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Giordano Bruno Von der Ursache, dem Princip und dem Einen (De la causa, principio, et uno)

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Giordano Bruno

Von der Ursache, dem Principund dem Einen

(De la causa, principio, et uno)

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2Bruno: Von der Ursache, dem Princip und dem Einen

Widmungsschreiben [Auszug]

Giordano von Nolaan die Prinzipien des Universums

Der du im flutenden Meer noch weilst an der Grenzedes Orcus,

Titan, steige empor, fleh' ich, zum Sternengefild!Wandelnde Sterne, o seht den Kreislauf mich auch

betreten,Jenem gesellt, wenn ihr frei nur eröffnet die Bahn.

Gönne mir euere Huld, dass des Schlafes doppeltePforte

Weit aufstehe, wenn ich eile durchs Leere empor.Was missgünstig die Zeit in dichten Schleier

verhüllet,Dürft' ich's aus dunkler Nacht ziehen ans freudige

Licht!Zauderst du, schwaches Gemüt, dein hehres Werk zu

vollenden,Weil unwürdig die Zeit, der du die Gabe verleihst?

Wie auch der Schatten Schwall die Länder decke, duhebe,

Unser Olymp, das Haupt frei zu dem Aetherempor!

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3Bruno: Von der Ursache, dem Princip und dem Einen

An den eignen Geist

Wurzelnd ruhet der Berg, tief mit der Erdeverwachsen,

Aber sein Scheitel ragt zu den Gestirnen empor.Du bist beiden verwandt, mein Geist, dem Zeus wie

dem Hades,Und doch von beiden getrennt. Mahnend ertönt dir

der Ruf:Wahre dein Recht auf des Weltalls Höhn! Nicht

haftend am NiedernSinke vom Staube beschwert dumpf in des Acheron

Flut!Nein, vielmehr zum Himmel empor! Dort suche die

Heimat!Denn wenn ein Gott dich berührt, wirst du

flammender Glut.

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4Bruno: Von der Ursache, dem Princip und dem Einen

An die Zeit

Greis, der langsam und schnell zugleich, derverschliesset und aufthut,

Nennt man richtiger gut, nennt man dich bösevielmehr?

Reichlich giebst du und bist doch geizig; was dugespendet,

Raubst du; was du gezeugt, selber vernichtest du'sauch.

Alles entspringt aus dir, dann schlingst du alleshinunter;

Was du am Busen gehegt, pflücket dein gierigerSchlund.

Wenn du alles erzeugst und alles zerstörest imWechsel,

Dürft' ich dich dann nicht gut nennen und bösezugleich?

Doch wo umsonst in Wut du dich liebst zu grausigemStreiche,

Strecke nicht sichelbewehrt dorthin die drohendeHand!

Wo von des Chaos Nacht die letzten Spurenverschwunden,

Nimmer zeige dich gut, nimmer dich böse, o Greis!

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5Bruno: Von der Ursache, dem Princip und dem Einen

Von der Liebe

Gott Amor thut mir auf die DemantpfortenUnd lehrt die hehre Wahrheit mich verstehen.Das Aug' ist meines Gottes Thor; im Sehen

Entspringt, lebt, wächst er, ewig herrscht er dorten.

Er offenbart die Wesen aller Orten;In treuem Bild darf ich das Ferne spähen.Mit Jugendkraft zielt er: nun ist's geschehen.

Er trifft ins Herz und sprenget alle Pforten.

O thöricht Volk, von Sinnen stumpf und öde,Hör' auf mein Wort! denn es ist recht und tüchtig.

Kannst du's, thu' ab vom Aug' die dunkle Binde!

Ihn schiltst du blind, weil deine Augen blöde;Weil wankelmütig du, nennst ihn du flüchtig;

Weil du unmündig, machst du ihn zum Kinde.

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6Bruno: Von der Ursache, dem Princip und dem Einen

Ursach' und Grund und Eins von Ewigkeiten,Daraus Bewegung, Leben, Sein entspringen,Was immer Himmel, Erd' und Höll' an Dingen

Umfasst in allen Längen, Tiefen, Breiten:

Mit Sinn, Verstand, Vernunft schau' ich dieWeiten,

Die keine That, nicht Maass noch Rechnung zwingen;Die Masse, Kraft und Zahl kann ich durchdringen,

Die Untres, Obres wie die Mitte leiten.

Nicht blinder Wahn, der Zeit, des SchicksalsTücke,

Nicht ohne Wut, noch Hasses gift'ges Flüstern,Nicht Bosheit, roher Sinn und freches Trachten

Vermögen je, den Tag mir zu verdüstern,Mir zu verschleiern meine hellen Blicke,

Noch meiner Sonne Glanz mir zu umnachten.

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7Bruno: Von der Ursache, dem Princip und dem Einen

Erster Dialog

Personen: Elitropio, Filoteo, Armesso.

ELITROPIO. Gefangenen gleich, die an Dunkelheitgewöhnt aus finsterm Burgverliess an das Lichtheraustreten, werden viele Anhänger der landläufi-gen Philosophie und manche andere dazu scheuwerden, stutzen und weil sie unfähig sind, die neueSonne deiner hellen Gedanken zu ertragen, bösewerden.

FILOTEOFILO. Nun, dann liegt die Schuld nicht amLicht, sondern an ihren Augen. Je schöner undherrlicher die Sonne an sich selber ist, - den Augender Nachteulen wird sie dadurch nur um so ver-hasster und widerwärtiger.

ELITROPIO. Ein schweres, seltenes und ungewöhnli-ches Ding unternimmst du, Filoteo, indem du jeneLeute aus ihrem lichtlosen Abgrund hervorlockenund zu dem offenen, ruhigen und heiteren Anblickder Gestirne führen willst, die wir in so schönerMannigfaltigkeit über den blauen Himmelsmantelausgestreut sehen. Gewiss will dein frommer Eifernichts als den Menschen sich hilfreich erweisen;gleichwohl werden die Angriffe der Undankbarenauf dich ebenso mannigfach sein, wie die Thiere es

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8Bruno: Von der Ursache, dem Princip und dem Einen

sind, welche die gütige Erde in ihrem mütterlichumfassenden Schoosse erzeugt und nährt: falls esnämlich wahr ist, dass die menschliche Gattung inihren Individuen, in jedem besonders, die Verschie-denheiten aller anderen Gattungen nachbildet, umin jedem Individuum ausdrücklicher das Ganze zusein, als es in andern Gattungen der Fall ist. Daherwerden die Einen blinden Maulwürfen gleich indemselben Moment, wo sie die freie Luft spüren,sich möglichst schnell wieder in die Erde vergrabenund in die dunkeln Höhlen zurückkehren, für diesie die Natur bestimmt hat. Die andern werden wieNachtvögel nicht sobald im leuchtenden Osten dieröthliche Botin der Sonne erblicken, als sie sichwegen der Schwäche ihrer Augen auch schon zurRückkehr in ihre finstern Löcher angetrieben fin-den werden. Die Wesen alle, welche vom Anblickder himmlischen Lichter ausgeschlossen und fürdie ewigen Gefängnisse, Grüfte und Höhlen Pluto'sbestimmt sind, werden, von dem schaurigen Chorder Alecto zurückgefordert, den schnellen Flug zuihren Wohnungen zurück nehmen. Die Wesen da-gegen, die für den Anblick der Sonne geboren sind,werden, wenn das Ende der verhaasten Nacht ge-kommen ist, dem Himmel für seine Güte dankbarund freudig die heiss ersehnten und erhofften Strah-len mit ihren Blicken einsaugen und mit Herz,

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9Bruno: Von der Ursache, dem Princip und dem Einen

Stimme und Hand jubelnd den Aufgang anbeten.Wenn Titan vom goldnen Osten die feurigen Rosseangetrieben und das träumerische Schweigen derfeuchten Nacht unterbrochen hat, dann werden dieMenschen sinnig sprechen, die unschuldigen, wol-letragenden Heerden blöken; die gehörnten Rinderunter der Obhut des rauhen Landmanns werdenbrüllen; die Esel des Silenus, weil sie von neuemden bestürzten Göttern hilfreich den dummen Gi-ganten Schrecken einjagen können, werden ihr Ge-schrei erheben. In schmutzigem Lager sich wälzendmit ungestümem Grunzen werden die hauerbewehr-ten Eber ihren betäubenden Lärm machen, Tiger,Bären, Löwen, Wölfe nebst den listigen Füchsendas Haupt aus ihren Höhlen hervorstecken, vonihren einsamen Höhen das ebene Jagdgefilde be-trachten und aus thierischer Brust ihr Grunzen,Brummen, Heulen, Brüllen, Winseln ertönen las-sen. In der Luft und auf den Zweigen weitverästeterBäume werden die Hähne, Adler, Pfauen, Krani-che, Tauben, Schnepfen, Nachtigallen, Krähen, El-stern, Raben, der Kukuk und die Cicade nicht säu-men, ihr lärmendes Gezwitscher zu wiederholenund zu verdoppeln. Und selbst aus dem unbestän-digen Gefilde der Fluth werden die weissen Schwä-ne, die bunten Enten, die geschäftigen Taucher, dieSumpfvögel und die heiseren Gänse nebst den

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10Bruno: Von der Ursache, dem Princip und dem Einen

melancholisch quakenden Fröschen die Ohren mitihrem Geräusche erfüllen. Und so wird das warmeSonnenlicht, indem es die Luft dieser glücklicherenHemisphäre durchstrahlt, sich begleitet, begrüsstund vielleicht belästigt finden von einer Fülle derLaute, ebenso mannigfaltig, wie es die Geister sindnach Grösse und Beschaffenheit, welche jene Lauteaus der Tiefe der Brust hervorbringen.

FILOTEOFILO. Das ist doch nicht bloss etwas ge-wöhnliches, sondern auch ganz natürlich und noth-wendig, dass jedes lebende Wesen seinen Laut vonsich giebt. Unvernünftige Thiere können unmöglicharticulirte Töne bilden wie die Menschen, da ihreKörperbeschaffenheit entgegengesetzt, ihr Ge-schmack verschieden, ihre Nahrung eine andere ist.

ARMESSO. Ich bitte um die Erlaubniss, auch mitre-den zu dürfen, nicht über das Licht, sondern überandere Dinge, die dazu gehören und den Sinn nichtsowohl zu erfreuen, als vielmehr das Gefühl desZuschauers oder Betrachters zu verletzen pflegen.Denn gerade, weil ich euren Frieden und eure Ruhein brüderlicher Zuneigung wünsche, möchte ichnicht, dass aus diesen euren Reden wieder solcheKomödien, Tragödien, Klagelieder, Dialoge oderwas immer sonst entständen wie jene, die vor kur-zem, als ihr sie in's Freie hinausliesst, euch zwan-gen, wohl eingeschlossen und zurückgezogen zu

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Hause zu bleiben.FILOTEOFILO. Redet nur ganz frei heraus!ARMESSO. Ich will keinesweges reden wie ein heili-

ger Prophet, ein verzückter Seher, ein verhimmelterApokalyptiker oder der verengelte Esel des Bileam;auch nicht räsonniren als wär' ich vom Bacchus in-spirirt, von dem Hauche der liederlichen Musenvom Parnass aufgeblasen, oder wie eine vom Phö-bus geschwängerte Sibylle oder eine schicksalskun-dige Cassandra, nicht als wäre ich von der Sohlezum Scheitel von apollinischem Enthusiasmusvollgepfropft, wie ein erleuchteter Seher im Orakeloder auf dem delphischen Dreifuss, wie ein denProblemen der Sphinx gewachsener Oedipus oderein Salomo den Räthseln der Königin von Saba ge-genüber; nicht wie Calchas, der Dolmetscher desolympischen Senates, oder ein geisterfüllter Merlin,oder als käme ich aus der Höhle des Trophonius:sondern ich will in ganz hausbackener und nüchter-ner Prosa reden, wie ein Mensch, der ganz andereAbsichten hat, als sich den Saft des kleinen undgrossen Gehirns so lange herauszudestilliren, bisdie dura und pia mater zuletzt als trocknes Resi-duum übrig bleibt; wie ein Mensch, der nun einmalkein anderes Hirn hat als sein eigenes, dem auchdie Götter vom letzten Schube, die bloss zur Mar-schalltafel im himmlischen Hofhalte gehören,

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versagen; ich meine die Götter, die nicht Ambrosiaessen noch Nektar trinken, sondern sich den Durstmit dem Bodensatz im Fass und mit ausgelaufenemWein stillen, wenn sie gegen das Wasser und seineNymphen besondere Abneigung hegen. Selbstdiese, die sich uns doch sonst heimischer, zutrauli-cher und umgänglicher zu bezeigen pflegen, wiez.B. Bacchus oder jener betrunkene Bitter vomEsel [Silen], wie Pan, Vertumnus, Faunus oderPriapus, auch sie geruhen mich nicht um einesStrohhälmchens Breite tiefer einzuweihen, währendsie doch von ihren Thaten selbst ihren Pferden Mit-theilung zu machen pflegen.

ELITROPIO. Die Vorrede ist etwas lang geraten!ARMESSO. Nur Geduld! Der Schluss wird dafür

desto kürzer sein. Ich will in aller Kürze sagen,dass ich euch will Worte hören lassen, die mannicht erst zu entziffern braucht, indem man sie erstgleichsam der Destillation unterwirft oder sie durchdie Retorte gehen lässt, im Marienbade digerirt undnach dem Recept der Quintessenz sublimirt, son-dern Worte, wie sie mir meine Amme in den Kopfgepfropft hat, welche beinahe so fett, hochbusig,dickbäuchig, starklendig und vollsteissig war, wiees jene Londonerin nur sein kann, die ich in West-minster gesehen habe und die von wegen der Er-wärmung des Bauches ein paar Zitzen hat, die wie

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die Stulpstiefeln des Riesen Sanct Sparagorio aus-sehen und aus denen sich, würden sie zu Leder ver-arbeitet, sicherlich zwei ferraresische Dudelsäckewürden machen lassen.

ELITROPIO. Das könnte nun wohl für eine Einlei-tung ausreichen.

ARMESSO. Wohlan denn, um zu Ende zu kommen,ich möchte von euch hören, - die Stimmen undLaute bei Gelegenheit den von eurer Philosophieausstrahlenden Lichtes und Glanzes einmal ganzbei Seite gelassen - mit welchen Lauten ihr wollt,dass wir insbesondere jenes Phänomen von Gelehr-samkeit begrüssen sollen, welches das Buch vomAschermittwochsgastmahl ausmacht? Was fürThiere sind es, die es vorgetragen haben? Wasser-,Luft-, Land- oder Mondthiere ? Und von den Aeu-sserungen des Smith, Prudenzio und Frulla abgese-hen, - ich möchte gern wissen, ob die sich irren,welche behaupten, dass du eine Stimme annimmstwie ein toller und rasender Hund, dass du fernerzuweilen den Affen, zuweilen den Wolf, die Elster,den Papagei, bald das eine Thier, bald ein anderesnachahmst und bedeutende und ernste Sätze, mora-lische und physicalische, gemeine und würdige,philosophische und komische blind durch einanderwürfelst.

FILOTEOFILO. Wundert euch nicht, Bruder! War es

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doch nichts als eine Gasterei, wo die Gehirne durchAffecte regiert werden, wie sie durch die Einwir-kung der Geschmäcke und Düfte von Getränkenund Speisen entstehen. Wie ein Gastmahl materiel-ler und körperlicher Art, ganz analog ist auch dasGastmahl in Wort und Geist. So hat denn auch die-ses Gastmahl in Gesprächsform seine mannigfa-chen und verschiedenen Theile, wie ein Gastmahlsie zu haben pflegt: es hat seine eigenthümlichenVerhältnisse, Umstände und Mittel, wie sie in sei-ner Weise auch jenes haben könnte.

ARMESSO. Seid so gut und macht, dass ich euchverstehen kann!

FILOTEOFILO. Dort pflegt sich der Gewohnheit undGebühr nach Salat, Speise, Obst und Hausmanns-kost aus der Küche und aus der Apotheke zu fin-den, für Gesunde und für Kranke: Kaltes, Warmes,Rohes und Gekochtes; aus dem Wasser, vomLande, aus dem Hause und aus der Wildnis; Gerö-stetes, Gesottenes, Reifes, Herbes; Dinge die zurErnährung allein, und solche, die dem Gaumen die-nen; Substantielles und Leichtes, Salziges undFades, Rohes und Eingemachtes, Bitteres und Süs-ses. Und so haben sich auch hier in bestimmterReihenfolge die Gegensätze und Verschiedenheiteneingefunden, den Verschiedenheiten des Magensund des Geschmackes bei denen entsprechend,

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denen es gefallen möchte, an unserem symboli-schen. Gastmahl teilzunehmen, damit niemand sichbeklage, er sei umsonst gekommen, und damit wemdas Eine nicht gefällt vom Anderen nehme.

ARMESSO. Schon gut; aber was sagt ihr dazu, wennüberdies in eurem Gastmahl Dinge vorkommen, dieweder als Salat noch als Speise, weder als Dessertnoch als Hausmannskost taugen, weder kalt nochwarm, weder roll noch gekocht, die weder für denAppetit noch für den Hunger, weder für Gesundenoch für Kranke gut sind und demgemäss wederaus den Händen des Kochs noch des Apothekershervorgehen?

FILOTEOFILO. Du wirst gleich sehen, dass auchdarin unser Gastmahl jedem beliebigen anderennicht unähnlich ist. Wie du dort mitten im bestenEssen dich entweder an einem allzuheissen Bissenverbrennst, so dass du ihn entweder ausspeien oderunter Aechzen und Thränen dem Gaumen liebäu-gelnd so lange anvertrauen musst, bis du ihn hinun-terwürgen kannst; oder es wird dir ein Zahnstumpf, oder die Zunge kommt dir in den Weg,dass du mit dem Brode auf sie beisst; oder einSternchen wird zwischen den Zähnen zertrümmert,dass du den ganzen Bissen ausspeien musst; oderein Härchen aus dem Barte oder vom Kopfe desKochs schleicht sich durch bis zu deinem Gaumen,

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um dich zum Brechen zu reizen; oder eine Grätebleibt dir im Halse stecken, um dich sänftiglich hu-sten zu machen; oder ein Knöchlein legt sich dirquer vor den Schlund und bringt dich in Gefahr zuersticken: gerade so haben sich in unserem Gast-mahl zu unserem und aller Missvergnügen entspre-chende und ähnliche Dinge eingefunden. Und ach,der Grund von dem allen ist die Sünde unseresalten Urvaters Adam. Seitdem ist die verderbtemenschliche Natur dazu verdammt, dass sich ihr zujedem Genuss der Verdruss gesellt.

ARMESSO. Wie andächtig und erbaulich das klingt!Nun, was antwortet ihr denen, welche sagen, dassihr ein wütender Cyniker seid?

FILOTEOFILO. Ich werde es freudig zugestehen,wenn nicht unbedingt, so doch teilweise.

ARMESSO. Aber wisst ihr auch, dass der Vorwurf,Beschimpfungen hinzunehmen, nicht so schwer istwie der, sie auszutheilen.

FILOTEOFILO. Mir genügt's, dass die meinigen alsWiedervergeltung, diejenigen anderer als Angriffegemeint sind.

ARMESSO. Auch Götter kommen in die Lage, Belei-digungen hinzunehmen, Beschimpfungen zu duldenund Tadel zu erleiden; aber selber tadeln, be-schimpfen und beleidigen ist die Art gemeiner, un-edler, unwürdiger und schlechtgesinnter Menschen.

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17Bruno: Von der Ursache, dem Princip und dem Einen

FILOTEOFILO. Wohl wahr; aber wir beleidigen jaauch nicht; wir geben nur die Beleidigungen zu-rück, die nicht sowohl uns, als der verachteten Phi-losophie angethan werden, und wir thun es, damitnicht zu den schon erlittenen Kränkungen neue hin-zukommen.

ARMESSO. Ihr wollt also einem bissigen Hundegleichen, damit jedermann sich hüte, euch lästig zufallen?

FILOTEOFILO. So ist's. Ich wünsche Ruhe zuhaben, und der Verdruss verdriesst mich.

ARMESSO. Schön; aber man meint, ihr verfahrt zustreng.

FILOTEOFILO. Damit sie nicht wieder kommen, unddamit andere lernen, nicht mit mir und mit anderenanzubinden; sie sollen vielmehr aus ähnlichen Mit-telbegriffen die gleichen Schlüsse ziehen.

ARMESSO. Die Beleidigung war eine private, dieRache aber ist öffentlich.

FILOTEOFILO. Ist sie deshalb ungerecht? VieleVergehen, die im verborgenen begangen sind, wer-den doch mit Fug und Recht öffentlich gestraft.

ARMESSO. Aber damit verderbt ihr euren Ruf undmacht euch tadelnswerther als jene; denn man wirdöffentlich sagen, dass ihr ungeduldig, launenhaft,eigensinnig, unbesonnen seid.

FILOTEOFILO. Das soll mich wenig kümmern,

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wenn nur sie und andere mir nicht weiter lästig fal-len. Dazu zeige ich den Prügel des Cynikers, dasssie mich mit meiner Handlungsweise in Ruhe las-sen, und wenn sie von mir keine Liebkosungenwollen, nicht an mir ihre Unhöflichkeit auslassen.

ARMESSO. Scheint es euch denn einem Philosophenzu geziemen, dass er auf Rache sinne?

FILOTEOFILO. Glichen die, die mich ärgern, derXanthippe, so würde ich Sokrates gleichen.

ARMESSO. Weisst du nicht, dass Langmuth und Ge-duld allen gut steht? dass wir durch sie den Heröenund Göttern ähnlich werden, welche nach einigensich spät rächen, nach anderen sich überhaupt nichträchen noch erzürnen?

FILOTEOFILO. Du irrst, wenn du glaubst, ich hättees auf Rache abgesehen.

ARMESSO. Auf was denn?FILOTEOFILO. Auf Besserung, und auch dadurch

werden wir den Göttern ähnlich. Du weisst, dassder arme Vulcan von Jupiter Dispens hat, auch anFesttagen zu arbeiten, und so wird der verwünschteAmbos nimmer dessen ledig, die Streiche der ge-waltigen Hämmer zu erdulden. So wie der eine er-hoben ist, fällt der andere nieder, damit nur die ge-rechten Blitze zur Züchtigung der Verbrecher undFrevler niemals ausgehen.

ARMESSO. Aber es ist immer noch ein Unterschied

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zwischen euch und dem Schmied des Jupiter, demGemahl der Cypria.

FILOTEOFILO. Genug, dass ich ihnen an Geduldund Langmuth vielleicht nicht so unähnlich bin.Auch in dieser Sache habe ich sie geübt; denn ichhabe meinem Unwillen keineswegs durchaus denZügel schiessen lassen und habe meinem Zornnicht die schärfsten Sporen gegeben.

ARMESSO. Nicht jedermann soll sich damit zuschaffen machen, ein Verbesserer zu sein, beson-ders der Menge.

FILOTEOFILO. Sagt doch auch, besonders dann,wenn diese sich mit ihm nichts zu schaffen macht.

ARMESSO. Man sagt, dass man sich nicht beküm-mern soll um ein fremdes Land.

FILOTEOFILO. Und ich sage zweierlei: erstens dassman einen ausländischen Arzt nicht tödten soll,weil er die Curen vorzunehmen versucht, die dieheimischen nicht machen; zweitens, dass für denwahren Philosophen jedes Land sein Vaterland ist.

ARMESSO. Wenn sie dich nun aber nicht haben wol-len, weder als Philosophen, noch als Arzt, noch alsLandsmann?

FILOTEOFILO. Deshalb werde ich nicht aufhören eszu sein.

ARMESSO. Wer bürgt euch dafür?FILOTEOFILO. Die Götter, welche mich hierher

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geschickt haben; ich, der ich mich hier befinde; unddie, welche Augen haben, mich hier zu sehen.

ARMESSO. Da hast du sehr wenige und wenig aner-kannte Zeugen.

FILOTEOFILO. Auch die rechten Aerzte sind sehrwenig zahlreich und wenig anerkannt; fast alle da-gegen sind rechte Kranke. Ich wiederhole, dass esihnen nicht gestattet ist, den einen es zu bewirken,den andern es zu erlauben, dass solche Behandlungdenen zu Theil werde, die lobenswerthe Diensteleisten, ob sie nun Ausländer seien oder nicht.

ARMESSO. Wenige erkennen diese Dienste an.FILOTEOFILO. Deshalb sind die Perlen nicht weni-

ger kostbar, und wir müssen sie mit aller unsererKraft vertheidigen, und mit der äussersten Anstren-gung dahin wirken, dass sie davor geschützt, gesi-chert und bewahrt bleiben, von den Säuen mit denFüssen zertreten zu werden. So wahr mir die hohenGötter helfen mögen, mein Armesso, ich habe nie-mals aus schmutziger Eigenliebe oder aus gemeinerSorge für ein privates Interesse solche Rachegeübt, sondern aus Liebe zu meiner vielgeliebtenMutter, der Philosophie, und aus Eifer um ihre ver-letzte Majestät. - Jetzt möchte sich jeder nichtsnut-zige Pedant, jeder lumpige Wortheld, jeder dummeFaun, jeder unwissende Esel, indem er sich miteiner Last von Büchern zeigt, sich den Bart lang

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wachsen lässt und allerlei andere Manieren an-nimmt, dafür ausgeben, als ob er zur Familie ge-hörte. Durch solche falschen Freunde und Söhne istdie Philosophie so weit heruntergebracht worden,dass bei der Menge ein Philosoph so viel heisst alsein unnützer Mensch, ein Pedant, ein Gaukler, einMarktschreier, ein Charlatan, gut genug, um alsZeitvertreib im Hause und als Vogelscheuche aufdem Felde zu dienen.

ELITROPIO. Die Wahrheit zu sagen, wird die Sippeder Philosophen von dem grössten Theil der Men-schen noch niedriger geachtet, als die der Geistli-chen, weil diese, aus jeder Art von Gesindel ent-nommen, das priesterliche Amt immer noch weni-ger in Verruf gebracht haben, als jene, die, nachBestien aller Art benannt, der Philosophie Verach-tung zugezogen haben.

FILOTEOFILO. Loben wir also in seiner Art das Al-terthum, wo die Philosophen zu Gesetzgebern, Rä-then und Königen emporsteigen, Räthe und Königeaber zu Priestern erhoben werden durften. In unsernTagen ist die Mehrzahl der Priester so beschaffen,dass sie und um ihretwillen die göttlichen Geboteverachtet sind; fast alle aber, welche wir als Philo-sophen betrachten, sind von der Art, dass sie selbstund um ihretwillen die Wissenschaften in Gering-schätzung sinken. Ueberdies pflegt unter ihnen die

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Menge von Schurken, wie Nesseln die Saat, mitihren entgegengesetzten Phantastereien die Tugendund Wahrheit zu überwuchern, welche selten undnur seltenen Menschen erkennbar ist.

ARMESSO. Ich kenne keinen Philosophen, Elitropio,der sich so für die verachtete Philosophie ereiferte,keinen, der für seine Wissenschaft so eingenommenwäre, wie dieser Teofilo. Was würde geschehen,wenn alle andern Philosophen von derselben Be-schaffenheit, ich meine, ebenso leidenschaftlichwären!

ELITROPIO. Diese andern Philosophen haben nichtso viel erfunden, haben auch nicht so viel zu behü-ten, nicht so viel zu vertheidigen. Sie freilich kön-nen immerhin eine Philosophie gering schätzen, dienichts taugt, oder eine andere, die wenig taugt, odereine solche, die sie nicht kennen; aber dieser, derdie Wahrheit, den verborgenen Schatz, gefundenhat, ist von der Schönheit dieses göttlichen Antlit-zes entflammt und nicht weniger eifersüchtig dar-auf, dass sie nicht verfälscht, vernachlässigt oderentweiht werde, als ein anderer in schmutziger Be-gierde vom Golde, vom Karfunkel oder Diamantenoder von einem schönen Weibsbild eingenommensein mag.

ARMESSO. Aber besinnen wir uns und kommen zu-rück zur Sache! Man sagt von euch, Teofilo, ihr

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hättet in jenem eurem Aschermittwochsgesprächeine ganze Stadt, eine ganze Provinz, ein ganzesReich geschmäht und beleidigt.

FILOTEOFILO. Das habe ich nie gedacht, nie beab-sichtigt, nie gethan, und wenn ich es gedacht, beab-sichtigt oder gethan hätte, so würde ich mich selberam strengsten verdammen und zu tausend Widerru-fen, Abbitten und Palinodien bereit sein. Und dasnicht allein, wenn ich ein altes edles Reich wie die-ses beleidigt hätte, sondern auch jegliches anderesonst, für so barbarisch es auch gelten möge; undich meine nicht nur, jede Stadt, für wie ungebildetsie berufen sei, sondern auch jegliches Geschlecht,als wie roh es auch bekannt sei, sondern auch jedeFamilie, wie ungastlich sie auch heisse. Denn eskann kein Reich, keine Stadt, kein Geschlecht, keinganzes Haus geben, wo alle gleiches Sinnes wärenoder wo man sich darauf einrichten dürfte, keines,wo sich nicht so entgegengesetzte und widerspre-chende Charaktere fänden, dass was dem einenFreude macht, dem andern missfallen muss.

ARMESSO. Gewiss, was mich anbetrifft, der ich dasGanze gelesen und wiedergelesen und wohl erwo-gen habe, ich finde euch wohl im einzelnen viel-leicht etwas gar zu frei herausgehend; im allgemei-nen finde ich euer Verfahren anständig, vernünftigund rücksichtsvoll. Aber das Gerücht geht so wie

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ich sage.ELITROPIO. Dies und andere Gerüchte sind durch

die Gemeinheit einiger von denen ausgestreut wor-den, die sich getroffen fühlen. Rachsüchtig und aneignem Verstand, Gelehrsamkeit, Geist und Kraftsich zu schwach fühlend, erdichten sie alle mögli-chen Unwahrheiten, denen nur ihresgleichen Glau-ben schenken können, und werben Genossen,indem sie es zu erreichen suchen, dass der Tadelgegen einzelne für eine Beleidigung gegen die Ge-samtheit angesehen werde.

ARMESSO. Ich glaube vielmehr, dass es Personengiebt, nicht ohne Urtheil und Verstand, welche dieBeleidigung auf die Gesamtheit beziehen, weil ihrsolche Sitten Personen von solcher Abkunft beilegt.

FILOTEOFILO. Nun, was für Sitten sind denn das,dass ähnliche, schlimmere und viel fremdartigere inGeschlecht, Art und Zahl sich nicht in den vorzüg-lichsten Ländern und Gegenden der Welt fänden?Oder werdet ihr es vielleicht beleidigend finden,und zwar beleidigend und undankbar gegen meinVaterland, wenn ich sage, dass ähnliche und nochverwerflichere Sitten in Italien, in Neapel, in Nolavorkommen? Würdige ich vielleicht dadurch diesesvom Himmel begnadigte Land herab, welches sooft zugleich zum Haupt und zur rechten Hand die-ser Erde gesetzt war, zum Erzieher und Bezwinger

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der andern Geschlechter, dies Land, das von unsund andern immer als Lehrerin, Säugamme undMutter aller Tugenden, Wissenschaften, aller Bil-dung, alles guten Anstandes und aller höflichenSitte geschätzt worden ist, wenn das gar noch über-boten wird, was von ihm grade auch unsere Postengesungen haben, welche es doch ebensosehr alsLehrerin aller Laster, alles Betruges, aller Hab-sucht und Grausamkeit darstellen?

ELITROPIO. Das stimmt ganz zu den Grundsätzeneurer Philosophie; meint ihr doch, dass die Gegen-sätze in den Principien und in den nächsten Objec-ten zusammenfallen. Denn eben dieselben Geister,welche für hohe, tugendhafte und edelmüthigeHandlungen die geeignetsten sind, sinken am tief-sten, wenn sie auf Abwege gerathen. Die seltenerenund auserleseneren Geister finden sich da, wo imallgemeinen die unwissenderen und ungeschickte-ren sind, und wo meistentheils weniger gebildeteund höfliche Leute sind, findet man in einzelnenFällen Extreme von Bildung und Feinheit. Daherscheint den verschiedenen Geschlechtern das glei-che Maass von Vollkommenheiten und Unvollkom-menheiten gegeben zu sein, nur in verschiedenerVertheilung.

FILOTEOFILO. Ganz recht.ARMESSO. Bei alledem bedauere ich wie viele

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andere mit mir, o Teofilo, dass ihr in unserm liebenVaterlande gerade auf solche Subjecte gestossenseid, die euch zu einer solchen Aschermittwochsla-mentation Anlass gegeben haben, und nicht auf soviele andere, die euch gezeigt hätten, wie sehr diesunser Land, mag es auch immer von den Eurigen»gänzlich vom Erdenrunde entlegen« genannt wer-den, allen Studien edler Wissenschaften, der Waf-fen, der Ritterlichkeit, Bildung und höflicher Sittenergeben sei. Soweit unsere Kraft reicht, suchen wirdarin nicht hinter unsern Ahnen zurückzubleibenoder von anderen Völkern übertroffen zu werden,besonders von denen, welche sich einbilden, dieedle Anlage, Wissenschaften, Waffen und Bildungwie von Natur zu haben.

FILOTEOFILO. Bei meiner Treue, Armesso, demwas ihr darlegt, darf ich nicht, könnte ich auchnicht widersprechen, weder mit Worten noch mitGründen oder auch nur innerlich; führt ihr docheure Sache mit aller Geschicklichkeit, bescheidenund gründlich. Deshalb empfinde ich Reue um eu-retwillen und um dessen willen, dass ihr mir nichtmit barbarischem Stolze gegenübergetreten seid,und ich bedaure, dass ich von den oben erwähntenSubjecten Anlass genommen habe, euch und andereLeute von ehrenwerthester und humanster Gesin-nung zu betrüben. Ich möchte deshalb, jene

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Dialoge wären nicht veröffentlicht, und wenn eseuch recht ist, so werde ich mich darum bemühen,dass sie fernerhin nicht an's Licht gelangen.

ARMESSO. Meine Betrübnis so wie die anderer vor-trefflicher Leute stammt so wenig aus der Veröf-fentlichung jener Dialoge, dass ich eher dafür sor-gen möchte, dass sie in unsere Landessprache über-setzt würden, damit sie den wenig oder übel gesit-teten unter uns zur Lectüre dienen könnten. Viel-leicht wenn sie sehen, mit welchem Abscheu ihreunhöflichen Manieren aufgenommen, in welchenZügen sie geschildert worden und wie widerlichdieselben sind, wandeln sie sich, wenn sie sichdurch gute Lehre und gutes Vorbild, das sie an denBesseren und Höheren sehen, von ihrem Wegenicht abbringen lassen, wenigstens um und bildensich nach jenen um aus Scham, unter jenes Gesin-del gezählt zu werden, indem sie lernen, dass per-sönliche Ehre und Tüchtigkeit nicht in dem Kön-nen und Wissen davon besteht, auf welche Art manandere ärgert, sondern in dem geraden Gegentheil.

ELITROPIO. Ihr zeigt euch sehr verständig und ge-wandt, wo es die Sache eures Vaterlandes gilt, undseid im Unterschied von vielen, die gleich arm sindan Geist und Werth, nicht undankbar und uner-kenntlich für die guten Dienste anderer. Aber Filo-teo scheint mir nicht vorsichtig genug, um seinen

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Ruf zu wahren und seine Person zu verteidigen.Denn so verschieden adliges Wesen und bäurischesWesen ist, so entgegengesetzt sind die Wirkungen,die man von beiden hoffen oder fürchten muss.Stelle dir vor, irgend ein Bauernknecht aus Scy-thien, der ein Gelehrter geworden, Erfolg gehabtund Ruhm erlangt hätte, verliesse die Ufer derDonau und tastete mit kühnem Tadel und gerechterAnklage das Ansehen und die Majestät des römi-schen Senats an. Dieser würde aus jenes MannesTadel und Beleidigung Anlass nehmen zu einemActe äusserster Klugheit und Grossmuth und denstrengen Tadler mit einer Colossalstatue beehren.Denke dagegen, ein römischer Edelmann und Sena-tor habe Unglück gehabt und wäre unweise genug,die lieblichen Gestade seines Tiber zu verlassenund gleichfalls mit gerechter Anklage und dem ver-nünftigsten Tadel die scythischen Bauern anzugrei-fen. Sicher würden diese daraus Anlass nehmen,die Beweise ihrer Unbildung, Niedrigkeit und Ro-heit zu babylonischer Thurmhöhe aufzuhäufen; siewürden ihn steinigen, der Volkswuth die Zügelschiessen lassen, um den andern Geschlechtern zuzeigen, welch ein Unterschied es sei, mit Menschenzu verkehren, oder mit solchen, welche nur nachdem Bild und Gleichniss von Menschen gemachtsind.

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ARMESSO. Ich, o Teofilo, bin nicht der Mann, es fürgebührend zu halten, dass ich oder ein anderer, dermehr Witz hätte als ich, die Sache und den Schutzderjenigen, die deine Satire trifft, als von Landsleu-ten übernehme, zu deren Vertheidigung uns dasNaturgesetz selber treibe. Denn niemals werde ichzugestehen und niemals aufhören den zu bestreiten,welcher behauptet, dass jene Leute Theile undGlieder unseres Vaterlandes seien. Dieses bestehtaus ebenso edlen, gebildeten, sittlichen, wohlerzo-genen, zartfühlenden, humanen, verständigen Leu-ten wie irgend ein anderes. Wenn Leute jenesSchlages darin vorkommen, so doch sicher nur alsSchmutz, Hefen, Mist und Moder; in keinem an-dern Sinne könnten sie Theile eines Reiches odereiner Stadt heissen, als wie auch die Jauche einTheil des Schiffes ist. Weit entfernt daher, dass wirum solcher Leute willen empfindlich sein müssten,würden wir uns durch solche Empfindlichkeit viel-mehr tadelnswerth machen. Aus der Zahl jenerschliesse ich einen grossen Theil der Gelehrten undGeistlichen nicht aus. Wenn auch einige von ihnenvermöge ihrer Doctoren-Würde grosse Herren wer-den, so kehren sie den bäurischen Stolz, den sie zu-erst nicht zu zeigen wagten, nachher mit der Zuver-sichtlichkeit und dem Hochmuth, der sich ihnen inFolge des Rufes als Gelehrte oder Priester anhängt,

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nur um so dreister und prahlerischer heraus. KeinWunder daher, wenn ihr viele und aber viele seht,die in jener Doctoren- und Priesterwürde mehr nachdem Rindvieh, der Heerde und dem Stall riechen,als wirkliche Pferdeknechte, Hirten und Ackersleu-te. Deshalb wünschte ich, ihr hättet nicht so heftiggegen unsere Universität geeifert, indem ihr gewis-sermaassen dem Ganzen keine Nachsicht gewährtetund nicht bedachtet, was sie bisher gewesen ist, inZukunft sein wird oder sein kann und zum Theildoch auch schon jetzt ist.

FILOTEOFILO. Nehmt es doch nicht so tragisch!Denn ist auch die Schilderung, die sie bei dieserGelegenheit erfahren hat, ganz getreu, so ist dochjedenfalls die Verkehrtheit nicht grösser bei ihr alsbei allen anderen, die höher zu stehen glauben, unddie unter dem höchst albernen Titel von DoctorenPferde mit Doctorringen und Esel mit Doctorhütencreieren. Gleichwohl verkenne ich nicht, wie sehrsie von Anfang an wohl eingerichtet gewesen ist,die schönen Studienordnungen, die Würde des Ce-remoniells, die Vertheilung der Uebungen, dieSchönheit der Trachten und vieles andere, was zumBedürfniss und Schmuck einer Academie beiträgt.Jedermann muss sie daher ohne Zweifel als dieerste in ganz Europa und mithin in der ganzen Weltanerkennen, und ich leugne nicht, dass sie ein

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Gewandtheit und Feinheit der Geister, wie beideTheile Britanniens sie von Natur erzeugen, allendenen, die anerkannt die vortrefflichsten sind, ähn-lich ist und wohl gleichkommen mag. Nichts destoweniger hat sich das Andenken daran verloren,dass die speculativen Studien, ehe sie noch in denanderen Theilen Europas wiedererwachten, an die-sem Orte geblüht haben, und dass durch diese ihreMeister in der Metaphysik, wie barbarisch auchimmer von Sprache und mönchisch von Professionsie waren, der Glanz eines herrlichen und hervorra-genden Zweiges der Philosophie, welcher in unse-ren Zeiten beinahe erloschen ist, über alle andernAcademien der Länder, die nicht von Barbaren be-wohnt sind, sich verbreitet hat. Aber was mich an-gewidert hat und mir zugleich Ekel und Lachen er-regt, ist das, dass während ich nirgends Leutefinde, die von Sprache mehr Römer, mehr Athenerwären, als an diesem Ort, sie sich in allem übri-gen - ich spreche von der grossen Masse - rühmen,ihren Vorgängern durchaus unähnlich und entge-gengesetzt zu sein. Letztere waren freilich wenigbesorgt um Beredsamkeit und grammatische Stren-ge und ganz auf die Speculation gerichtet, welchevon jenen Sophisterei genannt wird; aber ihre Me-taphysik, in der sie ihren Meister Aristoteles über-treffen haben, wenn auch immerhin getrübt und

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verunreinigt durch manche werthlose Schlüsse undLehrsätze, die nicht philosophisch noch theolo-gisch sind, sondern von einem müssigen und seineKraft übel verwendenden Geiste zeugen, - ihre Me-taphysik steht mir doch immer noch unendlichhöher, als alles was diese Männer der Gegenwartmit aller ihrer ciceronianischen Beredsamkeit unddeclamatorischen Kunst vorbringen können.

ARMESSO. Das sind doch aber auch keine verächtli-chen Sachen.

FILOTEOFILO. Gewiss nicht. Aber wenn man zwi-schen beiden wählen muss, so schätze ich die Aus-bildung des Geistes, wie sehr sie auch sonst getrübtsein mag, höher als diejenige noch so beredterWorte und Redeweisen.

ELITROPIO. Das erinnert mich an jenen Bruder Ven-tura, der bei der Besprechung der Stelle der Heili-gen Schrift: »Gebt dem Kaiser was des Kaisersist!« bei Gelegenheit alle Namen von Münzen, diees zu den Zeiten der Römer gab und die er ichweiss nicht aus welchem alten Tröster oder welcherScharteke aufgelesen hatte, - es waren mehr alshundert und zwanzig, - nach Gepräge und Gewichtanbrachte, um zu zeigen, wie fleissig und wie ge-lehrt er sei. Als nun am Schluss der Predigt einBiedermann zu ihm trat und bat: »EhrwürdigerPater, seid so gut und leiht mir einen Carlin!« so

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antwortete er, er gehöre zum Bettelorden.ARMESSO. Zu welchem Zwecke erwähnt ihr das?ELITROPIO. Ich will damit sagen, dass die, welche

in Redensarten und Namen sehr bewandert sindund sich nicht um die Sachen kümmern, dasselbeGaul wie jener ehrwürdige Vater der Gäule reiten.

ARMESSO. Ich glaube doch, dass sie ausser demStudium der Beredsamkeit, in welcher sie alle ihreVorgänger übertreffen und den andern Modernennicht nachstehen, auch in der Philosophie und aufandern Gebieten der Speculation nicht so bettelarmsind; können sie doch ohne deren gründlicheKenntniss zu keinem Grade promovirt werden.Denn die Statuten der Universität, auf welche sieeidlich verpflichtet sind, bestimmen, dass niemandzur Magister- oder Doctorwürde in der Philosophieund Theologie promovirt werden soll, wenn ernicht aus dem Brunnen des Aristoteles gründlichgeschöpft habe.

ELITROPIO. O, ich will euch sagen, wie sie's ge-macht haben, um nicht meineidig zu werden. Vondrei Brunnen, die sich bei der Universität befinden,haben sie dem einen den Namen Brunnen des Ari-stoteles gegeben; den andern nennen sie Brunnendes Pythagoras, den dritten Brunnen des Plato. Dasie nun aus jenen drei Brunnen ihr Wasser entneh-men, um Bier und dergleichen zu machen, - mit

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demselben Wasser werden freilich auch die Ochsenund Pferde getränkt, - so giebt es natürlich keinenMenschen, der nicht, auch wenn er sich kaum dreioder vier Tage in jenen Studien- und Collegienhäu-sern aufgehalten hat, mit dem Brunnen nicht nurdes Aristoteles, sondern auch ausserdem mit demdes Pythagoras und Plato reichlich durchtränktworden wäre.

ARMESSO. Leider, dass ihr nur allzuwahr redet!Daher kommt es, Teofilo, dass die Doctoren zu sobilligen Preisen fortgehen wie die Sardellen. Wieman sie mit wenig Mühe creiert, findet, fischt, sokauft man sie auch für ein Geringes. Da nun beiuns die Masse der Doctoren in dieser Zeit so be-schaffen ist, - den Ruhm einiger durch Redegabe,Gelehrsamkeit, weltmännische Bildung ausgezeich-neter Männer, wie ein Tobias Matthew, Culpeperund andere, die ich nicht zu nennen weiss, immerausgenommen, - so fehlt viel daran, dass einer weiler sich Doctor nennt dafür gelte einen neuen Adels-rang zu haben; vielmehr ist er gerade der entgegen-gesetzten Natur und Beschaffenheit so lange ver-dächtig, als man nicht etwas von ihm besondersweiss. So kommt es, dass diejenigen, die von Ge-burt oder sonst adlig sind, auch wenn sie damit dasschönste Theil des Adels, die gelehrte Bildung,verbinden, sich schämen, sich promoviren und zu

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Doctoren ernennen zu lassen, indem es ihnen ge-nügt, dass sie Gelehrte sind. Und von solchen fin-det man eine grössere Zahl an den Höfen, als manPedanten an der Universität findet.

FILOTEOFILO. Grämt euch nicht zu sehr darüber,Armesso! Denn überall, wo es Doctoren und Prie-ster giebt, giebt es auch beide Arten von ihnen.Diejenigen, die wahrhafte Gelehrte und wahrhaftePriester sind, mögen sie auch aus niederem Standeemporgekommen sein, können nicht anders als ge-bildet und geadelt sein; denn die Wissenschaft istder auserlesene Weg, um den menschlichen Geistzu erhabenem Streben zu entzünden. Jene andernaber erscheinen uns um so roher, je mehr sie, mitdem Divûm pater oder mit dem Giganten Salmo-neus »hochdonnernd«, gleich einem Satyr oderFaun im Purpurgewande mit schreckeneinflössen-dem und gebieterischem Pompe einherschreiten,nachdem sie auf dem Katheder des Schuloberstenausgemacht haben, - nach welcher Declination hicet haec et hoc nihil geht.

ARMESSO. Wir wollen den Gegenstand fallen las-sen. Was ist das für ein Buch, das ihr in der Handhabt?

FILOTEOFILO. Es sind Dialoge.ARMESSO. Das Gastmahl?FILOTEOFILO. Nein.

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36Bruno: Von der Ursache, dem Princip und dem Einen

ARMESSO. Was denn?FILOTEOFILO. Andere, im denen nach unserer Me-

thode von der Ursache, dem Princip und dem Einengehandelt wird.

ARMESSO. Und die Personen? Haben wir vielleichtwieder so einen verteufelten Frulla oder Prudenzio,die uns von neuem in schlimme Gesellschaft brin-gen?

FILOTEOFILO. Fürchtet nichts! Einen ausgenom-men, sind es lauter ruhige und höchst anständigeLeute.

ARMESSO. So bliebe also doch wieder euren Wor-ten nach etwas auch in diesen Dialogen auszumer-zen?

FILOTEOFILO. Fürchtet nichts! Ihr werdet euch ehergekitzelt fühlen, wo es euch juckt, als gereizt, woes euch weh thut.

ARMESSO. Wo es juckt?FILOTEOFILO. Ihr werdet hier erstens dem ehren-

werthen Gelehrten, dem liebenswürdigen, wohlge-bildeten Mann und treuen Freunde Alexander Dic-son begegnen, den der Nolaner liebt wie seinenAugapfel und der zu der Verhandlung über den Ge-genstand den Anlass gegeben hat. Er wird als der-jenige eingeführt, der dem Teofilo den Stoff zu sei-nen Darlegungen bietet. Zweitens habt ihr da denTeofilo, nämlich mich, der je nach gegebenem

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Anlass den vorliegenden Gegenstand durch Di-stinctionen, Definitionen und Demonstrationen er-läutert. Drittens ist da Gervasio, ein Mann, dernicht zur Zunft gehört, aber zum Zeitvertreib beiunsern Unterredungen zugegen sein will, eine Per-son, die nicht wohl noch übel riecht, sich über dieManieren des Poliinnio köstlich amüsiert und ihmdann und wann Spielraum schafft, um seine Thor-heit auszulassen. Diesen gotteslästerlichen Pedan-ten habt ihr da zum vierten, einen jener gestrengenTadler der Philosophie, der sich deshalb wie einMomus vorkommt; äusserst eingenommen von sei-nem Schwarm von Scholastikern, weshalb er sichin sokratischer Liebe einen geschworenen Feinddes weiblichen Geschlechtes nennt, und weil erkein Physiker ist, sich für Orpheus, Musäus, Tity-rus und Amphion hält. Du kennst die Art. Wenn siedir eine schöne Periode gemacht, ein elegantesBrieflein aufgesetzt, eine zierliche Phrase aus derciceronianischen Garküche geschmarotzert haben: -da ist Demosthenes wiedererstanden, da blüht Tul-lius, da lebt Sallust; da ist ein Argus, der jedenBuchstaben, jede Silbe, jede Redensart erspäht; daRhadamanthus »umbras vocat ille silentum«, daMinos, König von Creta, »urnam movet«. Sie zei-gen die Sprüchlein und discutiren über Phrasen:diese schmeckt nach dem Dichter, jene nach dem

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Komiker, die nach dem Redner; das ist würdevoll,das niedrig, das erhaben; jenes gehört dem humiledicendi genus an; diese Wendung ist rauh; siewürde zart sein, wenn sie so gestaltet wäre; das istein Anfänger, der sich wenig um das Alterthumkümmert, non redolet Arpinatem, desipit Latium;dieses Wort ist nicht toscanisch, wird nicht vonBoccaccio, Petrarca und anderen gebraucht Manschreibt nicht homo, sondern omo, nicht honore,sondern onore, nicht Polihimnio, sondern Poliin-nio. Darüber triumphirt er, ist er mit sich zufrieden;nichts gefällt ihm so wie seine eigenen Thaten. Erist ein Jupiter, der von der hohen Warte »alta spe-cula« das so vielen unnöthigen Irrthümern, Unfäl-len, Nöthen und Mühen ausgesetzte Leben der an-deren Menschen beschaut und betrachtet. Nur er istglücklich, er allein lebt ein himmlisches Leben,wenn er seine Göttlichkeit im Spiegel einer Blu-menlese, eines Wörterbuchs, eines Calepino, einesGlossars, einer Cornucopia, eines Nizolius betrach-tet. Mit solcher Ueberlegenheit ausgestattet ist erallein alles in allem, während sonst jeder nur einesist. Lacht er, so nennt er sich Demokrit, weint er,Heraklit; disputirt er, so heisst er Chrysipp; forschter, Aristoteles; tummelt er sich in Hirngespinsten,Plato; brüllt er ein paar Sätze her, so ist sein NameDemosthenes; wenn er den Vergilium analysiret, so

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ist er Maro. Nun hofmeistert er Achill, belobt Ae-neas, tadelt Hector, declamirt gegen Pyrrhus, trau-ert über Priamus, verklagt Turnus, entschuldigtDido, preist Achates, und endlich, indem er ver-bum verbo reddit und wilde Synonymien auf-thürmt, nihil divinum a se alienum putat, ist er soaufgeblasen, wenn er vom Katheder heruntersteigt,als hätte er Himmelreiche geordnet, Senate gere-gelt, Heere gebändigt, Welten reformirt; ist er sich-er, dass wenn nicht die Ungerechtigkeit der Zeitwäre, er in Wirklichkeit das thun würde, was er inseiner Meinung thut. O tempora, o mores! Wieselten sind diejenigen, welche die Natur der Partici-pia, der Adverbia, der Conjunctiones verstehen!Wie viel Zeit hat es gekostet, bis die Art und derwahre Grund gefunden wurde, wie das Adjectivummit dem Substantivum übereinstimmen, das Relati-vum sich nach dem richten muss, worauf es sichbezieht, und nach welcher Regel es jetzt vorn, jetzthinter dem Satze steht, nach welchen Maassen,welchen Ordnungen die Interjectiones eingestreutwerden, die, welche Trauer, die, welche Freudeausdrücken: heu, oh, ah, ach, hem, ohe, hui und an-dere Würzen, ohne welche alle menschliche Redehöchst fade sein würde.

ELITROPIO. Sagt was ihr wollt, denkt wie es euchbeliebt! Ich sage, dass es für das Glück des Lebens

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besser ist, sich Crösus zu dünken und arm zu sein,als sich arm zu dünken und Crösus zu sein. Ist esnicht zuträglicher für das Wohlbefinden, eine Vet-tel zu haben, die dir schön scheint und dich befrie-digt, als eine Léda, eine Helena, die dich langweiltund dir zum Ekel wird? Was verschlägt es alsojenen, dass sie geistlos und mit Werthlosem be-schäftigt sind, wenn sie um so glücklicher sind, jemehr sie sich ganz allein gefallen? So gut thut fri-sches Gras dem Esel, Gerste dem Pferd, wie mitDreck beschmiertes Brot dem Rebhuhn. So wohlist der Sau bei Eicheln und Trank, wie einem Zeusbei Ambrosia und Nektar. Wollt ihr jene vielleichtaus ihrem süssen Wahne reissen, dass sie euchnachher für eure Bemühung den Hals brechenmüssten? Ueberdies - wer weiss, ob dies oder jenesNarrheit ist? Ein Pyrrhonianer würde sagen: Werweiss, ob unser Zustand der Tod und der Zustandderer die wir abgeschieden nennen, das Leben ist?So auch - wer weiss, ob nicht alles Glück und alleSeligkeit in der richtigen Verbindung und Aufein-anderfolge der Satzglieder besteht?

ARMESSO. So ist die Welt! Wir machen den Demo-krit über die Pedanten und Sprachkünstler; die viel-geschäftigen Männer der Praxis machen den Demo-krit über uns; die Mönche und Priester, die sichwenig mit Gedanken plagen, demokritisiren über

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alle. Und umgekehrt machen die Pedanten sichüber uns, wir uns über die Männer von Welt, allesich über die Mönche lustig, und schliesslich,indem immer der eine der Narr des andern ist,möchte es sich zeigen, dass wir alle verschiedensind in specie, aber gleichartig in genere, numeroet casu.

FILOTEOFILO. Verschieden sind deshalb die Gat-tungen und Arten der Bannstrahlen, mannigfaltigihre Grade; aber die schärfsten, strengsten, schreck-lichsten und entsetzlichsten werden von unserenErzschulmeistern geschleudert. Darum lasst unsvor ihnen die Kniee beugen, das Haupt neigen, dieAugen verdrehen und die Hände emporheben, seuf-zen, weinen, schreien und um Gnade flehen. Sowende ich mich denn an euch, die ihr den Herold-stab des Mercurs in Händen tragt, um die Contro-versen zu entscheiden, die Probleme zu determini-ren, die unter Sterblichen und Göttern auftauchen.Euch empfehlen wir unsere Prosa, eurem Urtheilunterwerfen wir unsere Musen, unsere Prämissen,Subsumptionen, Digressionen, Parenthesen, Appli-cationen, Clauseln, Perioden, Constructionen, At-tribute und Epitheta. O ihr lieblichsten Wasser-männer, die ihr mit euren zierlichen Floskeln unsden Geist entrückt, das Herz fesselt, den Sinn be-zaubert, haltet unseren Barbarismen die gute

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Absicht zugute, renkt unsere Sprachfehler wiederein, beschneidet unsere Makrologien, flickt unsereEllipsen aus, zäumt unsere Tautologien, mässigtunsere Akribologien, verzeiht unsere Aeschrolo-gien, entschuldigt unsre Pleonasmen, vergebt un-sern Kakophaten! Ich beschwöre euch alle insge-mein und dich insbesondere, du strenger, mürri-scher und zornigster Magister Poliinnio, von derwilden Wuth und dem frevlerischen Hass gegendas edle weibliche Geschlecht zu lassen und unsnicht das Schönste zu verscheuchen, was die Weltumfasst und der Himmel mit seinen tausend Augenerblickt! Kehrt um, kehrt um zu uns, besinnt euch,damit ihr seht, dass jener euer Groll nichts ist alsausgesprochener Wahnsinn und fanatische Raserei.Wer ist unsinniger und stumpfsinniger, als der, derdas Licht selber nicht sieht? Welche Thorheit kannverächtlicher sein, als um des Geschlechtes willender Feind der Natur selber sein, gleich jenem bar-barischen König von Sarza [Rodomonte], der weiler's von euch gelernt sagt:

Natur kann nichts vollkommenes gestalten,Weil die Natur wird für ein Weib gehalten.

Betrachtet einmal die Wahrheit, erhebt das Augezum Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen;

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seht den Widerspruch und den Gegensatz zwischenbeiden und schaut, was Mann, was Weib ist. Hierder Körper, euer Freund, ein Mann; dort die Seele,eure Feindin, ein Weib! Hier der Wirrwarr männ-lich, dort die Ordnung weiblich; hier der Schlaf,dort die Wachsamkeit; hier der Stumpfsinn, dortdie Erinnerung; hier der Hass, dort die Liebe; hierder Irrthum, dort die Wahrheit; hier der Mangel,dort die Fülle; hier der Orcus, dort die Seligkeit;hier der Pedant Poliinnio, dort die Muse Polyhym-nia: kurz, alle Laster, Fehler und Verbrechen sindmännlich, alle Tugenden, Vorzüge, Verdiensteweiblich. Daher werden Klugheit, Gerechtigkeit,Tapferkeit, Mässigkeit, Schönheit, Erhabenheit,Würde, Gottheit, weiblich benannt, so vorgestellt,so geschildert, so gemalt, und so sind sie auch. Undum diese theoretischen, begrifflichen und gramma-tikalischen Gründe, wie sie eurer Manier entspre-chen, zu lassen, und zu den der Natur, der Wirk-lichkeit und Praxis entnommenen zu gelangen,muss nicht, um dir den Mund zu stopfen, dieseseine Beispiel genügen, welches dich mit deinensämtlichen Genossen widerlegt? So finde docheinen Mann, der tüchtiger wäre als die göttlicheElisabeth, die in England regiert! So reich ist siebegabt, so hoch erhaben, so vom Himmel begün-stigt, vertheidigt und beschützt, dass alle Worte

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und Gewalten vergebens sich bemühen, sie zuschädigen. Im ganzen Königreich ist niemand wür-diger, niemand heldenmüthiger unter den Edlen,niemand gelehrter unter den Würdenträgern, nie-mand weiser unter den Staatsmännern. Was sindim Vergleich mit ihr in Rücksicht auf Schönheit,auf Kenntnis der Volks, wie der gelehrten Spra-chen, auf Vertrautheit mit Wissenschaften undKünsten, auf Klugheit im Regiment, auf das Glückeines hohen und weit geltenden Ansehens, auf alleanderen Tugenden der Gesittung und Natur die So-phonisben, Faustinen, Semiramis, Dido, Cleopatraund alle anderen, deren sich Italien, Griechenland,Aegypten und andere Länder Europas und Asiensaus vergangenen Zeiten rühmen können! Beweiseliefert mir was sie ausgerichtet hat, die glänzendenErfolge, die das gegenwärtige Jahrhundert nichtohne edles Staunen anschaut. Ueber Europas Flu-ren hin fluthet der Tiber zürnend, der Po drohend,der Rhone gewaltthätig, die Seine blutig, die Ga-ronne stürmisch; der Ebro rast, der Tajo wüthet;die Maas strömt ermattet, die Donau unruhig. Sieaber hat durch den Glanz ihrer Augen fünf undmehr Lustren hindurch den grossen Ocean zurRuhe gebracht, der in beständiger Ebbe und Fluthfröhlich und still in seinen weiten Schoos seine ge-liebte Themse aufnimmt, die furchtlos und

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friedlich, sicher und fröhlich ihres Weges zieht undsich durch die wiesenreichen Gestade schlängelt!Um also noch einmal von vorn anzufangen, wie...

ARMESSO. Schweig, schweig, Filoteo! Bemühe dichnicht, Wasser in unsern Ocean und Licht in unsereSonne zu tragen! Lass ab, verzückt, um nichtsschlimmeres zu sagen, zu erscheinen, indem du mitden Poliinnios disputirst, die gar nicht da sind.Theile uns lieber ein wenig mit von den Gesprä-chen, die du da bei dir hast, damit wir diesen Tagund diese Stunde nicht müssig verbringen!

FILOTEOFILO. Nehmet hin und leset!

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Zweiter Dialog

Personen: Dicson. Gervasio. Teofilo. Poliinnio.

DICSON. Um Vergebung, Magister Poliinnio, unddu, Gervasio, unterbrecht nicht ferner unsere Ge-spräche!

POLIINNIO. Fiat; so geschehe es.GER. Wenn der Herr Magister spricht, so kann ich

noch sicher nicht schweigen.DICSON. Ihr behauptet also, Teofilo, jegliches, was

nicht selbst oberstes Princip und oberste Ursacheist, das habe ein Princip und eine Ursache?

TEOF. Ohne allen Zweifel und alle Widerrede.DICSON. Meint ihr also, derjenige, welcher die von

der Ursache und dem Princip gesetzten Dingekennt, kenne auch die Ursache und das Princip sel-ber?

TEOFILO. Nicht leicht die nächste Ursache und dasnächste Princip, aber äusserst schwer auch nur eineSpur von der obersten Ursache und dem oberstenPrincip.

DICSON. Wie denkt ihr euch denn, dass die Dinge,welche eine oberste und eine nächste Ursache, einoberstes und ein nächstes Princip haben, wahrhafterkannt werden, wenn sie doch der bewirkenden

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Ursache nach also einer der Ursachen nach, die zurwirklichen Erkenntnis der Dinge gehören, verbor-gen sind?

TEOFILO. Es mag leicht sein, über den Beweisgangin der Wissenschaft Theorien aufzustellen; aber dasBeweisen selbst ist schwer. Sehr bequem ist es,über die Ursachen, die näheren Umstände und Me-thoden der Wissenschaften Vorschriften zu geben;aber nachher bringen unsere Methodiker und Ana-lytiker ihre Organons, ihre methodischen Principienund ihre »Kunst der Künste« höchst ungeschicktzur Anwendung.

GER. Etwa wie Leute, welche wohl verstehen schöneSchwerter zu verfertigen, aber nicht sie zu handha-ben?

POLIINNIO. Forme!GER. Verm - aledeit seist du selber mit deinem

Mundwerk, dass du es nie wieder öffnen könntest!TEOFILO. Ich meine deshalb, es ist von dem Natur-

philosophen nicht zu verlangen, dass er alle Ursa-chen und Principien aufzeige, sondern nur die phy-sischen, und von diesen auch nur die hauptsächli-chen und jedesmal eigenthümlichen. Freilich sagtman, weil sie von der obersten Ursache und demobersten Princip abhängen, dies sei ihre Ursacheund ihr Princip; indessen die Beziehung zwischenihnen ist doch keine so enge, dass aus der

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Erkenntnis des einen auch die Erkenntnis des an-dern folgte: und deshalb ist auch nicht zu fordern,dass sie in einer und derselben Wissenschaft unter-gebracht werden.

DICSON. Inwiefern das?TEOFILO. Bedeutet doch die höchste Erkenntnis des

obersten Princips und der obersten Ursache, welchewir aus der Erkenntnis aller abhängigen Dinge ab-leiten können, gegen jenes gehalten, immer nochweniger als eine blosse Spur. Denn das All ent-springt aus dem Willen oder der Güte desselben;diese ist das Princip seines Wirkens, und aus ihmgeht die Gesamtheit aller Wirkungen hervor. DasGleiche lässt sich bei Kunstwerken beobachten.Wer die Statue sieht, sieht nicht den Bildhauer, werdas Bild der Helena sieht, nicht den Apelles, son-dern nur das Product seiner Thätigkeit. Diese ent-springt zwar aus der Grösse seines Genies; den-noch ist dies alles nur eine Wirkung der Acciden-tien und Beschaffenheiten an der Substanz jenesMannes, der, was sein Wesen an sich anbetrifft,durchaus unerkannt bleibt.

DICSON. Das Universum erkennen hiesse demnachso viel, als von dem Wesen und der Substanz derobersten Ursache gar nichts erkennen; es hiessevielmehr nur: die Accidentien der Accidentien er-kennen.

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TEOFILO. Ganz recht; aber ich möchte nicht, dassihr euch einbildetet, ich meinte, in Gott gäbe es Ac-cidentien, oder er könne durch das, was gleichsamAccidenz an ihm ist, erkannt werden.

DICSON. Dazu traue ich euch doch zu viel Verstandzu und weiss wohl, dass es ganz etwas andres ist,sagen, dass jedes Ding, welches aussergöttlicherNatur ist, Accidenz sei, etwas anderes, es sei Acci-denz an ihm, etwas anderes, es sei gleichsam seineAccidenz. Mit diesem letzten Ausdruck, glaube ich,meint ihr, dass es Wirkungen der göttlichen Thätig-keit sind, welche zwar die Substanz der Dinge,oder vielmehr die natürlichen Substanzen selbstsind, aber wo es darauf ankommt, ums zu einer ad-äquaten Erkenntnis des göttlichen übernatürlichenWesens zu verhelfen, doch nur entferntesten Acci-denzen gleichen.

TEOFILO. Sehr richtig.DICSON. Mithin können wir von der göttlichen Sub-

stanz gar nichts wissen, sowohl weil sie unendlich,als weil sie von den Wirkungen, welche die äusser-ste Grenze des Gebietes unseres Verstandesvermö-gens darstellen, sehr weit entfernt ist; höchstenskönnen wir von ihr nur etwas im Sinne einer Spurerkennen, wie die Platoniker, einer entfernten Wir-kung, wie die Peripatetiker, einer Hülle, wie dieCabalisten sagen; wir können ihr gleichsam von

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hinten nachschauen, nach dem Ausdruck der Tal-mudisten, oder sie im Spiegel, im Schatten, imRäthsel sehen, nach dem Ausdruck der Theoso-phen.

TEOFILO. Noch mehr. Weil wir dies Universum,dessen Substanz und hauptsächlicher Inhalt soschwer zu begreifen ist, nicht einmal vollständigübersehen, so erkennen wir das oberste Princip unddie oberste Ursache aus ihrer Wirkung noch weitweniger, als Apelles aus den von ihm geformtenGestalten erkannt werden kann: denn diese könnenwir ganz übersehen und Theil für Theil prüfen,aber nicht so das grosse und unendliche Werk dergöttlichen Macht. Deshalb darf man auch bei demvon uns gebrauchten Bilde die Analogie nur mitEinschränkung verstehen.

DICSON. Ganz recht; grade so verstehe ich es auch.TEOFILO. Es wird also gut sein, sich des Sprechens

von einem so hohen Gegenstande zu enthalten.DICSON. Das meine ich auch, weil es für Moral und

Theologie genügt, das oberste Princip so weit zuerkennen, als die höheren Mächte es uns offenbartund die gottgesandten Männer es uns verkündigthaben. Ueberdies lehrt nicht nur jedes Gesetz undjede Theologie, sondern auch jede gesunde Philoso-phie, dass es das Zeichen eines ungeweihten undunbesonnenen Geistes ist, über jene Dinge, die

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über die Sphäre unserer Vernunft hinausliegen, inmaassloser Unbesonnenheit Untersuchungen anzu-stellen und sich feste Begriffe darüber bilden zuwollen.

TEOFILO. Gut; aber so tadelnswerth diese sind, die-jenigen verdienen gleichwohl das höchste Lob,welche sich um die Erkenntnis dieses Princips unddieser Ursache bemühen, um seine Grosse zu erfas-sen, so weit es möglich ist, indem sie mit denBlicken eines maassvoll geordneten Gemüthes jeneprächtigen Gestirne und flammenden Körper über-schauen, welche ebensoviele bewohnte Welten, ge-waltige Organismen, herrliche Gottheiten sind undwelche unzählbare Welten zu sein scheinen undwirklich sind, ganz ähnlich derjenigen, welche unsumschliesst. Sie können unmöglich das Sein vonsich selber haben, weil sie ja zusammengesetzt undzerstörbar sind, wenn sie auch, wie im Timaeus gutbemerkt ist, nicht gerade deshalb unterzugehen ver-dienen. Sie müssen also nothwendig das Principund die Ursache erkennen und folglich mit der Grö-sse ihres Seins, Lebens und Wirkens im unendli-chen Raum mit unzähligen Stimmen die unendlicheHerrlichkeit und Majestät ihres obersten Principsund ihrer obersten Ursache bezeugen und verkündi-gen. Wir unterlassen also eurer Meinung entspre-chend diese Untersuchung, sofern sie über jeden

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Sinn und Verstand hinaus geht, und wollen vomPrincip und der Ursache handeln, sofern die Naturentweder selber ihre Spur ist oder sie doch in ihremUmfange und Schoosse wiederstrahlt. Ihr also fragtmich in rechter Ordnung, wenn ihr wollt, dass icheuch in rechter Ordnung antworten soll.

DICSON. So sei's. Aber zuerst möchte ich, weil ihrUrsache und Princip zu sagen pflegt, wissen, ob ihrdiese beiden Wörter in gleicher Bedeutung ge-braucht?

TEOFILO. Nein.DICSON. Mit welchem Unterschiede also?TEOFILO. Wenn wir Gott oberstes Princip und wenn

wir ihn oberste Ursache nennen, so meinen wir eineund dieselbe Sache in verschiedener Beziehung;wenn wir aber von Principien und Ursachen in derNatur sprechen, so meinen wir verschiedene Dingein verschiedenen Beziehungen. Wir nennen Gottoberstes Princip, insofern alle Dinge nach be-stimmter Reihenfolge des früher und später, odernach Natur, Dauer, Würdigkeit ihm nachstehen.Wir nennen Gott erste Ursache, insofern alleDinge von ihm unterschieden sind wie die Wirkungvom Wirkenden, das Hervorgebrachte vom Hervor-bringenden. Diese beiden Bedeutungen nun sinddeshalb verschieden, weil nicht jedes Ding, wel-ches höher steht und werthvoller ist, die Ursache

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des niedriger stehenden und werthloseren ist, undweil nicht jedes Ding, welches Ursache ist, zeitlichfrüher und werthvoller ist, als das Verursachte, wieman bei näherer Ueberlegung leicht einsieht.

DICSON. Nun erklärt euch doch auch über den Un-terschied zwischen Ursache und Princip bei Gegen-ständen der Natur.

TEOFILO. Zuweilen wird wohl der eine Ausdruckstatt des anderen gebraucht; nichtsdestoweniger istin strengem Sprachgebrauch nicht jedes, was Prin-cip ist, auch Ursache. So ist der Punkt wohl Principder Linie, aber nicht ihre Ursache; der Augenblickwohl das Princip der Thätigkeit, der Terminus aquo das Princip der Bewegung, und doch nicht ihreUrsache; die Vordersätze sind das Princip des Be-weisverfahrens, aber nicht seine Ursache; Principist also ein umfassenderer Ausdruck als Ursache.

DICSON. Indem ihr die beiden Ausdrücke, wieFreunde eines strengen Sprachgebrauchs pflegen,auf bestimmte eigentliche Bedeutungen beschränkt,so wollt ihr, verstehe ich euch recht, dass dasjenigeals Princip gelte, was innerlich zu der wesentlichenErzeugung der Sache beiträgt und in dem Productvorhanden bleibt, z.B. Materie und Form, die indem aus ihnen Zusammengesetzten vorhanden blei-ben, oder auch die Elemente, aus denen das Dingsich zusammensetzt, und in die es sich wieder

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auflöst; Ursache dagegen nennt ihr das, was äu-sserlich zur Hervorbringung des Dinges beiträgt,sein Wesen aber ausserhalb der Zusammensetzunghat, wie die bewirkende Ursache und der Zweck,auf den es bei dem Hervorgebrachten abgesehenist.

TEOFILO. Ganz richtig.DICSON. Da wir nun über diesen Unterschied klar

sind, so wünsche ich, dass ihr eure Aufmerksam-keit erst auf die Ursachen und dann auf die Princi-pien richtet, und was die Ursachen anbetrifft, somöchte ich zunächst von der ersten bewirkendenUrsache, von der Formursache, welche, wie ihrsagt, mit der bewirkenden verbunden ist, dem-nächst von der Zweckursache hören, welche manals diejenige betrachtet, die jene in Bewegung setzt.

TEOFILO. Euer Vorschlag für den Gang der Untersu-chung sagt mir sehr zu. Was nun die bewirkendeUrsache betrifft, so halte ich für die physische all-gemeine bewirkende Ursache die allgemeine Ver-nunft, das oberste und hauptsächlichste Vermögender Weltseele, welche des Weltalls allgemeineForm ist.

DICSON. Das scheint der Meinung des Empedokleszu entsprechen, aber zugleich sicherer, deutlicherund reicher entwickelt, und überdies, soviel dieblosse Benennung erkennen lässt, tiefer zu sein. Ihr

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werdet uns also einen Gefallen thun, wenn ihr dieGrundansicht im einzelnen durchführen wollt, undzuerst sagt, was jene universelle Vernunft sei.

TEOFILO. Die universelle Vernunft ist das Innerste,wirklichste und eigenste Vermögen und der Theilder Weltseele, der ihre Macht bildet. Sie ist einIdentisches, welches das All erfüllt, das Universumerleuchtet und die Natur unterweist, ihre Gattun-gen, so wie sie sein sollen, hervorzubringen. Sieverhält sich demnach zur Hervorbringung derDinge in der Natur, wie unsere Vernunft sich zurentsprechenden Hervorbringung der sinnvollen Ge-stalten verhält. Sie wird von den Pythagoreern derBeweger und Erreger des Universums genannt, wieder Dichter es in den Worten ausdrückt:

.... Durch alle Glieder ergossen,Treibt die Vernunft die Masse des Alls und

durchdringet den Körper.

Von den Platonikern wird sie der Weltbaumeistergenannt. Dieser Baumeister, sagen sie, tritt aus derhöheren Welt, welche völlig eins ist, in diese sinn-liche Welt hinüber, welche in die Vielheit zerfallenist, wo wegen der Trennung der Theile nicht nurdie Freundschaft, sondern auch die Feindschaftherrscht. Diese Vernunft bringt alles hervor, indem

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sie, selbst sich ruhig und unbeweglich erhaltend,etwas von dem ihrigen in die Materie eingiesst undihr zutheilt. Sie wird von den Magiern der frucht-barste der Samen, oder auch der Säemann genannt;denn sie ist es, welche die Materie mit allen For-men erfüllt, sie nach der durch die letzteren gegebe-nen Weise und Bedingung gestaltet und mit jenerFülle bewunderungswürdiger Ordnungen durch-webt, die nicht dem Zufall noch sonst einem Prin-cip zugeschrieben werden können, welches nicht zuscheiden und zu ordnen verstände. Orpheus nenntsie das Auge der Welt, weil sie die Dinge in derNatur innerlich und äusserlich überschaut, damitalles nicht bloss innerlich, sondern auch äusserlichsich in dem ihm eigenthümlichen Ebenmaasse er-zeuge und erhalte. Von Empedokles wird sie derUnterscheider genannt, weil sie niemals müde wird,die ordnungslos durcheinandergeworfenen Formenin dem Schoosse der Materie zu sondern und ausdem Untergang des einen das andere sich erzeugenzu lassen. Plotin nennt sie den Vater und Urzeuger,weil sie die Samen auf dem Gefilde der Natur ver-streut und der nächste Austheiler der Formen ist.Wir nennen sie den inneren Künstler, weil sie dieMaterie formt und von innen heraus gestaltet, wiesie aus dem Innern des Samens oder der Wurzelden Stamm hervorlockt und entwickelt, aus dem

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Innern des Stammes die Aeste treibt, aus dem In-nern der Aeste die Zweige gestaltet, aus dem Innerndieser die Knospen bildet, von innen heraus wieaus einem innern Leben die Blätter, Blüthen,Früchte formt, gestaltet und verflicht, und voninnen wieder zu bestimmten Zeiten die Säfte ausLaub und Früchte in die Zweige, aus den Zweigenin die Aeste, aus den Aesten in den Stamm, ausdem Stamm in die Wurzel zurückleitet. Und ebensobei den Thieren. Da entfaltet sie ihr Werk aus demursprünglichen Samen und aus dem Centrum desHerzens bis in die äusseren Gliedmaassen, undindem sie die entfalteten Vermögen zuletzt wiederaus diesen nach dem Herzen zu sammelt, wirkt siegerade, als wäre sie schon dahin gelangt, die aufge-spannten Fäden wieder aufzuwickeln. Wenn wirnun glauben, dass das tote Gebilde nicht ohne Ein-sicht und Vernunft hervorgebracht wird, welcheswir nach bestimmtem Plane nachahmend auf derOberfläche der Materie hervorzubringen verstehen,indem wir etwa ein Holz schälend und schnitzenddas Bild eines Pferdes zu Stande bringen: wie vielgrösser müssen wir uns die Vernunft desjenigenKünstlers vorstellen, der aus dem Innern der sa-menartigen Materie heraus das Knochengerüsteaufbaut, die Knorpel spannt, die Röhrchen derAdern aushöhlt, die Poren mit Luft füllt, das

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Gewebe der Fasern, die Verzweigung der Nervenherstellt und mit so bewundernswürdiger Meister-schaft das Ganze ordnet? Ein wie viel grössererKünstler, sage ich, ist der, welcher nicht an eineneinzelnen Theil der Materie gebunden ist, sondernfortwährend alles in allem wirkt? Es giebt dreiArten der Vernunft: die göttliche Vernunft, welchealles ist; die eben besprochene Vernunft der Welt,welche alles macht; die Vernunft der einzelnenDinge, welche alles wird. Denn zwischen den Ex-tremen muss es dieses Mittlere geben, welches allerDinge in der Natur wahre bewirkende Ursache undnicht bloss äusserliche, sondern auch innerliche Ur-sache ist.

DICSON. Ich möchte, ihr unterschiedet, in welchemSinne ihr sie als äussere und in welchem als innereUrsache bezeichnet.

TEOFILO. Ich nenne sie äussere Ursache, sofern sieals hervorbringende nicht ein Theil der Zusammen-setzung und der hervorgebrachten Dinge ist; sie istinwendige Ursache, sofern sie nicht auf die Materieund ausser ihr wirket, sondern so, wie ich eben dar-gelegt habe. Daher ist sie äussere Ursache durch ihrvon der Substanz und Wesenheit des Gewirktenunterschiedenes Sein, weil also ihr Sein nichtgleich dem von erzeugbaren und zerstörbaren Din-gen ist, wenn sie auch in denselben thätig ist:

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innerliche Ursache ist sie in Bezug auf die Wir-kungsform ihrer Thätigkeit.

DICSON. Was ihr von der bewirkenden Ursache ge-sagt habt, scheint zu genügen; nun möchte ich wei-ter von der formalen Ursache hören, welche eurerMeinung nach mit der bewirkenden in Verbindungsteht. Ist sie vielleicht der ideale Begriff? Dennjedes Wirkende, welches nach vernünftigen Geset-zen thätig ist, tritt in Wirksamkeit nicht anders, alsnach einer Absicht; diese aber giebt es nicht ohneVorstellung eines Dinges, und diese wieder istnichts anders als die Form des hervorzubringendenDinges selber. Deshalb muss diese Vernunft, wel-che das Vermögen hat, alle Gattungen hervorzu-bringen und sie in so herrlichem Aufbau aus demVermögen der Materie zur Wirklichkeit hervorzu-locken, nothwendig schon vorher alle in bestimm-tem formalem Begriff in sich haben. Ohne siekönnte das Wirkende eben so wenig zu seiner Thä-tigkeit gelangen, wie es dem Bildhauer möglich ist,verschiedene Statuen auszuführen, ohne zuvor ver-schiedene Gestalten ersonnen zu haben.

TEOFILO. Ihr zeigt ein vortreffliches Verständnis.Aus diesem Grunde eben will ich, dass man zweiArten von Formen ins Auge fasse: die eine, welchezwar Ursache ist, aber nicht schon die bewirkendeUrsache selber, sondern die, um deren willen die

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bewirkende thätig ist; die andere das Princip, wel-ches durch die bewirkende Ursache aus der Materiezur Thätigkeit erweckt wird.

DICSON. Der Zweck und die Endursache, welchesich die bewirkende vorsetzt, ist die Vollkommen-heit des Universums, und diese besteht darin, dassin den verschiedenen Theilen der Materie alle For-men actuelle Existenz haben. An diesem Kiele er-götzt und erfreut sich die Vernunft so sehr, dass sieniemals müde wird, alle Arten von Formen aus derMaterie hervorzulocken. So lehrt, wie es scheint,auch Empedokles.

TEOFILO. Sehr richtig; und ich füge hinzu, dass sowie die bewirkende Ursache im All als allgemeineund in den Theilen und Gliedern des Alls als spe-cielle und besondere erscheint, eben so auch ihreForm und ihr Zweck sich darstellt.

DICSON. Von den Ursachen mag dies genügen;gehen wir weiter zu den Principien.

TEOFILO. Um also zu den die Dinge constituirendenPrincipien zu kommen, will ich zuvor von derForm reden, weil sie in gewisser Weise mit derschon genannten bewirkenden Ursache identischist; denn die Vernunft, welche ein Vermögen derWeltseele ist, ist die nächste bewirkende Ursachealler Dinge in der Natur genannt worden.

DICSON. Aber wie kann eines und dasselbe Princip

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und Ursache der Dinge in der Natur sein? Wiekann es zugleich wie ein innerer und wie ein äusse-rer Theil sich verhalten?

TEOFILO. Ich antworte, dass darin nichts widerspre-chendes liegt, wenn man nur erwägt, dass die Seeleim Leibe ist, wie der Steuermann im Schiff. DerSteuermann, sofern er sich mit dem Schiffe zu-gleich bewegt, ist ein Theil desselben; aber bedenktman weiter, dass er es lenkt und bewegt, so denktman ihn nicht als einen Theil, sondern als ein vomGanzen unterschiedenes Wirkendes. So ist dieWeltseele, insofern sie belebt und gestaltet, der in-wendige und formale Theil der Welt; aber sofernsie leitet und regiert, ist sie nicht ein Theil der Weltund verhält sich zu ihr nicht wie ein Princip, son-dern wie eine Ursache. Dies gesteht uns Aristotelesselber zu. Denn, obwohl er bestreitet, dass dieSeele dasselbe Verhältnis zum Leibe habe, wie derSteuermann zum Schiffe, so wagt er dennoch in Er-wägung ihres Vermögens zu verstehen und zu be-greifen keineswegs, sie schlechtweg einen Actusund eine Form ihres Leibes zu nennen, sondern alsein seinem Wesen nach von der Materie getrenntesAgens nennt er sie etwas, was von aussen hinzu-tritt, sofern ihre Substanz von dem Zusammenge-setzten völlig verschieden ist.

DICSON. Ich stimme dem ganz zu. Denn wenn es

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dem intellectuellen Vermögen unserer Seele zu-kömmt, etwas vom Körper getrenntes zu sein undsich wie die bewirkende Ursache zu verhalten, somuss dies noch viel mehr von der Weltseele gelten.Deshalb bemerkt Plotin in der Schrift gegen dieGnostiker, dass die Weltseele das Universum mitgrösserer Leichtigkeit regiert, als unsere Seele un-seren Leib. Sodann ist ein grosser Unterschied zwi-schen der Art und Weise, mit welcher diese und mitwelcher jene regiert. Jene lenkt die Welt, nicht alswäre sie an sie gefesselt, sondern so, dass sie durchdas, was sie beherrscht, selbst nicht gebundenwird; sie leidet nicht von andern Dingen, noch mitandern Dingen; sie erhebt sich ohne Hindernis zuden oberen Dingen. Indem sie ihrem Leibe Lebenund Vollkommenheit verleiht, nimmt sie doch vonihm keinerlei Unvollkommenheit an und ist deshalbewig mit einem und demselben Gegenstande ver-bunden. Dagegen ist diese offenbar von entgegen-gesetzter Beschaffenheit. Wenn nun euren Grund-sätzen nach die Vollkommenheiten, welche in denniederen Naturen vorhanden sind, den höheren Na-turen in erhabnerer Weise zugeschrieben und inihnen wiedererkannt werden müssen, so müssenwir ohne Zweifel den von euch gemachten Unter-schied gelten lassen. Und nicht nur in Bezug aufdie Weltseele findet es seine Bestätigung, sondern

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auch in Bezug auf jedes der Gestirne, die wie deroben genannte Philosoph lehrt, alle das Vermögenhaben, Gott, die Principien aller Dinge und dieOrdnung aller Theile des Weltalls zu schauen. Undzwar nimmt er an, dass dies nicht in der Form desGedächtnisses, des Verstandes und der Ueberle-gung geschehe. All ihr Wirten ist vielmehr ein ewi-ges Wirken, und es giebt für sie kein neues Thun.Deshalb thun sie nichts, was nicht dem Ganzen an-gemessen, vollkommen, in bestimmter und zumvoraus festgesetzter Ordnung geschähe ohne einenAct des Nachdenkens. Aristoteles führt dafür dasBeispiel eines vollkommenen Schreibers und Cit-herspielers an, indem er den Nachweis führen will,dass man der Natur nicht deshalb Vernunft und En-dabsicht absprechen dürfe, weil sie keine Erwägun-gen und Ueberlegungen anstellt. Denn ein ausgebil-deter Musiker und Schreiber braucht, ohne deshalbFehler zu begehen, weniger auf das, was er thut,aufzumerken, als ein minder geschickter und min-der geübter, der mit grösserer Spannung und Auf-merksamkeit seine Arbeit doch weniger vollkom-men und nicht ohne Fehler zu Stande bringt.

TEOFILO. Ganz richtig. Lass uns nun mehr ins Ein-zelne eingehen. Die göttliche Vortrefflichkeit undHerrlichkeit dieses gewaltigen Organismus, diesesAbbildes des obersten Princips, scheinen mir

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diejenigen zu beeinträchtigen, welche nicht einse-hen noch anerkennen wollen, dass die Welt mitihren Gliedern belebt ist; als ob Gott sein Abbildbeneidete, der Baumeister sein herrliches Werknicht liebte, welcher nach Plato's Ausdruck an sei-nem Werke Wohlgefallen hatte wegen der Aehn-lichkeit mit sich, die er in ihm erblickte. Und für-wahr, was kann sich den Augen der Gottheit Schö-neres darbieten als dieses Universum? und wenndasselbe aus seinen Theilen besteht, welchen vonihnen muss man höher stellen, als das formale Prin-cip? Ich überlasse einer besseren und mehr ins ein-zelne gehenden Auseinandersetzung tausend ausder Physik entnommene Gründe neben diesen, dieder Topik und Logik angehören.

DICSON. Meinethalb braucht ihr euch damit nicht zubemühen. Giebt es doch keinen Philosophen voneinigem Rufe, selbst unter den Peripatetikern, dersich nicht das All und seine Sphären in gewisserWeise als beseelt dächte. Jetzt möchte ich liebereure Ansicht darüber hören, auf welche Weisediese Form sich in die Materie des Universums ein-senkt.

TEOFILO. Sie verbindet sich mit ihr so, dass dieNatur des Körpers, welche an sich nicht schön ist,nach dem Maasse ihrer Fähigkeit an ihrer Schön-heit theilnimmt; denn es giebt keine Schönheit, die

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nicht in einer gewissen Gestalt oder Form bestände,und keine Form, die nicht von der Seele hervorge-bracht wäre.

DICSON. Ich glaube da etwas sehr neues zu hören.Ist es etwa eure Meinung, dass nicht nur die Formdes Universums, sondern die Formen aller Dinge inder Welt seelenhaft seien?

TEOFILO. Ja.DICSON. Also sind alle Dinge beseelt?TEOFILO. Ja.DICSON. Wer wird euch das zugeben?TEOFILO. Wer wird es mit Grund verneinen kön-

nen?DICSON. Es ist allgemeine Meinung, dass nicht alle

Dinge belebt sind.TEOFILO. Die allgemeinere Meinung ist nicht auch

die wahrere Meinung.DICSON. Ich glaube gern, dass sich der Satz verthei-

digen lässt. Aber um etwas für wahr gelten zu las-sen, genügt es nicht, dass es sich allenfalls verthei-digen lasse: es muss vielmehr bewiesen werdenkönnen.

TEOFILO. Das ist nicht schwer. Giebt es nicht Philo-sophen, welche behaupten, dass die Welt selber be-seelt sei?

DICSON. Gewiss, viele und sehr bedeutende.TEOFILO. Nun, warum sollten dieselben nicht auch

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behaupten, dass alle Theile der Welt beseelt sind?DICSON. Gewiss, sie behaupten es auch, aber nur

von den hauptsächlichsten Theilen und denen, wel-che wahrhafte Theile der Welt sind; behaupten siedoch, dass die Weltseele gerade ebenso ganz in derganzen Welt und ganz in jedem beliebigen Theilederselben ist, wie die Seele der uns wahrnehmbarenlebenden Wesen in jedem Theile derselben ganzist.

TEOFILO. Von welchen meint ihr denn aber, dass sienicht wahrhafte Theile der Welt sind?

DICSON. Diejenigen, welche nicht, wie die Peripate-tiker sagen, »erste Körper« sind, in dem Sinne, wiees z.B. die Erde ist mit ihren Gewässern und ihrenübrigen Bestandtheilen, die eurem Ausdrucke nachwesentliche Theile ihres Organismus sind, oder wieder Mond, die Sonne und andere Körper. Ausserdiesen hauptsächlichsten beseelten Wesen giebt esandere, welche keine ursprünglichen Theile desUniversums sind, und von denen man den eineneine vegetative, den andern eine empfindende, wie-der andern eine vernünftige Seele zuschreibt.

TEOFILO. Aber wenn die Seele deshalb, weil sie imGanzen ist, auch in den Theilen sein muss, warumgebt ihr nicht zu, dass sie auch in den Theilen derTheile sei?

DICSON. Ich will es zugeben, aber nur in den

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Theilen der Theile der beseelten Dinge.TEOFILO. Welche sind nun jene Dinge, die nicht be-

seelt oder keine Theile von beseelten Dingen sind?DICSON. Scheint es euch wirklich, dass wir so weni-

ge dieser Art vor Augen haben? Alle Dinge, welcheohne Leben sind.

TEOFILO. Und welches sind die Dinge, welche keinLeben und nicht zum wenigsten ein Lebensprinciphaben?

DICSON. Um zum Schlüsse zu kommen: nehmt ihrdenn an, dass es überhaupt kein Ding gebe, wel-ches keine Seele, und nicht zum wenigsten einPrincip und einen Keim des Lebens in sich hätte?

TEOFILO. Das gerade ist es, was ich ohne allenAbzug will.

POLIINNIO. Also ein todter Leichnam hat noch eineSeele? Also meine Schuhe, meine Pantoffeln,meine Stiefel, meine Sporen, mein Fingerring undmeine Handschuhe sollen beseelt sein? Mein Rockund mein Mantel sind beseelt?

GERVASIO. Ja, lieber Herr, ja, Magister Poliinnio;warum denn nicht? Ich glaube gewiss, dass deinRock und dein Mantel beseelt ist, weil ein Thierwie du darin steckt; Stiefel und Sporen sind be-seelt, weil sie die Füsse umschliessen; der Hut istbeseelt, weil er den Kopf umschliesst, der dochwohl nicht ohne Seele ist; und der Stall ist auch

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beseelt, wenn das Pferd, das Maulthier oder aucheure Herrlichkeit darin sind. Versteht ihr es nichtso, Teofilo? Scheint euch nicht, dass ich euch bes-ser verstanden habe, als der dommus magister?

POLIINNIO. Cujum pecus? Es giebt doch wirklichüber und über spitzfindige Esel! Bist du so frech,da Gelbschnabel, du A-b-c-Schütz, dich mit einemSchulhaupt und Leiter einer Werkstätte der Miner-va, wie ich bin, zu vergleichen?

GERVASIO. Friede sei mit euch, o Herr Magister!Ich bin der Knecht deiner Knechte, der Schemeldeiner Füsse!

POLIINNIO. Verdamme dich Gott von Ewigkeit zuEwigkeit!

DICSON. Keinen Zank! Ueberlasst es uns, diese Sa-chen auszumachen.

POLIINNIO. So möge denn Teofilo im Vertrag seinerDogmate fortfahren!

TEOFILO. Das will ich thun. Ich sage also, dass derTisch als Tisch, das Kleid als Kleid, das Leder alsLeder, das Glas als Glas allerdings nicht belebt ist.Aber als natürliche und zusammengesetzte Dingehaben sie in sich Materie und Form. Das Ding seinun so klein und winzig wie es wolle, es hat in sicheinen Theil von geistiger Substanz, welche, wennsie das Substrat dazu angethan findet, sich danachstreckt, eine Pflanze, ein Thier zu werden, und sich

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zu einem beliebigen Körper organisirt, welcher ge-meinhin beseelt genannt wird. Denn Geist findetsich in allen Dingen, und es ist auch nicht daskleinste Körperchen, welches nicht einen ausrei-chenden Antheil davon in sich fasste, um sich bele-ben zu können.

POLIINNIO. So wäre denn alles, was ist, animalisch?TEOFILO. Nicht alle Dinge, welche eine Seele

haben, heissen auch animalische Wesen.DICSON. So haben doch wenigstens alle Dinge

Leben?TEOFILO. Ich gebe zu, dass alle Dinge in sich eine

Seele, dass sie Leben haben der Substanz nach,freilich nicht der Thatsache und der Wirklichkeitnach dem Sinne, wie sie alle Peripatetiker und die-jenigen fassen, die vom Leben und von der Seelegewisse allzu grobsinnliche Definitionen geben.

DICSON. Ihr zeigt, wie man mit Wahrscheinlichkeitdie Ansicht des Anaxagoras aufrecht erhaltenkönne, welcher annahm, dass jegliches in jeglichemsei; denn wenn der Geist oder die Seele oder dieuniversale Form in allen Dingen ist, so kann sichalles aus allem erzeugen.

TEOFILO. Nicht bloss mit Wahrscheinlichkeit, son-dern in voller Gewissheit. Denn dieser Geist findetsich in allen Dingen. Sind sie nicht lebendig, sosind sie doch beseelt; sind sie nicht der

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Wirklichkeit nach für Beseeltheit und Leben emp-fänglich, so sind sie es doch dem Princip undeinem gewissen primären Act von Beseeltheit undLeben nach. Mehr sage ich nicht; ich will nichtweiter auf die Eigenschaft vieler Krystalle undEdelsteine eingehen, welche zerbrochen und zer-schnitten und in unregelmässige Stücke zerteilt, ge-wisse Kräfte haben, den Geist umzustimmen undneue Affecte und Begierden in der Seele, nichtbloss im Körper hervorzubringen. Nun wissen wir,dass solche Wirkungen nicht aus rein materiellenEigenschaften hervorgehen, noch hervorgehen kön-nen, sondern nothwendig sich auf ein auf Belebt-heit und Beseeltheit hindeutendes Princip beziehen.Wir sehen dasselbe ferner deutlich an erstorbenenKräutern und Wurzeln, welche die Feuchtigkeitenreinigend und sammelnd, die Geister umstimmend,offenbare Lebenswirkungen zeigen. Ich übergehe,dass - und nicht ohne Grund - die Nekromantenviele Dinge durch Todtengebeine zu bewirken hof-fen, und dass sie glauben, dieselben behielten,wenn auch nicht dieselbe, doch eine Art von Le-bensfunction, welche ihnen zu jenen ausserordentli-chen Wirkungen verhelfen könne. Anderswo werdeich Anlass haben, ausführlicher über den Verstand,den Geist, die Seele, das Leben zu reden, das allesdurchdringt, in allem ist und die ganze Materie

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bewegt, ihren Schooss erfüllt und sie wohl bewäl-tigt, aber nicht von ihr bewältigt wird; kann dochdie geistige Substanz nimmer von der materiellenüberwunden werden, sondern hält vielmehr diese inSchranken.

DICSON. Das scheint mir nicht nur der Meinung desPythagoras zu entsprechen, die der Dichter wieder-giebt, wenn er sagt:

Himmel und Erde von Anfang her und die feuchtenGefilde,

Dich auch, strahlendes Rund des Monds, dich,leuchtende Sonne,

Innen belebt ein Geist, und durch die Gliederergossen

Ist's die Vernunft, die die Masse bewegt und dasGanze durchdringet,

sondern auch der Meinung des Gottesgelehrten,welcher sagt: »Der Geist durchdringt und erfüllt dieErde, und er ist es, der das All umfasst.« Und einandrer, vielleicht von dem Verhältnis der Form zuder Materie und der Potenz sprechend, sagt, dassdiese von dem Actus und von der Form überwältigtwird.

TEOFILO. Wenn also Geist, Seele, Leben sich inallen Dingen vorfindet und in gewissen

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Abstufungen die ganze Materie erfüllt, so ist derGeist offenbar die wahre Wirklichkeit und diewahre Form aller Dinge. Die Weltseele ist also dasconstituirende Formalprincip des Universums unddessen, was es enthält; d.h. wenn das Leben sich inallen Dingen findet, so ist die Seele Form allerDinge; sie ist überall die ordnende Macht für dieMaterie und herrscht in dem Zusammengezetzten;sie bewirkt die Zusammensetzung und den Zusam-menhalt der Theile. Und deshalb scheint es, dassdauerndes Bestehen ebensowohl dieser Form alsder Materie zukommt. Jene verstehe ich als in allenDingen eine; doch bringt sie je nach den Unter-schieden in der Empfänglichkeit der Materie unddem Vermögen der thätigen und leidenden materi-ellen Principien verschiedene Gestaltungen hervorund bewirkt verschiedene Vermögen, hier blosseLebensäusserung ohne Empfindung, dort Lebens-äusserung mit Empfindung, aber ohne Vernunft;dort wieder scheint es, als habe sie alle diese Ver-mögen unterdrückt und zurückgedrängt, sei eswegen der Unfähigkeit der Materie oder aus einemanderen in derselben liegenden Grunde. Währenddiese Form so ihren Sitz und ihre wechselnde Ge-stalt ändert, kann sie unmöglich zu nichte werden,weil der geistigen Substanz nicht weniger dauern-des Sein zukommt als der materiellen. Also nur die

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äusseren Formen wechseln und werden sogar ver-nichtet, weil sie nicht Dinge, sondern an den Din-gen, keine Substanzen, sondern an den SubstanzenAccidenzien und Bestimmungen sind.

POLIINNIO. Non entia, sed entium.DICSON. Gewiss; wenn irgend etwas von den Sub-

stanzen zunichte würde, so würde die Welt sichentleeren.

TEOFILO. Wir haben also ein immanentes Formprin-cip, welches ewig und für sich bestehend unver-gleichlich besser ist als das, welches die Sophistenersonnen haben, welche von der Substanz derDinge nichts wissend immer nur bei den Acciden-zien stehen bleiben und die Substanzen als zerstör-bar setzen, weil sie Substanz im höchsten Sinnevor allem und hauptsächlich das nennen, was nurResultat der Zusammensetzung ist. Und doch ist esnur das Accidens ohne Beständigkeit und Wahr-heit, welches sich in nichts auflöst. Nach ihnen ist»Mensch« in wahrem Sinne das, was durch Zusam-mensetzung entsteht; »Seele« in wahrem Sinne das,was Entelechie und Act eines lebenden Körpers istoder doch aus einem gewissen Ebenmaasse des ver-flochtenen Baus und der Organisation entspringt.Daher ist es kein Wunder, wenn sie so grossenSchrecken vor dem Tode und der Auflösung anderneinflössen und selbst empfinden; ist es doch der

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Verlust des Daseins, was sie bedroht. Gegen dieseThorheit erhebt die Natur laut ihre Stimme, indemsie uns versichert, dass nicht der Körper, noch dieSeele den Tod zu fürchten habe, weil sowohl dieMaterie als die Form schlechthin constante Princi-pien sind.

O du Geschlecht, durchbebt vom eisigen Grauendes Todes,

Schreckt euch der Styx, schreckt euch das Dunkelnichtiger Namen,

Fabelnder Dichtung Stoff, und ersonnener WeltenGefahren?

Wisst, wenn flammende Gluth, wenn des Altersschleichende Schwäche

Hat die Leiber zerstört, nicht kennen sie Schmerzennoch Leiden;

Frei ist die Seele vom Tod; vielmehr die frühereWohnung

Tauscht sie mit neuem Sitz und lebt und wirket indiesem.

Alles wechselt, doch nichts geht unter.

DICSON. Damit scheint mir übereinzustimmen, wasSalomo sagt, der unter den Hebräern für den weise-sten gilt: »Was ist das, was ist? Dasselbe, was ge-wesen ist. Was ist das, was gewesen ist? Dasselbe,

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was sein wird. Nichts neues unter der Sonne.«POLIINNIO. Diese Form, die ihr annehmt, ist also

nicht etwas ihrem Wesen nach in der Materie exi-stirendes und ihr anhängendes, und sie hängt auchnicht von dem Körper und der Materie ab, um zubestehen?

TEOFILO. So ist's; und überdies möchte ich nichtdarüber entscheiden, ob auch nur alle Form vonMaterie begleitet ist, wie ich umgekehrt von derMaterie mit aller Sicherheit behaupte, dass keinTheil derselben gänzlich von der Form verlassenist, man müsste sie denn in logischem Sinne verste-hen, wie Aristoteles es thut, der niemals müdewird, das was in Natur und Wirklichkeit ungeson-dert ist, im Verstande zu sondern.

DICSON. Nehmt ihr nicht noch eine andere Form anausser dieser ewigen Begleiterin der Materie?

TEOFILO. Freilich, und zwar eine noch mehr derNatur eigene Form, nämlich die materielle Form,von welcher wir nachher handeln werden. Für jetztmerkt euch folgende Eintheilung der Form. Esgiebt eine Art, die forma prima, welche gestaltend,räumlich ausgedehnt und von der Materie abhängigist; diese ist in allem, weil sie das All gestaltet, undweil sie sich ausbreitet, theilt sie die Vollkommen-heit des Ganzen den Theilen mit, und weil sie ab-hängig ist und durch sich keine Wirksamkeit übt,

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theilt sie die Thätigkeit des Ganzen und gleicher-weise auch Namen und Sein desselben den Theilenmit. Dieser Art ist die materielle Form, wie z.B. diedes Feuers; denn jeder Theil des Feuers wärmt,heisst Feuer und ist Feuer. Zweitens giebt es eineandere Art von Form, welche gestaltend und abhän-gig, aber nicht räumlich ausgedehnt ist; als solcheist sie, weil sie das Ganze vollendet und bewirkt,im Ganzen und in jedem Theile desselben. Weil sieaber ohne Ausdehnung ist, so theilt sie den wesent-lichen Act des Ganzen den Theilen nicht mit; dage-gen, weil sie abhängig ist, so theilt sie die Wir-kungsweise des Ganzen den Theilen mit. Von die-ser Art ist die vegetative und empfindende Seele.Denn kein Theil des Thieres ist selbst ein Thier,und nichtsdestoweniger lebt und empfindet einjeder Theil. Drittens giebt es eine andre Art vonForm, welche das Ganze bewirkt und vollendet,aber nicht ausgedehnt, noch in Bezug auf ihre Thä-tigkeit abhängig ist. Weil sie bewirkt und vollen-det, ist sie im Ganzen, in allem und in jeglichemTheil. Weil sie ohne Ausdehnung ist, so theilt siedie Vollkommenheit des Ganzen den Theilen nichtmit; weil sie nicht abhängig ist, so theilt sie dieThätigkeit nicht mit. Von dieser Art ist die Seele,sofern sie das intellectuelle Vermögen ausübenkann und intellectuell heisst. Sie macht nicht in

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dem Sinne einen Theil des Menschen aus, dass derTheil Mensch heissen könnte, oder ein Menschwäre, oder dass man von ihm sagen könnte, er habeVerstand. Von diesen drei Arten ist die erste mate-riell und kann ohne Materie nicht verstanden wer-den noch existiren. Die andern beiden Arten, wel-che zuletzt ihrer Substanz und dem Wesen nach ineins zusammengehen, und welche sich in der vor-her auseinandergesetzten Art unterscheiden, nennenwir jenes formale, von dem materialen Princip un-terschiedene Princip.

DICSON. Ich verstehe.TEOFILO. Ausserdem bitte ich zu beachten, dass wir

zwar nach der gewöhnlichen Weise fünf Stufen derFormen aufzählen, nämlich Element, Mischung,Vegetatives, Empfindendes und Vernünftiges, dasswir es aber nicht in dem gewöhnlichen Sinne neh-men. Denn dieser Unterschied hat seine Geltungwohl in Bezug auf die Vermögen, welche an denGegenständen erscheinen und aus ihnen hervorge-hen, aber nicht in Bezug auf das ursprüngliche undfundamentale Sein jener Form und jenes geistigenLebens, welches als eines und dasselbe, aber nichtauf eine und dieselbe Weise das All erfüllt.

DICSON. Ich verstehe. Die Form, die ihr als Principsetzt, ist demnach substantielle Form, constituirteine vollkommene Art, ist eigner Gattung und kein

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Theil einer Art, wie die der Peripatetiker.TEOFILO. So ist's.DICSON. Die Eintheilung der Formen in der Materie

geschieht nicht mit Rücksicht auf die zufälligenBeschaffenheiten, welche von der materiellen Formabhängen.

DICSON. Richtig.TEOFILO. Daher wird auch diese gesonderte Form

nicht ein numerisch Vielfaches, weil jede solchenumerische Vielheit von der Materie abhängt.

TEOFILO. Ganz richtig.DICSON. Ferner ist sie an sich unveränderlich, ver-

änderlich erst durch die Gegenstände und die Ver-schiedenheiten der Stoffe. Obschon nun diese Formam Gegenstande Verschiedenheit des Theiles vomGanzen bewirkt, so ist sie gleichwohl an sich imTheil und im Ganzen nicht verschieden, wenn ihrauch eine andere Weise zukommt, sofern sie fürsich subsistirt, eine andere, sofern sie Actus undVollendung irgend eines Gegenstandes ist, eine an-dere ferner mit Rücksicht auf einen so angelegten,eine andere mit Rücksicht auf einen anders ange-legten Gegenstand.

TEOFILO. Genau so.DICSON. Diese Form denkt ihr nicht accidentiell,

noch der accidentiellen ähnlich, noch wie mit derMaterie vermischt oder ihr äusserlich anhaftend,

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sondern gleichsam ihr immanent, mit ihr verbun-den, ihr beiwohnend.

TEOFILO. So meine ich's.DICSON. Ferner wird diese Form durch die Materie

begrenzt und bestimmt. Denn während sie an sichdie Fähigkeit hat, der Art nach unzählbare einzelneWesen zu bilden, verengt sie sich dazu, ein Indivi-duum zu bilden. Und von der andern Seite be-stimmt sich das Vermögen der unbestimmten Ma-terie, welche jede beliebige Form annehmen kann,auf eine Art, so dass jedes von beiden die Ursacheder Bestimmung und Begrenzung des andern ist.

TEOFILO. Ganz richtig.DICSON. Ihr stimmt also in gewisser Weise der Mei-

nung des Anaxagoras bei, welcher die particulärenNaturformen verborgene nennt, in gewisser Weisederjenigen Plato's, welcher sie aus den Ideen ablei-tet, in gewisser Weise derjenigen des Empedokles,welcher sie aus dem Intellect entspringen lässt; ingewisser Weise derjenigen des Aristoteles, der siegleichsam aus dem Vermögen der Materie hervor-gehen lässt?

TEOFILO. Ja wohl; denn wie gesagt, wo die Formist, ist in gewissem Sinne alles; wo Seele, Geist,Leben ist, ist alles. Der Bildner ist die Vernunftvermittelst der idealen Arten und der Formen; wenndie Vernunft die Formen nicht aus der Materie

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hervorlockt, so erbettelt sie sie doch auch nicht au-sser ihr; denn dieser Geist »erfüllt das All«.

POLIINNIO. Nun möchte ich wohl wissen, wie dieForm die an allen Orten als Ganzes vorhandeneWeltseele ist, sintemalen sie doch untheilbar ist?Sie muss also doch wohl über die Maassen gross,ja von unendlicher Extension sein, wenn du sagst,dass die Welt ein Infinitum ist.

GERVASIO. Damit hat es wohl seine Richtigkeit,dass sie gross ist. So sagte auch von unserm Hei-land ein Prediger in Grandazzo auf Sicilien. Näm-lich um anzudeuten, dass der Heiland in der ganzenWelt allgegenwärtig sei, liess er ein Crucifix anfer-tigen, so gross wie die Kirche, nach dem BildeGottes des Vaters, welcher das Empyreum zumBaldachin, den Sternenhimmel zum Thronsitz undso lange Beine hat, dass sie bis auf die Erde rei-chen, die ihm zum Schemel dient. Zu diesem Prie-ster kam ein Bäuerlein, um ihn zu fragen, undsprach: Mein hochwürdiger Pater, wie viel EllenTuch werden wohl nöthig sein, um für ihn Sockenzu machen? Und ein anderer meinte, alle Erbsen,Linsen, Fasolen und Bohnen von Melazzo und Ni-cosia würden nicht hinreichen, um seinen Wanst zufüllen. Seht also zu, dass diese Weltseele nichtauch nach dieser Façon gemacht sei.

TEOFILO. Ich wüsste auf deinen Zweifel, Gervasio,

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nicht zu antworten, aber wohl auf den des MagisterPoliinnio; doch werde ich im Gleichnis reden, umeurer beider Verlangen zu genügen; denn ich wün-sche, dass auch ihr einige Frucht aus unsern Unter-suchungen und Unterredungen davontragt. Wisstalso in Kürze, dass die Weltseele und die Gottheitüberall und in jedem Theile allgegenwärtig sindnicht in der Weise, wie irgend ein stoffliches Dingdaselbst sein kann; - denn das ist jedem Körperund jedem Geist unmöglich, welcher es auch sei; -sondern auf eine Weise, welche euch nicht leichtanders klar zu machen ist als folgendermaassen.Wenn es heisst, die Weltseele und die universaleForm sind überall, so ist das nicht körperlich oderder Aasdehnung nach zu verstehen; - denn so sindsie und können sie auch nicht in einem Theilesein; - sondern sie sind geistig überall ganz. Ineinem allerdings rohen Gleichnisse werdet ihr eucheine Stimme vorstellen können, welche ganz ineinem ganzen Zimmer und in jedem Theile dessel-ben ist, denn man versteht sie ganz überall. So wer-den diese Worte, die ich spreche, ganz von allenverstanden, auch wenn tausend anwesend wären,und meine Stimme, wenn sie über die ganze Weltreichen könnte, würde überall ganz sein. Euch also,Magister Poliinnio, sage ich, dass die Weltseelenichts untheilbares ist in dem Sinne wie der Punkt,

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sondern in gewisser Weise wie die Stimme. Unddir, Gervasio, antworte ich, dass die Gottheit nichtüberall ist, wie der Gott von Grandazzo in seinerganzen Kapelle ist; denn dieser, wenn er auch inder ganzen Kirche ist, ist doch nicht ganz in derganzen Kirche, sondern hat den Kopf in dem einen,die Füsse in einem andern Theile, Arme undRumpf wieder in andern Theilen: sondern sie istganz in jedem beliebigen Theile, wie meine Stimmein allen Theilen dieses Saales gehört wird.

POLIINNIO. Das hätt' ich denn bestens percipiret.GERVASIO. Eure Stimme wenigstens habe ich perci-

pirt.DICSON. Wohl möglich, was die Stimme anbetrifft;

aber die verhandelte Sache möchte euch doch wohlzum einen Ohr hinein und zum andern wieder her-ausgegangen sein.

GERVASIO. Ich denke, dass sie auch nicht einmalhineingekommen ist; denn es ist spät, und die Uhrin meinem Bauche hat die Essensstunde geschla-gen.

POLIINNIO. Hoc est, id est, das Gehirn in patinis,so zu sagen in den Schüsseln, haben.

DICSON. So sei's denn genug! Morgen wollen wirzusammenkommen, um vielleicht von dem Materi-alprincip zu sprechen.

TEOFILO. Entweder erwarte ich euch, oder ihr

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83Bruno: Von der Ursache, dem Princip und dem Einen

erwartet mich hier.

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84Bruno: Von der Ursache, dem Princip und dem Einen

Dritter Dialog

GERVASIO. Die Stunde ist doch schon da, und siesind nicht gekommen! Weil ich eben nichts anderesvorhabe, was mich reizte, so möchte ich mir dasVergnügen gönnen, ihre Verhandlungen mit anzu-hören. Dabei habe ich, ausser dass ich diesen oderjenen philosophischen Schachzug lernen kann,noch obendrein einen köstlichen Zeitvertreib anden Grillen, die in dein wunderlichen Gehirn jenesPedanten, des Poliinnio, herumspucken. Erst er-klärter, er wolle darüber richten, wer gut redet, weram besten disputirt, wer sich Widersprüche undIrrthümer im Philosophiren zu Schulden kommenlässt; und nachher, wenn die Reihe an ihm ist, sei-nen Part aufzusagen, weiss er nicht, was er vorbrin-gen soll, und schüttelt in seiner windigen Schul-fuchserei einen Salat von Sprüchwörtlein, von Re-densarten auf lateinisch oder griechisch aus demAermel, die niemals zu dem was die andern sagen,die mindeste Beziehung haben. Jeder Blinde kanndeshalb ohne allzu grosse Schwierigkeit sehen, wasfür ein grosser Narr er ist bei aller seiner Gelehr-samkeit, während andere in ihrem schlichten Men-schenverstand Weise sind. Doch, da, ist er ja beimeiner Treue! Wie er daher kommt, dass es

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scheint, als wisse er selbst die Bewegung seinerSchritte philosophisch zu regeln! Willkommen seider dominus magister!

POLIINNIO. Aas diesem »Magister« mache ich mirsehr wenig; sintemalen in dieser abgeschmacktenund verkehrten Zeit solcher Titul ebensowohl wiemeines Gleichen auch jedem beliebigen Barbier,Professionisten und Sauschneider beigeleget wird;derohalben auch ergehet an uns der Rath: Nolitevocari Rabbi!

GERVASIO. Wie wollt ihr denn, dass ich euch anre-de? Gefiele euch: »Hochehrwürdigster«?

POLIINNIO. Dieses conveniret denen Presbytern unddem Clero.

GERVASIO. So habt ihr vielleicht Sehnsucht nachdem Titel: »Erlauchtester«?

POLIINNIO. Cedant arma togae! Sothaner Titul ge-bühret mehr Leuten von ritterlichem Stande, sowiesolchen vom Hofe.

GERVASIO. »Kaiserliche Majestät«, - wie wär's?POLIINNIO. Quae Caesaris, Caesari!GERVASIO. Ei, so nehmt denn für euch das »do-

mine« schlechtweg, mein Lieber; lasst' den Schwer-donnernden, den divûm pater aus dem Spiel! Kom-men wir auf uns; warum stellt ihr euch alle so spätein?

POLIINNIO. Ich vermeine, die andern werden in

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86Bruno: Von der Ursache, dem Princip und dem Einen

irgend ein anderes Geschäft compliciret sein, gleichwie ich, um nicht diesen Tag ohne seine Linea vor-überzulassen, mich mit der Betrachtung des Con-terfeis der Erdkugel abgegeben habe, was man sovulgariter einen Atlas benamset.

GERVASIO. Was habt ihr mit Atlanten zu schaffen?POLIINNIO. Ich contemplire die Erdtheile, die Cli-

mate, Provinzen und Landschaften, die ich alle ins-gesammt nur idealiter in der Vorstellung, vieleauch mit meinen Schritten perlustriret habe.

GERVASIO. Besser wär's, du hieltest ein wenig indir selber Umschau; denn das, scheint mir, wäre dirviel wichtiger, und ich glaube, darum bemühst dudich allzu wenig.

POLIINNIO. Absit verbo invidia; ohne mich selberzu berühmen; denn auf jenem Wege gelange ichviel wirksamer dahin, mich selber zu erkennen.

GERVASIO. Wie möchtest du mir das beweisen?POLIINNIO. Sintemalen man von der Betrachtung

des Makrokosmus leicht - so man nämlich gebüh-rendermaassen per analogiam weiter schliesset -zu der Erkenntnis des Mikrokosmus gelangenkann, dessen Theilchen den Theilen von jenem cor-respondiren.

GERVASIO. So fänden wir also in euch den Mond,den Mercur, und andre Sterne, Frankreich, Spanien,Italien, England, Calecut und andre Länder wieder?

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87Bruno: Von der Ursache, dem Princip und dem Einen

POLIINNIO. Quidni? Per quandam analogiam!GERVASIO. Per quandam analogiam glaube ich,

dass ihr ein grosser Monarch seid: aber wenn ihreine Dame wärt, so würde ich euch fragen, ob beieuch Platz ist, ein Büblein zu beherbergen, odereines jener Pflänzchen aufzubewahren, von denenDiogenes sprach.

POLIINNIO. Ah, ah, quodammodo facete! Ein lusti-ger Spass! Aber solche Frage schickt sich nichtwohl für einen weisen und hochgelahrten Mann!

GERVASIO. Wenn ich ein Gelehrter wäre oder michfür weise hielte, würde ich nicht hierher kommen,um in Gemeinschaft mit euch zu lernen.

POLIINNIO. Mögt ihr doch! Ich komme nicht um zulernen, denn nunmehro ist es meines Amtes zu leh-ren. Und sothanermaassen fällt es mir auch zu, sol-che die da dociren wollen, zu judiciren. Ich kommedaher in anderer Intention, als in der ihr kommenmüsst, dieweil euch die Rolle des Anfängers, Neu-lings, Lehrlings so wohl conveniret.

GERVASIO. In welcher Intention denn?POLIINNIO. Um zu judiciren, sage ich.GERVASIO. In Wahrheit, eures gleichen steht es

besser an als anderen, über Wissenschaften undTheorien euer Urtheil abzugeben, weil ihr die einzi-gen seid, denen die Freigiebigkeit der Gestirne unddie Spendelaune des Geschickes das Vermögen

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zuertheilt hat, aus den Worten den süssen Saft her-aus zu destilliren.

POLIINNIO. Und in Folge dessen auch aus den Sen-tentiis, welche mit den Worten verbunden sind.

GERVASIO. Wie die Seele mit dem Leibe.POLIINNIO. So man nur die Worte richtig verstehet,

so kann man auch den Sensum wohl erfassen. De-rohalben entspringet aus der Kenntnis der Spra-chen - und in dieser bin ich mehr bewandert als ir-gend ein anderer in dieser Stadt, und ich schätzemich für just so gelehrt, als jeden anderen, der eineStätte für den Dienst der Minerva offen hält, - also,was ich sagen wollte, aus der Kenntnis der Spra-chen geht die Kenntnis jeder beliebigen Wissen-schaft hervor.

GERVASIO. So werden also alle diejenigen, welcheitalienisch verstehen, die Philosophie des Mannesvon Nola begreifen?

POLIINNIO. Jawohl, aber freilich gehört dazu auchnoch sonst einige Fertigkeit und einiges Judicium.

GERVASIO. Mitunter ist mir der Gedanke gekom-men, diese Fertigkeit wäre eigentlich die Hauptsa-che. Kann doch einer, der kein Griechisch versteht,die ganze Lehre des Aristoteles verstehen und vieleIrrthümer in ihr erkennen. Der Götzendienst, dermit dem Ansehen diese Philosophen besonders inBezug auf die Naturwissenschaft getrieben wird, ist

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ganz offenbar bei allen denen gänzlich beseitigt,welche die Lehren dieser andern Schule verstehen;und einer, der weder Griechisch noch Arabisch,vielleicht nicht einmal Lateinisch kennt, wie Para-celsus, kann die Natur der Heilmittel und der Heil-kunst besser erkannt haben, als Galenus, Avicennaund alle, die sich in römischer Sprache vernehmenlassen. Die Philosophie und die Rechtswissenschaftgeräth nicht in Verfall durch den Mangel an Wort-erklärern, wohl aber durch den Mangel an solchen,welche Gedanken gründlich zu erfassen mögen.

POLIINNIO. So zähltest du also einen Mann wiemich unter den ungebildeten Pöbel?

GERVASIO. Das wollen die Götter nicht! Weiss ichdoch, dass vermöge der Kenntniss und des Studi-ums der Sprachen - und das ist gewiss etwas selt-nes und ausgezeichnetes - nicht nur ihr, sondernalle euresgleichen sehr befähigt seid, über die Sy-steme ihr Urtheil abzugeben, nachdem ihr die An-sichten derer, die dergleichen auf die Bahn bringen,gehörig durchgesiebt habt.

POLIINNIO. Ihr redet da so wahr, dass ich michleicht persuadire, ihr sagt das nicht ohne gutenGrund; diesen zu expliciren möge euch, wie eseuch nicht schwer sein wird, so auch nicht be-schwerlich fallen.

GERVASIO. Ich will es thun; doch unterwerfe ich

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90Bruno: Von der Ursache, dem Princip und dem Einen

mich immer dem Richterstuhl eurer Einsicht undeurer Sprachkenntnis. Es ist ein vielgebrauchtesSprichwort, dass diejenigen, die ausserhalb desSpieles sind, mehr davon verstehen als die, welchedabei betheiligt sind; diejenigen z.B., welche imTheater sind, urtheilen besser über den Gang derHandlung, als die Personen auf der Bühne; undeine Musik kann der besser durchkosten, der nichtzum Orchester oder den Sängern gehört. Aehnli-ches beobachtet man im Karten-, im Schachspiel,im Fechten und dergl. Und so ist's auch mit euch,ihr Herren Schulfüchse. Da ihr von jedem Eingrei-fen in die philosophische Forschung schlechtwegausgeschlossen seid und niemals an Aristotelesoder Plato und ähnlichen irgend welchen Theil ge-habt, könnt ihr sie besser beurtheilen und mit eurersilbenstechenden Selbstgenügsamkeit und demHochmuth eures Naturells verurtheilen, als der No-laner, der sich auf dem Schauplatz selbst, in ihremvertrauten Umgang und ihrer Freundschaft selberbefindet, so dass er sie leicht bekämpft, nachdem erihre innersten und tiefsten Meinungen erkannt hat.Ihr, sage ich, weil ihr ausserhalb jeder Handthie-rung von Ehrenmännern und ernsthaften Geisternsteht, könnt sie natürlich besser beurtheilen.

POLIINNIO. Ich kann nicht so im Augenblick diesemunverschämten Menschen antworten. Vox faucibus

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91Bruno: Von der Ursache, dem Princip und dem Einen

haesit!GERVASIO. Dennoch sind eures Gleichen so an-

spruchsvoll, wie die anderen, die mit beiden Fassendrinnen stehn, es nicht sind; und insofern versiche-re ich euch, dass ihr gebührendermaassen euch dasAmt anmaasst, dies zu billigen, jenes zu missbilli-gen, zu diesem eine Glosse zu machen, hier einenlocum parallelum und ein Citat, dort einen Appen-dicem zu geben.

POLIINNIO. Dieser ignoranteste aller Menschen willdaraus, dass ich in den schönen humanen Wissen-schaften erfahren bin, schliessen, dass ich in derPhilosophie ein Ignorant sei!

GERVASIO. Mein hochgelahrtester Herr Poliinnio,ich will sagen, dass wenn ihr alle Sprachen hättet,deren es, wie unsere Hauptredner angeben, zwei-undsiebenzig giebt, ...

POLIINNIO. Cum dimidia: ist zu sagen, noch einehalbe mehr.

GERVASIO. ... daraus nicht allein nicht folgt, dassihr deshalb geschickter wäret, über Philosophen zuurtheilen, sondern noch mehr: damit beseitigt ihrnicht einmal die Möglichkeit, dass ihr das unge-schliffenste Vieh seid, welches irgend menschlichesAntlitz trägt. Andererseits aber hindert nichts, dasseiner, der kaum eine der Sprachen und überdieseine Bastardsprache kennt, der weiseste und

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gelehrteste Mann der ganzen Welt sei. Bedenktdoch nur, welche Erfolge zwei solche Männer er-rungen haben, der eine ein Franzos, ein Erzpedant,der Scholien über die freien Künste und Bemerkun-gen gegen Aristoteles geschrieben hat, der andereein Italiener, ein wahrer Unflath von Pedanten-thum, der so viel schönes Papier mit seinen Dis-cussiones peripateticae besudelt hat. Jedermannsieht leicht, dass der erste mit grosser Beredsamkeitnachweist, wie wenig Verstand er hat, der zweite ineinfacher Sprache zeigt, wie viel er von einemRindvieh und Esel hat. Vom ersten können wirdoch wenigstens sagen, dass er Aristoteles verstan-den, aber übel verstanden hat, und wenn er ihn gutverstanden hätte, vielleicht das Genie gehabt habenwürde, ihm einen ehrenvollen Krieg zu machen,wie ihn etwa der höchst scharfsinnige Telesius vonConsentia geführt hat. Vom zweiten könnten wirnicht sagen, dass er ihn weder gut noch schlechtverstanden habe, sondern dass er ihn gelesen undwieder gelesen, genäht, aufgetrennt und mit tausendanderen griechischen Schriftstellern, Freunden undFeinden von ihm, verglichen und endlich einehöchst gewaltige Mühe sich gegeben hat, nicht nurohne irgend welchen Nutzen, sondern auch zu derallergrössten Enttäuschung. Wer daher sehen will,in welche Thorheit und hochmüthige Nichtigkeit

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pedantische Gewohnheit stürzen und versenkenkann, der sehe jenes Buch an, bevor es mit Stumpfund Stiel verloren geht. Aber sieh, da ist ja Teofilound Dicson!

POLIINNIO. Adeste felices, domini! Eure Anwesen-heit ist Ursache, dass meine Zornesgluth nicht blit-zende Verdammungsurtheile gegen die nichtigenSätze sprüht, die dieser geschwätzige Tagedieb davorbringt.

GERVASIO. Und mir hat sie den Genuss verkürzt,mich an der Majestät dieses hochwürdigsten Kau-zes zu ergötzen.

DICSON. Das mag alles hingehen, nur gerathet euchnicht in die Haare.

GERVASIO. Was ich sage, das sage ich im Scherz,denn eigentlich habe ich den Herrn Magister vonHerzen lieb.

POLIINNIO. Ego quoque quod irascor non serioirascor, quia Gervasium non odi: ist zu sagen, ichmein's nicht schlimm, ich hasse Herrn Gervasionicht.

DICSON. Wohl denn. Lasst mich also mit Teofilomich weiter unterreden!

TEOFILO. Democritus also und die Epicureer, wel-che überhaupt für nichts halten, was nicht körper-lich ist, nehmen demzufolge an, dass die Materieallein die Substanz der Dinge und zugleich die

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göttliche Wesenheit sei; und ein Araber, NamensAvicebron, ist derselben Meinung, wie er in einemBuche, »Quelle des Lebens« betitelt, näher darlegt.Ebendieselben nehmen in Uebereinstimmung mitden Kyrenaikern, Kynikern und Stoikern an, dassdie Formell nichts anderes sind, als gewisse zufälli-ge Beschaffenheiten an der Materie. Ich nun binlange Zeit ein Anhänger dieser Meinung gewesennur deshalb, weil sie der Wirklichkeit mehr ent-sprechende Grundlagen hat, als diejenige des Ari-stoteles. Aber nachdem ich reiflicher und mit Rück-sicht auf eine grössere Anzahl von Erscheinungender Sache nachgedacht habe, finde ich, dass man inder Natur zwei Arten von Substanzen anerkennenmuss: Erstens die Form und zweitens die Materie.Denn es muss beides geben: ein höchstes durchaussubstantielles Wirkendes, in welchem aller Dingewirkendes Vermögen, und ein höchstes Vermögen,ein Substrat, in welchem grade ebenso aller Dingeleidendes Vermögen enthalten ist; in jenem die An-lage zu wirken, in diesem die Anlage gewirkt zuwerden.

DICSON. Jedem Denkenden muss die Unmöglichkeitklar sein, dass jenes immer alles wirkte, ohne dassetwas vorhanden wäre, aus dem alles werden kann.Wie kann die Weltseele, - d.h. alle Form, - selberein Untheilbares, Gestalten bilden ohne ein

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Substrat der Ausdehnungen und Quantitäten, d.h.ohne die Materie ? Und wie kann die Materie ge-formt werden? Etwa durch sich selbst? Offenbarwerden wir sagen können, die Materie wird durchsich selber gestaltet, wenn wir das gestaltete GanzeMaterie nennen wollen, in der Erwägung, dass esso Materie ist, wie wir etwa einen thierischen Or-ganismus mit allen seinen Anlagen Materie nennen,nicht um den Unterschied von der Form, sondernallein den von der bewirkenden Ursache zu be-zeichnen.

TEOFILO. Niemand kann euch hindern, euch desAusdrucks Materie nach eurer Weise zu bedienen,wird er doch auch innerhalb der verschiedenenSchulen in vielen verschiedenen Bedeutungen ge-braucht. Aber die von euch angegebene Art dieSache zu fassen würde doch eigentlich nur einemMann vom Handwerk, etwa einem Arzt, welcher inder Praxis steht, wohl anstehen; z.B. einem sol-chen, der den ganzen Leib in Mercur, Salz undSchwefel theilt. Eine solche Annahme beweistnicht gerade, dass der Arzt ein göttliches Genie ist,sondern möglicherweise dass er sehr wenig Ver-stand hat, aber sich gern einen Philosophen nennenmöchte. Denn des Letzteren Absicht ist nicht, bloszu derjenigen Unterscheidung der Principien zu ge-langen, welche physisch durch die Scheidung

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vermittelst der Kraft des Feuers vollzogen wird,sondern auch zu derjenigen Unterscheidung derPrincipien, an welche nichts wirkendes von materi-eller Art heranreicht. Die Seele nämlich, die nichtweiter auflösbar ist, ist das formale Princip fürSchwefel, Mercur und Salz; sie ist kein Substrat fürmaterielle Eigenschaften, sondern sie ist durchausdie Herrscherin über die Materie; sie wird von demWerk des Chemikers nicht berührt, dessen Scheide-kunst bei den drei genannten Dingen endet, und dereine andre Art von Seele kennt, als die Weltseele,die wir näher erklären wollen.

DICSON. Ganz vortrefflich und mir ganz aus derSeele gesprochen. Es giebt wirklich Leute von sowenig Einsicht, dass sie den Unterschied nicht be-achten, ob man die natürlichen Ursachen absolutnach dem ganzen Umfange ihres Wesens nimmt,wie sie von den Philosophen betrachtet werden,oder ob man sie in einem eingeschränkten und be-sonderen Sinne auffasst. Jene erste Art ist für denArzt als solchen allerdings überflüssig und werth-los, die zweite dagegen für den Philosophen alssolchen höchst mangelhaft und unzulänglich.

TEOFILO. Ihr habt da den Punkt berührt, in welchemParacelsus zu loben ist, der eine auf Arzneikundeberuhende Philosophie getrieben hat, und in wel-chem Galenus zu tadeln ist, weil er eine auf

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Philosophie beruhende Arzneiwissenschaft aufge-bracht hat, um eine widerliche Mischung und ein soverwickeltes Gewebe herzustellen, dass er schliess-lich einen ziemlich werthlosen Arzt und einen sehrverworrenen Philosophen abgiebt. Doch sei das im-merhin mit einiger Zurückhaltung gesagt, weil ichnicht Müsse gehabt habe, alle Seiten, die dieserMann bietet, gleichmässig ins Auge zu fassen.

GERVASIO. Um Verzeihung, Teofilo, erweist mirzuerst den Gefallen, - denn ich bin in der Philoso-phie nicht so geübte - erklärt mir, was ihr unterjenem Namen Materie versteht, und was dann ei-gentlich an den Naturerscheinungen Materie ist.

TEOFILO. Alle diejenigen, die die Materie abge-trennt fassen und sie rein an sich ohne die Form be-trachten wollen, berufen sich auf die Analogie derKünste. So die Pythagoreer, so die Platoniker, sodie Peripatetiker. Nehmt irgend eine Kunst, z.B.die des Zimmermanns. Sie hat für alle ihre Formenund bei allen ihren Arbeiten zum Substrat dasHolz, wie der Hufschmied das Eisen, der Schneiderdas Tuch. Alle diese Künste bringen in der ihnenzugehörigen Materie verschiedene Bilder, Anord-nungen und Gestalten hervor, von denen keine derMaterie eigenthümlich und natürlich ist. Gerade somuss die Natur, welcher die Kunst gleicht, zu ihrenWirksamkeiten eine Materie haben. Denn es ist

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nicht möglich, dass es ein wirkendes gebe, wel-ches, wenn es etwas machen will, nichts hätte, wor-aus es das machen könnte, oder wenn es wirkenwill, nichts hätte, um daran zu wirken. Es giebtalso eine Art von Substrat, aus welchem, mit wel-chem und in welchem die Natur ihre Wirksamkei-ten, ihre Arbeiten vollzieht, und welches durchdiese in so viele Formen gebracht wird, wie sie sichin der grossen Verschiedenheit der Arten denBlicken des Betrachters darbieten. Und wie dasHolz an sich keinerlei künstliche Form hat, aberdurch die Thätigkeit des Zimmermanns alle habenkann, so hat die Materie, von welcher wir sprechen,an sich und in ihrer Natur keine natürliche Form;aber durch die Thätigkeit des wirkenden Agens, desPrincips der Natur, kann sie alle haben. Diese Ma-terie in der Natur ist freilich nicht ebenso etwaswahrnehmbares, wie die Materie des Künstlers;denn die Materie in der Natur hat schlechtweg kei-nerlei Form, die Materie der Kunst dagegen istetwas schon von der Natur geformtes, weil dieKunst nur an der Oberfläche der von der Natur ge-formten Dinge wirken kann, wie in Holz, Eisen,Stein, Wolle und dergl., die Natur hingegen so zusagen aus dem Mittelpuncte ihres Substrats oderihrer Materie heraus wirkt, welche durchaus form-los ist. Deshalb giebt es der Substrate der Künste

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viele, das Substrat der Natur dagegen ist nur eines;denn jene, weil sie schon von der Natur verschie-den geformt sind, sind selber verschieden und man-nichfaltig; dieses, weil es in keiner Weise geformtist, ist durchaus unterschiedslos, da ja aller Unter-schied und aller Gegensatz von der Form stammt.

GERVASIO. Es bilden also die von der Natur ge-formten Dinge die Materie der Kunst, und ein Ein-ziges, schlechthin Formloses, die Materie derNatur.

TEOFILO. So ist's.GERVASIO. Ist es denn möglich, ebenso wie wir die

Substrate der Künste deutlich sehen und erkennen,auch das Substrat der Natur zu erkennen?

TEOFILO. Sehr wohl, aber freilich vermittelst ande-rer Erkenntnisprincipien. Denn wie wir nicht miteinem und demselben Sinn Farben und Töne erken-nen, so sehen wir auch nicht mit einem und demsel-ben Auge das Substrat der Künste und das Substratder Natur.

GERVASIO. Ihr wollt sagen, dass wir mit den sinnli-chen Augen jenes, und mit dem Auge der Vernunftdieses sehen.

TEOFILO. Ganz recht.GERVASIO. So gefalle es euch denn, dieses Auge

der Vernunft zu erleuchten.TEOFILO. Sehr gern. Dasselbe Verhältnis und

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dieselbe Beziehung, welche in der Kunst die Mate-rie auf die Form derselben hat, hat auch, wenn mandie Analogie nur nicht zu weit treiben will, dieForm auf die Materie in der Natur. Wie also in derKunst, während die Formen sich, wenn es möglichwäre, bis ins Unendliche vermannichfaltigen, unterallen immer eine und dieselbe Materie vorhandenbleibt, - z.B. nach der Form des Baumes giebt eseine Form des Stammes, sodann des Balkens, danndes Tisches, der Bank, des Schemels, des Rah-mens, des Kammes und so weiter, und doch bleibtdas Holzsein immer dasselbe: - gerade so ist es inder Natur. Wie auch die Formen sich ins unendli-che vermannichfaltigen und eine auf die andrefolgt, es bleibt doch immer eine und dieselbe Mate-rie vorhanden.

GERVASIO. Und wie lässt sich dieses Gleichnis wei-ter durchführen?

TEOFILO. Seht ihr nicht, dass aus dem, was Samewar, Kraut wird, aus dem, was Kraut war, Aehre,aus Aehren Brot, aus Brot Nahrungssaft, aus Nah-rungssaft Blut, daraus Samen, Embryo, Mensch,Leichnam, Erde, Gestein oder etwas anderes, unddass es so immer weiter alle natürlichen formen an-nehmen kann?

GERVASIO. Das ist allerdings leicht einzusehen.TEOFILO. Es muss also immer eins und dasselbe

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sein, was an sich nicht Stein, nicht Erde, Leichnam,Mensch, Embryo, Blut oder etwas anderes ist, wasaber, nachdem es Blut war, Embryo wird, indem esdas Embryo-sein annimmt; was nachdem es Em-bryo war, das Mensch-sein annimmt, indem esMensch wird, wie der von der Natur schon geform-te Stoff, der das Substrat für die Künste abgiebt,nachdem er Baum war, eine Platte wird und dasPlatte-sein, nachdem er Platte war, das Thür-seinannimmt und eine Thür wird.

GERVASIO. Das habe ich recht wohl begriffen; aberes scheint mir, dass dieses Substrat der Natur keinKörper sein, noch bestimmte Eigenschaften habenkönne: denn das, was sich bald unter einer natürli-chen Form und Existenz, bald unter einer andernden Blicken entzieht, zeigt sich nicht auf körperli-che Weise wie Holz und Stein, welche immer alsdas, was sie stofflich oder dem Substrat nach sind,auch erscheinen, mögen sie sich auch unter welcherForm sie wollen verstecken.

TEOFILO. Ganz richtig.GERVASIO. Was soll ich also thun, wenn ich einmal

über diesen Gedanken mit einem hartnäckigenMenschen verhandeln sollte, der nicht glauben will,dass allen Gebilden der Natur eine einzige Materieebenso zu Grunde liegt, wie denen jeglicher Kunst?Denn jene, die man mit Augen sieht, lässt sich

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nicht ableugnen; aber wohl diese, die man nur mitder Vernunft sieht.

TEOFILO. Jagt ihn fort, oder antwortet ihm nicht!GERVASIO. Aber gesetzt, er verlangte einen Beweis

mit Ungestüm, und es wäre eine Respectsperson,die eher mich, als ich sie fortjagen könnte, und diees für eine Beleidigung ansähe, wenn ich ihr nichtantwortete?

TEOFILO. Was würdest du thun, wenn ein Halbgott,der jeder Ehrerbietung und jeder Rücksicht würdig,aber blind wäre, dreist, heftig und hartnäckig dar-auf bestände, von den Farben, von den äusserenGestalten der Dinge in der Natur Kenntnis zu er-langen und einen Beweis zu fordern, wie z.B.: wel-ches die Form des Baumes, der Berge, der Sterne,ferner welches die Form einer Statue, eines Gewan-des oder anderer Kunsterzeugnisse sei, lauterDinge, die für Sehende ganz klar und deutlichsind?

GERVASIO. Ich würde ihm antworten, dass er, wenner Augen hätte, keinen Beweis dafür verlangen,sondern es schon selber sehen würde; dass aber, daer blind sei, es auch unmöglich ein anderer ihm be-weisen könne.

TEOFILO. Grade so wirst du jenen antworten kön-nen, dass sie, wenn sie Verstand hätten, keinen an-dern Beweis verlangen würden, sondern es von

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selber sehen würden.GERVASIO. Diese Antwort wird sie beschämen und

andre werden dieselbe allzugrob schelten.TEOFILO. Dann könnt ihr also in verhüllterer Weise

ihm folgendes sagen: Mein erlauchtester Herr, oderauch: Eure geheiligte Majestät! Wie gewisse Dingenicht anders zur Evidenz gebracht werden könnenals durch die Hände und das Betasten, andre nurdurchs Gehör, andre durch den Geschmack, wiederandre durch die Augen, so kann man sich von die-sem Stoff aller Dinge in der Natur nur durch denVerstand überzeugen.

GERVASIO. Dann wird er, wenn er den Hieb ver-steht, der gar nicht so dunkel oder so verhüllt ist,mir erwiedern: Du selber hast keinen Verstand; ichhabe mehr als alle deines Gleichen.

TEOFILO. Wirst du denn dem Blinden glauben,wenn er dir sagt, du seist blind und er sehe mehrals alle, die sich sehend dünken, wie du?

DICSON. Es ist genug vorgebracht worden, um au-genscheinlich zu erweisen, dass jener Mann nie-mals vernommen hat, was der Name Materie be-deutet und was unter der Materie in den Dingen derNatur verstanden werden muss. So lehrt Timaeusder Pythagoreer in der Verwandlung eines Elemen-tes in das andere die Materie wiederfinden, die ansich verborgen, nur vermittelst einer gewissen

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Analogie erkannt werden könne. Wo die Form derErde war, sagt er, erscheint nachher die Form desWassers. Hier lässt sich nicht sagen, dass eineForm die andre annehme, weil ein Entgegengesetz-tes nicht das andere annehmen kann; d.h. dasTrockne nimmt nicht das Feuchte, oder vielmehrdie Trockenheit nicht die Feuchtigkeit an; sonderndie Trockenheit wird aus einem Dritten herausge-trieben und die Feuchtigkeit eingelassen, und die-ses Dritte ist das Substrat beider entgegengesetzterQualitäten, selbst aber keinem entgegengesetzt.Wenn man also nicht annehmen darf, dass die Erdezu nichts geworden, so muss man glauben, dassetwas, was in der Erde war, zurückgeblieben undim Wasser noch vorhanden ist; was aus demselbenGründe, wenn das Wasser durch die Kraft derWärme zu Gas oder Dampf verdünnt sich in Luftverwandelt, ebenso in der Luft bleiben und vorhan-den sein wird.

TEOFILO. Daraus darf man schliessen, jenen Leutenzum Trotz, dass nichts zunichte wird und nichtsdas Sein, sondern nur die zufällige, äussere undmaterielle Form verliert. Deshalb kann weder dieMaterie, noch die substanzielle Form jedes Dingesin der Natur, die Seele, zerstört und vernichtet wer-den, so dass sie das Sein durchaus und in jedemSinne verlören. Freilich kann das nicht auch gelten

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von alledem, was bei Peripatetikern und ähnlichenLeuten »substantielle Form« genannt wird und wasin nichts anderem besteht, als in einer gewissen Zu-sammensetzung und Anordnung von Accidentien.Bei ihnen ist alles, was sie angeben können ausserihrer materia prima, nichts anderes als Accidens,Verbindung, Habitus einer Eigenschaft, Princip derDefinition, Quiddität. Daher haben einige unterihnen, subtile Metaphysiker in der Kutte, um dieUnzulänglichkeit ihres Götzen, des Aristoteles,leichter zu verdecken, die Erfindung gemacht,Mensch-heit, Rind-heit, Oliven-heit seien artbil-dende substanzielle Formen; dagegen diese be-stimmte Menschheit, z.B. die Socrates-heit, dieseRind-heit, diese Pferd-heit sei die »numerale« Sub-stanz. Alles dies haben sie gethan, um uns einesubstanzielle Form zu schenken, welche denNamen der Substanz verdiente, wie die MaterieNamen und Wesen einer Substanz hat; aber siehaben gleichwohl damit durchaus nichts gewonnen.Denn fragt ihr sie folgerichtig, worin denn das sub-stanzielle Sein des Socrates besteht, so werden sieantworten: in der Socrates-heit; fragt ihr weiter:was versteht ihr unter der Socrates-heit? so werdensie antworten: die eigenthümliche substanzielleForm und eigenthümliche Materie des Socrates.Lassen wir nun diese Substanz, soweit sie Materie

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ist, auf sich beruhen; sagt mir: was ist die Substanzals Form? Da antworten einige: seine Seele. Ihrfragt weiter: was für ein Ding ist denn diese Seele?Wenn sie sagen: eine Entelechie und Vollendungeines Körpers, der zu leben vermag, so bedenkt,dass dies ein blosses Accidens ist. Sagen sie: sie istein Princip des Lebens, Empfindens, Vegetirensund Denkens, so bedenkt, dass, wenngleich diesesPrincip eine Art von Substanz ist, dennoch gründ-lich betrachtet, wie wir es betrachten, unser Gegnerihm immer noch keinen höheren Rang anweist, alsden eines Accidens. Denn Princip von dem oderjenem sein, heisst nicht substantieller und absoluterGrund sein, sondern ein accidentieller und auf dasdurch das Princip Gesetze bezogener Grund sein,während mein Wesen und meine Substanz nichtdas bedeutet, was sie hervorbringt, was ich thueoder thun kann, sondern vielmehr was ich bin alsich selber und absolut betrachtet. Ihr seht also, wiesie diese substantielle Form, nämlich die Seele, be-handeln, dass sie sie wohl von ohngefähr als Sub-stanz erkannt, doch niemals Substanz genannt oderals solche betrachtet haben. Diese Confusion könntihr noch viel augenscheinlicher sehen, wenn ihr siefragt, worin denn nun die substantielle Form einesunbeseelten Dinges, z.B. des Holzes, besteht. Diefeineren Köpfe unter ihnen werden den Ausweg

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ersinnen: in der »Holz-heit« Nun nehmet diese Ma-terie fort, welche dem Eisen, dem Holz und demStein gemeinsam ist, und sagt nun, was als die sub-stantielle Form des Eisens übrig bleibt. Sie werdeneuch niemals etwas anderes nennen als Acciden-tien; diese aber gehören zu den Principien der Indi-viduation und bewirken die Besonderheit. Denn dieMaterie kann nicht anders zur Besonderheit einge-schränkt werden, als durch eine Form; und dieseForm, weil sie das constituirende Princip einerSubstanz ist, soll nach ihnen substantiell sein. Abernachher können sie sie doch in der Natur nur alsetwas accidentielles nachweisen; und endlich, wennsie nun alles gethan haben, was sie vermögen, sohaben sie daran eine substantielle Form freilich,aber keine in der Natur vorhandene, sondern einerein logische Form ; und so erweist es sich dennschliesslich, dass ein rein logischer Gesichtspunktals Princip für die Naturerscheinungen gesetzt wor-den ist.

DICSON. Hat denn Aristoteles das nicht gemerkt?TEOFILO. Ich glaube, dass er es ganz sicher gemerkt

hat, aber sich keine Hilfe wusste; deshalb erklärteer die letzten Unterschiede für unbezeichenbar undunbekannt.

DICSON. Damit, scheint mir, hat er seine Unwissen-heit offen eingestanden; und doch würde ich auch

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urtheilen, dass es besser ist, sich solchen philoso-phischen Grundsätzen zuzuwenden, die in dieserwichtigen Frage sich nicht hinter Unwissenheit ver-stecken; wie die des Pythagoras, Empedokles unddeines Philosophen von Nola, deren Meinungen dugestern berührt hast.

TEOFILO. Des Nolaners Ansicht ist die, dass es eineVernunft ist, welche jedem Dinge sein Wesengiebt, - die Pythagoreer und Timaeus nennen sieden Geber der Formen; - eine Seele als formalesPrincip, welche alle Dinge bildet und gestaltet, -eben dieselben nennen es die Quelle der Formen; -eine Materie, aus der jedes Ding gemacht und ge-bildet wird, - diese nennen alle das Gefäss der For-men.

DICSON. Eine Ansicht, die mir sehr zusagt, schonweil sie nirgends eine Lücke zeigt. In Wahrheitmüssen wir nothwendigerweise, da wir ein constan-tes und ewiges Materialprincip setzen können, auchein Formalprincip derselben Art setzen. Wir sehenalle Formen in der Natur aus der Materie schwin-den und wieder in die Materie eingehen; daherscheint in Wirklichkeit nichts beständig, nichts festoder ewig und werth der Geltung eines Princips, alsdie Materie. Ueberdies haben die Formen kein Seinohne die Materie, an welcher sie entstehen und ver-gehen, aus deren Schoosse sie entspringen und in

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deren Schooss sie zurückgenommen werden. Des-halb muss die Materie, die immer dieselbe undimmer fruchtbar bleibt, das bedeutsame Vorrechthaben, als einziges substantielles Princip und alsdas was ist und immer bleibt anerkannt zu werden,während alle Formen zusammen nur als verschie-dene Bestimmungen der Materie anzuerkennensind, welche gehen und kommen, aufhören und sicherneuern und deshalb nicht alle das Ansehen einesPrincips haben können. Darum haben auch einigeunter jenen, da sie das Verhältnis der Formen in derNatur wohl erwogen hatten, so weit man es ausAristoteles und anderen von ähnlicher Richtung er-kennen konnte, zuletzt geschlossen, dass die For-men nur Accidentien und Bestimmungen an derMaterie seien, und dass deshalb das Vorrecht alsActus und Entelechie zu gelten der Materie angehö-ren müsse, und nicht solchen Dingen, von denenwir in Wahrheit nur sagen können, dass sie nichtSubstanz noch Natur, sondern Dinge an der Sub-stanz und an der Natur sind. Diese aber, behauptensie, ist die Materie, die nach ihnen ein nothwendi-ges, ewiges und göttliches Princip ist, wie beijenem Mauren, dem Avicebron, welcher sie den all-gegenwärtigen Gott nennt.

TEOFILO. In diesen Irrthum haben sie sich dadurchverleiten lassen, dass sie keine andere Form als die

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accidentielle kannten. So hatte jener Maure zwaraus der peripatetischen Lehre, in der er aufgewach-sen war, die »substantielle Form« angenommen;aber indem er sie als etwas vergängliches, nichtblos an der Materie veränderliches betrachtete, alsein solches, welches erzeugt wird und nicht er-zeugt, begründet wird und nicht begründet, ausge-schlossen wird und nicht ausschliesst, schätzte ersie gering und hielt sie für etwas nichtiges im Ver-gleich zu der dauernden, ewigen, zeugenden, müt-terlichen Materie und so ergeht es sicherlich allen,die nicht wissen, was wir wissen.

DICSON. Das hätten wir denn gründlich abgemacht.Aber es ist Zeit, dass wir von der Abschweifung zuunserer eigentlichen Aufgabe zurückkehren. Wirwissen jetzt die Materie von der Form zu unter-scheiden, sowohl von der accidentiellen Form, seisie sonst wie sie wolle, als von der substantiellenForm. Was zu betrachten übrig bleibt, ist ihreNatur und ihre Realität. Aber zuvor möchte ichwissen, ob man nicht wegen der innigen Vereini-gung, in welcher diese Weltseele und universaleForm mit der Materie steht, die andere Auffassungderjenigen Philosophen zulassen kann, welche dieThätigkeit nicht von dem Wesen der Materie tren-nen wollen und diese als etwas göttliches und nichtso schlechtweg formloses betrachten, dass sie nicht

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ihre Form und Einkleidung sich selber gäbe.TEOFILO. Nicht leicht; denn schlechthin nichts wirkt

auf sich selbst, und immer ist das Wirkende vondem was gewirkt wird oder an dem die Wirkungund Thätigkeit geschieht verschieden. Darum ist esgut, an dem Organismus der Natur Materie undSeele, und an dieser das Allgemeine von den be-sonderen Arten zu unterscheiden. Deshalb zählenwir in diesem Organismus dreierlei Elemente: zu-erst die in den Dingen waltende universelle Ver-nunft; zweitens die belebende Seele des Ganzen;drittens das Substrat. Aber damit wollen wir dem-jenigen den Namen eines Philosophen nicht gleichabsprechen, welcher diesen geformten Körper, oderwie wir sagen wollen, diesen vernünftigen Organis-mus nach seiner Art zu philosophiren auffasst unddamit beginnt, als erste Principien etwa die Gliederdieses Körpers zu betrachten, wie Wasser, Luft,Erde, Feuer; oder ätherische Region und Gestirn,oder Geist und Leib, oder Leeres und Volles, je-doch das Leere nicht gefasst wie bei Aristoteles,oder auf eine andere angemessene Weise. Ein sol-che Philosophie wird mir deshalb nicht gleich ver-werflich erscheinen, besonders wenn sie auf demFundamente, auf welchem sie baut, oder vermittelstder Form des Gebäudes, welche sie innehält, eineFörderung der speculativen Wissenschaft und der

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Kenntnis der Naturerscheinungen erreicht, wie esdoch wirklich durch viele ältere Philosophen ge-schehen ist. Denn das müsste ein ehrgeiziger undhochmütiger, eiteler und neidischer Geselle sein,wer andere überreden wollte, es gebe nur einen ein-zigen Weg zu forschen und zu der Kenntnis derNatur zu gelangen; und nur ein Narr und einMensch ohne Urtheil kann von sich selber zu ver-stehen geben, dass er ihn besitze. Obgleich also dersichrere und gebahntere, an Aussicht reichere unddeutlichere Weg und der höhere Standpunkt derBetrachtung immer vorgezogen, höher geehrt undmehr gepflegt werden sollte, so ist doch jede andreWeise nicht zu tadeln, sofern sie nur nicht ohnegute Frucht bleibt, wenn diese auch nicht vom sel-ben Baume stammt.

DICSON. Ihr billigt also das Studium verschiedenerPhilosophien?

TEOFILO. Höchlich, für den, der dazu Zeit und Geistgenug hat; für andre billige ich das Studium der be-sten, wenn die Götter wollen, dass er sie heraus-finde.

DICSON. Dennoch bin ich sicher, dass ihr nicht allePhilosophien billigt, sondern nur die guten und da-nach die nächst besten.

TEOFILO. So ist's. So verwerfe ich auch unter denverschiedenen Arten zu heilen diejenige nicht,

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welche auf magische Weise durch Auflegung vonWurzeln, Anhängung von Steinen und Murmelnvon Beschwörungsformeln geschieht, wenn dieStrenge der Theologen mir erlaubt, wie ein blosserNaturkundiger zu sprechen. Ich billige das, was aufphysischem Wege geschieht und durch Apotheker-recepte sich vollzieht, mit denen die Galle, dasBlut, der Schleim, und die Stockung der Säfte be-kämpft oder vertrieben wird; ich habe nichts gegendie andere, welche auf chemischem Wege verführt,welche die Fünftel-Essenzen auszieht und vermit-telst des Feuers aus allen Zusammensetzungen denMerkur auffliegen, das Salz sich niederschlagenund den Schwefel aufleuchten oder schmelzen lässt.Aber darum will ich in Bezug auf die Heilkunstnicht entscheiden, welche unter so vielen gutenArten die beste sei; denn der Epileptische, an demder Physiker und der Chemiker ihre Zeit verlorenhaben, wird, wenn er von dem Magier geheilt wird,nicht ohne Grund diesen Arzt höher stellen, alsjenen oder einen dritten. Gleicherweise gehe die an-dern Arten durch; keine von ihnen wird weniger gutsein als die andere, wenn nur die eine sowohl wiedie andere den Zweck, welchen sie sich vorsetzt,auch erreicht, im besonderen sodann ist der Arztbesser, der mich heilt, als die, die mich sterben las-sen oder unnütz peinigen.

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GERVASIO. Woher kommt es denn, das diese Schu-len der Aerzte sich untereinander so anfeinden?

TEOFILO. Vom Geiz, vom Neid, vom Ehrgeiz undvon der Unwissenheit. Gemeinhin verstehen siekaum die eigne Heilmethode; weit gefehlt also,dass sie für diejenige andrer ein Verständnis habenkönnten. Ueberdies bemüht sich der grössere Theil,da er sich nicht mit eigner Kraft zu Ehre und Ge-winn erheben kann, sich durch die Herabsetzunganderer zu erheben, indem er vorgiebt, das zu ver-achten, was er sich nicht in eigen machen kann.Aber der beste und rechte unter ihnen ist der, wel-cher nicht so sehr Physiker ist, dass er nicht auchChemiker und Mathematiker wäre. - Um also aufunsern Gegenstand zurückzukommen: unter denArten der Philosophie ist diejenige die bessere,welche die Verrichtung des menschlichen Ver-standes förderlicher und erhabener vollbringt, derWahrheit der Natur besser entspricht und so weitals möglich mit ihr Hand in Hand geht, entwederindem sie sie ahnend durchschaut, - ich meine aufdem geordneten natürlichen Wege und durch Erwä-gung der wechselnden Erscheinung, nicht durchthierischen Instinct, wie die Bestien und diejenigen,welche ihnen ähnlich sind, nicht durch Eingebungguter oder böser Dämonen, wie die Propheten, auchnicht durch schwarzgallichte Verzückungen, wie

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die Dichter und andere beschaulichen Geister ver-fahren, - oder indem sie Gesetze anordnet und dieSitten verbessert, oder heilt oder auch ein glückse-ligeres und göttlicheres Leben kennen und führenlehrt. Ihr seht also, wie es nicht eine von verständi-gem Sinne getragene Art von Philosophie giebt,welche nicht irgend etwas gutes eigenthümlich fürsich hätte, was in den andern nicht enthalten ist.Das Gleiche, meine ich, gilt von der Heilkunst,welche sich auf Principien gründet, die gerade soeinen einigermassen fortgeschrittenen Zustand derPhilosophie voraussetzen, wie die Thätigkeit desFusses oder der Hand diejenige des Auges. Des-halb sagt man, dass niemand einen guten Anfang inder Heilkunst machen kann, der nicht einen gutenAbschluss in der Philosophie gemacht hat.

DICSON. Es gefällt mir sehr an euch, und ich lobe eshöchlich, dass ihr einerseits nicht so ungehobelt,andererseits nicht so schmähsüchtig und ehrgeizigseid wie Aristoteles, welcher die Meinungen allerandern Philosophen wie ihre Methoden durchausverworfen wissen wollte.

TEOFILO. Und dabei kenne ich unter allen Philoso-phen, die es giebt, keinen, der sich mehr auf leereEinbildungen gründete, und sich weiter von derNatur entfernte als er. Und wenn er doch zuweilenvortreffliche Dinge sagt, so sind sie offenbar gar

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nicht aus seinen Prinzipien abgeleitet, vielmehrsind es immer von andern Philosophen entlehnteSätze, und deren finden sich in der That viele herr-liche in dem Buche von der Erzeugung, von Meteo-ren, von Thieren und Pflanzen.

DICSON. Um uns also zu unserm Thema zurückzu-wenden : ist es denn eure Meinung, dass die Mate-rie ohne Irrthum und ohne dass man sich in Wider-sprüche verwickelt, auf verschiedene Weise definirtwerden könne?

TEOFILO. Grade so, wie über denselben Gegenstandverschiedene Sinne ihr Urtheil abgeben und dassel-be Object sich auf verschiedene Weise darstellenkann. Ausserdem kann man, wie schon angedeutet,bei der Betrachtung eines Objects von sehr ver-schiedenen Gesichtspunkten ausgehen. Die Epiku-reer haben sehr viel gutes gesagt, obgleich sie sichnicht über die materielle Qualität erhoben. Vielvortreffliches hat Heraklitus ausgesprochen, ob-gleich er nicht über die Seele hinauskam. Anaxago-ras verfehlt nicht, die Erkenntnis der Natur zu för-dern, indem er nicht allein in dieselbe eindrang,sondern ausserhalb und vielleicht über derselbeneine Vernunft erkennen wollte, dieselbige welchevon Sokrates, Plato, Trismegistus und unsernTheologen Gott genannt wird. So hindert nichts,dass zur Aufdeckung der Geheimnisse der Natur

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ganz ebensogut ein solcher anleite, der in derWeise der von den anderen als einfältig Gescholte-nen von der Erfahrung ausgeht, wie diejenigen,welche von einer begrifflichen Theorie ausgehen;und unter diesen nicht weniger wer von Comple-xionen als wer von Humoren ausgeht; und ebenso-gut wie dieser auch derjenige, welcher von densinnlich wahrnehmbaren Elementen aus, oder wel-cher von grösserer Höhe, von jenen absoluten We-senheiten, oder von der Materie allein, dem höch-sten und bestimmtesten Princip von allen, sich her-ablässt. Denn zuweilen wird, wer den längerenWeg nimmt, deshalb keine so erfolgreiche Reisemachen, besonders wenn sein Ziel nicht sowohl dieTheorie als die Praxis ist. Was ferner das philoso-phische Verfahren anbetrifft, so wird der Erfolg soziemlich der gleiche sein, ob man nun die Formenwie aus einem verwickelten Knäuel aufwickelt,oder sie gleichsam aus einem Chaos entwirrt, obman sie aus einer Quelle der Ideen schöpft, aus Po-tentialität zur Actualität befördert, sie aus einemSchoosse heraufholt, oder sie aus einem blindenund düstern Abgrund ans Licht hervorzieht. Dennjedes Fundament ist gut, wenn es sich durch dasTragen des Gebäudes bewährt; jeder Same ist will-kommen, wenn die Bäume und Früchte begehrens-werth sind.

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DICSON. Um also zu unserm Ziele zu kommen, sogefalle es euch, uns die Lehre von jenem Princip inaller Bestimmtheit vorzutragen.

TEOFILO. Jedenfalls kann das Princip, welches manMaterie nennt, auf zwei Weisen betrachtet werden:erstens als Vermögen, zweitens als Substrat. In derersten Bedeutung, als Vermögen genommen, sogiebt es keine Sache, in welcher man sie nicht ingewisser Weise und in eigenthümlicher Beziehungwiederfinden könnte. Die Pythagoreer, Platoniker,Stoiker und andre haben sie ebensowohl in die in-telligible als in die sinnliche Welt gesetzt; und wir,die wir sie nicht ganz so wie jene, sondern in einemnoch höheren und umfassenderen Sinne nehmen,denken über das Vermögen oder vielmehr über dieMöglichkeit folgendermassen. Das Vermögen un-terscheidet man gemeinhin in actives, vermittelstdessen das Substrat desselben wirken kann, und inpassives, vermöge dessen es sein oder empfangenoder haben oder in irgend einer Weise das Objekteines Wirkenden sein kann. Von dem activen Ver-mögen für den Augenblick absehend, sage ich: dasVermögen, in passivem Sinne gefasst - wenn esauch nicht gerade allezeit passiv ist - kann entwe-der im relativen oder im absoluten Sinne betrachtetwerden. So ist kein Ding, von dem man das Seinaussagt, wovon man nicht auch das Seinkönnen

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aussagte, und das passive Vermögen entspricht sogänzlich dem activen Vermögen, dass keines ir-gendwie ohne das andre ist. Wenn daher das Ver-mögen zu machen, hervorzubringen, zu schaffenimmer gewesen ist, so ist auch das Vermögen, ge-macht, hervorgebracht und geschaffen zu werden,immer vorhanden gewesen. Denn das eine Vermö-gen implicirt das andre, ich will sagen, es setzt,selbst als seiend gesetzt, nothwendig das andre mit.Weil nun dieses Vermögen an dem, von dem esausgesagt wird, nicht einen Mangel bedeutet, son-dern vielmehr die Kraft und Wirksamkeit desselbennur bestätigt, und weil es sich endlich sogar alsdurchaus eines und dasselbe mit dem activen Ver-mögen erweist, so trägt kein Philosoph noch Theo-log Bedenken, es auch dem höchsten übernatürli-chen Princip beizulegen. Denn die absolute Mög-lichkeit, vermöge deren das, was wirklich ist, seinkann, ist nicht früher als die Wirklichkeit und nichtim geringsten später als sie, und das Seinkönnen istdeshalb zusammen mit dem wirklichen Sein undgeht ihm nicht voran. Denn wenn das Seinkön-nende sich selber wirklich machte, so würde essein, bevor es wirklich geworden wäre. Nun be-trachte das oberste und vollkommenste Princip,welches alles das ist, was es sein kann. Es würdenicht alles sein, wenn es nicht alles sein könnte; in

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ihm sind also Wirklichkeit und Vermögen eins unddasselbe. Mit den andern Dingen verhält es sichnicht so. Mögen sie immerhin sein, was sie seinkönnen, so können sie doch vielleicht auch nichtsein und sicher etwas anderes oder auf andre Weisesein, als sie sind. Denn kein anderes Ding ist allesdas, was es sein kann. Der Mensch ist das was ersein kann; aber er ist nicht alles das was er seinkann. Der Stein ist nicht alles das was er sein kann;denn er ist kein Kalk, kein Gefäss, kein Staub, keinKraut. Das was alles ist was es sein kann, ist einEiniges, was in seinem Sein alles Sein enthält. Esist alles was ist und kann jedes beliebige anderesein, was ist und sein kann. Jedes andere ist nichtso; deshalb ist hier das Vermögen nicht gleich derWirklichkeit, weil es nicht absolute, sondern be-grenzte Wirklichkeit ist. Und ebenso ist auch dasVermögen immer auf eine Wirklichkeit beschränkt,weil es immer nur ein specifisches und besonderesDasein hat; und wenn es dennoch auf jede Formund jede Wirklichkeit sich bezieht, so geschiehtauch dies vermittelst bestimmter Anlagen und sodass ein Sein das andere nach einer bestimmtenOrdnung und Reihenfolge ablöst. Jedes Vermögenalso und jede Wirklichkeit, welche im oberstenPrincip gleichsam zusammengewickelt, ein Verei-nigtes und Einiges ist, ist in den andern Dingen

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aufgewickelt, zerstreut und vervielfacht. Das Uni-versum, dieses erhabene Ebenbild und Abbild,diese eingeborene Natur, ist gleichfalls alles was essein kann, sofern die Arten und die hauptsächlich-sten Glieder dieselben bleiben und es der Inbegriffaller Materie ist, zu welchem nichts hinzukommtund dem nichts von aller und jeglicher Form fehlt.Aber es ist doch nicht alles, was es sein kann, weilauch die Unterschiede, Bestimmtheiten, Eigent-hümlichkeiten und Individuen bleiben. Deshalb istdas Universum nur ein Schatten der Ur-Wirklich-keit und des Ur-Vermögens; und insofern ist in ihmVermögen und Wirklichkeit nicht absolut dasselbe,weil keiner seiner Theile alles das ist, was es seinkann. In dem besonderen oben bezeichneten Sinneferner ist das Universum alles das, was es seinkann, auf eine explicirte, zerstreute, unterschiedeneWeise; sein Princip dagegen ist eben dies in ein-heitlicher und unterschiedsloser Weise, weil esalles in allem und eins und dasselbe als dasschlechthin Einfache ohne Unterschied und Be-stimmtheit ist.

DICSON. Wie erklärst du aber den Tod, den Unter-gang das Böse, die physischen Uebel, die Missge-burten? Bist du der Meinung, dass auch sie ihreStelle in dem haben, was alles ist, was es seinkann, und was alles das in Wirklichkeit ist, was es

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dem Vermögen nach ist?TEOFILO. Diese Dinge sind nicht Wirklichkeit und

nicht Vermögen, sondern Mangel und Unvermö-gen. Sie finden sich in den explicirten Dingen, weildiese nicht alles sind, was sie sein können, unddurch äusseren Zwang werden, was sie sein kön-nen. Da sie daher nicht zugleich und auf einmal sovieles sein können, so geben sie das eine Sein auf,um das andere zu erlangen; zuweilen vermischtsich in ihnen das eine Sein mit dem anderen, undzuweilen sind sie verkümmert, mangelhaft, ver-stümmelt, weil dieses Sein mit jenem sich nichtverträgt und weil die Materie durch dieses oderjenes schon in Anspruch genommen ist. Doch keh-ren wir nun zu unserer Aufgabe zurück. Das ersteabsolute Princip ist also Erhabenheit und Grösse,und zwar eine solche, dass es alles das ist, was essein kann. Es ist nicht gross in dem Sinn, dass esauch wohl noch grösser oder kleiner sein oder dasses getheilt werden könnte, wie jede andere Grösse,welche nicht alles ist, was sie sein kann; vielmehrist es die allergrösste, allerkleinste, unendliche,untheilbare Grösse und von jeglichem Masse. Sieist nicht das Grösste, weil sie das Kleinste ist; sieist nicht das Kleinste, weil sie ebensowohl dasGrösste ist; sie ist über jede Gleichheit hinaus, weilsie alles ist, was sie sein kann. Was ich von der

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Grösse sage, das verstehe von allem dem, was manaussagen kann; denn es ist auf ähnliche Weise dieGüte, welche alle Güte ist, die da sein kann; es istdie Schönheit, welche alles Schöne ist, was da seinkann, und es giebt nichts anderes Schönes, welchesalles das wäre, was es sein kann, ausser diesemeinen. Es ist nur ein Einziges, was auf absoluteWeise alles ist und alles sein kann. In den Erschei-nungen der Natur sehen wir ferner nichts, wasetwas anderes wäre als das, was es in Wirklichkeitist, vermöge deren es das ist, was es sein kann, umüberhaupt eine bestimmte Art von Wirklichkeit zuhaben; dennoch ist es auch in diesem seinem einzi-gen specifischen Sein niemals alles das, was einbeliebiges besonders Ding sein kann. Da ist dieSonne. Sie ist nicht alles das was die Sonne seinkann; sie ist nicht überall, wo die Sonne sein kann.Denn wenn sie im Osten über der Erde steht, sosteht sie nicht im Westen, nicht im Süden noch ineiner andern Himmelsrichtung. Wenn wir also dieArt zeigen wollen, auf welche Gott Sonne ist, sowerden wir sagen, weil er alles ist, was er seinkann, dass er zugleich im Osten, im Westen, imSüden, im Norden und in jedem beliebigen Punktedes Erdenrundes ist. Wenn wir von dieser Sonne -sei es vermöge ihrer eigenen Umwälzung oderderjenigen der Erde - annehmen wollen, dass sie

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Bewegung und Ortsveränderung hat, so wird sie,weil sie nicht actualiter in einem Punkte ist ohnedas Vermögen in allen andern zu sein, und weil siedoch alles ist, was sie sein kann, und alles das be-sitzt was zu besitzen sie fähig ist: so wird sie alsozugleich überall und in allem sein und dermassendas beweglichste und schnellste dass sie auch dasstätigste und unbeweglichste ist. Deshalb findenwir in den göttlichen Aussprüchen, dass sie inEwigkeit stätig und das schnellste genannt wird,dass sie von einem Ende zum andern läuft. Denndas wird als unbeweglich gedacht, was in einemund demselben Augenblick von dem Ostpunkteaufbricht und zu dem Ostpunkte zurückgekehrt ist.Ueberdies wird sie nicht weniger im Osten als imWesten und in jedem andern Punkte ihres Umlaufsgesehen: deshalb ist nicht mehr Grund zu der Be-hauptung vorhanden, dass sie von diesem Punktezu jenem, als dass sie von jedem beliebigen andernder unendlich vielen Punkte zu demselbigen geheund zurückkehre, gegangen und zurückgekehrt sei.Daher wird sie ganz und immer in dem ganzen Um-kreis und in jeglichem Theile desselben sein; undfolglich enthält jeder untheilbare Punkt der Ekliptikden ganzen Durchmesser der Sonne. So enthält einUntheilbares das Theilbare, nicht vermöge einesnatürlichen, sondern eines übernatürlichen

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Vermögens, d.h. wenn vorausgesetzt würde, dassdie Sonne das wäre, was in Wirklichkeit alles ist,was es sein kann. Das so absolute Vermögen istnicht allein das, was die Sonne sein kann, sonderndas was jedes Ding ist und was jedes Ding seinkann, aller Vermögen Vermögen, aller Wirklich-keiten Wirklichkeit, aller Leben Leben, aller SeelenSeele, alles Wesens Wesen. Daher der erhabeneAusspruch der Offenbarung: »Der welcher ist,schickt mich; der welcher ist, spricht also.« Des-halb ist das, was sonst widersprechend und entge-gengesetzt ist, in ihm eines und dasselbe, und jedesDing ist in ihm dasselbe. So gehe denn hinaus überdie Unterschiede der Zeiten und Zeiträume, wieüber die der Wirklichkeiten und Möglichkeiten;denn für ihn giebt es nichts altes und nichts neues,und treffend heisst er in der Offenbarung der Ersteund der Letzte.

DICSON. Diese absoluteste Wirklichkeit, welcheidentisch ist mit dem absolutesten Vermögen, kannvon dem Verstände nur auf dem Wege der Negatio-nen begriffen werden: d.h. sie kann nicht erfasstwerden, sofern sie alles sein kann, noch sofern siealles ist. Denn die Vernunft, wenn sie verstehenwill, muss sich eine verstandesmässige Vorstellungbilden, sich ihr anähnlichen, sie nach sich messen,mit sich ausgleichen. Alles das ist hier unmöglich.

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Denn der Verstand ist niemals so gross, dass ernicht noch grösser sein könnte; jenes aber, indemes von allen Seiten und in jedem Sinne unermess-lich ist, kann nicht noch grösser sein. Es giebt alsokein Auge, welches sich diesem allererhabenstenLicht und diesem allertiefsten Abgrund annähernkönnte oder einen Zugang zu ihm hätte.

TEOFILO. Das Zusammenfallen dieser Wirklichkeitmit dem absoluten Vermögen ist von dem göttli-chen Geiste sehr klar beschrieben worden, wo esheisst: »Die Finsterniss wird nicht von dir verdun-kelt werden. Die Nacht wird erhellt werden wie derTag. Wie seine Finsterniss, so ist auch sein Licht.«Zum Schlusse also: ihr seht, wie gross die Herrlich-keit des Vermögens ist. Wenn es euch nun gefällt,dies Vermögen das Wesen der Materie zu nennen,das die landläufigen Philosophen so wenig durch-drungen haben, so könnt ihr der Materie, ohne derGottheit etwas zu vergeben, eine noch höhere Be-deutung anweisen, als selbst Plato in seiner Repu-blik und als Timaeus. Diese haben manchen Got-tesgelehrten ein Aergernis verursacht, als hätten siedas Wesen der Materie allzuhoch gestellt. Das kamdaher, entweder dass sie sich nicht gut ausgedrückt,oder dass jene sie nicht richtig verstanden haben.Denn in den Anschauungen des Aristoteles aufge-wachsen, fassen jene die Bedeutung der Materie

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immer blos in dem Sinne des Substrates der Natur-erscheinungen, und bedenken nicht, dass die Mate-rie bei den anderen etwas der intelligiblen undsinnlichen Welt gemeinsames ist, und dass dasWort hier durch eine auf der Analogie mit dem ei-gentlichen Gebrauche beruhende Erweiterung eineneue Bedeutung empfangen hat. Deshalb sollteman die Meinungen erst mit aller Sorgfalt prüfen,ehe man sie verdammt, und auf die Verschiedenhei-ten des Sprachgebrauchs ebenso sehr achten, wieauf die der Ansichten, zumal da sie zuweilen, auchwenn alle in einem gemeinsamen Begriff der Mate-rie übereinstimmen, doch nachher in der eigent-hümlichen Anwendung auseinandergehen. Was nununsern Gegenstand betrifft, so kann unmöglich,wenn man vom Namen »Materie« absieht, irgendein Theologe, sei er von Gemüth auch noch so so-phistisch und übelwollend, mich wegen dessen,was ich von dem Zusammenfallen von Vermögenund Wirklichkeit, beide Ausdrücke im absolutenSinne nehmend, behaupte und meine, der Gottlo-sigkeit zeihen. Ich möchte nun, den Vergleich so-weit festhaltend, als es erlaubt ist, folgendenSchluss ziehen. Jenes Ebenbild der Ur-Wirklichkeitund des Ur-Vermögens ist in specifischer Wirklich-keit alles das, was es seinem specifischen Vermö-gen nach ist. Sofern also das Universum in diesem

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Sinne alles das ist, was es sein kann, - sei es auchin Bezug auf die »numerale« Wirklichkeit und das»numerale« Vermögen, wie es wolle: - so hat es einVermögen, welches von der Wirklichkeit, eineSeele, welche vom Beseelten nicht gesondert ist;ich meine nicht das Zusammengesetzte, sonderndas Einfache. Daher wird es ebenso ein erstes Prin-cip des Universums geben, welches man gleichfallseben so wenig mit dem Unterschiede der Form undMaterie behaftet denken muss, und welches manaus der Analogie mit dem Vorhergenannten als ab-solutes Vermögen und absolute Wirklichkeit er-schliessen kann. Deshalb wird es nicht schwierigund nicht bedenklich sein, schliesslich anzuneh-men, dass das Ganze der Substanz nach eines ist,und so verstand es vielleicht Parmenides, den Ari-stoteles unedel genug behandelt hat.

DICSON. Seid ihr also der Meinung, dass es zwarbeim Herabsteigen auf jener Stufenleiter der Natureine doppelte Substanz, eine geistige und eine kör-perliche giebt, aber schliesslich beide auf einWesen und eine Wurzel zurückgehen?

TEOFILO. Wenn es euch scheint, dass es diejenigen,die nicht weiter als bis zu jenem Punkte vordrin-gen, ertragen können.

DICSON. Mit grösster Leichtigkeit, wenn du dich nurnicht über die Schranken der Natur erhebst.

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TEOFILO. So bin ich bereits verfahren. Wenn wirnicht dieselbe Auffassung und dieselbe Art habenvon der Gottheit zu reden, wie der gemeine Mann,so ist unsere Auffassung wenn auch eigenthümlich,doch keineswegs jener anderen entgegengesetztoder fremdartig, nur vielleicht klarer und entwickel-ter, der Bestimmung gemäss, dass sie nicht überdie Grenzen unseres Verstandes hinausgeht, vonder ich euch versprochen habe, mich nicht zu ent-fernen.

DICSON. Vom Materialprincip im Sinne der Mög-lichkeit oder des Vermögens ist nun genug gehan-delt. Morgen gefalle es euch, die Betrachtung ebendesselbigen unter dem Gesichtspunkte des Sub-strats vorzunehmen.

TEOFILO. So werde ich verfahren.GERVASIO. Auf Wiedersehn also!POLIINNIO. Seien uns die Omina günstig!

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Vierter Dialog

POLIINNIO. Et os vulvae nunquam dicit: sufficit.Das heisset, nämlich, natürlich, sintemalen, so zusagen, die Materie - denn diese ist darunter zu su-bintelligiren - ersättiget sich niemalen durch Reci-pirung von Formen. Da nun in diesem Lyceo odervielmehr Antilyceo niemand anders vorhanden ist:so will ich einsam - ich sage einsam, d.h. eigentlichweniger einsam als irgend jemand in der Welt - aufund ab spazierend mit mir selber einen Dialogumhalten. Die Materie also des Fürsten der Peripateti-ker und Gouverneurs jenes hocherhabenen Genies,des grossen Makedoniers, nicht weniger als die desgöttlichen Platon und anderer, - man benamset siebald Chaos, bald Hyle, bald Silva, bald Massa,bald Potentia, bald Anlage, bald der Privation Bei-gemischtes, bald der Sünde Grund, bald das zumBösen Geordnete, bald das an sich Nichtseiende,bald das an sich nicht Erkennbare, bald das nur peranalogiam ad formam Erkennbare, bald tabularasa, bald das jeder Schilderung Unzugängliche,das Subjectum, Substratum, Substerniculum, baldein frei Gefild, ein Unendliches, ein unbestimmtes,bald ein prope nihil, bald weder ein Quid noch einQuale noch ein Quantum, - also nachdem ich mich

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mit verschiedenen und wechselnden Nomenclatu-ren, um dieses Wesen zu definiren, zermartert: dieMaterie wird von denjenigen, welche zum Zieletreffen, ein Weib genennet, kurzum, sage ich, umalle jene Wörtlein in eins zusammenzufassen, siewird von denen, so die Sache recht ponderiren, einFemininum betituliret. Und beim Hercules, nichtohne sehr triftige rationes hat es diesen Senatoribusim Reiche der Pallas gefallen, diese beiden Dinge,die Materiam und das Weib, einander gleich zu set-zen. Denn dadurch, dass sie deren Nichtswürdig-keit an sich inne geworden, sind sie zu solcherWuth und Verbitterung geführt worden, - hierkommt nun ein Color rhetoricus recht zu passe. -O die Weiber! sie sind ein Chaos von Unvernunft,eine Hyle von Ruchlosigkeit, eine Silva vonNichtswürdigkeiten, eine Massa von Unlauterkeit,eine Potentia zu jeglicher Verworfenheit - nunkommt ein anderer Color rhetoricus, so da mancheeine Complexio benennen! - Wo ist die ZerstörungTrojas in nicht bloss entfernter, sondern sogarnaher Möglichkeit gewesen? In einem Weibe. Wasist das Instrumentum zur Zerstörung SimsonischerStärke gewesen? jenes Heroen sage ich, der miteinem gefundenen Eselskinnbacken der unüber-windliche Triumphator über die Philister gewor-den? Ein Weib. Wer bezwang in Capua den

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Ungestüm und die Gewalt des Hannibal, jenes gro-ssen Generals und ewigen Feindes der römischenRepublik? Ein Weib. Nun kommt eine Exclamatio!Nenne du mir, du Harfner und Prophet zugleich,den Grund deiner Hinfälligkeit! »Weil mich meineMutter in Sünden empfangen hat.« Wie, wurdestdu, o du unser uralter Protoplast, als du der Gärtnerdes Paradieses warst und beim Baume des Lebensder Flur pflegtest, so heruntergebracht, dass dudich mit dem ganzen Keime des Menschenge-schlechts zum tiefen Pfuhl des Verderbens selberherabgestossen? »Das Weib, welches er mir zuge-sellet, sie, sie hat mich betrogen.« Ohne Zweifel,die Form sündigt nicht, und von keiner Formkommt der Irrthum her, es wäre denn weil sie mitder Materie copuliret ist. Also es ist die durch dasMasculinum bezeichnete Form, die da, weil sie innähere Beziehung zur Materie, versetzt worden,und in Verbindung oder Verkuppelung mit jenergerathen, mit diesen Worten oder mit dieser Sen-tenz der Natura naturans antwortet: »Das Weib,das du mir gegeben«, d.h. die Materie, die du mirzur Genossin gegeben, »sie hat mich betrogen«,d.h. sie ist der Fallstrick zu aller meiner Sünde. Be-trachte, o betrachte nur du göttliches Ingenium, wiedie vortrefflichen Philosophen und scharfsinnigenZergliederer der Eingeweide der Natur, um uns das

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Wesen der Materie vollkommen vor Augen zu stel-len, keinen passenderen Modum gefunden haben,als uns durch jene Analogie darauf zu führen, wel-che besagen will, dass der Zustand der Natur durchEinwirkung der Materie derselbe ist, wie der wirth-schaftliche, politische und bürgerliche es ist durchdas Gezücht der Weiber. Oeffnet, o öffnet dieAugen, und.... Ah, ich erblicke jenen Coloss vonGrossmauligkeit, den Gervasio, der meiner kraft-vollen Rede Faden unterbricht. Ich fürchte, er mögemich belauscht haben. Nun, was thut's?

GERVASIO. Gegrüsset seist du, o Magister, derhochgelahrten Männer vorzüglichster!

POLIINNIO. Wenn du nicht, - wie du pflegest, michblos verspotten willst, sei auch du gegrüsset.

GERVASIO. Ich möchte wissen, was das bedeutet,dass du da so allein herumspazierst und grübelst?

POLIINNIO. In meinem kleinen Museum studirendbin ich auf jene Stelle des Aristoteles gestossen,libro primo Physicorum, in calce, wo er klar ma-chen will, was die materia prima sei, und zumSpiegel das weibliche Geschlecht nimmt, ich meinedieses widerspenstige, gebrechliche, unbeständige,weichliche, kindische, schändliche, verächtliche,gemeine, verworfene, verkümmerte, unwürdige,verruchte, unheilvolle, nichtswürdige, kalte, miss-gestaltete, leere, eitle, unbesonnene, thörichte,

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treulose, träge, widerliche, garstige, undankbare,verstümmelte, verderbte, unvollkommne, unvollen-dete, unzureichende, verpfuschte, kümmerliche, un-erquickliche Geschlecht, diesen Mehlthau, dieseNessel, dies Unkraut, diese Pest, diese Seuche, die-sen Tod:

Von der Natur und Gottes RächerhandAls schwere Last und Strafe uns gesandt.

GERVASIO. Ich weiss wohl, dass ihr das sagt, mehrum euch in der Kunst des Rhetors zu üben und zuzeigen, wie sprachgewaltig und beredt ihr seid, alsweil ihr die Meinung, die ihr in Worten aussprecht,auch wirklich hegtet. Denn bei euch, ihr HerrenHumanisten, die ihr euch Lehrer der freien Künstenennt, ist es blosse Gewohnheit, wenn ihr euch vollvon solchen Concetti findet, die ihr nicht bei euchbehalten könnt, dass ihr sie nirgends anders alsüber die armen Frauen entladet; wie ihr, wenn euchirgend ein anderer Groll bedrückt, ihn an dem er-sten besten Uebelthäter unter euren Schülern aus-lasst. Aber hütet euch, ihr Herren von Orpheus Art,vor dem wüthenden Zorn der thracischen Weiber.

POLIINNIO. Poliinnio bin ich, ich bin nicht Or-pheus.

DICSON. Ihr tadelt also die Weiber nicht aus wahrer

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135Bruno: Von der Ursache, dem Princip und dem Einen

Meinung?POLIINNIO. Woraus denn anders? Ich spreche

immer aus wahrer Meinung und denke nicht andersals ich rede; denn ich mache mir nicht nach Sophi-stenart ein Gewerbe daraus, euch zu beweisen, dassweiss schwarz ist.

GERVASIO. Warum färbt ihr euch denn den Bart?POLIINNIO. Aber ich spreche frei heraus und sage,

dass ein Mann ohne Frau einer der reinen Intelli-genzen gleich ist; der ist ein Heros, sage ich, einHalbgott, wer sich mit keinem Weibe belastet hat.

GERVASIO. Auch einer Auster ist er ähnlich undeinem Schwamm ausserdem und eine Trüffel ist er.

POLIINNIO. Deshalb hat der Lyriker so göttlichschon gesagt: »Glaubt, Pisonon, es ist doch eh'losleben das beste.« Und willst du den Grund wissen,so höre den Philosophen Secundus. Das Weib, sagter, ist ein Hindernis der Kühe, ein beständigerSchaden, ein täglicher Krieg, ein Gefängnis für'sLeben, ein Sturm im Hause, der Schiffbruch desMannes. Das hat auch jener Biscajer bestätigt, derdurch ein schreckliches Unglück und die Wuth desMeeres in Ungeduld und Zorn versetzet, mit schee-lem und zornigem Gesicht sich zu den Wellenwandte und also sprach: »O Meer, Meer, dass ichdich verheirathen könnte!« Er wollte damit zu er-kennen geben, dass das Weib der Sturm der Stürme

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ist. Darum antwortete auch Protagoras auf dieFrage, warum er seine Tochter seinem Feinde gege-ben habe, er könne ihm nichts schlimmeres anthun,als ihm eine Frau geben. Ferner wird mich jenerfranzösische Ehrenmann nicht Lügen strafen, der,als ihm wie den anderen in der Noth eines gefährli-chen Seesturmes von Cicala, dem Schiffsherrn, be-fohlen wurde, die schwersten Lasten ins Meer zuwerfen, zuerst sein Weib hinabwarf.

GERVASIO. Ihr führt als Gegenstück nicht die vielenanderen Beispiele an, von Männern, die sich durchihre Weiber höchst beglückt geachtet haben. Undum euch nicht auf weit Entferntes zu verweisen, sohat hier unter eben diesem Dach der Herr von Mau-vissière eine Frau errungen, die nicht nur mit nichtgewöhnlicher Körperschönheit als Hülle und Kleidder Seele, sondern auch mit dem Dreiklang vonklugem Sinn, edler Sittsamkeit und ehrbarer Artig-keit begabt, mit unauflöslichen Banden die Seeleihres Gemahls gefesselt hält und jeden, der siekennt, für sich einzunehmen vermag. Und waswillst du von seiner edlen Tochter sagen? Kaumein Jahr über ein Lustrum hat sie die Sonne gese-hen, und doch konntest du an der Sprache nicht er-kennen, ob sie aus Italien, aus Frankreich oderEngland ist; an ihrer Hand, wenn sie ein musikali-sches Instrument spielt, nicht abnehmen, ob sie

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eine körperliche oder unkörperliche Substanz ist,und wegen der frühzeitigen Lauterkeit ihrer Sittenwürdest da zweifeln, ob sie vom Himmel herabge-stiegen, oder von der Erde stammt. Jeder sieht, dassin ihr ebensowohl um einen so schönen Körper zubilden das Geblüt, als um einen so ausgezeichnetenGeist hervorzubringen, die Vorzüge des Heldengei-stes beider Eltern sich vereinigt haben.

POLIINNIO. Eine rara avis, diese Maria von Bosh-tel! Eine rara avis, diese Maria von Castelnau!

GERVASIO. Dieses Rarsein, das ihr von den Frauenaussagt, kann man gerade so auch von den Män-nern sagen.

POLIINNIO. Kurz, um auf besagten Gegenstand zu-rückzukommen, das Weib ist nichts anderes alseine Materie. Wenn ihr nicht wisst, was ein Weibist, weil ihr nicht wisst, was Materie ist, so studirteine Zeit lang die Peripatetiker, welche, indem sieeuch lehren, was die Materie ist, euch gleicher-maassen lehren werden, was ein Weib ist.

GERVASIO. Ich sehe wohl, dass ihr mit eurem peri-patetischen Gehirn wenig oder nichts von dem ver-standen habt, was Teofilo gestern über Wesen undVermögen der Materie gesagt hat.

POLIINNIO. Mit dem andern sei's wie's wolle: ichbleibe dabei, den Appetitum der einen wie der an-dern als die Ursache alles Bösen, alles Leidens,

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alles Mangels, alles Untergangs, aller Zerstörungzu tadeln. Glaubt ihr nicht, dass wenn die Materiesich mit der Form begnügte, die sie hat, keine Ver-änderung und kein Leiden Herrschaft über unshaben, wir nicht sterben, unvergänglich und ewigsein würden?

GERVASIO. Und wenn sie sich mit der Form be-gnügt hätte, welche sie vor 50 Jahren hatte, waswürdet ihr sagen? Würdest du Poliinnio sein?Wenn sie unter der Form, die sie vor 40 Jahrenhatte, beschlossen geblieben wäre, würdest du soverwachsen - ich wollte sagen, so erwachsen - sovollkommen und so gelehrt sein? Wie es dir alsoganz recht ist, dass die andern Formen dieser gewi-chen sind, so ist es der Wille der Natur, welche dasUniversum ordnet, dass alle Formen allen weichen.Ausserdem verleiht es dieser unserer Substanz einehöhere Bedeutung, dass sie jegliches wird, indemsie alle Formen annimmt, als wenn sie eine einzigefesthielte und immer nur etwas particuläres wäre.Denn so hat sie nach Möglichkeit Aehnlichkeit mitdem, was alles in allem ist.

POLIINNIO. Du fängst mir an, gelehrt zu werden,und dein gewöhnliches Naturell zu verleugnen. Soführe denn, wenn du kannst, das Gleichniss durch,und male die Bedeutung aus, die das Weib besitzt.

GERVASIO. Das wird mir nicht schwerfallen. Doch

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sieh, da ist Teofilo!POLIINNIO. Und Dicson. Ein ander Mal also. Genug

für jetzt.TEOFILO. Sehen wir nicht Peripatetiker und auch

Platoniker die Substanz in körperliche und unkör-perliche eintheilen? Wie nun diese Unterschiede ineiner über ihnen stehenden Gattung dem Vermögennach enthalten sind, so müssen auch die Formenvon zwei Arten sein. Die einen nämlich sind trans-scendent, d.h. sie stehen höher als jeder Gattungs-begriff; diese nennt man Principien, z.B. Wesen-heit, Einheit, Eines, Ding, Etwas und dergleichen.Andere gehören einer bestimmten Gattung an undsind von anderen Gattungen unterschieden, wiez.B. Substantialität, Accidentialität. Die Formender erstgenannten Art setzen keine Unterschiede inder Materie und ertheilen ihr nicht ein Vermögenund dann wieder ein anderes, sondern als allge-meinste Bestimmungen, welche sowohl die körper-lichen wie die unkörperlichen Substanzen untersich befassen, bezeichnen sie das allerallgemeinste,gemeinsamste und einheitliche Vermögen beiderArten von Substanzen. In Anbetracht dessen sagtAvicebron: »Wenn wir doch, bevor wir die Materieder accidentiellen Formen, d.h. das Zusammenge-setzte, setzen, die Materie der substantiellen Form,welche ein Theil von jener ist, setzen: was hindert

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uns, ebenso, bevor wir die bis zu körperlicher Exi-stenzform contrahirte Materie setzen, ein Vermö-gen anzunehmen, welches die Form der körperli-chen und unkörperlichen, der vergänglichen undder unvergänglichen Natur noch ungeschieden insich befasst?« Ferner, alles was ist, vom höchstenund obersten Wesen an, hält eine bestimmte Ord-nung inne und bildet eine Reihenfolge, eine Stufen-leiter, auf der man von dem Zusammengesetztenzum Einfachen, von diesem zum Einfachsten undAbsolutesten durch Mittelglieder aufsteigt, welchezwischen beiden Extremen liegen, welche beidenanalog beide verknüpfen, an beider Natur theilha-ben, und in Bezug auf die besondere Beschaffen-heit neutrale Wesen sind. Nun ist aber keine Ord-nung denkbar, wo nicht ein Gemeinsames wäre, andem die Verschiedenen Theil haben, kein solchesTheilhaben, wo sich nicht ein bestimmter Zusam-menhang fände; und wiederum kein Zusammen-hang, wo die Verbundenen nicht auf irgend eineWeise an Gemeinsamem Theil hätten. Es muss alsonothwendigerweise für alle subsistirenden Dingeein Princip der Subsistenz geben. Nimm hinzu,dass die Vernunft selber nicht umhin kann, vorjedem von anderm Unterscheidbaren ein noch un-geschiedenes vorauszusetzen; - ich spreche von denDingen, welche sind; denn Sein und Nichtsein, das

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beides, meine ich, ist nicht der Sache, sondern nurdem Wort und dem Namen nach verschieden. -Dieses noch Ungeschiedene ist ein allgemeiner Be-griff, zu dem die Differenz und unterscheidendeForm erst hinzukommt. Und gewiss lässt sich nichtbestreiten, dass wie alles Sinnliche ein Substrat derSinnenwahrnehmung, so alles Intelligible ein Sub-strat der Intellectualität voraussetzt. Es muss alsoauch etwas geben, was dem gemeinsamen Begriffebeider Substrate entspricht. Denn jede Wesenheitgründet sich auf irgend ein Sein, ausgenommenjene oberste Wesenheit, welche mit ihrem Seinidentisch ist, weil ihr Vermögen ihre Wirklichkeit,weil sie alles ist was sie sein kann, wie wir gesterngesagt haben. Ferner wenn die Materie nach unsernGegnern selber kein Körper ist und ihrer Naturnach dem körperlichen Sein vorangeht, was kannsie dann von den Substanzen, die man unkörperlichnennt, so weit entfernen? Auch fehlt es nicht an Pe-ripatetikern, welche sagen: so wie sie sich in denkörperlichen Substanzen ein gewisses Etwas for-maler und göttlicher Art findet, so muss entspre-chend in den göttlichen ein Etwas von materiellerArt sein, damit die niedriger stehenden Dinge denhöher stehenden sich anschliessen und die Reiheder einen in die Reihe der andern eingreifen könne.Und die Theologen, wenn auch manche von ihnen

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in der aristotelischen Lehre gross geworden sind,sollten mir dennoch darin nicht beschwerlich fallen,wofern sie wirklich glauben, dass sie mehr auf ihreSchrift, als auf die Philosophie und die natürlicheVernunft verpflichtet sind. »Bete mich nicht an«,sagt einer ihrer Engel zum Patriarchen Jacob,»denn ich bin dein Bruder.« Wenn also der, der daspricht, nach ihrer Auffassung eine intellectuelleSubstanz ist und mit seiner Rede bestätigt, dassjener Mensch und er in der Realität eines Substratssich vereinigen: mag dann auch jeder beliebige for-male Unterschied bestehen bleiben, - es ist dochgewiss, dass die Philosophen einen Ausspruch desOrakels dieser Theologen als Zeugniss für sich an-führen können.

DICSON. Ich weiss, dass ihr das mit aller Ehrerbie-tung sagt; denn ihr wisst, dass es euch nicht zu-kommt, Beweisgründe von solchen Stellen zu ent-lehnen, die in unserer Messe nicht vorkommen.

TEOFILO. Ganz richtig und wohl bemerkt; aber ichführe es auch nicht als Beweisgrund und Bestäti-gung an, sondern um so weit ich kann den Gewis-sensbedenken zu entgehn; denn ich fürchte ebensosehr, ein Gegner der kirchlichen Lehre zu scheinen,als es zu sein.

DICSON. Verständige Theologen werden uns dieForschungweisen vermittelst des natürlichen

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Lichtes, so weit sie sich auch erstrecken mögen,immer gestatten, wenn sie sich nur keine definitiveEntscheidung gegen die göttliche Autorität heraus-nehmen, sondern sich ihr zu unterwerfen bereitsind.

TEOFILO. So gerade sind die meinigen gemeint undwerden es immer sein.

DICSON. Recht so! fahrt also fort!TEOFILO. Auch Plotinus sagt im Buche von der Ma-

terie, dass es in der intelligiblen Welt, wenn es da-selbst eine Menge und Vielheit von Gattungengiebt, neben der Eigenthümlichkeit und dem Unter-schiede einer jeden von ihnen auch ein Gemeinsa-mes geben muss. Dieses Gemeinsame vertritt dieStelle der Materie, das Eigenthümliche und Unter-scheidende die Stelle der Form. Er fügt hinzu, dasswenn diese Welt eine Nachahmung von jener ist,die Zusammensetzung derselben eine Nachahmungder Zusammensetzung von jener ist. Ferner, wenndiese Welt keine Verschiedenheit hat, hat sie auchkeine Ordnung; hat sie keine Ordnung, dann auchkeine Schönheit und keine Zier; alles dies hängt ander Materie. Deshalb muss diese höhere Welt nichtnur für ein untheilbares Ganzes, sondern auch fürtheilbar und unterschieden gehalten werden mitBezug auf einige ihrer Bedingungen. Die Getheilt-heit und Verschiedenheit dieser letzteren aber kann

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nicht begriffen werden ohne eine zu Gründe liegen-de Materie. Und sagst du, dass diese ganze Vielheitin einem untheilbaren Wesen sich vereinigt undjeder Art von räumlicher Ausdehnung fremd bleibt,so nenne ich eben das Materie, worin sich so vieleFormen vereinigen. Dieses war, bevor es als man-nichfach und vielgestaltig vorgestellt wurde, ineiner einfachen Vorstellung, und bevor es in derVorstellung als Geformtes war, war es in derselbenals Formloses.

DICSON. Wohl habt ihr in dem, was ihr in der Kürzeausgeführt habt, viele starke Gründe beigebracht,um zu erweisen, dass die Materie ein Einiges ist,ein Einiges das Vermögen, durch welches alles wasist in Wirklichkeit ist, und dass sie mit eben sogutem Grunde den unkörperlichen als den körperli-chen Substanzen zukommt, indem jene auf keineandre Weise als diese das Sein haben vermöge desSeinskönnens. Wohl habt ihr auch noch mit andernGründen, die für den, der sie nur kräftig genug be-trachtet und begreift, auch kräftig genug sind, denBeweis geführt. Dennoch möchte ich, wenn nichtbehufs der Vollendung der Lehre, doch behufs ihrerDeutlichkeit, dass ihr noch auf andere Weise imeinzelnen darlegtet, wie sich in den erhabenstenDingen, - und das sind doch die unkörperlichen, -ein Formloses und Unbestimmtes finde; wie da

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eben dieselbe Materie sein kann, ohne dass siedoch durch das Hinzutreten der Form und Wirk-lichkeit gleichfalls Körper heissen; wie ihr da, wokeine Veränderung, kein Entstehen noch Vergehenist, eine Materie annehmt, die man doch niemals zueinem andern als zu diesem Zwecke angenommenhat; ferner wie wir sagen können, dass die intelligi-ble Natur einfach, und zugleich, dass in ihr Materieund Actus ist. Ich wünsche das nicht um meinetwil-len, da mir die Wahrheit einleuchtet, aber für et-waige andere, die widerwilliger und schwierigersein möchten, wie z.B. Magister Poliinnio undGervasio.

POLIINNIO. Lasst 'mal sehen !GERVASIO. Ich nehm's an und danke euch, Dicson,

dass ihr auch das Berürftnis derer bedenkt, dienicht den Muth haben zu fordern. So bringt es jen-seits der Berge die Höflichkeit bei Tische mit sich;denen, die an zweiter Stelle sitzen, ist es nicht er-laubt, mit den Fingern über das eigene Näpfchenoder den eigenen Teller hinauszulangen, sondern esschickt sich abzuwarten, bis es einem in die Handgelegt wird, damit man ja keinen Bissen nehme,den man nicht mit einem »Danke schön« bezahlthätte.

TEOFILO. Ich kann das alles folgendermassen abma-chen. Wie der Mensch in Bezug auf seine

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eigenthümlich menschliche Natur vom Löwen inBezug auf das Eigenthümliche der Löwennatur ver-schieden ist, aber in Bezug auf die gemeinsameNatur der lebenden Wesen, auf die körperlicheSubstanz und anderes ähnliches von ihm ununter-schieden und mit ihm eins und dasselbe ist: aufähnliche Weise ist die Materie der körperlichenDinge in Bezug auf ihre eigenthümliche Art vonderjenigen der unkörperlichen Dinge verschieden.Alles also was ihr mit Bezug darauf anführt, dasssie der constitutive Grund der körperlichen Natur,das Substrat für Veränderungen jeglicher Art undein Theil der Zusammensetzung sei, das kommtdieser Materie nur in Bezug auf ihre unterschei-dende Eigenthümlichkeit zu. Denn eben diese Ma-terie, - ich will mich klarer ausdrücken, - oben das,was gewirkt werden oder sein kann, das ist entwe-der geworden und existiert vermittelst räumlicherRichtungen und der Ausdehnung des Substrats undvermittelst derjenigen Eigenschaften, welche ihrSein in der Quantität haben; und das nun wird kör-perliche Substanz genannt und setzt eine körperli-che Materie voraus. Oder es ist zwar geworden, -wenn es nämlich das Sein erst neu empfangen hat -,ist aber ohne jene räumlichen Richtungen, jeneAusdehnung und jene Eigenschaften; und diesheisst dann unkörperliche Substanz und setzt eine

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entsprechend benannte Materie voraus. So ent-spricht einem wirkenden Vermögen sowohl vonkörperlichen als von unkörperlichen Dingen, oderauch einem Sein, einem körperlichen sowohl wieeinem unkörperlichen, dort ein körperliches Ver-mögen, hier ein unkörperliches leidendes Vermö-gen, und ein Seinkönnen, dort von körperlicher,hier von unkörperlicher Art. Wenn wir also vonZusammensetzung sowohl in der Körperwelt wie inder Welt des Unkörperlichen sprechen wollen, somüssen wir sie in diesem doppelten Sinne auffas-sen und erwägen, dass in dem Ewigen immer eineMaterie unter einer Wirkungsform gedacht wird,dass sie aber in dem Vergänglichen immer bald dieein, bald eine andere in sich schliesst. In jenem hatdie Materie alles was sie haben, und ist sie alleswas sie sein kann, auf einmal, immer und zugleich;diese hingegen hat es und ist es zu mehrerenMalen, zu verschiedenen Zeiten und in bestimmterAufeinanderfolge.

DICSON. Eine Materie in dem Unkörperlichen geste-hen zwar manche zu; aber sie verstehen darunteretwas ganz anderes.

TEOFILO. Der Unterschied sei so gross wie er wollein Bezug auf die eigenthümliche Bestimmtheit, wo-nach die eine sich zu Körperlichkeit herablässt, dieandere nicht, die eine sinnliche Eigenschaften

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annimmt, die andere nicht, und wonach jene Mate-rie, welcher die quantitative Bestimmtheit und dasSubstratsein für solche Eigenschaften, die ihr Seinin räumlicher Ausdehnung haben, widerstrebt,nichts gemein haben zu können scheint mit demWesen, welchem keines von beiden widerstrebt.Dennoch sind beide eins und dasselbe, und wie wiröfter bemerkt haben, der ganze Unterschied liegtnur darin, dass die eine zu körperlicher Existenzcontrahirt, die andere unkörperlich ist. Grade so istalles Empfindende eins darin, dass es lebendig ist;aber wenn man dieses Allgemeine zu bestimmtenArten verengert, dann widerspricht es dem Men-schen, Löwe zu sein, und diesem Lebendigen, jenesandere zu sein. Dazu füge ich mit deiner Erlaubnisnoch Folgendess hinzu. Ihr würdet nämlich einwer-fen, dass das, was niemals ist, eher für unmöglichund widernatürlich als für natürlich gehalten wer-den müsse, und dass man deshalb, da diese Materieniemals als räumlich ausgedehnte gefunden wird,die Körperlichkeit für ihrer Natur widersprechendhalten müsse; wenn sich aber das so verhält, so seies nicht wahrscheinlich, dass beide eine gemeinsa-me Natur haben, bevor mau sich die eine als zukörperlicher Existenz contrahirt dünkt. Ich fügealso hinzu, dass wir dieser Materie ebenso gut dieNothwendigkeit, als, wie ihr möchtet, die

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Unmöglichkeit aller sich auf die räumliche Ausdeh-nung beziehenden Wirksamkeit zuschreiben kön-nen. Diese Materie, um in Wirklichkeit alles zusein, was sie sein kann, hat alle Maasse, alle Artenvon Gestalten und räumlichen Richtungen, undweil sie sie alle hat, so hat sie keine von allen; denndas, was so viel verschiedenes zugleich ist, kannunmöglich eines von jenen besonderen sein. Eskommt dem, was alles ist, zu, jedes particuläreSein auszuschliessen.

DICSON. Nimmst du denn an, dass die MaterieWirklichkeit sei? Nimmst du ferner an, dass dieMaterie in den unkörperlichen Dingen mit derWirklichkeit zusammenfalle?

TEOFILO. Grade so wie das Seinkönnen mit demSein zusammenfällt.

DICSON. Sie unterscheidet sich also nicht von derForm? Teo. In dem absoluten Vermögen und derabsoluten Wirklichkeit durchaus nicht, welche des-halb Lauterkeit, Einfachheit, Untheilbarkeit undEinheit im höchsten Grade ist, weil sie auf absoluteWeise alles ist. Hätte sie bestimmte räumlicheRichtungen, bestimmtes Dasein, bestimmte Ge-stalt, bestimmte Eigenthümlichkeit, bestimmtenUnterschied, so würde sie eben nicht absolut, nichtalles sein.

DICSON. Jegliches also, was irgend eine beliebige

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Gattung umfasst, ist ein Untheilbares?TEOFILO. Gewiss; denn die Form, welche alle Qua-

litäten umfasst, ist keine einzige von ihnen; wasalle Gestalten hat, hat keine von ihnen, was allesinnliche Existenz hat, wird deshalb gar nicht sinn-lich wahrgenommen. In höherem Sinne ein Untheil-bares ist das, was alles natürliche Sein hat; in nochhöherem Sinne das, was alles intelligible Sein hat;im allerhöchsten Sinne das, was alles Sein hat, wases überhaupt geben kann.

DICSON. Nehmt ihr an, dass es nach Analogie dieserStufenleiter des Seins eine Stufenleiter des Sein-könnens gebe, und dass wie der formale Grund soauch der materielle Grund höher und höher empor-steige?

TEOFILO. Grade so.DICSON. Tief und hoch zugleich fasst ihr diesen Be-

griff von Materie und Vermögen.TEOFILO. Gewiss.DICSON. Aber diese Wahrheit wird nicht von allen

verstanden werden können; denn es ist immerhinschwer, die Art und Weise zu fassen, wie etwasalle Arten von räumlicher Ausdehnung und keinevon ihnen, alles formale Sein und keines habenkann. Teo. Seht denn ihr die Möglichkeit ein?

DICSON. Ich glaube, ja; denn ich verstehe ganzwohl, dass die Wirklichkeit, um alles zu sein, nicht

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etwas bestimmtes sein darf.POLIINNIO. Non potest esse idem totum et aliquid;

so viel capire ich auch davon.TEOFILO. Also werdet ihr zur Sache auch so viel be-

greifen können, dass selbst wenn wir die Ausdehn-barkeit im Räume als das Wesen der Materie set-zen wollten, ein solcher Begriff keiner Art von Ma-terie widerstreiten würde; aber dass sich wohl eineMaterie von einer andern bloss durch die Freiheitvon räumlicher Ausdehnung und durch die Gebun-denheit an dieselbe unterscheiden würde. Ist siefrei, so steht sie über allen Arten der Ausdehnungund begreift sie alle; ist sie contrahirt, so wird sievon einigen derselben begriffen und existirt untereinigen derselben.

DICSON. Ihr sagt mit Recht, dass die Materie an sichkeine bestimmte Ausdehnung im Räume hat, dasssie deshalb als untheilbar aufgefasst wird und dieArt ihrer Ausdehnung erst entsprechend der Artvon Form erhält, welche sie annimmt. Sie hat eineandere Art von Ausdehnung unter der menschli-chen, eine andere unter der Pferdeform, eine andereals Oelbaum und eine andere als Myrthe; bevor siealso unter irgend einer dieser Formen ist, hat sieder Anlage nach alle diese Ausdehnungen, gradewie sie das Vermögen hat, alle jene Formen anzu-nehmen.

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152Bruno: Von der Ursache, dem Princip und dem Einen

POLIINNIO. Man judiciret jedoch eben derohalben,dass sie gar keine Art von Dimensionibus habe.

DICSON. Und wir sagen, dass sie deshalb keine hat,um alle zu haben.

GERVASIO. Warum zieht ihr den Ausdruck, dass siesie alle einschliesse, dem andern vor, das sie siealle ausschliesse ?

DICSON. Weil sie die Ausdehnung nicht wie vonaussen aufnimmt, sondern sie wie aus ihrem Schoo-sse heraufsendet und hervortreibt.

TEOFILO. Sehr gut bemerkt. Uebrigens ist dies eineauch bei den Peripatetikern gewöhnliche Aus-drucksweise, dass sie nämlich alle Wirklichkeiträumlicher Ausdehnung und alle Formen aus demVermögen der Materie hervorgehen und abstam-men lassen. Dies erkennt zum Theil Averroes an,der, obgleich Araber und des Griechischen unkun-dig, dennoch innerhalb der peripatetischen Lehremehr Einsicht hatte als irgend ein Grieche, den wirgelesen haben, und noch mehr verstanden habenwürde, wenn er nicht seinem Götzen Aristoteles sosclavisch ergeben gewesen wäre. Er lehrt, die Ma-terie umfasse in ihrer Wesenheit die Ausdehnung inunbegrenzter Weise; er will damit bezeichnen, dassdiese sich bald mit dieser Figur und diesen Ausdeh-nungen, bald mit jener andern Figur und jenen an-dern Ausdehnungen begränzen, je nachdem die in

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der Natur vorhandenen Formen wechseln. Aus die-ser Auffassung ergiebt sich, dass die Materie siegleichsam aus sich entlässt, nicht von aussen auf-nimmt, Dies meinte zum Theil auch Plotinus, einHaupt der Platoniker. Dieser unterscheidet zwi-schen einer Materie der höheren und einer Materieder niedern Dinge und behauptet dann, dass jenealles insgesammt sei und, da sie alles besitze, kei-ner Veränderung zugänglich sei; diese aber in be-stimmter Reihenfolge in Bezug auf ihre Theile zuallem und nach und nach zu immer anderem werde,und deshalb an ihr immer Verschiedenheit, Verän-derung und Bewegung erscheine. So ist denn jeneMaterie niemals formlos, so wenig wie diese es ist;doch beide in verschiedenem Sinne: jene im Mo-mente der Ewigkeit, diese in zeitlichen Momenten;jene auf einmal, diese successiv; jene in unaufge-schlossener, diese in entfalteter Weise; jene alseines, diese als eine Vielheit; jene als Alles undJegliches, diese in der Einzelheit und Ding fürDing.

DICSON. Ihr wollt also nicht nur aus euren eigenenPrincipien, sondern auch aus denen der andern phi-losophischen Schulen erweisen, dass die Materienicht jenes prope nihil, jenes reine, nackte Vermö-gen ohne Wirklichkeit, ohne Kraft und Energie sei.

TEOFILO. So ist es. Sie ist nach mir, der formen

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beraubt und ohne dieselben, nicht so, wie das Eisohne Wärme, der Abgrund des Lichtes beraubt ist,sondern so, wie eine Schwangere noch ohne ihreLeibesfrucht ist, die sie erst aus sich entlassen undfreigeben soll, oder wie die Erde auf dieser Halbku-gel in der Nacht ohne Licht ist, es aber durch ihreUmdrehung wiederzuerlangen das Vermögen hat.

DICSON. Da sieht man, wie auch in diesen niedernDingen, wenn nicht durchaus, doch in hohemGrade die Wirklichkeit mit dem Vermögen zusam-menfällt.

TEOFILO. Darüber zu urtheilen, überlasse ich euch.DICSON. Und wenn dieses niedere Vermögen

schliesslich mit dem oberen eins wäre, wie dann?TEOFILO. Urtheilt ihr! Ihr könnt von hier zu der

Vorstellung aufsteigen, - ich meine nicht des aller-höchsten und besten Princips, welches von unsererBetrachtung ausgeschlossen bleibt, - sondern derWeltseele, wie sie die Wirklichkeit von allem unddas Vermögen von allem und alles in allem ist. Zu-gegeben daher, dass es unzählige Individuen gebe:zuletzt ist alles eins, und das Erkennen dieser Ein-heit bildet Ziel und Grenze aller Philosophie undaller Naturbetrachtung; während die höhere Be-trachtung, welche über die Natur hinaus sich er-bebt, innerhalb ihres Gebietes bestehen bleibt, diefür den der nicht glaubt doch etwas unmögliches

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und nichtiges ist.DICSON. Sehr wahr; denn dahin erhebt man sich

durch ein übernatürliches, nicht, durch ein natürli-ches Licht.

TEOFILO. Dasselbe haben diejenigen nicht, welchealles für körperlich halten, entweder für einfacheKörper wie den Aether, oder für zusammengesetztewie die Sterne und was zu ihnen gehört, und wel-che die Gottheit nicht ausserhalb der unendlichenWelt und der unendlichen Dinge, sondern innerhalbjener und in diesen suchen.

DICSON. Darin allein scheint mir der gläubige Theo-log von dem wahren Philosophen unterschieden.

TEOFILO. So denke ich auch. Ich glaube, ihr habtmeine Meinung verstanden.

DICSON. Sehr gut, deucht mir; daher schliesse ichaus eurer Rede, dass wir selbst dann, wenn wir dieMaterie immer nur auf die Naturerscheinungen be-schränken und bei ihrer gebräuchlichen Definition,wie sie die landläufige Philosophie beibringt, festbestehen bleiben, dennoch finden werden, dass sieeinen höheren Rang behauptet, als diese ihr zuer-kennt. Denn sie gesteht ihr schliesslich doch nichtsanderes zu, als die Eigenschaft, Substrat der For-men, ein für die Formen der Natur empfänglichesVermögen ohne Namen, ohne Bestimmtheit, ohneirgend welche Begrenzung, weil ohne alle

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Actualität zu sein. Dies schien einigen Männern imMönchsgewande schwierig, welche in der Absicht,diese Lehre nicht etwa zu verklagen, sondern sie zuentschuldigen, der Materie nur eine »entitative«Wirklichkeit zuschreiben, d.h. eine solche, die vondem, was schlechthin nichts ist und in der Naturkeinerlei Existenz hat, wie ein Hirngespinst odersonst ein erdichtetes Ding, doch noch verschiedensei. Denn diese Materie hat schliesslich das Sein,und dies genügt ihr so auch ohne bestimmte Be-schaffenheit und ohne die Würdigkeit, welche vonder bei ihr nicht vorhandenen Actualität abhängt.Aber ihr würdet von Aristoteles Rechenschaft ver-langen: Warum nimmst du, o Fürst der Peripateti-ker, lieber an, dass die Materie nichts sei, weil siekeine Wirklichkeit habe, als dass sie alles sei, weilsie alle Arten der Wirklichkeit hat, habe sie nundieselben in verworrener oder verworrenster Weisein sich, wie es dir gefällig ist? Bist du nicht ebender, der immer, wenn er von dem Entstehen derFormen in der Materie oder von der Erzeugung derDinge spricht, behauptet, dass die Formen aus demInnern der Materie hervorspriessen und frei wer-den, und den man niemals sagen hörte, dass sievermittelst der bewirkenden Ursache von aussenkommen, sondern dass diese sie aus dem Innernhervorlocke? Ich sehe davon ab, dass du die

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bewirkende Ursache derjenigen Erscheinungen, diedu mit gemeinsamem Namen Natur nennst, doch zueinem innern, und nicht zu einem äussern Principmachst, wie es bei den durch die Kunst erzeugtenDingen der Fall ist. In dem Falle nun, scheint mir,muss man ihr jede Form und Wirklichkeit bestrei-ten, nämlich wenn sie sie von aussen aufnimmt; indem Falle, scheint mir, muss man sie ihr alle zu-schreiben, wenn sie sie alle aus ihrem eigenenSchoosse hervortreiben soll. Bezeichnest nichtgrade du, wenn nicht durch die Vernunft gezwun-gen, doch durch die Gewohnheit im Sprechen ge-trieben, bei der Begriffsbestimmung der Materiedieselbe vielmehr als das, aus dem jede natürlicheArt entspringt, als dass du jemals gesagt hättest, siesei das, an dem alles wird, wie man sich doch aus-drücken müsste, wenn die Arten der Wirklichkeitnicht aus ihr hervorgingen und sie sie folglich auchnicht in sich hätte?

POLIINNIO. Freilich pflegt Aristoteles mit den Sei-nigen zu sagen, dass die Formae vielmehr aus derPotentia der Materia educiret, als in dieselbe indu-ciret werden, dass sie vielmehr aus ihr emergiren,als in selbige ingeriret werden: aber ich möchte be-haupten, dass es dem Aristoteles beliebet hat, alsActus vielmehr die Explicatio der Form und nichtdie Implicatio derselbigen zu bezeichnen.

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DICSON. Und ich sage, dass etwas ausdrückliches,sinnlich wahrnehmbares und entfaltetes zu sein,nicht der wesentliche Grund der Wirklichkeit, son-dern nur etwas aus ihr folgendes und durch sie be-wirktes ist, sowie das Wesen des Holzes und derGrund seiner Wirklichkeit nicht darin besteht, dasses Bett ist, sondern darin, dass es von einer solchenSubstanz und Beschaffenheit ist, dass es Bett,Bank, Balkon, Götzenbild und jegliches sein kann,was aus Holz geformt wird. Nicht davon zu reden,dass aus der Materie der Natur alle natürlichenDinge auf höhere Weise entstehen als aus der Ma-terie der Kunst alle künstlichen Dinge. Denn dieKunst ruft aus der Materie die Formen hervor ent-weder durch Wegnahme, wie wenn man aus demSteine eine Steine macht, oder durch Hinzufügung,wie wenn man ein Haus baut, indem man Stein zuStein und Holz zu Erde zusammenfügt. Die Naturhingegen macht aus ihrer Materie alles auf demWege der Scheidung, der Geburt, des Ausfliessens,wie es die Pythagoreer, wie es Anaxagoras und De-mokritus sich dachten und die Weisen Babyloniensbestätigten, deren Meinung auch Moses sich an-schloss. Denn wenn er die von der universellen be-wirkenden Ursache befohlene Erzeugung der Dingebeschreiben will, drückt er sich folgendermaassenaus: »Es bringe die Erde ihre Thiere hervor«; »es

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bringen die Gewässer die lebenden Seelen hervor«;als ob er sagen wollte: es bringe sie die Materiehervor. Denn ihm zufolge ist das Materialprincipder Dinge das Wasser. Deshalb sagt er, dass diewirkende Vernunft, die er Geist nennt, über denWassern schwebte, d.h. ihnen hervorbringendeKraft mittheilte und aus ihnen die natürlichen For-men erzeugte, die er hernach alle ihrer Substanznach Gewässer nennt. Deshalb sagt er, von derScheidung der niederen und höheren Körper spre-chend, die Vernunft habe Gewässer von Gewässerngeschieden, und aus deren Mitte lässt er dasTrockene erschienen sein. Alle wollen also, dassdie Dinge aus der Materie auf dem Wege der Schei-dung und nicht auf dem der Hinzufügung und derAufnahme von aussen kommen. Deshalb müssteman vielmehr sagen, dass die Materie die Formenenthält und einschliesst, als sich vorstellen, sie seiderselben baar und schliesse sie aus. Weil sie alsoentfaltet, was sie unentfaltet enthält, darum mussman sie ein Göttliches, die gütigste Ahnfrau, dieGebärerin und Mutter der natürlichen Dinge, ja derSubstanz nach die ganze Natur selber nennen.Nicht wahr, das behauptet ihr und das ist eure Mei-nung, Teofilo?

TEOFILO. Grade dies.DICSON. Ja, ich wundere mich sehr, dass unsere

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Peripatetiker die Analogie der Kunst nicht weiterdurchgeführt haben. Aus vielen Materien, die siekennt und behandelt, erachtet die Kunst diejenigefür besser und werthvoller, welche weniger der Zer-störung ausgesetzt und hinsichtlich der Dauer be-ständiger ist, und aus welcher sich mehr Dinge er-zeugen lassen. Deshalb gilt derselben Gold füretwas edleres als Holz, Stein und Eisen, weil es derZerstörung weniger ausgesetzt ist, und weil seinerSchönheit, Beständigkeit, Formbarkeit und Vor-trefflichkeit wegen dasselbe was aus Holz undStein auch aus Gold gemacht werden kann, abernoch vieles andere ausserdem und zwar Grösseresund Besseres. Was sollen wir also von jener Mate-rie sagen, aus der der Mensch, das Gold und alleDinge der Natur gebildet werden? Muss sie nichtfür werthvoller erachtet werden als die Materie derKunst, und eine höhere Art von Wirklichkeit besit-zen? Warum denn, o Aristoteles, willst du nicht,dass das, was aller Wirklichkeit, ich meine alleswirklich Existirenden, Fundament und Träger ist,und was nach dir immer ist, was ewig dauert:warum willst du nicht, dass dies in höherem Sinnewirklich sei als deine Formen, deine Entelechien,die da kommen und gehen? Wenn du doch diesemFormalprincip gleichfalls Dauer zusprechen woll-test ...

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POLIINNIO. Weil es nothwendig ist, dass die Princi-pia ewiglich permaniren.

DICSON. ... zu den phantastischen »Ideen« Platos,die dir doch so sehr zuwider sind, kannst du dochdeine Zuflucht nicht nehmen - so würdest du alsoentweder zu der Erklärung gezwungen oder ge-nöthigt sein, diese specifischen Formen hätten ihredauernde Actualität in der Hand der bewirkendenUrsache - und so kannst du nicht sagen, da geradedu die wirkende Ursache als diejenige fasst, die dieFormen aus dem Vermögen der Materie selber er-weckt und auslöst, - oder zu der andern, sie hättenihre dauernde Wirklichkeit im Schooss der Mate-rie, - und so allerdings wirst du nothwendigerweisesagen müssen. Denn alle Formen, die nur gleich-sam auf ihrer Oberfläche erscheinen, - du nennst sieindividuell und in actu, - sowohl die, welche waren,als die, welche sind und sein werden, sind vomPrincip gesetzt, nicht selbst Principien. Und ge-wiss, ich glaube, dass die particuläre Form geradeso auf der Oberfläche der Materie erscheint, wiedas Accidens auf der Oberfläche der zusammenge-setzten Substanz. Deshalb muss im Vergleich zurMaterie die in ihr ausgeprägte Form eben so einegeringere Art von Actualität haben, wie die acci-dentielle Form eine geringere Art von Actualität hatim Vergleich mit der zusammengesetzten Substanz.

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TEOFILO. In der That, es ist eine armselige Ent-scheidung des Aristoteles, wenn er übereinstim-mend mit allen antiken Philosophen behauptet, diePrincipien müssten ewige Dauer haben, und dann, -wenn wir in seiner Lehre suchen, wo denn nun dienatürliche Form, welche auf dem Rücken der Mate-rie hin und her fluthet, ihre beständige Dauer habe,so werden wir sie nicht in den Fixsternen finden, -denn diese Einzelwesen, die wir sehen, steigennicht aus ihrer Höhe herab, - nicht in den ideellenvon der Materie getrennten Typen - denn diese sindjedenfalls, wenn nicht Missgeburten, schlimmer alsdas, ich meine Hirngespinste und leere Einbildun-gen, Wie also? Sie sind im Schoosse der Materie.Und dann? Die Materie ist also die Quelle der Ac-tualität. Wollt ihr, dass ich euch noch mehr sage,und euch zeige, in welchen Abgrund von Absurdi-tät Aristoteles gerathen ist? Er behauptet, die Mate-rie sei dem Vermögen nach. Fragt ihn also, wannsie in Wirklichkeit sein werde. Der grosse Haufewird mit ihm selbst antworten: Wenn sie die Formhaben wird. Nun fahre fort und frage weiter: wasist denn das, was nun sein Sein neu bekommenhat? Sie werden sich selber zum Trotz antworten:Das Zusammengesetzte und nicht die Materie; denndiese ist immer sie selber, sie erneut, sie verändertsich nicht; wie wir bei den durch Kunst erzeugten

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Dingen, wenn aus Holz eine Statue gemacht wor-den ist, nicht sagen, dass dem Holze ein neues Seinzu Theil wird, - denn es ist jetzt um nichts mehroder weniger Holz, als es dies früher war; - sondernwas Sein und Wirklichkeit empfängt, ist das waserst neu hervorgebracht wild, das Zusammenge-setzte, d.h. die Statue. Nun denn, wie könnt ihrdem die Möglichkeit zuschreiben, was niemals inWirklichkeit sein oder Wirklichkeit haben wird ?Also nicht die Materie ist im Zustande des Vermö-gens oder des Seinkönnens; denn sie ist immer die-selbe und unveränderlich, und sie ist das, in Bezugauf welches und an welchem die Veränderung ge-schieht, nicht selber das, was sich verändert. Daswas sich verändert, sich vermehrt und vermindert,den Ort wechselt, untergeht, ist nach euch, den Pe-ripatetikern selber, immer das Zusammengesetzte,niemals die Materie; warum also sagt ihr, die Ma-terie sei jetzt dem Vermögen, jetzt der Wirklichkeitnach? Sicher darf niemand zweifeln, dass sie wederdurch Annahme der Formen, noch durch Entlassenderselben aus sich, in Bezug auf ihre Wesenheitund Substanz, weder eine grössere noch eine gerin-gere Art von Wirklichkeit empfängt, und dass des-halb keinerlei Grund ist, weshalb man sagen könn-te, sie sei dem Vermögen nach. Dies passt vielmehrauf das, was an ihr in beständiger Bewegung ist,

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nicht auf sie, die in ewiger Ruhe, ja vielmehr dieUrsache der Ruhe ist. Denn wenn die Form ihremfundamentalen und specifischen Sein nach von ein-facher und unveränderlicher Wesenheit ist, nichtnur in logischem Sinne in der Vorstellung und demBegriff, sondern auch in physischem Sinne in derNatur, so wild sie in der beständigen Anlage derMaterie sein müssen; diese aber ist ein von derWirklichkeit ununterschiedenes Vermögen, wie iches auf viele Weisen dargelegt habe, indem ich vondem Vermögen so viele Male gehandelt habe.

POLIINNIO. Ich bitt' euch, sagt nun auch etwas vondem Appetitus der Materia, damit wir über einengewissen Streit zwischen mir und Gervasio eineResolution gewinnen.

GERVASIO. Ich bitt' euch, thut's, Teofilo; denn die-ser hat mir den Kopf mit der Analogie zwischendem Weib und der Materie wüst gemacht; dasWeib ersättige sich eben so wenig an Männern, alsdie Materie an Formen, und in dem Stile weiter.

TEOFILO. Wenn doch die Materie nichts von derForm empfängt, warum nehmt ihr denn an, dass sieetwas begehre? Wenn sie, wie wir gesagt haben,die Formen aus ihrem Schooss entlässt, und folg-lich dieselben in sich hat, wie wollt ihr, dass sie siebegehre? Sie begehrt nicht jene Formen, die sichtäglich auf ihrem Rücken andern. Denn jedes wohl

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eingerichtete Ding begehrt das, wovon es eine För-derung empfängt. Was kann ein vergänglichesDing einem ewigen geben? ein unvollkommnes,wie es die immer in Bewegung befindliche Formder sinnenfälligen Dinge ist, einem anderen so voll-kommnen, dass es, recht aufgefasst, etwas göttli-ches in den Dingen ist? Dies letztere vielleichtwollte David von Dinanto sagen, den einige, dieüber seine Meinung berichten, übel verstandenhaben. Sie begehrt sie nicht, um von jener in ihremSein erhalten zu worden; denn das Vergängliche er-hält nicht das Ewige; vielmehr erhält offenbar dieMaterie die Form. Deshalb muss manche Formvielmehr die Materie begehren, um Dauer zu erlan-gen; denn wenn sie sich von jener trennt, verliertsie das Sein und nicht jene, die alles das hat, wassie hatte, bevor jene da war, und die auch anderehaben kann. Ausserdem, wenn die Ursache der Zer-störung angegeben wird, so sagt man nicht, dassdie Form die Materie flieht oder verlässt, sondernvielmehr dass die Materie diese Form abwirft, umeine andere anzunehmen. Ueberdies haben wirnicht besseren Grund zu sagen, dass die Materiedie Formen begehre, als im Gegentheil dass sie siehasse; - ich spreche von denen, die entstehen undvergehen. - Denn die Quelle der Formen kann nichtbegehren, was in ihr ist, da man doch nicht begehrt,

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was man schon besitzt; denn mit eben so gutemGrunde, wie man sagt, dass sie das begehrt, was siemanchmal empfängt oder hervorbringt, kann manauch sagen, wenn sie abwirft und beseitigt, dass siees verabscheut, ja viel mächtiger verabscheut, alsbegehrt, da sie doch diese einzelne Form, die siefür kurze Zeit festgehalten hat, für ewig abwirft.Wenn du dich also dessen erinnerst, dass sie soviele Formen als sie annimmt, auch abwirft, somusst da mir gleicherweise auch erlauben zu sagen,dass sie einen Widerwillen gegen sie hat, wie ichdich sagen lasse, dass sie eine Sehnsucht nachihnen hat.

GERVASIO. Nun sieh, da lägen ja die Festungennicht nur des Poliinnio, sondern auch anderer Leuteals er zu Boden.

POLIINNIO. Parcius ista viris!DICSON. Wir haben für heute genug gelernt. Auf

Wiedersehn morgen!TEOFILO. Lebt denn wohl!

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Fünfter Dialog

TEOFILO, So ist denn also das Universum ein Eini-ges, Unendliches, unbewegliches. Ein Einiges, sageich, ist die absolute Möglichkeit, ein Einiges dieWirklichkeit; ein Einiges die Form oder Seele, einEiniges die Materie oder der Körper; ein Einigesdie Ursache; ein Einiges das Wesen, ein Einigesdas Grösste und Beste, das nicht soll begriffenworden können, und deshalb Unbegrenzbare undUnbeschränkbare und insofern Unbegrenzte undUnbeschränkte, und folglich Unbewegliche. Diesbewegt sich nicht räumlich, weil es nichts aussersich hat, wohin es sich begeben könnte; ist es dochselber alles. Es wird nicht erzeugt, denn es ist keinanderes Sein, welches es ersehnen oder erwartenkönnte; hat es doch selber alles Sein. Es vergehtnicht; denn es giebt nichts anderes, worin es sichverwandeln könnte, - ist es doch selber alles. Eskann nicht ab- noch zunehmen, - ist es doch einUnendliches, zu dem einerseits nichts hinzukom-men, von dem andererseits nichts hinweggenom-men werden kann, weil das Unendliche keine ali-quoten Theile hat. Es ist nicht veränderlich zu an-derer Beschaffenheit; denn es hat nichts äusseres,von dem es leiden und afficirt werden könnte.

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Ferner indem es in seinem Sein alle Gegensätze inEinheit und Harmonie umfasst und keine Hinnei-gung zu einem andern und neuen Sein oder doch zueiner andern und wieder andern Art des Seinshaben kann: so kann es nicht Substrat der Bewe-gung gemäss irgend einer Eigenschaft sein, nochanderem gegenüber etwas entgegengesetztes oderverschiedenes haben: denn in ihm ist alles in Ein-tracht. Es ist nicht Materie, denn es ist nicht gestal-tet noch gestaltbar, nicht begrenzt noch begrenzbar.Es ist nicht Form, denn es formt und gestaltet nichtanderes - es ist ja alles; es ist das Grösste, ist einsund universell. Es ist nicht messbar und misstnicht. Es umfasst nicht, denn es ist nicht grösser alses selbst; es wird nicht umfasst, denn es ist nichtkleiner als es selbst. Es wird nicht verglichen; dennes ist nicht eins und ein anderes, sondern eins unddasselbe. Weil es eins und dasselbe ist, so hat esnicht ein Sein und noch ein Sein, und weil es diesnicht hat, so hat es auch nicht Theile und wiederTheile, und weil es diese nicht hat, so ist es nichtzusammengesetzt. So ist es denn eine Grenze, dochso dass es keine ist; es ist Form, doch so dass esnicht Form ist; es ist so Materie, dass es nicht Ma-terie ist; es ist so Seele, dass es nicht Seele ist;denn es ist alles ununterschieden, und deshalb istes Eines; das Universum ist Eines. In ihm ist

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sicherlich die Höhe nicht grösser als die Länge undTiefe; deshalb wird es auf Grund einer gewissenAnalogie eine Kugel genannt, es ist aber keineKugel. In der Kugel ist die Länge dasselbe wieBreite und Tiefe, weil sie dieselbe Begrenzunghaben; in dem Universum aber ist Breite, Längeund Tiefe dasselbe, weil sie auf dieselbe Weisekeine Begrenzung haben und unendlich sind.Haben sie keine Hälfte, kein Viertel und kein ande-res Maass, giebt es also hier überhaupt kein Maass,so ist hier auch kein aliquoter Theil, also überhauptkein Theil, der von dem Ganzen verschieden wäre.Denn wenn du von einem Theil des Unendlichensprechen willst, so musst du ihn unendlich nennen;wenn er unendlich ist, so kommt er mit dem Gan-zen in einem Sein zusammen: mithin ist das Uni-versum ein Einiges, Unendliches, Untheilbares.Und wenn sich im Unendlichen kein Unterschiedwie zwischen dem Ganzen und einem Theil, vonEtwas und Anderem findet: so ist sicher das Un-endliche ein Einiges. Innerhalb des Unendlichen istkein grösserer und kein kleinerer Theil; denn demVerhältniss des Unendlichen nähert sich ein nochso viel grösserer Theil nicht mehr an, als ein nochso viel kleinerer, und deshalb ist in der unendlichenDauer die Stunde nicht vom Tage, der Tag nichtvom Jahr, das Jahr vom Jahrhundert, das

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Jahrhundert vom Moment verschieden; denn dieAugenblicke und die Stunden haben nicht meinSein als die Jahrhunderte, und jene haben zurEwigkeit kein geringeres Verhältniss als diese. Aufgleiche Weise ist im unermesslichen Raum der Zollnicht verschieden vom Fuss, der Fuss von derMeile; denn dem Verhältniss der Unermesslichkeitnähert man sich in Meilen nicht mehr an als in Zol-len. Deshalb sind unendlich viele Stunden nichtmehr als unendlich viele Jahrhunderte, und unend-lich viele Zolle keine grössere Menge als unendlichviele Meilen. Dem Verhältniss, dem Gleichniss,der Vereinigung und Identität mit dem Unendlichennäherst du dich nicht mehr, indem du Mensch bist,als wenn du Ameise, nicht mehr wenn du Stern, alswenn du Mensch bist: denn jenem Sein rückst dunicht näher, wenn da Sonne oder Mond, als wenndu Mensch oder Ameise bist; und deshalb sinddiese Dinge im Unendlichen ununterschieden. Wasich nun von diesen sage, meine ich ebenso vonallen andern Dingen, die als Einzelwesen existiren.Wenn nun alle diese besonderen Dinge im Unendli-chen nicht eins und ein anderes, nicht verschieden,nicht Arten sind, so haben sie in nothwendigerFolge auch keine Zahl: also ist das Universum wie-derum ein einiges Unbewegliches. Weil es allesumfasst und nicht ein Sein und noch ein anderes

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Sein erleidet, und weder mit sich noch in sich ir-gend eine Veränderung erfährt, so ist es demzufol-ge alles das was es sein kann, und es ist in ihm wieich neulich sagte die Wirklichkeit nicht vom Ver-mögen verschieden. Ist dem aber so, so muss noth-wendig in ihm der Punkt, die Linie, die Fläche undder Körper nichts verschiedenes sein. Denn dannist jene Linie Fläche, da die Linie, indem sie sichbewegt, Fläche sein kann; dann ist jene Fläche be-wegt und ein Körper geworden, da die Fläche sichbewegen und durch ihre Bewegung zum Körperwerden kann. Also kann nothwendigerweise derPunkt im Unendlichen nicht verschieden sein vomKörper; denn der Punkt wird vom Punktsein sichlosreissend zur Linie, vom Liniesein sich losrei-ssend zur Fläche, vom Flächesein sich losreissendzum Körper: da also der Punkt das Vermögen hat,Körper zu sein, so ist er, wo Vermögen und Wirk-lichkeit eins und dasselbe ist, vom Körper nichtverschieden. Mithin ist das Untheilbare nicht ver-schieden vom Theil baren, das Einfachste nichtvom Unendlichen, der Mittelpunkt nicht vom Um-fang. Weil also das Unendliche alles ist, was essein kann, so ist es unbeweglich; weil in ihm allesununterschieden ist, so ist es eins; und weil es alleGrösse und Vollkommenheit hat, die etwas über-haupt haben kann, so ist es ein grösstes und bestes

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Unermessliches.Wenn der Punkt nicht vom Körper, der Mittelpunktnicht vom Umfang, das Endliche nicht vom Unend-lichen, das Grösste nicht vom Kleinsten verschie-den ist: so können wir mit Sicherheit behaupten,dass das Universum ganz Centrum oder das Cen-trum des Universums überall ist, und dass der Um-kreis nicht in irgend einem Theile, sofern derselbevom Mittelpunkt verschieden ist, sondern vielmehr,dass er überall ist; aber ein Mittelpunkt als etwasvon jenem verschiedenes ist nicht vorhanden. So istes denn nicht nur möglich, sondern sogar nothwen-dig, dass das Beste, Grösste, Unbegreifliche allesist, überall ist, in allem ist; denn als Einfaches undUntheilbares kann es alles, überall und in allemsein. Und also hat man nicht umsonst gesagt, dassZeus alle Dinge erfülle, allen Theilen des Univer-sums einwohne, der Mittelpunkt von dem sei, wasdas Sein hat, als eines in allem, und dass durch ihnEines Alles ist. Da er nun alles ist und alles Sein insich umfasst, so bewirkt er, dass Jegliches in Jegli-chem ist.Aber ihr werdet mir sagen: warum verändern sichdenn die Dinge? warum wird die geordnete Materiein immer andere Formen gezwängt? Ich antworte,dass alle Veränderung nicht ein anderes Sein, son-dern nur eine andere Art zu sein anstrebt. Und das

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ist der Unterschied zwischen dem Universum selberund den Dingen im Universum. Denn jenes fasstalles Sein und alle Arten zu sein; von diesen hatjegliches das ganze Sein, aber nicht alle Arten desSeins, und es kann nicht alle Bestimmungen undAccidentien in Wirklichkeit haben. Denn viele For-men sind nicht zugleich an demselben Substratmöglich, entweder weil sie entgegengesetzt sind,oder weil sie verschiedene Alten bezeichnen; sokann z.B. dasselbe individuelle Substrat nicht zu-gleich unter der Accidenz eines Pferdes und einesMenschen existiren oder die Baumausdehnungeiner Pflanze und die eines Thieres haben. Fernerumfasst das Universum alles Sein gänzlich; dennausserhalb und über dem unendlichen Sein istüberhaupt nichts, da es kein Aussen und kein Jen-seits für dasselbe giebt; von den Dingen im Univer-sum aber umfasst jedes alles Sein, aber nicht gänz-lich, weil jenseits eines jeden unendlich viel ande-res ist. So seht ihr ein, dass alles in allem ist, aberin Jeglichem nicht gänzlich und auf jegliche Weise.So seht ihr ein, wie jedes Ding eines ist, aber nichtauf einheitliche Weise. So tauscht sich nicht, werdas Seiende, die Substanz und das Wesen einesnennt; als unendlich und unbegrenzt sowohl derSubstanz als der Dauer nach, sowohl der Grosseals der Kraft nach hat es die Eigenschaft weder

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eines Princips noch eines Abgeleiteten; denn dajedes Ding in die Einheit und Identität einmündet,d.h. eins und dasselbe wird, so erlangt es die Ei-genschaft des Absoluten, nicht des Relativen. Indem einen Unendlichen, Unbeweglichen, d.h. derSubstanz, dem Wesen, findet sich die Vielheit, dieZahl; diese aber als Modus und als Vielgestaltig-keit des Wesens, welche Ding für Ding besondersbestimmt, macht deshalb doch nicht das Wesen zumehr als Einem, sondern nur zu einem vielartigen,vielgestaltigen und vielförmigen Wesen. Wenn wirdaher mit den Naturphilosophen in die Tiefe gehenund die Logiker mit ihren Einbildungen bei Seitelassen, so finden wir, dass alles, was Unterschiedund Zahl bewirkt, blosses Accidenz, blosse Ge-stalt, blosse Complexion ist. Jede Erzeugung, vonwelcher Art sie auch sei, ist eine Veränderung,während die Substanz immer dieselbe bleibt, weiles nur eine giebt, ein göttliches, unsterblichesWesen. Das hat Pythagoras wohl einzusehen ver-mocht, welcher den Tod nicht fürchtet, sondern nureine Verwandlung erwartet; alle die Philosophenhaben es einzusehen vermocht, die man gewöhnlichNaturphilosophen nennt, und welche lehren, dassnichts seiner Substanz nach entstehe oder vergehe:es sei denn dass wir auf diese Weise die Verände-rung bezeichnen wollen. Das hat Salomo

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eingesehen, welcher lehrt, dass es nichts neuesunter der Sonne gebe, sondern das was ist schonvorher war. Da seht ihr also, wie alle Dinge imUniversum sind und das Universum in allen Din-gen ist, wir in ihm, es in uns, und so alles in einevollkommene Einheit einmündet. Da seht ihr, wiewir uns nicht den Geist abquälen, wie wir um kei-nes Dinges willen verzagen sollten. Denn dieseEinheit ist einzig und stätig und dauert immer; die-ses eine ist ewig; jede Geberde, jede Gestalt, jedesandere ist Eitelkeit, ist wie nichts; ja, geradezunichts ist alles was ausser diesem Einen ist. Dieje-nigen Philosophen haben ihre Freundin, die Weis-heit, gefunden, welche diese Einheit gefundenhaben. Weisheit, Wahrheit, Einheit sind durchauseins und dasselbe. Dass das Wahre, das Eine unddas Wesen eins und dasselbe sind, haben viele zusagen gewusst, aber nicht alle haben's verstanden.Denn manche haben nur den Ausdruck sich ange-eignet, aber nicht das Verständniss der wahrhaftWeisen erreicht. Aristoteles unter den anderen, derdas Eine nicht fand, fand auch das Wesen nicht undnicht das Wahre. Denn er erkannte das Wesen nichtals Eines; und obgleich er freie Hand hatte, die Be-deutung des der Substanz und dem Accidenz ge-meinsamen Wesens zu erfassen und dann weiterhinseine Kategorieen mit Rücksicht auf die Vielheit

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der Gattungen und Arten durch ebenso viele Unter-schiede zu bestimmen, so ist er nichts desto weni-ger in die Wahrheit deshalb so wenig eingedrun-gen, weil er nicht bis zur Erkenntniss dieser Einheitund Ununterschiedenheit der bleibenden Natur unddes bleibenden Wesens hindurch gedrungen ist,und als ein recht seichter Sophist mit boshaftenAuslegungen und wohlfeilen Ueberredungskünstendie Meinungen der Alten verdreht und sich derWahrheit widersetzt hat, vielleicht nicht so sehr ausSchwäche der Einsicht, als aus Missgunst und Ehr-sucht.

DICSON. Also ist diese Welt, dieses Wesen, daswahre, das universelle, das unendliche, unermessli-che, in jedem seiner Theile ganz, und mithin dasUbique, die Allgegenwart selber. Was daher imUniversum ist, ist in Bezug auf das Universumnach dem Maasse seiner Fähigkeit überall, sei esauch was es wolle in Bezug auf die anderen beson-deren Körper. Denn es ist über, unter, innerhalb,rechts, links und nach allen räumlichen Unterschie-den; weil in dem ganzen Unendlichen alle dieseUnterschiede und keiner von ihnen sind. JedesDing, das wir im Universum ergreifen, umfasst,weil es das was alles in allem ist in sich hat, in sei-ner Art die ganze Weltseele, obschon nicht gänz-lich, wie wir oben gesagt haben, welche in jedem

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Theile desselben ganz ist. Wie daher die Wirklich-keit Eines ist und ein Sein bewirkt, wo es auch sei,so ist nicht zu glauben, dass es in der Welt eineMehrheit von Substanzen und von dem was wahr-haft Wesen ist gebe. Sodann weiss ich, dass ihr esals ausgemacht anseht, dass jede von allen den un-zähligen Welten, die wir im Universum sehen,darin nicht sowohl wie in einem sie umschliessen-den Räume und wie in einer Ausdehnung und aneinem Orte ist, sondern vielmehr wie in einer um-fassenden, erhaltenden, bewegenden, wirkendenKraft, welche von jeder unter diesen Welten ebensovollständig umfasst wird, wie die ganze Seele vonjedem Theile derselben. Mag daher auch immereine einzelne Welt sich auf die andere zu und umdieselbe drehen, wie die Erde zur Sonne und umdie Sonne: in Bezug auf das Universum bewegtsich doch nichts desto weniger keine auf dasselbezu, noch um dasselbe, sondern in demselben.Ferner nehmt ihr an, dass, wie die Seele auch nachder gewöhnlichen Ansicht in der ganzen grossenMasse ist, der sie das Sein giebt, und doch zugleichein Untheilbares und insofern auf dieselbe Weiseim Ganzen und in jeglichem Theile ganz ist, soauch das Wesen des Universums Eines ist im Un-endlichen und in jedem beliebigen Ding, dieses alsein Glied von jenem genommen: so dass in der

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That das Ganze und jeder Theil desselben der Sub-stanz nach eines ist. Deshalb habe es Parmenidesnicht unpassend Eines, unendlich, unbeweglich ge-nannt, sei es auch mit seiner Ansicht sonst wie eswolle, welche unsicher, weil von einem nicht hin-länglich zuverlässigen Berichterstatter überliefertist. Ihr lehrt, dass alle die Unterschiede, die man anden Körpern wahrnimmt in Bezug auf Form, Be-schaffenheit, Gestalt, Farbe und anderes, was ein-zelnen eigenthümlich oder vielen gemeinsam ist,nichts anderes sind als die verschiedenen Erschei-nungsweisen einer und derselben Substanz, dieschwankende, bewegliche, vergängliche Erschei-nung eines unbeweglichen, verharrenden und ewi-gen Wesens, in dem alle Formen, Gestalten undGlieder sind, aber in unterschiedenem und gleich-sam ineinandergewickeltem Zustande, gerade wieim Samen der Arm noch nicht von der Hand, derRumpf nicht vom Kopf, die Sehne nicht vom Kno-chen geschieden ist. Was aber durch die Sonderlingund Scheidung erzeugt wird, das ist nicht eine neueund andere Substanz; sondern sie bringt nur ge-wisse Eigenschaften, unterschiede, Accidentien undAbstufungen an jener Substanz zur Wirklichkeitund Erfüllung. Was man nun vom Samen mitBezug auf die Glieder des Thieres sagt, dasselbesagt man von der Nahrung mit Rücksicht auf die

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Daseinsform als Nahrungssaft, Blut, Schleim,Fleisch, Samen; dasselbe von jedem andern Dinge,welches ist, ehe es noch Speise oder etwas andereswird; dasselbe von allen Dingen, indem wir vonder untersten bis zur höchsten Stufe der Natur, vondem physischen Universum, welches von den Phi-losophen erkannt wird, zu der Hoheit des Urbildesaufsteigen, welches von den Theologen geglaubtwird, wenn du's gelten lässt, bis man zu der einenursprünglichen und universellen, allem gemeinsa-men Substanz gelangt, die so das Wesen, das Fun-dament aller verschiedenen Arten und Formenheisst, wie in der Kunst des Zimmermanns es eineSubstanz, das Holz, giebt, welche für alle Maasseund Gestalten, die selbst nicht Holz, aber vonHolz, im Holz, am Holz sind, als Substrat dient.Alles daher, was Verschiedenheit von Gattungen,Arten, was Unterschiede, Eigenthümlichkeiten be-wirkt; alles was im Entstehen, Vergehen, in Verän-derung und Wechsel existirt, ist nicht Wesen, nichtSein, sondern Unistand und Bestimmung an Wesenund Sein; dieses aber ist ein einiges, unendliches,unbewegliches Substrat, Materie, Leben, Seele,Wahres und Gutes. Weil das Wesen untheilbar undschlechthin einfach ist, - weil es unendlich undganz Wirklichkeit ist, ganz in allem und ganz injedem Theile, so dass wir von Theilen im

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Unendlichen reden, nicht von Theilen des Unendli-chen, - deshalb ist es eure Meinung, dass wir inkeiner Weise die Erde als einen Theil des Wesens,die Sonne als einen Theil der Substanz ansehenkönnen, da diese untheilbar ist; aber wohl ist es er-laubt, von der Substanz des Theiles oder besservon der Substanz in dem Theile zu sprechen, gradewie man nicht sagen darf, dass ein Theil der Seeleim Arme, ein anderer im Kopfe ist, aber ganz wohl,dass die Seele in dem Theil, welcher Kopf ist, dasssie die Substanz des Theiles, oder in dem Theileist, welcher Arm ist. Denn Theil, Stück, Glied,Ganzes, so viel als, grösser, kleiner, wie dies, wiejenes, als dies, als jenes, übereinstimmend, ver-schieden und andere Beziehungen drücken nicht einAbsolutes aus und können sich deshalb nicht aufdie Substanz, auf das Eine, Aas Wesen beziehen,sondern nur vermittelst der Substanz an dem Einenund an dem Wesen als Modi, Beziehungen undFormen sein, wie man gemeinhin sagt, dass aneiner Substanz die Quantität, Qualität, Relation,das Wirken, Leiden und andere Arten von Umstän-den sind. Solchergestalt ist das eine höchsteWesen, in welchem Wirklichkeit und Vermögenungeschieden sind, welches auf absolute Weisealles sein kann und alles das ist, was es sein kann,in unentfalteter Weise ein Einiges, Unermessliches,

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Unendliches, was alles Sein umfasst; in entfalteterWeise dagegen ist es in den sinnlich wahrnehmba-ren Körpern und in der Trennung von Vermögenund Wirklichkeit, wie wir sie in ihnen wahrneh-men. Deshalb ist es eure Ansicht, dass das, was er-zeugt ist und erzeugt, sei es nun, um in der Rede-weise der herkömmlichen Philosophie zu reden, einanders benanntes oder ein gleichbenanntes Agens,und das, woraus erzeugt wird, immer von einer undderselben Substanz sind. Deshalb wird die Mei-nung des Heraklit eurem Ohr nicht übel klingen,welcher behauptete, alle Dinge seien ein Einiges,das vermöge der Veränderlichkeit alle Dinge insich habe; und weil alle, Formen in ihm seien, sokommen ihm demgemäss alle Bestimmungen zu,und insofern seien die sich widersprechenden Sätzewahr. Das nun, was in den Dingen die Vielheit aus-macht, ist nicht das Wesen, nicht die Sache selber,sondern nur Erscheinung, die sich den Sinnen dar-stellt, und nur an der Oberfläche der Sache.

TEOFILO. Ganz richtig. Weiter aber möchte ich,dass ihr euch mehrere Hauptpunkte dieser aller-wichtigsten Erkenntnis und dieses zuverlässigstenFundamentes für die Wahrheiten und Geheimnisseder Natur fester einprägt. Zuerst also merkt euch,dass es eine und dieselbe Stufenleiter ist, auf wel-cher die Natur zur Hervorbringung der Dinge

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herabsteigt, und auf welcher die Vernunft zur Er-kenntniss derselben emporsteigt: beide gehen vorder Einheit aus zur Einheit hin, indem sie durch dieVielheit der Mittelglieder sich hindurchbewegen.Ich bemerke beiläufig, dass in ihrem philosophi-schen Verfahren die Peripatetiker und viele Platoni-ker der Vielheit der Dinge als der Mitte die absolu-te Wirklichkeit von dem einen Extrem und das ab-solute Vermögen vom andern Extrem aus vorausei-len lassen, während wieder andere mit einer Artvon Metapher die Finsterniss und das Licht zur Er-zeugung unzähliger Stufen von Formen, Bildern,Gestalten und Farben zusammenwirken lassen.Hinter diesen, welche zwei Principien und zweiHerren ins Auge fassen, rücken andere heran, wel-che der Vielherrschaft feindlich und überdrüssigjene beiden in Einem sich vereinigen lassen, waszugleich Abgrund und Finsterniss, Klarheit undLicht, tiefes und undurchdringliches Dunkel, erha-benes und unzugängliches Licht ist. - Zweitenssollt ihr merken, dass die Vernunft, sobald sie sichvon der Vorstellungskraft, mit der sie verbundenist, soweit befreien und ablösen will, dass sie nurnoch mathematische und vorstellbare Figuren ver-wendet, um entweder vermittelst derselben odernach ihrer Analogie das Sein und die Substanz derDinge zu begreifen, - dass also die Vernunft in

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dieser Absicht wiederum die Vielheit und Ver-schiedenheit der Arten auf eine und dieselbe Wur-zel zurückführt. So dachte sich Pythagoras, der dieZahlen zu den specifischen Principien der Dingemachte, als das Fundament und die Substanz vonallen die Einheit; Plato und andere, welche die dau-ernden Gattungen in die Formen setzten, dachtensich als den einen Stamm und die eine Wurzel vonallen, als universelle Substanz und Gattung denPunkt; und vielleicht sind Fläche und Körper das,was Plato schliesslich unter seinem »Grossen« ver-stand, und Punkt und Atom das, was er sich beiseinem »Kleinen« dachte, den beiden artbildendenPrincipien der Dinge, welche nachher auf eines zu-rückgehen, wie jedes Theilbare auf das Untheil-bare. Diejenigen also, welche als das substantiellePrincip die Eins bezeichnen, sehen die Substanzenfür Zahlen an; die andern, welche das substantiellePrincip als Punkt fassen, denken sich die Substan-zen der Dinge wie Figuren; alle aber kommen darinüberein, als Princip ein Untheilbares zu setzen.Indes besser und befriedigender ist doch die Auf-fassung des Pythagoras als die des Plato; denn dieEinheit ist Ursache und Grund der Untheilbarkeitund Punktualität und ein absoluteres und dem uni-versellen Wesen angemesseneres Princip.

GERVASIO. Wie kommt's, dass Plato, der doch der

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Spätere ist, es nicht eben so gut oder besser ge-macht hat als Pythagoras?

TEOFILO. Weil er lieber für einen Meister angesehenwerden wollte, wenn er eine weniger gute Lehre aufeine weniger passende und angemessene Weisevortrug, als für einen Schüler, wenn er für die bes-sere Lehre den besseren Ausdruck gebrauchte; ichwill sagen, dass er bei seinem Philosophiren mehrden eignen Ruhm als die Wahrheit im Auge hatte.Kann ich doch nicht zweifeln, dass er recht gutwusste, dass seine Lehrart mehr auf die körperli-chen und als körperlich angesehenen Dinge passte,während jene andere auf diese ganz eben so gut undpassend anzuwenden war, wie auf alle anderen,welche Verstand, Einbildungskraft, Vernunft, dieeine wie die andere Natur, erzeugen könnten. Jederwird zugestehen, dass es dem Plato nicht verborgenblieb, dass Einheit und Zahl wohl unentbehrlichsind, um Figuren und Punkte zu untersuchen undverständlich zu machen; aber dass nicht umgekehrtFiguren und Punkte unentbehrlich sind, um von derZahl ein Verständnis zu erlangen. Denn währenddie ausgedehnte und körperliche Substanz von derunkörperlichen und ungetheilten abhängt, ist diesedoch von jener unabhängig, weil der Begriff derZahl ohne den des Maasses gegeben ist, der Begriffdes Maasses aber nicht von jenem abgelöst werden

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kann. Denn der Begriff des Maasses kommt nichtvor ohne den der Zahl. Deshalb ist die arithmeti-sche Analogie und Proportion geeigneter als diegeometrische, uns durch die Mitte der Vielheit zurBetrachtung und Auffassung jenes untheilbarenPrincips zu führen, für welches es, weil es die ein-heitliche und wurzelhafte Substanz aller Dinge ist,unmöglich einen festen und bestimmten Namenund einen Ausdruck der Art geben kann, der positivund nicht bloss negativ das Wesen desselben aus-drückte. Daher haben es einige Punkt, andere Ein-heit, andere Unendliches und auf verschiedene ähn-liche Weisen benannt. Dazu kommt, dass die Ver-nunft einen Gegenstand, wenn sie das Wesen des-selben begreifen will, soviel wie möglich verein-facht, d.h. sich aus der Zusammensetzung undVielheit zurückzieht, indem sie die vergänglichenAccidentien, die Ausdehnungen, die Zeichen, dieFiguren auf das ihnen zu Grunde Liegende zurück-führt. So verstehen wir ein langes Schriftstück, eineweitläufige Rede nur durch Zusammenziehung ineinen einfachen Grundgedanken. Die Vernunft be-weist darin offenbar, wie die Substanz der Dinge inder Einheit besteht, welche sie in voller Wahrheitoder wenigstens annähernd zu erfassen sucht. Glau-be mir, derjenige würde der idealste und vollkom-menste Mathematiker sein, der alle in den

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Elementen des Euklides zerstreuten Sätze in eineneinzigen Satz zusammenzuziehen vermöchte; dervollkommenste Logiker derjenige, welcher alle Ge-danken auf einen einzigen zurückführte. Dahergiebt es eine Stufenleiter der Intelligenzen. Die nie-deren vermögen eine Vielheit von Dingen nur ver-mittelst vieler Vorstellungen, Gleichnisse und For-men aufzufassen; die höheren verstellen sie besservermittelst einer geringen Anzahl; die höchstenverstehen sie vollkommen vermittelst der allerge-ringsten Anzahl; die Ur-Intelligenz versteht dasGanze aufs vollkommenste in einer Anschauung;der göttliche Verstand und die absolute Einheit istohne irgend eine Vorstellung das was versteht unddas was verstanden wird in einem zugleich. Solasst uns denn, zu der vollkommnen Erkenntnisemporsteigend, die Vielheit vereinfachen, wie dieEinheit, wenn sie zur Hervorbringung der Dingeherabsteigt, sich vermannichfacht. Das Herabstei-gen geschieht von einem Wesen zu unendlich vie-len Individuen und unzähligen Arten, das Empor-steigen umgekehrt von diesen zu jenem.Zum Beschluss dieser zweiten Betrachtung also be-merke ich Folgendes. Wenn wir emporstreben unduns um das Princip und die Substanz der Dinge be-mühen, so klimmen wir zur Unterschiedslosigkeitauf, und niemals glauben wir das erste Wesen und

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die universelle Substanz erreicht zu haben, so langewir nicht zu jenem einen Unterschiedslosen gelangtsind, in welchem alles enthalten ist; so sehr glau-ben wir von Substanz und Wesen nicht mehr zuverstehen, als wir von der Unterschiedslosigkeit zuverstehen vermögen. Daher führen die Peripatetikerund die Platoniker unendlich viele Individuen aufeinen ungeschiedenen Grund vieler Arten zurück;unzählige Arten befassen sie unter bestimmten Gat-tungen, wie deren Archytas zuerst zehn aufgestellthat, die einem Wesen, einem Ding zukämen. Die-ses reale Wesen haben jene nur als einen Namenund eine Wortbezeichnung, als einen logischen Be-griff und schliesslich als ein Nichtiges gefasst;denn nachher, wenn sie von der Physik handeln,kennen sie ein solches Princip der Wirklichkeit unddes Seins für alles Seiende nicht, wie sie einen Be-griff und einen allem Sagbaren und Begreiflichengemeinsamen Namen kennen, was ihnen sicher ausSchwäche des Verstandes begegnet ist.Drittens merke Folgendes. Da Substanz und Seinvon der Quantität gesondert und unabhängig unddemzufolge Maass und Zahl nicht Substanz, son-dern an der Substanz, nicht Wesen, sondern etwasam Wesen ist, so müssen wir nothwendigerweisedie Substanz als ihrem Wesen nach von Zahl undMaass frei bezeichnen, und deshalb als ein

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ungetheiltes Einheitliches in allen besonderen Din-gen, welche ihre Besonderheit von der Zahl, dasheisst von dem haben, was an der Substanz ist.Wer daher den Poliinnio als Poliinnio wahrnimmt,nimmt keine particuläre Substanz, sondern dieSubstanz im Partikulären und in den Unterschie-den, welche an ihr sind, wahr; die Substanz setztvermittelst der letzteren diesen Menschen untereiner bestimmten Art in Zahl und Vielheit. Wiehier bestimmte Accidentien der menschlichen Natureine Vielfachheit derjenigen bewirken, welche indi-viduelle Exemplare der Menschheit heissen, so be-wirken gewisse Accidentien des thierischen Orga-nismus eine Vielfachheit von Arten thierischer Or-ganismen, bestimmte Accidentien des lebendenWesens eine Vielfachheit von Beseeltem und Le-bendigem, gewisse Accidentien der Körperlichkeiteine Vielfachheit der Körperlichkeit, gewisse Acci-dentien der Subsistenz eine Vielfachheit der Sub-stanz. Gerade so bewirken gewisse Accidentien desSeins eine Vielfachheit der Wesenheit, der Wahr-heit, der Einheit, des Wesens, des Wahren, desEinen.Viertens, merke dir die Hindeutungen und die Mit-tel zur Bekräftigung, vermittelst deren wir schlies-sen wollen, dass die Gegensätze in Einem zusam-mentreffen; und daraus wird zuletzt sich unschwer

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erweisen lassen, dass alle Dinge Eines sind. Dennjede Zahl, ebensowohl die grade wie die ungrade,sowohl die unendliche, wie die endliche, geht aufdie Einheit zurück, welche in endlicher Reihe wie-derholt die Zahl setzt, in unendlicher die Zahl ne-girt. Die Hindeutungen werde ich der Mathematik,die Mittel der Bekräftigung den andern ethischenund speculativen Doctrinen entnehmen. Also zu-nächst die Hindeutungen. Sagt mir: was ist der gra-den Linie unähnlicher als der Kreis? was dem Gra-den entgegengesetzter als das Krumme? Dennochstimmen sie im Princip und im kleinsten Theileüberein. Denn welcher Unterschied liesse sich - wieCusanus, der Enthüller der schönsten Geheimnisseder Geometrie so vortrefflich bemerkt hat, - zwi-schen dem kleinsten Bogen und der kleinsten Sehneentdecken ? Ferner im Grössten: welcher Unter-schied liesse sich zwischen dem unendlichen Kreiseund der graden Linie finden? Seht ihr nicht, wie derKreis, je grösser er ist, sich um so mehr mit seinemBogen der Gradlinigkeit nähert? Wer ist so blind,dass er nicht sähe, wie der Bogen, je grösser erwird, und je grösser der Kreis, dessen Theil er ist,um so mehr sich der graden Linie annähert, diedurch die Tangente bezeichnet wird? Hier mussman doch sicher sagen und glauben, dass wie dieLinie, je mehr ihre Grösse zunimmt, um so mehr

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sich der graden annähert, so auch die grösste vonallen im Superlativ mehr als alle andern grade seinmuss, so dass zuletzt die unendliche Grade sich alsder unendliche Kreis erweist. Da seht ihr, dassnicht nur das Grösste und Kleinste in einem Seinzusammentreffen, wie wir öfter ausgeführt haben,sondern auch im Grössten und im Kleinsten dieGegensätze eins und ununterschieden werden. Viel-leicht möchtest du ferner die endlichen Arten mitdem Dreieck vergleichen, weil alle endlichen Dingeam Begrenzt- und Eingeschlossensein des erstenBegrenzten und des ersten Eingeschlossenen nacheiner gewissen Analogie theilnehmend gedachtwerden, wie in allen Gattungen alle entsprechendenPrädikate ihren Rang und ihre Stellung vom erstenund grössten innerhalb derselben Gattung empfan-gen. Das Dreieck nun ist die erste Figur, die sichnicht mehr in eine andere noch einfachere Art vonFigur auflösen lässt, während im Gegentheil dasViereck in Dreiecke aufgelöst wird. Es ist, deshalbdie Urform jedes endlichen und gestalteten Dinges.Du würdest aber finden, dass das Dreieck, wie essich nicht in eine andere Figur auflösen lässt, sichauch nicht in solchen Dreiecken darstellen kann, indenen die Summe der drei Winkel grösser oderkleiner wäre, mögen sie auch sonst noch so ver-schieden, von noch so verschiedener Gestalt, dem

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Rauminhalt nach noch so gross oder noch so kleinsein. Setze nun ein unendlich grosses Dreieck, - ichmeine nicht auf reelle und absolute Weise; denndas Unendliche hat keine Gestalt, sondern unend-lich meine ich in bloss hypothetischer Weise undsoweit sich an einem Winkel das was wir zeigenwollen überhaupt zeigen lässt; - es wird keinegrössere Winkelsumme haben, als das kleinste end-liche Dreieck, nicht bloss keine grössere als diemittelgrossen oder ein anderes grösstes. Wenn wirnun die Vergleichung von Figuren und Figuren, ichmeine von Dreiecken und Dreiecken bei Seite las-sen, und Winkel gegen Winkel halten, so sind alle,so gross oder so klein sonst, dennoch gleich. Mansieht dies leicht, wo eine und dieselbe Linie dieDiagonale mehrerer Quadrate von ungleicher Grö-sse ist. Nicht nur die rechten Winkel der Quadratesind einander gleich, sondern auch alle spitzen,welche durch die Theilung vermittelst der Diagona-le entstehen, welche doppelt so viele Dreiecke vonlauter gleichen Winkeln erzeugt. Dies ist ein sehrfassliches Gleichnis dafür, wie die eine unendlicheSubstanz in allen Dingen ganz sein kann, obgleichin den einen auf endliche, in den andern auf unend-liche Weise, in diesen nach geringerem, in jenennach grösserem Maassstab. Aber lass uns weitersehen, wie in diesem Einen und Unendlichen die

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Gegensätze zusammenfallen. Der spitze undstumpfe Winkel sind solche Gegensätze; und dochsiehst du sie aus einem untheilbaren und identi-schen Princip entstehen, d.h. aus einer Neigung desPerpendikels, welches sich mit einer andern Linieschneidet, gegen diese. Drehet sich das Perpendikelin der Ebene um den Punkt, in welchem es eine an-dere Linie schneidet, so bildet es jedesmal in einerund derselben Richtung in einem und demselbenPunkte erst zwei einander durchaus gleiche rechteWinkel, dann einen spitzen und einen stumpfenWinkel von um so grösserem Unterschied, je grös-ser die Drehung wird; hat diese eine bestimmteGrösse erreicht, so tritt wieder die Indifferenz vonSpitz und Stumpf ein, indem beide sich gleicher-weise aufheben, weil sie in dem Vermögen einerund derselben Linie Eines sind. Und wie die Linienhaben zusammenfallen und den Unterschied aufhe-ben können, so kann sich die drehende Linie vonder anderen auch wieder trennen und den Unter-schied setzen, indem sie aus demselbigen einen unduntheilbaren Princip die entgegengesetztesten Win-kel erzeugt, nämlich den grössten spitzen und dengrössten stumpfen bis zum kleinsten spitzen undkleinsten stumpfen und weiter bis zur Indifferenzdes rechten Winkels und zu der Uebereinstimmung,welche in dem Zusammenfallen der Senkrechten

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mit der Wagerechten besteht.Ich komme jetzt zu den Mitteln der Bekräftigung.Zunächst von den wirksamen Urqualitäten der kör-perlichen Natur. Wer wüsste nicht, dass das Prin-cip der Wärme etwas untheilbares und darum vonaller Wärme geschiedenes ist, weil das Princip kei-nes von den abgeleiteten Dingen sein darf? Wenndem so ist, wer kann etwas gegen die Behauptungeinwenden, dass das Princip weder warm noch kalt,sondern eine Identität des Warmen und des Kaltenist? So ist denn ein Entgegengesetztes Princip desandern, und die Veränderungen bilden deshalbeinen Kreislauf nur dadurch, dass es nur ein Sub-strat, ein Princip, ein Ziel, eine Fortentwickelungund eine Wiedervereinigung beider giebt. Das Mi-nimum der Wärme und das Minimum der Kältesind durchaus eins und dasselbe; von der Grenze,wo das Maximum der Wärme liegt, entspringt dasPrincip der Bewegung zur Kälte hin. Daher ist esoffenbar, dass zuweilen nicht nur die beiden Maxi-ma in dem Widerstreit und die beiden Minima inder Uebereinstimmung, sondern auch das Maxi-mum und das Minimum im Wechselspiel der Ver-änderung zusammentreffen. Deshalb pflegen dieAerzte nicht ohne Grund grade bei der vollkom-mensten Gesundheit besorgt zu sein; im höchstenGrade des Glücks sind vorsichtige Leute am

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bedenklichsten. Wer sähe nicht, dass das Principdes Vorgehens und Entstehens nur eines ist? Istnicht der letzte Rest des Zerstörten Princip des Er-zeugten? Sagen wir nicht zugleich, wenn jenes auf-gehoben, dies gesetzt ist: jenes war, dieses ist? Ge-wiss, wenn wir recht erwägen, sehen wir ein, dassUntergang nichts anderes als Entstehung und Ent-stehung nichts anderes als Untergang ist: Liebe isteine Art des Hasses, Hass endlich ist eine Art derLiebe. Hass gegen das Widrige ist Liebe zum Zu-sagenden: die Liebe zu diesem ist der Hass gegenjenes. Der Substanz und Wurzel nach ist also Liebeund Hass, Freundschaft und Streit eins und dassel-be. Woher entnimmt der Arzt das Gegengift siche-rer als aus dem Gifte? Was liefert besseren Theriakals die Viper? In den schlimmsten Giften die bestenHeilkräfte. Wohnt nicht ein Vermögen zwei entge-gengesetzten Gegenständen bei? Nun, woherglaubst du denn kommt dies, wenn nicht davon,dass das Princip des Seins ebenso eins ist, wie dasPrincip des Begreifens beider Gegenstände einesist, und dass die Gegensätze ebenso an einem Sub-strat sind, wie sie von einem und demselben Sinnewahrgenommen werden? Nicht zu reden davon,dass das Kugelförmige auf dem Ebenen ruht, dasConcave im Convexen weilt und liegt, das Zornigemit dem Geduldigen verbunden lebt, dem

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Hoffährtigsten am allermeisten der Demütige, demGeizigen der Freigebige gefällt.Zum Schluss also: wer die tiefsten Geheimnisse derNatur ergründen will, der sehe auf die Minima undMaxima am Entgegengesetzten und Widerstreiten-den und fasse diese ins Auge. Es ist eine tiefeMagie, das Entgegengesetzte hervorlocken zu kön-nen, nachdem man den Punkt der Vereinigung ge-funden hat. Aristoteles bei aller seiner Dürftigkeithat wohl an etwas derartiges gedacht, als er die Pri-vation, mit welcher eine bestimmte Anlage verbun-den ist, als Urheberin, Erzeugerin und Mutter derForm setzte; aber freilich vermag er nicht das Zielzu erreichen. Er hat es nicht erreichen können, weiler bei der Gattung, dem Unterschiede überhaupt,stehen blieb und wie angefesselt nicht weiter kambis zur Art, dem conträren Gegensatz. Deshalb hater das Ziel nicht erreicht, nicht einmal sein Augen-merk darauf gerichtet; deshalb hat er den ganzenWeg mit der einen Behauptung verfehlt, Gegen-sätze könnten nicht in Wirklichkeit an einem unddemselben Substrat zusammentreffen.

POLIINNIO. Sublim, seltsamlich und fürtrefflichhabt ihr vom Ganzen, vom Maximo, vom Wesen,vom Principio, von dem Einen disseriret. Aber ichmöchte euch von der Einheit nun auch die Unter-schiede aufzeigen sehen; denn ich finde, dass

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geschrieben stehet: Es ist nicht gut, allein sein!Ueberdies empfinde ich auch grosse Angst, weil inmeinem Geldbeutel und Geldsack nur ein verwit-weter Groschen herberget.

TEOFILO. Diejenige Einheit ist alles, die nicht ent-faltet, nicht als etwas Vertheiltes und der Zahl nachUnterschiedenes, nicht in solcher Eigenthümlich-keit existirt, wie du es vielleicht verstehen würdest,sondern welche ein Umschliessendes und Umfan-gendes ist.

POLIINNIO. Ein Exemplum her! Denn die Wahrheitzu sagen, ich höre wohl, aber ich capire mit nich-ten.

TEOFILO. So wie der Zehner auch eine Einheit, abereine umschliessende ist, der Hunderter eben so sehrEinheit, aber eine noch mehr umschliessende, derTausender eben so sehr Einheit ist, wie die andern,aber viel mehr enthaltend. Was ich euch hier inarithmetischem Gleichnis aufzeige, das musst du inhöherem und abstracterem Sinne in allen Dingenverstehen. Das höchste Gut, der höchste Gegen-stand des Begehrens, die höchste Vollkommenheit,die höchste Glückseligkeit besteht in der Einheit,welche alles in sich schliesst. Wir ergötzen uns ander Farbe, aber nicht so an einer entfalteten, wel-cher Art sie auch sei, sondern am meisten an einersolchen, welche alle Farben in sich schliesst. Wir

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erfreuen uns an dem Klange, nicht an einem beson-dern, sonderen, an einem inhaltsvollen, welcher ausder Harmonie vieler Töne sich ergiebt. Wir freuenuns an einem sinnlich Wahrnehmbaren, aber zu-meist an dem, welches alles sinnlich Wahrnehm-bare in sich fasst; an einem Erkennbaren, welchesalles Erkennbare, an einem Begreiflichen, welchesalles Begreifliche umfasst, an einem Wesen, wel-ches alles umschliesst, am meisten an dem einen,welches das All selber ist. So würdest du, Poliin-nio, dich auch mehr freuen an der Einheit einesEdelsteines, der so kostbar wäre, dass er alles Goldder Erde aufwöge, als an der Vielheit der Tausendevon Tausenden solcher Groschen wie die, vondenen du einen in der Börse hast.

POLIINNIO. Excellent!GERVASIO. Nun bin ich also ein Gelehrter. Denn

wie der, der das Eine nicht versteht, nichts versteht,so versteht der alles, wer wahrhaft das Eine ver-steht; und wer sich der Erkenntnis des Einen mehrannähert, kommt auch der Erkenntnis von allemnäher.

DICSON. So gehe ich, wenn ich's recht verstandenhabe, durch die Auseinandersetzungen des Teofilo,des treuen Berichterstatters über die Lehre des Phi-losophen von Nola, wesentlich bereichert von dan-nen.

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TEOFILO. Gelobt seien die Götter, und gepriesenvon allem was da lebet sei das Unendliche, dasEinfachste, Einheitlichste, Erhabenste und Absolu-teste: Ursache, Princip und Eines!