Von der minderheit zur mehrheit
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Von der Minderheit zur Mehrheit
Ursina Giger gehört einer Minderheit an. Einer Schweizer Minderheit. Nur 35‘000
Personen in der Schweiz sprechen Rätoromanisch, das sind 0.5 Prozent der
Bevölkerung. Mit der Jugendorganisation Giuventetgna Rumantscha setzt sich die
junge Bündnerin für das Überleben der vierten Schweizer Landessprache ein. Ein
Projekt war das Snowexchange im März 2012.
„Ich finde es schade, dass nicht mehr Schweizer Rätoromanisch sprechen“, sagt
Ursina Giger. Die 26-jährige Bündnerin aus Disentis gehört einer sprachlichen
Minderheit an. Doch in Europa ist Rätoromanisch nicht die einzige Kleinsprache. Mit
dem Ziel, sich mit anderen Sprachminderheiten auszutauschen, hat Giger zusammen
mit Giuventetgna Rumantscha eine Skilagerwoche in Disentis, Graubünden,
veranstaltet.
Schnee statt Meer
Die Idee entstand ursprünglich in Dänemark, wo regelmässig Surfexchanges für
europäische Sprachenminderheiten organisiert werden. Um einen solchen Anlass
auch in der Schweiz durchführen zu können, wurde kurzerhand das fehlende Meer mit
den Bündner Bergen ersetzt, und das Projekt Snowexchange war geboren. Dieses
Skilager fand bereits zwei Mal statt. Giger hat nun das dritte Snowexchange
organisiert. „Mir liegen die rätoromanische Sprache und Kultur sehr am Herzen.
Gerade weil wir eine Minderheit sind, finde ich es wichtig, dass wir uns dafür
einsetzen“, so Giger.
Die Minderheiten bilden zusammen für einmal eine Mehrheit.
Intensives, aber vielfältiges Programm
Für das Projekt haben sich 25 Jugendliche aus vier sprachlichen Minderheiten
Europas angemeldet. Darunter auch Marie Hahn, die den Nordfriesen angehört, einer
Volksgruppe, die wie die Rätoromanen keinen Mutterstaat haben. „Ich hatte in unserer
Organisation schon viel vom Snowexchange gehört, und ausserdem sind für mich als
Nordfriesin aus dem Flachland die Berge und die Natur immer wieder ein Erlebnis“, so
die 29-jährige Deutsche.
Während sechs Tagen haben sich die Jugendlichen aus Deutschland, Dänemark,
Österreich und der Schweiz intensiv ausgetauscht. Am Morgen stand jeweils
Schneesport auf dem Programm. Für einige Teilnehmer war es gar das erste Mal auf
zwei Brettern. Am Nachmittag fanden verschiedene Workshops statt. So konnte man
an einem Rätoromanisch-Kurs teilnehmen oder mehr über den Einfluss von
Tourismus auf kulturelle Minderheiten erfahren. Auch der Besuch eines lokalen
Skiherstellers, eine Führung durch das Kloster von Disentis und ein Einblick in eine
Schaukäserei standen auf dem Programm.
Lagerleiterin Ursina Giger kämpft für die rätoromanische Minderheit.
Selbstbewusstsein stärken
Ob ein Lager nur aus Minderheiten denn dazu beitrage, von der Mehrheit akzeptiert
zu werden? „Uns ging es vor allem darum, in dieser Gruppe Kontakte zu knüpfen und
so ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu erzeugen, welches zur Stärkung innerhalb der
Minderheiten beitragen sollte. Wenn das Selbstbewusstsein einer Minderheit gross ist,
hat sie mehr Chancen von der Mehrheit anerkannt und akzeptiert zu werden“, erklärt
Giger.
Im Rahmen solcher Projekte erfahre man sehr viel über die Probleme anderer
Sprachminderheiten, findet Teilnehmer Gabriel Stern. Er gehört gleich zwei
Minoritäten an: den Burgenlandkroaten und Kärtnerslowenen. „Durch den Austausch
von Informationen lernt man auch für die eigene Minderheit mit. Probleme, die bei uns
vor 30 Jahren präsent waren, sind heute vielleicht woanders relevant, und
umgekehrt“, erklärt der 24-Jährige aus Wien.
Positive Bilanz
Giger blickt zufrieden zurück auf diese Woche: „Das Feedback war durchaus positiv.
Die Kombination aus Sport, Kultur und Austausch schien gelungen. Auch mit dem
Wetter hatten wir Glück.“ Dieses Treffen gab Giger Hoffnung, dass auch ihre
Minderheit überleben wird. Sie wird sich jedenfalls dafür einsetzen, dass die
Rätoromanen ab und zu auch zur Mehrheit werden.
Eva Hirschi Dieser Bericht ist im Rahmen des Eurodesk-Schreibwettbewerbs 2012 entstanden.