigen einführendenModellen beschäftigt.

Das, was wir in diesem Kapitel begonnen haben, wollen wir im Weiteren fortsetzen und vertiefen.In den nächsten beiden Kapiteln werden wir uns mit dem grundlegendsten ökonomischen Modellüberhaupt beschäftigen. Es ist ein Modell, das die erstaunliche Fähigkeit hat, viele politische Fra-gen zu klären und die Wirkungen vielfältiger Effekte zu prognostizieren. Vermutlich wird diesesModell auch die Art und Weise ändern, in der Sie wirtschaftliche Zusammenhänge bislang betrach-tet haben. Dieses Modell ist unter dem Stichwort »Angebot und Nachfrage« bekannt.

Zusammenfassung

1. Nahezu die gesamte Wirtschaftswissenschaft basiert aufModellen, also auf Gedankenexperimenten bzw. vereinfach-ten Versionen der Realität, bei denen häufig mathematischeWerkzeuge verwendet werden. Eine große Rolle bei der ökono-mischen Modellbetrachtung spielt die Ceteris-paribus-An-nahme, nach der sich nur eine Größe ändert, während alleanderen Einflussfaktoren konstant bleiben. Mit dieser An-nahme ist es möglich, eine beobachtete Änderung einer ab-hängigen Größe auf eine einzelne Ursache (den sich ändern-den Faktor) zurückzuführen.

2. Ein einfaches, aber wichtiges ökonomisches Modell ist dieProduktionsmöglichkeitenkurve. Mithilfe dieses Modellslassen sich verschiedene ökonomische Konzepte gut illustrie-ren: Opportunitätskosten, die zeigen, um wie viel wenigervon einem Gut man produzieren kann, wenn von einem ande-ren Gut mehr produziert wird; Effizienz, die dann gegebenist, wenn eine Wirtschaft auf der Produktionsmöglichkeiten-kurve produziert; Wirtschaftswachstum, das sich im Modellals Verschiebung der Produktionsmöglichkeitenkurve nachaußen zeigt.

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2Aufgaben

3. Ebenfalls sehr wichtig ist das Modell des komparativen Vor-teils, mit dem die Ursachen für Gewinne erklärt werden, diesich aus dem Handel zwischen Individuen oder Ländern erge-ben. Jeder hat irgendwo einen komparativen Vorteil – irgend-eine Ware oder Dienstleistung, bei deren Produktion die be-treffende Person geringere Opportunitätskosten hat als sonstirgendjemand. Häufig wird der komparative Vorteil mit einemabsoluten Vorteil verwechselt, der Fähigkeit also, ein be-stimmtes Gut besser als irgendjemand sonst produzieren zukönnen. Dieses Missverständnis führt bei einigen Menschenzu dem falschen Schluss, dass es keine Gewinne aus dem Han-del zwischen Menschen oder Ländern gibt.

4. In den einfachsten Volkswirtschaften erfolgt Naturaltausch –der Tausch Gut gegen Gut – und nicht der Tausch gegen Geld,wie in entwickelten Volkswirtschaften. Das Kreislaufdia-gramm ist ein Modell, das Transaktionen innerhalb einerVolkswirtschaft als Ströme von Waren, Dienstleistungen undEinkommen zwischen Haushalten und Unternehmen dar-stellt. Diese Transaktionen erfolgen auf Gütermärkten undFaktormärkten. Faktormärkte sind Märkte, auf denen Pro-duktionsfaktoren gehandelt werden, wie beispielsweiseArbeit. Das Kreislaufmodell ist sehr nützlich, um zu verste-hen, wie Ausgaben, Produktion, Beschäftigung, Einkommenund Wachstum in einer Volkswirtschaft zusammenhängen.

Schlüsselbegriffe

5. Ökonomen verwenden Modelle sowohl im Bereich der positi-ven Wirtschaftswissenschaft als auch im Bereich der nor-mativen Wirtschaftswissenschaft. Positive Wirtschaftswis-senschaft beschreibt, wie Ökonomien tatsächlich funktionie-ren; normative Wirtschaftswissenschaft macht Vorschläge,wie eine Ökonomie funktionieren sollte. Zur positiven Wirt-schaftswissenschaft gehört häufig die Erstellung von Progno-sen. Ökonomen können – zumindest prinzipiell – die richti-gen Antworten auf positive Fragen bestimmen, nicht aber dieAntworten auf normative Fragen, weil diese mit Werturteilenverbunden sind. In einer ganz spezifischen Situation kanndie Wirtschaftswissenschaft auch die richtige Antwort aufeine normative Frage bestimmen, dann nämlich, wenn ver-schiedene Politikvorschläge, mit denen ein bestimmtes Zielerreicht werden soll, eindeutig hinsichtlich ihrer Effizienz ge-ordnet werden können.

6. Es gibt zwei Hauptursachen, warum Ökonomen unterschied-licher Meinung sind. Erstens kann Uneinigkeit hinsichtlichder Frage bestehen, welche Vereinfachungen in einem Modellgetroffen werden sollten. Zweitens kann Uneinigkeit – wiebei jedem anderen auch – im Hinblick auf Wertfragen beste-hen.

Modell S. 24Ceteris-paribus-Annahme S. 24Produktionsmöglichkeitenkurve S. 26komparativer Vorteil S. 31absoluter Vorteil S. 32Naturaltausch S. 34Kreislaufdiagramm S. 35Haushalt S. 35

Unternehmen S. 35Gütermärkte S. 35Faktormärkte S. 35Produktionsfaktor S. 35positive Theorie S. 40normative Theorie S. 40Prognose S. 40

Aufgaben

1. Atlantis ist ein kleines, isoliertes Land im Südatlantik. Die Ein-wohner bauen Kartoffeln an und fangen Fisch. Die zu dieserAufgabe gehörende Tabelle zeigt die maximalen jährlichen Out-put-Kombinationen von Kartoffeln und Fisch. Vor dem Hinter-grund der gegebenen begrenzten Ressourcen und der verfügba-ren Technologie wird deutlich, dass bei Verwendung von mehrRessourcen für die Kartoffelproduktion weniger Ressourcen fürden Fischfang verfügbar sind.

a. Zeichnen Sie eine Produktionsmöglichkeitenkurve für diedurch die Punkte A bis F beschriebenen Optionen. Tragen Siedabei Kartoffeln auf der Abszisse und Fisch auf der Ordinateab.

b. Kann Atlantis 500 Kilo Fisch und 800 Kilo Kartoffeln produzie-ren? Begründen Sie Ihre Auffassung. Wo würde dieser Punkt imVerhältnis zur Produktionsmöglichkeitenkurve liegen?

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2 Teil 1 Was ist Volkswirtschaftslehre?Ökonomische Modelle: Zielkonflikte und Handel

c. Wie hoch sind die Opportunitätskosten, die sich ergeben, wennder jährliche Output an Kartoffeln von 600 auf 800 Kilogrammerhöht wird?

d. Wie hoch sind die Opportunitätskosten einer Erhöhung derjährlichen Kartoffelproduktion von 200 auf 400 Kilogramm?

e. Können Sie erklären, warum Ihre Antworten zu Teil c und Teil dsich voneinander unterscheiden? Welche Implikation ergibt sichdaraus für die Steigung der Produktionsmöglichkeitenkurve?

2. Im antiken Rom werden nur zwei Güter produziert, nämlichSpaghetti und Fleischklößchen. Es gibt zwei Stämme in Rom,die Tivoli und die Frivoli. Für sich allein können die Tivoli je-den Monat entweder 30 Kilo Spaghetti und keine Fleischklöß-chen produzieren oder 50 Kilo Fleischklößchen und keine Spa-ghetti oder jede dazwischen liegende Kombination. Die Frivolikönnen für sich jeden Monat 40 Kilo Spaghetti und keineFleischbällchen produzieren, 30 Kilo Fleischbällchen und keineSpaghetti oder jede dazwischen liegende Kombination.

a. Nehmen Sie an, dass alle Produktionsmöglichkeitenkurven Ge-raden sind. Zeichnen Sie ein Diagramm, das die monatlicheProduktionsmöglichkeitenkurve für die Tivoli zeigt, und ein an-deres Diagramm, das die monatliche Produktionsmöglichkei-tenkurve für die Frivoli darstellt. Erläutern Sie, wie Sie die bei-den Kurven berechnet haben.

b. Welcher Stamm hat den komparativen Vorteil in der Spaghetti-produktion, welcher in der Fleischbällchenproduktion?

Im Jahr 100 vor Christi entdecken die Frivoli eine neue Technikfür die Fleischbällchenproduktion, mit der sich die Menge anFleischbällchen verdoppelt, die sie jeden Monat produzierenkönnen.

c. Zeichnen Sie die neue monatliche Produktionsmöglichkeiten-kurve für die Frivoli.

d. Welcher Stamm hat nach dieser Innovation nun den absolutenVorteil in der Produktion von Fleischbällchen, welcher in derProduktion von Spaghetti? Welcher Stamm hat den komparati-ven Vorteil in der Fleischbällchenproduktion, welcher in derSpaghettiproduktion?

Maximalejährliche

Outputoptionen

Mengean Kartoffeln(Kilogramm)

Mengean Fisch

(Kilogramm)

A 1.000 0

B 800 300

C 600 500

D 400 600

E 200 650

F 0 675

3. Ernst Experte, ein Wirtschaftsjournalist, sagt, dass die Euro-päische Union (EU) ihre Produktivität in allen Bereichen sehrschnell steigern würde. Er behauptet, dieser Produktionsfort-schritt sei so dramatisch, dass der Output der EU in diesen Be-reichen bald den der Vereinigten Staaten übersteigen würdeund, als Folge daraus, die Vereinigten Staaten nicht längervom Handel mit der EU profitieren würden.

a. Hat Ernst Experte Recht oder nicht? Wenn nicht, worauf istdann sein Fehlurteil zurückzuführen?

b. Wenn die Europäische Union und die Vereinigten Staaten ihreHandelsbeziehungen fortsetzen, was wird dann nach Ihrer Ein-schätzung die von der EU in die Vereinigten Staaten exportier-ten Güter charakterisieren? Was wird die von den VereinigtenStaaten in die EU exportierten Güter charakterisieren?

4. Sie sind verantwortlich für die Zusammenstellung der Baseball-und der Basketballmannschaft Ihres Wohnheims. Bis auf dieletzten vier Personen ist Ihr Team zusammengestellt. Von denletzten vier müssen zwei der Baseballmannschaft und zwei derBasketballmannschaft zugeteilt werden. Die zu dieser Aufgabegehörende Tabelle zeigt für jeden der Kandidaten den Batting-Durchschnitt und den Freiwurf-Durchschnitt. (Der Batter istbeim Baseball der Schlagmann, der mit dem Schläger den Ballvom Pitcher (Werfer) treffen muss, A.d.Ü.) Der Batting-Durch-schnitt gibt also den Prozentsatz der vom Schlagmann regelge-recht getroffenen Bälle an. Erläutern Sie, wie Sie das Konzeptdes komparativen Vorteils verwenden würden, um die Spielerzuzuordnen. Berechnen Sie dabei zunächst für jeden Spieler dieOpportunitätskosten von Freiwürfen, ausgedrückt in Batting-Durchschnitt-Einheiten.

Warum ist es wahrscheinlich, dass die anderen Basketballspie-ler mit ihrer Zuordnung nicht zufrieden sein werden, währendsich die anderen Baseballspieler vermutlich freuen werden?Warum würde – unabhängig davon – ein Ökonom sagen, dassdie von Ihnen gefundene Zuordnung eine effiziente Weise ist,die Spieler auf die beiden Mannschaften aufzuteilen?

5. Die Wirtschaft von Atlantis (aus Aufgabe 1) hat sich weiterent-wickelt und die Bevölkerung verwendet jetzt Geld in Form vonKauri-Muscheln. Zeichnen Sie ein Kreislaufdiagramm für Haus-

Name Batting-Durchschnitt

Freiwurf-Durchschnitt

Kelley 70 % 60 %

Jackie 50 % 50 %

Curt 10 % 30 %

Gerry 80 % 70 %

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2Aufgaben

halte und Unternehmen. Die Unternehmen produzieren Kar-toffeln und Fisch; die Haushalte kaufen Kartoffeln und Fisch.Die Haushalte stellen den Unternehmen Land und Arbeit zurVerfügung. Stellen Sie fest, an welchen Stellen der Ströme vonKauri-Muscheln oder von physischen Größen (Waren undDienstleistungen bzw. Ressourcen) jedes der folgenden Ereig-nisse sich unmittelbar auswirken würde. Beschreiben Sie dann,wie sich diese Auswirkung über den gesamten Kreislauf aus-breitet.

a. Bei einem zerstörerischen Wirbelsturm werden viele der Kartof-felfelder überflutet.

b. Die Fischer haben großes Glück und machen riesige Fänge.c. Die Bevölkerung von Atlantis erfindet den Macarena-Tanz und

verbringt nun jeden Monat mehrere Tage mit großen Tanzfesten.

6. Ein Ökonom könnte sagen, dass Fachhochschulen und Universi-täten Ausbildung »produzieren«, wobei die Fakultätsmitgliederund die Studenten den Input darstellen. Folgt man diesem ge-danklichen Ansatz, dann wird Ausbildung konsequenterweisevon den Haushalten »konsumiert«. Konstruieren Sie in Analo-gie zu dem in diesem Kapitel vorgestellten Kreislaufdiagrammein solches, das den Sektor der Wirtschaft darstellt, der sichder Hochschulausbildung widmet: Fachhochschulen und Univer-sitäten stehen für den Unternehmenssektor, die Haushalte kon-sumieren Ausbildung und stellen Fakultätsmitglieder sowieStudenten zur Verfügung. Welches sind die relevanten Märktedieses Modells? Was wird in jede Richtung ge- und verkauft?Wie wirkt es sich aus, wenn der Staat beschließen würde,50 Prozent der Studiengebühren zu übernehmen?

7. Der Mitbewohner, mit dem Sie Ihr Wohnheimzimmer teilen,lässt die ganze Zeit seine Musik laufen. Sie hätten es dagegenlieber still und ruhig. Sie schlagen ihm den Kauf von Kopfhö-rern vor. Darauf antwortet er, dass er mit den Kopfhörernschon einverstanden wäre, er aber momentan kein Geld dafürübrig habe, weil er noch eine Menge anderer Sachen kaufenmüsste, die ihm wichtiger wären. Sie diskutieren diese Situa-tion mit einem Freund, der Wirtschaftswissenschaft studiert.Es findet folgendes Gespräch statt.Ihr Freund: Wie viel würden Kopfhörer kosten?Sie: 15 Euro.Ihr Freund: Wie viel wäre dir denn die Ruhe für den Rest desSemesters wert?Sie: 30 Euro.Ihr Freund: Es wäre effizient, wenn du ihm die Kopfhörer kau-fen würdest. Du gewinnst mehr als du verlierst – der Nutzenübersteigt deine Kosten. Folglich solltest du ihm die Kopfhörerkaufen.Sie: Es ist aber nicht fair, dass ich die Kopfhörer bezahlen soll,wenn er den Lärm macht.

a. Welche Teile dieses Gesprächs enthalten positive und welcheTeile enthalten normative Aussagen?

b. Wie würden Sie argumentieren, um Ihre Sicht zu stützen, dassIhr Mitbewohner derjenige ist, der sein Verhalten ändernsollte? Wie würden Sie aus der Sicht Ihres Mitbewohners argu-mentieren, um zu begründen, dass Sie derjenige sein sollten,der die Kopfhörer kauft? Welche Argumentationsschiene würdesich wohl durchsetzen, wenn in Ihrem Wohnheim das Abspielenvon lauter Musik uneingeschränkt erlaubt ist? Welche Argu-mentationsschiene würde sich wahrscheinlich durchsetzen,wenn keine Musik gespielt werden darf, falls sich ein Mitbewoh-ner beschwert?

8. Ein Vertreter der deutschen Textilindustrie machte kürzlich fol-gende Bemerkung: »Die Arbeiter müssen in Asien oft unter un-zumutbaren Bedingungen arbeiten und erhalten nur wenigeCent pro Stunde. Deutsche Arbeiter sind produktiver und erhal-ten deswegen höhere Löhne. Um die sozialen Standards deut-scher Arbeitsplätze aufrechterhalten zu können, sollte die Re-gierung ein Gesetz verabschieden, in dem der Import vonasiatischen Textilien verboten wird, die dort zu den sozial nichtakzeptablen Löhnen produziert wurden.«

a. Bei welchen Teilen dieses Zitats handelt es sich um positiveAussagen? Bei welchen Teilen handelt es sich um normativeAussagen?

b. Ist die Politik, die hier vertreten wird, konsistent mit den vor-ausgehenden Aussagen über Löhne und Produktivitäten vondeutschen und asiatischen Arbeitern?

c. Würde die vorgeschlagene Politik einige Deutsche besserstellen,ohne andere Deutsche schlechterzustellen? Anders ausge-drückt: Wäre diese Politik aus Sicht aller Deutschen effizient?

d. Würde diese Politik den asiatischen Niedriglohnarbeitern nut-zen oder schaden?

9. Sind die folgenden Aussagen richtig oder falsch? Erläutern SieIhre Antworten.

a. »Wenn Sie auf Ihr Lohneinkommen höhere Steuern zahlenmüssen, vermindert das Ihre Arbeitsanreize« ist eine positiveAussage.

b. »Wir sollten die Steuern senken, um mehr Arbeitsplätze zuschaffen« ist eine positive Aussage.

c. Mit wirtschaftswissenschaftlichen Analysen kann nicht immerabschließend entschieden werden, was eine Gesellschaft tunsollte.

d. Der folgende Satz ist eine normative Aussage: »Das öffentlicheAusbildungssystem dieses Landes bringt der Gesellschaft einengrößeren Nutzen, als es Kosten verursacht.«

e. Alle Meinungsunterschiede zwischen Wirtschaftswissenschaft-lern werden durch die Medien hervorgerufen.

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2 Teil 1 Was ist Volkswirtschaftslehre?Ökonomische Modelle: Zielkonflikte und Handel

10. Bewerten Sie folgende Aussage: »Es ist einfacher, ein Wirt-schaftsmodell zu bauen, das präzise schon geschehene Ereig-nisse wiedergibt, als ein Modell zu bauen, mit dem sich künf-tige Ereignisse prognostizieren lassen.« Ist diese Aussagerichtig oder falsch? Warum? Welche Implikation ergibt sich hin-sichtlich der Schwierigkeiten, gute Wirtschaftsmodelle zubauen?

11. Ökonomen, die für die Regierung arbeiten, werden oft um wirt-schaftspolitische Empfehlungen gebeten. Warum, glauben Sie,ist es für die Öffentlichkeit wichtig, bei diesen Empfehlungennormative und positive Aussagen auseinanderhalten zu kön-nen?

12. Der Bürgermeister von Gotham City macht sich Gedanken übereine potenzielle tödliche Grippeepidemie in diesem Winter. Erstellt einem ökonomischen Berater die folgende Reihe von Fra-gen. Verlangt jede dieser Fragen von dem Berater eine positiveoder eine normative Einschätzung?

a. Wie viel Impfstoff wird die Stadt bis Ende November in ihremVorrat haben?

b. Wenn wir den Pharmaunternehmen, die den Impfstoff produ-zieren, einen um 10 Prozent höheren Preis je Einheit anbieten,werden Sie dann zusätzliche Einheiten zur Verfügung stellen?

c. Falls es zu einer Knappheit von Impfstoff kommt, wen solltenwir dann zuerst impfen – die alten oder die sehr jungen Men-schen? (Nehmen Sie an, dass in beiden Gruppen die Wahr-scheinlichkeit, an der Grippe zu sterben, gleich groß ist.)

d. Wie viele Menschen werden sich impfen lassen, wenn die Stadtfür jede Impfung 25 Euro verlangt?

e. Wenn die Stadt für jede Impfung 25 Euro verlangt, macht siean jeder Impfung einen Gewinn von 10 Euro. Die damit erziel-ten Einnahmen können verwendet werden, um die Impfung vonArmen zu bezahlen, die sich sonst nicht impfen lassen würden.Sollte sich die Stadt auf eine solche Verfahrensweise einlassen?

13. Beurteilen Sie die folgende Aussage: »Die Wirtschaftswissen-schaftler könnten alle Politikfragen dergestalt lösen, dass diesoziale Wohlfahrt maximiert würde, wenn sie nur genug Datenhätten. Es gäbe dann keinen Anlass mehr für kontroverse poli-tische Fragen, etwa für die Frage, ob für alle eine kostenlosemedizinische Versorgung gewährleistet sein sollte.«

Lösungshinweise finden Sie auf www.schaeffer-poeschel.de/webcode. Ihren persönlichen Zugangswebcode finden Sie amAnfang des Buchs.

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Anhang zu 2 Graphische Darstellungen in denWirtschaftswissenschaften

Worum geht es?

Ganz gleich, ob Sie sich über ökonomische Zu-sammenhänge im Handelsblatt, in der Frank-furter Allgemeinen Zeitung oder in Ihrem öko-nomischen Lehrbuch informieren, Sie werdendort viele graphische Darstellungen sehen.Eine Visualisierung der Zusammenhänge er-leichtert das Verständnis verbaler Beschreibun-gen, quantitativer Informationen oder vonIdeen ungemein. In den Wirtschaftswissen-schaften wird von einer solchen Visualisierung

Graphische Darstellungen, Variablenund ökonomische ModelleEin Grund, sich für ein Hochschulstudium zuentscheiden, ist der, dass ein Hochschulab-schluss den Zugang zu höher bezahlten Arbeits-plätzen erleichtert. Weiterführende akademischeGrade, wie z. B. ein Master- oder Doktortitel,führen im Durchschnitt zu noch höheren Ein-kommen. Würden Sie einen Artikel über den Zu-sammenhang zwischen Bildungsabschluss undEinkommen lesen, wäre es gut möglich, dass zudiesem Artikel auch eine graphische Darstellunggehören würde, die die Einkommenshöhe für Ar-beitnehmer mit unterschiedlichen Ausbildungs-gängen zeigt. Und diese Graphik würde die Vor-stellung illustrieren, dass im Allgemeinen einehöhere Ausbildung mit einem höheren Einkom-men verbunden ist. Allgemeiner formuliert: Diegraphische Darstellung beschreibt den Zusam-menhang zwischen zwei ökonomischen Varia-blen. Eine Variable ist eine Größe, die mehr alseinen Wert annehmen kann, wie beispielsweisedie Zahl der Ausbildungsjahre einer Person, denPreis einer Flasche Mineralwasser oder das Ein-kommen eines Haushalts.

Wie Sie in diesem Kapitel gelernt haben, be-ruht die ökonomische Analyse ganz wesentlich

Eine Größe, die verschiedene Werteannehmen kann, wird als Variablebezeichnet.

durch graphische Darstellungen in großem Um-fang Gebrauch gemacht. Um die diskutiertenZusammenhänge vollständig verstehen zu kön-nen, muss man mit der Art und Weise vertrautsein, wie diese visuellen Informationen zu in-terpretieren sind. Dieser Anhang erklärt, wiedie in den Wirtschaftswissenschaften ge-bräuchlichen graphischen Darstellungen zu-stande kommen und wie sie zu interpretierensind.

auf Modellen, also vereinfachten Beschreibungenrealer Situationen. Die meisten ökonomischenModelle beschreiben den Zusammenhang zwi-schen zwei Variablen, wobei andere Variablen,die diese Beziehung beeinflussen könnten, ver-einfachend als konstant angenommen werden.So könnte beispielsweise ein ökonomisches Mo-dell den Zusammenhang zwischen dem Preis ei-ner Flasche Mineralwasser und der Zahl von Mi-neralwasserflaschen beschreiben, die Konsumen-ten kaufen werden. Dabei wird angenommen,dass alle anderen Größen konstant bleiben, dieEinfluss auf die Nachfrage der Konsumentennach Mineralwasser haben könnten. Ein solchesModell kann auch rein mathematisch oder verbalbeschrieben werden, eine Illustration des Zu-sammenhangs durch eine graphische Darstellungerleichtert das Verständnis jedoch sehr. Imnächsten Abschnitt werden wir uns etwas ge-nauer damit beschäftigen, wie derartige graphi-sche Darstellungen zur Beschreibung von ökono-mischen Modellen konstruiert und interpretiertwerden.

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Anhang zu 2 Teil 1 Was ist Volkswirtschaftslehre?Graphische Darstellungen in den Wirtschaftswissenschaften

Grundlagen der graphischen DarstellungDie meisten der in den Wirtschaftswissenschaf-ten verwendeten graphischen Darstellungen ba-sieren auf einem Gitter um zwei senkrecht auf-einanderstehende Achsen, an denen die Werteder beiden Variablen abgetragen werden. Wir wol-len uns daher zunächst kurz mit der Konstruk-tion dieses Gitternetzes beschäftigen und dannüberlegen, wie man in diesem Netz den Zusam-menhang zwischen Variablen darstellen kann.

Zweidimensionale graphischeDarstellungen

Abbildung 2A-1 zeigt eine typische zweidimen-sionale graphische Darstellung. Sie illustriertdie Daten der zugehörigen Tabelle. Diese zeigtdie Außentemperatur und die Zahl der Flaschenmit Erfrischungsgetränken, die ein Getränkever-käufer bei einem Fußballspiel im Stadion imDurchschnitt verkaufen kann. Die erste Spaltezeigt die Werte der Außentemperatur (die ersteVariable) und die zweite Spalte zeigt die Anzahlder verkauften Erfrischungsgetränke (die zweiteVariable). In der Tabelle sind insgesamt fünfPaare gezeigt, die in der dritten Spalte mit denBuchstaben A bis E bezeichnet werden.

Wenden wir uns nun der graphischen Darstel-lung dieser Daten zu. Üblicherweise bezeichnetman bei einer zweidimensionalen graphischenDarstellung eine Variable als x-Variable und dieandere als y-Variable. In unserem Fall ist die Au-ßentemperatur die x-Variable und die Zahl derverkauften Erfrischungsgetränke die y-Variable.Die durchgezogene waagerechte Linie in der Gra-phik wird als horizontale Achse, als x-Achseoder Abszisse bezeichnet. Die Werte der x-Varia-blen (Außentemperatur) werden entlang dieserAchse gemessen. Analog wird die durchgezogenesenkrechte Linie in der Graphik als vertikaleAchse, y-Achse oder Ordinate bezeichnet. DieWerte der y-Variablen (Zahl der verkauften Erfri-schungsgetränke) werden entlang dieser Achsegemessen. Im Ursprung, dem Punkt, in demsich die beiden Achsen schneiden, haben beideVariablen den Wert null. Bewegt man sich vomUrsprung entlang der x-Achse nach rechts, sind

Die Linie, an der die Werte der x-Variable gemessen werden, wird alshorizontale Achse, als x-Achseoder Abszisse bezeichnet. DieLinie, an der die Werte der y-Variable abgetragen werden, wirdals vertikale Achse, y-Achse oderOrdinate bezeichnet. Der Punkt, wosich die Achsen im Diagrammschneiden, wird Ursprung genannt.

die Werte der x-Variablen positiv und nehmenzu. Bewegt man sich im Ursprung entlang der y-Achse nach oben, sind die Werte der y-Variablepositiv und nehmen zu.

Man kann jeden der fünf Punkte A bis E indieser Graphik zeichnerisch darstellen, indemman das entsprechende Zahlenpaar verwendet –die Werte, die die x-Variable und die y-Variablefür einen gegebenen Punkt annehmen. In Abbil-dung 2A-1 nimmt beispielsweise im Punkt C diex-Variable den Wert 20 und die y-Variable denWert 40 an. Man konstruiert den Punkt C durchdas Zeichnen einer Senkrechten über dem Wert20 auf der x-Achse und einer Waagerechten beimWert 40 auf der y-Achse. Wir schreiben Punkt Cals (20, 40). Wir schreiben den Ursprung als (0,0).

Ein Blick auf die Punkte A und B in Abbil-dung 2A-1 zeigt, dass dann, wenn eine der Va-riablen für einen Punkt den Wert null annimmt,der das Wertepaar repräsentierende Punkt aufeiner der Achsen liegt. Hat x den Wert null,dann liegt der zugehörige Punkt (wie bei A) aufder senkrechten Achse. Hat y den Wert null,dann liegt der Punkt (wie bei B) auf der waage-rechten Achse.

Die meisten graphischen Darstellungen, dieBeziehungen zwischen zwei ökonomischen Va-riablen beschreiben, geben eine ursächliche Be-ziehung wieder, eine Beziehung also, in der derWert, den eine Variable annimmt, direkt denWert beeinflusst oder bestimmt, den die andereVariable annimmt. In einer solchen kausalen Be-ziehung wird die verursachende Variable als un-abhängige Variable, die von ihr bestimmte Va-riable als abhängige Variable bezeichnet. Inunserem Beispiel mit den Erfrischungsgetränkenist die Außentemperatur die unabhängige Varia-ble. Diese beeinflusst die Zahl der verkauften Er-frischungsgetränke, die in diesem Fall die ab-hängige Variable ist.

Es ist üblich, die unabhängige Variable an derwaagerechten Achse und die abhängige Variablean der senkrechten Achse abzutragen. Abbil-dung 2A-1 folgt dieser Verfahrensweise: Die un-abhängige Variable (Außentemperatur) ist ander waagerechten Achse und die abhängige

Zwischen zwei Variablen bestehteine kausale Beziehung, wenn derWert, den eine Variable annimmt,direkt den Wert beeinflusst oderbestimmt, den die andere Variableannimmt. In einer kausalenBeziehung wird die verursachendeVariable als unabhängige Variable,die verursachte Variable alsabhängige Variable bezeichnet.

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Anhang zu 2Grundlagen der graphischen Darstellung

Variable (Zahl der verkauften Erfrischungsge-tränke) ist an der senkrechten Achse abgetra-gen. Eine wichtige Ausnahme von diesem übli-chen Vorgehen sind graphische Darstellungen,die die ökonomische Beziehung zwischen demPreis eines Produktes und der Menge dieses Pro-duktes zeigen: Obwohl der Preis im Allgemeinendie unabhängige Variable ist, die die Menge be-stimmt, wird der Preis in fast allen Darstellun-gen an der senkrechten Achse abgetragen.

Kurven

Diagramm (a) von Abbildung 2A-2 zeigt noch-mals dieselben Informationen wie Abbildung 2A-1, wobei jetzt allerdings durch die Punkte B, C,D und E eine Linie gezogen ist. Solch eine Linie

in einem Koordinatensystem bezeichnet man alsKurve, unabhängig davon, ob es sich um eineGerade handelt oder eine Linie mit gekrümmtemVerlauf. Ist die Kurve, die die Beziehung zwi-schen zwei Variablen zeigt, eine Gerade, dannbesteht zwischen den Variablen eine lineare Be-ziehung. Ist diese Kurve keine Gerade, dann be-steht eine nichtlineare Beziehung zwischenden Variablen.Ein Punkt auf einer Kurve beschreibt den Wertder y-Variablen für einen bestimmten Wert derx-Variablen. So zeigt beispielsweise Punkt D,dass bei einer Außentemperatur von 25 Grad einGetränkeverkäufer damit rechnen kann, dass er60 Flaschen verkaufen kann. Die Form und Rich-tung einer Kurve zeigen die grundsätzliche Be-ziehung zwischen den beiden Variablen. Der auf-wärts gerichtete Verlauf der Kurve in Diagramm

Eine Kurve ist eine Linie, die ineinem Diagramm eine Beziehungzwischen zwei Variablen beschreibt.Es kann sich um eine gerade Linieoder eine gekrümmte Linie handeln.Ist die Kurve eine Gerade, dannbesteht zwischen den Variableneine lineare Beziehung. Ist dieKurve keine Gerade, dann bestehtzwischen den Variablen eine nicht-lineare Beziehung.

Abb. 2A-1

Punkte in ein Koordinatensystem eintragen

Die Außentemperatur (die unabhängige Variable) wird an der horizontalen Achse abgetragen. Die Zahl derverkauften Erfrischungsgetränke (die abhängige Variable) wird an der vertikalen Achse abgetragen. Jede der fünfKombinationen von Temperatur und Anzahl verkaufter Erfrischungsgetränke wird durch einen Punkt repräsentiert:A, B, C, D und E. Jeder Punkt in der Abbildung ist eindeutig durch ein Wertepaar beschrieben. So entsprichtbeispielsweise Punkt C dem Wertepaar (20, 40), also einer Außentemperatur von 20 °C (der Wert der x-Variable)und 40 verkauften Erfrischungsgetränken (der Wert der y-Variable).

35 405 10 15 20 30250

D(25, 60)

C(20, 40)

A (0, 10)

B (10, 0)

E(30, 80)

y

x

0

10

20

25

30

A

B

C

D

E

10

0

40

60

80

Punkt

80

70

60

50

40

30

20

10

Die y-Variableist die abhängigeVariable.

Anzahl derverkauften

Erfrischungs-getränke x-Variable:

Außen-temperatur(°Celsius)

y-Variable:Anzahl

der verkauftenErfrischungsgetränke

(Flaschen)

Außentemperatur (Grad Celsius)

Ursprung(0, 0)

horizontale Achse,Abszisse oder x-Achse

Die x-Variable istdie unabhängigeVariable.

vertikale Achse, Ordinate oder y-Achse