Vor 700 Jahren br annte St. Gallen - UZH

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30 St. Gallen im Wandel Donnerstag, 23. Oktober 2014 Bilder: Kantonsbibliothek Vadiana St.Gallen Von den drei grossen mittelalterlichen St.Galler Stadtbränden sind keine Abbildungen überliefert. Stellvertretend zwei Illustrationen aus Chroniken von Diebold Schilling: Links der Berner Stadtbrand von 1405 aus der Spiezer Bilder-Chronik (1485), rechts der Brand der Stadt Aarberg am 3. Mai 1477 aus der grossen Burgunder-Chronik (um 1500). Der grosse Brand zu St. Mangen St.Gallen blieb nach 1418 zwar von Feuersbrünsten, die die gan- ze Stadt verwüsteten, verschont, grosse Brandkatastrophen gab es aber immer wieder. Und dies bis in die Neuzeit. Bei den Löscharbeiten gestorben Am 27. Januar 1830, in der Nacht vom Donnerstag auf den Freitag, wütete etwa ein Brand bei St. Mangen. Er gilt als der grösste und gefährlichste in der Stadt nach 1650. Dies, weil acht Menschen bei den Löscharbei- ten ums Leben kamen. Im Jahr- buch der Stadt St. Gallen von 1830 lieferte Peter Ehrenzeller einen Bericht dazu. Am Freitagnachmittag, gegen 14 Uhr, brachen demnach bei den Löscharbeiten neun Männer mit einem einstürzenden Boden ein und landeten im Glutbett eines Kellers. Nur einer über- lebte. Die anderen starben jäm- merlich eingeklemmt zwischen glühenden Balken oder zwei bis drei Tage später an den Folgen von Verbrennungen. Im Jahr- buch heisst es dazu: «Sebastian Alther, Metzger, (…) Vater von 3 Kindern. Vergebens suchte man ihn auf sein furchtbares Jammer- geschrei, da er fast aufrecht von glühendem Schutt eingemauert und durch einen Balken einge- klemmt war, zu befreien. (…) Tot und in furchtbarem Zustand ward er aus der Hölle herauf- gebracht.» Oder: «Johannes Schildknecht von Mogelsberg, Spinner, (…) halbgebraten, gros- se Stellen des Körpers hautlos, starb im jämmerlichsten Zu- stand erst am Sonntag.» 29 Feuerspritzen im Einsatz Auf dem Bild der Brandstelle St. Mangen ist links eine Lösch- mannschaft mit einer Spritze zu erkennen. 29 Feuerspritzen sol- len am 27. Januar 1830 laut Be- richt im Einsatz gewesen sein. Wie eine solche ausgesehen ha- ben könnte, vermittelt ein Brief eines Erfinders, der 1793 den St. Gallern einen «Löschwagen» anpries. Der Stuttgarter mit Na- men Kurtz hatte seiner Werbung einen kolorierten Prospekt bei- gelegt. Der Bezug zu heutigen Feuerwehrautos besteht zumin- dest in der roten Farbe. Wenig effiziente Eimerketten Immerhin, diese Spritzen wa- ren schon ein wesentlicher Fort- schritt gegenüber herkömmli- chen Methoden des Feuerlö- schens. Im Mittelalter bis weit in die Neuzeit hinein beschränkten sich diese Mittel im Wesent- lichen auf Menschenketten, die volle Wassereimer bis zur Brand- stelle weiterreichten. Dass ange- sichts dieser dürftigen Vorkeh- rungen nach 1800 viele Dörfer ganz oder teilweise abbrannten, zeigt eine Zusammenstellung aus der Schrift «200 Jahre Ge- bäudeversicherung des Kantons St.Gallen» von 2007. Sie listet für die Zeit zwischen 1799 und 1992 für den Kanton St.Gallen nicht weniger als 81 Feuersbrünste und Dorfbrände auf. (SO) Vor 700 Jahren brannte St. Gallen Der 23. Oktober 1314 war ein schwarzer Tag für die Stadt St.Gallen. Heute vor 700 Jahren ereignete sich eine Katastrophe: St.Gallen brannte bis auf einige wenige Häuser nieder. Auch das Kloster wurde zerstört. Im Mittelalter ist dies dreimal vorgekommen: 1215, 1314 und noch einmal 1418. STEFAN SONDEREGGER Was heute von der St.Galler Alt- stadt erhalten ist, ist im wesent- lichen nicht älter als 600 Jahre. Grossflächige Feuersbrünste ha- ben nämlich im Mittelalter die Stadt dreimal verwüstet: Am 2. Mai 1215 brannte sie bis auf wenige Häuser ab, das Kloster blieb aber erhalten. Am 23. Okto- ber 1314 brannte das Kloster ebenfalls nieder, während von der Stadt selber nur sechs oder acht Häuser verschont blieben. Der letzte Totalbrand wütete am 20. April 1418. Nur wenig Informationen Die Informationen, die sich zu diesen Katastrophen erhalten haben, sind dürftig. Am meisten ist zum letzten Brand zu erfah- ren. In einer Urkunde wird be- richtet, dass die Stadt 1418 bis auf 14 Häuser «im Loch», im Ge- biet des Gallusplatzes, zerstört wurde. 26 Menschen sollen bei diesem Totalbrand ihr Leben verloren haben. Auch die Vor- stadt, die ausserhalb der Stadt- mauern lag, war betroffen und damit vermutlich auch die Kir- che St. Mangen und das Kloster St. Katharinen. Beim Wiederauf- bau wurde die Vorstadt in die Ringmauer einbezogen. Auf al- ten Plänen ist diese einzige mit- telalterliche Vergrösserung der Stadt deutlich zu erkennen. Nach 1418 blieb St.Gallen wohl auch dank der feuerpolizeilichen Massnahmen von Totalbränden verschont. Am Rand der Kräfte Ob heute vor 700 Jahren beim zweiten grossen Stadtbrand ebenfalls Menschenleben zu be- klagen waren, ist nicht überlie- fert. Das Ausmass des Schadens dürfte nicht geringer gewesen sein als bei den beiden anderen mittelalterlichen Katastrophen. Dies ist aus einem königlichen Erlass zu schliessen. Der Wieder- aufbau nach dem Feuer vom 23. Oktober 1314 scheint die Stadt so stark belastet zu haben, dass sie nicht mehr in der Lage war, die geforderten Reichssteu- ern zu zahlen. König Friedrich befreite sie daraufhin mit Rück- sicht auf diesen Wiederaufbau am 8. April 1315 für fünf Jahre von allen Abgaben. Ein königlicher Gnadenerlass dieser Art ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass unsere Vor- fahren am Ende ihrer Kräfte wa- ren. Ohne Hilfe von aussen wäre eine Erholung kaum möglich ge- wesen. Ob St.Gallen 1314 noch weitere Unterstützung erfahren hat, wissen wir aber nicht. Die Situation könnte ähnlich gewe- sen sein wie nach dem Brand von 1418. Damals trafen in St.Gallen Beileidsschreiben mit Darlehensangeboten unter an- derem aus Konstanz, Ravens- burg und Rottweil ein. Nicht zu verzinsende Kredite, Geldspen- den und andere nachbarliche Hilfeleistungen an Brandgeschä- digte waren noch Jahrhunderte später üblich. Nur wenige Brandspuren Einige wenig ergänzende In- formationen zu den schriftlichen Zeugnissen liefern die Archäolo- gie und Denkmalpflege. Die Gra- bungen der St.Galler Kantons- archäologie in St.Laurenzen et- wa haben punktuelle Brandrö- tungen am Mörtelboden der Kir- che festgestellt, die vielleicht mit dem Stadtbrand von 1314 zu- sammenhängen. Bei der umfas- senden Renovation des Komple- xes von St. Katharinen in den letzten Jahren hat die Alters- bestimmung des Holzes aus dem Dach der alten Klosterkirche er- geben, dass es unmittelbar nach dem Brand von 1418 geschlagen wurde. Was ein Indiz ist, dass St. Katharinen damals ebenfalls vom Feuer betroffen war. An- sonsten haben sich leider wenige Spuren der St.Galler Totalbrände erhalten. Gerne wüsste man auch mehr über die mensch- lichen Schicksale und die Solida- rität mit den Brandopfern. Au- genzeugenberichte oder nach- trägliche Schilderungen gibt es für das Mittelalter aber nicht. Der Autor ist Stadtarchivar der Ortsbürgergemeinde St. Gallen. Bild: Kantonsbibliothek Vadiana St.Gallen Der Brand zu St. Mangen im Januar 1830 von Johann Baptist Isenring. Bild: Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde St.Gallen Die königliche Steuerbefreiung für St.Gallen vom 8. April 1315. Bild: Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde St.Gallen Prospekt für eine Feuerspritze aus dem Jahr 1793.

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Publikation: tbsg Pagina: 30 Ist-Farben: cmyk0Ressort: tb-st Erscheinungstag: 23. 10. 2014 MPS-Planfarben: cmyk

30 St.GallenimWandel Donnerstag, 23. Oktober 2014

Bilder: Kantonsbibliothek Vadiana St.Gallen

Von den drei grossen mittelalterlichen St.Galler Stadtbränden sind keine Abbildungen überliefert. Stellvertretend zwei Illustrationen aus Chroniken von Diebold Schilling: Links derBerner Stadtbrand von 1405 aus der Spiezer Bilder-Chronik (1485), rechts der Brand der Stadt Aarberg am 3. Mai 1477 aus der grossen Burgunder-Chronik (um 1500).

Der Brand zu St

Die königliche S

Prospekt für ein

Der grosse Brand zu St. Mangen

Bild: Kantonsbibliothek Vadiana St.Gallen

.Mangen im Januar 1830 von Johann Baptist Isenring.

Bild: Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde St.Gallen

teuerbefreiung für St.Gallen vom 8. April 1315.

Bild: Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde St.Gallen

e Feuerspritze aus dem Jahr 1793.

St. Gallen blieb nach 1418 zwarvon Feuersbrünsten, die die gan-ze Stadt verwüsteten, verschont,

von Verbrennungen. Im Jahr-buch heisst es dazu: «SebastianAlther, Metzger, (…) Vater von 3

anpries. Der Stuttgarter mit Na-men Kurtz hatte seiner Werbungeinen kolorierten Prospekt bei-

grosse Brandkatastrophen gab esaber immer wieder. Und dies bisin die Neuzeit.

Bei den Löscharbeiten gestorben

Am 27. Januar 1830, in derNacht vom Donnerstag auf denFreitag, wütete etwa ein Brandbei St. Mangen. Er gilt als dergrösste und gefährlichste in derStadt nach 1650. Dies, weil achtMenschen bei den Löscharbei-ten ums Leben kamen. Im Jahr-buch der Stadt St. Gallen von1830 lieferte Peter Ehrenzellereinen Bericht dazu.

Am Freitagnachmittag, gegen14 Uhr, brachen demnach beiden Löscharbeiten neun Männermit einem einstürzenden Bodenein und landeten im Glutbetteines Kellers. Nur einer über-lebte. Die anderen starben jäm-merlich eingeklemmt zwischenglühenden Balken oder zwei bisdrei Tage später an den Folgen

Kindern. Vergebens suchte manihn auf sein furchtbares Jammer-geschrei, da er fast aufrecht vonglühendem Schutt eingemauertund durch einen Balken einge-klemmt war, zu befreien. (…) Totund in furchtbarem Zustandward er aus der Hölle herauf-gebracht.» Oder: «JohannesSchildknecht von Mogelsberg,Spinner, (…) halbgebraten, gros-se Stellen des Körpers hautlos,starb im jämmerlichsten Zu-stand erst am Sonntag.»

29 Feuerspritzen im Einsatz

Auf dem Bild der BrandstelleSt. Mangen ist links eine Lösch-mannschaft mit einer Spritze zuerkennen. 29 Feuerspritzen sol-len am 27. Januar 1830 laut Be-richt im Einsatz gewesen sein.Wie eine solche ausgesehen ha-ben könnte, vermittelt ein Briefeines Erfinders, der 1793 denSt. Gallern einen «Löschwagen»

gelegt. Der Bezug zu heutigenFeuerwehrautos besteht zumin-dest in der roten Farbe.

Wenig effiziente Eimerketten

Immerhin, diese Spritzen wa-ren schon ein wesentlicher Fort-schritt gegenüber herkömmli-chen Methoden des Feuerlö-schens. Im Mittelalter bis weit indie Neuzeit hinein beschränktensich diese Mittel im Wesent-lichen auf Menschenketten, dievolle Wassereimer bis zur Brand-stelle weiterreichten. Dass ange-sichts dieser dürftigen Vorkeh-rungen nach 1800 viele Dörferganz oder teilweise abbrannten,zeigt eine Zusammenstellungaus der Schrift «200 Jahre Ge-bäudeversicherung des KantonsSt. Gallen» von 2007. Sie listet fürdie Zeit zwischen 1799 und 1992für den Kanton St. Gallen nichtweniger als 81 Feuersbrünsteund Dorfbrände auf. (SO)

Vor 700 Jahren brannte St. GallenDer 23. Oktober 1314 war ein schwarzer Tag für die Stadt St.Gallen. Heute vor 700 Jahren ereignete sich eine Katastrophe: St.Gallen branntebis auf einige wenige Häuser nieder. Auch das Kloster wurde zerstört. Im Mittelalter ist dies dreimal vorgekommen: 1215, 1314 und noch einmal 1418.

STEFAN SONDEREGGER

Was heute von der St. Galler Alt-

aufbau nach dem Feuer vom23. Oktober 1314 scheint dieStadt so stark belastet zu haben,

St. Gallen Beileidsschreiben mitDarlehensangeboten unter an-derem aus Konstanz, Ravens-

senden Renovation des Komple-xes von St. Katharinen in denletzten Jahren hat die Alters-

stadt erhalten ist, ist im wesent-lichen nicht älter als 600 Jahre.Grossflächige Feuersbrünste ha-ben nämlich im Mittelalter dieStadt dreimal verwüstet: Am2. Mai 1215 brannte sie bis aufwenige Häuser ab, das Klosterblieb aber erhalten. Am 23. Okto-ber 1314 brannte das Klosterebenfalls nieder, während vonder Stadt selber nur sechs oderacht Häuser verschont blieben.Der letzte Totalbrand wütete am20. April 1418.

Nur wenig Informationen

Die Informationen, die sich zudiesen Katastrophen erhaltenhaben, sind dürftig. Am meistenist zum letzten Brand zu erfah-ren. In einer Urkunde wird be-richtet, dass die Stadt 1418 bisauf 14 Häuser «im Loch», im Ge-biet des Gallusplatzes, zerstörtwurde. 26 Menschen sollen beidiesem Totalbrand ihr Lebenverloren haben. Auch die Vor-stadt, die ausserhalb der Stadt-mauern lag, war betroffen unddamit vermutlich auch die Kir-che St. Mangen und das KlosterSt. Katharinen. Beim Wiederauf-bau wurde die Vorstadt in dieRingmauer einbezogen. Auf al-ten Plänen ist diese einzige mit-telalterliche Vergrösserung derStadt deutlich zu erkennen.Nach 1418 blieb St. Gallen wohlauch dank der feuerpolizeilichenMassnahmen von Totalbrändenverschont.

Am Rand der Kräfte

Ob heute vor 700 Jahren beimzweiten grossen Stadtbrandebenfalls Menschenleben zu be-klagen waren, ist nicht überlie-fert. Das Ausmass des Schadensdürfte nicht geringer gewesensein als bei den beiden anderenmittelalterlichen Katastrophen.Dies ist aus einem königlichenErlass zu schliessen. Der Wieder-

dass sie nicht mehr in der Lagewar, die geforderten Reichssteu-ern zu zahlen. König Friedrichbefreite sie daraufhin mit Rück-sicht auf diesen Wiederaufbauam 8. April 1315 für fünf Jahrevon allen Abgaben.

Ein königlicher Gnadenerlassdieser Art ist ein untrüglichesZeichen dafür, dass unsere Vor-fahren am Ende ihrer Kräfte wa-ren. Ohne Hilfe von aussen wäreeine Erholung kaum möglich ge-wesen. Ob St. Gallen 1314 nochweitere Unterstützung erfahrenhat, wissen wir aber nicht. DieSituation könnte ähnlich gewe-sen sein wie nach dem Brandvon 1418. Damals trafen in

burg und Rottweil ein. Nicht zuverzinsende Kredite, Geldspen-den und andere nachbarlicheHilfeleistungen an Brandgeschä-digte waren noch Jahrhundertespäter üblich.

Nur wenige Brandspuren

Einige wenig ergänzende In-formationen zu den schriftlichenZeugnissen liefern die Archäolo-gie und Denkmalpflege. Die Gra-bungen der St. Galler Kantons-archäologie in St. Laurenzen et-wa haben punktuelle Brandrö-tungen am Mörtelboden der Kir-che festgestellt, die vielleicht mitdem Stadtbrand von 1314 zu-sammenhängen. Bei der umfas-

bestimmung des Holzes aus demDach der alten Klosterkirche er-geben, dass es unmittelbar nachdem Brand von 1418 geschlagenwurde. Was ein Indiz ist, dassSt. Katharinen damals ebenfallsvom Feuer betroffen war. An-sonsten haben sich leider wenigeSpuren der St. Galler Totalbrändeerhalten. Gerne wüsste manauch mehr über die mensch-lichen Schicksale und die Solida-rität mit den Brandopfern. Au-genzeugenberichte oder nach-trägliche Schilderungen gibt esfür das Mittelalter aber nicht.

Der Autor ist Stadtarchivar derOrtsbürgergemeinde St. Gallen.