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Differentialgleichungen VORLESUNGSMITSCHRIFT DGL I - Christian Kreusler WS 2011/12 DGL IIA - Etienne Emmrich SS 2012 DGL IIB - Etienne Emmrich WS 2012/13 DGL III - Christian Kreusler SS 2013 29. November 2015

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Differentialgleichungen

VORLESUNGSMITSCHRIFT

DGL I - Christian Kreusler WS 2011/12DGL IIA - Etienne Emmrich SS 2012DGL IIB - Etienne Emmrich WS 2012/13DGL III - Christian Kreusler SS 2013

29. November 2015

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Inhaltsverzeichnis

Differentialgleichungen I 1

0 Einführung, Anwendungsbeispiele und Klassifikationen 1

1 Elementare Lösungsmethoden für gewöhnliche und partielle Differenti-algleichungen 31.1 Lineare gewöhnliche Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31.2 Nichtlineare gewöhnliche Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . 81.3 Charakteristikenverfahren für quasilineare partielle Differentialgleichungen

erster Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81.4 Lineare partielle Differentialgleichungen zweiter Ordnung . . . . . . . . . . 9

2 Existenz und Eindeutigkeit bei Anfangswertproblemen 112.1 Integral für stetige Funktionen einer reellen Variable mit Werten in einem

Banach-Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112.2 Der Satz von Picard-Lindelöf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152.3 Lineare Systeme mit beschränkten Operatoren . . . . . . . . . . . . . . . . 192.4 Der Satz von Peano . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282.5 Einzigkeitsaussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342.6 Verlauf der Lösungen im Großen und maximal fortgesetzte Lösungen . . . . 372.7 Existenz und Einzigkeit von Lösungen im Sinne von Carathéodory . . . . . 41

3 Abhängigkeit der Lösungen von den Daten, Stabilität, Zeitdiskretisie-rung 453.1 Stetige/differenzierbare Abhängigkeit der Lösungen von den Daten, Lemma

von Gronwall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453.2 Dissipative Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483.3 Zeitdiskretisierung durch einfache Einschrittverfahren . . . . . . . . . . . . 493.4 Stabilität, der Satz von Ljapunov und das asymptotische Verhalten von

Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

4 Randwertprobleme für gewöhnliche Differentialgleichungen zweiter Ord-nung 624.1 Grundbegriffe und elementare Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624.2 Randwertprobleme für homogene, lineare Differentialgleichungen . . . . . . 634.3 Greensche Funktion und semilineare Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . 654.4 Greensche Funktion und inhomogene lineare Probleme . . . . . . . . . . . . 684.5 Das Sturm-Liouville-Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 694.6 Maximumprinzip und Stabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 714.7 Greensche Funktion und semilineare Probleme II . . . . . . . . . . . . . . . 744.8 Ober- und Unterlösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

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Differentialgleichungen II 81

5 Verallgemeinerte Ableitung und Regularisierung im eindimensionalenFall 81

6 Sobolew-Räume H1(a, b), H10 (a, b) und H−1(a, b) 88

7 Variationelle Formulierung und Operatorgleichung 90

8 Lineare Variationsprobleme mit stark positiver Bilinearform 91

9 Nichtlineare Variationsprobleme mit stark monotonem, Lipschitz-steti-gem Operator 92

10 Galerkin-Verfahren und Finite-Elemente-Methode 93

11 Anwendungen auf stationäre Differentialgleichungen in mehreren Di-mensionen 94

12 Exkurs zur Funktionalanalysis 95

13 Nichtlineare Variationsprobleme mit monotonem Operator 100

14 Pseudomonotone Operatoren 115

15 Monotone Potentialoperatoren 118

16 Das stationäre Navier-Stokes-Problem 125

Differentialgleichungen III 131

17 Bochner-Integral 13117.1 Bochner-Messbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13117.2 Bochner-Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13217.3 Die Räume Lp(0, T ;X) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

18 Zeitableitungen und der Raum W(0, T ) 13918.1 Zeitableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13918.2 Der Raum W(0, T ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142

19 Lineare Evolutionsgleichungen erster Ordnung 14519.1 Voraussetzungen und Formulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14519.2 Existenz und Eindeutigkeit von Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14719.3 Regularität und Glättungseigenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152

20 Nichtlineare Evolutionsgleichungen erster Ordnung 15920.1 Existenz von Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

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20.2 Abhängigkeit von den Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

21 Das instationäre Navier-Stokes-Problem 16821.1 Erinnerung an das stationäre Navier-Stokes-Problem . . . . . . . . . . . . . 16821.2 Formulierung des instationären Problems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16921.3 Existenz globaler Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17121.4 Einschub: Kompaktheit in Lp(0, T ;H)) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17621.5 Eindeutigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18121.6 Lokale Existenz und Eindeutigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18321.7 Wiedereinführung des Drucks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18721.8 Regularität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188

22 Lineare Evolutionsgleichungen zweiter Ordnung 19022.1 Standardvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19022.2 Existenz, Eindeutigkeit und stetige Abhängigkeit von den Daten . . . . . . 190

23 Halbgruppen 19723.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19723.2 Milde Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20023.3 Der Satz von Hille-Yosida . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20123.4 Der Satz von Lumer-Phillips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204

Index 206

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Differentialgleichungen I0 Einführung, Anwendungsbeispiele und Klassifikationen

Zu Beginn geben wir einige Beispiele aus der Anwendung von Differentialgleichungen:Beispiel 0.1.

Durchbiegung einer Platte: Wir modellieren die Durchbiegung u einer Platte Ω. Es seienA,B ∈ R reelle Parameter. Es gelte

B∆∆u+Au = f

auf Ω ⊆ R2. Die rechte Seite f : Ω→ R stellt die auf die Platte wirkende Kraft dar,zusätzliche Bedingungen (Randbedingungen) sind u|∂Ω = 0, d.h. die Platte biege sichnicht am Rand.

Navier-Stokes-Gleichungen (Strömungsmechanik): Es gelte

ut −∆u+ (u · ∇)u+∇p = f

auf Ω ⊆ R3. Die Funktionen u, p und f sthen dabei für folgende Größen:

u : Ω→ R3 Geschwindigkeitsfeldp : Ω→ R Druckf : Ω→ R3 äußere Kraft

Im allgemeinen ist über die Existenz von Lösungen dieser Differentialgleichung nochnichts bekannt.

Black-Scholes-Gleichungen (Finanzmathematik): Für die Bewertung von Finanzoptionenwird die stochastische Differentialgleichung

ft + rSfS + 12σ

2S2fSS = rf

verwendet. Auf die Erläuterung dieser Differentialgleichung verzichten wir jedoch andieser Stelle, da hierzu einige Begriffe der Stochastik erklärt werden müssten.

SIR-Modell: Das SIR-Modell beschreibt die Ausbreitung von Epidemien. Eine konstanteBeölkerung wird in drei Gruppen unterteilt:

S(t) Gesunde, die sich noch infizieren können,I(t) Infizierte undR(t) Alle, die sich nicht mehr infizieren können (Immunität, Tod, Quarantäne).

Für alle t > 0 sei S(t)+I(t)+R(t) konstant. Die Differentialgleichungen haben dannfolgende Form:

S′(t) = −αS(t)I(t)I ′(t) = αS(t)I(t)− βI(t)R′(t) = βI(t)

Für die Anfangsbedingungen definiere man S(0) = S0, I(0) = I0 und R(0) = R0.

1 Differentialgleichungen I

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0 Einführung, Anwendungsbeispiele und Klassifikationen

Ist ein mathematisches Differentialgleichungsproblem gegeben, so stehen die folgendensechs Fragen im Mittelpunkt der Untersuchungen:

1) Existiert eine Lösung?

2) Ist die Lösung eindeutig?

3) Ist die Lösung stabil, d.h. z.B. stetig abhängig von den Daten (Anfangswerte, Parame-ter, rechte Seite)?

4) Wie glatt ist die Lösung? (wie oft differenzierbar, . . . )

5) (Wie) lässt sich eine Lösung explizit bestimmen?

6) (Wie) lässt sich eine Lösung numerisch bestimmen?

Da jedoch die Beantwortung dieser Fragen stark davon abhängt, welche Form die vorlie-gende Differentialgleichung hat, sind gewisse Klassifizierungen hilfreich.

Definition 0.2 (Klassifizierungen von Differentialgleichungen).

Explizite und implizite Differentialgleichungen Eine Differentialgleichung wird explizit ge-nannt, falls sie nach der höchsten Ableitung aufgelöst werden kann, z.B. u′′(t) =f(t, u(t), u′(t)). Andernfalls heißt sie implizit, z.B. f(u′′, u′, u, t) = 0.

Gewöhnliche und partielle Differentialgleichungen Ist die gesuchte Funktion von nur einerVariablen abhängig, so heißt die Differentialgleichung gewöhnlich, sonst partiell.

Ordnung einer Differentialgleichung Die Ordnung einer Differentialgleichung ist der Gradder höchsten auftretenden Ableitung.

Lineare und nichtlineare Differentialgleichungen Wir nennen eine Differentialgleichung li-near, falls die gesuchte Funktion und die vorkommenden Ableitungen nur linearauftreten, z.B. u′′(t) + αu′(t) = 0 oder utt + t2ux = cos t. Die nichtlinearen Differen-tialgleichungen können weiter unterteilt werden.In semilinearen DGLs tritt die höchste Ableitung nur linear auf, d.h. Ableitungenniedrigeren Grades dürfen nichtlinear auftreten, z.B. −∆u = u2f .Bei quasilinearen DGLs tritt die höchste Ableitung zwar nichtlinear auf, ihre Ko-effizienten hängen aber nur von den Ableitungen niedrigerer Ordnung ab, etwaa(x, t, u(x, t))ut(x, t) + b(x, t, u(x, t))ux(x, t) = 0.

Anfangsbedingungen und Randbedingungen Die gesuchte Funktion kann durch Anfangsbe-dingungen wie u(t0) = u0 weiter charakterisiert werden. Werden die Werte der ge-suchten Funktion auf dem Rand ihres Definitionsbereiches vorgegeben, spricht manvon Randbedingungen, z.B. u(a) = α, u(b) = β für den Definitionsbereich (a, b)

Differentialgleichungen I 2

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1 Elementare Lösungsmethoden für gewöhnliche und parti-elle Differentialgleichungen

1.1 Lineare gewöhnliche Differentialgleichungen

Beispiel 1.1.1.

• Das Anfangswertproblem u′(t) = λu(t), t > t0

u(t0) = u0

besitzt die (eindeutige) Lösung

u(t) = u0eλ(t−t0).

• Gegeben sei das Anfangswertproblemu′′(t) + pu′(t) + qu(t) = 0, t > 0u(0) = u0, u

′(0) = v0,

wobei p, q ∈ R “Schwingungen” modellieren. Wir verwenden den Exponentialansatzu(t) = eλt. Dieser Ansatz ergibt u′(t) = λeλt und u′′(t) = λ2eλt. Nach Einsetzen indie Differentialgleichung erhalten wir aus eλt(λ2 + λp+ q) = 0 die charakteristischeGleichung

λ2 + pλ+ q!= 0.

λ1, λ2 ∈ C seien die Lösungen dieser Gleichung.

– Sind die Nullstellen verschieden, so lösen u1(t) = eλ1t und u2(t) = eλ2t die DGL.Die allgemeine Lösung ist dann durch u(t) = Au1(t) +Bu2(t) gegeben.

– Stimmen die beiden Lösungen überein, d.h. λ1 = λ2 = λ ∈ R, so lösen u1(t) =eλt und u2(t) = teλt. Die allgemeine Lösung ist wieder durch u = Au1 + Bu2gegebem.

In beiden Fällen werden die Konstanten A und B durch die Anfangsbedingungenbestimmt.

Satz 1.1.2 (Superpositionsprinzip). Seien X, Y zwei Vektorräume und sei A : X → Yeine lineare Abbildung. Betrachte folgendes Problem:

Finde zu f ∈ Y ein u ∈ X mit Au = f.

Für f = 0 heißt dieses Problem homogen, sonst inhomogen. Für zwei Lösungen u1, u2 ∈ Xdes homogenen Problems, so ist es auch jede Linearkombination dieser Lösungen. Für eineLösung uh des homogenen Problems und eine Lösung ui des inhomogenen Problems istauch uh + ui eine Lösung des inhomogenen Problems.

Beweis. Für u1, u2 ∈ X mit Au1 = 0, Au2 = 0 gilt A(λu1 + µu2) = λAu1 + µAu2 = 0.Für uh, ui ∈ X mit Auh = 0, Aui = f gilt A(uh + ui) = Auh +Aui = 0 +Aui = f .

Liegt ein lineares Anfangswertproblem vor, so kann also zunächst die allgemeine Lösungdes homogenen Problems bestimmt werden. Anschließend sucht man eine Lösung desinhomogenen Problems. Schließlich werden die Parameter durch die Anfangsbedingungenbestimmt.

3 Differentialgleichungen I

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1 Elementare Lösungsmethoden für gewöhnliche und partielle Differentialgleichungen

Beispiel 1.1.3. Betrachte die homogene Differentialgleichung

u(n) + an−1u(n−1) + · · ·+ a1u

′ + a0u = 0,

wobei a0, . . . , an−1 ∈ R konstant sind. Hier lässt sich stets der Exponentialansatz u(t) = eλtanwenden. Man erhält die charakteristische Gleichung

λn + an−1λn−1 + · · ·+ a1λ+ a0 = 0.

Für eine m-fache Nullstelle λ dieses Polynoms sind eλt, teλt, . . . , tm−1eλt linear unabhän-gige Lösungen der DGL. Auf diese Weise erhalten wir n linear unabhängige Lösungen, diegemeinsam den Lösungsraum aufspannen.

Etwas komplizierter ist der Fall, dass a0, . . . , an−1 nichtkonstante Funktionen sind. Dieentsprechende DGL erster ordnung u′(t)+a(t)u(t) = 0 bereitet jedoch noch keine Problemeund hat für u(t0) = u0 die Lösung u(t) = u0 exp

(−´ tt0a(s)ds

).

Bei DGLs höherer Ordnung kann folgendes Reduktionsverfahren verwendet werden:

Satz 1.1.4 (Reduktionsverfahren nach d’Alembert). Das Reduktionsverfahren wird amBeispiel einer DGL zweiter Ordnung vorgeführt. Gegeben sei dazu die DGL

u′′ + pu′ + qu = 0.

Ist eine Lösung u1 bekannt, verwenden wir den folgenden Ansatz:

u2(t) := u1(t)ˆ t

t0

v(ξ)dξ

u′2(t) = u′1(t)ˆ t

t0

v(ξ)dξ + u1(t)v(t)

u′′2(t) = u′′1(t)ˆ t

t0

v(ξ)dξ + 2u′1(t)v(t) + u1(t)v′(t).

Eingesetzt in die DGL erhält manˆ t

t0

v(ξ)dξ(u′′1(t) + p(t)u′1(t) + q(t)u1(t)

)︸ ︷︷ ︸=0

+2u′1(t)v(t) + u1(t)v′(t) + p(t)u1(t)v(t) = 0,

also eine DGL erster Ordnung für v.

Beispiel 1.1.5. Betrachte p = −2t1−t2 und q = 2

1−t2 , die DGL lautet also

u′′(t)− 2t1−t2u

′(t) + 21−t2u(t) = 0.

Durch Raten bzw. scharfes Hinsehen findet man die Lösung u1(t) = t. Der Ansatz lautetalso u2(t) = t

´ tt0v(ξ)dξ mit u′2(t) =

´ tt0v(ξ)dξ + tv(t) und u′′2(t) = 2v(t) + tv′(t). Damit

erhalten wir

0 = 2v(t) + tv′(t)− 2t1− t2

(ˆ t

t0

v(ξ)dξ + tv(t))

+ 2t1− t2

ˆ t

t0

v(ξ)dξ

= 2v(t) + tv′(t)− 2t21−t2 v(t).

Umgestellt haben wir für vv′(t) =

(2t

1−t2 −2t

)v(t),

Differentialgleichungen I 4

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1.1 Lineare gewöhnliche Differentialgleichungen

was als mögliche Lösung

v(t) = exp(ˆ t

t0

(2s

1−s2 −2s

)ds)

besitzt. Hierzu istˆ t

t0

2s1− s2 ds =

ˆ t2

t20

11− zdz = − ln(1− z)|t

2

t20= − ln(1− t2) + const.

Dies ergibt

v(t) = exp(− ln(1− t2)− 2 ln(t) + const

)= exp

(ln(

1(1−t2)t2

)+ const

)= const

(1−t2)t2

und damitu2(t) = t

ˆ t

t0

1(1−s2)s2 ds.

Um u2 schließlich explizit ohne Integral angeben zu können, nutzen wir Partailbruchzer-legung:

1(1− s2)s2 = 1

(1 + s)(1− s)s2 = 12

11− s + 1

21

1 + s+ 1s2 .

Hiermit erhalten wir

u2(t) = t(−1

2 ln(1− s) + 12 ln(1 + s)− 1

s

)∣∣∣tt0

= t(

12 ln

(1+t1−t

)− 1

t + c)

= t2 ln

(1+t1−t

)−1+ct,

wobei der Term ct hier vernachlässigt werden kann, da dieser bereits in u1 enthalten ist.

Hat man die allgemeine Lösung der homogenen Gleichung bestimmt, lässt sich daraus mitder Variation der Konstanten auch eine inhomogene Lösung bestimmen.

Satz 1.1.6 (Variation der Konstanten). Eine vorliegende DGL

u(n) + an−1u(n−1) + · · ·+ a0u = f

habe die allgemeine Lösung

uh(t) =n∑k=1

ckuk(t)

für das homogene Problem. Verwende für das inhomogene Problem den Ansatz

up(t) =n∑k=1

ck(t)uk(t),

leite diese Funktion ab und setze sie in die DGL ein. Dabei können n− 1 Gleichungen fürdie n unbekannten Parameterfunktionen frei gewählt werden.

Beispiel 1.1.7. Es sei die DGL

u′(t)− tu(t) = e12 t

2+t

vorgelegt. Die homogene Gleichung u′(t) = tu(t) hat hier die Lösung

uh(t) = c exp(ˆ t

0dds

)= ce

12 t

2.

5 Differentialgleichungen I

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1 Elementare Lösungsmethoden für gewöhnliche und partielle Differentialgleichungen

Für eine partikuläre Lösung up der inhomogenen Gleichung wählen wir also den Ansatz

up(t) = c(t)e12 t

2

u′p(t) = c′(t)e12 t

2 + c(t)te12 t

2.

Eingesetzt erhalten wir

c′(t)e12 t

2 + c(t)te12 t

2 − tc(t)e12 t

2 = e12 t

2+t.

Dies liefert offenbar c′(t) = et und somit c(t) = et + const. Als allgemeine Lösung für dasinhomogene Problem erhalten wir also

u(t) = uh(t) + up(t) = ce12 t

2 + e12 t

2(et + const) = ce12 t

2 + e12 t

2+t.

Meist ist die Variation der Konstanten jedoch mit viel Aufwand verbunden. Wir stellendaher eine weitere Möglichkeit zur Bestimmung der inhomogenen Lösung vor.

Satz 1.1.8 (Ansatz der rechten Seite). Gegeben sei eine lineare Differentialgleichung,vorzugsweise mit linearen Koeffizienten. Zur Bestimmung einer partikulären Lösung wähleman als Ansatz eine allgemeine Form der rechten Seite. Einsetzen dieses Ansatzes undKoeffizientenvergleich können nun eine partikuläre Lösung liefern.

Bei der Formulierung dieser Methode halten wir uns bewusst allgemein, denn die zu wäh-lende Ansatzfunktion kann in manchen Fällen nach Belieben gewählt werden. Es gibtjedoch einige Funktionen, für die typische Ansätze bekannt sind. Dies sind z.B.

• Polynome

• trigonometrische Funktionen

• Exponentialfunktionen.

Beispiel 1.1.9. Wir betrachten die Differentialgleichung

u′′ + u′ − 2u = 2et + te−2t − 2t3 + 3 sin(4t) + 7t.

Lösungen der homogenen Gleichung sind u(t) = et und u(t) = e−2t. Wir bestimmen nunmehrere partikuläre Lösungen, die wir zum Schluss zusammensetzen. Dazu beginnen wirmit der rechten Seite 2et. Hierbei handelt es sich um eine Exponentialfunktion, unserAnsatz wäre also zunächst u(t) = cet. Jedoch ist dies bereits Teil der homogenen Lösung.Wie von mehrfachen Lösungend der charakteristischen Gleichung bekannt, multiplizierenwir mit t und erhalten nun den Ansatz u1(t) = ctet. Eingesetzt erhalten wir

ctet + cet + cet + ctet + cet − 2ctet = 2et

und haben mit Koeffizientenvergleich c = 23 .

Als nächstes betrachten wir die rechte Seite te−2t. Wir schreiben die allgemeine Form alsProdukt von Polynom und Exponentialfunktion: (at+ b)e−2t. Da jedoch auch −2 Lösungder charakteristischen Gleichung war, multiplizieren wir wieder mit t und erhalten denAnsatz u2(t) = (at2 + bt)e−2t. Setzen wir dies in die Differentialgleichung ein, erhalten wir

2ae−2t − 2(2at+ b)e−2t − 2(2at+ b)e−2t + 4(at2 + bt)e−2t

+(2at+ b)e−2t − 2(at2 + bt)e−2t − 2(at2 + bt)e−2t = te−2t

2ae−2t − 3(2at+ b)e−2t = te−2t

(2a− 3b)e−2t + (−6a)te−2t = te−2t

Differentialgleichungen I 6

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1.1 Lineare gewöhnliche Differentialgleichungen

und damit a = −16 und b = −1

9 .Als drittes betrachten wir die rechte Seite −2t3 + 7t. Als Ansatz wählen wir u3(t) =at3 + bt2 + ct+ d.Für die rechte Seite 3 sin(4t) wählen wir den Ansatz u4(t) = a sin(4t) + b cos(4t).Die Bestimmung der Koeffizienten hierbei sei dem Leser überlassen.Sind alle Koeffizienten bestimmt, haben wir mit up(t) = u1(t) + u2(t) + u3(t) + u4(t) einepartikuläre Lösung unserer Differentialgleichung gefunden.

Die am häufigsten genutzen Ansätze sind folgende:

• Polynome: ∑nk=0 ckt

k,

• trigonometrische Funktionen: c1 cos(λt) + c2 sin(λt),

• Exponentialfunktionen: ceλt

und Produkte daraus, wobei die ci hier die Variablen beschreiben, auf die im Ansatzverallgemeinert wird. λ und der Grad n eines Polynoms werden übernommen.Wie jedoch leicht festzustellen ist, ist dies ein sehr spezielles Vorgehen; die Variation derKonstanten ist wesentlich allgemeiner. Mit ihr kann etwa folgende Lösungsformel herge-leitet werden.

Satz 1.1.10 (Formel von Duhamel). Die Differentialgleichung

u′ + au = b

besitzt die allgemeine Lösung

u(t) = c exp(−ˆ t

t0

a(s)ds)

+ˆ t

t0

exp(−ˆ t

sa(τ)dτ

)b(s)ds

für beliebige c, t ∈ R.

Beweis. Der erste Summand ergibt sich bekanntlich als Lösung der homogenen Gleichung.Den zweiten Summanden erhalten wir mit der Variation der Konstanten. Zum Beweisder Aussage wird dieses Verfahren jedoch nicht durchgeführt, sondern die angegebeneFunktion in die Differentialgleichung eingesetzt. Um die Ableitung zu bestimmen, formenwir zunächst die inhomogene Lösung um:ˆ t

t0

exp(−ˆ t

sa(τ)dτ

)b(s)ds = exp

(−ˆ t

t0

a(τ)dτ)ˆ t

t0

exp(ˆ s

t0

a(τ)dτ)b(s)ds.

Hieraus erhalten wir

u′(t) = −ca(t) exp(−ˆ t

t0

a(s)ds)− a(t) exp

(−ˆ t

t0

a(τ)dτ)ˆ t

t0

exp(ˆ s

t0

a(τ)dτ)b(s)ds

+ exp(ˆ t

t0

a(τ)dτ)

exp(ˆ t

t0

a(τ)dτ)

= −ca(t) exp(−ˆ t

t0

a(s)ds)− a(t) exp

(−ˆ t

t0

a(τ)dτ)ˆ t

t0

exp(ˆ s

t0

a(τ)dτ)b(s)ds

+ b(t).

7 Differentialgleichungen I

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1 Elementare Lösungsmethoden für gewöhnliche und partielle Differentialgleichungen

Durch Einsetzen in die Differentialgleichung ergibt sich

u′ + au = −ca(t) exp(−ˆ t

t0

a(s)ds)− a(t) exp

(−ˆ t

t0

a(τ)dτ)

·ˆ t

t0

exp(ˆ s

t0

a(τ)dτ)b(s)ds+ b(t) + a(t)c exp

(−ˆ t

t0

a(s)ds)

+ a(t) exp(−ˆ t

t0

a(τ)dτ) ˆ t

t0

exp(ˆ s

t0

a(τ)dτ)b(s)ds

= b(t).

Für ein Anfangswertproblem u′ + au = b t > t0

u(t0) = u0

existiert also die eindeutige Lösung

u(t) = u0 exp(−ˆ t

t0

a(s)ds)

+ˆ t

t0

exp(−ˆ t

sa(τ)dτ

)b(s)ds.

1.2 Nichtlineare gewöhnliche Differentialgleichungen

Für nichtlineare Gleichungen sind nur wenige Lösungsmethoden bekannt. Oft helfen auchNachschlagen und Raten. Ein Lösungsverfahren können wir hier jedoch vorstellen.

Satz 1.2.1 (Trennung der Veränderlichen). Betrachte eine nichtlineare Differentialglei-chung der Form

u′(t) = f(t)g(u(t)).

Dann haben wir nach Umstellenu′(t)g(u(t)) = f(t)

und können integrieren: ˆ t

t0

u′(s)g(u(s))ds =

ˆ t

t0

f(s)ds.

Mit Substution können wir anschließend überˆ u(t)

u(t0)

1g(x)dx =

ˆ t

t0

f(s)ds

die Lösung der Differentialgleichung in Abhängigkeit von u(t0) bestimmen.

1.3 Charakteristikenverfahren für quasilineare partielle Differentialglei-chungen erster Ordnung

Wir betrachten das (zweidimensionale) Problemut + a(x, t, u)ux = g(x, t, u) t > 0, x ∈ Ru(x, 0) = u0(x).

Differentialgleichungen I 8

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1.4 Lineare partielle Differentialgleichungen zweiter Ordnung

Dieses “Cauchy-Problem” ist auf dem gesamten Raum definiert (t ist die Zeit-, x dieRaumkoordinate). Wir betrachten eine Kurve (“Charakteristik”) xc = xc(t) und setzenU(t) = u(xc(t), t). Dies liefert

U ′(t) = ux(xc(t), t)x′c(t) + ut(xc(t), t).

Mit der Wahl x′c(t) = a(xc(t), t, U(t)) haben wir mit U ′(t) = g(xc(t), t, U(t)) ein Systemvon zwei gekoppelten gewöhnlichen, nichtlinearen Differentialgleichungen erster Ordnung.Beispiel 1.3.1. Betrachte

ut + 4ux = 0 t > 0, x ∈ Ru(x, 0) = u0(x).

Wir haben also x′c(t) = 4 und U ′(t) = 0. Dies liefert xc(t) = 4t + xc(0) und U(t) =U(0). Nun suchen wir für beliebige x, t den Wert u(x, t). Wir ermitteln zunächst eineCharakteristik, auf der x liegt:

x!= xc(t) = 4x+ xc(0)⇒ xc(0) = x− 4t.

Also haben wir

u(x, t) = u(xc(t), t) = U(t) = U(0) = u(xc(0), 0) = u0(xc(0)) = u0(x− 4t).

1.4 Lineare partielle Differentialgleichungen zweiter Ordnung

Die allgemeine Form einer partiellen linearen Differentialgleichung zweiter Ordnung mitzwei Variablen lautet

auxx + buxy + cuyy + dux + euy + fu+ g = 0.

Die Terme, die die zweiten Ableitungen beinhalten, also auxx + buxy + cuyy werden auchals Hauptteil bezeichnet.

Als Diskriminante bezeichnen wir den Ausdruck D :=(b2

)2− ac.

Entsprechend der Diskriminante können wir die Differentialgleichung klassifizieren: Sie

heißt

parabolisch, wenn D = 0,elliptisch, wenn D < 0 undhyperbolisch, wenn D > 0.

Beispiel 1.4.1.

1. Beispiele für elliptische Differentialgleichungen sind die Laplace-Gleichung −∆u = 0,die Poisson-Gleichung −∆u = f und die Helmholtz-Gleichung −∆u+ fu = g.

2. Ein Beispiel für eine parabolische Gleichung ist die Wärmeleitgleichung ut−uyy = f .

3. Ein Beispiel für eine hyperbolische Gleichung ist die Wellengleichung utt − uxx = f .

Beispiel 1.4.2. Eine Saitenschwingung lässt sich mit folgendem Problem modellieren:utt − uxx = 0 x ∈ (0, L), t > 0u(0, t) = 0 = u(L, t)u(x, 0) = u0(x)ut(x, 0) = v0(x).

9 Differentialgleichungen I

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1 Elementare Lösungsmethoden für gewöhnliche und partielle Differentialgleichungen

Zur Lösung verwenden wir die Idee des Separationsansatzes. Dazu schreiben wir u alsu(x, t) = X(x)T (t). Einsetzen in die Differentialgleichung liefert X(x)T ′′(t) = X ′′(x)T (t)und damit

X ′′(x)X(x) = T ′′(t)

T (t) .

Nun ist eine Seite nur von x, die andere nur von t abhängig, was impliziert, dass sie beidekonstant sein müssen, diese Konstante sei−λ2. Wir lösen die DifferentialgleichungX ′′(x) =−λ2X(x) und erhaltenX(x) = a cos(λx)+b sin(λx) und analog T (t) = c cos(λt)+d sin(λt).Damit ist

u(x, t) =(a cos(λx) + b sin(λx)

)(c cos(λt) + d sin(λt)

)für jede Wahl von a, b, c, d und λ eine Lösung der Differentialgleichung.Diese Konstanten werden nur über die Anfangs- und Randbedingungen bestimmt.Die Randbedingung u(0, t) = 0 liefert über 0 = a

(c cos(λt) + d sin(λt)

), dass a = 0 (oder

c = d = 0). Die Randbedingung u(L, t) = 0 liefert mit a = 0 nun b sin(λL)(c cos(λt) +

d sin(λt))und damit λ = kπ

L für k ∈ Z.Mit C = bc und D = bd löst also

u(x, t) = sin(kπL x) (C cos

(kπL t)

+D sin(kπL t))

für beliebige C,D ∈ R und k ∈ Z die Differentialgleichung.Zur Erfüllung der Anfangswertbedingungen und Bestimmung von C und D kann die Fou-rieranalysis herangezogen werden.

Differentialgleichungen I 10

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2 Existenz und Eindeutigkeit bei Anfangswertproblemen

2.1 Integral für stetige Funktionen einer reellen Variable mit Werten ineinem Banach-Raum

Um im weiteren allgemeingültige Sätze formulieren zu können, benötigen wir die Definiti-on eines Integrals einer Banachraum-wertigen Funktion. Hierzu sei im folgenden (X, ‖·‖)ein (reeller) Banach-Raum und [a, b] ⊂ R, −∞ < a < b < ∞, ein abgeschlossenes, be-schränktes Intervall.Wir erinnern uns an die Definition der Stetigkeit:

Definition 2.1.1.

(i) Eine Funktion u : [a, b]→ X heißt stetig in t0 ∈ [a, b], falls es für alle ε > 0 ein δ > 0gibt, so dass

∀t ∈ [a, b] : |t− t0| < δ ⇒ ‖u(t)− u(t0)‖ < ε .

(ii) Ist u in jedem t ∈ [a, b] stetig, dann ist u auch gleichmäßig stetig (da [a, b] kompaktist), d.h. für alle ε > 0 gibt es ein δ > 0, so dass

∀s, t ∈ [a, b] : |s− t| < δ ⇒ ‖u(s)− u(t)‖ < ε .

Beispiel 2.1.2. Sei X = `1 = (vn)n∈N : ‖v‖`1 < ∞. Betrachte für T > 0 die Funktionu : [0, T ]→ X mit u(t) =

(tn−1

(n−1)!

)n∈N

. Diese Funktion ist wohldefiniert, da ‖u(t)‖ = et <∞. Außerdem ist u in [0, 1] stetig: Sei t ∈ [0, 1]. Es ist tk−1− sk−1 = (k− 1)ξk−2(t− s) fürein ξ zwischen s und t. Also ist

‖u(t)− u(s)‖ =∞∑k=1

tk−1 − sk−1

(k − 1)! = (t− s)∞∑k=2

ξk−2

(k − 2)! = (t− s)eξ ≤ (t− s)eT .

Wir bezeichnen mit C([a, b], X) die Menge aller stetiger Funktionen u : [a, b]→ X. Mit derNorm ‖u‖ = supt∈[a,b]‖u(t)‖ ist (C([a, b], X), ‖·‖) ein Banach-Raum. Für n ∈ N definierenwir die Treppenfunktionen

u(n)(t) =

u(t(n)k

), falls t ∈

[t(n)k , t

(n)k+1

)u(t(n)n−1

), falls t = b ,

wobei t(n)k = a+ k (b−a)

n für k = 0, . . . , n− 1.

Lemma 2.1.3. Die Treppenfunktionen u(n) konvergieren punktweise gegen u, d.h. für allet ∈ [a, b] gilt ‖u(n)(t)− u(t)‖ → 0.

Lemma 2.1.4. Es existiert ein g ∈ X mitˆ b

au(n)(t)dt :=

n−1∑k=0

u(t(n)k

) (t(n)k+1 − t

(n)k

)→ g .

Wir schreiben dann ˆ b

au(t)dt := g .

11 Differentialgleichungen I

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2 Existenz und Eindeutigkeit bei Anfangswertproblemen

Beweis. Sei g(n) =´ ba u

(n)(t)dt = b−an

∑n−1k=0 u

(t(n)k

). Wir zeigen, dass

(g(n)

)eine Cauchy-

Folge ist. Da X ein Banach-Raum ist, ist die Aussage damit bewiesen. Sei o.B.d.A. m > n,n,m ∈ N. Dann ist

g(m) − g(n) = b− am

m−1∑j=0

u(t(m)j

)− b− a

n

n−1∑k=0

u(t(n)k

)

= b− amn

nm−1∑j=0

u(t(m)j

)−m

n−1∑k=0

u(t(n)k

)= b− a

mn

(u(t(m)0

)+ · · ·+ u

(t(m)0

)︸ ︷︷ ︸

n-mal

+u(t(m)1

)+ · · ·+ u

(t(m)1

)︸ ︷︷ ︸

n-mal

+ · · ·

−(u(t(n)0

)+ · · ·+ u

(t(n)0

)︸ ︷︷ ︸

m-mal

+ · · ·))

Dies können wir so umsortieren, dass wir Summanden der Form u(t(m)[l/n]

)− u

(t(n)[l/m]

),

l = 0, . . . ,mn− 1, erhalten. Nun ist

t(m)[l/n] − t

(n)[l/m] = b− a

m

[l

n

]− b− a

n

[l

m

]= b− a

mn

(n

[l

n

]−m

[l

m

])≤ b− a

mn(l − (l −m)) = b− a

n.

Sei ε > 0. Wegen gleichmäßiger Stetigkeit von u ist nun für entsprechend gewähltes δ > 0für genügend großes n mit b−a

n < δ die Ungleichung ‖u(t(m)[l/n]

)− u

(t(n)[l/m]

)‖ < ε erfüllt.

Hiermit folgt‖g(m) − g(n)‖ ≤ b−a

mnmnε = (b− a)ε .

Bemerkung 2.1.5.

• Aufgrund der Stetigkeit von u ist das Integral unabhängig von der gewählten Zerle-gung.

• Es ist´ bau(t)dt ∈ X.

• Das Bochner-Integral bietet eine Verallgemeinerung auf unstetige Funktionen.

Beispiel 2.1.6. Sei u : [0, T ]→ `1 wie oben definiert. Dann istˆ T

0u(n)(t)dt = T − 0

n

n−1∑k=0

(1, Tnk,

T 2

2n2k2, . . .

)

=(n−1∑k=0

T

n,n−1∑k=0

T 2

n2 k,n−1∑k=0

T 3

n3 k2, . . .

)=(T, T

2

n2n(n−1)

2 , T3

n3(n−1)n(2n−1)

6 , . . .)

n→∞−−−→(T, T

2

2 ,T 3

6 , . . .)

=: g .

Damit haben wir jedoch nur gezeigt, dass´ T

0 u(n)(t)dt komponentenweise gegen g konver-giert. Noch zu überprüfen wäre die Konvergenz in `1 und auch ob g ∈ `1.

Differentialgleichungen I 12

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2.1 Integral für stetige Funktionen einer reellen Variable mit Werten in einem Banach-Raum

Satz 2.1.7 (Eigenschaften des Integrals).

(i) Das Integral ist linear: Für alle α, β ∈ R und u, v ∈ C([a, b], X) giltˆ b

a(αu(t) + βv(t))dt = α

ˆ b

au(t)dt+ β

ˆ b

av(t)dt .

(ii) Es gilt die Dreiecksungleichung:∥∥∥∥∥ˆ b

au(t)dt

∥∥∥∥∥ ≤ˆ b

a‖u(t)‖dt .

(iii) Es gilt1

b− a

ˆ b

au(t)dt ∈ cou(t) : t ∈ [a, b] .

(iv) Ist A : X → Y (Y sei ein weiterer Banach-Raum) ein linearer, beschränkter Opera-tor, dann ist

A

ˆ b

au(t)dt =

ˆ b

a(Au)(t)dt .

Bemerkung 2.1.8.

• co(M) ist die abgeschlossene konvexe Hülle einer Menge M : die kleinste abgeschlos-sene und konvexe Menge, die M enthält.Hierfür gilt der Satz von Mazur:

Satz 2.1.9 (Satz von Mazur). Ist M kompakt, dann ist auch co(M) kompakt.

Da [a, b] kompakt und u stetig ist, folgt daraus also, dass co(u([a, b])) kompakt ist.

• Ein Operator A : X → Y (X, Y seien Banach-Räume) heißt beschränkt, wenn erbeschränkte Mengen auf beschränkte Mengen abbildet.

• Ist A zusätzlich linear, so ist der Operator A genau dann beschränkt, wenn er auchstetig ist. Beide Aussagen sind außerdem äquivalent zu folgender Bedingung: Es gibtein c > 0, so dass

‖Ax‖Y ≤ c‖x‖Xfür alle x ∈ X.

Beweis.

(i) Klar.

(ii) Es gilt1∥∥∥∥∥ˆ b

au(t)dt

∥∥∥∥∥ ≤∥∥∥∥∥ˆ b

au(t)dt− b− a

n

n−1∑k=0

u(t(n)k

)∥∥∥∥∥+∥∥∥∥∥b− an

n−1∑k=0

u(t(n)k

)∥∥∥∥∥≤∥∥∥∥∥ˆ b

au(t)dt− b− a

n

n−1∑k=0

u(t(n)k

)∥∥∥∥∥+ b− an

n−1∑k=0

∥∥∥u (t(n)k

)∥∥∥n→∞−−−→ 0 +

ˆ b

a‖u(t)‖dt .

1Wegen∣∣‖u(t)‖ − ‖u(s)‖

∣∣ ≤ ‖u(t)− u(s)‖ ist t 7→ ‖u(t)‖ stetig.

13 Differentialgleichungen I

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2 Existenz und Eindeutigkeit bei Anfangswertproblemen

(iii) Mit ˆ b

au(t)dt = lim

n→∞

ˆ b

au(n)(t)dt = lim

n→∞

n−1∑k=0

u(t(n)k

)b−an

haben wir1

b− a

ˆ b

au(t)dt = lim

n→∞

n−1∑k=0

1nu(t(n)k

)∈ co(u([a, b])) .

(iv) Für u ∈ C([a, b], X) ist Au ∈ C([a, b], Y ), denn

‖A(u(t))−A(u(s))‖ = ‖A(u(t)− u(s))‖ ≤ const · ‖u(t)− u(s)‖ .

Mit der Stetigkeit von A haben wir nun

A

ˆ b

au(t)dt = A

(limn→∞

b− an

n−1∑k=0

u(t(n)k

))= lim

n→∞A

(b− an

n−1∑k=0

u(t(n)k

))

= limn→∞

b− an

n−1∑k=0

Au(t(n)k

)=ˆ b

aA(u(t))dt .

Satz 2.1.10. Sei u ∈ C([0, T ], X). Dann gilt

(i) limh→0

1h

ˆ t+h

tu(s)ds = u(t) ∀t ∈ [0, T ],

(ii) limh→0

ˆ T

0‖u(t + h) − u(t)‖dt = 0. (wobei u außerhalb von [0, T ] mit Null fortgesetzt

wird)

Beweis.

(i) Wir haben mit der Dreiecksungleichung∥∥∥∥∥1h

ˆ t+h

tu(s)ds− u(t)

∥∥∥∥∥ =∥∥∥∥∥1h

ˆ t+h

t(u(s)− u(t))ds

∥∥∥∥∥ ≤ 1h

ˆ t+h

t‖u(s)− u(t)‖ds .

Sei nun ε > 0. Wegen der gleichmäßigen Stetigkeit von u gibt es ein δ > 0, so dassfür alle s ∈ [0, T ] mit |s− t| < δ gilt, dass ‖u(s)− u(t)‖ < ε. Für |h| < δ haben wiralso 1

h

´ ba ‖u(s)− u(t)‖ds < ε.

(ii) Wieder gibt es zu jedem ε > 0 ein δ > 0 mit |s − t| < δ ⇒ ‖u(s) − u(t)‖ < ε. Fürh < δ (o.B.d.A. h > 0) haben wir nunˆ T

0‖u(t+ h)− u(t)‖dt =

ˆ T−h

0‖u(t+ h)− u(t)‖dt+

ˆ T

T−h‖u(t+ h)− u(t)‖dt

≤ Tε +ˆ T

T−h‖u(t+ h)︸ ︷︷ ︸

=0

−u(t)‖dt ≤ Tε + h‖u‖ .

Differentialgleichungen I 14

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2.2 Der Satz von Picard-Lindelöf

Definition 2.1.11. Eine Funktion u : [0, T ]→ X heißt differenzierbar in t ∈ [0, T ], wennein g ∈ X existiert, so dass

limh→0

∥∥∥∥u(t+ h)− u(t)h

− g∥∥∥∥ = 0 .

Ist u in jedem t ∈ [0, T ] differenzierbar (u heißt dann auch abkürzend differenzierbar) undist u′ : t 7→ u′(t) stetig, schreiben wir u ∈ C1([0, T ], X)

Satz 2.1.12 (Mittelwertsatz). Sei u : [0, T ] → X differenzierbar. Dann gilt für jedes In-tervall [a, b] ⊆ [0, T ]:

‖u(b)− u(a)‖ ≤ supt∈[a,b]

‖u′(t)‖(b− a) .

Beweis. Siehe Zeidler: Nonlinear Functional Analysis (I).

Satz 2.1.13 (Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung). Sei v ∈ C([0, T ], X).Dann ist t 7→ u(t) :=

´ t0 v(s)ds stetig differenzierbar und u′ = v.

Beweis. Mit Satz 2.1.10 haben wir∥∥∥∥∥1h

(ˆ t+h

0v(s)ds−

ˆ t

0v(s)ds

)− v(t)

∥∥∥∥∥ ≤ 1h

ˆ t+h

t‖v(s)− v(t)‖ds→ 0 .

2.2 Der Satz von Picard-Lindelöf

Im folgenden betrachten wir das Anfangswertproblemu′(x) = f(x, u(x))u(t0) = u0

und werden Aussagen über die Existenz und Eindeutigkeit einer Lösung unter gewissenVoraussetzungen treffen.

Definition 2.2.1. Sei f : [0, T ]×X → X. Eine Abbildung F mit

(Fv)(t) = f(t, v(t)) (2.1)

für Funktionen v : [0, T ]→ X heißt von f erzeugter Nemyzki-Operator .

Satz 2.2.2.

(i) Sei f : [0, T ] × X → X stetig. Dann bildet der zugehörige Nemyzki-Operator denRaum C([0, T ], X) in sich selbst ab, d.h.

F : C([0, T ], X)→ C([0, T ], X) .

(ii) Ist f : [0, T ]×B(u0, r)→ X stetig2, dann ist

F : C([0, T ], B(u0, r))→ C([0, T ], X) .2B(u0, r) = v ∈ X : ‖v − u0‖ ≤ r bezeichnet die abgeschlossene Kugel vom Radius r > 0 um u0.

15 Differentialgleichungen I

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2 Existenz und Eindeutigkeit bei Anfangswertproblemen

Beweis. Übung.

Bemerkung 2.2.3.

• f : [0, T ]×B(u0, r) heißt stetig, falls es für alle t ∈ [0, T ], v ∈ B(u0, r) und ε > 0 einδ > 0 gibt, so dass für alle s ∈ [0, T ] und w ∈ B(u0, r) mit |s − t| + ‖v − w‖ < δgilt, dass ‖f(t, v)− f(s, w)‖ < ε, d.h. wir verwenden auf [0, T ]× B(u0, r) die Norm(t, v) 7→ |t|+ ‖v‖.

• Im Endlichdimensionalen ist B(u0, r) kompakt, daher ist auch [0, T ]×B(u0, r) kom-pakt und f ist gleichmäßig stetig. Dann ist auch f([0, T ]×B(u0, r)) kompakt.

• Im Unendlichdimensionalen ist B(u0, r) dagegen nicht kompakt und die obigen Aus-sagen müssen nicht gelten.

Satz 2.2.4 (Rieszscher Kompaktheitssatz). Sei (X, ‖·‖) ein normierter Raum. Dann sindfolgende Ausagen äquivalent:

(i) X ist endlichdimensional.

(ii) Die abgeschlossene Einheitskugel ist kompakt.

(iii) Jede beschränkte Folge hat eine konvergente Teilfolge.

Die Aussage (ii) ist außerdem äquivalent zur Kompaktheit jeder beliebigen abgeschlossenenKugel. Im Unendlichdimensionalen ist also keine abgeschlossene Kugel kompakt.

Lemma 2.2.5. Sei f : [0, T ]×B(u0, r)→ X stetig und genüge einer Lipschitz-Bedingung,d.h. es gebe ein L ≥ 0, so dass

‖f(t, v)− f(t, w)‖ ≤ L‖v − w‖ ∀t ∈ [0, T ], v, w,∈ B(u0, r).

Dann gibt es eine obere Schranke M > 0 für ‖f(t, v)‖, d.h.

‖f(t, v)‖ ≤M ∀t ∈ [0, T ], v ∈ B(u0, r).

Beweis.

‖f(t, v)‖ ≤ ‖f(t, v)− f(t, u0)‖+ ‖f(t, u0)‖ ≤ L‖v − v0‖+ maxt∈[0,T ]

‖f(t, u0)‖

≤ Lr + maxt∈[0,T ]

‖f(t, u0)‖ =: M.

Wie zu Beginn des Kapitels angekündigt, werden wir nun eine erste Existenz- und Einzig-keitsaussage über das betrachtete Anfangwertproblem (2.1) formulieren.

Satz 2.2.6 (Satz von Picard-Lindelöf, lokale Version). Sei f : [0, T ]×B(u0, r)→ X stetigund genüge einer Lipschitz-Bedingung mit Lipschitz-Konstante L. Sei M > 0 eine obereSchranke wie in Lemma 2.2.5. Dann besitzt das betrachtete Anfangswertproblem (2.1) ge-nau eine Lösung u auf dem Intervall I = [0, T ]∩ [t0 − a, t0 + a] mit a = min rM ,

12L (d.h.

u ∈ C1(I,X)).

Differentialgleichungen I 16

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2.2 Der Satz von Picard-Lindelöf

Beweis. Betrachte die Abbildung

(Tv)(t) := u0 +ˆ t

t0

f(s, v(s))ds.

Eine Funktion u ∈ C1(I,X) ist offenbar genau dann Lösung des Anfangswertproblems,wenn Tu = u, d.h. wir suchen nach Fixpunkten von T . Hierzu betrachten wir die MengeA := u ∈ C(I,X) : ‖u(t)− u0‖ ≤ r ∀t ∈ I = C(I,B(u0, r)). Zunächst stellen wir fest,dass A 6= ∅, da u ≡ u0 in A liegt.Weiterhin ist A eine abgeschlossene Teilmenge von C(I,X): Sei (vn)n∈N ⊂ A mit vn →v ∈ C(I,X). Zu zeigen: v ∈ A. Für t ∈ I haben wir

‖v(t)− u0‖ ≤ ‖v(t)− vn(t)‖+ ‖vn(t)− u0‖ → ‖vn(t)− u0‖ ≤ r.

T ist außerdem eine Selbstabbildung, d.h. T : A→ A. Mit Satz 2.2.2 und dem Hauptsatzder Differential- und Integralrechnung ist Tv, v ∈ A, stetig differenzierbar und insbeson-dere stetig. Für t ∈ I haben wir weiterhin

‖(Tv)(t)− u0‖ =∥∥∥∥∥ˆ t

t0

f(s, v(s))ds∥∥∥∥∥ ≤ˆ max(t0,t)

min(t0,t)‖f(s, v(s))‖ds ≤M |t0 − t| ≤ r.

Und schließlich ist T eine Kontraktion:

‖Tv − Tw‖ = maxt∈I‖(Tv)(t)− (Tw)(t)‖ = max

t∈I

∥∥∥∥∥ˆ t

t0

(f(s, v(s))− f(s, w(s))

)ds∥∥∥∥∥

≤ maxt∈I

ˆ max(t0,t)

min(t0,t)‖f(s, v(s))− f(s, w(s))‖ds

≤ maxt∈I

ˆ max(t0,t)

min(t0,t)L‖v(s)− w(s)‖ds

≤ L|t− t0|‖v − w‖ ≤ 12‖v − w‖.

Nach dem Banachschen Fixpunktsatz gibt es nun genau einen Fixpunkt von T in A, alsogenau eine Lösung des Anfangswertproblems auf I.

Können wir die Konstanten L und M allerdings gleichmäßig wählen, erwarten wir globaleLösbarkeit.

Satz 2.2.7 (Satz von Picard-Lindelöf, globale Version). Sei f : [0, T ]×X → X stetig undgenüge einer Lipschitz-Bedingung. Dann hat das betrachtete Anfangswertproblem (2.1) fürbeliebige t0 ∈ [0, T ] und u0 ∈ X genau eine Lösung u ∈ C1([0, T ], X) auf ganz [0, T ].

Beweis. Sei T wie oben über (Tv)(t) := u0 +´ tt0f(s, v(s))ds definiert. Wieder ist ein

Fixpunkt gesucht. Wir setzen B = C([0, T ], X), d.h. T : B → B. Wir versehen B mit derNorm

‖u‖B := maxt∈[0,T ]

e−L|t−t0|‖u(t)‖ .

Diese Norm ‖·‖B ist äquivalent zur Supremumsnorm ‖·‖∞ (da e−L|t−t0| nach oben undunten durch positive Konstanten beschränkt ist), also ist (B, ‖·‖B) ein Banach-Raum.Offenbar ist B 6= ∅ und abgeschlossen, außerdem ist T eine Selbstabbildung.

17 Differentialgleichungen I

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2 Existenz und Eindeutigkeit bei Anfangswertproblemen

Es bleibt zu zeigen, dass T eine Kontraktion ist:

‖Tv − Tw‖B = maxt∈[0,T ]

e−L|t−t0|∥∥∥∥∥ˆ t

t0

(f(s, v(s))− f(s, w(s))

)ds∥∥∥∥∥

≤ L maxt∈[0,T ]

e−L|t−t0|ˆ max(t0,t)

min(t0,t)‖v(s)− w(s)‖ds

≤ L maxt∈[0,T ]

e−L|t−t0|ˆ max(t0,t)

min(t0,t)eL|s−t0|e−L|s−t0|‖v(s)− w(s)‖ds

≤ L maxt∈[0,T

e−L|t−t0|ˆ max(t0,t)

min(t0,t)eL|s−t0|‖v − w‖Bds

= L‖v − w‖B maxt∈[0,T ]

e−L|t−t0|(

1LeL|s−t0|

)∣∣∣tt0

= ‖v − w‖B maxt∈[0,T ]

e−L|t−t0|(eL|t0−t| − 1

)= ‖v − w‖B max

t∈[0,T ]1− e−L|t−t0| ≤

(1− e−LT

)‖v − w‖B

mit 1− e−LT < 1.Der Banachsche Fixpunktsatz liefert nun eine eindeutige Lösung des Anfangswertpro-blems.

Wir zeigen nun, dass auch aus lokaler Lipschitz-Bedingung globale Lösbarkeit folgen kann.Satz 2.2.8 (Satz von Picard-Lindelöf, globale Lösbarkeit bei lokaler Lipschitz-Bedingung).Sei f : R×X → X stetig und genüge einer lokalen Lipschitz-Bedingung, d.h. für alle s ∈ Rund v ∈ X gebe es ε > 0, r > 0 und L > 0, so dass für alle t ∈ R mit |s− t| < ε und allew1, w2 ∈ B(v, r) gilt, dass

‖f(t, w1)− f(t, w2)‖ ≤ L‖w1 − w2‖ .

Weiterhin gebe es ein M > 0, so dass ‖f(t, u(t))‖ ≤ M für jede Lösung u des Anfangs-wertproblems und alle t ∈ R, für die das jeweilige u(t) wohldefiniert ist.Dann ist das Anfangswertproblem (2.1) auf ganz R eindeutig lösbar für beliebige t0 ∈ R,u0 ∈ X.

Beweis. Seien t0 ∈ R, u0 ∈ X beliebig. Mit der lokalen Version von Picard-Lindelöferhalten wir die Existenz einer eindeutigen Lösung u auf einem Intervall [t0 − c, t0 + c].Sei nun I das größte offene Intervall, auf dem u existiert. Unser Ziel ist, dass I = R.Angenommen also, I 6= R. Dann können wir o.B.d.A. annehmen, dass I = (α, β) mit−∞ ≤ α < β < ∞. Da für t ∈ I gilt, dass u(t) = u0 +

´ tt0f(s, u(s))ds, haben wir für

t1, t2 ∈ I

‖u(t1)− u(t2)‖ =∥∥∥∥∥ˆ t1

t0

f(s, u(s))ds−ˆ t2

t0

f(s, u(s))ds∥∥∥∥∥

≤ˆ max(t1,t2)

min(t1,t2)‖f(s, u(s))‖ds ≤M |t1 − t2| .

Sei nun (tn)n∈N ⊂ I mit tn β. Dann ist (u(tn))n∈N ⊂ X eine Cauchy-Folge und es gibtein y ∈ X mit u(tn)→ y. Definiere u(β) = y. Betrachte nun das Anfangswertproblem

v′(t) = f(t, v(t))v(β) = y = u(β) .

Differentialgleichungen I 18

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2.3 Lineare Systeme mit beschränkten Operatoren

Wieder existiert eine lokale Lösung v ∈ C([β − d, β + d], X). Aufgrund der Eindeutigkeitstimmen u und v auf [β − d, β] überein. Daher existiert eine Lösung sogar bis β + d, wasim Widerspruch zu sup I = β steht, d.h. es muss β =∞ gelten.Analog erhalten wir α = −∞.

2.3 Lineare Systeme mit beschränkten Operatoren

Zu gegebenem [0, T ] betrachten wir das Problemu′(t) +A(t)u(t) = b(t) , t ∈ [0, T ]u(t0) = u0

(2.2)

für t0 ∈ [0, T ], u0 ∈ X. Hierbei ist A(t)t∈[0,T ] ⊂ L(X) eine Familie linearer, be-schränkter Operatoren A(t) : X → X, wobei A ∈ C([0, T ], L(X)) stetig ist. Weiterhinist b ∈ C([0, T ], X).Bemerkung 2.3.1. L(X,Y ) ist der Raum der beschränkten, linearen Operatoren von Xnach Y , L(X) := L(X,X). Mit der Operatornorm

‖A‖ := sup06=x∈X

‖Ax‖‖x‖

= sup‖x‖=1

‖Ax‖

ist (L(X,Y ), ‖·‖) ein Banach-Raum (falls Y ein Banach-Raum ist).Für dimX <∞ ist jeder lineare Operator T : X → X beschränkt.

Wir betrachten nun f : [0, T ]×X → X, f(t, u) = b(t)−A(t)u. Dann erfüllt f die Voraus-setzungen von Picard-Lindelöf:

• f ist stetig.

• f genügt einer Lipschitz-Bedingung:

‖f(t, u)− f(t, v)‖ = ‖A(t)v −A(t)u‖ = ‖A(t)(u− v)‖≤ ‖A(t)‖‖u− v‖ ≤ sup

t∈[0,T ]‖A(t)‖‖u− v‖ .

Dabei ist supt∈[0,T ]‖A(t)‖ <∞, da [0, T ] kompakt ist und t 7→ ‖A(t)‖ stetig ist.

Wir erhalten also eindeutige Lösbarkeit auf ganz [0, T ].

Satz 2.3.2. Sei I ⊆ R ein beliebiges Intervall. Dann ist das Anfangswertproblem (2.2)auf ganz I eindeutig lösbar für beliebige t0 ∈ I, u0 ∈ X.

Beweis. Ist I abgeschlossen und beschränkt, folgt die Behauptung mit Picard-Lindelöf.Für beliebiges I ⊆ R können wir I schreiben als I = ⋃

J für abgeschlossene, beschränkteIntervalle J ⊂ I mit t0 ∈ J . Auf jedem dieser Intervalle J existiert also eine eindeutigeLösung uJ ∈ C(J,X). Wir definieren u(t) = uJ(t), falls t ∈ J . Dann ist u : I → Xwohldefiniert: Seien J, J ′ ⊂ I beschränkte, abgeschlossene Intervalle mit t0 ∈ J, J ′ unduJ , uJ ′ die jeweiligen eindeutigen Lösungen. Dann folgt uJ = uJ ′ = uJ∩J ′ auf J ∩ J ′ unddamit insbesondere uJ(t) = uJ ′(t) für t ∈ J ∩ J ′.

19 Differentialgleichungen I

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2 Existenz und Eindeutigkeit bei Anfangswertproblemen

Im Fall X = R erinnern wir uns an die Lösung vonu′(t) + a(t)u(t) = b(t)u(t0) = u0

(2.3)

durch die Formel von Duhamel:

u(t) = u0 exp(−ˆ t

t0

a(s)ds)

+ˆ t

t0

exp(−ˆ t

sa(τ)dτ

)b(s)ds .

Nun setzen wir U(t, s) := exp(−´ ts a(τ)dτ

). Das so definierte U : [0, T ] × [0, T ] → L(R)

besitzt folgende Eigenschaften:

• U ist stetig.

• U(t, t) = idR.

• U(t, r)U(r, s) = U(t, s).

• u : t→ U(t, s)u0 ist die eindeutige Lösung des oben genannten Anfangswertproblems(2.3) mit b(t) = 0 und u(s) = u0.

• U(t, s)−1 = U(s, t)

• Ist a(t) ≡ a, dann ist U(t, s) = e−a(t−s) = S(t− s) mit S(r) = e−ra.

Definition 2.3.3. Sei A ∈ C(R, L(X)). Dann besitzt nach Satz 2.3.2 das Anfangswert-problem

u′(t) +A(t)u(t) = 0, t ∈ Ru(s) = u0

(2.4)

eine eindeutige Lösung u ∈ C1(R, X) für beliebige s ∈ R, u0 ∈ X. Die Abbildung(t, s) 7→ U(t, s) ∈ L(X), u(t) =: U(t, s)u0 heißt Propagator (auch Evolutionsoperator,Lösungsoperator, Übergangsoperator,. . . ).

Bemerkung 2.3.4. • Im allgemeinen gibt es keine explizite Darstellung für U(t, s).Kommutieren jedoch alle A(t), t ∈ R miteinander (d.h. A(t)A(s) = A(s)A(t) füralle s, t ∈ R), dann ist

U(t, s) = exp(−ˆ t

sA(τ)dτ

),

wobei wir für B ∈ L(X) die Exponentialfunktion als eB := ∑∞k=0

Bk

k! definieren. Diesist wohldefiniert, da die Partialsummen eine Cauchy-Folge bilden: Sei m > n. Dannist ∥∥∥∥∥

m∑k=0

Bk

k! −n∑k=0

Bk

k!

∥∥∥∥∥ ≤m∑

k=n+1

‖Bk‖k! ≤

m∑k=n+1

‖B‖k

k!n→∞−−−→ 0 .

Da X ein Banach-Raum ist, ist es auch L(X), also konvergiert ∑∞k=0Bk

k! in L(X).

Differentialgleichungen I 20

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2.3 Lineare Systeme mit beschränkten Operatoren

• Für s ∈ R, u0 ∈ X löst u(t) := exp(−´ ts A(τ)dτ

)u0 das Anfangswertproblem (2.4).

Aufgrund der Konstruktion des Integrals und der Exponentialfunktion als Grenzwertendlicher Summen haben wir mit entsprechender Kommutativität

ddt exp

(−ˆ t

sA(τ)dτ

)u0 = exp

(−ˆ t

sA(τ)dτ

)(−A(t))u0

= −A(t) exp(−ˆ t

sA(τ)dτ

)u0 .

Damit gilt u′(t) = −A(t)u(t) und ebenso u(s) = idu0 = u0.

• Ist A(t) konstant, d.h. A(t) ≡ A, sprechen wir von einem autonomen System. Indiesem Fall kommutieren insbesondere alle A(t) miteinander, wir haben U(t, s) =exp

(−´ ts Adτ

)= e−(t−s)A.

Setzen wir S(r) := e−rA (d.h. U(t, s) = S(t− s)), bildet S(r)r∈R eine einparamet-rige abelsche (d.h. kommutative) Gruppe: Für t, t1, t2, t3 ∈ R gilt

– S(t1)(S(t2)S(t3)

)=(S(t1)S(t2)

)S(t3),

– S(0) = id ∈ L(X),– S(t)−1 = S(−t),– S(t1)S(t2) = S(t1 + t2) = S(t2)S(t1).

Ist S dagegen nur auf [0,∞) gegeben, bildet S(t)t≥0 nur eine Halbgruppe, da dieInvertierbarkeit verloren geht.

• Propagatoren (bzw. zweiparametrige Familien) beschreiben das Lösungsverhaltenvon nicht autonomen (also von der Zeit nicht unabhängigen) und reversiblen Syste-men.Einparametrige Gruppen beschreiben autonome (von der Zeit unabhängige) undreversible Systeme.Halbgruppen beschreiben Systeme, die zwar homogen in der Zeit, aber nicht rever-sibel sind.

Satz 2.3.5 (Eigenschaften des Propagators). Es gelten die folgenden Aussagen:

(i) Es ist U(t, s) ∈ L(X) für alle t, s ∈ R und (t, s) 7→ U(t, s) ist stetig, d.h. U ∈C(R× R, L(X)).

(ii) Es ist U(t, t) = id ∈ L(X) und U(t, r)U(r, s) = U(t, s).

(iii) Es gilt U(t, s)−1 = U(s, t).

(iv) Die Abbildung U : (s, t) 7→ U(t, s) ist die eindeutige Lösung des Anfangswertwertpro-blems

∂∂tU(t, s) +A(t)U(t, s) = 0U(s, s) = id ∈ L(x)

in L(X).

(v) Ist A(t) ≡ A, dann ist U(t, s) = U(t− s, 0) = S(t− s) mit S(r) = e−rA.

21 Differentialgleichungen I

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2 Existenz und Eindeutigkeit bei Anfangswertproblemen

(vi) Es gelten die Gleichungen ∂∂tU(t, s) = −A(t)U(t, s) und ∂

∂sU(t, s) = U(t, s)A(t).

(vii) Es gilt die Abschätzung ‖U(t, s)‖L(X) ≤ exp(´ max(s,t)

min(s,t) ‖A(τ)‖dτ)für alle t, s ∈ R.

Beweis.

(i) Zur Linearität: Für u0, v0 ∈ X seien u(t) und v(t) die eindeutig bestimmten Lö-sungen des jeweiligen Problems (2.4) (für festes s ∈ R), d.h. u(t) = U(t, s)u0 undv(t) = U(t, s)v0. Setzen wir w := αu + βv für α, β ∈ R, dann löst auch w die Dif-ferentialgleichung mit w′ + Aw = 0 und w(s) = αu(s) + βv(s) = αu0 + βv0, d.h.U(t, s)(αu0 + βv0) = w(t) = αu(t) + βv(t) = αU(t, s)u0 + βU(t, s)v0.Zur Beschränktheit: Seien t, s ∈ R und u die Lösung von (2.4), es gelte also u(t) =U(t, s)u0. Es gilt u(t) = u0−

´ ts A(τ)u(τ)dτ , also ‖u(t)‖ ≤ ‖u0‖+

´ ts ‖A(τ)‖‖u(τ)‖dτ

(o.B.d.A. t ≥ s). Das Lemma von Gronwall (Satz 3.1.1) liefert nun die Abschätzung‖u(t)‖ ≤ ‖u0‖ exp

(´ ts ‖A(τ)‖dτ

). Damit gilt

‖U(t, s)‖ = sup06=u0∈X

‖U(t, s)u0‖‖u0‖

≤ exp(ˆ t

s‖A(τ)‖dτ

)<∞ .

Also ist U(t, s) ∈ L(X).Es bleibt die Stetigkeit von (t, s) 7→ U(t, s) zu zeigen. Seien hierzu s, t ∈ R beliebig.Dann haben wir für beliebige s′, t′ ∈ R (o.B.d.A. t′ > t)

‖U(t, s)− U(t′, s′)‖ ≤ ‖U(t, s)− U(t, s′)‖+ ‖U(t, s′)− U(t′, s′)‖ .

Nun haben wir für den zweiten Summanden

‖U(t, s′)− U(t′, s′)‖ = sup‖u0‖=1

‖U(t, s′)u0 − U(t′, s′)u0‖ = sup‖u0‖=1

‖u(t)− u(t′)‖ → 0 ,

wegen gleichmäßiger Stetigkeit von u = u(t) = U(t, s′)u0.Es bleibt der erste Summand zu untersuchen:. Hierzu betrachten wir

‖U(t, s′)u0 − U(t′, s′)u0‖ = ‖u(t)− u(t′)‖ ,

wobei u(t) = U(t, s′)u0. Es ist

u(t)− u(t′) =ˆ t′

tu′(τ)dτ =

ˆ t′

t−A(τ)u(τ)dτ ,

also

‖u(t)− u(t′)‖ ≤ˆ t′

t‖A(τ)‖‖u(τ)dτ

≤ˆ t′

t‖A(τ)‖‖u(τ)− u(t)‖dτ +

ˆ t′

t‖A(τ)‖‖u(t)‖dτ .

Somit ist nach dem Lemma von Gronwall (später)

‖u(t)− u(t′)‖ ≤ˆ t′

t‖A(τ)‖dτ‖u(t)‖ exp

(ˆ t′

t‖A(τ)‖dτ

)

≤ˆ t′

t‖A(τ)‖dτ exp

(ˆ t′

t‖A(τ)‖dτ

)exp

(ˆ t

s′‖A(τ)‖dτ

)‖u0‖ .

Differentialgleichungen I 22

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2.3 Lineare Systeme mit beschränkten Operatoren

Damit ist

‖(U(t, s′)− U(t′, s′))u0‖ ≤ˆ t′

t‖A(τ)dτ exp

(ˆ max(s′,t′)

min(s′,t′)‖A(τ)‖dτ

)‖u0‖ .

Somit gilt auch

‖U(t, s′)− U(t′, s′)‖ ≤ˆ t′

t‖A(τ)dτ exp

(ˆ max(s′,t′)

min(s′,t′)‖A(τ)‖dτ

)→ 0 (s′, t′)→ (s, t) .

(ii) Sei s ∈ R und u(t) = U(t, s)u0, u0 ∈ X. Dann ist u0 = u(s) = U(s, s)u0, also istU(s, s) = id ∈ L(X).Sei nun u(t) = U(t, s)u0 und v eine Lösung von

v′ +Av = 0v(r) = u(r).

Aus der Eindeutigkeit folgt v = u. Also

U(t, s)u0 = u(t) = v(t) = U(t, r)u(r) = U(t, r)U(r, s)u0 .

(iii) Folgt aus (ii).

(iv) Folgt aus (ii) und (vi).

(v) Wurde bereits gezeigt.

(vi) Sei wieder u(t) = U(t, s)u0. Es ist zu zeigen:∥∥∥∥U(t+ ∆t, s)− U(t, s)∆t +A(t)U(t, s)

∥∥∥∥L(X)

∆t→0−−−−→ 0 .

Betrachte∥∥∥∥U(t+ ∆t, s)− U(t, s)∆t u0 +A(t)U(t, s)u0

∥∥∥∥ =∥∥∥∥u(t+ ∆t)− u(t)

∆t +A(t)u(t)∥∥∥∥ .

Wir haben

u(t+ ∆t)− u(t)∆t +A(t)u(t) = − 1

∆t

ˆ t+∆t

tA(τ)u(τ)dτ +A(t)u(t)

= 1∆t

ˆ t+∆t

t(A(t)u(t)−A(τ)u(τ)dτ

= −ˆ t+∆t

tA(τ)

(u(τ)− u(t)

∆t +A(t)u(t))

+ 1∆t

ˆ t+∆t

t(A(t)−A(τ))u(t)dτ

+ˆ t+∆t

tA(τ)dτA(t)u(t) .

23 Differentialgleichungen I

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2 Existenz und Eindeutigkeit bei Anfangswertproblemen

Also gilt∥∥∥∥u(t+ ∆t)− u(t)∆t +A(t)u(t)

∥∥∥∥ ≤ ˆ t+∆t

t‖A(τ)‖

∥∥∥∥u(τ)− u(t)∆t +A(t)u(t)

∥∥∥∥dτ

+ 1∆t

ˆ t+∆t

t‖A(t)−A(τ)‖‖u(t)‖dτ

+ˆ t+∆t

t‖A(τ)dτ‖A(t)‖‖u(t)‖.

Das Lemma von Gronwall liefert∥∥∥∥u(t+ ∆t)− u(t)∆t +A(t)u(t)

∥∥∥∥ ≤(

1∆t

ˆ t+∆t

t‖A(t)−A(τ)‖‖u(t)‖dτ

+ˆ t+∆t

t‖A(τ)‖dτ‖A(t)‖‖u(t)‖

)exp

(ˆ t+∆t

t‖A(τ)‖dτ

).

Weiterhin gilt

‖u(t)‖ ≤ exp(ˆ t

s‖A(τ)‖dτ

)‖u0‖ .

Insgesamt haben wir∥∥∥∥ U(t+ ∆t, s)− U(t, s)∆t u0 +A(t)U(t, s)u0

∥∥∥∥ ≤(

1∆t

ˆ t+∆t

t‖A(t)−A(τ)‖dτ

+ˆ t+∆t

t‖A(τ)‖dτ

)exp

(ˆ t+∆t

t‖A(τ)‖dτ

)exp

(ˆ t

s‖A(τ)‖dτ

).

Hieraus folgt ∥∥∥∥U(t+ ∆t, s)− U(t, s)∆t +A(t)U(t, s)

∥∥∥∥→ 0 ,

da für jedes u0 die beiden Exponentialterme beschränkt bleiben, während die Inte-grale gegen Null konvergieren. Also ist ∂

∂tU(t, s) = −A(t)U(t, s).Schließlich haben wir

0 = ∂∂s id = ∂

∂sU(s, s) = ∂∂s(U(s, t)U(t, s))

=(∂∂sU(s, t)

)U(t, s) + U(s, t)

(∂∂sU(t, s)

).

Mit ∂∂sU(s, t) = −A(s)U(s, t) folgt A(s)U(s, t)U(t, s) = U(s, t) ∂∂sU(t, s), also

∂∂sU(t, s) = U(t, s)A(s) .

(vii) Wurde bereits in (i) gezeigt.

Wir betrachten nun das inhomogene Problem.

Differentialgleichungen I 24

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2.3 Lineare Systeme mit beschränkten Operatoren

Satz 2.3.6 (Formel von Duhamel). Sei A ∈ C(I, L(X)), b ∈ C(I,X), I ⊆ R ein Intervall,t0 ∈ I, u0 ∈ X. Betrachte das inhomogene Anfangswertproblem

u′(t) +A(t)u(t) = b(t)u(t0) = u0 .

(2.5)

Dann hat die eindeutig bestimmte Lösung u ∈ C1(I,X) hat die Darstellung

u(t) = U(t, t0)u0 +ˆ t

t0

U(t, s)b(s)ds . (2.6)

Ist insbesondere A(t) ≡ A, so gilt

u(t) = e−(t−t0)Au0 +ˆ t

t0

e−(t−s)Ab(s)ds .

Beweis. Aufgrund der Eindeutigkeit genügt es zu zeigen, dass u aus (2.6) das Anfangwert-problem (2.5) löst:

u′(t) = ∂

∂tU(t, t0)u0 + U(t, t)b(t) +

ˆ t

t0

∂tU(t, s)b(s)ds

= −A(t)U(t, t0)u0 + b(t)−ˆ t

t0

A(t)U(t, s)b(s)ds

= −A(t)U(t, t0)u0 + b(t)−A(t)ˆ t

t0

U(t, s)b(s)ds

= b(t)−A(t)(U(t, t0)u0 +

ˆ t

t0

U(t, s)b(s)ds)

= b(t)−A(t)u(t) .

Wir betreiben nun etwas Regularitätstheorie für den autonomen Fall A(t) ≡ A.

Satz 2.3.7. Sei u ∈ C1(I,X) die eindeutig bestimmte Lösung des Anfangswertproblemsu′(t) +Au(t) = b(t)u(t0) = u0 .

Aus b ∈ Cm(I,X) folgt dann u ∈ Cm+1(I,X). Insbesondere ist u ∈ C∞(I,X), fallsb ∈ C∞(I,X).

Beweis. Für u ∈ C1(I,X) ist auch Au ∈ C1(I,X):

(Au)′(t) = lim∆t→0

(Au)(t+ ∆t)− (Au)(t)∆t = A

(lim

∆t→0

u(t+ ∆t)− u(t)∆t

)= Au′(t) .

Ist u ∈ Cm(I,X), so auch Au ∈ Cm(I,X). Aus

u′(t) = b(t)−Au(t)

folgt nun also wegen der stetigen Differenzierbarkeit der rechten Seite

u′′(t) = b′(t)−Au′(t)

usw.

25 Differentialgleichungen I

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2 Existenz und Eindeutigkeit bei Anfangswertproblemen

Bemerkung 2.3.8. Ist A(t) 6= const, so erhalten wir formal

u′′(t) = b′(t)− (A(t)u(t))′ = b′(t)−A′(t)u(t)−A(t)u′(t)

mit der Forderung, dass A stetig differenzierbar ist.

Nun wenden wir uns dem endlichdimensionalen Problem zu, also X = Rd.

Satz 2.3.9 (Struktur). Sei X = Rd, A ∈ C(I,Rd×d), b ∈ C(I,Rd).

(i) Die Lösungsmenge V des homogenen Problems,

V := u ∈ C1(I,Rd) : u′(t) +A(t)u(t) = 0 ,

bildet einen d-dimensionalen Unterraum von C1(I,Rd).

(ii) Die Lösungsmenge

Vp := u ∈ C1(I,Rd) : u′(t) +A(t)u(t) = b(t)

bildet einen zu V affinen Unterraum von C1(I,Rd), d.h. Vp = V +up für eine beliebigepartikuläre Lösung up.

(iii) Seien v1, . . . , vm ∈ V beliebig für m ≤ d. Dann sind folgende Assagen äquivalent:

(a) Die Vektoren v1, . . . , vm sind linear unabhängig in C(I,Rd).(b) Für alle t ∈ I sind v1(t), . . . , vm(t) linear unabhängig in Rd.(c) Für ein t ∈ I sind v1(t), . . . , vm(t) linear unabhängig in Rd.

Beweis. Die Unterraumeigenschaft von V und (ii) folgen direkt aus dem Superpositions-prinzip.Wir betrachten S : Rd → V, u0 7→ u, wobei u die eindeutig bestimmte Lösung von

u′ +Au = 0u(t0) = u0

für beliebiges, aber festes t0 ∈ I ist. S ist linear, injektiv (u0 6= v0 ⇒ Su0 6= Sv0) undsurjektiv (u ∈ V : Su0 = u für u0 := u(t0)). Also ist S ein Isomorphismus und es istdimV = dimRd = d.Zu (iii): Wird S wie oben gewählt, so bewahrt S die lineare Unabhängigkeit, d.h. (iiia) istäquivalent zu (iiic) (t = t0). Da t0 beliebig wählbar ist, folgt auch (iiib)⇔(iiic).

Definition 2.3.10.

(1) Eine Basis u1, . . . , ud ⊂ V von V heißt Fundamentalsystem.

(2) Es bilden u1, . . . , ud ∈ V ein Fundamentalsystem. Sei (u1, . . . , ud) =: u. u : I → Rd×dheißt Fundamentalmatrix.

(3) Für u1, . . . , ud ∈ V heißt w := det(u1, . . . , ud) Wronski-Determinante.

Satz 2.3.11 (Wronski-Determinante).

(i) Es gilt entweder w(t) = 0 für alle t ∈ I oder es gilt w(t) 6= 0 für alle t ∈ I.

Differentialgleichungen I 26

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2.3 Lineare Systeme mit beschränkten Operatoren

(ii) Die Menge u1, . . . , ud ist ein Fundamentalsystem, falls w(t) 6= 0 für alle t ∈ I.

(iii) Die Menge u1, . . . , ud ist ein Fundamentalsystem, falls w(t) 6= 0 für ein t ∈ I.

(iv) Es gilt die Formel von Liouville:

w′(t) + tr(A(t))w(t) = 0

für t ∈ I und damit

w(t) = exp(−ˆ t

t0

tr(A(τ))dτ)w(t0) .

Beweis. Die ersten drei Aussagen folgen direkt aus Satz 2.3.9.Wir schreiben

W (t) = (u1, . . . , ud) =

W11(t) . . . W1d(t)... . . . ...

Wd1(t) . . . Wdd(t)

=

y1(t)...

yd(t)

.

Da ui die Gleichung u′i +Aui = 0 löst, haben wir

W ′(t) = −AW (t) = −

a11y1 + a12y2 + · · ·+ a1dyd...

...ad1y1 + ad2y2 + · · ·+ addyd

.

Für die Determinanten gilt

w(t) = detW (t) =∑σ

sgn(σ)W1,σ(1)(t) · · ·Wd,σ(d)(t)

und ebenso

w′(t) = (detW (t))′

=∑σ

sgn(σ)W ′1,σ(1)(t)W2,σ(2) · · ·Wd,σ(d)(t) + · · ·+∑σ

sgn(σ)W1,σ(1)(t) · · ·W ′d,σ(d)(t)

= det

y′1(t)...

yd(t)

+ · · ·+ det

y1(t)...

y′d(t)

.

Mit y′i = −ai1y1− · · · − aidyd und der Tatsache, dass die Determinante verschwindet, fallslinear abhängige Zeilen auftauchen, folgt

w′ = det

−a11y1y2...yd

+ · · ·+ det

y1...

yd−1−addyd

=d∑

n=1(−ann) det(W ) = − tr(A)w .

Satz 2.3.12 (Fundamentalmatrix und Propagator). Sei U eine Fundamentalmatrix. Danngilt

U(t, s) = U(t)U(s) .

27 Differentialgleichungen I

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2 Existenz und Eindeutigkeit bei Anfangswertproblemen

Beweis. Die Spalten u1, . . . , ud von U lösen das Anfangswertproblemu′ +Au = 0u(s) = uj(s) ,

j = i, . . . , d. Somit gilt uj(t) = U(t, s)uj(s), j = 1, . . . , d, und damit U(t) = U(t, s)U(s).

2.4 Der Satz von Peano

Wir erinnern uns zunächst an den Satz von Picard-Lindelöf: Das Anfangswertproblemu′(t) = f(t, u(t))u(t0) = u0

(2.7)

besitzt genau eine Lösung u ∈ C1(I,B(u0, r)), falls f : [0, T ]×B(u0, r)→ X stetig ist undeiner Lipschitz-Bedingung genügt, I = [0, T ] ∩ [t0 − a, t0 + a] mit a = min

1

2L ,rM

und

‖f(t, v)‖ ≤M für alle t, v.Wir machen nun eine Aussage über die nicht notwendigerweise eindeutige Lösbarkeit desProblems.

Satz 2.4.1 (Satz von Peano). Es sei X = Rd mit der Norm |·|. Sei u0 ∈ Rd, r > 0 und essei f : [0, T ] × B(u0, r) → Rd stetig. Dann hat das Anfangswertproblem (2.7) mindestenseine Lösung u ∈ C1(I,B(u0, r)) mit I = [0, T ] ∩

[t0 − r

M , t0 + rM

]und M = max

t∈[0,T ]v∈B(u0,r)

|f(t, v)|.

Bemerkung 2.4.2.

• Der Satz von Peano gilt in dieser Version nur für Rd bzw. für endlichdimensionalesX.

• Die Existenz von M ist gesichert, da f stetig und [0, T ]×B(u0, r) kompakt ist.

Um diesen Satz beweisen zu können, benötigen wir jedoch noch einige weitere Aussagen.

Satz 2.4.3 (Satz von Arzelà-Ascoli). Sei un eine Folge von auf [0, T ] gleichmäßigbeschränkten und gleichgradig stetigen Funktionen un : [0, T ] → Rd. Dann existiert einegleichmäßig konvergente Teilfolge.

Beweis. In der Übung.

Bemerkung 2.4.4.

• Die Folge un ⊂ C([0, T ],Rd) heißt gleichmäßig beschränkt, falls un als Folge inC([0, T ],Rd) beschränkt ist, d.h. falls es ein c > 0 gibt mit ‖un‖∞ ≤ c für alle n ∈ N.

• Die Folge un heißt gleichgradig stetig, falls es zu jedem ε > 0 ein δ > 0 gibt, sodass für alle n ∈ N, s, t ∈ [0, T ] mit |s− t| < δ gilt, dass |un(s)− un(t)| < ε.

• Dieser Satz gilt nur im Rd.

• Wir haben hiermit ein Kompaktheitskriterium für Mengen stetiger Funktionen. Esgilt: Eine Familie stetiger Funktionen in C([0, T ],Rd) ist genau dann relativ kompakt,wenn sie gleichmäßig beschränkt und und gleichgradig stetig ist.

Differentialgleichungen I 28

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2.4 Der Satz von Peano

Satz 2.4.5 (Fixpunktsatz von Brouwer). Jede stetige Abbildung einer abgeschlossenenKugel im Rd in sich selbst hat mindestens einen Fixpunkt.

Beweis. (Übung, Naos/Tutschke „Große Sätze und schöne Beweise der Mathematik“)

Bemerkung 2.4.6.

• Für d = 1 ist dies genau der Zwischenwertsatz.

• Der Brouwersche Fixpunktsatz gilt nur im Endlichdimensionalen.

• Die abgeschlossene Kugel kann durch eine beliebige nichtleere, abgeschlossene, be-schränkte, konvexe Menge ersetzt werden.

Satz 2.4.7 (Fixpunktsatz von Schauder). Sei (X, ‖·‖) ein Banach-Raum, A ⊆ X einenichtleere, abgeschlossene, beschränkte, konvexe Teilmenge von X und sei T : A→ A einekompakte Abbildung. Dann hat T mindestens einen Fixpunkt.

Bemerkung 2.4.8.

• Die Menge A heißt konvex, wenn für u, v ∈ A, λ ∈ [0, 1] auch λu + (1 − λ)v in Aliegt.

• Seien (X, ‖·‖X), (Y, ‖·‖Y ) normierte Räume, M ⊆ X. Dann heißt F : M → Y kom-pakt, falls F stetig ist und beschränkte Teilmengen von X in relativ kompakte Teil-mengen von Y überführt.Die zweite Eigenschaft besagt, dass man aus jeder beschränkten Folge in X eineTeilfolge auswählen kann, so dass deren Bilder konvergieren.

• Häufig wird Kompaktheit nur für lineare Operatoren definiert. In diesem Fall kannin der Definition auf die Stetigkeit verzichtet werden, da diese im linearen Fall ausder zweiten Eigenschaft folgt.

Satz 2.4.9 (Approximationssatz für kompakte Operatoren). Es seien X, Y Banach-Räume, ∅ 6= M ⊆ X beschränkt und F : M → Y kompakt. Dann gibt es zu jedem n ∈ Neine stetige Abbildung Fn : M → Y mit folgenden Eigenschaften:

(i) Es gilt die Abschätzun maxv∈M‖Fnv − Fv‖ ≤ 1

n .

(ii) Der von der Menge Fn(M) aufgespannte Unterraum ist endlichdimensional, d.h. esist dim spanFn(M) <∞.

(iii) Es gilt die Inklusion Fn(M) ⊂ coF (M).

Beweis. Da M beschränkt ist und F kompakt, ist F (M) ⊂ Y relativ kompakt. Somitgibt es zu jedem n ∈ N ein endliches 1

n -Netz von F (M): Es gibt v1, . . . , vm ∈ F (M),so dass

B(vj ,

1n

), j = 1, . . . , n

eine endliche Überdeckung von F (M) bildet, d.h. jedes

Bildelement Fu, u ∈M , liegt in einer Kugel B(vj , 1n). Damit ist

minj=1,...,n

‖Fu− vj‖ ≤1n

∀u ∈M .

Wir setzenaj(u) := max 1

n − ‖Fu− vj‖, 0 ≥ 0, j = 1, . . . ,m

29 Differentialgleichungen I

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2 Existenz und Eindeutigkeit bei Anfangswertproblemen

undFnu :=

∑mj=1 aj(u)vj∑mj=1 aj(u) .

Fn ist wohldefiniert, da aj(u) ≥ 0 und für mindestens ein j sogar aj(u) > 0.Die Abbildung u 7→ ‖Fu− vj‖ ist stetig, denn∣∣∣‖Fu− vj‖ − ‖Fu− vj‖∣∣∣ ≤ ‖Fu− Fu‖ → 0

für ‖u− u‖ → 0. Also ist auch aj stetig:

|aj(u)− aj(u)| =∣∣∣max 1

n − ‖Fu− vj‖, 0 −max 1n − ‖Fu− vj‖, 0

∣∣∣

=

01n − ‖Fu− vj‖ falls 1

n − ‖Fu− vj‖ < 01n − ‖Fu− vj‖ falls 1

n − ‖Fu− vj‖ < 0∣∣∣‖Fu− vj‖ − ‖Fu− vj‖∣∣∣ .Fälle 1 und 4 stellen kein Problem dar. In Fall 2 folgt aus ‖Fu−vj‖ < 1

n und ‖Fu−vj‖ > 1n

im Grenzfall ‖u − u‖ → 0, dass 1n − ‖Fu − vj‖ = 1

n − ‖Fu − vj‖ = 0. Damit ist auch Fnstetig als Komposition stetiger Funktionen.

(i) Für alle v ∈M gilt

‖Fnv − Fv‖ =

∥∥∥∥∥∥∥ m∑j=1

aj(v)

−1m∑j=1

aj(v)vj − Fv

∥∥∥∥∥∥∥=

∥∥∥∥∥∥∥ m∑j=1

aj(v)

−1m∑j=1

aj(v)(vj − Fv)

∥∥∥∥∥∥∥≤

m∑j=1

aj(v)

−1 m∑j=1

aj(v)

‖vj − Fv‖ < 1n.

(ii) Sei u ∈M . Dann ist

Fnu =

m∑j=1

aj(u)

−1m∑j=1

aj(u)vj ∈ spanv1, . . . , vm ,

also Fn(M) ⊆ spanv1, . . . , vm und damit dim spanFn(M) ≤ m <∞.

(iii) Sei u ∈M . Dann ist

Fnu =m∑j=1

aj(u)∑mj=1 aj(u)vj ∈ co(F (M)) .

Differentialgleichungen I 30

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2.4 Der Satz von Peano

Beweis des Schauderschen Fixpunktsatzes. O.B.d.A. sei 0 ∈ A. Ansonsten gibt es ein u0 ∈A, für das wir T (v) := T (u0 +v)−u0 setzen. T : A−u0 → A−u0 ist kompakt, 0 ∈ A−u0.Mit dem Approximationssatz gibt es zu jedem n ∈ N eine stetige Abbildung Tn : A→ Xn,wobei Xn ein endlichdimensionaler Unterraum von X ist. Weiterhin ist

‖Tnu− Tu‖ ≤1n

für alle u ∈ A. Wir setzen An := A ∩ Xn. Dann ist An nichtleer (0 ∈ A), abgeschlossenund beschränkt (da A beschränkt ist), konvex (da A und Xn konvex sind). Außerdem istAn im endlichdimensionalen Vektorraum Xn enthalten und es ist

Tn(A) ⊂ co(T (A)) ⊂ co(A) = A ,

also ist Tn : An → An eine Selbstabbildung. Nach dem Brouwerschen Fixpunktsatz gibt esmindestens einen Fixpunkt un ∈ An, d.h. Tnun = un.Es gilt un ⊂ A und A ist beschränkt, also ist es auch un. Da T kompakt ist, gibt eseine Teilfolge un′, so dass Tun′ konvergiert. Wir schreiben Tun′ → w. Damit habenwir

‖un′ − w‖ = ‖Tn′un′ − w‖ ≤ ‖Tn′un′ − Tun′‖+ ‖Tun′ − w‖ → 0, n→∞ .

Also ist Tw = w, denn

Tw = T

(limn′→∞

un′

)= lim

n′→∞Tun′ = w .

Beweis des Satzes von Peano. Wie im Beweis des Satzes von Picard-Lindelöf formulierenwir ein äquivalentes Fixpunktproblem: u löst das Anfangswertproblem, wenn u Fixpunktvon T ist, wobei

(Tu)(t) := u0 +ˆ t

t0

f(τ, u(τ))dτ .

Wir betrachten A := C(I,B(u0, r)) und T : A → A. Dann ist T wohldefiniert und eineSelbstabbildung. A ist nichtleer und abgeschlossen (wie im Beweis zu Picard-Lindelöf).Zu zeigen bleiben Konvexität und Beschränktheit von A und Kompaktheit von T .Zur Konvexität von A: Seien v, w ∈ A, λ ∈ [0, 1]. Dann ist λv+ (1− λ)w stetig, außerdemist

‖λv(t) + (1− λ)w(t)− u0‖ ≤ ‖λ(v(t)− u0)‖+ ‖(1− λ)(w(t)− u0)‖ ≤ λr + (1− λ)r = r .

Zur Beschränktheit von A: Sei v ∈ A. Dann ist

‖v‖ = maxt∈I‖v(t)‖ ≤ max

t∈I‖v(t)− u0‖+ ‖u0‖ ≤ r + ‖u0‖ .

Wir zeigen nun die Kompaktheit von T . Zunächst ist die Stetigkeit nachzuweisen. Seiendazu v, w ∈ A. Es gilt

‖Tv − Tw‖ = maxt∈I‖(Tv)(t)− (Tw)(t)‖ = max

t∈I

∥∥∥∥∥ˆ t

t0

(f(τ, v(τ))− f(τ, w(τ))

)dτ∥∥∥∥∥ .

31 Differentialgleichungen I

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2 Existenz und Eindeutigkeit bei Anfangswertproblemen

Da f stetig ist und auf der kompakten Menge [0, T ] × B(u0, r) auch gleichmäßig stetig,gibt es zu jedem ε > 0 ein δ > 0, so dass

‖v − w‖∞ = maxt∈I‖v(t)− w(t)‖ < δ ⇒ ‖f(t, v(t))− f(t, w(t))‖ < ε .

Also ist

‖Tv − Tw‖ = maxt∈I

∥∥∥∥∥ˆ t

t0

(f(τ, v(τ))− f(τ, w(τ))

)dτ∥∥∥∥∥

< maxt∈I

ˆ max(t0,t)

min(t0,t)εdτ = max

t∈Iε|t− t0| <

εr

M,

d.h. T ist stetig.Es bleibt zu zeigen, dass T beschränkte Mengen in relativ kompakte Mengen überführtoder – äquivalent dazu – dass das Bild Tun jeder beschränkten Folge un eine konver-gente Teilfolge enthält. Sei also un eine beliebige Folge in A (die Beschränktheit ist durchdie von A gegeben). Tun ist wegen der Beschränktheit von A gleichmäßig beschränkt.Sei nun ε > 0. Wir setzen δ := ε

M . Damit folgt für alle n ∈ N, s, t ∈ I mit |s− t| < δ, dass

‖(Tun)(t)− (Tun)(s)‖ =∥∥∥∥∥ˆ t

sf(τ, un(τ))dτ

∥∥∥∥∥ ≤ˆ max(s,t)

min(s,t)‖f(τ, un(τ))‖dτ ≤M |s− t| < ε .

Also ist Tun gleichgradig stetig. Nach dem Satz von Arzelà-Ascoli gibt es eine konver-gente Teilfolge von Tun.Damit ist T kompakt und wir können den Schauderschen Fixpunktsatz anwenden. Somithat T mindestens einen Fixpunkt bzw. das Anfangswertproblem mindestens eine Lösung.

IstX jedoch unendlichdimensional, so gilt der Satz von Peano in dieser Form nicht. Als Ideezur Verallgemeinerung ersetzen wir die Stetigkeit der rechten Seite durch Kompaktheit.Hierzu verallgemeinern wir zunächst den Satz von Arzelà-Ascoli.

Satz 2.4.10 (Verallgemeinerter Satz von Arzelà-Ascoli). Sei X ein Banach-Raum undM ⊆ C([0, T ], X). M ist genau dann relativ kompakt in C([0, T ], X), wenn

(i) die Menge M gleichgradig stetig ist und

(ii) die Menge M(t) = v(t) : v ∈M für alle t ∈ [0, T ] relativ kompakt in X ist.

Beweis. Dieudonné: „Grundzüge der modernen Analysis“, Band 1.

Satz 2.4.11 (Verallgemeinerter Satz von Peano). Es sei X ein Banach-Raum, u0 ∈ X,t0 ∈ [0, T ] und f : [0, T ] × B(u0, r) → X kompakt. Dann gibt es ein M > 0, so dass‖f(t, v)‖ ≤M für alle t ∈ [0, t] und v ∈ B(u0, r), und das Anfangswertproblem

u′(t) = f(t, u(t))u(t0) = u0

hat mindestens eine Lösung u ∈ C1(I,X) mit I = [0, T ] ∩ [t0 − rM , t0 + r

M ].

Differentialgleichungen I 32

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2.4 Der Satz von Peano

Beweis. [0, T ]×B(u0, r) ist beschränkt, also ist f([0, T ]×B(u0, r)) relativ kompakt undsomit beschränkt, was die Existenz von M liefert.Wie im endlichdimensionalen Fall betrachten wir T : A→ A,

(Tv)(t) = u0 +ˆ t

t0

f(τ, v(τ))dτ ,

für A = C(I,B(u0, r)). Wieder ist A nichtleer, abgeschlossen, beschränkt und konvex undT : A→ A eine Selbstabbildung.Wir zeigen die Stetigkeit von T : Sei ε > 0 beliebig. Dann gibt es ein δ = δ(v) > 0, so dassfür alle w ∈ A mit ‖v−w‖ = maxt∈I‖v(t)−w(t)‖ < δ gilt, dass ‖f(t, v(t))−f(t, w(t))‖ < ε

für alle t ∈ I. Denn: Angenommen, dies wäre nicht der Fall. Dann gäbe es ein ε > 0, sodass es für alle n ∈ N ein wn ∈ A gibt mit ‖v − wn‖ < 1

n , aber es gibt ein tn ∈ Imit ‖f(tn, v(tn)) − f(tn, wn(tn))‖ ≥ ε. Da (tn) ∈ I, gibt es eine konvergente Teilfolge;wir können also o.B.d.A. annehmen, dass (tn) konvergiert, d.h. tn → t, n→∞. Mit derStetigkeit von v ist v(tn)→ v(t). Damit ist

‖wn(tn)− v(t)‖ ≤ ‖wn(tn)− v(tn)‖︸ ︷︷ ︸<

1n

+‖v(tn)− v(t)‖ → 0 ,

also w(tn)→ v(t) und damit erhalten wir den Widerspruch

0 < ε ≤ ‖f(tn, v(tn))− f(tn, wn(tn))‖ → 0 .

Sei nun w ∈ A beliebig mit ‖v − w‖∞ < δ. Dann ist

‖Tv − Tw‖∞ = maxt∈I

∥∥∥∥∥ˆ t

t0

(f(τ, v(τ))− f(τ, w(τ))

)dτ∥∥∥∥∥

≤ maxt∈I

max(t0,t)ˆ

min(t0,t)

εdτ = εmaxt∈I|t− t0| ≤

εr

M.

Nun zeigen wir die Kompaktheit von T . Sei dazu M ⊆ A beliebig. Es ist zu zeigen, dassM := T (M) relativ kompakt ist.M ist gleichgradig stetig (analog zum endlichdimensio-nalen Fall). Sei t ∈ I beliebig. Zu zeigen: M(t) = v(t) : v ∈ M ist relativ kompakt inX. Für u ∈ M haben wir

(Tu)(t) = u0 +ˆ t

t0

f(τ, u(τ))dτ ∈ N(u, T ) ,

wobei

N(u, t) :=w ∈ X : w = u0 + (t− t0)w, w ∈ cof(τ, u(τ)), τ ∈ I

,

denn wir wissen bereits, dass für stetige Funktionen g : [a, b]→ X

1b− a

ˆ b

ag(τ)dτ ∈ cog(τ) : τ ∈ [a, b] .

Weiterhin ist

N(u, t) ⊂ N(t) :=w ∈ X : w = u0 + (t− t0)w, w ∈ cof(I ×B(u0, r)

.

33 Differentialgleichungen I

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2 Existenz und Eindeutigkeit bei Anfangswertproblemen

Da f kompakt ist und I × B(u0, r) beschränkt, ist f(I × B(u0, r)) relativ kompakt undnach dem Satz von Mazur ist cof(I ×B(u0, r) kompakt, also ist auch N(t) kompakt.Damit istM(t) ⊂ N(t) kompakt, insbesondere ach relativ kompakt.Nach dem verallgemeinerten Satz von Arzelà-Ascoli ist T kompakt und die Behauptungfolgt mit dem Schauderschen Fixpunktsatz.

Lemma 2.4.12 (Struktur der Lösungsmenge). Unter den Voraussetzungen des verallge-meinerten Satzes von Peano ist die Menge L aller Lösungen des Anfangswertproblems einekompakte Teilmenge L ⊂ C(I,B(u0, r)).

Beweis. Jede Lösung u ∈ L ist Fixpunkt von T , d.h. Tu = u. Insbesondere ist L ⊂ T (A).Da A beschränkt ist, ist T (A) relativ kompakt, also ist L relativ kompakt. Es bleibt zuzeigen, dass L abgeschlossen ist. Sei dazu (un) ∈ L mit un → u ∈ C(I,B(u0, r)). Zuzeigen: u ∈ L. Aufgrund der Stetigkeit von T gilt un = Tun → Tu, woraus Tu = u folgt,also ist u ∈ L.

2.5 Einzigkeitsaussagen

Satz 2.5.1 (Lokale Lipschitz-Bedingung). Sei X ein Banach-Raum, J ⊆ R ein offenesIntervall, D ⊂ X offen und f : J × D → X genüge auf J × D einer lokalen Lipschitz-Bedingung, d.h. für alle (t, v) ∈ J ×D gibt es a, r > 0 und L ≥ 0, so dass

‖f(s, w1)− f(s, w2)‖ ≤ L‖w1 − w2‖

für |t− s| < a und w1, w2 ∈ B(v, r). Dann hat das Anfangswertproblemu′(t) = f(t, u(t))u(t0) = u0

höchstens eine Lösung für (t0, u0) ∈ J ×D.

Beweis. Angenommen, es gäbe zwei verschiedene Lösungen u, v auf einem gemeinsamenExistenzintervall I 3 t0. Wir betrachten o.B.d.A. nur t ≥ t0. Es sei t die Stelle t ≥ t0, nachder sich die beiden Lösungen unterscheiden:

t := inft > t0 : u(t) 6= v(t) .

Da u und v stetig sind, ist u(t) = v(t) =: u und u(t + δ) 6= v(t + δ) für alle δ ∈ (0, δ).Aufgrund der lokalen Lipschitz-Bedingung gibt es Konstanten a, r > 0, L ≥ 0, so dass

‖f(t, w1)− f(t, w2)‖ ≤ L‖w1 − w2‖ ,

falls |t− t| < a, w1, w2 ∈ B(u, r). Wir betrachten t > t:

‖u(t)− v(t)‖ =∥∥∥∥∥u+

ˆ t

tf(s, u(s))ds− u−

ˆ t

tf(s, v(s))ds

∥∥∥∥∥≤ˆ t

t‖f(s, u(s))− f(s, v(s))‖ds ≤ 0 +

ˆ t

tL‖u(s)− v(s)‖ds .

Mit dem Lemma von Gronwall folgt

‖u(t)− v(t)‖ ≤ 0 · exp(ˆ t

tLds

)= 0 .

Also u(t) = v(t) für t < t < t+ a. Dies ist ein Widerspruch zur Definition von t.

Differentialgleichungen I 34

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2.5 Einzigkeitsaussagen

Satz 2.5.2 (Einseitige Lipschitz-Bedingung). Sei (H, (· , ·), |·|) ein Hilbert-Raum und dieFunktion f : [0, T ]×H → H genüge einer einseitigen Lipschitz-Bedingung, d.h. es gebe einL ∈ R, so dass für alle t ∈ [0, T ](

f(t, v)− f(t, w), v − w)≤ L|v − w|2 .

Dann hat das Anfangswertproblemu′(t) = f(t, u(t))u(t0) = u0

höchstens eine Lösung für t ≥ t0.

Zu beachten ist, dass an L keine Vorzeichenbedingung gestellt wird.Zum Beweis benötigen wir noch ein Lemma.

Lemma 2.5.3. Sei u ∈ C1(I,H). Dann ist

12

ddt(|u(t)|)2 = (u′(t), u(t)) .

Beweis. Seien t, t+ h ∈ I. Dann gilt

1h(|u(t+ h)|2 − |u(t)|2) = 1

h

((u(t+ h)− u(t), u(t+ h))− (u(t), u(t)− u(t+ h))

)= 1

h

((u(t+ h)− u(t), u(t+ h)) + (u(t+ h)− u(t), u(t))

).

Einerseits ist∣∣∣(u′(t), u(t))− 1h(u(t+ h)− u(t), u(t))

∣∣∣ =∣∣∣(u′(t)− 1

h(u(t+ h)− u(t)), u(t))∣∣∣

≤∣∣∣u′(t)− 1

h(u(t+ h)− u(t))∣∣∣|u(t)|

→ 0, h→ 0 ,

also ist1h

(u(t+ h)− u(t), u(t))→ (u′(t), u(t)) .

Andererseits ist∣∣∣(u′(t), u(t))− 1h(u(t+ h)− u(t), u(t+ h))

∣∣∣ ≤ |(u′(t), u(t)− u(t+ h))|

+∣∣∣(u′(t)− 1

h(u(t+ h)− u(t)), u(t+ h))∣∣∣

≤ |u′(t)||u(t)− u(t+ h)|+ |u′(t)− 1h(u(t+ h)− u(t))||u(t+ h)|

→ 0, h→ 0 ,

also ist1h(u(t+ h)− u(t), u(t+ h))→ (u′(t), u(t)) .

35 Differentialgleichungen I

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2 Existenz und Eindeutigkeit bei Anfangswertproblemen

Beweis (einseitige Lipschitz-Bedingung). Angenommen, es gäbe zwei verschiedene Lösun-gen u, v. Dann ist für t ≥ t0

12

ddt |u(t)− v(t)|2 =

(u′(t)− v′(t), u(t)− v(t)

)=(f(t, u(t))− f(t, v(t)), u(t)− v(t)

)≤ L|u(t)− v(t)|2 .

Wir integrieren von t0 bis t:

12(|u(t)− v(t)|2 − |u(t0)− v(t0)|︸ ︷︷ ︸

u0−u0

2)≤ Lˆ t

t0

|u(s)− v(s)|2ds

und damit|u(t)− v(t)|2 ≤ 2L

ˆ t

t0

|u(s)− v(s)|2ds .

Das Lemma von Gronwall liefert wieder

|u(t)− v(t)|2 ≤ 0 · exp(ˆ t

t0

2Lds)

= 0 ,

also u(t) = v(t) für t ≥ t0.

Satz 2.5.4 (Eindeutigkeitssatz von Nagumo). Sei X ein Banach-Raum, die Abbildungf : [0, T ]×B(u0, r)→ X sei stetig und genüge einer Nagumo-Bedingung, d.h. es gelte

|t− t0|‖f(t, u)− f(t, v)‖ ≤ ‖u− v‖

für u, v ∈ B(u0, r) und t ∈ [0, T ]. Dann hat das Anfangswertproblemu′(t) = f(t, u(t))u(t0) = u0

höchstens eine Lösung auf beliebigen Intervallen t0 ∈ J ⊆ [0, T ].

Beweis. Angenommen, es gäbe zwei verschiedene Lösungen u, v auf einem Intervall J .Wegen der Stetigkeit gibt es inf J ≤ t∗ < t0 < t∗ ≤ sup J mit u(t) = v(t) auf [t∗, t∗] undu(t) 6= v(t) zumindest auf kleinen Umgebungen rechts von t∗ bzw. links von t∗.Wir betrachten

m(t) :=

‖u(t)−v(t)‖|t−t0| für t 6= t0 , t ∈ J

0 sonst .

Wir zeigen, dass m(t) = 0 für alle t ∈ J . Für t 6= t0 gilt

m(t) = 1|t− t0|

∥∥∥∥∥ˆ t

t0

(f(s, u(s))− f(s, v(s))) ds∥∥∥∥∥

≤ 1|t− t0|

ˆ max(t,t0)

min(t,t0)‖f(s, u(s))− f(s, v(s))‖ds

→ ‖f(t0, u(t0))− f(t0, v(t0))‖ = 0, t→ t0 .

Also ist m überall stetig.

Differentialgleichungen I 36

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2.6 Verlauf der Lösungen im Großen und maximal fortgesetzte Lösungen

Sei h > 0 beliebig. Wegen t∗ ≥ t0 gilt

m(t∗ + h) = 1t∗ + h− t0

∥∥∥∥∥ˆ t∗+h

t∗(f(s, u(s))− f(s, v(s)))ds

∥∥∥∥∥≤ h

t∗ + h− t01h

ˆ t∗+h

t∗‖f(s, u(s))− f(s, v(s))‖ds ≤ 1

h

ˆ t∗+h

t∗m(s)ds .

Das Lemma von Gronwall liefert wieder m(t∗+h) = 0 für h > 0. Analog ist m(t∗−h) = 0für h > 0.

Satz 2.5.5 (Eindeutigkeitssatz von Osgood). Sei X ein Banach-Raum, t0 ∈ [0, T ], u0 ∈X, f : [0, T ]×B(u0, r)→ X stetig. Das Anfangswertproblem

u′(t) = f(t, u(t))u(t0) = u0

hat auf beliebigen Intervallen J 3 t0 höchstens eine Lösung, falls f eine Osgood-Bedingungerfüllt: Es gebe ein monoton wachsendes w : [0,∞) → [0,∞) mit w(0) = 0, w(z) > 0 fürz > 0, w(x+ y) ≤ w(x) + w(y) und limε0

´ z0ε

1w(z)dz =∞ für z0 > 0.

Beweis. Übung.

2.6 Verlauf der Lösungen im Großen und maximal fortgesetzte Lösun-gen

Wir untersuchen, wie das maximale Existenzintervall von Lösungen von Anfangswertpro-blemen beschaffen ist und wie sich die Lösung insbesondere an den Rändern verhält.Ist f : [0, T ] × D → X, so muss das maximale Existenzintervall einer Lösung in [0, T ]enthalten sein. Haben wir bereits globale Lösbarkeit gezeigt (die Lösung existiert also auf[0, T ]), so ist auch maximale Lösbarkeit auf [0, T ] gegeben.

Definition 2.6.1.

(1) Wie üblich sei für eine Lösung u des Anfangswertproblemsu′(t) = f(t, u(t))u(t0) = u0 ,

die auf ihrem Definitionsbereich Ju existiert, der Graph durch

graph(u) = (t, u(t)) : t ∈ Ju

definiert.

(2) Eine auf einem Existenzintervall Ju gegebene Lösung u des Anfangswertproblems istFortsetzung einer auf einem Intervall Jv gegebenen Lösung v des Anfangswertproblems,falls graph(u) ⊇ graph(v), d.h. Jv ⊆ Ju und v(t) = u(t) für t ∈ Jv.

(3) Eine auf einem Intervall Ju gegebene Lösung des Anfangswertproblems heißt maxi-mal fortgesetzt, falls sie keine echte Fortsetzung besitzt, d.h. für jede Lösung v mitgraph(v) ⊇ graph(u) gilt u = v.

37 Differentialgleichungen I

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2 Existenz und Eindeutigkeit bei Anfangswertproblemen

Bemerkung 2.6.2. Maximal fortgesetzte Lösungen müssen nicht eindeutig sein. Beispiel:u′(t) =

√u(t)

u(0) = 0 .

Dann ist für jedes α ≥ 0

uα(t) := (t−α)2

4 für t ≥ α0 für t ≤ α

, t ∈ Juα = R

eine maximal ortgesetzte Lösung.

Im folgenden benötigen wir das (umstrittene) Lemma von Zorn.Sei M eine Menge und ≤ eine auf M durch R≤ ⊆M ×M gegebene binäre Relation. Dannheißt ≤ Halbordnung, falls

(i) x ≤ x für alle x ∈M (d.h. (x, x) ∈ R≤).

(ii) Aus x ≤ y und y ≤ z folgt x ≤ z.

(iii) Aus x ≤ y und y ≤ x folgt y = x.

≤ ist eine Ordnung auf M (M ist durch ≤ geordnet), falls zusätzlich für alle x, y ∈ Mentweder x ≤ y oder y ≤ x gilt.Ein Element z ∈M ist eine obere Schranke einer Teilmenge M ′ ⊆M , falls x ≤ z für allex ∈M ′.Eine Teilmenge M ′ ⊆ M heißt Kette, falls M ′ (bezüglich der Halbordnung ≤ auf M)geordnet ist.

Satz 2.6.3 (Lemma von Zorn). Ist M eine halbgeordnete Menge und hat jede Kette in Meine obere Schranke, so hat M ein maximales Element, d.h. es gibt ein z ∈M , so dass füralle x ∈M aus z ≤ x folgt, dass x = z.

Das Lemma von Zorn ist äquivalent zum Auswahlaxiom . . .

Satz 2.6.4 (Auswahlaxiom). Jede Familie Xii∈I nichtleerer paarweise disjunkter Men-gen hat eine Auswahlfunktion , d.h. es gibt f : I → ⋃

i∈I Xi mit f(i) ∈ Xi

. . . und zum Wohlordnungssatz.

Satz 2.6.5 (Wohlordnungssatz). Jede Menge hat eine Wohlordnung, d.h. eine Ordnung,bezüglich der jede nichtleere Teilmenge ein kleinstes Element hat.

Satz 2.6.6 (Fortsetzungslemma). Sei X ein Banach-Raum, J ⊆ R ein offenes Intervall,D ⊆ X offen, t0 ∈ J , u0 ∈ D und f : J×D → X. Wir betrachten das Anfangswertproblem

u′(t) = f(t, u(t))u(t0) = u0 .

(i) Die Menge aller Lösungen des Anfangswertproblems ist bezüglich

u ≤ v :⇔ graph(u) ⊆ graph(v)

halbgeordnet.

Differentialgleichungen I 38

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2.6 Verlauf der Lösungen im Großen und maximal fortgesetzte Lösungen

(ii) Ist u eine auf einem Intervall Ju gegebene Lösung des Anfangswertproblems, so besitztu mindestens eine maximale Fortsetzung u, d.h. u ist eine Fortsetzung von u und uist maximal fortgesetzt.

Beweis. (i) ist klar, denn die Inklusion von Mengen ist eine Halbordnung.(ii). SeiM die Menge aller Fortsetzungen von u. Dann istM halbgeordnet (M muss jedochnicht geordnet sein). Sei M ′ ⊆M eine Kette, also geordnet, d.h. für v, w ∈M ′ gilt v ≤ woder w ≤ v, also Jv ⊆ Jw oder Jw ⊆ Jv und v(t) = w(t) für t ∈ Jv ∩ Jw. Wir setzenJv := ⋃

v∈M ′ Jv und v(t) := v(t), falls t ∈ Jv. v ist wohldefiniert auf Jv ⊆ J , da dieverschiedenen Lösungen gleich sind, wo sie existieren, und v ist eine Fortsetzung von u, dajedes v ∈M ′ Fortsetzung von u ist. Somit ist v ∈M und per Konstruktion v ≤ v für allev ∈ M ′. Nach dem Lemma von Zorn gibt es ein Maximales Element u ∈ M . u ist danneine Fortsetzung von u und per Definition von ≤ ist u maximal fortgesetzt.

Zu beachten ist jedoch, dass mit diesem Satz keine Aussage über die Existenz einer Lösunggetroffen wurde.

Satz 2.6.7. Sei X = Rd, D ⊆ Rd offen, J ⊆ R offen, t0 ∈ J , u0 ∈ D und f : J ×D → Rdstetig. Dann hat das Anfangswertproblem

u′(t) = f(t, u(t))u(t0) = u0

(2.8)

mindestens eine maximal fortgesetzte Lösung.

Beweis. Nach dem Satz von Peano gibt es mindestens eine lokale Lösung. Nach demFortsetzungslemma hat eine solche mindestens eine maximal fortgesetzte Lösung.

Satz 2.6.8 (Globaler Existenz- und Eindeutigkeitssatz). Sei X ein Banach-Raum, J ⊆ Rein offenes Intervall, D ⊆ X offen, t0 ∈ J , u0 ∈ D, f : J × D → X stetig und genügeeiner lokalen Lipschitz-Bedingung. Dann hat das Anfangswertproblem (2.8) genau einemaximal fortgesetzte Lösung auf einem maximalen Existenzintervall Jmax ⊆ J . Jmax istoffen. Sei also Jmax = (α, β). Dabei gilt – sofern im Falle dimX = ∞ die rechte Seite fauf beschränkten Teilmengen von D mit positivem Abstand zu ∂D beschränkt ist – (α, β) =Jmax = J oder

limtα

min(dist(u(t), ∂D), ‖u(t)‖−1

)= 0

bzw. analog mit t β.

Bemerkung 2.6.9.

• Es istdist(x,M) := inf

y∈M‖x− y‖ .

• Falls dimX < ∞, so gilt für eine beschränkte Teilmenge D′ ⊂ D, die positivenAbstand zu ∂D hat,

dist(D′, ∂D) > 0 .

• Im Fall dimX =∞ muss ansonsten ‖u(t)‖ nicht konvergieren.

• Für den rechten Rand β können also folgende Fälle auftreten:

39 Differentialgleichungen I

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2 Existenz und Eindeutigkeit bei Anfangswertproblemen

– β = sup J (globale Lösbarkeit),– ‖u(t)‖ → ∞ für t β oder– dist(u(t), ∂D)→ 0 für t β.

Beweis. Nach Picard-Lindelöf gibt es eine lokale Lösung um t0, nach dem Fortsetzungs-lemma gibt es mindestens eine maximale Fortsetzung u auf einem Intervall Ju. Nach demEinzigkeitssatz (für lokale Lipschitz-Bedingung) ist diese eindeutig, also Ju = Jmax. WäreJmax nicht offen, z.B. Jmax = (α, β], so könnten wir den lokalen Satz von Picard-Lindelöfz.B. auf die Anfangsbedingung v(β) = u(β) ∈ D anwenden und so u auf einer kleinenUmgebung rechts von β fortsetzen, was ein Widerspruch wäre.Zum Randverhalten betrachten wir den rechten Rand β. Angenommen, es sei β < sup Jund min(dist(u(t), ∂D), ‖u(t)‖−1) 6→ 0, t β, es gibt also ε > 0 und tn mit tn β unddist(u(tn), ∂D) ≥ 2ε und ‖u(tn)‖ ≤ 1

2ε für alle n ∈ N. O.B.d.A. sei ε2 < 12 . Wir setzen

M := max|f(t, v)| : v ∈ B(u0,

1ε ), t0 ≤ t < β, dist(v, ∂D) ≥ ε

.

M existiert und M <∞ nach Voraussetzung. Sei 0 < δ < εM .

Nun gilt: Für alle n ∈ N und 0 ≤ s < min(δ, β − tn) ist

‖u(tn + s)‖ < 1εund dist(u(tn + s), ∂D) > ε . (2.9)

Angenommen, dies gälte nicht. Dann gäbe es ein n∗ ∈ N und ein s∗ mit 0 < s∗ <min(δ, β − tn∗), so dass

‖u(tn∗ + s)‖ ≤ 1εund dist(u(tn∗ + s), ∂D) ≥ ε für alle s ∈ [0, s∗]

und‖u(tn∗ + s∗)‖ = 1

ε oder dist(u(tn∗ + s∗), ∂D) = ε .

Für 0 ≤ s ≤ s∗ gilt somit‖f(tn∗ + s, u(tn∗ + s)

)‖ ≤M

und demnach

‖f(tn∗ + s∗, u(tn∗ + s∗)

)‖ =

∥∥∥∥∥ˆ tn∗+s∗

tn∗f(τ, u(τ))dτ

∥∥∥∥∥ ≤Ms∗ < Mδ < ε .

Damit ist‖u(tn∗ + s∗)‖ < ‖u(tn∗)‖+ ε ≤ 1

2ε + ε ≤ 1ε,

da ε2 ≤ 12 , also ε ≤ 1

2ε . Ebenso ist

dist(u(tn∗ + s∗), ∂D) ≥ dist(u(tn∗), ∂D)− ‖u(tn∗ + s∗)− u(tn∗)‖ > 2ε− ε = ε .

Dies ist ein Widerspruch zur Definition von s∗, also gilt (2.9).Sei nun n ∈ N beliebig mit β − 1

n ≤ δ. Für alle s mit tn ≤ s < β gilt also ‖u(s)‖ < 1ε und

dist(u(s), ∂D) > ε. Für s, t ∈ [tn, β) folgt

‖u(s)− u(t)‖ ≤ˆ max(s,t)

min(s,t)‖f(τ, u(τ))‖dτ ≤M |s− t| .

Differentialgleichungen I 40

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2.7 Existenz und Einzigkeit von Lösungen im Sinne von Carathéodory

Ist (sk) eine Folge mit sk β, so ist demnach

‖u(sk)− u(sk)‖ ≤M |sk − sk|

und (u(sk)) ist eine Cauchy-Folge in X, also konvergent. Wir setzen y := limk→∞ u(sk). Istk hinreichend groß, so ist tn ≤ sk < β und damit dist(u(sk), ∂D) > ε, also dist(y, ∂D) ≥ ε,ebenso gilt ‖y‖ ≤ 1

ε , also y ∈ D.Sei (sk) eine weitere Folge mit sk β. Wir setzen analog y := limk→∞ u(sk) ∈ D. Es gilt

‖y − y‖ = limk→∞‖u(sk)− u(sk)‖ ≤ lim

k→∞

ˆ max(sk,sk)

min(sk,sk)‖f(τ, u(τ))‖dτ ≤M lim

k→∞|sk − sk| = 0 .

Somit ist u(t)→ y ∈ D für t β. Setzen wir u(β) = y, so gilt

u(t) = u0 +ˆ t

t0

f(τ, u(τ))dτ

auf (α, β], denn ∥∥∥∥∥ˆ t

t0

f(τ, u(τ))dτ −ˆ s

t0

f(τ, u(τ))dτ∥∥∥∥∥ ≤M |s− t| .

Mit sk β ist(´ sk

t0f(τ, u(τ))dτ

)eine Cauchy-Folge in X, also konvergent gegenˆ β

t0

f(τ, u(τ))dτ .

Also ist u eine lösung auf (α, β]. Dies ist ein Widerspruch zur Definition von β.

2.7 Existenz und Einzigkeit von Lösungen im Sinne von Carathéodory

Wir betrachten nun unstetige rechte Seiten und Lösungen, die nur noch fast überall diffe-renzierbar sind. Dazu setzen wir folgenden Begriffe aus der Maßtheorie voraus:Lebesgue-Maß, Lebesgue-messbare Funktionen, Lebesgue-integrierbare Funktionen, Null-mengen, fast überall, Konvergenzsatz von Lebesgue (Satz über dominierte bzw. majori-sierte Konvergenz), einfache Funktionen.

Definition 2.7.1. Eine Funktion g : [0, T ] → Rd heißt absolut stetig, falls es zu jedemε > 0 ein δ > 0 gibt, so dass für jede endliche Menge von paarweise disjunkten Intervallen(ak, bk) ⊂ [0, T ], k = 1, . . . , n, der Gesamtlänge ∑n

k=1|bk − ak| < δ gilt, dassn∑k=1‖g(bk)− g(ak)‖ < ε .

Bemerkung 2.7.2. Aus Lipschitz-Stetigkeit folgt absolute Stetigkeit und aus absoluter Ste-tigkeit folgt gleichmäßige Stetigkeit; die Umkehrungen gelten im allgemeinen jedoch nicht.

Satz 2.7.3 (Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung). Es gelten die folgendenAussagen:

(i) Ist g : [0, T ] → Rd absolut stetig, so existiert fast überall auf [0, T ] die klassischeAbleitung g′- Dann ist g′ Lebesgue-integrierbar und es gilt für beliebiges t0 ∈ [0, T ]

g(t) = g(t0) +ˆ t

t0

g′(s)ds .

41 Differentialgleichungen I

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2 Existenz und Eindeutigkeit bei Anfangswertproblemen

(ii) Ist v : [0, T ] → Rd Lebesgue-integrierbar, so ist t 7→ g(t) :=´ tt0v(s)ds absolut stetig

und es giltg′ = v

fast überall.

Bemerkung 2.7.4. Alle auftretenden Integrale, Messbarkeitsbegriffe etc. sind wie üblichkomponentenweise zu verstehen.Die gesamte Theorie funktioniert mit dem Bochner-Integral auch im Unendlichdimensio-nalen (für reflexive Räume).

Beweis. Kolmogorov/Fomin: Analysis/Funktionalanalysis, Natanson: Theorie der Funk-tionen einer reellen Veränderlichen.

Definition 2.7.5. Sei M ⊆ Rd, f : [0, T ]×M → Rd.

(1) f erfüllt auf M eine Carathéodory-Bedingung, falls

(a) die Abbildung t 7→ fi(t, v) auf [0, T ] für alle v ∈M , i = 1, . . . , d, Lebesgue-messbarist und

(b) die Abbildung v 7→ fi(t, v) auf M für fast alle t ∈ [0, T ] stetig ist.

(2) f erfüllt eine Majorantenbedingung auf [0, T ]×M , falls es eine integrierbare Funktionm : [0, T ]→ R gibt mit

|fi(t, v)| ≤ m(t)

für alle (t, v) ∈ [0, T ]×M , i = 1, . . . , d.

Lemma 2.7.6. Es gelten die folgenden Aussagen:

(i) Genügt f einer Carathéodory-Bedingung, so bildet der zugehörige Nemyzki-Operatormessbare Funktionen auf messbare Funktionen ab.

(ii) Genügt f zusätzlich einer Majorantenbedingung, so bildet der zugehörige Nemyzki-Operator integrierbare Funktionen auf integrierbare Funktionen ab.

Beweis.

(i) Sei F der zugehörige Nemyzki-Operator, d.h.

(Fv)(t) := f(t, v(t))

für t ∈ [0, T ]. Sei v : [0, T ]→ Rd messbar und sei (vn) eine Folge einfacher Funktionenmit vn → v f.ü. Es ist dann

(Fivn)(t) = fi(t, vn(t))→ fi(t, v(t)) = (Fv)i(t) f.ü.

Weiterhin gilt

fi(t, vn(t)) = fi

t, mn∑j=1

vnj (t)1Bnj (t)

=mn∑j=1

f(t, vnj (t))1Bnj (t)

für paarweise disjunkte und messbare Mengen Bnj , womit (Fvn)i messbar ist. Da

(Fvn)i → (Fv)i f.ü., ist auch (Fv)i messsbar und damit auch Fv.

Differentialgleichungen I 42

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2.7 Existenz und Einzigkeit von Lösungen im Sinne von Carathéodory

(ii) Wegen |fi(t, v)| ≤ m(t) und der Integrierbarkeit von m ist Fv mitˆ T

0|fi(t, v(t))|dt ≤

ˆ T

0m(t)dt <∞

integrierbar.

Satz 2.7.7 (Lokale Lösbarkeit). Sei u0 ∈ Rd, t0 ∈ [0, T ]. Genügt f : [0, T ]×B(u0, r)→ Rdeiner Carathéodory- und einer Majorantenbedingung, so dass |f(t, v)| ≤ m(t) für (t, v) ∈[0, T ]×B(u0, r), so besitzt die Integralgleichung

u(t) = u0 +ˆ t

t0

f(s, u(s))ds

mindestens eine Lösung auf einem Intervall I := [0, T ]∩ [t0−a, t0 +a], wobei a so gewähltsei, dass

maxt∈I

∣∣∣∣∣ˆ t

t0

m(s)ds∣∣∣∣∣ ≤ r .

Weiterhin ist u absolut stetig.

Bemerkung 2.7.8.

• Da u absolut stetig ist und die Integralgleichung erfüllt, folgtu′(t) = f(t, u(t)) f.ü. auf Iu(t0) = u0 ,

d.h. u löst das Anfangswertproblem im Sinne von Carathéodory.

• Ist f sogar stetig, kannm(t) := M := max

(t,v)|f(t, v)|

gewählt werden. Somit ist

maxt∈I

∣∣∣∣∣ˆ t

t0

m(s)ds∣∣∣∣∣ = max

t∈IM |t− t0| = Ma

!≤ r .

Damit entspricht der Satz dem Satz von Peano.

Beweis. Sei A := C(I,B(u0, r)). Dann ist A wieder nichtleer, konvex, abgeschlossen undbeschränktWir definieren wieder

(Tu)(t) := u0 +ˆ t

t0

f(s, u(s))ds ,

u ∈ A. u ∈ A ist stetig auf I, also messbar und integrierbar auf I. Aus dem Lemma 2.7.6folgt nun, dass s 7→ f(s, u(s)) integrierbar ist, also ist T wohldefiniert.Es ist T : A → A, denn für u ∈ A ist nach dem Hauptsatz der Differential- und Integral-rechnung Tu absolut stetig, also insbesondere stetig und

‖(Tu)(t)− u0‖ ≤ˆ max(t0,t)

min(t0,t)‖f(s, u(s))‖ds ≤

ˆ max(t0,t)

min(t0,t)m(s)ds ≤ r .

43 Differentialgleichungen I

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2 Existenz und Eindeutigkeit bei Anfangswertproblemen

T ist stetig: Sei vn → v in A. Nach der Carathéodory-Bedingung folgt f(t, vn(t)) →f(t, v(t)) f.ü., also ‖f(t, vn(t))− f(t, v(t))‖ → 0 f.ü. Da nach der Majorantenbedingung

‖f(t, vn(t))− f(t, v(t))‖ ≤ 2m(t) ∀n ∈ N ,

folgt aus dem Satz von Lebesgue, dassˆI‖f(t, vn(t))− f(t, v(t))‖dt→ 0 .

Also folgt

‖Tvn − Tv‖ ≤ maxt∈I

ˆ max(t0,t)

min(t0,t)‖f(s, vn(s))− f(s, v(s))‖ds

≤ˆI‖f(s, vn(s))− f(s, v(s))‖ds→ 0 .

T überführt beschränkte Mengen in relativ kompakte Mengen: Aus T (A) ⊂ A folgt gleich-mäßige Beschränktheit. T ist gleichgradig stetig, denn

‖(Tv)(t)− (Tv)(s)‖ ≤ˆ max(t0,t)

min(t0,t)‖f(τ, v(τ))‖dτ ≤

ˆ max(t0,t)

min(t0,t)m(τ)dτ ,

unabhängig von v ∈ A. Da m integrierbar ist, ist insbesondere m im L1-Mittel stetig, d.h.für alle ε > 0 gibt es ein δ > 0, so dass aus |s− t| < δ folgt, dass

´ max(s,t)min(s,t) m(τ)dτ < ε.

Somit ist T kompakt. Die Behauptung folgt nun mit dem Schauderschen Fixpunktsatz.

Satz 2.7.9 (Maximal fortgesetzte Lösungen). Sei J ⊆ R ein offenes Intervall, D ⊆ Rdoffen, f : J×D → Rd genüge einer Carathéodory-Bedingung und für jede kompakte MengeK ⊂ D gebe es mK ∈ L1(J) mit

‖f(t, v)‖ ≤ mK(t)

für alle t ∈ J , v ∈ K. Dann gibt es zu jedem (t0, u0) ∈ J ×D mindestens eine maximalfortgesetzte Lösung des Anfangswertproblems

u′(t) = f(t, u(t))u(t0) = u0

im Sinne von Carathéodory auf einem maximalen Existenzintervall (α, β) ⊂ J .Für t α bzw. t β läuft die Lösung „gegen den Rand von J ×D“. Erfüllt f zusätzlichfür jedes kompakte K ⊂ D eine verallgemeinerte Lipschitz-Bedingung, d.h. es gebe ein`k ∈ L1(J) mit

‖f(t, v)− f(t, w)‖ ≤ `k(t)‖v − w‖

für alle t ∈ J , v, w ∈ K, so gibt es genau eine derartige maximal fortgesetzte Lösung.

Bemerkung 2.7.10. Die meisten Aussagen für klassische Lösungen lassen sich für Lösungenim Sinne von Carathéodory umformulieren.

Differentialgleichungen I 44

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3 Abhängigkeit der Lösungen von den Daten, Stabilität,Zeitdiskretisierung

3.1 Stetige/differenzierbare Abhängigkeit der Lösungen von den Daten,Lemma von Gronwall

Satz 3.1.1 (Lemma von Gronwall). Sei 0 < T ≤ ∞, t0 ∈ [0, T ), a, b ∈ L∞(t0, T ),λ ∈ L1(t0, T ), λ ≥ 0 fast überall. Gilt nun

a(t) ≤ b(t) +ˆ t

t0

λ(s)a(s)ds

fast überall in (t0, T ), dann folgt

a(t) ≤ b(t) +ˆ t

t0

eΛ(t)−Λ(s)λ(s)b(s)ds

fast überall in (t0, T ), wobei

Λ(t) :=ˆ t

t0

λ(s)ds .

Ist b auf [t0, t] absolut stetig, so gilt

a(t) ≤ eΛ(t)(b(t0) +

ˆ t

t0

e−Λ(s)b′(s)ds).

Ist b monoton wachsend und stetig, so gilt

a(t) ≤ b(t)eΛ(t) .

Beweis. Da a, b ∈ L∞ und λ ∈ L1, sind alle Terme wohldefiniert. Wir machen den Ansatz

a(t) := e−Λ(t)ˆ t

t0

λ(s)a(s)ds .

Damit ist

a′(t) = e−Λ(t)(λ(t)a(t)− λ(t)

ˆ t

t0

λ(s)a(s)ds)≤ e−Λ(t)λ(t)b(t) .

Wir integrieren von t0 bis t:

a(t)− a(t0) = e−Λ(t)ˆ t

t0

λ(s)a(s)ds ≤ˆ t

t0

e−Λ(s)λ(s)b(s)ds .

Wir haben

e−Λ(t)(a(t)− b(t)) ≤ e−Λ(t)ˆ t

t0

λ(s)a(s)ds ≤ˆ t

t0

e−Λ(s)λ(s)b(s)ds

und damit alsoa(t) ≤ b(t) +

ˆ t

t0

eΛ(t)−Λ(s)λ(s)b(s)ds .

45 Differentialgleichungen I

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3 Abhängigkeit der Lösungen von den Daten, Stabilität, Zeitdiskretisierung

Ist b nun absolut stetig, so folgt mit partieller Integrationˆ t

t0

e−Λ(s)λ(s)b(s)ds = −e−Λ(s)b(s)∣∣∣tt0

+ˆ t

t0

e−Λ(s)b′(s)ds

= −e−Λ(t)b(t) + b(t0) +ˆ t

t0

e−Λ(s)b′(s)ds .

Also gilt

a(t) ≤ eΛ(t)(b(t0) +

ˆ t

t0

e−Λ(s)b′(s)ds).

Ist nun b monoton wachsend und stetig, folgt die Aussage wie aus der Übung bekannt.

Bemerkung 3.1.2. Die Forderung λ ≥ 0 ist wesentlich für die Aussage; für λ ≤ 0 gibt esGegenbeispiele.

Satz 3.1.3 (Differentielles Lemma von Gronwall). Es sei a : [t0, T ]→ R absolut stetig undes seien g, λ ∈ L1(t0, T ). Gilt nun

a′(t) ≤ g(t) + λ(t)a(t)

fast überall in (t0, T ), dann folgt

a(t) ≤ eΛ(t)a(t0) +ˆ t

t0

eΛ(t)−Λ(s)g(s)ds

fast überall.

Bemerkung 3.1.4. Hier kann λ auch negativ sein.

Beweis. Wieder sind alle Terme wohldefiniert. Wir machen den Ansatz

a(t) = e−Λ(t)a(t) .

Damit ista′(t) = e−Λ(t)(a′(t)− λ(t)a(t)) ≤ e−Λ(t)g(t) .

Integrieren liefert

a(t)− a(t0) = e−Λ(t)a(t)− a(t0) ≤ˆ t

t0

e−Λ(s)g(s)ds .

Satz 3.1.5 (Stetige Abhängigkeit der Lösung von den Anfangsbedingungen). Unter denVoraussetzungen des verallgemeinerten Satzes von Picard-Lindelöf (Satz 2.2.6) sei u dieLösung des Anfangswertproblems

u′(t) = f(t, u(t))u(t0) = u0

auf einem Intervall I = [0, T ]∩ [t0−a, t0 +a], mit a = min 12L ,

rM . Dann gibt es zu jedem

v0 ∈ B(u0, r) eine eindeutige Lösung des Anfangswertproblemsv′(t) = f(t, v(t))v(t0) = v0

Differentialgleichungen I 46

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3.1 Stetige/differenzierbare Abhängigkeit der Lösungen von den Daten, Lemma von Gronwall

auf einem Intervall I ′ ⊆ I und es gilt für alle t ∈ I ′

‖v(t)− u(t)‖ ≤ eL|t−t0|‖v0 − u0‖ ≤ eLa‖v0 − u0‖ ,

wir haben also stetige Abhängigkeit von den Anfangswerten.

Beweis. Wegen v0 ∈ B(u0, r) gibt es 0 < r′ ≤ r mit B(v0, r′) ⊂ B(u0, r). Nach Picard-Lindelöf gibt es also genau eine Lösung v zur Anfangsbedingung v(t0) = v0 auf demIntervall I ′ = [0, T ] ∩ [t0 − a′, t0 + a′] mit a′ = min r′M ,

12L, also I ′ ⊆ I. Wir haben

‖v(t)− u(t)‖ ≤ ‖v0 − u0‖+ˆ max(t0,t)

min(t0,t)‖f(s, v(s))− f(s, u(s))‖ds

≤ ‖v0 − u0‖+ L

ˆ max(t0,t)

min(t0,t)‖v(s)− u(s)‖ds .

Mit dem Lemma von Gronwall folgt

‖u(t)− v(t)‖ ≤ ‖u0 − v0‖eL|t0−t| .

Für t < t0 muss man hierfür im Lemma von Gronwall t durch t0 − t substituieren.

Bemerkung 3.1.6. Unter den Voraussetzungen des globalen Picard-Lindelöf gibt es zubeliebigen Anfangswerten u0, v0 jeweils genau eine Lösung u, v. Diese erfüllen

‖u(t)− v(t)‖ ≤ eL|t−t0|‖u0 − v0‖ ≤ eLT ‖u0 − v0‖ .

Satz 3.1.7 (Stetige Abhängigkeit von der rechten Seite). Es seien für f, g : [0, T ] ×B(u0, r) → X die Bedingungen des verallgemeinerten Satzes von Picard-Lindelöf erfüllt.Dann gibt es auf einem gemeinsamen Existenzintervall t0 ∈ I ⊂ [0, T ] Lösungen u, v zuden rechten Seiten f bzw. g und der gleichen Anfangsbedingung u(t0) = v(t0) = u0. Danngilt für t ∈ I

‖u(t)− v(t)‖ ≤ |t− t0|eminLf ,Lg|t−t0| maxt∈I

w∈B(u0,r)

‖f(t, w)− g(t, w)‖

≤ aeaminLf ,Lg‖f − g‖∞ ,

mit a = min rMf, rMg, 1

2Lf ,1

2Lg , wobei Lf , Lg die Lipschitz-Konstanten, Mf , Mg die Be-schränktheitskonstanten für f , g sind.

Beweis. Nach Picard-Lindelöf gibt es zu den rechten Seiten f , g jeweils genau eine lokaleLösung. Setzen wir I als Schnitt der Lösungsintervalle, dan ist

I = [0, T ] ∩ [t0 − a, t0 + a] .

Es gilt

‖u(t)− v(t)‖ ≤ˆ max(t0,t)

min(t0,t)‖f(s, u(s))− g(s, v(s))‖ds

≤ˆ max(t0,t)

min(t0,t)‖f(s, u(s))− f(s, v(s))‖ds

+ˆ max(t0,t)

min(t0,t)‖f(s, v(s))− g(s, v(s))‖ds

≤ Lfˆ max(t0,t)

min(t0,t)‖u(s)− v(s)‖ds+ max

s∈Iw∈B(u0,r)

‖f(s, w)− g(s, w)‖|t− t0| .

47 Differentialgleichungen I

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3 Abhängigkeit der Lösungen von den Daten, Stabilität, Zeitdiskretisierung

Analog gilt ebenso

‖u(t)− v(t)‖ ≤ Lgˆ max(t0,t)

min(t0,t)‖u(s)− v(s)‖ds+ max

s∈Iw∈B(u0,r)

‖f(s, w)− g(s, w)‖|t− t0| .

Daraus erhalten wir

‖u(t)−v(t)‖ ≤ minLf , Lgˆ max(t0,t)

min(t0,t)‖u(s)−v(s)‖ds+ max

s∈Iw∈B(u0,r)

‖f(s, w)− g(s, w)‖|t− t0| .

Die Behauptung folgt nun mit dem Lemma von Gronwall.

Bemerkung 3.1.8. Wieder gelten entsprechende Aussagen für den Fall globaler Lösbarkeit.

Satz 3.1.9 (Differenzierbare Abhängigkeit von den Anfangsbedingungen). Sei X = R,G ⊂ R2, f = f(t, v) ∈ C(G) und es existiere ∂

∂vf ∈ C(G). Dann gibt es für alle Anfangsda-ten (t0, u0) ∈ G genau eine maximal fortgesetzte Lösung auf dem maximalen Existenzinter-vall I = I(t0, u0). Außerdem existieren alle partiellen Ableitungen von (t, s, v) 7→ u(t, s, v)auf Ω := (t, s, v) : t ∈ I(s, v), (s, v) ∈ G und sind stetig. Weiterhin gilt für (t, s, v) ∈ Ω:

us(t, s, v) + uv(t, s, v) = 0

und ∂∂tus(t, s, v) = fv(t, u(t, s, v) · uv(t, s, v))uv(t, s, v) = 1 .

Beweis. Die Formel erhalten wir formal durch Ableiten der Differentialgleichung.

3.2 Dissipative Systeme

Definition 3.2.1. Sei (H, (· , ·), |·|) ein Hilbertraum. Die Abbildung f : [0, T ] × H → Hheißt

• dissipativ, falls

(f(t, v)− f(t, w), v − w) ≤ 0 ∀v, w ∈ H, t ∈ [0, T ] .

• stark dissipativ, falls es ein µ > 0 gibt, so dass

(f(t, v)− f(t, w), v − w) ≤ −µ|v − w|2 ∀v, w ∈ H, t ∈ [0, T ] .

Ein Anfangswertproblem mit dissipativer rechter Seite heißt dissipatives System

Bemerkung 3.2.2.

• Die Dissipativität hängt vom verwendeten Skalarprodukt ab.

• A : H → H heißt akkretiv, falls −A dissipativ ist, d.h. falls

(−Av +Aw, v − w) ≤ 0 ∀v, w ∈ H .

Differentialgleichungen I 48

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3.3 Zeitdiskretisierung durch einfache Einschrittverfahren

Beispiel 3.2.3. Ein einfaches Beispiel istu′(t) = −µu(t)u(0) = u0 ,

µ > 0, mit der Lösung u(t) = e−µtu0.

An dieser Stelle erinnern wir daran, dass für u ∈ C1(I,H) gilt:

12

ddt |u(t)|2 = (u′(t), u(t)) .

Satz 3.2.4. Sei f : [0, T ]×H → H stark dissipativ und seien u, v Lösungen vonu′(t) = f(t, u(t))u(t0) = u0

bzw. mit v(t) = v0. Dann gilt für alle s, t ∈ I, wobei I das gemeinsame Existenzintervallbezeichnet,

|u(t)− v(t)| ≤ e−µ(t−s)|u(s)− v(s)| ≤ e−µ(t−t0)|u0 − v0| ,

t > s ≥ t0, wobei µ > 0 die Dissipativitätskonstante von f ist.

Beweis. Wir haben

12

ddt |u(t)− v(t)|2 = (u′(t)− v′(t), u(t)− v(t)) = (f(t, u(t))− f(t, v(t)), u(t)− v(t))

≤ −µ|u(t)− v(t)|2 .

Mit dem differentiellen Lemma von Gronwall folgt nun

|u(t)− v(t)|2 ≤ exp(ˆ t

t0

−2µdτ)|u0 − v0|2 = e−2µ(t−t0)|u0 − v0|2 .

Bemerkung 3.2.5. Die Voraussetzung der Dissipativität auf ganz H kann abgeschwächtwerden auf z.B. gewisse Kugeln.Existieren u und v sogar für alle t ≥ t0, so folgt |u(t)− v(t)| t→∞−−−→ 0, sogar exponentiell.In linearen System haben wir f(t, v) = −Av + b. Dann ist f dissipativ, falls A positiv ist:

(f(t, v)− f(t, w), v − w) = −(A(v − w), v − w)!≤ 0 .

Im Falle der homogenen Gleichung (b = 0) ist stets v ≡ 0 eine Lösung zu v0 = 0, also|u(t)| ≤ e−µ(t−t0)|u0|.

3.3 Zeitdiskretisierung durch einfache Einschrittverfahren

Wir befassen uns mit der Idee der Zeitdiskretisierung: Wir unterteilen das Intervall [0, T ]in äquidistante Teilintervalle

0 = t0 < t1 < · · · < tN = T ,

49 Differentialgleichungen I

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3 Abhängigkeit der Lösungen von den Daten, Stabilität, Zeitdiskretisierung

d.h. tn = n∆t mit ∆t = TN . Gesucht sind die Werte un mit u(tn) ≈ un. Die Idee hierzu ist

u′(tn) ≈ u(tn+1)− u(tn)∆t .

Nun unterscheiden wir zwischen verschiedenen Schemata:

un+1 − un

∆t =

f(tn, un) explizites Eulerverfahrenf(tn+1, u

n+1) implizites Eulerverfahrenf(tn+tn+1

2 , un+un+1

2

)Mittelpunktverfahren.

Wir wollen uns nun mit dem expliziten Eulerverfahren beschäftigen.Wir wählen also wie oben eine äquidistante Zerlegung 0 = t0 < t1 < · · · < tN = Tdes Intervalls [0, T ] mit den Knoten tn = n∆t, ∆t = T

N . Setze u0 := u0 und konstruiere(un)Nn=0 als Näherung un ≈ u(tn) durch

un+1 − un

∆t = f(tn, un) ,

d.h.un+1 = un + ∆tf(tn, un) .

Bemerkung 3.3.1. Die Folge (un)Nn=0 ist dabei immer wohldefiniert.Dieselbe Konstruktionsvorschrift erhalten wir aus

u(tn+1) = u(tn) +ˆ tn+1

tn

f(s, u(s))ds

durch Diskretisierung des Integrals mittels Rechtecken.

Satz 3.3.2 (Explizites Eulerverfahren). Sei f : [0, T ]×X → X stetig und genüge folgenderLipschitz-Bedingung: Es gebe ein L ≥ 0, so dass für alle s, t ∈ [0, T ], v, w ∈ X gilt, dass

‖f(s, v)− f(t, w)‖ ≤ L(|s− t|+ ‖v − w‖) .

Wir setzen w0 = 1 + L∆t (also w0 ≤ eL∆t und damit wn0 ≤ eLtn ≤ eLT )Dann ist sowohl die Folge (un)Nn=0 der Lösungen des expliziten Eulerverfahrens als auchdie Folge

(un+1−un

∆t

)N−1

n=0ihrer diskreten Ableitungen gleichmäßig in ∆t beschränkt und es

gilt‖un‖ ≤ ‖u0‖+ 1

L(wn0 − 1)(1 + ‖f(0, u0)‖) (3.1)

ebenso wie ∥∥∥∥∥un+1 − un

∆t

∥∥∥∥∥ ≤ wn0 (1 + ‖f(0, u0)‖)− 1 . (3.2)

Weiterhin gilt: Sind (un)Nn=0 und (vn)Nn=0 die entsprechenden Lösungen zu den Anfangs-werten u0 bzw. v0, dann gilt

‖un − vn‖ ≤ wn0 ‖u0 − v0‖ .

Ist u die nach Picard-Lindelöf eindeutig bestimmte Lösung des Anfangswertproblemsu′(t) = f(t, u(t))u(0) = u0 ,

Differentialgleichungen I 50

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3.3 Zeitdiskretisierung durch einfache Einschrittverfahren

so gilt für den Diskretisierungsfehler en := u(tn)− un

‖en‖ ≤ wn0

(‖e0‖+ ∆t

ˆ tn

0‖u′′(s)‖ds

),

falls u zweimal stetig differenzierbar ist.

Beweis. Für n = 0 haben wir‖u1 − u0‖ = ∆t‖f(0, u0)‖ ,

also (3.2).Im Induktionsschritt haben wir‖un+1 − un‖ = ‖un − un−1 + ∆t(f(tn, un)− f(tn−1, u

n−1))‖≤ ‖un − un−1‖+ L∆t(∆t+ ‖un − un−1‖) = w0‖un − un−1‖+ L(∆t)2

≤ w20‖un−1 − un−2‖+ L(∆t)2(1 + w0) ≤ · · ·

≤ wn0 ‖u1 − u0‖+ L(∆t)2wn0−1w0−1 = wn0 ∆t‖f(0, u0)‖+ ∆t(wn0 − 1) ,

womit (3.2) für alle n = 0, . . . , N − 1 gezeigt ist.Für (3.1) haben wir

‖un‖ ≤ ‖un − un−1‖+ ‖un−1‖ ≤ ∆twn−10 (1 + ‖f(0, u0)‖) + ‖un−1‖

≤ ∆t(wn−10 + wn−2

0 (1 + ‖f(0, u0)‖) + ‖un−2‖ ≤ · · ·

≤ ∆t(1 + ‖f(0, u0)‖)wn0−1w0−1 + ‖u0‖ = 1

L(1 + ‖f(0, u0)‖)(wn0 − 1) + ‖u0‖ .

Seien nun (un) bzw. (vn) die Lösungen zu den Anfangswerten u0 bzw. v0. Dann folgt‖un − vn‖ = ‖un−1 − vn−1 + ∆t(f(tn−1, u

n−1)− f(tn−1, vn−1)‖

≤ ‖un−1 − vn−1‖+ L∆t‖un−1 − vn−1‖ = w0‖un−1 − vn−1‖≤ · · · ≤ wn0 ‖u0 − v0‖ .

Sei nun u zweimal stetig differenzierbar. Für die Abschätzung des Diskretisierungsfehlersbeginnen wir mit

en+1−en∆t = 1

∆t(u(tn+1)− u(tn))− f(tn, un) = 1∆t

ˆ tn+1

tn

u′(s)ds− f(tn, un)

= 1∆t

ˆ tn+1

tn

u′(s)ds− u′(tn) + f(tn, u(tn))− f(tn, un)

= 1∆t

ˆ tn+1

tn

(tn+1 − s)u′′(s)ds+ f(tn, u(tn))− f(tn, un) .

Damit haben wir

‖en+1‖ ≤ ‖en‖+∥∥∥∥∥ˆ tn+1

tn

(tn+1 − s)u′′(s)ds∥∥∥∥∥+ ∆t ‖f(tn, u(tn))− f(tn, un)‖︸ ︷︷ ︸

≤L‖en‖

≤ w0‖en‖+ ∆tˆ tn+1

tn

‖u′′(s)‖ds

≤ w20‖en−1‖+ ∆t

(ˆ tn+1

tn

‖u′′(s)‖ds+ w0

ˆ tn

tn−1

‖u′′(s)‖ds)

≤ · · · ≤ wn+10 ‖e0‖+ ∆t

ˆ tn+1

0‖u′′(s)‖ds · wn+1

0 .

51 Differentialgleichungen I

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3 Abhängigkeit der Lösungen von den Daten, Stabilität, Zeitdiskretisierung

Nun beschäftigen wir uns mit dem impliziten Eulerverfahren. Sei also

un+1 = un + ∆tf(tn+1, un+1) .

Satz 3.3.3 (Implizites Eulerverfahren). Sei f : [0, T ]×X → X wie im vorigen Satz. Dannist für ∆t < 1

L die Folge (un)Nn=0 der Lösungen des impliziten Eulerverfahrens wohldefiniertund die Aussagen des obigen Satzes 3.3.2 gelten entsprechend, falls man w0 durch

w1 = 11− L∆t

und f(0, u0) durch f(t1, u1) ersetzt.

Beweis. Übung.

Bemerkung 3.3.4. Das implizite Eulerverfahren ist besonders geeignet zur Behandelungvon dissipativen Systemen, da es deren Struktur bewahrt. Sei H ein Hilbert-Raum. Esgelten folgende Aussagen:

• Für beliebige v, w ∈ H gilt

(v − w, v) = 12(|v|2 − |w|2 + |v − w|2) ≥ 1

2(|v|2 − |w|2) .

• Sei (un)Nn=0 ⊂ H. Dann ist

12∆t(|u

n+1|2 − |un|2) ≤(un+1−un

∆t , un+1).

• Bei dissipativen Systemen ist (un) immer wohldefiniert, auch wenn ∆t ≥ 1L .

Satz 3.3.5 (Implizites Eulerverfahren und dissipative Systeme). Es seien (un)Nn=0 bzw.(vn)Nn=0 Lösungen des impliziten Eulerverfahrens zu Anfangswerten u0 bzw. v0. Die rechteSeite f sei dissipativ mit Dissipativitätskonstante µ ≥ 0. Dann gilt für alle n = 0, . . . , N

|un − vn| ≤ wn1 |u0 − v0| ,

wobeiw1 = 1√

1 + 2µ∆t≤ 1 .

Ist u eine zweimal stetig differenzierbare Lösung des Anfangswertproblems, so gilt für denDiskretisierungsfehler en := u(tn)− un

|en| ≤ wn1

(|e0|+ 2∆tw1

ˆ tn

0|u′′(s)|ds

).

Man beachte w1 < 1 für µ > 0.

Beweis. Wir setzen wn := un − vn und erhalten

wn+1 − wn

∆t = f(tn+1, un+1)− f(tn+1, v

n+1) .

Differentialgleichungen I 52

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3.4 Stabilität, der Satz von Ljapunov und das asymptotische Verhalten von Lösungen

Mit obiger Bemerkung folgt nun

12∆t

(|wn+1|2 − |wn|2

)≤(wn+1−wn

∆t , wn+1)

=(f(tn+1, u

n+1)− f(tn+1, vn+1), un+1 − vn+1

)≤ −µ|un+1 − vn+1|2 = −µ|wn+1|2 .

Umstellen liefert|wn+1|2 ≤ 1

1+2µ∆t |wn|2 = w2

1|wn|2 .

Zur Fehlerabschätzung haben wir

1∆t(e

n+1 − en) = − 1∆t

ˆ tn+1

tn

(s− tn)u′′(s)ds+ f(tn+1, u(tn+1))− f(tn+1, un+1) .

Mit der Bemerkung folgt wieder

12∆t(|e

n+1|2 − |en|2) ≤(− 1

∆t

ˆ tn+1

tn

(s− tn)u′′(s)ds, en+1)

+(f(tn+1, u(tn+1)− f(tn+1, u

n+1, en+1)

≤ 1∆t

ˆ tn+1

tn

(s− tn)|u′′(s)|ds|en+1| − µ|en+1|2

≤ˆ tn+1

tn

|u′′(s)|ds|en+1| − µ|en+1|2 .

Umstellen ergibt

|en+1| ≤ ∆tw21

ˆ tn+1

tn

|u′′(s)|ds+

(∆tw21

ˆ tn+1

tn

|u′′(s)|ds)2

+ w21|en|2

1/2

≤ 2∆tw21

ˆ tn+1

tn

|u′′(s)|ds+ w1|en| .

3.4 Stabilität, der Satz von Ljapunov und das asymptotische Verhaltenvon Lösungen

Im folgenden sei stets M eine Teilmenge eines Banach-Raums X.f : [0,∞) ×M → X genüge einer lokalen Lipschitz-Bedingung. Dann hat das Anfangs-wertproblem

u′(t) = f(t, u(t))u(0) = u0

stets genau eine maximal fortgesetzte Lösung auf einem Intervall I ⊂ [0,∞).

Definition 3.4.1.

(i) Ein Punkt u ∈M heißt Gleichgewichtspunkt oder kritischer/stabiler Punkt/Zustand,falls

f(t, u) = 0 ∀t ≥ 0 .

53 Differentialgleichungen I

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3 Abhängigkeit der Lösungen von den Daten, Stabilität, Zeitdiskretisierung

(ii) Ein Gleichgewichtspunkt u ∈ M heißt stabil, falls es zu jedem ε > 0 ein δ > 0 gibt,so dass für alle u0 ∈M gilt:

‖u0 − u‖ < δ ⇒ ‖u(t)− u‖ < ε ∀t > 0 ,

wobei u die Lösung des Anfangswertproblems zu u(0) = u0 ist.

(iii) Ein Gleichgewichtspunkt u heißt instabil, falls er nicht stabil ist.Bemerkung 3.4.2.

• u(t) ≡ u ist stets Lösung des Anfangswertproblems mit u(0) = u.

• Gleichgewichtspunkte sind bei nichtautonomen rechten Seiten sehr selten. Daherbetrachtet man meist nur autonome Systeme, d.h. f(t, v) = f(v).

• Ist u ∈ M ein Gleichgewichtspunkt zur rechten Seite f , so ist 0 ∈ M − u einGleichgewichtspunkt zur rechten Seite g mit

g(t, v) = f(t, v + u), v ∈M − u .

Wir werden also meist als Gleichgewichtspunkt die Nulllage u = 0 betrachten.Definition 3.4.3.

(i) Ein Gleichgewichtspunkt u heißt attraktiv, falls es ein δ > 0 gibt, so dass für alleu0 ∈M mit ‖u0− u‖ < δ folgt: Das Anfangswertproblem mit der Anfangsbedingungu(0) = u0 hat genau eine Lösung u. Für diese gilt

limt→∞‖u(t)− u‖ = 0 .

(ii) Ist ein Gleichgewichtspunkt stabil und attraktiv, so heißt er asymptotisch stabil.

(iii) Ein Gleichgewichtspunkt heißt exponentiell stabil, falls es ein δ > 0 gibt mit

‖u(t)− u‖ ≤ ce−λt ∀t ≥ 0 ,

wobei u wie in (i) gewählt ist und c, λ > 0.Bemerkung 3.4.4.

• Da f eine Lipschitz-Bedingung erfüllt, folgt aus exponentieller Stabilität auch asym-ptotische Stabilität.

• Ist dimX = 1, so impliziert Attraktivität auch Stabilität, also auch asymptotischeStabilität.In höheren Dimensionen gilt dies im allgemeinen nicht.

Beispiel 3.4.5.

• Zur Differentialgleichungu′(t) = u(t)

finden wir den Gleichgewichtspunkt u = 0. Für den Anfangswert u(0) = u0 habenwir dann

|u(t)− u| = |etu0 − 0| = et|u0| .Unabhängig davon, wie klein |u0| > 0 ist, folgt also

|u(t)− u| t→∞−−−→∞ ,

d.h. u ist instabil.

Differentialgleichungen I 54

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3.4 Stabilität, der Satz von Ljapunov und das asymptotische Verhalten von Lösungen

• Wir betrachten nunu′(t) = −u(t) .

Auch hier ist u = 0 ein Gleichgewichtspunkt, nun gilt jedoch

|u(t)− u| = e−t|u0|t→∞−−−→ 0 ,

u ist also exponentiell stabil.

• Betrachteu′(t) =

(0 1−1 0

)u(t) .

Der Gleichgewichtspunkt ist u = ( 00 ). Es ist |u(t)|2 = |u0|2 für alle t ≥ 0, denn

ddt |u(t)|2 = (u′(t), u(t)) =

((u2(t)−u1(t)

),

(u1(t)u2(t)

))= 0 .

Damit ist u stabil, aber nicht asymptotisch stabil.

• Wir betrachten die logistische Differentialgleichung

u′(t) = u(t)(1− u(t)) .

Gleichgewichtspunkte sind u = 0 bzw. u = 1. Hier ist u = 0 instabil, aber u = 1asymptotisch stabil.

Im folgenden sei nun X = Rd.

Satz 3.4.6 (Stabilität autonomer linearer Systeme). Wir betrachten das lineare Anfangs-wertproblem

u′(t) +Au(t) = 0, t > 0u(0) = u0, u0 ∈ Rd .

Dann ist die Nulllösung u = 0 ein Gleichgewichtspunkt. Sie ist

(i) stabil, falls Re(λ) ≤ 0 für alle Eigenwerte λ von −A und die Eigenwerte λ mitRe(λ) = 0 halbeinfach sind, d.h. algebraische und geometrische Vielfachheit überein-stimmen.

(ii) exponentiell stabil, falls alle Eigenwerte von −A negativen Realteil haben.

(iii) instabil mit einer exponentiell wachsenden Komponente, falls es einen Eigenwert von−A mit positivem Realteil gibt.

(iv) instabil mit einer höchstens polynomiell wachsenden Komponente, falls alle Eigen-werte von −A nichtpositiven Realteil haben und es einen Eigenwert λ mit Re(λ) = 0gibt, der nicht halbeinfach ist.

Bemerkung 3.4.7.

• Es ist zu beachten, dass die Eigenwerte von −A untersucht werden, nicht die von A,da wir die Gleichung u′ +Au = 0 statt u′ = Au betrachten.

55 Differentialgleichungen I

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3 Abhängigkeit der Lösungen von den Daten, Stabilität, Zeitdiskretisierung

• Zur Erinnerung:|eλt| = eRe(λ)t |ei Im(λ)t|︸ ︷︷ ︸

=1

= eRe(λ)t .

• Wir wissen bereits, dass das Anfangswertproblem für jedes u0 ∈ R global auf [0,∞)endlich lösbar ist:

u(t) = e−tA =m∑j=1

e−λjtνj∑l=0

(−t)ll! (A− λj id)lu0j , (3.3)

wobei u0j ∈ ker(A− λj id)νj , u0 = u01 + · · ·+ u0m und λ1, . . . , λm Eigenwerte von Amit algebraischer Vielfachheit νj sind.

Beweis. Zunächst ist die Nullösung offenbar tatsächlich ein Gleichgewichtspunkt.Wir setzen nun B := −A und es es seien λj = −λj die Eigenwerte von B. (3.3) wird dannzu

u(t) =m∑j=1

eλjtνj∑l=0

(−t)ll! (−1)l(B − λj id)lu0j .

Es gelte nun Re(λj) < 0, j = 1, . . . ,m. Wir haben∣∣∣∣∣νj∑l=0

(−t)ll! (−1)l(B − λj id)lu0j

∣∣∣∣∣ ≤ c(|t|2 + 1) ,

j = 1, . . . ,m, für ein c ∈ R. Damit gilt

|u(t)− u| = |u(t)| ≤ ceamaxj=1,...,mRe(λj)t(|t|d + 1) ,

a > 0, womit (ii) sofort folgt.Zu (i): Die Summanden zu Re(λ) < 0 fallen exponentiell; zu betrachten sind Summandenmit Re(λj) = 0. Sei o.B.d.A. Re(λ1) = 0. Da λ1 halbeinfach ist, hat (B − λ1 id)ν1 eineBasis aus Eigenvektoren zu λ1. Somit ist (B−λ1 id)lu01 = 0, falls l ≥ 1. Also verschwindenalle Summanden zu l ≥ 1 und insgesamt erhalten wir

|eλ1t||u01| = |u01| .

Es folgt Stabilität, aber nicht exponentielle Stabilität.Zu (iii): Sei o.B.d.A. Re(λ1) > 0 und sei ε > 0 beliebig. Zu beliebigem δ > 0 wähleu0 := δv1, wobei v1 ein normierter Eigenvektor zu λ1 ist. Dann ist u0 = u01 = δv1 undmit u(t) = −eλ1tδv1 ist |u(t)| = δeRe(λ1)t t→∞−−−→∞-Zu (iv): Wähle u0 als (echten) Hauptvektor zum nichthalbeinfachen Eigenwert mit RealteilNull.

Wir liefern eine erste Verallgemeinerung auf lineare Systeme mit “kleiner Störung”:

Satz 3.4.8 (Ljapunov). Sei A ∈ Rd×d und sei f : [0,∞) × B(0, R) → Rd stetig undgenüge einer lokalen Lipschitz-Bedingung. Es gelte weiterhin f(t, 0) = 0 für alle t ≥ 0 undf(t, v) = o(‖v‖) gleichmäßig in t für ‖v‖ → 0. Gilt für alle Eigenwerte λ von −A, dassRe(λ) < 0, dann ist die Nulllösung von

u′(t) +Au(t) = f(t, u(t))

exponentiell stabil.

Differentialgleichungen I 56

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3.4 Stabilität, der Satz von Ljapunov und das asymptotische Verhalten von Lösungen

Bemerkung 3.4.9.

• Die Einschränkung auf die Nulllösung ist keine Beschränkung der Allgemeingültig-keit der Aussage.

• “f(t, v) = o(‖v‖) gleichmäßig in t für ‖v‖ → 0” bedeutet, dass

lim‖v‖→0

‖f(t, v)‖‖v‖

= 0

gleichmäßig in t.

• Es gibt auch einen Instabilitätssatz: Gibt es einen Eigenwert λ von −A mit Re(λ) >0, ist auch das gestörte System instabil.

• Gilt nur Re(λ) ≤ 0 und gibt es einen Eigenwert λ mit Re(λ) = 0, ist keine Aussagemöglich.

Wir machen nun einen Schritt in Richtung nichtlinearer Probleme. Hierzu betrachten wirein autonomes System für eine offene Menge M ⊂ Rd und eine Funktion

f : M → Rd, f sei stetig und genüge einer lokalen Lipschitz-Bedingung. (3.4)

Es sei u ∈M ein Gleichgewichtspunkt von f : f(u) = 0. Wir linearisieren um u:

f(u(t)) = f(u) + f ′(u)(u(t)− u) + o(‖u(t)− u‖) .

Für die Differentialgleichungu′(t) = f(u(t))

folgt also(u(t)− u)′ − f ′(u)(u(t)− u) = o(‖u(t)− u‖) ,

falls f in u differenzierbar ist. Damit sind wir in der Situation des Satzes von Ljapunovund erhalten:

Satz 3.4.10 (Linearisierte Stabilität). f sei wie in (3.4), u sei ein Gleichgewichtspunktvon f und f sei in u differenzierbar. Haben alle Eigenwerte der Jacobi-Matrix f ′(u) ne-gativen Realteil, so ist u stabil.

Bemerkung 3.4.11.

• Gibt es einen Eigenwert mit positivem Eigenwert, ist u instabil.

• Sind die Realteile nur nichtpositiv und existiert ein Eigenwert mit Realteil Null, istkeine Aussage möglich.

Beispiel 3.4.12.

• Wir betrachten das mathematische Pendel:

u′(t) =(

u2(t)− sin(u1(t))

).

57 Differentialgleichungen I

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3 Abhängigkeit der Lösungen von den Daten, Stabilität, Zeitdiskretisierung

Gleichgewichtspunkte sind hierbei(

00

),(π0

)und

(−π0

), f ist nicht linear, das

Sytem ist autonom. Für(π0

)haben wir

f ′(u1, u2) =(

0 1− cos(u1) 0

),

alsof ′(π, 0) =

(0 11 0

).

Die Eigenwerte sind 1 und −1,(π0

)ist also instabil.

Analog ist(−π0

)instabil.

Jedoch istf ′(0, 0) =

(0 1−1 0

),

mit Eigenwerten i und −i, hier ist also keine Aussage zu treffen.

• Füru′(t) = u2(t)

haben wir den Gleichgewichtspunkt u = 0. Hier ist f ′(0) = 0, wir wissen jedoch,dass u instabil ist.

• Füru′(t) = 0

ist u = 0 ein Gleichgewichtspunkt. Es ist f ′(0) = 0, u ist jedoch stabil, aber nichtasymptotisch stabil.

• Füru′(t) = u3(t)

ist wieder u = 0 ein Gleichgewichtspunkt. Es ist f ′(u) = 0, für die Lösung gilt

u(t) = u0√1 + tu2

0

t→∞−−−→ 0 = u ,

u ist also asymptotisch stabil, aber nicht exponentiell stabil.

• Füru′(t) = −u(t)

ist wieder u = 0 ein Gleichgewichtspunkt. Hier ist u exponentiell stabil.

Bemerkung 3.4.13. Ist u(t) eine Lösung der Differentialgleichung für eine autonome rechteSeite und gilt limt→∞ u(t) = u∞, dann ist u∞ ein Gleichgewichtspunkt, denn: Komponen-tenweise gilt

ui(n+ 1)− ui(n)︸ ︷︷ ︸→0, n→∞

= u′i(n+ ν) = fi(u(n+ ν))→ f(u∞), n→∞ .

Differentialgleichungen I 58

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3.4 Stabilität, der Satz von Ljapunov und das asymptotische Verhalten von Lösungen

Beweis zum Satz von Ljapunov 3.4.8. Wegen −A · 0 + f(t, 0) = 0 ist die Nulllösung einGleichgewichtspunkt.Nach Voraussetzung gibt es C ≥ 1, M ≥ 0 so, dass

‖e−tA‖ ≤ Ce−Mt

für alle t ≥ 0. Sei ε > 0 beliebig. Dann gibt es ein δ > 0, so dass für ‖v‖ < δ folgt, dass‖f(t, v)‖ ≤ ε‖v‖.Zu jedem (t0, u0) ∈ [0,∞) × B(0, R) gibt es genau eine maximal fortgesetzte Lösung aufeinem Intervall [t0, β(t0, u0)). O.B.d.A. sei ‖u0‖ < δ

C ≤ δ < R. Da die Lösung stetig ist,gilt zumindest in einem Intervall [t0, β′(t0, u0, δ)) ⊆ [t0, β(t0, u0)), dass ‖u(t)‖ < δ. Solanget ∈ [t0, β′(t0, u0, δ)), gilt

u(t) = e−tAu0 +ˆ t

t0

e−(t−s)Af(s, u(s))ds

und damit‖u(t)‖ ≤ Ce−M(t−t0)‖u0‖+

ˆ t

t0

Ce−M(t−s)‖f(s, u(s))‖ds ,

alsoeMt‖u(t)‖ ≤ CeMt0‖u0‖+

ˆ t

t0

CεeMs‖u(s)‖ds .

Das Lemma von Gronwall liefert

eMt‖u(t)‖ ≤ CeMt‖u0‖eCε(t−t0) .

Damit gilt‖u(t)‖ ≤ Ce−(t−t0)(M−Cε) . (3.5)

Falls M > Cε, also ε < MC , folgt insbesondere

‖u(t)‖ ≤ C‖u0‖ < δ .

Für beliebiges η < δ folgt ebenso aus ‖u0‖ < ηC , dass ‖u(t)‖ < η < δ.

Hieraus folgt β′(t0, u0, δ) = β(t0, u0): Ansonsten gilt u(β′(t0, u0, δ)) = δ. Wegen Stetigkeitgibt es ein t∗ ∈ [t0, β′(t0, u0, δ)), so dass η < ‖u(t∗)‖ < δ. Dies ist ein Widerspruch zu‖u(t)‖ ≤ η auf [t0, β′(t0, u0, δ)).Somit ist u auf dem maximalen Existenzintervall durch β beschränkt. Hieraus folgt nun,dass β(t0, u0) =∞.Somit gilt (3.5) auf ganz [0,∞), dies zeigt die exponentielle Stabilität.

Der Problemfall, dass die Eigenwerte nur nichtpositiven Realteil haben, bleibt jedochungelöst.

Definition 3.4.14. M ⊂ Rd sei offen, f : M → Rd sei stetig und genüge einer loka-len Lipschitz-Bedingung. u sein ein Gleichgewichtspunkt von f . Dann heißt eine stetigdifferenzierbare Funktion V : U → R, U 3 u

(i) schwache Ljapunov-Funktion, falls ∇V (u) · f(u) ≤ 0 für alle u ∈ U ,

(ii) starke Ljapunov-Funktion, falls ∇V (u) · f(u) < 0 für alle u ∈ U bzw.

59 Differentialgleichungen I

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3 Abhängigkeit der Lösungen von den Daten, Stabilität, Zeitdiskretisierung

(iii) erstes Integral, falls ∇V (u) · f(u) = 0 für alle u ∈ U .

Bemerkung 3.4.15. V ist eine schwache (starke) Ljapunov-Funktion, falls V entlang derLösungskurven in U (streng) monoton fällt:

ddtV (u(t)) = ∇V (u(t)) · u′(t) = ∇V (u(t)) · f(u(t))

(<)≤ 0 .

Satz 3.4.16 (schwache Ljapunov-Funktion). Sei f wie oben, u ein Gleichgewichtspunkt.Es sei V eine schwache Ljapunov-Funktion zum Gleichgewichtspunkt u der Differential-gleichung u′(t) = f(u(t)) und es gelte V (u) < V (u) für alle u ∈ U \ u. Dann ist ustabil.

Beweis. O.B.d.A. sei u = 0, V (0) = 0.Es sei ε > 0, so dass B(0, ε) ⊆ U . Wir setzen

m(ε) := minV (u) : ‖u‖ = ε > 0 .

Da V stetig ist, gibt es ein δ > 0, so dass 0 ≤ V (u) ≤ m(ε)2 für alle u ∈ B(0, δ).

Sei u0 ∈ B(0, δ). Dann hat das Anfangswertproblemu′(t) = f(u(t))u(0) = u0

genau eine maximal fortgesetzte Lösung u. Sei

T ∗ := supT > 0 : ‖u(t)‖ < ε ∀t ∈ [0, T ] .

Angenommen, T ∗ < ∞. Dann ist ‖u(T ∗)‖ = ε. Die Funktion t 7→ V (u(t)) ist monotonfallend und damit wäre widersprüchlicherweise

V (u(T ∗))︸ ︷︷ ︸=m(ε)

≤ V (u(0)) = V (u0) = m(ε)2 .

Also ist T ∗ =∞ und damit ‖u(t)‖ < ε für alle t ≥ 0, d.h. u ist stabil.

Satz 3.4.17 (starke Ljapunov-Funktion). Unter den gleichen Voraussetzungen sei V einestarke Ljapunov-Funktion. Dann ist u sogar asymptotisch stabil.

Beweis. O.B.d.A. sei u = 0, V (0) = 0. Wir wissen bereits, dass u stabil ist. Zu ε > 0 gibtes also ein δ > 0, so dass aus ‖u0‖ < δ folgt, dass ‖u(t)‖ < ε für alle t ≥ 0.Sei ‖u0‖ < δ und u die entsprechende Lösung. Da t 7→ V (u(t)) streng monoton fällt undV (u) ≥ 0 auf U , gilt V (u(t)) t→∞−−−→ V∞.Angenommen, es wäre V∞ > 0. Da V (0) = 0 und V stetig ist, gibt es ein 0 < η < δ mit0 ≤ V (u) < V∞ für alle u ∈ B(0, η). Somit folgt η ≤ ‖u(t)‖ ≤ ε für alle t > 0.Nun ist K(η, ε) := u ∈ Rd : η ≤ ‖u‖ ≤ ε kompakt und V ist stetig differenzierbar, alsoexistiert das Maximum

m := maxu∈K(η,ε)

∇V (u) · f(u) < 0 .

Damit folgt

V (u(t))− V (u0) =ˆ t

t0

ddsV (u(s))ds =

ˆ t

t0

∇V (u(s)) · f(u(s))ds ≤ m(t− t0) = mt .

Differentialgleichungen I 60

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3.4 Stabilität, der Satz von Ljapunov und das asymptotische Verhalten von Lösungen

AlsoV (u(t))︸ ︷︷ ︸→V∞

≤ mt+ V (u0)︸ ︷︷ ︸→−∞

.

Dies ist ein Widerspruch zu V∞ > 0, es ist daher V∞ = 0.Nun ist B(0, ε) kompakt und u(t), t ≥ 0 ⊂ B(0, ε). Für eine beliebige Folge tn → ∞gilt, dass eine Teilfolge (tn′) existiert, so dass u(tn′)→ u∞ und damit

V (u(tn′))︸ ︷︷ ︸→V∞=0

→ V (u∞) .

Das bedeutet, u∞ = 0 = u. Da (tn) beliebig ist, folgt auch u(t) → u∞ = 0, also ist uasymptotisch stabil.

61 Differentialgleichungen I

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4 Randwertprobleme für gewöhnliche Differentialgleichungen zweiter Ordnung

4 Randwertprobleme für gewöhnliche Differentialgleichun-gen zweiter Ordnung

4.1 Grundbegriffe und elementare Aussagen

Die allgemeine Form einer gewöhnlichen Differentialgleichung zweiter Ordnung ist

F (x, u(x), u′(x), u′′(x)) = 0 .

Im semilinearen Fall lautet die Gleichung

−u′′(x) = f(x, u(x), u′(x)) ,

im linearen Fall−u′′(x) + c(x)u′(x) + d(x)u(x) = b(x) .

Die Gleichung ist homogen, wenn b ≡ 0, und symmetrisch, wenn c ≡ 0.Wir betrachten die Differentialgleichung auf einem Intervall [a, b] und stellen (zwei) Rand-bedingungen. Allgemein lauten diese

Gi(a, b, u(a), u(b), u′(a), u′(b)) = 0 , i = 1, 2 .

Meist werden jedoch etwas speziellere Randbedingungen betrachtet.

Definition 4.1.1. Es seien α, β ∈ R, ca, cb ∈ R \ 0. Wir führen Bezeichnungen fürRandbedingungen von folgenden Formen ein:

• u(a) = α, u(b) = β heißen Dirichletsche Randbedingungen.

• u′(a) = α, u′(b) = β heißen Neumannsche Randbedingungen.

• cau(a) + u′(a) = α, cbu(b) + u′(b) = β heißen Robinsche Randbedingungen.

• u(a) = u(b), u′(a) = u′(b) heißen periodische Randbedingungen.

Treten an a und b unterschiedliche Typen von Randbedingungen auf, so spricht man vongemischten Randbedingungen. Ist α = β = 0, heißen die Randbedingungen homogen.

Die Randbedingungen sind entscheidend für die Lösbarkeit der Differentialgleichungen undfür das Verhalten ihrer Lösungen.Bemerkung 4.1.2.

• Durch die Transformation x 7→ x−ab−a kann ein Randwertproblem stets auf das Intervall

[0, 1] transformiert werden.

• Beim linearen Randwertproblem−u′′(x) + c(x)u(x) + d(x)u(x) = b(x)u(a) = α

u(b) = β

(4.1)

können die inhomogenen Randbedingungen stets in die rechte Seite transformiertwerden: Definiere

(Lu)(x) := −u′′(x) + c(x)u′(x) + d(x)u(x) = b(x) .

Differentialgleichungen I 62

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4.2 Randwertprobleme für homogene, lineare Differentialgleichungen

Die Differentialgleichung schreibt sich dann als Lu = b. Es sei r : [a, b] → R hinrei-chend glatt mit r(a) = α, r(b) = β. Wir setzen u = u− r. Dann ist u(a) = u(b) = 0und wir haben Lu = Lu − Lr = b − Lr. Somit ist u eine Lösung von (4.1), wenn ueine Lösung von

Lu = b− Lru(a) = 0u(b) = 0

ist.

• Ist c hinreichend glatt, so kann die lineare Differentialgleichung stets in eine sym-metrische überführt werden:

u(x) := u(x) exp(−1

2

ˆ x

ac(s)ds

).

Dann ist u genau dann Lösung von (4.1), wenn u das Randwertproblem−u′′(x) + d(x)u(x) = b(x)u(a) = α

u(b) = β exp(−1

2´ ba c(s)ds

)löst, wobei

d = d+ 14c

2 − 12c′, b(x) = b(x) exp

(−1

2

ˆ x

ac(s)ds

).

Definition 4.1.3. Unter einer Lösung eines Randwertproblems mit Dirchletschen Rand-bedingungen für eine Differentialgleichung zweiter Ordnung verstehen wir eine Funktionu ∈ C2(a, b) ∩ C[a, b], die die Differentialgleichung auf (a, b) erfüllt und die Randbedin-gungen in a und b.

4.2 Randwertprobleme für homogene, lineare Differentialgleichungen

Erinnerung: In diesem Abschnitt untersuchen wir die Differentialgleichung

−u′′(x) + c(x)u(x) + d(x)u(x) = b(x) .

Da wir nur reellwertige Differentialgleichungen betrachten, haben wir einen zweidimensio-nalen Lösungsraum, mit einem Fundamentalsystem aus zwei linear unabhängigen Lösun-gen u1, u2. Die allgemeine Lösung lässt sich dann über u(x) = c1u1(x)+c2u2(x), c1, c2 ∈ Rdarstellen.

Definition 4.2.1. Seien u1, u2 zwei Lösungen der Differentialgleichung. Dann heißt

w(x) = det(u1(x) u2(x)u′1(x) u′2(x)

)

Wronski-Determinante.

Die beiden Lösungen u1, u2 sind unabhängig, wenn w(x0) 6= 0 für ein x0 ∈ (a, b).Wir beschäftigen uns nun mit der Lösbarkeit der betrachteten Differentialgleichungen.

63 Differentialgleichungen I

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4 Randwertprobleme für gewöhnliche Differentialgleichungen zweiter Ordnung

Beispiel 4.2.2. Betrachte−u′′(x)− u(x) = 0 ,

d.h. u′′ = −u. Diese Gleichung besitzt die allgemeine Lösung u(x) = c1 sin(x) + c2 cos(x).Nun ist das Anfangswertproblem mit u(a) = α, u′(a) = α, α, α ∈ R, stets eindeutig lösbar.Für das Randwertproblem gilt dies jedoch nicht:

• Sei (a, b) =(0, π2

), u(0) = u(π2 ) = 1. Dann folgt u(0) = c2 = 1 und ebenso u(π2 ) =

c1 = 1, es existiert hierbei also eine eindeutige Lösung.

• Sei (a, b) = (0, π), u(0) = u(π) = 1. Dann folgen die Bedingungen u(0) = c2 = 1 undu(π) = −c2 = 1, es existiert also keine Lösung.

• Sei (a, b) = (0, π), u(0) = 1, u(π) = −1. Dann folgen wie oben u(0) = c2 = 1 undu(π) = −c2 = −1. Damit ist c2 = 1, c1 ∈ R bleibt jedoch beliebig, es existieren alsounendlich viele Lösungen.

Satz 4.2.3 (konstante Koeffizienten). Wir betrachten das Randwerproblem−u′′(x) + cu′(x) + du(x) = 0u(a) = α

u(b) = β

und definierenD := c2

4 + d .

(i) Ist D ≥ 0, dann ist das Randwertproblem eindeutig lösbar.

(ii) Ist D < 0, dann gibt es

(1) genau eine Lösung, falls√−D(b− a) kein ganzzahliges Vielfaches von π ist,

(2) unendlich viele Lösungen, falls√−D(b − a) = kπ für ein k ∈ Z und β =

(−1)kα exp(c2

kπ√−D

),

(3) keine Lösung, falls keiner der genannten Fälle eintrifft.

Beweis. Wir machen den üblichen Exponentialansatz u(x) = eλx und erhalten als Lösun-gen λ1,2 = c

2 ±√D.

D > 0: Hier bilden u1(x) = eλ1x und u2(x) = eλ2x (λ1, λ2 ∈ R) ein Fundamentalsystem,die allgemeine Lösung ist u = c1u1 + c2u2. Zur Erfüllung der Randbedingungen muss also(

eλ1a eλ2a

eλ1b eλ2b

)(c1c2

)=(αβ

)

gelten. Dies ist eindeutig lösbar, falls die angegebene Matrix invertierbar ist, d.h. eλ1aeλ2b−eλ2aeλ1b 6= 0. Dies ist der Fall, da λ1a+ λ2b 6= λ2a+ λ1b, denn λ1(a− b) 6= λ2(a− b).D = 0: Hier bilden u1(x) = eλ1x und u2(x) = xeλ1x ein Fundamentalsystem. Die eindeutigeLösbarkeit wird analog gezeigt.D < 0: Hier bilden u1(x) = e

c2x sin(

√−Dx) und u2(x) = e

c2x cos(

√−Dx) ein (reelles)

Fundamentalsystem. Hier ist(sin(√−Da) cos(

√−Da)

sin(√−Db) cos(

√−Db)

)(c1c2

)=

e−c2aα

e−c2 bβ

Differentialgleichungen I 64

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4.3 Greensche Funktion und semilineare Probleme

zu lösen. Die Determinante dieser Matrix ist

sin(√−Da) cos(

√−Db)− cos(

√−Da) sin(

√−Db) = − sin(

√−D(b− a)) .

Dieser Ausdruck ist genau dann ungleich Null, wenn√−D(b− a) kein ganzzahliges Viel-

faches von π ist. Ansonsten existieren unendlich viele Lösungen, wenn(e−

c2aα, e−

c2 bβ

)T

im Bild der Matrix liegt, was zu den Bedingungen in (ii2) führt.

Wir formulieren nun eine ähnliche Aussage für nichtkonstante Koeffizienten.

Satz 4.2.4. Wir betrachten das Randwertproblem−u′′(x) + c(x)u′(x) + d(x)u(x) = 0u(a) = u(b) = 0 ,

(4.2)

wobei c ∈ C1[a, b] und d ∈ C[a, b]. Wie oben definieren wir

D(x) = d(x) + 14c

2(x)− 12c′(x) .

Ist D(x) ≥ 0 für alle x ∈ [a, b], dann ist die triviale Lösung u ≡ 0 die einzige Lösung desProblems.

Beweis. Wir überführen das Randwertproblem in ein symmetrisches. Sei

u(x) := u(x) exp(−1

2

ˆ x

ac(s)ds

).

Dann löst u genau dann das Randwertproblem (4.2), wenn u das Problem−u′′(x) +D(x)u(x) = 0u(a) = u(b) = 0

löst. Für eine beliebige Lösung u folgt (durch Multiplizieren mit dieser Lösung und Inte-gration)

−ˆ b

au′′(x)u(x)dx+

ˆ b

aD(x)u2(x)dx = 0 ,

was nach partieller Integration äquivalent ist zu

−u′(x)u(x)∣∣ba︸ ︷︷ ︸

=0

+ˆ b

a(u′)2(x)dx+

ˆ b

aD(x)u2(x)dx︸ ︷︷ ︸

≥0

= 0 .

Also muss u′ ≡ 0 gelten, mit Randbedingungen also auch u ≡ 0 und somit auch u ≡ 0 fürjede Lösung u von (4.2).

4.3 Greensche Funktion und semilineare Probleme

Wir betrachten das Randwertproblem−u′′(x) = f(x)u(a) = u(b) = 0.

(4.3)

65 Differentialgleichungen I

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4 Randwertprobleme für gewöhnliche Differentialgleichungen zweiter Ordnung

Die Lösung erhalten wir offenbar durch zweimalige Integration, die Randbedingungenwerden mit Anpassen der Integrationskonstanten bestimmt.Wir definieren die Greensche Funktion des Randwertproblems:

G : [a, b]× [a, b]→ R

G(x, ξ) := 1b− a

(b− x)(ξ − a) , für a ≤ ξ ≤ x ≤ b(b− ξ)(x− a) , für a ≤ x ≤ ξ ≤ b .

Es gilt:

• G ≥ 0.

• Unterteilt man [a, b]2 entlang der Diagonalen durch (a, a) und (b, b) in zwei DreieckeD1, D2, so ist G auf D1 und auf D2 glatt.

• G ist symmetrisch, d.h. G(x, ξ) = G(ξ, x).

• G ist stetig auf [a, b]2.

Für beliebiges f ∈ C[a, b] ist durch

u(x) :=ˆ b

aG(x, ξ)f(ξ)dξ

eine Lösung des Randwertproblems (4.3) gegeben:

• u(a) =´ ba G(a, ξ)︸ ︷︷ ︸

=0

f(ξ)dξ = 0, analog u(b) = 0.

• Ableiten ergibt

u(x) = b− xb− a

ˆ x

a(ξ − a)f(ξ)dξ + x− a

b− a

ˆ b

x(b− ξ)f(ξ)dξ ,

u′(x) = − 1b− a

ˆ x

a(ξ − a)f(ξ)dξ + 1

b− a

ˆ b

x(b− ξ)f(ξ)dξ und

u′′(x) = −x− ab− a

f(x)− b− xb− a

f(x) = −f(x) .

Wir betrachten nun das allgemeinere Randwertproblem−u′′(x) = f(x, u(x))u(a) = u(b) = 0 .

(4.4)

Lemma 4.3.1. Eine Funktion u ∈ C[a, b] ist genau dann eine (klassische) Lösung desRandwertproblems (4.4), wenn

u(x) =ˆ b

aG(x, ξ)f(ξ, u(ξ))dξ .

Differentialgleichungen I 66

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4.3 Greensche Funktion und semilineare Probleme

Beweis. “⇐”: Analog zu obiger Rechnung.“⇒”: Sei u eine Lösung von (4.4). Dann gilt

ˆ b

aG(x, ξ)f(ξ, u(ξ))dξ = −

ˆ b

aG(x, ξ)u′′(ξ)dξ

= −b− xb− a

ˆ x

a(ξ − a)u′′(ξ)dξ − x− a

b− a

ˆ b

a(b− ξ)u′′(ξ)dξ

= −b− xb− a

(x− a)u′(x) + b− xb− a

ˆ x

au′(ξ)dξ

+ x− ab− a

(b− x)u′(x)− x− ab− a

ˆ b

xu′(ξ)dξ

= u(x)(b− xb− a

+ x− ab− a

)= u(x) .

Satz 4.3.2. Es sei f : [a, b]×R→ R stetig und genüge einer Lipschitz-Bedingung, d.h. esgebe ein L ≥ 0, so dass

|f(x, v)− f(x,w)| ≤ L|v − w| , für alle x ∈ [a, b] , v, w ∈ R .

Gibt es ein solches L mit L < 8(b−a)2 , dann existiert für das Randwertproblem (4.4) genau

eine Lösung.

Bemerkung 4.3.3.

• Die Schranke ist nicht optimal, die scharfe Konstante lautet π2

(b−a)2 .

• Für f(x, u(x)) = f(x) können wir L = 0 wählen. Im Falle symmetrischer, linearerProbleme, d.h. f(x, u(x)) = f(x)− d(x)u(x), gilt

|f(x, v)− f(x,w)| ≤ |d(x)||v(x)− w(x)| ,

für hinreichend kleines ‖d‖∞ ist also eindeutige Lösbarkeit gegeben.

• Inhomogene Randbedingungen können unter Bewahrung der Lipschitz-Konstante indie rechte Seite transformiert werden.

Beweis. Nach Lemma 4.3.1 reicht es zu zeigen, dass der Operator T : C[a, b]→ C[a, b] mit

(Tu)(x) :=ˆ b

aG(x, ξ)f(ξ, u(ξ))dξ

genau einen Fixpunkt besitzt. Da G und f stetig sind, ist T wohldefiniert. Wir zeigen,dass T unter den gestellten Voraussetzungen eine Kontraktion ist:

‖Tu− Tv‖∞ = maxx∈[a,b]

∣∣∣∣∣ˆ b

aG(x, ξ)

(f(ξ, u(ξ))− f(ξ, v(ξ))

)dξ∣∣∣∣∣

≤ L maxx∈[a,b]

ˆ b

aG(x, ξ)|u(ξ)− v(ξ)|dξ ≤ L max

x∈[a,b]

ˆ b

aG(x, ξ)dξ‖u− v‖∞ .

67 Differentialgleichungen I

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4 Randwertprobleme für gewöhnliche Differentialgleichungen zweiter Ordnung

Hierbei giltˆ b

aG(x, ξ)dξ = b− x

b− a

ˆ x

a(ξ − a)dξ + x− a

b− a

ˆ b

x(b− ξ)dξ

= b− x2(b− a)(x− a)2 + x− a

2(b− a)(b− x)2 = (b− x)(x− a)2(b− a) (x− a+ b− x)

= (b− x)(x− a)2 ≤ 1

2

(b− a

2

)2= (b− a)2

8 .

Ist also L < 8(b−a)2 , ist T eine Kontraktion und besitzt nach dem Banachschen Fixpunktsatz

genau einen Fixpunkt.

4.4 Greensche Funktion und inhomogene lineare Probleme

Wir betrachten nun das Randwertproblem−u′′(x) + c(x)u′(x) + d(x)u(x) = f(x) , x ∈ (a, b)u(a) = u(b) = 0 .

(4.5)

Wir schreiben(Lu)(x) := −u′′(x) + c(x)u′(x) + d(x)u(x) .

Gesucht ist nun die Greensche Funktion.Die homogene Gleichung Lu = 0 ist immer lösbar und hat einen zweidimensionalen Lö-sungsraum. Seien u1, u2 ein Fundamentalsystem. Dann ist die Wronski-Determinante

W (x) = det(u1(x) u2(x)u′1(x) u′2(x)

)6= 0

für alle x ∈ (a, b). Definiere weiterhin

A(x) = det(u1(a) u2(a)u1(x) u2(x)

),

B(x) = det(u1(x) u2(x)u1(b) u2(b)

)und

R = det(u1(a) u2(a)u1(b) u2(b)

)= A(b) = B(a) .

Das homogene Problem ist nun genau dann eindeutig lösbar, falls R 6= 0. Besitzt dashomogene Problem also nur die triviale Lösung, definieren wir die allgemeine GreenscheFunktion

G(x, ξ) = 1W (ξ)R

A(ξ)B(x) , falls a ≤ ξ ≤ x ≤ bA(x)B(ξ) , falls a ≤ x ≤ ξ ≤ b .

Dann ist G wohldefiniert, stetig und symmetrisch.Beispiel 4.4.1. Sei c ≡ d ≡ 0. Ein Fundamentalsystem ist dann durch u1(x) = 1 undu2(x) = x gegeben. Wir haben

W (x) = det(

1 x0 1

)= 1 A(x) = det

(1 a1 x

)= x− a

B(x) = det(

1 x1 b

)= b− x R = A(b) = b− a .

G stimmt also tatsächlich mit der bereits bekannten Version überein.

Differentialgleichungen I 68

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4.5 Das Sturm-Liouville-Problem

Lemma 4.4.2. u ∈ C[a, b] ist genau dann eine Lösung des Randwertproblems (4.5), wenn

u(x) =ˆ b

aG(x, ξ)f(ξ)dξ . (4.6)

Beweis. Analog zur bereits bekannten Version.

Satz 4.4.3. Besitzt das zu (4.5) gehörige homogene Problem nur die triviale Lösung u ≡ 0,dann ist das inhomogene Problem für beliebige rechte Seiten f ∈ C[a, b] eindeutig lösbar.Diese Lösung ist dann durch (4.6) gegeben.

Ebenso gilt die Umkehrung:

Satz 4.4.4. Ist das inhomogene Randwertproblem (4.5) eindeutig lösbar, so hat das zuge-hörige homogene Problem nur die triviale Lösung.

Beweis. Sei u die Lösung des inhomogenen Problems. Angenommen, u wäre eine nichttri-viale Lösung des homogenen Problems. Dann ist u+u eine weitere Lösung des inhomogenenProblems.

Bemerkung 4.4.5. Die Aussagen zur eindeutigen Lösbarkeit des homogenen Problems im-plizieren also entsprechende Aussagen für das inhomogene Problem.

Diesen Zusammenhang formuliert man auch als Fredholmsche Alternative:

Satz 4.4.6 (Fredholmsche Alternative). Entweder hat das inhomogene Problem (4.5) ge-nau eine Lösung für beliebige (stetige) rechte Seiten oder das zugehörige homogene Problembesitzt eine nichttriviale Lösung.

Bemerkung 4.4.7. Inhomogene Randbedingungen können wie üblich in die rechte Seitetransformiert werden.

4.5 Das Sturm-Liouville-Problem

Wir betrachten nun das Sturm-Liouville-Problem−(p(x)u′(x))′ + q(x)u(x) = f(x) , x ∈ (a, b)u(a) = u(b) = 0 .

(4.7)

Dabei seien f, q ∈ C[a, b] und p ∈ C1[a, b], p(x) 6= 0 für alle x ∈ [a, b]. Mit der Stetigkeitvon p ist also p(x) > 0 oder p(x) < 0 für alle x ∈ (a, b). Sei also o.B.d.A. p > 0. DasProblem (4.7) kann in die gewohnte Form umgeschrieben werden mit c = p′

p , d = qp und

f = fp

Per Definition liegt jede Lösung von (4.7) zunächst in C[a, b] ∩ C2(a, b). Da hier q und fstetig sind, folgt −(pu′)′ = f − qu ∈ C[a, b], also pu′ ∈ C1[a, b]. Da p ∈ C1[a, b], p > 0,folgt u′ ∈ C1[a, b], also u ∈ C2[a, b].

Satz 4.5.1. Sei q ≥ 0 auf [a, b]. Dann besitzt (4.7) genau eine Lösung für beliebige f ∈C[a, b].

69 Differentialgleichungen I

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4 Randwertprobleme für gewöhnliche Differentialgleichungen zweiter Ordnung

Beweis. Wir betrachten das homogene Problem mit Lösung u. Dann folgt

0 =ˆ b

a(−p(x)u′(x))′u(x) + q(x)u2(x)dx =

ˆ b

ap(x)(u′(x))2 + q(x)u2(x)dx .

Insbesondere folgt p(u′)2 ≡ 0, also u′ ≡ 0. Unter Erfüllung der Randbedingungen ist dannauch u ≡ 0. Das homogene Problem besitzt also nur die triviale Lösung, daher ist (4.7)für beliebiges f ∈ C[a, b] eindeutig lösbar.

Satz 4.5.2 (Kompatibilitätsbedingungen). Besitzt das zu (4.7) gehörige homogene Pro-blem eine nichttriviale Lösung uh, so besitzt (4.7) genau dann mindestens eine Lösung,wenn ˆ b

auh(x)f(x)dx = 0 .

Beweis. “⇒”: Sei uh eine nichttriviale Lösung des homogenen Problems und sei u eineLösung von (4.7). Dann ist

ˆ b

auh(x)f(x)dx =

ˆ b

auh(x)

(−(p(x)u′(x))′ + q(x)u(x)

)dx

=ˆ b

ap(x)u′(x)u′h(x) + q(x)u(x)uh(x)dx

=ˆ b

a−(p(x)u′h(x))′u(x) + q(x)uh(x)u(x)dx

=ˆ b

a

(−(p(x)u′h(x))′ + q(x)uh(x)

)︸ ︷︷ ︸

=0

u(x)dx = 0 .

“⇐”: Seien u1, u2 ein Fundamentalsystem der homogenen Gleichung. Dann gibt es Kon-stanten c1, c2 ∈ R, so dass u = c1u1 +c2u2, wobei c1 6= 0 oder c2 6= 0. Nach Picard-Lindelöfbesitzt das Anfangswertproblem

−(p(x)u′(x))′ + q(x)u(x) = f(x)u(a) = 0u′(a) = c ∈ R beliebig

die eindeutige Lösung up. Es folgt

0 =ˆ b

auh(x)f(x)dx =

ˆ b

auh(x)(−(p(x)u′p(x)) + q(x)up(x))dx

=ˆ b

ap(x)u′p(x)u′h(x) + q(x)up(x)uh(x)dx

= p(x)u′h(x)up(x)∣∣ba +ˆ b

a

((−p(x)u′h(x))′ + q(x)uh(x)

)︸ ︷︷ ︸

=0

up(x)dx

= p(b)u′h(b)up(b) .

Es folgt u′h(b) = 0 oder up(b) = 0, da p > 0. Im zweiten Fall ist up bereits Lösung von(4.7). Angenommen, u′h(b) = 0. Dann ist

uh(b) = 0 = c1u1(b) + c2u2(b) undu′h(b) = 0 = c1u

′1(b) + c2u

′2(b) .

Differentialgleichungen I 70

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4.6 Maximumprinzip und Stabilität

Das Gleichungssystem (u1(b) u2(b)u′1(b) u′2(b)

)(c1c2

)=(

00

)hat eine nichttriviale Lösung, also ist die Matrix singulär, d.h. ihre Determinante ist Null.Diese ist jedoch W (b) = 0, was einen Widerspruch darstellt, da u1 und u2 ein Fundamen-talsystem bilden und somit W (b) 6= 0.

4.6 Maximumprinzip und Stabilität

Wir schreiben wieder

(Lu)(x) = −u′′(x) + c(x)u′(x) + d(x)u(x) ,

mit c, d ∈ C[a, b].

Lemma 4.6.1. Es sei d ≡ 0 auf [a, b]. Dann gilt für v ∈ C[a, b] ∩ C2(a, b):

(i) Aus (Lv)(x) ≤ 0 für alle x ∈ (a, b) folgt v(x) ≤ maxv(a), v(b) für alle x ∈ [a, b].

(ii) Aus (Lv)(x) ≥ 0 für alle x ∈ (a, b) folgt v(x) ≥ minv(a), v(b) für alle x ∈ [a, b].

Beweis. Wir stellen zunächst fest, dass (ii) aus (i) durch Übergang von v zu −v folgt.Sei nun zunächst (Lv)(x) < 0 auf (a, b). Angenommen, (i) gelte nicht, d.h. v hätte einMaximum auf (a, b). Das bedeutet, es gibt ein x0 ∈ (a, b) mit v′(x0) = 0 und v′′(x0) ≤ 0.Dann wäre widersprüchlicherweise

(Lv)(x0) = −v′′(x) + c(x0)v′(x0) = −v′′(x0) ≥ 0 .

Sei nun (Lv)(x) ≤ 0 auf (a, b). Für δ, λ > 0 definieren wir eine Hilfsfunktion w(x) := δeλxfür x ∈ [a, b]. Dann ist

(Lw)(x) = −λ(λ− c(x))w(x) < 0 .

Wir wählen nun λ > ‖c‖∞. Dann ist

(L(v + w))(x) = (Lv)(x) + (Lw)(x) < 0

für alle x ∈ (a, b). Also ist

v(x) + w(x) = v(x) + δeλx ≤ maxv(a) + δeλa, v(b) + δeλb .

Für δ → 0 folgt die Behauptung.

Satz 4.6.2 (Maximumprinzip). Es sei d ≥ 0 auf [a, b]. Dann gelten für alle v ∈ C[a, b] ∩C2[a, b] die folgenden Aussagen:

(i) Aus (Lv)(x) ≤ 0 für alle x ∈ (a, b) folgt v(x) ≤ maxv(a), v(b), 0 für alle x ∈ [a, b].

(ii) Aus (Lv)(x) ≥ 0 für alle x ∈ (a, b) folgt v(x) ≥ minv(a), v(b), 0 für alle x ∈ [a, b].

Beweis. Wie im vorigen Lemma folgt (ii) aus (i).Wir setzen

M+ := x ∈ (a, b) : v(x) > 0 .

71 Differentialgleichungen I

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4 Randwertprobleme für gewöhnliche Differentialgleichungen zweiter Ordnung

Aufgrund der Stetigkeit von v ist M+ = ∅ oder M ist die Vereinigung offener Intervalle.Ist M+ = ∅, folgt sofort die Behauptung. Für den Fall M+ 6= ∅ sei (a0, b0) ⊂ M+. Fallsa0 6= a und v(a0) > 0, gibt es ein a1 < a0 mit v(a1) = 0 oder a1 = a. Entsprechendes giltfür b0. Wir können also annehmen: (a0 = a oder v(a0) = 0) und (b0 = b oder v(b0) = 0).Es liegen vier Fälle vor:

• Ist a0 = a und b0 = b, dann istM+ = (a, b). Dann ist d(x)v(x) ≥ 0. Aus dem Lemma4.6.1 folgt wegen −v′′(x) + c(x)v′(x) ≤ (Lv)(x) ≤ 0 die Behauptung.

• Für v(a0) = 0 und v(b0) = 0 folgt widersprüchlicherweise v ≡ 0 auf (a0, b0).

• Es verbleiben der Fall a0 = a und v(b0) = 0 und der Fall v(a0) = 0 und b0 = b.

Hier folgt, dass es a′, b′ ∈ [a, b], a′ < b′, gibt, so dass M+ = (a, a′) ∪ (b′, b) und v(a′) = 0,v(b′) = 0.Nun folgt schließlich für alle x ∈ (a, b):

v(x) ≤ max

maxx∈(a,a′)

v(x), maxx∈(b′,b)

v(x)≤ maxv(a), v(a′)︸ ︷︷ ︸

=0

, v(b′)︸ ︷︷ ︸=0

, v(b) .

Korollar 4.6.3 (Inverse Monotonie). Unter den Voraussetzungen des Maximumsprinzipsseien v, w ∈ C[a, b] ∩ C2(a, b) mit v(a) ≤ w(a), v(b) ≤ w(b) und (Lv)(x) ≤ (Lw)(x) füralle x ∈ (a, b). Dann gilt v(x) ≤ w(x) auf (a, b).

Beweis. Maximumsprinzip für v − w.

Satz 4.6.4 (Stabilität, stetige Abhängigkeit von den Daten). Wir betrachten das Rand-wertproblem

(Lu)(x) = f(x) , x ∈ (a, b)u(a) = α

u(b) = β .

(4.8)

Es sei d ≥ 0 auf [a, b]. Dann gibt es ein Λ = Λ(a, b, c, d) > 0 mit

‖u‖∞ ≤ Λ‖f‖∞ + max|α|, |β| .

Beweis. Für λ,A,B > 0 definiere die Hilfsfunktion w(x) := Beλ(x−a) −A. Hierfür gilt

(Lw)(x) = (−λ2 + λc(x) + d(x))Beλ(x−a) − d(x)A .

Wir wählen λ so groß, dass

(λ2 − λc(x)− d(x))eλ(x−a) ≥ 1 .

Dann gilt (Lw)(x) ≤ −B ≤ 0. Damit haben wir

(L(±u+ w))(x) = ±f(x) + (Lw)(x) ≤ |f(x)| −B!≤ 0

für alle x ∈ (a, b). Setze also B := ‖f‖∞. Das Maximumprinzip liefert

±u(x) + w(x) ≤ max∓α+ w(a),±β + w(b) .

Differentialgleichungen I 72

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4.6 Maximumprinzip und Stabilität

Nun ist w(x) ≥ B −A = w(a) für alle x ∈ (a, b) und w(b) = Beλ(b−a) −A. Damit gilt

|u(x)| ≤ max|α|+B −A, |β|+Beλ(b−a) −A, 0+A−B

= max|α|, |β|+B

(eλ(b−a) − 1

), A−B

.

Es sei

Λ = eλ(b−a) − 1 , A := max|α|, |β|+ ΛB .

Nun ist|u(x)| ≤ A = Λ‖f‖∞ + max|α|, |β| .

Korollar 4.6.5. Das zu (4.8) gehörende homogene Problem (f ≡ 0, α = β = 0) hat nurdie triviale Lösung, falls d ≥ 0 auf [a, b].

Beweis. Direkte Folgerung aus Satz 4.6.4 (|α| = |β| = ‖f‖∞ = 0).

Korollar 4.6.6. Falls d ≥ 0 auf [a, b], so hat das Randwertproblem (4.8) für beliebigef ∈ C[a, b] und α, β ∈ R genau eine Lösung.

Beweis. Man transformiere die Randbedingungen in die rechte Seite und verwende Korol-lar 4.6.5 und die Fredholmsche Alternative.

Lemma 4.6.7. Es sei wieder d ≥ 0 auf [a, b]. Für v ∈ C[a, b]∩C2(a, b) gelte (Lv)(x) < 0auf (a, b). Dann kann v kein nichtnegatives Maximum in (a, b) annehmen.

Beweis. Angenommen, es gäbe ein solches Maximum, d.h. es gäbe ein x0 ∈ (a, b) mitv(x0) ≥ 0, v′(x0) = 0 und v′′(x0) ≤ 0. Damit wäre

(Lv)(x0) = −v′′(x0)︸ ︷︷ ︸≥0

+ c(x0)v′(x0)︸ ︷︷ ︸=0

+ d(x0)v(x0)︸ ︷︷ ︸≥0

≥ 0 .

Satz 4.6.8 (starkes Maximumprinzip). Wieder sei d ≥ 0 auf [a, b]. Falls v ∈ C[a, b] ∩C2(a, b) in (a, b) ein nichtnegatives Maximum besitzt und falls (Lv)(x) ≤ 0 auf (a, b), soist v konstant.

Beweis. Angenommen, v wäre nicht konstant. Dann sei x0 ∈ (a, b) eine solche Maximal-stelle, d.h. insbesondere v(x0) ≥ 0. Dann gibt es ein x1 ∈ (a, b) mit v(x1) < v(x0), o.B.d.A.x0 < x1 < b. Für δ, λ > 0 definieren wir

w(x) = δ(eλ(x−x0) − 1

),

x ∈ [a, x1]. Es ist w(x) < 0 für alle a ≤ x < x0, w(x0) = 0 und w(x) > 0 für x > x0. Wirhaben

(Lw)(x) = −(λ2 − c(x)λ− d(x))δeλ(x−x0) − δd(x)!< 0 .

Wähle λ so groß, dass λ2 − c(x)λ− d(x) > 0. Damit ist(L(v + w)

)(x) = (Lv)(x) + (Lw)(x) < 0

73 Differentialgleichungen I

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4 Randwertprobleme für gewöhnliche Differentialgleichungen zweiter Ordnung

für alle x ∈ (a, b). Somit kann v + w kein nichtnegatives Maximum in (a, x1) annehmen.Es gelten aber für a < x < x0 die Gleichungen

v(x) + w(x) ≤ v(x0) ,v(x0) + w(x0) = v(x0) ,

v(x1) + w(x1) = v(x0) + δ(eλ(x1−x0) − 1

)< v(x0)

für hinreichend kleines δ. Also nimmt v+w in (a, x1) ein nichtnegatives Minimum an, wasein Widerspruch wäre.

Bemerkung 4.6.9. Unter den Voraussetzungen des starken Maximumprinzips gilt v ≡ v0 ≥0, also Lv = dv0 ≥ 0. Da jedoch LV ≤ 0, muss entweder d ≡ 0 oder v ≡ 0 gelten.

4.7 Greensche Funktion und semilineare Probleme II

Wir betrachten das Randwertproblem−u′′(x) = f(x, u(x), u′(x))u(a) = u(b) = 0 .

(4.9)

Bemerkung 4.7.1.

• Inhomogene Randbedingungen können wieder in die rechte Seite transformiert wer-den.

• Falls das homogene Problem nur die triviale Lösung besitzt, gibt es die GreenscheFunktion

G(x, ξ) = 1RW (ξ)

A(ξ)B(x) ξ ≤ xA(x)B(ξ) x ≤ ξ .

Satz 4.7.2. Es sei f : [a, b]×R×R→ R stetig und genüge einer Lipschitz-Bedingung mitLipschitz-Konstanten L,L′ > 0, d.h. es gelte

|f(x, t, t′)− f(x, s, s′)| ≤ L|t− s|+ L′|t′ − s′|

für alle x ∈ [a, b], s, s′, t, t′ ∈ R. Dann hat das Randwertproblem (4.9) genau eine Lösung,falls

maxx∈[a,b]

ˆ b

aL|G(x, ξ)|+ L′| ∂∂xG(x, ξ)|dξ < 1 (4.10)

und falls das homogene Problem nur die triviale Lösung besitzt.

Beweis. u ∈ C1[a, b] ist genau dann Lösung des Randwertproblems (4.9), wenn

u(x) =ˆ b

aG(x, ξ)f(ξ, u(ξ), u′(ξ))dξ =: (Tu)(x) .

Wir verwenden die Norm

‖x‖L := maxx∈[a,b]

(L|v(x)|+ L′|v′(x)|) ,

v ∈ C1[a, b]. Dann ist diese Norm äquivalent zu ‖·‖C1 = max(|·|+ |· ′|

). (C1[a, b], ‖·‖L) ist

also ein Banach-Raum.

Differentialgleichungen I 74

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4.7 Greensche Funktion und semilineare Probleme II

Weiterhin ist T wohldefiniert, da G stetig ist und ebenso f in ξ für u ∈ C1[a, b]. T bildetaußerdem nach C1[a, b] ab, denn

ddx(Tu)(x) =

ˆ b

a

∂∂xG(x, ξ)f(ξ, u(ξ), u′(ξ))dξ

= B′(x)ˆ x

a

A(ξ)RW (ξ)f(ξ, u(ξ), u′(ξ))dξ +A′(x)

ˆ b

x

B(ξ)RW (ξ)f(ξ, u(ξ), u′(ξ))dξ

existiert und ist stetig. Damit ist T eine Selbstabbildung.Wir zeigen nun, dass T eine Kontraktion bezüglich ‖·‖L ist. Wir haben zunächst

|(Tu)(x)− (Tv)(x)| ≤ˆ b

a|G(x, ξ)||f(ξ, u(ξ), u′(ξ))− f(ξ, v(ξ), v′(ξ))|dξ

≤ˆ b

a|G(x, ξ)|

(L|u(ξ)− v(ξ)|+ L′|u′(ξ)− u′(ξ)|

)dξ

≤ˆ b

a|G(x, ξ)dξ‖u− v‖L .

Analog ist

|(Tu)′(x)− (Tv)′(x)| ≤ˆ b

a| ∂∂xG(x, ξ)|dξ‖u− v‖L .

Insgesamt haben wir

‖Tu− Tv‖L ≤ maxx∈[a,b]

(L|(Tu)(x)− (Tv)(x)|+ L′|(Tu)′(x)− (Tv)′(x)|

)≤ max

x∈[a,b]

(ˆ b

aL|G(x, ξ)|+ L′| ∂∂xG(x, ξ)|dξ

)‖u− v‖L .

Nach Voraussetzung (4.10) ist T also eine Kontraktion, der Rest folgt mit dem Banach-schen Fixpunktsatz.

Bemerkung 4.7.3. Für c ≡ d ≡ 0 kann die Voraussetzug vereinfacht werden. Dann habenwir nämlich

G(x, ξ) = 1b− a

(b− x)(ξ − a) , ξ ≤ x(b− ξ)(x− a) , x ≤ ξ .

Damit folgt

maxx∈[a,b]

ˆ b

a|G(x, ξ)| = (b− a)2

8und ebensoˆ b

a| ∂∂xG(x, ξ)|dξ = 1

b− a

(ˆ x

a(ξ − a)dξ +

ˆ b

x(b− ξ)dξ

)= 1

2(b− a)((x− a)2 + (b− x)2

),

alsomaxx∈[a,b]

ˆ b

a| ∂∂xG(x, ξ)|dξ = b− a

2 .

Die Voraussetzung (4.10) wird dann zu

L(b− a)2

8 + L′b− a

2 < 1 .

75 Differentialgleichungen I

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4 Randwertprobleme für gewöhnliche Differentialgleichungen zweiter Ordnung

Satz 4.7.4 (Scorza-Dragoni). Es sei f : [a, b] × R × R → R stetig und beschränkt. Essei weiterhin das zu (4.9) gehörige homogene Problem nur trivial lösbar. Dann hat (4.9)mindestens eine (klassische) Lösung.

Beweis. Es sei |f(x, t, t′)| ≤ M für alle x ∈ [a, b], t, t′ ∈ R. Die Greensche Funktion istwohldefiniert und wieder ist u genau dann Lösung von (4.9), wenn

u(x) =ˆ b

aG(x, ξ)f(ξ, u(ξ), u′(ξ))dξ =: (Tu)(x) .

Wir setzenγ := max

x∈[a,b]

ˆ b

a|G(x, ξ)|+ | ∂∂xG(x, ξ)|dξ

undr := γM .

Sei T : C1[a, b] ⊃ B(0, r)→ B(0, r) wie oben definiert. Dann ist T wohldefiniert und eineSelbstabbildung: Sei u ∈ B(0, r) ⊂ C1[a, b]. Dann ist

‖Tu‖C1 = maxx∈[a,b]

(|(Tu)(x)|+ |(Tu)′(x)|

)= max

x∈[a,b]

ˆ b

a

(|G(x, ξ)|+ | ∂∂xG(x, ξ)|

)|f(ξ, u(ξ), u′(ξ))|︸ ︷︷ ︸

≤M

dξ ≤ γM = r,

d.h. Tu ∈ B(0, r).Wir möchten nun den Schauderschen Fixpunktsatz anwenden:Die Menge B(0, r) ist offenbar konvex, abgeschlossen, beschränkt und nichtleer.Wir zeigen, dass T kompakt ist:

• T ist stetig: Auf der kompakten Menge (x, s, s′) ∈ [a, b]× R× R : |s|+ |s′| ≤ r istf gleichmäßig stetig. Insbesondere gibt es zu jedem ε > 0 ein δ > 0, so dass für allex ∈ [a, b] und s, s′, t, t′ ∈ R mit |s|+ |s′| ≤ r und |t|+ |t′| ≤ r gilt:

|s− t|+ |s′ − t′| ≤ δ ⇒ |f(x, s, s′)− f(x, t, t′)| ≤ εγ .

Damit gilt für v, w ∈ B(0, r):

‖v − w‖C1 ≤ δ ⇒ |f(x, v(x), v′(x))− f(x,w(x), w′(x))| ≤ εγ .

Also gilt für ‖v − w‖C1 ≤ δ:

‖Tv − Tw‖C1 ≤ maxx∈[a,b]

ˆ b

a

(|G(x, ξ)|+ | ∂∂xG(x, ξ)|

)(f(ξ, v(ξ), v′(ξ))− f(ξ, w(ξ), w′(ξ))

)dξ ≤ γ ε

γ = ε .

• Der Operator T überführt beschränkte Mengen in relativ kompakte Mengen: Seiun ⊂ B(0, r). Für Tun ⊂ B(0, r) gilt:Die Folge Tun ist gleichmäßig beschränkt.

Differentialgleichungen I 76

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4.8 Ober- und Unterlösungen

Die Folge Tun ist weiterhin gleichgradig stetig:

|(Tun)(x)− (Tun)(y)| ≤ˆ b

a|G(x, ξ)−G(y, ξ)||f(ξ, un(ξ), u′n(ξ))|dξ

≤Mˆ b

a|G(x, ξ)−G(y, ξ)|dξ .

Da G gleichmäßig stetig auf [a, b]2 ist, folgt hieraus die gleichgradige Stetigkeit vonTun.Nach dem Satz von Arzelà-Ascoli gibt es eine Teilfolge un′, so dass Tun′ ⊂ C[a, b]bezüglich ‖·‖∞ konvergiert. Wir benötigen jedoch Konvergenz bezüglich ‖·‖C1 . Wirbetrachten dazu also (Tun′)′, es gilt insbesondere ‖(Tun′)′‖ ≤ r, d.h. die Folge istgleichmäßig beschränkt.Außerdem ist (Tun′)′ gleichgradig stetig: Für x, y ∈ [a, b] (o.B.d.A. x < y) habenwir

|(Tun′)′(x)− (Tun′)′(y)| ≤∣∣∣∣∣ˆ b

a

(∂∂xG(x, ξ)− ∂

∂yG(y, ξ))f(ξ, u(ξ), u′(ξ))dξ

∣∣∣∣∣≤ |B′(x)−B′(y)|

ˆ x

a

∣∣∣∣ A(ξ)RW (ξ)

∣∣∣∣ |f(ξ, u(ξ), u′(ξ))|dξ

+ˆ y

x

∣∣∣∣A′(x)B(ξ)−A(ξ)B′(y)RW (ξ)

∣∣∣∣ |f(ξ, u(ξ), u′(ξ))|dξ

+ |A′(x)−A′(y)|ˆ b

y

∣∣∣∣ B(ξ)RW (ξ)

∣∣∣∣ |f(ξ, u(ξ), u′(ξ))|dξ .

Hieraus folgt die Behauptung, da A und B stetig differenzierbar sind.Nach Arzelà-Ascoli gibt es also wieder eine Teilfolge un′′ ⊂ B(0, r), so dass(Tun′′)′ bezüglich ‖·‖∞ konvergiert. Sei h ∈ C[a, b] als Grenzwert dieser gleich-mäßig konvergenten Folge definiert, d.h. (Tun′′)′ → h. Sei weiter g ∈ C1[a, b] analogdefiniert über Tun′′ → g. Dann gilt g′ = h und Tun′′ → g bezüglich ‖·‖C1 .

Nun folgt die Behauptung des Satzes aus dem Schauderschen Fixpunktsatz.

4.8 Ober- und Unterlösungen

Wir betrachten nun das Randwertproblem(Lu)(x) = −u′′(x) = f(x, u(x), u′(x))u(a) = u(b) = 0 .

(4.11)

Definition 4.8.1. v ∈ C2[a, b] heißt

• Oberlösung von (4.11), falls

(Lv)(x) ≥ f(x, u(x), u′(x)) ∀x ∈ [a, b]

und v(a) ≥ 0, v(b) ≥ 0.

• Unterlösung von (4.11), falls

(Lv)(x) ≤ f(x, u(x), u′(x)) ∀x ∈ [a, b]

und v(a) ≤ 0, v(b) ≤ 0.

77 Differentialgleichungen I

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4 Randwertprobleme für gewöhnliche Differentialgleichungen zweiter Ordnung

f : [a, b]× R× R→ R ist dabei immer stetig, aber nicht unbedingt beschränkt.

Satz 4.8.2 (Existenzsatz). Es sei v eine Unterlösung und w eine Oberlösung von (4.11).Es gelte v(x) ≤ w(x) auf [a, b]. f erfülle eine Nagumo-Bedingung bezüglich v und w auf[a, b], d.h.:Es gebe eine stetige Funktion h : (0,∞)→ (0,∞) mit

ˆ ∞λ

s

h(s)ds > maxx∈[a,b]

w(x)− minx∈[a,b]

v(x)

undλ(b− a) = max|v(a)− w(b)|, v(b)− w(a)| ,

so dass|f(x, t, t′)| ≤ h(|t′|)

für alle x ∈ [a, b], v(x) ≤ t ≤ w(x), t, t′ ∈ R.Dann existiert mindestens eine Lösung u ∈ C2[a, b] des Randwertproblems (4.11) mitv(x) ≤ u(x) ≤ w(x) auf [a, b].

Um diesen Satz beweisen zu können, benötigen wir jedoch noch etwas Vorarbeit.

Lemma 4.8.3 (Nagumo-Bedingung). Es erfülle f eine Nagumo-Bedingung bezüglich v,w auf [a, b]. Dann gibt es ein C = C(v, w, h) > 0 mit

|u′(x)| ≤ C (4.12)

für alle x ∈ [a, b] für jede Lösung u ∈ C2[a, b] des Randwertproblems (4.11) mit v(x) ≤u(x) ≤ w(x).

Beweis. Es sei C > λ so groß, dassˆ C

λ

s

h(s)ds > maxx∈[a,b]

w(x)− minx∈[a,b]

v(x) . (4.13)

Nach dem Mittelwertsatz gibt es ein x0 ∈ (a, b), so dass

u′(x0)(b− a) = u(b)− u(a) ≤ max|v(a)− w(b)|, |v(b)− w(a)| = λ(b− a) ,

also u′(x0) ≤ λ.Angenommen, (4.12) gälte nicht. Dann gibt es ein x3 ∈ (a, b) mit |u′(x3)| > C. Also gibtes ein Intervall [x1, x2] ⊂ [a, b] mit

|u′(x1)| = λ |u′(x2)| = C oder|u′(x1)| = C |u′(x2)| = λ ,

d.h. λ < |u′(x)| < C auf (x1, x2). O.B.d.A. sei u′(x1) = λ < u′(x) < u′(x2) = C,x ∈ (x1, x2). Dann gilt für x ∈ [x1, x2]

|u′′(x)|u′(x) = |f(x, u(x), u′(x))|u′(x) ≤ h(|u′(x)|)u′(x)| ,

Differentialgleichungen I 78

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4.8 Ober- und Unterlösungen

also ∣∣∣∣∣ˆ u(x2)=C

u(x1)λ

t

h(t)dt∣∣∣∣∣ =

∣∣∣∣∣ˆ x2

x1

u′′(s)u′(s)h(u′(s)) ds

∣∣∣∣∣≤ˆ x2

x1

|u′′(s)|u′(s)h(|u′(s)|) ds ≤

ˆ x2

x1

u′(s)ds = u(x2)− u(x1)

≤ maxx∈[a,b]

w(x)− minx∈[a,b]

v(x) .

Dies ist ein Widerspruch zur Wahl von C in (4.13).

Definition 4.8.4. Es seien v, w Unter- bzw. Oberlösungen von (4.11) mit v(x) ≤ w(x)für alle x ∈ [a, b]. Sei c > 0 mit |v′(x)|, |w′(x)| ≤ c, x ∈ [a, b]. Wir definieren

F ∗(x, t, t′) :=

f(x, t, c), falls t′ > c

f(x, t, t′), falls |t′| ≤ cf(x, t,−c), falls t′ < −c

und damit

F (x, t, t′) :=

F ∗(x,w(x), t′)− t−w(x)

1+t2 , falls t > w(x)F ∗(x, t, t′), falls v(x) ≤ t ≤ w(x)F ∗(x, v(x), t′)− t−v(x)

1+t2 , falls t < v(x) .

F heißt Modifikation von f bezüglich v, w und c auf [a, b].

Bemerkung 4.8.5 (Eigenschaften der Modifikation). • Die Modifikation F ist stetig.

• Die Modifikation F ist beschränkt, d.h.

|F (x, t, t′)| ≤ 1 + maxf(x, t, t′) : x ∈ [a, b], |t′| ≤ c, v(x) ≤ t ≤ w(x)

+ ‖v‖∞ + ‖w‖∞ .

Lemma 4.8.6 (Modifikation). Es seien v, w Unter- bzw. Oberlösungen von (4.11) mitv(x) ≤ w(x) auf [a, b]. Sei c > 0 mit |v′(x)|, |w′(x)| ≤ c. Dann hat das Randwertproblem

−u′′(x) = F (x, u(x), u′(x)) , x ∈ (a, b)u(a) = u(b) = 0

(4.14)

mindestens eine Lösung u mit v(x) ≤ u(x) ≤ w(x), x ∈ [a, b].

Beweis. Die Existenz einer Lösung u von (4.14) folgt aus dem Satz von Scorza-Dragoni.Wir zeigen die Abschätzung u(x) ≤ w(x): 0 = u(a) ≤ w(a), 0 = u(b) ≤ w(b). Ange-nommen, die Abschätzung gälte nicht. Dann gibt es ein x ∈ (a, b) mit u(x) > w(x). DieFunktion u − w nimmt also ein positives Maximum in einem x0 ∈ (a, b) an. Damit istu(x0) > w(x0) und u′(x0) = w′(x0), also |u′(x0)| ≤ c. Wir haben

−u′′(x0) = F (x0, u(x0), u′(x0)) = F ∗(x0, w(x0), u′(x0))− u(x0)−w(x0)1+u2(x0)

= f(x0, w(x0), w′(x0))− u(x0)−w(x0)1+u2u(x0

79 Differentialgleichungen I

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4 Randwertprobleme für gewöhnliche Differentialgleichungen zweiter Ordnung

und damit−w′′(x0) ≥ f(x0, w(x0), w′(x0)) .

Also istu′′ − w′′ ≥ −f + u(x0)−w(x0)

1+u2(x0) + f = u(x0)−w(x0)1+u2(x0) > 0 .

Dies ist ein Widerspruch dazu, dass u− w auf (a, b) ein Maximum annimmt.

Damit haben wir alle nötigen Werkzeuge, um den Existenzsatz zu beweisen.

Beweis des Existenzsatzes. Nach Lemma 4.8.3 gibt es ein c > 0 mit |u′(x)| ≤ c, x ∈ [a, b],für alle Lösungen u von (4.11) mit v ≤ u ≤ w. Sei c1 < c mit |v′(x)|, |w′(x)| ≤ c1, x ∈ [a, b].Sei F die Modifikation von f bezüglich v, w, c1 auf [a, b]. Nach Lemma 4.8.6 gibt es eineLösung u des Randwertproblems (4.14) mit v ≤ u ≤ w auf [a, b].Nach dem Mittelwertsatz gibt es ein x0 ∈ (a, b) mit

u′(x0)(b− a) = u(b)− u(a) ≤ max|w(a)− v(b)|, |v(a)− w(b)| = λ(b− a) .

Damit folgt |u′(x0)| ≤ λ < c.Somit gibt es ein Intervall J ⊂ [a, b] mit x0 ∈ J , auf dem −u′′(x) = f(x, u(x), u′(x)) gilt.Mit Lemma 4.8.3 folgt wieder |u′(x)| ≤ c < c1, x ∈ J , c ∈ R.Solange |u′(x)| < c1 ist, folgt −u′′(x) = f(x, u(x), u′(x)).Damit folgt J = [a, b]. u löst also das Randwertproblem (4.11) nicht nur auf einem Teilin-tervall J , sondern auf ganz [a, b]. Denn: Angenommen, dies wäre nicht so. Dann gibt es einx ∈ [a, b] mit |u′(x)| = c1 und |u(x)| < c1 für x < x, also gilt für x < x: |u′(x)| ≤ c < c1und damit |u′(x) ≤ c < c1. Widerspruch!Also ist u Lösung von (4.11).

Differentialgleichungen I 80

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5 Verallgemeinerte Ableitung und Regularisierung im eindimensionalen Fall

Differentialgleichungen II

5 Verallgemeinerte Ableitung und Regularisierung im ein-dimensionalen Fall

Wir beginnen mit einer Verallgemeinerung der Ableitung nach folgender Idee: Sei u ∈C[a, b] eine auf (a, b) stetig differenzierbare Funktion. Wir wählen mit v eine ebenfallsstetig differenzierbare Funktion, so dass v(a) = v(b) = 0. Partielle Integration liefert nun

ˆ b

au(x)v′(x)dx = u(x)v(x)|ba︸ ︷︷ ︸

=0

−ˆ b

au′(x)v(x)dx .

Zur Wohldefiniertheit der Ausdrücke können wir außerdem u, u′, v ∈ L2(a, b) fordern.Hierbei wurden jedoch einige Annahmen getroffen, auf die auch verzichtet werden könn-ten. Wäre beispielsweise u′ auf einer Nullmenge nicht wohldefiniert, so würde dies dieIntegration nicht behindern.Daraus lässt sich der Ableitungsbegriff auf eine größere Klasse von Funktionen verallge-meinern.

Definition 5.1. Seien u, v ∈ L1loc(a, b). Gilt für alle φ ∈ C∞0 (a, b)

ˆ b

au(x)φ′(x)dx = −

ˆ b

av(x)φ(x)dx ,

so heißt v schwache bzw. verallgemeinerte Ableitung von u.

Bemerkung 5.2. L1loc(a, b) bezeichnet den Raum der lokal integrablen Funktionen, d.h.

der Raum der Funktionen, die auf (a, b) messbar und auf jeder kompakten Teilmenge von(a, b) integrierbar sind.C∞0 (a, b) oder auch C∞c (a, b) bezeichnet den Raum der auf (a, b) unendlich oft differen-zierbaren Funktionen mit kompaktem Träger, d.h. es gibt ein Intervall [α, β] ⊂ (a, b), sodass φ(x) = 0, wenn x /∈ (α, β).Der Träger einer Funktion φ : R→ R ist definiert als

suppφ := x ∈ R : φ(x) 6= 0 .

Beispiel 5.3 (L1loc und C∞0 ). Die Funktion w : (0, 1) → R, x 7→ 1

x liegt in L1loc(0, 1), aber

nicht in L1(0, 1).φ : (0, π) → R, x 7→ sin(x) liegt in C∞(0, π), jedoch nicht in C0(0, π), also auch nicht inC∞0 (0, π).Die Funktion φ : (a, b)→ R mit

φ(x) =

exp(− 1

1−|x|2)

für |x| < 10 sonst

liegt in C∞0 (a, b), wenn a < −1 und b > 1, denn suppφ = [−1, 1].

81 Differentialgleichungen IIA

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5 Verallgemeinerte Ableitung und Regularisierung im eindimensionalen Fall

Analog ist ρε ∈ C∞0 (a, b),

ρε(x) =

exp(− 1

1−|xε |2

)für |x| < ε

0 sonst ,

ε > 0, wenn supp ρε = [−ε, ε] ⊂ (a, b).Beispiel 5.4 (schwache Ableitung). Sei u(x) = |x|, v(x) = sgn x in (−1, 1). Dann ist v eineschwache Ableitung von u:ˆ 1

−1|x|φ′(x)dx =

ˆ 0

−1(−x)φ′(x)dx+

ˆ 1

0xφ′(x)dx =

−xφ(x)∣∣∣0−1︸ ︷︷ ︸

=0

−ˆ 0

−1(−1)φ(x)dx+ xφ(x)

∣∣∣10︸ ︷︷ ︸

=0

−ˆ 1

0φ(x)dx = −

ˆ 1

−1v(x)φ(x)dx .

Allerdings ist auch jede Funktion, die sich von v nur auf einer Nullmenge unterscheidet,ebenfalls eine schwache Ableitung von u.v besitzt keine schwache Ableitung, da sonst

ˆ 1

−1v(x)φ′(x)dx = 2

ˆ 1

0φ′(x)dx = 2φ(0) != −

ˆ 1

−1w(x)φ(x)dx

für ein w ∈ L1loc(−1, 1), was nicht für alle φ zu erfüllen ist (Übung!).

Satz 5.5 (Fundamentallemma der Variationsrechnung). Sei u ∈ L1loc(a, b) und es gelte

ˆ b

au(x)φ(x)dx = 0

für alle φ ∈ C∞0 (a, b). Dann gilt u(x) = 0 für fast alle x ∈ (a, b).

Um diese Aussage beweisen zu können, benötigen wir jedoch die Theorie der Regularisie-rung.

Definition 5.6. Sei ε > 0. Eine Funktion ρε : R→ R heißt Mittelungskern, falls

(i) ρε ∈ C∞0 (R) mit supp ρε ⊂ [−ε, ε],

(ii)´R ρε(x)dx = 1 und

(iii) ρε(x) ≥ 0 für alle x ∈ R.

Sei die auf (a, b) gegebene Funktion u außerhalb von (a, b) zu u mit Null fortgesetzt. DieFaltung uε = ρε ? u,

(ρε ? u)(x) =ˆRρε(x− ξ)u(ξ)dξ ,

heißt Mittelfunktion oder Regularisierung von u.

Ein Beispiel für einen Mittelungskern bildet

ρε(x) = cε

exp(− 1

1−|xε |2

)für |x| < ε

0 sonst ,

Differentialgleichungen IIA 82

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5 Verallgemeinerte Ableitung und Regularisierung im eindimensionalen Fall

mit dem Normierungsfaktor

cε =(ˆ ε

−ερε(x)dx

)−1

.

Wählen wir ρε auf diese Weise, gilt außerdem

ρε(x) = 1ερ1

(x

ε

),

was wir im folgenden stets für Folgen ρε von Mittelungskernen voraussetzen.

Satz 5.7. Sei u ∈ Lp(a, b) für 1 ≤ p < ∞. Dann sind die Mittelfunktionen uε für ε > 0wohldefiniert und es gelten die folgenden Aussagen:

(i) uε ∈ C∞(R),

(ii) uε ∈ C∞0 (a, b) für genügend kleines ε, falls suppu ⊂ (a, b),

(iii) ‖uε‖Lp(R) ≤ ‖u‖Lp(a,b) (gilt auch für p =∞),

(iv) uε → u in Lp(a, b), d.h. limε→0‖uε − u‖Lp(a,b) = 0, und

(v) uε(x)→ u(x) für fast alle x ∈ (a, b).

(vi) limε→0‖uε − u‖C(K) = 0, für kompakte Mengen K ⊂ (a, b), falls u ∈ C(a, b).

Beweis. (i) und (ii) folgen aus der Definition der Mittelfunktionen.Zu (iii): Die Hölder-Ungleichung liefert für q > 1 mit 1

p + 1q = 1

|uε(x)| =∣∣∣∣ˆ

Rρε(x− ξ)

1p

+ 1q u(ξ)dξ

∣∣∣∣ ≤ (ˆRρε(x− ξ)dξ

) 1q(ˆ

Rρε(x− ξ)|u(ξ)|pdξ

) 1p

=(ˆ

Rρε(x− ξ)|u(ξ)|pdξ

) 1p

.

Mit Fubini erhalten wir nun

‖uε‖pLp(R) =ˆR|uε(x)|pdx ≤

ˆR

ˆRρε(x− ξ)|u(ξ)|pdξdx

=ˆR

ˆRρε(x− ξ)dx︸ ︷︷ ︸

=1

|u(ξ)|pdξ =ˆR|u(x)|pdx .

Zu (iv): Es ist ˆ b

a|uε(x)− u(x)|pdx→ 0

zu zeigen. Hierzu beobachten wir wegen supp ρε(x− ·) = [x− ε, x+ ε] zunächst

|uε(x)− u(x)| =

∣∣∣∣∣∣∣∣∣ˆRρε(x− ξ)olu(ξ)dξ −

ˆRρε(x− ξ)dξ︸ ︷︷ ︸

=1

u(x)

∣∣∣∣∣∣∣∣∣=∣∣∣∣ˆ

Rρε(x− ξ)(u(ξ)− u(x))dξ

∣∣∣∣=∣∣∣∣∣ˆ x+ε

x−ερε(x− ξ)(u(ξ)− u(x))dξ

∣∣∣∣∣ .83 Differentialgleichungen IIA

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5 Verallgemeinerte Ableitung und Regularisierung im eindimensionalen Fall

Die Subsitution y := x−ξε liefert ξ = x− εy, also dξ = −εdy und damit

|uε(x)− u(x)| =∣∣∣∣∣ˆ 1

−1ερε(εy)(u(x− εy)− u(x))dy

∣∣∣∣∣=∣∣∣∣∣ˆ 1

−1ρ1(y)(u(x+ εy)− u(x))dy

∣∣∣∣∣ .(5.1)

Insgesamt erhalten wirˆ b

a|uε(x)− u(x)|pdx ≤

ˆ b

a

(ˆ 1

−1ρ1(y)|u(x− εy)− u(x)|dy

)pdx

≤ˆ b

a

(ˆ 1

−1ρ1(y)dy

) pqˆ 1

−1ρ1(y)

∣∣u(x− εy)− u(x)∣∣pdydx

=ˆ 1

−1ρ1(y)

ˆ b

a

∣∣u(x− εy)− u(x)∣∣pdxdy . (5.2)

Für festes y ∈ [−1, 1] ist

‖u(· − εy)− u‖pLp(a,b) =ˆ b

a

∣∣u(x− εy)− u(x)|pdx→ 0

für ε → 0, außerdem lässt sich für den Integranden in (5.2) eine integrierbare Majorantefinden, da u, u ∈ Lp. Der Satz von Lebesgue liefert also ‖uε − u‖pLp(a,b) → 0.(v) lässt sich ähnlich zeigen, man verwende dazu die Gleichung (5.1).Zu (vi): Unter den genannten Voraussetzungen ist

|uε(x)− u(x)| =∣∣∣∣ˆ

Rρε(x)

(u(ξ)− u(x)

)dξ∣∣∣∣

=∣∣∣∣∣ˆ x+ε

x−ε

1ερ1

(x− ξε

) (u(ξ)− u(x)

)dξ∣∣∣∣∣

≤ 1ε

ˆ x+ε

x−ε

∣∣u(ξ)− u(x)∣∣dξ︸ ︷︷ ︸

→0

maxy∈[−1,1]

ρ1(y)→ 0 .

Die zu zeigende Aussage folgt nun wegen gleichmäßiger Stetigkeit von u auf K.

Beweis zu Satz 5.5. Es sei [c, d] ⊂ (a, b), c < d, ein kompaktes Intervall. Wir wollen´ dc |u(x)|dx = 0 zeigen, woraus u(x) = 0 fast überall folgen würde. Nun sei

w(x) :=

sgn u(x) falls x ∈ [c, d]0 sonst .

Für ein genügend kleines ε > 0 liegt nun die Regularisierung wε in C∞0 (a, b) und es istwε(x)→ w(x) fast überall für ε→ 0. Außerdem ist nach Voraussetzung

´ ba u(x)wε(x)dx =

0. Wir wollen nun den Satz von Lebesgue anwenden, um´ ba u(x)w(x)dx =

´ dc |u(x)|dx = 0

zu erhalten. Um eine Majorante für die wε zu finden, beobachten wir

|wε(x)| =∣∣∣∣ˆ

Rρε(x− ξ)wε(ξ)dξ

∣∣∣∣ ≤ ˆRρε(x− ξ)dξmax

ξ∈R|w(ξ)|︸ ︷︷ ︸=1

= 1 ,

Differentialgleichungen IIA 84

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5 Verallgemeinerte Ableitung und Regularisierung im eindimensionalen Fall

d.h. |u(x)wε(x)| ≤ |u(x)|. Da u ∈ L1loc(a, b), ist u ∈ L1(c, d) und damit ist |u| eine inte-

grierbare Majorante für uwε.

Korollar 5.8. Es sei u ∈ L1loc(a, b) und es gelte

ˆ b

au(x)φ′(x)dx = 0

für alle φ ∈ C∞0 (a, b). Dann folgt u(x) ≡ const fast überall.

Beweis. Übungsaufgabe.

Bemerkung 5.9. Die schwache Ableitung einer Funktion ist eindeutig bestimmt: Es seienv und w zwei schwache Ableitungen von u. Dann gilt für alle φ ∈ C∞0 (a, b)

ˆ b

av(x)φ(x)dx = −

ˆ b

au(x)φ′(x)dx =

ˆ b

aw(x)φ(x)dx ,

also ˆ b

a

(v(x)− w(x)

)φ(x)dx = 0 ,

womit v(x) = w(x) fast überall folgt.Für u ∈ L1

loc(a, b) können wir außerdem v ∈ L1loc(a, b) als schwache Ableitung n-ter Ord-

nung von u bezeichnen, fallsˆ b

av(x)φ(x)dx = (−1)n

ˆ b

au(x)φ(n)(x)dx

für alle φ ∈ C∞0 (a, b) gilt.

Im Gegensatz zu klassischen Ableitungen höherer Ordnung setzen wir für die Definitionder n-ten schwachen Ableitung also nicht die Existenz der (n − 1)-ten Ableitung voraus.Wir können jedoch zeigen, dass die Existenz dieser notwendig für die Existenz der n-tenAbleitung einer integrierbaren Funktion ist.

Satz 5.10. Es sei u ∈ L1loc(a, b) und besitze für n ∈ N die schwache Ableitung n-ter Ord-

nung u(n) ∈ L1(a, b). Dann existiert für jedes k = 0, . . . , n−1 auch die schwache Ableitungk-ter Ordnung und diese ist absolut stetig.

Beweis. Betrachte

vn(x) := u(n)(x) und

vk−1(x) :=ˆ x

avk(ξ)dξ für k = n, n− 1, . . . , 1 .

Es lässt sich zeigen, dass vn−1, . . . , v0 absolut stetig auf [a, b] sind und vk−1 die schwacheAbleitung vk besitzt. Insbesondere ist für φ ∈ C∞0 (a, b)

ˆ b

au(x)φ(n)(x)dx = (−1)n

ˆ b

au(n)(x)φ(x)dx = (−1)n−1

ˆ b

avn−1(x)φ′(x)dx

=ˆ b

av0(x)φ(n)(x)dx ,

also unterscheidet sich v0 von u nur durch ein Polynom vom Grad n−1. Rekursiv erhaltenwir, dass sich vk nur durch ein Polynom (n−k−1)-ten Grades von der schwachen Ableitungu(k) von Ordnung k unterscheidet.

85 Differentialgleichungen IIA

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5 Verallgemeinerte Ableitung und Regularisierung im eindimensionalen Fall

Wir führen nun einen ersten Raum von schwach differenzierbaren Funktionen ein. Vorherwollen wir jedoch den Begriff der Einbettung definieren.

Definition 5.11. Es seien (X, ‖·‖X) und (Y, ‖·‖Y ) zwei Banach-Räume. Existiert einelineare und injektive Abbildung i : X → Y , so sagen wir dass X in Y eingebettet ist undnennen i eine Einbettung.

(i) Ist i sogar stetig, so sagen wir, dass X stetig in Y eingebettet ist, und schreiben

X → Y .

(ii) Ist i sogar kompakt, so sagen wir, dass X kompakt in Y eingeettet ist, und schreiben

Xc→ Y .

(iii) Ist i(X) dicht in Y , so sagen wir, dass X dicht in Y eingebetttet ist. Ist dieseEinbettung zusätzlich stetig, so schreiben wir

Xd→ Y .

Ist X sowohl kompakt als auch dicht in Y eingebettet, so schreiben wir

Xd c→ Y .

Mithilfe von i können wir dann Elemente von X als Elemente von Y auffassen. Identi-fizieren wir X mit i(X), so betrachten wir X als Teilmenge von Y . Oft ist X bereits –als Menge, nicht als normierter Raum – Teilmenge von Y und wir können i als Identitätwählen.

Satz 5.12. Es sei W 1,1(a, b) der Vektorraum aller Funktionen u ∈ L1(a, b) mit schwacherAbleitung u′ ∈ L1(a, b). Dann ist jedes u ∈ W 1,1(a, b) auf [a, b] fast überall gleich einerabsolut stetigen Funktion. Mit

‖u‖1,1 :=ˆ b

a

(|u(x)|+ |u′(x)|

)dx = ‖u‖L1 + ‖u′‖L1

wird auf W 1,1(a, b) eine Banachraum-Norm definiert. Nun ist

W 1,1(a, b) → C([a, b]) ,

d.h. W 1,1(a, b) ist stetig in C([a, b]) eingebettet, wobei

‖u‖C([a,b]) ≤max(1, b− a)

b− a‖u‖1,1 (5.3)

für u ∈W 1,1(a, b).

Beweis. Für u ∈W 1,1(a, b) setzen wir

v(x) :=ˆ b

au′(ξ)dξ .

Differentialgleichungen IIA 86

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5 Verallgemeinerte Ableitung und Regularisierung im eindimensionalen Fall

Dann ist v absolut stetig und es lässt sich zeigen, dass die fast überall existierende klas-sische Ableitung von v mit der schwachen Ableitung übereinstimmt, d.h. v′ = u′. Nun istfür φ ∈ C∞0 (a, b)

ˆ b

av(x)φ′(x)dx = −

ˆ b

av′(x)φ(x)dx = −

ˆ b

au′(x)φ(x)dx =

ˆ b

au(x)φ′(x)dx ,

woraus v = u+ const fast überall folgt. Damit ist u fast überall gleich der absolut stetigenFunktion v − const.Auf den Beweis, dass (W 1,1(a, b), ‖·‖1,1) ein Banach-Raum ist, verzichten wir.Wir zeigen nun (5.3). Es sei dazu u der absolutstetige Repräsentant der entsprechendenÄquivalenzklasse. Der Mittelwertsatz der Integralrechnung liefert die Existenz eines x0 ∈[a, b] mit

1b− a

ˆ b

au(x)dx = u(x0) .

Dies ergibt

u(x) = u(x0) +ˆ x

x0

u′(ξ)dξ = 1b− a

ˆ b

au(ξ)dξ +

ˆ x

x0

u′(ξ)dξ .

Wir erhalten also die Abschätzung

|u(x)| ≤ 1b− a

ˆ b

a|u(ξ)|dξ +

max(x0,x)ˆ

min(x0,x)

|u′(ξ)|dξ

≤ 1b− a

ˆ b

a|u(ξ)|dξ +

ˆ b

a|u′(ξ)|dξ ≤ max

(1, 1b− a

)‖u‖1,1 .

Wir nennen W 1,1(a, b) einen Sobolew-Raum. Analog zu W 1,1(a, b) können wir Wm,p(a, b)(auch Hm,p(a, b)) als den Raum aller u ∈ Lp(a, b) mit schwachen Ableitung u(k) ∈ Lp(a, b)für k = 1, . . . ,m definieren. Dabei ist also p der Lebesgue-Exponent und m die Differen-tiationsordnung. Wir setzen außerdem Hm := Wm,2.

87 Differentialgleichungen IIA

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6 Sobolew-Räume H1(a, b), H10 (a, b) und H−1(a, b)

6 Sobolew-Räume H1(a, b), H10(a, b) und H−1(a, b)

Wir führen in diesem Kapitel die Sobolew-Rume H1(a, b) = W 1,2(a, b) und H10 (a, b) =

W 1,20 (a, b) ein.

Definition 6.1. Der Raum H1(a, b) ist der Vektorraum aller Funktionen u ∈ L2(a, b), dieeine schwache Ableitung u′ ∈ L2(a, b) besitzen.

Satz 6.2. Auf dem Raum H1(a, b) wird durch

((u, v))1,2 :=ˆ b

a

(u(x)v(x) + u′(x)v′(x)

)dx

ein Skalarprodukt, also durch ‖u‖1,2 =√

((u, u))1,2 eine Norm definiert. Damit ist H1(a, b)ein Hilbert-Raum.Durch

|u|21,2 :=ˆ b

a|u′(x)|2dx

wird auf H1(a, b) eine Halbnorm |·|1,2 definiert.Der Hilbert-Raum H1(a, b) ist separabel.

Beweisidee. Um die Vollständigkeit von H1(a, b) zu zeigen, wählen wir eine Cauchy-Folgeun in H1(a, b). Dann sind insbesondere un und u′n Cauchy-Folgen in L2(a, b) undkonvergieren damit gegen Grenzfunktionen u und v, d.h. es existieren u, v ∈ L2(a, b)mit un → u und u′n → v in L2(a, b). Zu zeigen bleibt u′ = v, also

´ ba v(x)φ(x)dx =

−´ ba u(x)φ′(x)dx für alle φ ∈ C∞0 (a, b). Es ist jedoch

´ ba u′n(x)φ(x)dx = −

´ ba un(x)φ′(x)

↓ ↓´ ba v(x)φ(x)dx = −

´ ba u(x)φ′(x)dx .

Um zu zeigen, dass H1(a, b) separabel ist, bemerken wir, dass L2(a, b)×L2(a, b) separabelist und T : H1(a, b) → L2(a, b) × L2(a, b) mit Tu = (u, u′) eine Isometrie ist. Da alsoH1(a, b) isomorph zu einem separablen Raum T

(H1(a, b)

)ist, ist H1(a, b) separabel.

Eine ähnliche Aussage wie die über die Stetigkeit der Funktionen aus W 1,1(a, b) lässt sichfür die aus H1(a, b) zeigen.

Satz 6.3. Eine Funktion aus H1(a, b) ist fast überall auf [a, b] gleich einer absolut stetigenFunktion und es gilt sogar

H1(a, b) c→ C([a, b]) ,

wobei‖v‖C([a,b]) = ‖v‖0,∞ ≤

√2 max

( 1√b− a

,√b− a

)‖v‖1,2 (6.1)

für alle v ∈ H1(a, b).

Beweis. Die erste Behauptung über absolut stetige Funktionen folgt tatsächlich aus derüber W 1,1(a, b), denn H1(a, b) ist ein Unterraum von W 1,1(a, b), da L2(a, b) ⊂ L1(a, b).

Differentialgleichungen IIA 88

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6 Sobolew-Räume H1(a, b), H10 (a, b) und H−1(a, b)

Auch die Abschätzung (6.1) können wir aus der analogen Aussage überW 1,1(a, b). Für einw ∈ L2(a, b) erhalten wir nämlich mit der Hölder-Ungleichung ‖w‖L1 ≤

√b− a‖w‖L2 , für

u ∈ H1(a, b) also

‖u‖0,∞ ≤ max(

1, 1b− a

) (‖u‖L1 + ‖u′‖L1

)≤ max

(√b− a, 1√

b− a

) (√‖u‖2L2 +

√‖u′‖2L2

)≤ max

(√b− a 1√

b− a

)√2√‖u‖2L2 + ‖u′‖2L2 .

[ . . . ]

89 Differentialgleichungen IIA

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7 Variationelle Formulierung und Operatorgleichung

7 Variationelle Formulierung und Operatorgleichung

Differentialgleichungen IIA 90

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8 Lineare Variationsprobleme mit stark positiver Bilinearform

8 Lineare Variationsprobleme mit stark positiver Bilinear-form

91 Differentialgleichungen IIA

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9 Nichtlineare Variationsprobleme mit stark monotonem, Lipschitz-stetigem Operator

9 Nichtlineare Variationsprobleme mit stark monotonem,Lipschitz-stetigem Operator

Differentialgleichungen IIA 92

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10 Galerkin-Verfahren und Finite-Elemente-Methode

10 Galerkin-Verfahren und Finite-Elemente-Methode

93 Differentialgleichungen IIA

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11 Anwendungen auf stationäre Differentialgleichungen in mehreren Dimensionen

11 Anwendungen auf stationäre Differentialgleichungen inmehreren Dimensionen

Differentialgleichungen IIA 94

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12 Exkurs zur Funktionalanalysis

12 Exkurs zur Funktionalanalysis

Im Folgenden werden wir einige Begriffe der Funktionalanalysis benötigen, insbesondereden der schwachen Konvergenz. In diesem Kapitel sammeln wir alle benötigten Definitio-nen und Hilfsmittel und wiederholen auch einige bereits verwendete Begriffe. Für unsereZwecke werden wir dabei einige Notationen anpassen, Definitionen in Spezialfällen be-trachten und die aufgeführten Sätze in der Regel ohne Beweis angeben.Wir beginnen mit der Definition des Dualraums.

Definition 12.1. Sei (X, ‖·‖) ein reeller, normierter Raum (so auch im folgenden). Dannist

X∗ := f : X → R : f ist linear und beschränkt

der Dualraum von X. Mit‖f‖∗ := sup

v∈Xv 6=0

f(v)‖v‖

ist (X∗, ‖·‖∗) ein Banach-Raum.

Bemerkung. Statt f(v) schreiben wir auch 〈f, v〉.

Einer der wichtigsten Sätze der Funktionalanalysis ist der folgende Satz von Hahn-Banach,der in der Literatur in vielen Formulierungen aufzufinden ist und aus dem viele interessanteKorollare gezogen werden können.

Satz 12.2 (Hahn-Banach). Sei Y ein Unterraum des normierten Vektorraums (X, ‖·‖).Sei weiter f ∈ Y ∗. Dann gibt es ein f ∈ X∗ mit

f∣∣Y

= f und ‖f‖X∗ = ‖f‖Y ∗ .

Korollar 12.3. Es gelten die folgenden Aussagen:

(i) Für x1, x2 ∈ X, x1 6= x2 existiert stets ein f ∈ X∗ mit

f(x1) 6= f(x2) .

(ii) Zu jedem x ∈ X, x 6= 0 gibt es ein f ∈ X∗ mit

f(x) = ‖x‖ und ‖f‖∗ = 1 .

(iii) Für jedes x ∈ X gilt‖x‖ = sup

f∈X∗‖f‖∗≤1

|f(x)| .

(iv) Ist M ein Unterraum von X mit M 6= X, d.h. M liegt nicht dicht, dann existiert einf ∈ X∗, f 6= 0 mit f

∣∣M

= 0.

Beweis.

(i) Ohne Beweis.

95 Differentialgleichungen IIB

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12 Exkurs zur Funktionalanalysis

(ii) Sei für x ∈ X

Y = λx : λ ∈ R und gx : Y → R, gx(y) = λ‖x‖ für y = λx .

Dann ist gx linear und beschränkt mit

|gx(y)| = |λ|‖x‖ = ‖λx‖ = ‖y‖ ,

also ‖gx‖∗ = 1. Nach Hahn-Banach gibt es ein fx ∈ X∗ mit ‖fx‖∗ = 1 und insbeson-dere fx(x) = gx(x) = 1 · ‖x‖.

(iii) Es ist |f(x)| ≤ ‖f‖∗‖x‖, alsosup|f(x)| ≤ ‖x‖

für ‖f‖∗ = 1. Mit (ii) gilt auch

‖x‖ = |fx(x)| ≤ sup|f(x)| .

(iv) Ohne Beweis.

Wir wollen in dieser Vorlesung meist einen Banach-Raum betrachten, den wir mit demDualraum seines Dualraumes identifzieren können. Solche Räume werden reflexiv genannt;diesen Begriff wollen wir nun formal definieren.

Definition 12.4. Als Bidualraum bezeichnen wir (X∗)∗ = X∗∗. Die kanonische Abbildungbzw. Einbettung bildet jedes x ∈ X auf ein jx ∈ X∗∗ ab, wobei

jx(f) := f(x) .

Die Beschränktheit von jx ist dabei durch

|jx(f)| = |f(x)| ≤ ‖f‖∗‖x‖

gegeben.

Bemerkung. Mit der alternativen Schreibweise für Funktionale haben wir

f(x) = 〈f, x〉X∗,X = 〈jx, f〉X∗∗,X∗ .

Weiterhin ist‖jx‖∗∗ = ‖x‖

und j : X → X∗∗, x→ jx ist nach obigem Korollar injektiv und außerdem linear.

Definition 12.5. Ein Raum X heißt reflexiv, wenn j zusätzlich surjektiv ist. Wir könnendann X mit X∗∗ und x mit jx identifizieren.

Bemerkung. Ein reflexiver Raum ist isometrisch isomorph zum Banach-Raum X∗∗, mussalso selbst ein Banach-Raum sein.

Satz 12.6. Sei X ein Banach-Raum. Dann ist X genau dann reflexiv, wenn X∗ reflexivist.Ist X reflexiv, dann ist X genau dann separabel, wenn X∗ separabel ist.Ist X∗ separabel, dann ist X separabel.

Differentialgleichungen IIB 96

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12 Exkurs zur Funktionalanalysis

Im folgenden sei X stets ein Banach-Raum.Wir erinnern an dieser Stelle, dass eine Folge (xn) ⊂ X definitionsgemäß genau dann(stark) gegen ein x ∈ X konvergiert, wenn ‖xn−x‖ → 0. Nun führen wir den im folgendenüberaus wichtigen Begriff der schwachen Konvergenz ein, der eine Verallgemeinerung desstarken Konvergenzbegriffes darstellt.

Definition 12.7. Eine Folge xn ⊂ X heißt schwach konvergent gegen x ∈ X, wenn fürjedes f ∈ X∗

〈f, xn − x〉 → 0

gilt. Wir schreiben dann xn x.Eine Folge fn ⊂ X∗ heißt schwach∗ konvergent gegen f ∈ X∗, wenn für jedes x ∈ X

〈fn − f, x〉 → 0

gilt. Wir schreiben dan fn ∗− f .

Bemerkung. Wegen〈f, xn − x〉 ≤ ‖f‖∗‖xn − x‖

impliziert starke Konvergenz auch schwache Konvergenz.

Wir führen nun einige Eigenschaften schwach konvergenter Folgen auf. Insbesondere be-trachten wir schwach konvergente Teilfolge, welche im Laufe der Vorlesung eine wichtigeRolle in Beweisen spielen.

Satz 12.8. Es gelten die folgenden Aussagen:

(i) Schwach bzw. schwach∗ konvergente Folgen haben stets einen eindeutigen Grenzwert.

(ii) Schwach konvergente Folgen xn, xn x, sind beschränkt und es gilt

‖x‖ ≤ lim infn→∞

‖xn‖ .

(iii) Eine Folge xn ⊂ X konvergiert genau dann schwach gegen x in X, wenn siebeschränkt ist und es eine Menge M ⊂ X∗ gibt, so dass f(xn) → f(x) für allef ∈M , und spanM = X∗.

(iv) In einem endlichdimensionalen Banach-Raum sind starke und schwache Konvergenzäquivalent.

(v) Eine beschränkte Folge in einem reflexiven Banach-Raum besitzt stets eine schwachkonvergente Teilfolge.

(vi) Eine beschränkte Folge von Funktionalen aus dem Dualraum eines separablen nor-mierten Raumes besitzt stets eine schwach∗-konvergente Teilfolge.

(vii) Aus xn x in X und fn → f in X∗ folgt 〈fn, xn〉 → 〈f, x〉. Analog: Aus xn → x inX und fn

∗− f in X∗ folgt 〈fn, xn〉 → 〈f, x〉.

(viii) Ist xn ⊂ X eine beschränkte Folge und konvergiert jede schwach konvergenteTeilfolge (schwach) gegen dasselbe x ∈ X, dann konvergiert auch xn schwach gegenx.

Beweis. Teilweise in der Übung.

97 Differentialgleichungen IIB

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12 Exkurs zur Funktionalanalysis

Wie zu erwarten, nennen wir eine MengeM ⊂ X schwach abgeschlossen, wenn für schwachkonvergente Folgen xn ⊂ M mit xn x in X auch ihr (schwacher) Grenzwert x in Mliegt.

Satz 12.9 (Mazur). Sei M ⊂ X konvex. M ist genau dann schwach abgeschlossen, wennM abgeschlossen ist.

Beispiel 12.10. Sei X = L2(R) mit

‖v‖L2 =(ˆ

R|v(t)|2dt

)12.

Wähleun = 1√

n1(n,2n)(x) , n = 1, 2, . . .

Dann ist ‖un‖ = 1. Wir zeigen, dass un keine Cauchy-Folge ist: Wähle m gerade undn = 3

2m. Dann ist

‖um − un‖2L2 =ˆ 3

2m

m

1m

dt+ˆ 2m

32m

(1√m−√

2√3m

)2

dt+ˆ 3m

2m

23mdt

= 12 + 1

2

(1−√

2√3

)2

+ 23 6→ 0 .

Aber un 0: Sei v ∈ L2(R). Dann ist

ˆRun(t)v(t)dt =

ˆ 2n

n

1√nv(x)dt ≤ 1√

n

√n

(ˆ 2n

n|v(t)|2dt

)12→ 0 .

Also konvergiert un schwach gegen Null, konvegriert aber nicht stark.Beispiel 12.11. Sei X = Lp(0, 1), 1 < p <∞ und u sei die periodische Fortsetzung von

u(x) =a für 0 < x < θ

b für θ < x < 1 .

Wir definierenun(x) = u(nx)

für x ∈ (0, 1), n ∈ N.

‖un‖p =ˆ 1

0|un(x)|pdx =

ˆ 1

0|u(nx)|pdx

= 1n

ˆ n

0|u(z)|pdz ≤ max(a, b)p .

Wir wissen, dass (Lp(0, 1))∗ = Lq(0, 1), 1p + 1

q = 1, und dass Treppenfunktionen dicht inLq(0, 1) liegen. Wir betrachten daher charakteristische Funktionen 1(c,d).

〈1(c,d), un〉 =ˆ 1

0un(x)1(c,d)(x)dx =

ˆ d

cun(x)dx = 1

n

ˆ nd

ncu(z)dz

→ (d− c)(θa+ (1− θ)b

)=ˆ d

c

(θa+ (1− θ)b

)dx = 〈1(c,d), θa+ (1− θ)b〉 .

Differentialgleichungen IIB 98

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12 Exkurs zur Funktionalanalysis

Beispiel 12.12. Sei X = L1(0, 1) und

un(x) =

2n(1− nx) für x ∈[0, 1

n

]0 sonst .

Dann ist‖un‖L1 =

ˆ 1

0|un(x)| = 1 ,

die Folge der un ist also beschränkt. Mit f ≡ 1 ∈ L∞(0, 1) ist 〈f, un〉 = 1, es kann alsonicht un 0 gelten. Sei nun φ ∈ C∞0 (0, 1) ⊂ L∞(0, 1). Dann ist

〈φ, un〉 =ˆ 1

0φ(x)un(x)dx→ 0 ,

da ab einem genügend großen n ∈ N

suppun ∩ suppφ =[0, 1

n

]∩ suppφ = ∅ .

Damit kann un nicht schwach konvergieren.

Abschließend geben wir einen letzten großen Satz aus der Funktionalanalysis an.

Satz 12.13 (Banach-Steinhaus). Seien An ∈ L(X,Y ), wobei X ein Banach-Raum undY ein normierter Raum ist. Ist die Folge der An punktweise beschränkt, d.h. zu jedemx ∈ X gibt es ein Mx > 0, so dass ‖Anx‖ ≤ Mx, so ist die Folge An beschränkt, d.h.‖An‖ ≤M .

99 Differentialgleichungen IIB

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13 Nichtlineare Variationsprobleme mit monotonem Operator

13 Nichtlineare Variationsprobleme mit monotonem Ope-rator

Wir wenden uns nun wieder der Lösbarkeit von Differentialgleichungen in ihrer schwachenFormulierung bzw. Operatorgleichungen zu. Um diese Gleichungen untersuchen zu können,definieren wir zunächst einige Eigenschaften, die wir von den betrachteten Operatorenfordern möchten. Wir beginnen dabei mit Stetigkeitsbegriffen, die auch die weiter obeneingeführte schwache Konvergenz verwenden.

Definition 13.1. Sei V ein reeller reflexiver Banach-Raum. Ein Operator A : V → V ∗

heißt

(i) demistetig, falls aus vn → v in V folgt, dass Avn Av in V ∗.

(ii) hemistetig, falls t 7→ 〈A(u+ tv), w〉 für alle u, v, w ∈ V auf [0, 1] stetig ist.

(iii) radialstetig, falls t 7→ 〈A(u+ tv), v〉 für alle u, v ∈ V auf [0, 1] stetig ist.

(iv) verstärkt stetig, falls aus un u in V folgt, dass Aun → Au in V ∗.

(v) lokal beschränkt, falls es zu jedem u ∈ V ein ε > 0 und ein M > 0 gibt, so dass füralle v ∈ B(u, ε)

‖Av‖∗ ≤M

gilt.

Lemma 13.2. Es gelten folgende Implikationen für die Eigenschaften von Operatoren:

(i) Verstärkte Stetigkeit impliziert auf reflexiven Räumen die Kompaktheit.

(ii) Kompaktheit impliziert Stetigkeit.

(iii) Stetigkeit impliziert Demistetigkeit.

(iv) Demistetigkeit impliziert auf reflexiven Räumen Hemistetigkeit.

(v) Hemistetigkeit impliziert Radialstetigkeit.

(vi) Verstärkte Stetigkeit impliziert Stetigkeit.

(vii) Demistetigkeit impliziert lokale Beschränktheit.

(viii) Lineare kompakte Operatoren sind verstärkt stetig.

Beweis.

(i) Sei V reflexiv und A verstärkt stetig, also insbesondere stetig. Sei un ⊂ V einebeschränkte Folge. Aufgrund der Reflexivitität von V existieren eine Teilfolge un′und ein u ∈ V mit un′ u. Mit der verstärkten Stetigkeit folgt Aun′ → Au.

(ii) Klar.

(iii) Klar.

(iv) Sei A nun demistetig. Zu zeigen ist, dass t 7→ 〈A(u + tv), w〉 ∈ C[0, 1]. Für tn → tist u+ tnv → u+ tv in V . Hieraus folgt A(u+ tnv) A(u+ tv), also A(u+ tnv) ∗−A(u+ tv).

Differentialgleichungen IIB 100

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13 Nichtlineare Variationsprobleme mit monotonem Operator

(v) Klar.

(vi) Klar.

(vii) Sei A wieder demistetig. Angenommen, A wäre nicht lokal beschränkt. Dann gibt esein u ∈ V und eine Folge un ⊂ V mit ‖Aun‖∗ →∞ und un → u in V . Aber un → uimpliziert Aun Au in V ∗ und schwach konvergente Folgen sind beschränkt.

(viii) Sei A nun linear und kompakt. Es gelte un u. Zu zeigen: Aun → Au. un istbeschränkt, also gibt es eine Teilfolge un′ und ein a ∈ V ∗, so dass Aun′ → a. ZuA ∈ L(V, V ∗) existiert der duale Operator A∗ ∈ L(V ∗∗, V ∗) mit 〈Av,w〉 = 〈A∗w, v〉.Dann folgt, dass für alle w ∈ V

0← 〈A∗w, un − u〉 = 〈A(un − u), w〉 = 〈Aun −Au,w〉 .

Also Aun ∗− Au. Damit folgt a = Au. Angenommen, es gäbe eine Teilfolge Aun′von Aun, die nicht schwach konvergiert. Dann wäre diese Folge unbeschränkt, esließe sich jedoch eine schwach konvergente (Teil-)Teilfolge finden.

Die folgenden Definitionen beschreiben Monotonie-Eigenschaften von Operatoren, welchezum Teil bereits bekannt sind.

Definition 13.3. Sei (V, ‖·‖) ein reeller reflexiver Banach-Raum. Eine Abbildung A : V →V ∗ heißt

(i) monoton, falls für alle v, w ∈ V

〈Av −Aw, v − w〉 ≥ 0 .

(ii) strikt monoton, falls für alle v, w ∈ V mit v 6= w

〈Av −Aw, v − w〉 > 0 .

(iii) stark monoton, falls es ein µ > 0 gibt, so dass für alle v, w ∈ V

〈Av −Aw, v − w〉 ≥ µ‖v − w‖2 .

(iv) gleichmäßig monoton, falls es eine strikt monoton wachsende Funktion ρ : [0,∞) →[0,∞) mit ρ(0) = 0 gibt, so dass für alle v, w ∈ V

〈Av −Aw, v − w〉 ≥ ρ(‖v − w‖) .

(v) d-monoton, falls es eine strikt monoton wachsende Funktion α : [0,∞)→ [0,∞) gibt,so dass für alle v, w ∈ V

〈Av −Aw, v − w〉 ≥(α(‖v‖)− α(‖w‖)

)(‖v‖ − ‖w‖) .

(vi) koerzitiv, falls es eine Funktion γ : [0,∞) → R mit limz→∞ γ(z) = ∞ gibt, so dassfür alle v ∈ V

〈Av, v〉 ≥ γ(‖v‖)‖v‖ ,d.h.

〈Av, v〉‖v‖

→ ∞ , ‖v‖ → ∞ .

101 Differentialgleichungen IIB

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13 Nichtlineare Variationsprobleme mit monotonem Operator

Wir zeigen nun einige Zusammenhänge zwischen den eingeführten Stetigkeits- und Mono-toniebegriffen.

Lemma 13.4. Sei (V, ‖·‖) ein reller Banach-Raum und A : V → V ∗ ein Operator.

(i) Ist A gleichmäßig monoton, so ist A auch strikt monoton.

(ii) Ist A stark monoton, so ist A auch gleichmäßig monoton.

(iii) Ist A stark monoton, so ist A auch d-monoton.

(iv) Ist A stark monoton, so ist A auch koerzitiv.

(v) Ist A monoton, so ist A lokal beschränkt.

(vi) Ist A linear und monoton, so ist A stetig.

(vii) Ist A monoton und radialstetig und ist V reflexiv, so ist A demistetig.

(viii) Ist A schließlich d-monoton, so ist A monoton.

Beweis. Zu (iii): Die d-Monotonie ergibt sich durch α = id.Zu (iv): Für die Koerzitivität wähle man w = 0 und erhält

〈Av, v〉 = 〈Av −A(0), v〉+ 〈A(0), v〉 ≥ µ‖v‖2 − ‖A(0)‖∗‖v‖ ,

also〈Av, v〉‖v‖

≥ µ‖v‖ − ‖A(0)‖ .

Zu (v): Angenommen, A wäre nicht lokal beschränkt. Dann gibt es eine Folge un ⊂ Vund ein u ∈ V mit un → u, aber ‖Aun‖∗ → ∞. Sei αn := 1 + ‖Aun‖∗‖un − u‖. Dann istoffenbar 1

αn≤ 1 und für v ∈ V gilt

1αn〈Aun, v〉 ≤

1αn

(〈Aun, v〉+

⟨Aun −A(u+ v), un − (u+ v)

⟩)= 1αn

(〈Aun, un − u〉 −

⟨A(u+ v), un − (u+ v)

⟩)≤ 1αn

(‖Aun‖∗‖un − u‖+ ‖A(u+ v)‖∗‖un − (u+ v)‖

)≤ 1 + 1

αn‖A(u+ v)‖∗ ‖un − (u+ v)‖︸ ︷︷ ︸

≤const

.

Also ist 1αn〈Aun, v〉 beschränkt für jedes v. Mit dem Satz von Banach-Steinhaus sind die

1αn‖Aun‖∗ beschränkt durch ein M > 0. Damit gilt

‖Aun‖∗ ≤M(1 + ‖Aun‖∗‖un − u‖) .

Wegen un → u gilt für genügend großes n, dass ‖un−u‖ ≤ 12M . Dies ergibt ‖Aun‖∗ ≤ 2M .

Widerspruch!Zu (vi): A ist linear und lokal beschränkt. Wir betrachten un → u. Sei

vn :=

un−u‖un−u‖

12

für un 6= u

0 für un = u .

Differentialgleichungen IIB 102

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13 Nichtlineare Variationsprobleme mit monotonem Operator

Damit folgt ‖Avn‖∗ ≤M für hinreichend großes n und ein M > 0, da vn → 0. Wir habennun

‖Aun−Au‖∗ = ‖A(un−u)‖ =∥∥∥Avn‖un − u‖ 1

2

∥∥∥∗

= ‖un−u‖12 ‖Avn‖∗ ≤M‖un−u‖

12 → 0 .

Zu (vii): Es gelte un → u in V . Wegen der Reflexivität fallen schwache und schwache∗Konvergenz in V ∗ zusammen. Zu zeigen: 〈Aun −Au, v〉 → 0 für alle v ∈ V .Zunächst stellen wir fest, dass A lokal beschränkt ist. Also ist ‖Aun‖∗ ≤M für einM > 0.Da auch V ∗ reflexiv ist, gibt es eine Teifolge un′ und ein b ∈ V , so dass Aun′ b in V ∗.Es folgt, dass

〈Aun′ , un′〉 = 〈Aun′ , un′ − u〉+ 〈Aun′ , u〉 → 0 + 〈b, u〉 .

Für beliebiges v ∈ V gilt

〈Aun′ , un′〉 ≥ 〈Aun′ , un′〉 − 〈Aun′ −Av, un′ − v〉= 〈Aun′ , v〉+ 〈Av, un′ − v〉 → 〈b, v〉+ 〈Av, u− v〉 .

Nun folgt also〈b, u〉 ≥ 〈b, v〉+ 〈Av, u− v〉 ,

d.h.〈b, u− v〉 ≥ 〈Av, u− v〉 .

Sei nun v = u− tw für t ∈ (0, 1] und w ∈ V . Dann folgt

t〈b, w〉 ≥ t〈A(u− tw), w〉 .

Im Grenzwert erhalten wir aus dieser Ungleichung 〈b, w〉 ≥ 〈Au,w〉. Wählen wir v = u+tw,so erhalten wir auch die umgkehrte Ungleichung, also

〈Au,w〉 = 〈b, w〉

und damit Au = b.Auch die gesamte Folge der Aun konvergiert, denn würde sie dies nicht tun, so gäbe es einedivergente Teilfolge. Aus dieser können wir nach obiger Argumentation eine gegen Au = bkonvergente Teilfolge auswählen.Zu (viii): Dies ist die Monotonie von α.

Beispiel 13.5. Wir betrachten für V = R die Funktion

g : R→ R , g(z) =|z|p−2z für z 6= 00 für z = 0 .

Dann ist g

(i) monoton für p ≥ 1,

(ii) strikt monoton für p > 1,

(iii) stark monoton für p = 2.

(iv) Für p ≥ 2 gilt für alle z, y ∈ R und ein µ > 0

(g(z)− g(y))(z − y) ≥ µ|z − y|p .

103 Differentialgleichungen IIB

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13 Nichtlineare Variationsprobleme mit monotonem Operator

(v) Für p > 1 ist g koerzitiv mit g(z)z = |z|p, also g(z)z|z| = |z|p−1 →∞, z →∞.

(vi) Die Funktion g ist stetig.

(vii) Die Funktion g ist beschränkt (d.h. bildet beschränkte Mengen auf beschränkte Men-gen ab).

(viii) Für p ≥ 2 gilt|g(z)− g(y)| ≤ (p− 1) max(|y|, |z|)p−2|z − y| .

D.h. g ist Lipschitz-stetig auf jeder beschränkten Menge, also beschränkt Lipschitz-stetig.

Nach Lindquist gilt(|b|p−2b− |a|p−2a

)· (b− a) = |b|

p−2 + |a|p−2

2 |b− a|2 +(|b|p−2 − |a|p−2) (|b|2 − |a|2)

2 ,

denn die linke Seite entspricht

|b|p − |b|p−2a · b− |a|p−2a · b+ |a|p ,

die rechte Seite12 |b|

p−|b|p−2a · b+ 12 |b|

p−2|a|2 + 12 |a|

p−2|b|2 − |a|p−2a · b+12 |a|

p + 12 |b|

p − 12 |b|

p−2|a|2 − 12 |a|

p−2|b|2 + 12 |a|

p .

Durch Kürzen kann die Gleichheit gezeigt werden.Abschließend bemerken wir, dass wir g auch als Funktion Rd → Rd definieren können.

Die bisher gezeigten Zusammenhänge zwischen den Eigenschaften von Operatoren A : V →V ∗ veranschaulichen wir nun in zwei Diagrammen. Das erste enthält zum Großteil dieStetigkeitsbegriffe aus Definition 13.1. Auch der in Definition 14.1 eingeführte Begriff derPseudomonotonie ist enthalten.

linear undkompakt

+3 verstärktstetig

V refl. +3

s

kompakt

spseudomonoton stetig

Lipschitz-stetigks +3 beschränkt

v~

monoton undradialstetig

(V refl.)

'/

KS

linearund monoton

KS

stetig

!)

demistetig

V refl.

+3 lokalbeschränkt

radialstetig hemistetigkspseudomonoton

und lokalbeschränkt

dl

Differentialgleichungen IIB 104

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13 Nichtlineare Variationsprobleme mit monotonem Operator

Das zweite Diagramm verbindet vorwiegend die Monotoniebegriffe aus Definition 13.3.

d-monoton

"*

stark monotonks +3

%-

koerzitiv

strikt monoton

gleichmäßigmonoton

ks

monoton +3 lokalbeschränkt

Wir formulieren nun einen ersten Satz über die Lösbarkeit von Operatorgleichungen.

Satz 13.6 (Hauptsatz von Browder-Minty über monotone Operatoren, 1963). Sei V einreeller reflexiver separabler Banach-Raum.

(i) Sei A : V → V ∗ monoton, radialstetig und koerzitiv. Dann gibt es zu jedem f ∈ V ∗ein u ∈ V , so dass

Au = f .

(ii) Die Lösungsmenge ist konvex, abgeschlossen und schwach abgeschlossen.

(iii) Ist A sogar strikt monoton, so ist die Lösung u eindeutig bestimmt. Der dann exis-tierende inverse Operator A−1 : V ∗ → V ist ebenfalls strikt monoton und außerdembeschränkt und demistetig.

(iv) Ist A sogar stark monoton, so ist A−1 Lipschitz-stetig. Ist auch A Lipschitz-stetig,dann ist A−1 stark monoton.

Bemerkung. Auf die Separabilität kann hier verzichtet werden. Wir fordern sie jedoch, umden Beweis nicht unnötig in die Länge zu ziehen.

Beweis. Zu (ii): Seien u, u zwei Lösungen von Au = f . Sei θ ∈ [0, 1] und uθ = θu+(1−θ)u.Für beliebiges v ∈ V gilt

〈f −Av, uθ − v〉 = θ〈f −Av, u− v〉+ (1− θ)〈f −Av, u− v〉= θ〈Au−Av, u− v〉+ (1− θ)〈Au−Av, u− v〉 ≥ 0 .

Für v = uθ ± λw, λ ∈ (0, 1], w ∈ V folgt

〈f −A(uθ ± λw),∓λw〉 ≥ 0

und damit∓〈f −A(uθ ± λw), w〉 ≥ 0 .

Dies impliziert mit λ→ 0, dass 〈f −Auθ, w〉 = 0 für alle w ∈ V , also Auθ = f .Seien nun un, n ∈ N, Lösungen der Gleichung, d.h. Aun = f , und es gelte un u für einu ∈ V . Für beliebiges v ∈ V gilt

〈f −Av, u− v〉 = limn→∞

〈f −Av, un − v〉 = limn→∞

〈Aun −Av, un − v〉 ≥ 0 .

105 Differentialgleichungen IIB

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13 Nichtlineare Variationsprobleme mit monotonem Operator

Mit der Radialstetigkeit folgt wieder, dass Au = f , d.h. die Lösungsmenge ist schwachabgeschlossen und wegen ihrer Konvexität auch abgeschlossen.Zu (iii): Angenommen, u 6= u sind zwei Lösungen der Gleichung. Dann wäre widersprüch-licherweise

0 < 〈Au−Au, u− u〉 = 〈f − f, u− u〉 = 0 .Damit existiert A−1 : V ∗ → V = V ∗∗. Dieser Operator A−1 ist strikt monoton, denn fürf, g ∈ V gilt

〈A−1g −A−1f, g − f〉 = 〈u− u, Au−Au〉 > 0 ,wobei u := A−1g und u = A−1f , wenn f 6= g. Wir zeigen nun, dass A−1 auch beschränktist. Dazu sei F ⊂ V ∗ eine beschränkte Menge, d.h. es gebe ein M > 0, so dass ‖f‖∗ ≤Mfür alle f ∈ F . Wegen der Koerzitivität gilt dann für alle f ∈ F

γ(‖u‖)‖u‖ ≤ 〈Au, u〉 = 〈f, u〉 ≤ ‖f‖∗‖u‖ ≤M‖u‖

für eine entsprechende Abbildung γ. Die Menge der Lösungen A−1f ist unter γ beschränkt,d.h. γ(‖A−1f‖) ≤ M . Wäre A−1F nicht beschränkt, so gäbe es eine Folge fn ⊂ F mit‖A−1fn‖ → ∞. Dann wäre jedoch γ(‖A−1fn‖) → ∞. A−1 ist außerdem demi-stetig:Es gelte Aun = fn → f in V ∗. Da A−1 monoton ist, ist A−1 lokal beschränkt, d.h.A−1fn = un ist beschränkt im reflexiven Raum V . Daraus folgt die Existenz vonu ∈ V und einer Teilfolge un′ mit un′ u in V . Dies impliziert für beliebiges v ∈ V

〈f −Av, u− v〉 = limn′→∞

〈f −Av, un′ − v〉 = limn′→∞

〈Aun′ −Av, un′ − v〉 ≥ 0 .

Wie oben folgt Au = f . Also ist un′ = A−1fn′ u = A−1f . Der übliche Widerspruchsbe-weis liefert die schwache Konvergenz der Gesamtfolge.

Beispiel 13.7. Betrachte−(|u′(x)|p−2u′(x)

)′ = f(x) für x ∈ (a, b), 1 < p <∞u(a) = u(b) = 0 .

(13.1)

Die schwache Formulierung lautet: Zu f ∈ V ∗ finde u ∈ V , so dass

a(u, v) :=ˆ b

a|u′(x)|p−2u′(x)v′(x)dx = 〈f, v〉

für alle v ∈ V . Wir wählen hierzu V = W 1,p0 (a, b). Zu zeigen ist, dass v 7→ a(u, v) für jedes

u ∈ V linear und beschränkt ist. Dazu ist

|a(u, v)| ≤(ˆ b

a

(|u′(x)|p−1

)qdx) 1q(ˆ b

a|v′(x)|pdx

) 1p

= |u|p−11,p |v|1,p .

für 1p + 1

q = 1. Dann ist A : W 1,p0 (a, b) → W−1,q(a, b), 〈Au, v〉 = a(u, v) wohldefiniert und

es gilt |〈Au, v〉| ≤ |u|p−11,p |v|1,p, also ‖Au‖−1,q ≤ |u|p−1

1,p . Außerdem ist A monoton, denn

〈Au−Av, u− v〉 =ˆ b

a

(|u′(x)|p−2u′(x)− |v′(x)|p−2v′(x)

)(u′(x)− v′(x))dx ≥ 0

nach Beispiel 13.5. Für die Koerzitivität von A betrachten wir

〈Av, v〉 =ˆ b

a|v′|pdx = |v|p1,p .

Differentialgleichungen IIB 106

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13 Nichtlineare Variationsprobleme mit monotonem Operator

Nach Poincaré-Friedrichs ist |·|1,p bereits eine Norm auf W 1,p0 (a, b). Da p > 1, folgt nun

die Koerzitivität. Um die Radialstetigkeit von A zu zeigen, haben wir nach Lebesgue

〈A(u+ θnv), v〉 =ˆ b

a|u′(x) + θnv

′(x)|p−2 (u′(x) + θnv′(x)

)v′(x)dx

→ˆ b

a|u′(x) + θv′(x)|p−2(u′(x) + θv′(x))v′(x)dx

für θn → θ, θn ∈ [0, 1].Für p ≥ 2 gilt sogar

‖Au−Av‖∗ ≤ const max(‖u‖, ‖v‖)p−2‖u− v‖ ,

d.h. A ist beschränkt Lipschitz-stetig.

Satz. Das Problem (13.1) besitzt zu jedem f ∈ W−1,q(a, b) eine eindeutige Lösung u ∈W 1,p

0 (a, b).

Beweis. Folgt direkt mit dem Satz von Browder-Minty.

Wir berücksichtigen nun auch eine mögliche Störung auf der linken Seite. Die Monotonieund Radialstetigkeit von A und die Koerzitivität der gesamten linken Seite behalten wirbei, wir schreiben links jedoch den Störterm B, von dem wir verstärkte Stetigkeit fordern.

Satz 13.8. Sei V ein reeller reflexiver separabler Banach-Raum und sei A : V → V ∗

monoton, radialstetig, B : V → V ∗ verstärkt stetig. Ist A+B koerzitiv, so gibt es zu jedemf ∈ V ∗ ein u ∈ V mit

Au+Bu = f .

Weiterhin ist die Lösungsmenge schwach abgeschlossen.

Bemerkung. Dies ist ein Spezialfall des Satzes von Brézis (wegen der Pseudomonotonievon A+B).

Um den Existenzbeweis führen zu können, benötigen wir noch folgendes Lemma.

Lemma 13.9. Sei h : Rm ⊃ B(0, R)→ Rm stetig und es gelte

h(z) · z ≥ 0 für alle z ∈ ∂B(0, R) .

Dann besitzt h mindestens eine Nullstelle.

Bemerkung. Mit h(z)·z ist das euklidische Skalarprodukt gemeint, während zur Definitionvon B(0, R) beliebige Normen verwendet werden können.

Beweis. Angenommen, h besäße keine Nulstellen. Dann betrachten wir

g(z) := −R h(z)‖h(z)‖ , z ∈ B(0, R) .

Diese Funktion g bildet B(0, R) auf sich selbst ab (genauer: auf den Rand der Kugel, denn‖g(z)‖ = R) und ist stetig. Mit dem Brouwerschen Fixpunkt erhalten wir einen Fixpunktz∗ von g, d.h. g(z∗) = z∗ und ‖z∗‖ = ‖g(z∗)‖ = R 6= 0. Dann gilt jedoch

0 < z∗ · z∗ = −Rh(z∗) · z∗‖h(z∗)‖ ≤ 0 .

107 Differentialgleichungen IIB

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13 Nichtlineare Variationsprobleme mit monotonem Operator

Beweis zu Satz 13.8. Existenz: V ist separabel, es existiert also eine Galerkin-Basis φjmit davon aufgespannten Räumen Vm := spanφ1, . . . , φm, wobei

⋃n∈N Vn dicht in V ist.

Wir betrachten diskrete Ersatzprobleme: Sei m ∈ N. Zu f ∈ V ∗ finde u(m) ∈ Vm, so dassfür alle v(m) ∈ Vm

〈(A+B)u(m), v(m)〉 = 〈f, v(m)〉 .

Es genügt, mit φ1, . . . , φm zu testen, so dass dieses Problem äquivalent zu

h(u(m)) = 0,

wobei wir die Zuordnung

v(m) ∈ Vm! v(m) = [v(m)1 , . . . , v(m)

m ] ∈ Rm

v(m) =m∑j=1

v(m)j φj

betrachten und

h : Rm → Rm , h(u(m))j = 〈(A+B)u(m) − f, φj〉 .

Nach Lemma 13.9 hat h mindestens eine Nullstelle, denn

(i) h ist stetig und

(ii) es gilt

h(v(m)) · v(m) =m∑j=1

h(v(m))jv(m)j = 〈(A+B)v(m) − f, v(m)〉

≥ γ(‖v(m)‖)‖v(m)‖ − ‖f‖∗‖v(m)‖

mit γ(z) → ∞, z → ∞. Gilt nun ‖v(m)‖ = R für hinreichend großes R, dann folgtγ(‖v(m)‖) ≥ ‖f‖∗. Auf Vm haben wir die von V induzierte Norm ‖·‖, auf Rm könnenwir

‖v(m)‖Rm := ‖v(m)‖

definieren. Wir betrachten eine Folge v(m)ν ⊆ Rm mit v(m)

ν → v(m). Wir haben nun

‖h(v(m)ν )− h(v(m))‖Rm =

∥∥∥∥(〈(A+B)v(m)ν − f, φj〉 − 〈(A+B)v(m) − f, φj〉

)mj=1

∥∥∥∥Rm

=∥∥∥∥(〈(A+B)v(m)

ν − (A+B)v(m), φj〉)mj=1

∥∥∥∥Rm

=

∥∥∥∥∥∥m∑j=1〈(A+B)v(m)

ν − (A+B)v(m), φj〉φj

∥∥∥∥∥∥≤

m∑j=1

∣∣∣〈(A+B)v(m)ν − (A+B)v(m), φj〉

∣∣∣ ‖φj‖ → 0 , ν →∞ ,

da B verstärkt stetig und A demistetig ist.

Es gibt also ein u(m) ∈ Vm, so dass für alle v(m) ∈ Vm

〈(A+B)u(m), v(m)〉 = 〈f, v(m)〉 .

Differentialgleichungen IIB 108

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13 Nichtlineare Variationsprobleme mit monotonem Operator

Die Folge u(m) ⊂ V ist beschränkt, d.h. ‖u(m)‖ ≤ R für ein R > 0, denn sonst wäre fürein γ aus der Definition von Koerzitivität

γ(‖u(m)‖)‖u(m)‖ ≤ 〈(A+B)u(m), u(m)〉 = 〈f, u(m)〉 ≤ ‖f‖∗‖u(m)‖ .

Dies bedeutet aber den Widerspruch γ(‖u(m)‖) ≤ ‖f‖∗.Da V reflexiv ist, existiert eine Teilfolge u(m′) und es gibt ein u, so dass u(m′) u in V .Auch (A+B)u(m) ⊂ V ∗ ist beschränkt, denn B : V → V ∗ ist beschränkt und A ist lokalbeschränkt: Es gibt also ein ε > 0 und ein M > 0, so dass für alle w ∈ V mit ‖w‖ ≤ ε

auch ‖Aw‖ ≤M gilt. Wir wissen, dass ‖u(m)‖ ≤ R und∣∣∣〈(A+B)u(m), u(m)〉∣∣∣ = |〈f, u(m)〉| ≤ ‖f‖∗R .

Damit gilt

‖(A+B)u(m)‖∗ = sup‖w‖≤ε

〈(A+B)u(m), w〉ε

≤ sup‖w‖≤ε

(〈(A+B)u(m), w〉+ 〈Au(m) −Aw, u(m) − w〉

)= sup‖w‖≤ε

(〈Au(m), u(m)〉 − 〈Aw, u(m) − w〉+ 〈Bu(m), w〉

)≤ sup‖w‖≤ε

(‖f‖∗R+ ‖Aw‖∗‖u(m) − w‖+ ‖Bu(m)‖‖w − u(m)‖

)≤ sup‖w‖≤ε

(‖f‖∗R+M(R+ ε) + const(R+ ε)

).

Dies zeigt die Beschränktheit von (A+B)u(m) in V ∗, also auch die von (A+B)u(m′).Damit existiert eine Teifolge u(m′′) mit (A+B)u(m′′) f in V ∗ für ein f ∈ V ∗.Es ist f = f , denn

〈(A+B)u(m′′), v(n)〉 = 〈f, v(n)〉

für alle v(n) ∈ Vn ⊂ Vm′′ , n ≤ m′′. Mit festem n und m′′ →∞ ergibt sich

〈f , v(n)〉 = 〈f, v(n)〉

für alle v(n) ∈ Vn, n ∈ N, insbesondere für alle v in der dichten Menge ⋃n∈N Vn. Damiterhalten wir f = f .Mit u(m′′) u in V und (A+B)u(m′′) f in V ∗ bleibt zu zeigen, dass (A+B)u = f . Bist verstärkt stetig, also Bu(m′′) → Bu in V ∗. Wir haben für alle w ∈ V wegen Monotonievon A

〈f −Bu(m), u(m)〉 = 〈Au(m), u(m)〉 ≥ −〈Au(m) −Aw, u(m) − w〉+ 〈Au(m), u(m)〉= 〈Au(m), w〉+ 〈Aw, u(m) − w〉 .

Betrachten wir m = m′′ →∞, erhalten wir

〈f −Bu, u〉 ≥ 〈f −Bu,w〉+ 〈Aw, u− w〉

und damit〈f −Bu, u− w〉 ≥ 〈Aw, u− w〉 .

109 Differentialgleichungen IIB

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13 Nichtlineare Variationsprobleme mit monotonem Operator

Mit dem bekannten Ansatz w = u± sv, v ∈ V , s ∈ (0, 1], erhalten wir wegen der Radials-tetigkeit von A

f −Bu = Au .

Schwache Abgeschlossenheit: Seien un ∈ V Lösungen zu rechter Seite f ∈ V ∗, d.h. Aun +Bun = f mit un u in V . Dann gilt Bun → Bu in V ∗ und für alle v ∈ V ist

〈f −Av, u− v〉 = limn→∞

〈f −Av, un − v〉 = limn→∞

〈Aun +Bun −Av, un − v〉

= limn→∞

(〈Aun −Av, un − v〉+ 〈Bun, un − v〉

)≥ 〈Bu, u− v〉 .

Hieraus folgt〈f −Bu−Av, u− v〉 ≥ 0 .

Wie oben folgt nun mit Radialstetigkeit Au = f −Bu.

Beispiel 13.10 (zu Satz 13.8). Wir betrachten das Randwertproblem−εu′′(x) + u(x)u′(x) = f(x) x ∈ (a, b)u(a) = u(b) = 0

(13.2)

mit ε > 0. Man beachte uu′ = 12(u2)′.

(i) Für jedes f ∈ H−1(a, b) existiert mindestens eine schwache Lösung u ∈ H10 (a, b).

(ii) Für kleine Daten, d.h. a, b, f und ε so, dass

(b− a)32 ‖f‖ < ε2π ,

ist die Lösung eindeutig.

Zur Existenz: Sei V = H10 (a, b). Wir erhalten die schwache Formulierungˆ b

aεu′v′dx︸ ︷︷ ︸

=:〈Au,v〉

+ˆ b

auu′vdx︸ ︷︷ ︸

=:〈Bu,v〉

= 〈f, v〉 ,

v ∈ V , und schreiben diese als Operatorgleichung

Au+Bu = f .

Bekannt ist, dass A nach V ∗ abbildet und linear, beschränkt und stark positiv ist. Ins-besondere ist A damit monoton und radialstetig. Zu zeigen bleiben Wohldefiniertheit undverstärkte Stetigkeit von B und Koerzitivität von A+B. Zunächst beobachten wir

ˆ b

auu′vdx = u2

2 v∣∣∣∣∣b

a︸ ︷︷ ︸=0

−ˆ b

a

u2

2 v′dx ,

also ist |〈Bu, v〉| ≤ 12´ ba |u|

2|v′|dx. Mit Hölder haben wir

|〈Bu, v〉| ≤ 12

(ˆ b

a|u|4

) 12(ˆ b

a|v′|2

) 12

= 12‖u‖

20,4|v|1,2 .

Differentialgleichungen IIB 110

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13 Nichtlineare Variationsprobleme mit monotonem Operator

Da H10 (a, b) → C[a, b], existiert ‖u‖0,4 <∞. Es gilt nun

|〈Bu, v〉| ≤ 12√b− a‖u‖2C[a,b]|v|1,2 ≤

12√b− a(b− a)|u|21,2|v|1,2 .

Dies zeigt, dass B nach V ∗ abbildet, denn für u ∈ V gilt

‖Bu‖−1,2 ≤(b− a) 3

2

2 |u|21,2 .

Damit ist B auch beschränkt. Da sogar H10 (a, b) c

→ C[a, b], folgt die verstärkte Stetigkeitvon B. Denn für un u in H1

0 (a, b) existiert eine Teilfolge un′, so dass un′ → u inC[a, b], woraus auch un → u mit dem üblichen Teilfolgenprinzip folgt. Mit

|〈Bun −Bu, v〉| ≤12

ˆ b

a|u2n − u2||v′|dx = 1

2

ˆ b

a|un − u||un + u||v′|dx

≤ 12‖un − u‖C[a,b]

ˆ b

a|un + u||v′|dx

≤ 12‖un − u‖C[a,b] (‖un‖0,2 + ‖u‖0,2) |v|1,2

folgt‖Bun −Bu‖ ≤

12‖un − u‖C[a,b](‖un‖0,2 + ‖u‖0,2)→ 0 .

Dies zeigt wegen Bun → Bu, dass B verstärkt stetig ist. Schließlich ist A + B koerzitiv,denn

〈Bu, u〉 = −12

ˆ b

au2u′dx = −1

6

ˆ b

a(u3)′dx = u3(a)− u3(b)

6 = 0

und damit〈Au+Bu, u〉 = 〈Au, u〉 ≥ ε|u|21,2 .

Somit existiert zu jedem f ∈ H−1(a, b) eine schwache Lösung u ∈ H10 (a, b).

Zur Einzigkeit: Seien u1 und u2 Lösungen von (13.2). Dann gilt

ε|u1 − u2|21,2 ≤ 〈A(u1 − u2), u1 − u2〉 = 〈Au1, u1 − u2〉 − 〈Au2, u1 − u2〉

= −〈Bu1, u1 − u2〉+ 〈Bu2, u1 − u2〉 = 12

ˆ b

a(u2

1 − u22)(u1 − u2)′dx

= 12

ˆ b

a(u1 − u2)(u1 + u2)(u1 − u2)′dx

≤ 12(‖u1‖C[a,b] + ‖u2‖C[a,b]

)‖u1 − u2‖0,2|u1 − u2|1,2

≤ 12√b− a(|u1|1,2 + |u2|1,2)b− a

π|u1 − u2|21,2 .

Weiterhin giltε|u|21,2 ≤ 〈Au+Bu, u〉 = 〈f, u〉 ≤ ‖f‖−1,2|u|1,2 ,

d.h. ε|u|1,2 ≤ ‖f‖−1,2. Damit erhalten wir

ε|u1 − u2|21,2 ≤(b− a) 3

2

2π2ε‖f‖−1,2|u1 − u2|21,2 .

Also gilt

|u1 − u2|21,2

(ε− (b− a) 3

2

επ‖f‖−1,2

)≤ 0 .

111 Differentialgleichungen IIB

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13 Nichtlineare Variationsprobleme mit monotonem Operator

Beispiel 13.11. Wir betrachten das Randwertproblem−u′′(x) + g(u(x)) = f(x) x ∈ (a, b)u(a) = u(b) = 0 ,

(13.3)

wobei g : R → R stetig ist, infs∈R g(s)s > −∞ und Konstanten c, r > 0 existieren, sodass für alle s ∈ R die Abschätzung |g(s)| ≤ c(1 + |s|r) gilt. Dann gibt es für jedesf ∈ H−1,2(a, b) eine schwache Lösung u ∈ H1

0 (a, b) =: V . Wir setzen hierzu A,B : V → V ∗

〈Au, v〉 =ˆ b

au′v′dx 〈Bu, v〉 =

ˆ b

ag(u)vdx .

Dann ist A wie oben monoton und radialstetig. Wegen

|〈Bu, v〉| ≤(ˆ b

a|g(u)|2dx

) 12

‖v‖0,2

≤ c(ˆ b

a(1 + |u|r)2dx

) 12 b− a

π|v|1,2

≤ c(b− a) 32

π(1 + ‖u‖rC[a,b])|v|1,2 <∞

ist B : V → V ∗ wohldefiniert. Mit

〈Bu, u〉 =ˆ b

ag(u)udx ≥ (b− a) inf

s∈Rg(s)s > −∞

folgt die Koerzivität von A + B aus der von A. Es bleibt die verstärkte Stetigkeit von Bzu zeigen. Sei dazu un u in H1

0 (a, b). Wie oben folgt un → u in C[a, b], also ist g ustetig. Damit gilt maxx∈[a,b]|g(un(x))− g(u(x))| → 0. Nun gilt für alle v ∈ V

〈Bun −Bu, v〉 =ˆ b

a(g(un)− g(u))vdx ≤ max

x∈[a,b]|g(un(x))− g(u(x))|

ˆ b

avdx

≤ maxx∈[a,b]

|g(un(x))− g(u(x))|√b− a‖v‖0,2

≤ maxx∈[a,b]

|g(un(x))− g(u(x))|(b− a) 32

π|v|1,2 .

Damit folgt

‖Bun −Bu‖−1,2 ≤(b− a) 3

2

πmaxx∈[a,b]

|g(un(x))− g(u(x))| → 0 ,

d.h. B ist verstärkt stetig. Schließlich besitzt (13.3) für jede rechte Seite f ∈ H−1(a, b)mindestens eine Lösung.Beispiel 13.12. Wir betrachten die Differentialgleichung

−∇ · a(x,∇uε(x)) = fε(x) für x ∈ Ω ⊆ Rd

uε(x) = 0 auf ∂Ω .

Hierbei genüge a : Ω × Rd → Rd einer Carathéodory-Bedingung und es gebe µ, λ > 0,p > 1, so dass a(x, z)z ≥ µ‖z‖p − λ für alle x ∈ Ω. Weiterhin gelte(

a(x, y)− a(x, z))(y − z) > 0

Differentialgleichungen IIB 112

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13 Nichtlineare Variationsprobleme mit monotonem Operator

für alle y 6= z und|a(x, z)| ≤ c(1 + |z|p−1) ,

c > 0. Der Satz von Browder-Minty liefert uns ein eindeutiges uε ∈W 1,p0 (Ω), so dass

ˆΩa(x,∇uε(x))∇v(x)dx = 〈f ε, v〉 .

Satz. Haben wir fε → f in (W 1,p0 (Ω))∗, so folgt uε → u in W 1,p

0 (Ω), wobei u die Gleichung−∇a(x, u(x)) = f(x) auf Ω und u(x) = 0 auf ∂Ω erfüllt – insbesondere ist also ∇uε → ∇uin Lp(Ω).

Beweis. Wir verwenden die W 1,p0 -(Halb-)Norm

‖v‖ =(ˆ

Ω|∇v|pdx

) 1p

.

Wir machen nun die Abschätzung

µ

ˆΩ|∇uε|pdx− λ|Ω| ≤

ˆΩa(x,∇uε)∇uεdx = 〈fε, uε〉 ≤ ‖fε‖∗‖uε‖ .

Damit ist uε beschränkt, da fε beschränkt ist. Es gilt nunˆ

Ω|a(x, uε(x))|

pp−1 dx ≤ c

ˆΩ

(1 + |∇uε|p−1

) pp−1 dx ≤ c

ˆΩ

(1 + |∇uε|p)dx ≤ const .

Daher existieren eine Teilfolge ε′, ein u ∈ W 1,p0 (Ω), σ ∈ L

pp−1 (Ω)d, so dass uε′ u in

W 1,p0 (Ω) und σε := a(·,∇uε) σ. Für alle v ∈W 1,p

0 (Ω) giltˆ

Ωa(x,∇uε)∇vdx = 〈fε, v〉 → 〈f, v〉 ,

also´σ∇v = 〈f, v〉. Weiterhin haben wir

ˆΩa(x,∇uε)∇uεdx =

ˆΩ

(a(x,∇uε)− a(x,∇w)

)(∇uε −∇w)dx+

ˆΩa(x,∇uε)∇wdx

Ωa(x,∇w)(∇uε −∇w)dx

und ˆΩq(x,∇uε)∇uεdx = 〈fε, uε〉 → 〈f, u〉 =

ˆΩσ∇udx

≥ˆ

Ωσ∇wdx+

ˆΩa(x,∇w)(∇u−∇w)

für alle w ∈W 1,p0 (Ω). Mit dem Trick von Minty (w = u± tv) erhalten wir

ˆΩσ∇udx ≥

ˆΩσ∇udx+ t

ˆΩσ∇vdx− t

ˆΩa(x,∇(u+ tv))∇vdx

und damit ˆΩa(x,∇u+ t∇v)∇vdx ≥

ˆΩσ∇vdx

113 Differentialgleichungen IIB

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13 Nichtlineare Variationsprobleme mit monotonem Operator

und für t→ 0 ˆΩa(x,∇u)∇vdx ≥

ˆΩσ∇vdx .

Mit w = u − tv statt w = u + tv erhalten wir auch die umgekehrte Ungleichung. Es istalso σ = a(·,∇u).Also gibt es eine Teilfolge ε′ und u ∈ W 1,p

0 (Ω), so dass uε′ u in W 1,p0 (Ω), σε′ =

a(·,∇uε′) σ = a(·,∇u) in Lpp−1 (Ω)d. Die schwache Konvergenz von uε′ bedeutet uε′ → u

in Lq(Ω) für alle 1p −

1d <

1q , d.h. q <

pdd−p , insbesondere q = p.

Zu zeigen ist ∇uε′ → ∇u in Lp(Ω)d. Hierzu verwenden wir den Satz von Vitali, der indiesem Fall folgendermaßen lautet:

Satz (Vitali). Gilt fast überall ∇uε′(x) → ∇u(x) und gibt es für alle η > 0 ein δ > 0, sodass für alle A ⊆ Ω mit |A| < δ ˆ

A|∇uε′ |pdx < η ,

so folgt ∇uε′ → ∇u in Lp(Ω)d.

Es gilt nun

µ

ˆA|∇uε′ |pdx− λ|A| ≤

ˆAa(x,∇uε′)∇uε′dx

=ˆA

(a(x,∇uε′)− a(x,∇u)

)(∇uε′ −∇u)︸ ︷︷ ︸

=:eε′ (x)

dx

+ˆAa(x,∇uε′)∇udx+

ˆAa(x,∇u)(∇uε′ −∇u)dx .

Dabei haben wirˆAa(x,∇uε′)∇udx ≤

ˆAc(1 + |∇uε′ |p−1)∇udx

≤ cˆA∇udx+ c

(ˆA|∇uε′ |pdx

) p−1p

︸ ︷︷ ︸≤const

(ˆA|∇u|pdx

) 1p

.

Analog verfahren wir mit´A a(x,∇u)(∇uε′ −∇u)dx. Außerdem gilt

0 ≤ˆ

Ω

(a(x,∇uε′)− a(x,∇u)

)(∇uε′ −∇u)dx

= 〈fε′ , uε′〉 −ˆ

Ωa(x,∇uε′)∇udx−

ˆΩa(x,∇u)(∇uε′ −∇u)dx

→ 〈f, u〉 −ˆ

Ωa(x,∇u)∇udx = 0 .

Dies ergibt wegen der Nichtnegativität des Integranden(a(x,∇uε′)− a(x,∇u)

)(∇uε′ −∇u)→ 0

fast überall. Damit folgt ∇uε′(x) → ∇u(x) fast überall (wegen der strikten Monotonieund daher Injektivität). Wir wissen bisher

´Ω eε′dx→ 0 und 0 ≤ eε′ → 0. Der umgekehrte

Satz von Lebesgue liefert eine Teilfolge ε′′ und eine Majorante g ∈ L1(Ω), d.h. eε′′ ≤ g(x)fast überall.

Differentialgleichungen IIB 114

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14 Pseudomonotone Operatoren

14 Pseudomonotone Operatoren

Wir verallgemeinern in diesem Kapitel den Satz von Browder-Minty bzw. Satz 13.8 durchden bereits erwähnten Satz von Brézis.

Definition 14.1. Ein Operator A : V → V ∗ heißt pseudomonoton, falls aus un u inV und lim sup〈Aun, un − u〉 ≤ 0 folgt, dass 〈Au, u − w〉 ≤ lim inf〈Aun, un − w〉 für allew ∈ V .

Satz 14.2 (Hauptsatz über pseudomonote Operatoren, Brézis (1968)). Sei V ein reeller,reflexiver, seperabler Banach-Raum und A : V → V ∗ pseudomonoton, koerzitiv und lokalbeschränkt. Dann ist A surjektiv.

Bemerkung. Pseudomonotone Operatoren besitzen die Eigenschaft (M), d.h. aus un u,Aun b und lim sup〈Aun, un〉 ≤ 〈b, u〉 folgt Au = b.

Vor dem Beweis zeigen wir einige Zusammenhänge zwischen Pseudomonotonie und ande-ren bereits eingeführten Eigenschaften von Operatoren.

Lemma 14.3. Seien A,B : V → V ∗ zwei Operatoren.

(i) Ist A monoton und radialstetig, so ist A auch pseudomonoton.

(ii) Ist A verstärkt stetig, so ist A auch pseudomonoton.

(iii) Sind A und B pseudomonoton, so ist auch A+B pseudomonoton.

(iv) Ist A pseudomonoton und lokal beschränkt, so ist A auch demistetig.

Beweis.

(i) Angenommen, un u, lim sup〈Aun, un − u〉 ≤ 0. Aufgrund der Monotonie von Agilt

〈Aun, un − u〉 = 〈Aun −Au, un − u〉+ 〈Au, un − u〉 ≥ 〈Au, un − u〉 → 0 , n→∞ .

Hiermit erhalten wir

0 ≤ lim inf〈Aun, un − u〉 ≤ lim sup〈Aun, un − u〉 ≤ 0

und damitlim〈Aun, un − u〉 = 0 .

Sei nun z = u+ θ(w − u) für θ > 0, w ∈ V . Dann folgt

〈Aun −Az, un − z〉 ≥ 0 .

Wir haben ebenso

〈Aun, un − z〉 = 〈Aun, un − u〉 − θ〈Aun, w − u〉 ≥ 〈Az, un − z〉= 〈Az, un − u〉 − θ〈Az,w − u〉 .

Daraus erhalten wir

〈Aun, un − u〉 − θ〈Aun, w − u〉 ≥ 〈Az, un − u〉 − θ〈Az,w − u〉 .

115 Differentialgleichungen IIB

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14 Pseudomonotone Operatoren

Nach Grenzwertbildung haben wir

θ lim inf〈Aun, un − w〉 = θ lim inf (〈Aun, un − w〉 − 〈Aun, un − u〉)= θ lim inf〈Aun, u− w〉≥ lim sup (〈Aun, u− un〉+ 〈Az, un − u〉 − θ〈Az,w − u〉)= −θ〈Az,w − u〉 .

Dies liefert für θ → 0

lim inf〈Aun, un − w〉 ≥ 〈Au, u− w〉 .

(ii) Ist un u, gilt Aun → Au. Dies ergibt

〈Aun, un − w〉 → 〈Au, u− w〉 .

(iii) Zu zeigen: Gilt un u und ist lim sup〈(A+B)un, un − u〉 ≤ 0, so auch

lim inf〈(A+B)un, un − w〉 ≥ 〈(A+B)u, u− w〉

für alle w ∈ V .Erster Fall: Gilt unter obigen Voraussetzungen auch

lim sup〈Aun, un − u〉 ≤ 0 lim sup〈Bun, un − u〉 ≤ 0 ,

so haben wir auch

lim inf〈Aun, un − w〉 ≥ 〈Au, u− w〉 lim inf〈Bun, un − w〉 ≥ 〈Bu, u− w〉 .

Hiermit erhalten wir

〈(A+B)u, u− w〉 = 〈Au, u− w〉+ 〈Bu, u− w〉≤ lim inf〈Aun, un − w〉+ lim inf〈Bun, un − w〉≤ lim inf〈(A+B)un, un − w〉 .

Zweiter Fall: Wir nehmen nun unter obigen Voraussetzungen zwar lim sup〈Aun, un−u〉 ≤ 0, aber lim sup〈Bun, un − u〉 > 0 (oder umgekehrt) an. Aus der Pseudomono-tonie von A folgt

〈Au, u− w〉 ≤ lim inf〈Aun, un − w〉 . (14.1)Außerdem existiert eine Teilfolge un′ und ein β ∈ (0,∞], so dass lim〈Aun′ , un′ −u〉 = β. Hieraus erhalten wir, dass

lim sup〈Aun′ , un′ − u〉 = lim sup (〈(A+B)un′ , un′ − u〉 − 〈Bun′ , un′ − u〉)= lim sup〈(A+B)un′ , un′ − u〉 − β < 0 .

Nun folgt mit w = u in (14.1) der Widerspruch

0 ≤ lim inf〈Aun′ , un′ − u〉 ≤ lim sup〈Aun′ , un′ − u〉 < 0 .

Dritter Fall: Wir nehmen un u und sowohl lim sup〈Aun, un − u〉 > 0 als auchlim sup〈Bun, un − u〉 > 0. Nun kann jedoch nicht lim sup〈(A + B)un, un − u〉 ≤ 0gelten, denn es existiert eine Teilfolge un′, so dass

lim〈Aun′ , un′ − u〉 = α > 0 .

Differentialgleichungen IIB 116

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14 Pseudomonotone Operatoren

Da weiterhin un′ u, können wir lim sup〈Bun′ , un′ − u〉 = β > 0 annehmen (sonstläge der zweite Fall vor). Es existiert nun eine Teilfolge un′′, so dass

lim〈Bun′′ , un′′ − u〉 = β > 0 .

Wir haben nun

0 < α+β = lim〈Aun′′ , un′′−u〉+lim〈Bun′′ , un′′−u〉 = lim〈(A+B)un′′ , un′′−u〉 ≤ 0 .

(iv) Übungsaufgabe.

Beweis zum Satz von Brézis. Wir verwenden wieder das Galerkin-Verfahren und suchenu(m) ∈ Vm = spanφ1, . . . , φm, so dass 〈Au(m), v(m)〉 = 〈f, v(m)〉 für alle v(m) ∈ Vm.Mit Lemma 14.3 folgt die Demistetigkeit von A.Wir wissen bereits, dass für demistetige, koerzitive Operatoren die diskrete Ersatzaufgabelösbar ist. Mit der Beschränktheit von u(m) ⊂ V und Au(m) ⊂ V ∗ existieren eineTeilfolge u(m′), u ∈ V und a ∈ V ∗, so dass u(m′) u in V und Au(m′) a in V ∗.Wir haben

〈Au(m′), v(k)〉 = 〈f, v(k)〉

für alle v(k) ∈ Vk, k ≤ m′. Mit m′ →∞ erhalten wir

〈a, v(k)〉 = 〈f, v(k)〉

für alle v(k) ∈⋃∞j=1 Vj , wobei dieser Raum dicht in V liegt.

Es giltlim sup〈Au(m′), u(m′) − u〉 = lim sup

(〈f, u(m′)〉 − 〈Au(m′), u〉

)= 0 .

Für beliebiges w ∈ V ist nun wegen der Pseudomonotonie

〈Au, u− w〉 ≤ lim inf〈Au(m′), u(m′) − w〉 = lim inf(〈f, u(m′)〉 − 〈Au(m′), w〉

)= 〈f, u〉 − 〈f, w〉 = 〈f, u− w〉 .

Wir wählen nun w = u± v, v ∈ V , und erhalten Au = f .

117 Differentialgleichungen IIB

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15 Monotone Potentialoperatoren

15 Monotone Potentialoperatoren

Wir betrachten das bekannte Funktional

Φ(z) = 1p|z|p

für z ∈ Rd, p > 1. Dann ist Φ′(z) = |z|p−1 z|z| = |z|p−2z. Die Abbildung Φ′ : z 7→ Φ′(z) ist

ein Operator auf Rd, was die Klassifizierung von Operatoren motiviert, die als Ableitungeines Funktionals darstellbar sind.

Definition 15.1. SeienX, Y zwei normierte Räume und sei F : X → Y gegeben. Existiertder Grenzwert

limθ→0

(F (x+ θz)− F (x)

)= d

dθF (x+ θz)∣∣θ=0 =: DF (x; z) ,

so heißt er Gâteaux-Differential von F an der Stelle x in Richtung z. Ist z 7→ DF (x; z)linear und beschränkt, so heißt F an der Stelle x Gâteaux-differenzierbar und F ′(x) ∈L(X,Y ) mit F ′(x)z := DF (x; z) Gâteaux-Ableitung von F in x.

Im folgenden betrachten wir meist Y = R, d.h. F sei ein Funktional auf X. Dann istF ′(x) ∈ L(X,R) = X∗ und wir schreiben

F ′(x)z = DF (x; z) = 〈F ′(x), z〉 .

Definition 15.2. Ein Operator A : V → V ∗ heißt Potentialoperator (Gradient), falls einFunktional Φ: V → R (Potential) existiert, so dass

(i) das Funktional Φ Gâteaux-differenzierbar ist und

(ii) für alle u, v ∈ V die Gâteaux-Ableitung von Φ an der Stelle u in Richtung v durch〈Au, v〉 beschrieben wird, d.h.

〈Au, v〉 = limθ→0

(Φ(u+ θv)− Φ(u)

).

Bemerkung 15.3. Ist ein Funktional Φ Potential eines Operators A, dann ist auch Φ+constPotential von A.Beispiel 15.4. Wir betrachten V = W 1,p

0 (Ω), p > 1,

〈Au, v〉 =ˆ

Ω|∇u(x)|p−2∇u(x) · ∇v(x)dx ,

also Au = −∆pu = −∇ · (|∇u|p−2∇u) mit homogenen Dirichlet-Randbedingungen. Dannist A ein Potentialoperator mit dem Potential

Φ(u) := 1p

ˆΩ|∇u(x)|pdx+ const .

Differentialgleichungen IIB 118

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15 Monotone Potentialoperatoren

Es gilt nämlich

〈Φ′(u), v〉 = limθ→0

(Φ(u+ θv)− Φ(u)

)= lim

θ→0

1p

(ˆΩ|∇(u+ θv)|pdx−

ˆΩ|∇u|pdx

)= lim

θ→0

1pθ

ˆΩ

[|∇(u+ tθv)|p

]t=1

t=0dx = lim

θ→0

1pθ

ˆΩ

ˆ 1

0

ddt∇(u+ tv)dtdx

= limθ→0

1pθ

ˆΩ

ˆ 1

0D

(∣∣∣∇(u(x) + tθv(x))∣∣∣p)∇θv(x)dtdx

= limθ→0

ˆΩ

ˆ 1

0

∣∣∣∇(u(x) + tθv(x))∣∣∣p−2

∇(u(x) + tθv(x)

)dt∇θv(x)dx

Ω

ˆ 1

0|∇u(x)|p−2∇u(x)dt∇v(x)dx

Ω|∇u(x)|p−2∇u(x) · ∇v(x)dx .

Lemma 15.5. Sei A : V → V ∗ radialstetig und ein Potentialoperator mit einem PotentialΦ: V → R. Dann gilt

Φ(v) = Φ(0) +ˆ 1

0〈A(tv), v〉dt .

Beweis. Es istddtΦ(tv) = lim

θ→0

(Φ(tv + θv)− Φ(tv)) = 〈A(tv), v〉 .

Aus der Radialstetigkeit von A folgt die Stetigkeit von t 7→ ddtΦ(tv), also

Φ(v)− Φ(0) =ˆ 1

0〈A(tv), v〉dt .

Beispiel 15.6. Mit A = −∆p und Φ(0) = 0 haben wir

Φ(v) =ˆ 1

0〈A(tv), v〉dt =

ˆ 1

0

ˆΩ|∇(tv(x))|p−2∇(tv(x)) · ∇v(x)dxdt

=ˆ 1

0tp−1dt︸ ︷︷ ︸= 1p

ˆΩ|∇v(x)|pdx .

Lemma 15.7. Sei A : V → V ∗ demistetig. Dann sind folgende Aussagen äquivalent:

(i) A ist ein Potentialoperator.

(ii) Für alle x, y ∈ V giltˆ 1

0〈A(tx), x〉dt−

ˆ 1

0〈A(ty), y〉dt =

ˆ 1

0

⟨A(y + t(x− y)

), x− y

⟩dt .

(iii) Für alle x, y ∈ V und u ∈ C1([0, 1], V ) mit u(0) = y und u(1) = x giltˆ 1

0〈A(tx), x〉dt−

ˆ 1

0〈A(ty), y〉dt =

ˆ 1

0〈Au(t), u′(t)〉dt .

119 Differentialgleichungen IIB

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15 Monotone Potentialoperatoren

Beweis. (i)⇒(iii): Es sei Φ: V → R ein Potential von A. Dann ist

Φ(x)− Φ(y) = Φ(u(1))− Φ(u(0)) =ˆ 1

0(Φ u)′(t)dt

=ˆ 1

0Φ′(u(t))u′(t)dt =

ˆ 1

0〈Au(t), u′(t)〉dt .

(ii)⇒(i): Wir behaupten, dass

Φ(v) =ˆ 1

0〈A(tv), v〉dt

ein Potential von A definiert. Dazu ist

limθ→0

(Φ(v + θw)− Φ(v)) = limθ→0

(ˆ 1

0

⟨A(tv + tθw

), v + θw

⟩dt−

ˆ 1

0〈A(tv), v〉dt

).

Wir setzen x = v + θw und y = v. Damit folgt nach Voraussetzung

limθ→0

(Φ(v + θw)− Φ(v)) =ˆ 1

0limθ→0

1θ〈A(v + tθw), θw〉dt =

ˆ 1

0〈Av,w〉dt = 〈Av,w〉 .

(iii)⇒(ii): Folgt mit dem Spezialfall u(t) = y + t(x− y)

Definition 15.8. Ein Funktional Φ: V → R heißt konvex, falls für alle θ ∈ [0, 1] undv, w ∈ V

Φ((1− θ)v + θw

)≤ (1− θ)Φ(v) + θΦ(w) .

Das Funktional Φ heißt schwach folgenunterhalbstetig, falls für jede Folge un ⊂ V mitun u in V

Φ(u) ≤ lim infn→∞

Φ(un) .

Beispielsweise ist die Norm ein schwach folgenunterhalbstetiges Funktional.

Lemma 15.9. Sei Φ: V → R schwach folgenunterhalbstetig und sei K 6= ∅ abgeschlossen,beschränkt und konvex. Dann existiert ein v ∈ K mit

Φ(v) = minv∈K

Φ(v) .

Beweis. Sei un ⊂ K eine Folge mit

Φ(un)→ infv∈K

Φ(v) =: d .

Da K beschränkt ist, ist auch un beschränkt. Damit existiert eine Teilfolge un′ mitun′ → u für ein u ∈ V (V ist reflexiv). Nun folgt Φ(u) ≤ lim infn→∞Φ(un′). Es ist sogaru ∈ K, denn K ist nach dem Satz von Mazur schwach abgeschlossen. Nun haben wir

d ≤ Φ(u) ≤ lim infn′→∞

Φ(un′) = d ,

also Φ(u) = d ∈ R.

Differentialgleichungen IIB 120

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15 Monotone Potentialoperatoren

Bemerkung 15.10. Die Menge aller Minimierer ist schwach abgeschlossen: Sei vn eineschwach gegen v in V konvergierende Folge von Minimierern. Dann gilt

Φ(v) ≤ lim infn→∞

Φ(vn) = minw∈K

Φ(w) ≤ Φ(v) .

Ist Φ konvex, so auch die Menge aller Minimierer: Es ist

Φ(θv + (1− θ)w

)≤ θΦ(v) + (1− θ)Φ(w) = min

u∈KΦ(u)

für Minimierer v, w.

Lemma 15.11. Sei Φ: V → R ein schwach folgenunterhalbstetiges und schwach koerziti-ves Funktional, wobei letztere bedeutet, dass Φ(v) ‖v‖→∞−−−−−→∞. Sei K nichtleer, abgeschlos-sen und konvex. Dann gibt es ein v ∈ K mit

Φ(v) = minv∈K

Φ(v) .

Beispiel 15.12. Sei K ein endlichdimensionaler Unterraum (also insbesondere abgeschlos-sen und konvex). Sei Φ(v) = ‖v − u‖ für ein fest gewähltes u ∈ V . Dann git es also einv ∈ K mit ‖v − u‖ = minv∈K‖v − u‖. Wir nennen v die K-Bestapproximation an u.

Beweis. Sei w ∈ K beliebig. Dann gibt es ein R > 0, so dass für alle z ∈ V mit ‖z‖ > Rdie Ungleichung Φ(z) ≥ Φ(w), da Φ schwach koerzitiv ist. Betrachte KR := v ∈ K :‖v‖ ≤ R. Dann ist KR (für genügend großes R) nichtleer mit w ∈ KR, abgeschlossen,konvex und beschränkt. Damit existiert ein v ∈ KR mit

Φ(v) = minv∈KR

Φ(v) ≤ Φ(w) ≤ Φ(z)

für alle z ∈ K \KR. Damit ist auch

Φ(v) ≤ infz∈K\KR

Φ(z)

und v ∈ K, da KR ⊆ K.

Lemma 15.13. Es besitze Φ: V → R den Gradienten (die Gâteaux-Ableitung) A : V →V ∗. Dann sind folgende Aussagen äquivalent:

(i) Das Funktional Φ ist konvex.

(ii) Die Abbildung t 7→ φ(t) := Φ(v + tw), R→ R, ist für alle v, w ∈ V konvex.

(iii) Der Operator A ist monoton.

(iv) Es gilt 〈Av, v − w〉 ≥ Φ(v)− Φ(w) für alle v, w ∈ V .

Beweis. (i)⇒(iv). Wir haben

〈Av, v − w〉 = −〈Av,w − v〉 = − limθ→0

(Φ(v + θ(w − v))− Φ(v)

)= − lim

θ0

(Φ(v + θ(w − v))− Φ(v)

)≥ − lim

θ0

((1− θ)Φ(v) + θΦ(w)− Φ(v)

)= − lim

θ0(Φ(w)− Φ(v)) = Φ(v)− Φ(w) .

121 Differentialgleichungen IIB

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15 Monotone Potentialoperatoren

(iv)⇒(iii). Es ist

〈Av −Aw, v − w〉 = 〈Av, v − w〉+ 〈Aw,w − v〉 ≥ Φ(v)− Φ(w) + Φ(w)− Φ(v) = 0 .

(iii)⇒(ii). Wir haben φ′(t) = 〈Φ′(v + tw), w〉. Für t > s ist

φ(t)− φ(s) = 〈A(v + tw)−A(v + sw), w〉 =1

t− s

⟨A(v + tw)−A(v + sw), (v + tw)− (v + sw)

⟩≥ 0 .

(ii)⇒(i). Die Monotonie von φ bedeutet für v, w ∈ V

Φ(v + tw + θ(s− t)w) ≤ (1− θ)Φ(v + tw) + θΦ(v + sw) .

Wir wählen v, w ∈ V und s, t ∈ R zu gegebenen v, w ∈ V so, dass

v + tw = v v + sw = w ,

also

w = v − wt− s

v = sv − tws− t

.

Damit folgt

Φ((1− θ)v + θw

)= Φ(v + θ(w − v)) ≤ (1− θ)Φ(v) + θΦ(w) .

Lemma 15.14. Es sei Φ: V → R konvex und Gâteaux-differenzierbar. Dann ist Φ auchschwach folgenunterhalbstetig.

Beweis. Für alle u, v ∈ V haben wir

〈Φ′(u), u− v)〉 ≥ Φ(u)− Φ(v) .

Sei un ⊂ V eine Folge mit un u in V . Dann gilt

Φ(u)− Φ(un) ≤ 〈Φ′(u), u− un〉 ,

also

Φ(u) ≤ lim infn→∞

(Φ(un) + 〈Φ′(u), u− un〉

)= lim inf

n→∞Φ(un) + lim

n→∞〈Φ′(u), u− un〉 = lim inf

n→∞Φ(un) .

Lemma 15.15. Sei A : V → V ∗ ein Potentialoperator mit Potential Φ: V → R und seif ∈ V ∗. Wenn

Φ(u)− 〈f, u〉 = minv∈V

(Φ(v)− 〈f, v〉

),

dann gilt auch Au = f in V ∗. Die Umkehrung gilt auch, wenn A monoton ist.

Differentialgleichungen IIB 122

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15 Monotone Potentialoperatoren

Beweis. Für w ∈ V gilt

limθ→0

(Φ(u+ θw)− 〈f, u+ θw〉 − Φ(u) + 〈f, u〉

)= lim

θ→0

(Φ(u+ θw)− Φ(u)

)− 〈f, w〉

= 〈Au− f, w〉 .

Weiterhin ist

(Φ(u+ θw)− 〈f, u+ θw〉 − (Φ(u)− 〈f, u〉)

)≥ 0 θ > 0≤ 0 θ < 0 ,

denn das Minimum von Φ(v)− 〈f, v〉 wird in u angenommen. Damit folgt

〈Au− f, w〉 = 0

für alle w ∈ V , d.h. Au = f .Zur Umkehrung sei nun A monoton und es gelte Au = f . Dann folgt

〈f, u− v〉 = 〈Au, u− v〉 ≥ Φ(u)− Φ(v)

für alle v ∈ V , was jedoch gerade

Φ(u)− 〈f, u〉 ≤ Φ(v)− 〈f, v〉

ist.

Lemma 15.16. Jeder monotone Potentialoperator ist demistetig.

Beweis. Wir erinnern daran, dass ein monotoner Operator A : V → V ∗ genau dann de-mistetig ist, wenn aus 〈f − Aw, u − w〉 ≥ 0 für alle w ∈ V auch Au = f folgt. Sei nunf ∈ V ∗ beliebig, aber fest und es gelte 〈f − Aw, u − w〉 ≥ 0 für alle w ∈ V . Dann ist füralle t > 0, v ∈ V⟨f, u− (u+ t(v − u))

⟩≥⟨A(u+ t(v − u)

), u−

(u+ t(v − u)

)⟩=⟨A(u+ t(v − u)

),(u+ t(v − u)

)−(u+ t(v − u) + v − u

)⟩· t

≥(Φ(u+ t(v − u)

)−Φ

(u+ t(v − u) + v − u

))· t .

Hiermit erhalten wir

t〈f, u− v〉 ≥ t(Φ(u+ t(v − u)

)− Φ

(v + t(v − u)

)),

also〈f, u− v〉 ≥ lim

t0

(Φ(u+ t(v − u)

)− Φ

(v + t(v − u)

))= Φ(u)− Φ(v) .

Damit ergibt sichΦ(u)− 〈f, u〉 ≤ Φ(v)− 〈f, v〉 ,

Lemma 15.15 liefert also Au = f .

Korollar 15.17. Sei A : V → V ∗ ein monotoner Potentialoperator. Dann ist in u ∈ Vgenau dann ein Minimum der Abbildung

v 7→ˆ 1

0〈A(tv), v〉dt− 〈f, v〉 ,

wenn Au = f in V ∗.

123 Differentialgleichungen IIB

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15 Monotone Potentialoperatoren

Beweis. Folgt direkt aus Lemma 15.13 und Lemma 15.15.

Satz 15.18 (Browder-Minty, Version für Potentialoperatoren). Sei A : V → V ∗ ein mono-toner, koerzitiver Potentialoperator. Dann gibt es zu jedem f ∈ V ∗ mindestens ein u ∈ Vmit Au = f in V ∗.

Beweis. A ist radialstetig und hat das Potential

Φ(v) :=ˆ 1

0〈A(tv), v〉dt .

Es sei Φf (v) = Φ(v) − 〈f, v〉. Dann ist Φf schwach folgenunterhalbstetig, da Φ diese Ei-genschaft bereits besitzt. Es bleibt zu zeigen, dass Φf schwach koerzitiv ist. Dann existiertnämlich ein u ∈ V mit Φf (u) = minv∈V Φf (v), also Au = f . Nun gilt

Φf (v) =ˆ 1

0〈A(tv), v〉dt− 〈f, v〉 =

ˆ 1

0〈A(tv)−A(0), tv〉︸ ︷︷ ︸

≥0

1tdt− 〈f −A(0), v〉

≥ˆ 1

12

〈A(tv)−A(0), v〉dt− 〈f −A(0), v〉

≥ 12⟨A(

12v)−A(0), v

⟩− 〈f −A(0), v〉 =

⟨A(

12v), 1

2v⟩

+⟨

12A(0)− f, v

⟩≥ γ

(∥∥∥12v∥∥∥) ∥∥∥1

2v∥∥∥− ∥∥∥1

2A(0)− f∥∥∥∗‖v‖ ‖v‖→∞−−−−−→∞ .

Korollar 15.19. Sei A : V → V ∗ ein monotoner, koerzitiver Potentialoperator. Dann istdas Potential Φ von A nach unten beschränkt.

Beweis. Es gibt ein u ∈ V mit Au = 0, also ist u Minimierer von Φ, also Φ(u) ≤ Φ(v) füralle v ∈ V .

Beispiel 15.20. BetrachteΦ(v) = 1

2a(v, v)− 〈v, v〉

bzw. Au = f , a(u, v) = 〈f, v〉, wobei a : V × V → R stark positiv, beschränkt und bilinearist.

Differentialgleichungen IIB 124

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16 Das stationäre Navier-Stokes-Problem

16 Das stationäre Navier-Stokes-Problem

Es bezeichne u ein Geschwindigkeitsfeld eines Fluids. Dieses Fluid habe die Massendichteρ. Die Bewegung des Fluids lässt sich dann durch die partielle Differentialgleichung

ρt −∇ · (ρu) = 0

beschreiben. Bei konstanter Massendichte ergibt sich

∇ · u = 0 .

Es wird also ein divergenzfreies (solenoidales) Geschwindigkeitsfeld gesucht. Die Navier-Stokes-Gleichung lautet dann

ut − ν∆u+ (u · ∇)u+∇π = f ,

wobei π als Druck (pro Dichte) verstanden werden kann, ν > 0 ist die kinematischeViskosität. Der Term ν∆u ist ein Diffusionsterm, (u ·∇)u ein Konvektionsterm. Für nicht-Newtonsche Fluide schreiben wir statt −ν∆u z.B. −∇ · (|Du|p−2Du), wobei Du = 1

2(∇ ·u+∇ · uT).Im Eindimensionalen haben wir

ddtu(x(t), t) = ∂

∂tu(x(t), t) + d

dtx(t)︸ ︷︷ ︸=u(x(t),t)

∂xu(x(t), t) .

Für u = (u1, u2, u3)T haben wir

∂tu1 − ν∆u1 +

(u1

∂x+ u2

∂y+ u3

∂z

)u1 + ∂

∂xπ = f1 .

Die Entdimensionalisierung im stationären Problem (ut = 0) verwendet

x = x

Lu = u

U.

Daraus erhalten wir ∆ = L2∆ und

− ν

LU∆u = − ν

LUL2 1U

∆u = −νLU2 ∆u

(u · ∇)u = 1U2L(u · ∇)u

∇π = L

U2∇π ,

wobei π = πU2 . Damit erhalten wir die Differentialgleichung

− ν

LU∇u+ (u · ∇)u+ ∇π = f .

Hier kann auch 1Re verwendet werden, wobei Re = LU

ν die Reynolds-Zahl ist.Im folgenden betrachten wir das umgeschriebene Problem

−ν∆u+ (u · ∇)u+∇π = f auf Ω ⊂ Rd

∇ · u = 0 auf Ωu = 0 auf ∂Ω .

125 Differentialgleichungen IIB

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16 Das stationäre Navier-Stokes-Problem

Dies lässt sich auch als (−ν∆ graddiv 0

)(uπ

)=(f0

)schreiben. In der schwachen Formulierung ergibt sich nach Multiplikation mit einer Test-funktion v

ν

ˆΩ

(∇u) · (∇v)dx+ˆ

Ω(u · ∇)u · vdx−

ˆΩπ(∇ · v)dx =

ˆΩfvdx

für v ∈ H10 (Ω)d und ˆ

Ω(∇u)qdx = 0

für q ∈ L2(Ω). Um den Druck zu eliminieren, fordern wir ∇ · v = 0. Wir definieren

V :=v ∈ C∞0 (Ω)d : ∇ · v = 0

V := clos‖·‖H1(Ω)

V

H := clos‖·‖L2 V .

Lemma 16.1. Sei Ω ⊂ Rd ein beschränktes Lipschitz-Gebiet. Dann gilt

V =v ∈ H1

0 (Ω)d : ∇ · v = 0

H =v ∈ L2(Ω)d : ∇ · v = 0 und γnv = 0

,

wobei ∇·v = 0 für v ∈ L2 bedeutet, dass´

Ω v ·(∇φ)dx = 0 für alle φ ∈ C∞0 (Ω). Für glattesv ist

γnv = (v · n)|∂Ω ,

wobei n den äußeren Normalenvektor bezeichnet.

Damit ist V ein abgeschlossener Unterraum von H10 (Ω)d.

Schwache Formulierung: Zu f ∈ V ∗ finde u ∈ V , so dass

a(u, v) + b(u, u, v) = 〈f, v〉 ,

wobei

a(v, w) = ν

ˆΩ

(∇v) · (∇w)dx = νd∑

i,j=1

ˆΩ

∂xjvi ·

∂xjwi

b(u, v, w) =((u · ∇)v, w

)L2(Ω)d =

d∑i,j=1

ˆΩui

∂xivjwj .

Lemma 16.2. Obiges a ist wohldefiniert auf V × V und a : V × V → R ist linear, be-schränkt, stark positiv und symmetrisch.

Bemerkung 16.3. Nach Lax-Milgram besitzt das stationäre inkompressible Stokes-Problem(b(·, ·, ·) wird vernachlässigt) genau eine „Geschwindigkeitslösung“.Der Stokes-Operator A : V → V ∗ mit 〈Av,w〉 = a(v, w) existiert und ist ebenfalls linear,beschränkt, stark positiv und symmetrisch.

Differentialgleichungen IIB 126

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16 Das stationäre Navier-Stokes-Problem

Lemma 16.4. b ist wohldefiniert auf Lα(Ω)d ×W 1,β(Ω)d × Lγ(Ω)d mit α, β, γ > 1, 1α +

1β + 1

γ = 1, multilinear und beschränkt, d.h.

|b(u, v, w)| ≤ c‖u‖Lα · ‖∇v‖Lβ · ‖w‖Lγ .

Beweis. Es ist

|b(u, v, w)| ≤d∑

i,j=1

ˆΩ|ui|

∣∣∣∣ ∂∂xi vj∣∣∣∣ |wj |dx

≤d∑

i,j=1

(ˆΩ|ui|αdx

) 1α

(ˆΩ

∣∣∣∣ ∂∂xi vj∣∣∣∣β dx

) 1β (ˆ

Ω|wj |γdx

) 1γ

d∑i,j=1

ˆΩ|ui|αdx

1α d∑i,j=1

ˆΩ

∣∣∣∣ ∂∂xi vj∣∣∣∣β dx

1β d∑i,j=1

ˆΩ|wj |γdx

≤ c‖u‖Lα(Ω)d‖∇v‖Lβ(Ω)d×d‖w‖Lγ(Ω)d .

Lemma 16.5. b ist wohldefiniert auf V × V × V und darauf beschränkt und bezüglich deszweiten und dritten Arguments schiefsymmetrisch, d.h.

|b(u, v, w)| ≤ c‖u‖‖v‖‖w‖ ,

wobei

‖v‖ = ‖v‖V = ‖∇v‖L2(Ω)d×d =

d∑i,j=1

ˆΩ

∣∣∣∣ ∂∂xi vj∣∣∣∣2 dx

12

undb(u, v, w) = −b(u,w, v)

für alle u, v, w ∈ V .

Beweis. Wir wenden das vorige Lemma mit β = 2 und α = γ = 4 (oder α = 3, γ = 6o.ä.). Zur Schiefsymmetrie haben wir

b(u, v, w) =d∑

i,j=1

ˆΩui

∂xivjwjdx =

d∑i,j=1

ˆ∂uiwj(v · n)dO

︸ ︷︷ ︸=0 , da v=0 auf ∂Ω

−d∑

i,j=1

ˆΩvj

∂xi(uiwj)dx

= −d∑

i,j=1

ˆΩvj

∂xiuiwjdx−

d∑i,j=1

ˆΩvjui

∂xiwj = 0− b(u,w, v) ,

denn ∑i∂∂xiui = div u = 0.

Bemerkung 16.6. Die Abbildung B : V ×V → V ∗ mit 〈B(u, v), w〉 = b(u, v, w) ist bilinearund beschränkt. Wir haben dann Au+B(u, u) = f in V ∗.

Satz 16.7. Zu f ∈ V ∗ gibt es mindestens ein u ∈ V , so dass Au+Bu = f in V ∗.

Beweis. Wir wollen Satz 13.8 anwenden. Dafür bleibt zu zeigen:

127 Differentialgleichungen IIB

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16 Das stationäre Navier-Stokes-Problem

1. Die Abbildung B : V 7→ V ∗, u 7→ B(u, u), ist verstärkt stetig.

2. A+B ist koerzitiv.

Zu 1. Sei vn ⊂ V eine Folge mit vn v in V . Zu zeigen ist Bvn = B(vn, vn) → Bv =B(v, v) in V ∗. Betrachte für w ∈ V∣∣∣⟨B(vn, vn)−B(v, v), w

⟩∣∣∣ =∣∣b(vn, vn, w)− b(v, v, w)

∣∣=∣∣∣b(vn, vn, w)− b(vn, v, w) + b(vn, v, w)− b(v, v, w)

∣∣∣=∣∣b(vn, vn − v, w) + b(vn − v, v, w)

∣∣≤ |b(vn, w, vn − v)|+ |b(vn − v, w, v)|≤ c‖vn‖L4 · ‖w‖ · ‖vn − v‖L4 + c‖vn − v‖L4 · ‖w‖ · ‖v‖L4 .

Es ist nun also

‖Bvn −Bv‖V ∗ = supw∈Vw 6=0

|〈Bvn −Bv,w〉|‖w‖

≤ const (‖vn‖L4 + ‖v‖L4) ‖vn − v‖L4

≤ const(‖vn‖+ ‖v‖)‖vn − v‖L4 .

Da V c→ L4, folgt ‖vn − v‖L4 → 0, außerdem ist ‖vn‖ beschränkt.

Zu 2. Es ist〈Av +Bv, v〉 = a(v, v) + b(v, v, v)︸ ︷︷ ︸

=0

= ν‖v‖2 .

Satz 16.8. Für kleine Daten (Re = 1ν und ‖f‖V ∗) existiert höchstens eine Lösung.

Beweis. Seien u, u ∈ V zwei Lösungen. Dann gilt

ν‖u− u‖2 = a(u− u, u− u) = a(u, u− u) + a(u, u− u)= 〈f, u− u〉 − b(u, u, u− u)−〈f, u− u〉+ b(u, u, u− u)= b(u, u, u− u)− b(u, u, u− u) = b(u, u− u, u− u)︸ ︷︷ ︸

=0

+b(u− u, u, u− u)

≤ cb‖u‖‖u− u‖2 .

Dabei ist cb die Konstante aus der Beschränktheit von b : V ×V ×V → R ist. Wir verwendeneine a-priori-Abschätzung für u:

ν‖u‖2 = a(u, u) = 〈f, u〉 − b(u, u, u)︸ ︷︷ ︸=0

≤ ‖f‖V ∗‖u‖ .

Damit erhalten wirν‖u− u‖2 ≤ cb

1ν‖f‖V ∗‖u− u‖2 .

Dies zeigt Einzigkeit, wenn cbν2 ‖f‖V ∗ < 1.

Differentialgleichungen IIB 128

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16 Das stationäre Navier-Stokes-Problem

Wir betrachten nun−ν∆u+∇π = f

mit∇·u = 0. Wir stellen die schwache Formulierung aufH10 (Ω)d×L2

0(Ω). Dabei betrachtenwir zunächst L2(Ω)/R, also die Menge aller Äquivalenzklassen [q] = q+const, q ∈ L2(Ω),ausgestattet mit der Norm

‖q‖L2(Ω)/R = infc∈R‖q + c‖L2 .

Außerdem istL2(Ω)/R ∼= L2

0(Ω) := q ∈ L2(Ω) :ˆ

Ωq(x)dx = 0 .

Die schwache Formulierung lautet nunν´

Ω∇u · ∇vdx−´

Ω π div vdx =´

Ω fvdx−´

Ω div u · qdx = 0 .

Wir definieren c : H10 (Ω)d × L2

0(Ω)d → R über

c(v, q) = −ˆ

Ωdiv v · qdx .

Dann ist c bilinear und beschränkt, denn

|c(v, q)| ≤ ‖div v‖L2‖q‖L2 ≤ ‖∇v‖L2‖q‖ = ‖v‖H10‖q‖L2 .

Nun erhalten wir einen Operator C : H10 (Ω)→

(L2

0(Ω))∗ mit 〈Cv, q〉 = c(v, q). Das Stokes-

Problem wird dann zu Au+ C∗π = f

Cu = 0

bzw. (A C∗

C 0

)(uπ

)=(f0

),

wobei C∗ den dualen Operator zu C bezeichnet. Für f ∈ H−1(Ω)d können wir die linkeSeite als A(u, π) mit

A : H10 (Ω)d × L2

0(Ω)d →(H1

0 (Ω)d × L20(Ω)d

)∗schreiben und erhalten

A(uπ

)=(f0

).

Zwar ist A(uπ

)=(f0

)für f ∈ H−1(Ω)d eindeutig lösbar (in ( uπ )), aber der Operator A

ist nicht stark positiv, d.h. Lax-Milgram kann nicht angewendet werden. Es ist⟨A(vq

),

(vq

)⟩=⟨(

A C∗

C 0

)(vq

),

(vq

)⟩=⟨(

Av + C∗vCv

),

(vq

)⟩= 〈Av, v〉+ 〈C∗q, v〉+ 〈Cv, q〉 .

129 Differentialgleichungen IIB

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16 Das stationäre Navier-Stokes-Problem

Betrachte v = 0. Dann ist⟨A(

0q

),

(0q

)⟩= 0 6≥ const‖q‖2 = const(‖v‖2 + ‖q‖2) ,

d.h. A ist nicht stark positiv.Für Existenz und Eindeutigkeit einer Lösung genügt folgendes: Es gibt ein β > 0, so dass

infq∈L2

0(Ω)q 6=0

supv∈H1

0 (Ω)dv 6=0

c(v, q)‖v‖H1

0‖q‖L2

0

≥ β > 0 .

Differentialgleichungen IIB 130

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Differentialgleichungen III

17 Bochner-Integral

Das Ziel dieses Kapitels ist es, ein Integral von Funktionen auf einem reellen Intervall ineinen Banach-Raum zu definieren. Wir wollen dazu auf die bisher dazu benötigte Stetigkeitverzichten und führen stattdessen den Begriff der Bochner-Messbarkeit ein.

17.1 Bochner-Messbarkeit

Es sei im folgenden (X, ‖·‖) ein reeller Banach-Raum.

Definition 17.1. Eine Funktion u : [0, T ] → X, T > 0, heißt einfache Funktion, falls esendlich viele paarweise disjunkte und Lebesgue-messbare Teilmengen E1, . . . , EN ⊂ [0, T ]und Elemente u1, . . . , uN ∈ X mit

u =N∑i=1

ui 1Ei

gibt.

Definition 17.2. Eine Funktion u : [0, T ]→ X heißt Bochner-messbar , falls es eine Folgeeinfacher Funktionen (un) gibt, die fast überall punktweise gegen u konvergiert, d.h.

un(t) n→∞−−−→ u(t)

für fast alle t ∈ [0, T ] in X.

Bemerkung 17.3. Bochner-messbare Funktionen heißen auch stark messbare Funktionen.

Es besteht der folgende, jedoch nicht umkehrbare Zusammenhang zwischen der so defi-nierten Bochner-Messbarkeit und der uns bereits bekannten Lebesgue-Messbarkeit.

Lemma 17.4. Ist u : [0, T ]→ X Bochner-messbar, so ist t 7→ ‖u(t)‖ Lebesgue-messbar.

Beweis. Sei (un) eine Folge einfacher Funktionen mit un(t)→ u(t) für fast alle t ∈ [0, T ].Also folgt ∣∣‖un(t)‖ − ‖u(t)‖

∣∣ ≤ ‖un(t)− u(t)‖ → 0

für fast alle t ∈ [0, T ]. Da ‖un(·)‖ : [0, T ]→ R wegen

‖un(t)‖ =∥∥∥∥∥N∑i=1

uin 1Ein(t)∥∥∥∥∥ =

N∑i=1‖uin‖1Ein(t)

eine einfache und insbesondere Lebesgue-messbare Funktion ist, erhalten wir die Lebesgue-Messbarkeit von ‖u(·)‖ als Grenzwert einer Folge einfacher Funktionen.

131 Differentialgleichungen III

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17 Bochner-Integral

Beispiel 17.5. Wir betrachten u : [0, 1]× [0, 1]→ R mit

u(x, t) :=

1 falls x < t

0 sonst .

Wir definieren u : [0, 1]→ L∞(0, 1) durch

[u(t)] (x) := u(x, t) ,

also u(t) = 1[0,t). Nun ist zwar u Lebesgue-messbar, aber u ist nicht Bochner-messbar.Wäre dies der Fall, so gäbe es für ε ∈ (0, 1

2) eine einfache Funktion v = ∑Ni=1 vi 1Ei mit∣∣∣[u(t)](x)− [v(t)](x)

∣∣∣ < ε

für t, x ∈ M ⊂ [0, 1] mit λ(M) = 1. Sei nun i ∈ 1, . . . , N und seien t1, t2 ∈ Ei ∩M undEi ∩M ∩ (t1, t2) 6= ∅. Wir wählen t ∈ Ei ∩M ∩ (t1, t2). Es ist nun jedoch

12 >

∣∣∣[u(t1)](t)︸ ︷︷ ︸=u(t,t1)

−[v(t1)](t)∣∣∣ = |0− vi(t)|

und wir erhalten den Widerspruch12 >

∣∣∣[u(t2)](t)− [v(t2)](t)∣∣∣ = |1− vi(t)| .

Wie nach Bemerkung 17.3 zu erwarten war, geben wir nun die Definition schwacher Mess-barkeit an.

Definition 17.6. Eine Funktion u : [0, T ]→ X heißt schwach Bochner-messbar , falls fürjedes f ∈ X∗ die Funktion t 7→ 〈f, u(t)〉 Bochner-messbar ist.Die Funktion u : [0, T ] → X heißt wesentlich separabel-wertig, falls es eine NullmengeN ⊂ [0, T ] gibt, so dass u

([0, T ] \N

)eine abzählbare dichte Teilmenge besitzt.

Der Begriff der wesentlich separabel-wertigen Funktion ordnet sich mit dem folgenden Satzin die Begriffe der Messbarkeit ein.

Satz 17.7 (Pettis). Die Funktion u : [0, T ] → X ist genau dann Bochner-messbar, wennu schwach Bochner-messbar und wesentlich separabel-wertig ist.

Da eine Teilmenge eines separablen Raumes stets eine abzählbare Teilmenge besitzt, er-halten wir das folgende Korollar.

Korollar 17.8. Ist X ein separabler Banach-Raum, so ist eine Funktion u : [0, T ] → Xgenau dann Bochner-messbar, falls u schwach Bochner-messbar ist.

17.2 Bochner-Integral

Nachdem wir nun den Begriff der Bochner-Messbarkeit eingeführt haben, möchten wir imnächsten Schritt das Bochner-Integral definieren.

Definition 17.9. Es sei u : [0, T ] → X Bochner-messbar. Dann heißt die Funktion uBochner-integrierbar , falls es eine Folge einfacher Funktionen (un) gibt, so dass un(t) →u(t) fast überall gilt und ˆ T

0‖un(t)− u(t)‖dt n→∞−−−→ 0 .

Differentialgleichungen III 132

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17.2 Bochner-Integral

Das Integral´ T

0 ‖un(t) − u(t)‖dt ist als Lebesgue-Integral einer nichtnegativen Lebesgue-messbaren Funktion wohldefiniert.Ist v : [0, T ]→ X eine einfache Funktion mit v = ∑N

i=1 vi 1Ei , so istˆ T

0v(t)dt :=

N∑i=1

viλ(Ei) ∈ X .

Es ist nun∥∥∥∥∥ˆ T

0un(t)dt−

ˆ T

0um(t)dt

∥∥∥∥∥ ≤ˆ T

0‖un(t)− um(t)‖dt

≤ˆ T

0‖un(t)− u(t)‖dt+

ˆ T

0‖um(t)− u(t)‖dt→ 0 .

Wir können daher ˆ T

0u(t)dt := lim

n→∞

ˆ T

0un(t)dt

definieren. Das so definierte Bochner-Integral ist linear, es gilt außerdem der Satz vonLebesgue über majorisierte Konvergenz.Wir fassen einige weitere Eigenschaften des Bochner-Integrals im folgenden Satz zusam-men.

Satz 17.10. Sei u : [0, T ]→ X.

(i) Ist u Bochner-messbar, so ist u genau dann Bochner-integrierbar, wenn die Funktiont 7→ ‖u(t)‖ Lebesgue-integrierbar ist.

(ii) Wir setzen für eine messbare Teilmenge B ⊂ [0, T ] und eine Bochner-integrierbareFunktion u : [0, T ]→ X

ˆBu(t)dt :=

ˆ T

0u(t)1B(t)dt .

Dann gilt für jedes messbare B ⊂ [0, T ] und jedes f ∈ X∗∥∥∥∥ˆBu(t)dt

∥∥∥∥ ≤ ˆB‖u(t)‖dt

und außerdem ist ⟨f,

ˆBu(t)dt

⟩=ˆB〈f, u(t)〉dt .

(iii) Es sei Y ein weiterer Banach-Raum. Ist A ∈ L(X,Y ), so gilt

A

ˆ T

0u(t)dt =

ˆ T

0Au(t)dt

für jede Bochner-integrierbare Funktion u : [0, T ]→ X.

Beweis. Zu (i): Es sei zunächst u Bochner-integrierbar. Aus der Bochner-Messbarkeit vonu folgt nun die Lebesgue-Messbarkeit von t 7→ ‖u(t)‖. Sei (un) eine Folge einfacher Funk-tionen, die punktweise fast überall gegen u konvergiert. Dann gilt∣∣∣∣∣

ˆ T

0‖un(t)‖dt−

ˆ T

0‖um(t)‖dt

∣∣∣∣∣ ≤ˆ T

0‖un(t)− um(t)‖dt→ 0 .

133 Differentialgleichungen III

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17 Bochner-Integral

Damit konvergiert´ T

0 ‖un(t)‖dt in R. Mit dem Lemma von Fatou folgtˆ T

0‖u(t)‖dt =

ˆ T

0limn→∞

‖un(t)‖dt ≤ limn→∞

ˆ T

0‖un(t)‖dt <∞ .

Nun sei t 7→ ‖u(t)‖ Lebesgue-integrierbar. Wieder sei (un) eine Folge einfacher Funktionen,die punktweise fast überall gegen u konvergiert. Wir setzen

vn(t) :=un(t) falls ‖un(t)‖ ≤ 2‖u(t)‖0 sonst .

Dann ist vn, n ∈ N, eine einfache Funktion. Es sei nun

M := t ∈ [0, T ] : un(t)→ u(t) .

Ist nun t ∈M mit u(t) 6= 0, so wählen wir für ε ∈ (0, ‖u(t)‖) ein n0 ∈ N mit∣∣‖u(t)‖ − ‖un(t)‖∣∣ ≤ ‖u(t)− un(t)‖ < ε

für alle n ≥ n0. Dann ist

‖un(t)‖ ≤ ‖u(t)‖+ ε < 2‖u(t)‖ .

Es ist also vn(t) = un(t) → u(t). Ist u(t) = 0 für t ∈ [0, T ], so folgt vn(t) = 0 für n ∈ N,also ebenfalls vn(t)→ u(t). Wir erhalten damit, dass vn fast überall gegen u konvergiert.Weiterhin ist ‖vn(t) − u(t)‖ ≤ 3‖u(t)‖. Mit dem Satz von Lebesgue über majorisierteKonvergenz erhalten wir also

limn→∞

ˆ T

0‖vn(t)− u(t)‖dt = 0 .

Zu (iii): Wie oben sei (un) eine Folge einfacher Funktionen, die punktweise fast überallgegen u konvergiert. Dann ist auch Aun für jedes n ∈ N eine einfache Funktion. Mit derBeschränktheit von A folgt für fast alle t ∈ [0, T ]

‖Aun(t)−Au(t)‖ ≤ ‖A‖‖un(t)− u(t)‖ → 0 .

Ebenso gilt ˆ T

0‖Aun(t)−Au(t)‖dt ≤ ‖A‖

ˆ T

0‖un(t)− u(t)‖dt→ 0 ,

d.h. Au ist Bochner-integrierbar. Letztlich haben wirˆ T

0Au(t)dt = lim

n→∞

ˆ T

0Aun(t)dt = A lim

n→∞

ˆ T

0un(t)dt = A

ˆ T

0u(t)dt .

Zu (ii): Die zweite Aussage folgt aus (iii) mit Y = R. Mit dem Satz von Hahn-Banacherhalten wir ∥∥∥∥ˆ

Bu(t)dt

∥∥∥∥ = supf∈X∗\0

⟨f,´B u(t)dt

⟩‖f‖∗

≤ supf

´B|〈f, u(t)〉|dt‖f‖∗

≤ supf

´B‖f‖∗‖u(t)‖dt‖f‖∗

=ˆB‖u(t)‖dt .

Differentialgleichungen III 134

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17.2 Bochner-Integral

Bemerkung 17.11. Ist u ∈ C([0, T ], X), so ist u Bochner-integrierbar und das Bochner-Inegral von u stimmt mit dem in Lemma 2.1.4 definierten Integral überein.Insbesondere gilt

1T

ˆ T

0u(t)dt ∈ cou([0, T ]) .

Satz 17.12. Sei u : [0, T ] → X Bochner-integrierbar. Dann gelten für fast alle t ∈ [0, T ]die folgenden Aussagen:

(i) Es gilt

limh→0

t+h∈[0,T ]

1h

ˆ t+h

tu(s)ds = u(t) .

(ii) Es gilt

limh→0

t+h∈[0,T ]

1h

ˆ t+h

t‖u(t)− u(s)‖ds = 0 .

Beweis. Wir merken zunächst an, dass (i) aus (ii) mit u(t) = 1h

´ t+ht u(t)ds und der Drei-

ecksungleichung folgt.Zu (ii): Die Funktion u ist wesentlich separabel-wertig. Es sei also N ⊂ [0, T ] eine Null-menge, so dass u([0, T ] \ N) die abzählbare dichte Teilmenge xn hat. Für jedes n ∈ Nist s 7→ ‖u(s)− xn‖ Lebesgue-integrierbar. Damit gilt für fast alle t ∈ [0, T ]

limh→0

1h

ˆ t+h

t‖u(s)− xn‖ds = ‖u(t)− xn‖ .

Wir erhalten

lim suph→0

1h

ˆ t+h

t‖u(s)− u(t)‖ds ≤ lim sup 1

h

ˆ t+h

t‖u(s)− xn‖ds+ ‖u(t)− xn‖

= 2‖u(t)− xn‖ < 2ε ,

wobei wir n ∈ N so wählen, dass ‖u(t)− xn‖ < ε, ε > 0.

Definition 17.13. Eine Funktion u : [0, T ]→ X heißt absolut stetig, falls es für jedes ε > 0ein δ > 0 git, so dass für jedes N ∈ N und paarweise disjunkte Intervalle (ai, bi) ⊂ [0, T ],i = 1, . . . , N mit ∑N

i=1(bi − ai) < δ

N∑i=1‖u(bi)− u(ai)‖ < ε

gilt.

Satz 17.14 (Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung). Es sei u : [0, T ] → XBochner-integrierbar. Dann ist U : [0, T ]→ X,

U(t) :=ˆ t

0u(s)ds ,

absolut stetig und fast überall (klassisch) differenzierbar mit U ′(t) = u(t) – insbesonderein Stetigkeitspunkten von u.

135 Differentialgleichungen III

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17 Bochner-Integral

Beweisskizze. Wir haben fast überall

U(t+ h)− U(t)h

= 1h

ˆ t+h

tu(s)ds→ u(t) .

Für paarweise disjunkte Intervalle (ai, bi) ⊂ [0, T ] haben wir außerdem

∑‖U(bi)− U(ai)‖ ≤

∑ˆ bi

ai

‖u(s)‖ds .

Da ‖u(·)‖ Lebesgue-integrierbar ist, ist t 7→´ t

0‖u(s)‖ds absolut stetig, woraus die Behaup-tung folgt.

Die Umkehrung dieses Satzes gilt jedoch nicht, das heißt aus Absolutstetigkeit folgt imallgemeinen nicht die Differenzierbarkeit fast überall.Beispiel 17.15. Es sei u die Funktion aus Beispiel 17.5. Wir betrachten u : [0, 1]→ L1(0, 1),

[u(t)](x) := u(x, t) .

Dann ist u absolut stetig: Für s, t ∈ [0, 1], s < t, haben wir

‖u(t)− u(s)‖L1 =ˆ 1

0

∣∣∣[u(t)](x)− [u(s)](x)∣∣∣dx =

ˆ s

00dx+

ˆ t

s1dx+

ˆ 1

t0dx = t− s ,

also sogar Lipschitz-Stetigkeit von u. Angenommen, es gäbe nun eine Funktion v : [0, 1]→L1(0, 1), so dass u′(t) = v(t) für fast alle ∈ [0, 1] gilt. Dann wäre

0 = limh0

∥∥∥∥ u(t+ h)− u(t)h

− v(t)∥∥∥∥

= lim(ˆ t

0|[v(t)](x)|dx+

ˆ t+h

t

∣∣1h− [v(t)](x)

∣∣dx+ˆ 1

t+h|[v(t)](x)|dx

)

=ˆ 1

0|[v(t)](x)|dx+ lim

ˆ t+h

t

∣∣1h− [v(t)](x)

∣∣dx ≥ ‖v(t)‖ ,

also v = 0. Es ist jedoch

limh→0

∥∥∥∥ u(t+ h)− u(t)h

∥∥∥∥ = limh→0

1h

(0 + h+ 0) = 1 6= 0 .

Ist der betrachtete Banach-Raum jedoch reflexiv, so gilt die Umkehrung.

Satz 17.16 (Komura). Sei X reflexiv. Ist nun v : [0, T ] → X absolut stetig, so gibt eseine Bochner-integrierbare Funktion u : [0, T ]→ X, so dass v′(t) = u(t) und v(t) = v(0) +´ t

0 u(s)ds für fast alle t ∈ [0, T ] gelten.

17.3 Die Räume Lp(0, T ; X)

Wir führen analog zum Fall reellwertiger Funktionen die Lp-Räume ein.

Definition 17.17. Sei 1 ≤ p < ∞. Dann bezeichne Lp(0, T ;X) die Menge (von Äquiva-lenzklassen) von Bochner-messbaren Funktionen u : (0, T )→ X, für die

‖u‖Lp(0,T ;X) :=(ˆ T

0‖u(t)‖pXdt

) 1p

<∞ .

Differentialgleichungen III 136

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17.3 Die Räume Lp(0, T ;X)

Für p =∞ setzen wir‖u‖L∞(0,T ;X) := ess sup

t∈(0,T )‖u(t)‖ .

Mit L1loc(0, T ;X) bezeichnen wir den Raum aller u : (0, T )→ X, so dass u1K ∈ L1(0, T ;X)

für beliebige kompakte Mengen K ⊂ (0, T ).

Diese Räume besitzen diverse aus dem Fall X = R bekannte Eigenschaften.

Satz 17.18. Es gelten die folgenden Aussagen.

(i) Für 1 ≤ p ≤ ∞ ist Lp(0, T ;X) mit der Norm ‖·‖Lp(0,T ;X) ein Banach-Raum.

(ii) Für 1 ≤ p <∞ liegen die einfachen Funktionen dicht in Lp(0, T ;X).

(iii) Für 1 ≤ p <∞ giltC([0, T ], X) d

→ Lp(0, T ;X) .

(iv) Ist X separabel und ist 1 ≤ p <∞, so ist auch Lp(0, T ;X) separabel.

(v) Es gelte 1p + 1

q = 1. Sei u ∈ Lp(0, T ;X) und sei v ∈ Lq(0, T ;X∗). Dann ist t 7→〈v(t), u(t)〉 ∈ L1(0, T ) und es gilt die Hölder-Ungleichung

ˆ T

0|〈v(t), u(t)〉|dt ≤ ‖v‖Lq(0,T ;X∗)‖u‖Lp(0,T ;X) .

(vi) Ist 1 < p <∞ und ist X reflexiv, so ist Lp(0, T ;X) reflexiv.

(vii) Ist 1 ≤ p <∞ und ist entweder X reflexiv oder X∗ separabel, dann ist

Lq(0, T ;X∗) ∼=(Lp(0, T ;X)

)∗,

wobei 1p + 1

q = 1.

(viii) Ist H = X ein Hilbert-Raum, so ist auch L2(0, T ;H) ein Hilbertraum mit demSkalarprodukt

(u, v)L2(0,T ;H) :=ˆ T

0(u(t), v(t))Hdt .

(ix) Ist Y ein weiterer Banach-Raum mit X → Y , so ist

Lp(0, T ;X) → Lr(0, T ;Y ) ,

falls p ≥ r ≥ 1.

Beweis. Analog zum Standardfall.

Lemma 17.19. Ist u : (0, T )→ Lp(Ω), wobei Ω ⊂ Rd offen ist und 1 ≤ p ≤ ∞, Bochner-messbar, so ist

u : (0, T )× Ω→ R , u(x, t) :=[u(t)

](x) ,

t ∈ [0, T ], x ∈ Ω, so ist u Lebesgue-messbar.

Beweis. Übungsaufgabe.

137 Differentialgleichungen III

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17 Bochner-Integral

Bemerkung 17.20. Beispiel 17.5 zeigt, dass die Umkehrung zumindest für p = ∞ nichtgilt.

Lemma 17.21. Für 1 ≤ p <∞ gilt

Lp(0, T ;Lp(Ω)

) ∼= Lp((0, T )× Ω

).

Beweis. Übungsaufgabe.

Bemerkung 17.22. Für p =∞ gilt nur

L∞(0, T ;L∞(Ω)

)( L∞

((0, T )× Ω

).

Differentialgleichungen III 138

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18 Zeitableitungen und der Raum W(0, T )

Im Folgenden sei (X, ‖·‖) ein reflexiver Banach-Raum.

18.1 Zeitableitung

Wir führen den Begriff der schwachen Ableitung wie in Differentialgleichungen IIA ein.

Definition 18.1. Seien u, v ∈ L1loc(0, T ;X). Dann heißt v schwache Ableitung von u und

wird mit u′ bezeichnet, fallsˆ T

0u(t)φ′(t)dt = −

ˆ T

0v(t)φ(t)dt

für alle φ ∈ C∞0 (0, T ) gilt.

Auch das Fundamentallemma der Variationsrechnung gilt in diesem Fall.

Satz 18.2 (Fundamentallemma). Es sei u ∈ L1loc(0, T ;X) mit

ˆ T

0u(t)φ(t)dt = 0

für alle φ ∈ C∞0 (0, T ). Dann folgt u = 0 fast überall auf (0, T ).

Langer, „lustiger“ Beweis für einen Spezialfall. Wir betrachten nur den Fall u ∈ L1(0, T ).Es seien t0 ∈ (0, T ) und ε > 0 beliebig und ψ ∈ C∞0 (0, T ) mit ψ(t) ∈ [0, 1] und

ψ(t) =

1 für t ∈ (ε, t0 − ε)0 für t < ε

2 oder t > t0 − ε2 .

Dann ist 0 =´ T

0 u(t)ψ(t)dt =´ t0

0 u(t)ψ(t)dt, also∥∥∥∥∥ˆ t0

0u(t)dt

∥∥∥∥∥ =∥∥∥∥∥ˆ t0

0u(t)dt−

ˆ t0

0u(t)ψ(t)dt

∥∥∥∥∥≤ˆ ε

0‖u(t)‖

(1− ψ(t)

)dt+

ˆ t0

t0−ε‖u(t)‖

(1− ψ(t)

)dt

≤ˆ ε

0‖u(t)‖dt+

ˆ t0

t0−ε‖u(t)‖dt ε→0−−−→ 0 .

Hiermit folgt ˆ t0

0u(t)dt = 0

für alle t0 ∈ (0, T ), d.h. u(t) = 0 als Ableitung einer konstanten Funktion fast überall auf(0, T ).

Kurzer Beweis für den allgemeinen Fall. Für beliebiges f ∈ X∗ folgt wegenˆ T

0〈f, u(t)〉φ(t)dt =

⟨f,

ˆ T

0u(t)φ(t)dt

⟩= 0

und dem bereits bekannten Fundamentallemma 5.5, dass 〈f, u(t)〉 und damit auch u(t)fast überall Null ist.

139 Differentialgleichungen III

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18 Zeitableitungen und der Raum W(0, T )

Aus dem Fundamentallemma erhalten wir wieder das folgende Korollar.

Korollar 18.3. Gilt ˆ T

0u(t)φ′(t)dt = 0

für alle φ ∈ C∞0 (0, T ), so gibt es ein u0 ∈ X mit u(t) = u0 fast überall auf (0, T ).

Nun geben wir einige Charakterisierungen der schwachen Ableitung an.

Satz 18.4. Es seien u, v ∈ L1(0, T ;X). Dann sind die folgenden Aussagen äquivalent:

(i) Die Funktion v ist schwache Ableitung von u.

(ii) Für alle f ∈ X∗ ist t 7→ 〈f, v(t)〉 schwache Ableitung von t 7→ 〈f, u(t)〉.

(iii) Es gibt ein u0 ∈ X mit

u(t) = u0 +ˆ t

0v(s)ds

für fast alle t ∈ (0, T ).

Beweis. (i)⇔(ii): Für ein beliebiges φ ∈ C∞0 (0, T ) giltˆ T

0v(t)φ(t)dt = −

ˆu(t)φ′(t)dt

genau dann, wennˆ T

0〈f, v(t)〉φ(t)dt =

⟨f,

ˆ T

0v(t)φ(t)dt

⟩=⟨f,−ˆ T

0u(t)φ′(t)dt

= −ˆ T

0〈f, u(t)〉φ′(t)dt

für alle f ∈ X∗ erfüllt ist.(i)⇒(iii): Für beliebiges φ ∈ C∞0 (0, T ) betrachten wir

ˆ T

0

(u(t)−

ˆ t

0v(s)ds

)φ′(t)dt =

ˆ T

0u(t)φ′(t)dt−

ˆ T

0

ˆ t

0v(s)φ′(s)dsdt

= −ˆ T

0v(t)φ(t)dt−

ˆ T

0v(s)ˆ T

sφ′(t)dt︸ ︷︷ ︸

=φ(T )−φ(s)=−φ(s)

ds = 0 .

Mit Korollar 18.3 folgt die Existenz eines u0 ∈ X mit u(t)−´ t

0 v(s)ds = u0.(iii)⇒(i): Ist fast überall u(t)−

´ t0 v(s)ds = const, so folgt für beliebiges φ ∈ C∞0 (0, T )

ˆ T

0

(u(t)−

ˆ t

0v(s)ds

)φ′(t)dt =

ˆ T

0u(t)φ′(t) +

ˆ T

0u(s)φ(s)ds = 0 .

Wir definieren nun den Räume W 1,1 analog zum bekannten Fall.

Differentialgleichungen III 140

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18.1 Zeitableitung

Definition 18.5. Mit W 1,1(0, T ;X) bezeichnen wir den Raum aller u ∈ L1(0, T ;X),welche eine schwache Ableitung u′ besitzen, welche in L1(0, T ;X) liegt. Durch

‖u‖W 1,1(0,T ;X) := ‖u‖L1(0,T ;X) + ‖u′‖L1(0,T ;X)

wird eine Norm auf W 1,1(0, T ;X) definiert.

Auch die erwarteten Eigenschaften von W 1,1 lassen sich zeigen.

Satz 18.6. Der Raum (W 1,1(0, T ;X) mit der Norm ‖·‖W 1,1(0,T ;X) ist ein Banach-Raum.Jedes u ∈W 1,1(0, T ;X) ist fast überall gleich einer absolut stetigen Funktion und es gilt

W 1,1(0, T ;X) → C([0, T ];X) .

Beweisskizze. Zur Vollständigkeit: Es sei un eine Cauchy-Folge in W 1,1(0, T ;X). Dannsind un und u′n Cauchy-Folgen in L1(0, T ;X), es gibt also u und v, so dass un → uund u′n → v in L1(0, T ;X). Für φ ∈ C∞0 (0, T ) gilt nu

−ˆ T

0u(t)φ′(t)dt← −

ˆ T

0un(t)φ′(t)dt =

ˆ T

0u′n(t)φ(t)dt→

ˆ T

0v(t)φ(t)dt ,

da z.B. nach Hölder∥∥∥∥∥ˆ T

0u′n(t)φ(t)dt−

ˆv(t)φ(t)dt

∥∥∥∥∥ ≤ˆ T

0‖u′n(t)− v(t)‖|φ(t)|dt

≤ ‖φ‖∞‖u′n − v‖L1(0,T ;X) → 0 .

Da u, u′ ∈ L1(0, T ;X), gibt es ein u0 ∈ X, so dass

u(t) = u0 +ˆ t

0u′(s)ds ,

d.h. u ist absolut stetig.Falls der Mittelwertsatz für Bochner-Integrale gilt, folgt

1T

ˆ T

0u(s)ds = u(t0)

für ein t0 ∈ (0, T ). Damit gilt

u(t) = 1T

ˆ T

0u(s)ds+

ˆ t

t0

u′(s)ds

und es folgt

‖u(t)‖ ≤ 1T

ˆ T

0‖u(s)‖ds+

ˆ T

0‖u′(s)‖ds ≤ max

1T, 1‖u‖W 1,1(0,T ;X)

für alle t ∈ (0, T ).

141 Differentialgleichungen III

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18 Zeitableitungen und der Raum W(0, T )

18.2 Der Raum W(0, T )

Definition 18.7. Es sei (V, ‖·‖) ein reeller reflexiver und separabler Banach-Raum und(H, |·|, (· , ·)) sei ein Hilbert-Raum mit

Vd→ H .

Es gilt dann H∗ d→ V ∗. Dann heißt

V ⊂ H ∼= H∗ ⊂ V ∗

Gelfand-Dreier bzw. Evolutionstripel.

Bemerkung 18.8. Der Raum H heißt Pivot-Raum. Wir schreiben V ⊂ H ⊂ V ∗. In Vhaben wir die Norm ‖·‖, in H die Norm |·| und das Skalarprodukt (· , ·), in V ∗ die Norm‖·‖∗ und für V und V ∗ die duale Paarung 〈· , ·〉.

V ⊂ H ⊂ V ∗

‖·‖ |·| ‖·‖∗(· , ·)

〈· ·〉

Es gilt für g ∈ H = H∗ ⊂ V ∗ und u ∈ V

〈g, u〉 = (g, u) .

Beispiel 18.9. (1) Für V = H10 (Ω) und V ∗ = H−1(Ω) haben wir H = L2(Ω).

(2) Für V = W 1,p0 (Ω) und V ∗ = W−1,q(Ω) haben wir H = L2(Ω).

(3) Wir wählen V = Lp(Ω), V ∗ = Lq(Ω). Dann können wir H = H−1(Ω), H∗ = H10 (Ω)

wählen.

Definition 18.10. Es sei V ⊂ H ⊂ V ∗ ein Gelfand-Dreier. Wir definieren W(0, T ) alsdie Menge aller Funktionen u ∈ L2(0, T ;V ), welche eine schwache Ableitung besitzen, diein L2(0, T ;V ∗) liegt. Darauf definieren wir die Norm

‖u‖2W(0,T ) := ‖u‖2L2(0,T ;V ) + ‖u′‖2L2(0,T ;V ∗) .

Weiterhin ist Wp(0, T ) der Raum aller u ∈ Lp(0, T ;V ), für die eine schwache Ableitung u′in Lq(0, T ;V ∗) existiert (wobei 1

p + 1q = 1), mit der Norm

‖u‖Wp(0,T ) := ‖u‖Lp(0,T ;V ) + ‖u′‖Lq(0,T ;V ∗) .

Satz 18.11. Es gelten die folgenden Aussagen:

(i) Der Raum W(0, T ) ist ein Banach-Raum.

(ii) Es giltW(0, T ) → C([0, T ], H) .

(iii) Der Raum C∞([0, T ], V ) ist dicht in W(0, T ).

Differentialgleichungen III 142

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18.2 Der Raum W(0, T )

(iv) Es gilt die Regel der partiellen Integration, d.h. für alle u, v ∈ W(0, T ) und 0 ≤ s ≤t ≤ T gilt

ˆ t

s

(〈u′(τ), v(τ)〉+ 〈v′(τ), u(τ)〉

)dτ =

(u(t), v(t)

)−(u(s), v(s)

).

Beweis. (i): Zunächst istW(0, T ) wohldefiniert, denn es gilt L2(0, T ;V ) → L2(0, T ;V ∗) →L1(0, T ;V ∗). Insbesondere liegen sowohl u ∈ W(0, T ) und v = u′ in L1(0, T ;V ∗). Wirverstehen die schwache Ableitung also als Ableitung von Funktionen (0, T )→ V ∗.Zur Vollsändigkeit: Ist un ⊂ W(0, T ) eine Cauchy-Folge, so ist un eine Cauchy-Folgein L2(0, T ;V ) und u′n eine Cauchy-Folge in L2(0, T ;V ∗), d.h. es gibt u ∈ L2(0, T ;V ) undv ∈ L2(0, T ;V ∗) mit un → u in L2(0, T ;V ) und u′n → v in L2(0, T ;V ∗). Für φ ∈ C∞0 (0, T )gilt nunˆ T

0u(t)φ′(t)dt =

ˆ T

0(u(t)− un(t))φ′(t)dt−

ˆ T

0(u′n(t)− v(t))φ(t)dt−

ˆv(t)φ(t)dt

→ −ˆ T

0v(t)φ(t)dt ,

also u′ = v.(iii): Wie üblich mittels Glättung: Sei u ∈ W(0, T ), ε0 > ε > 0. Wir setzen

uε := ρε ∗ u ∈ C∞(R, V ) .

Dann folgt uε → u in L2(ε0, T − ε0, V ). Außerdem ist (uε)′ = (u′)ε und u′ε → u′ inL2(ε0, T − ε0, V

∗), was die Konvergenz von uε gegen u in W(ε0, T − ε0) zeigt. Z.B. durchZerlegung der Eins können wir das ε0 loswerden.(ii): Es sei u ∈ C1([0, T ];V ). Es sei φ : [0, T ] → [0, 1] mit φ(0) = 0 und φ(T ) = 1 glatt.Wir zerlegen nun

u = φu︸︷︷︸=:u1

+ (1− φ)u︸ ︷︷ ︸=:u2

.

Dann ist u1(0) = u2(T ) = 0. Mit der üblichen Regel der partiellen Integration erhaltenwir (

u1(t), u(t))

=(u1(0), u(0)

)+ˆ t

0

[〈u′1(s), u(s)〉+ 〈u′(s), u1(s)〉

]ds

= 2ˆ t

0φ(s)〈u′(s), u(s)〉ds+

ˆ t

0φ′(s)|u(s)|2ds

und analog

(u2(t), u(t)

)=ˆ T

tφ′(s)|u′(s)|2ds+ 2

ˆ T

t(1− φ(s))〈u′(s), u(s)〉ds .

Damit erhalten wir

|u(t)|2 =(u(t), u(t)

)=ˆ T

0φ′(s)|u(s)|2ds+2

ˆ T

0φ(s)〈u′(s), u(s)〉ds−2

ˆ T

t〈u′(s), u(s)〉ds .

Mit |·| ≤ α‖·‖ (denn V → H) erhalten wir

|u(t)|2 ≤ ‖φ′‖∞α2‖u‖2L2(0,T ;V ) + 4ˆ T

0‖u′(s)‖∗‖u(s)‖ds

≤(‖φ′‖∞α2 + 2

)‖u‖2L2(0,T ;) + 2‖u′‖2L2(0,T ;V ∗) ≤ const‖u‖2W(0,T ) .

143 Differentialgleichungen III

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18 Zeitableitungen und der Raum W(0, T )

Ist nun u ∈ W(0, T ), so gibt es un ⊂ C∞(0, T ;V ), so dass un → u in W(0, T ). Wirerhalten

‖un − um‖C([0,T ];H) ≤ const‖un − um‖W(0,T ) .

Somit ist un eine Cauchy-Folge in C([0, T ];H), konvergiert also gegen u in C([0, T ];H).Damit erhalten wir u = u fast überall.(iv): Für u, v ∈ C1([0, T ], V ) gilt diese Regel, für u, v ∈ W(0, T ) folgt sie mit einemDichtheitsargument.

Korollar 18.12. Für u ∈ W(0, T ) gilt

12

ddt |u(t)|2 = 〈u′(t), u(t)〉 .

Hierbei ist die Ableitung im schwachen Sinne und im klassischen Sinne fast überall zuverstehen.

Beweis. Es gilt u ∈ L2(0, T ;V ) → L2(0, T ;H), d.h. t 7→ |u(t)|2 und t 7→ 〈u′(t), u(t)〉 sindFunktionen aus L1(0, T ). Wir erhalten für φ ∈ C∞0 (0, T )

0 =ˆ T

0〈u′(t), φ(t)u(t)〉dt+

ˆ T

0〈(φv)′(t), u(t)〉dt

= 2ˆ T

0〈u′(t), u(t)〉φ(t)dt+

ˆ T

0φ′(t)|u(t)|2dt .

Da t 7→ |u(t)|2 und t 7→ 〈u′(t), u(t)〉 Lebesgue-integrierbar snd, ist t 7→ |u(t)|2 absolutstetig und damit fast überall (klassisch) differenzierbar.

Satz 18.13 (Lions-Aubin). Es sei T > 0, 1 < r, s < ∞ und V1, V0 und V−1 Banach-Räume mit V1

c→ V0 → V−1. Dann ist der Raum der Funktionen u ∈ Lr(0, T ;V1) mit

schwacher Ableitung in Ls(0, T ;V−1) mit der Norm ‖u‖Lr(0,T ;V1) + ‖u′‖Ls(0,T ;V−1) kompaktin Lr(0, T ;V0) eingebettet.

Beweis. (Ruzicka)

Korollar 18.14. Ist V ⊂ H ⊂ V ∗ ein Gelfand-Dreier mit V c→ H, so istW(0, T ) kompakt

in L2(0, T ;H) eingebettet.

Differentialgleichungen III 144

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19 Lineare Evolutionsgleichungen erster Ordnung

19.1 Voraussetzungen und Formulierung

Nachdem nun die Grundlagen bekannt sind, beschäftigen wir uns in diesem Kapitel mitder Lösbarkeit von Evolutionsgleichungen. Zunächst sammeln wir dazu einige allgemeineVoraussetzungen.Es sei ein Gelfand-Dreier V ⊂ H ⊂ V ∗ gegeben und es gelten in diesem Kapitel diefolgenden Voraussetzungen:

(a) Es sei a : [0, T ] × V × V → R eine Abbildung, so dass für festes t ∈ [0, T ] durcha(t; · , ·) : V ×V → R eine Bilinearform gegeben ist und für feste u, v ∈ V die Abbildunga(· ;u, v) : [0, T ]→ R Lebesgue-messbar ist.

(b) Die Abbildung a ist bezüglich des ersten Argumentes gleichmäßig beschränkt im zwei-ten und dritten Argument, d.h. es gibt ein β ≥ 0, so dass

|a(t;u, v)| ≤ β‖u‖‖v‖

für alle u, v ∈ V und t ∈ [0, T ].

(c) Die Abbildung a genügt einer Gårdingschen Ungleichung, d.h. es gebe µ > 0 undκ ≥ 0, so dass

a(t;u, u) ≥ µ‖u‖2 − κ|u|2

für alle u ∈ V und t ∈ [0, T ]. Ist κ = 0, so ist also a(t; · , ·) stark positiv für beliebigest ∈ [0, T ].

Für festes t ∈ [0, T ] und u ∈ V ist also

A(t)u := a(t;u, ·) ∈ V ∗

mit ‖A(t)u‖∗ ≤ β‖u‖.Für festes t ∈ [0, T ] ist dann

A(t) : V → V ∗ , u 7→ A(t)u

ein linearer beschränkter Operator mit ‖A(t)‖L(V,V ∗) ≤ β.Schließlich setzen wir

A : [0, T ]→ L(V, V ∗) , t 7→ A(t) .

Die Gårdingsche Ungleichung ist dann äquivalent dazu, dass

A(t) + κI ∈ L(V, V ∗)

stark positiv ist, wobei wir I : V → V ∗ über (Iv)w := (v, w) definieren. Es ist nämlich⟨(A(t) + κI)u, u

⟩= 〈A(t)u, u〉+ κ〈Iu, u〉 = a(t;u, u) + κ|u|2 .

Für u : [0, T ] → V definieren wir den Nemyzki-Operator u 7→ Au, Au : [0, T ] → V ∗, über(Au)(t) := A(t)u(t).

145 Differentialgleichungen III

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19 Lineare Evolutionsgleichungen erster Ordnung

Lemma 19.1. Dieser Nemyzki-Operator u 7→ Au bildet Bochner-messbare Funktionenauf Bochner-messbare Funktionen ab. Weiterhin ist die so definierte Abbildung

A : L2(0, T ;V )→ L2(0, T ;V ∗)

linear und beschränkt.

Beweis. Es sei für die Bochner-messbare Funktion u : [0, T ]→ V eine Folge un einfacherFunktionen gegeben, so dass un → u fast überall gilt. Dann haben wir

(Aun)(t) = A(t)un(t) = A(t)Nn∑k=1

u(k)n 1

E(k)n

(t) =Nn∑k=1

A(t)u(k)n 1

E(k)n

(t) .

Für alle w ∈ V gilt damit

〈(Aun)(t), w〉 =Nn∑k=1

a(t;u(k)n , w)1

E(k)n

(t) .

Nach der Messbarkeitsvoraussetzung ist damit die Abbildung t 7→ 〈(Aun)(t), w〉 für jedesw ∈ V Lebesgue-messbar. Da A(t) ∈ L(V, V ∗), folgt

(Aun)(t) = A(t)un(t)→ A(t)u(t) = (Au)(t)

in V ∗ für fast alle t ∈ [0, T ], insbesondere also 〈(Aun)(t), w〉 → 〈(Au)(t), w〉 für alle w ∈ V .Damit ist t 7→ 〈(Au)(t), w〉 für alle w ∈ V Lebesgue-messbar, d.h. Au ist schwach Bochner-messbar. Da V ∗ separabel ist, ist Au nach dem Satz 17.7 von Pettis Bochner-messbar.Für u ∈ L2(0, T ;V ∗) ist

‖Au‖2L2(0,T ;V ∗) =ˆ T

0‖(Au)(t)‖2∗dt =

ˆ T

0‖A(t)u(t)‖2∗dt

≤ˆ T

0β2‖u(t)‖2dt = β2‖u‖2L2(0,T ;V ) .

Mit der Gårdingschen Ungleichung ist außerdem

A+ κI : L2(0, T ;V )→ L2(0, T ;V ∗)

beschränkt und stark positiv, wobei I punktweise anzuwenden ist.Wir formulieren nun das zu untersuchende Problem:

Zu f ∈ L2(0, T ;V ∗) und u0 ∈ H finde u ∈ W(0, T ) mitu′ +Au = f (PL)

in L2(0, T ;V ∗) und u(0) = u0 .

Da W(0, T ) → C([0, T ], H), ist der Ausdruck u(0) = u0 wohldefiniert und als Gleichheitin H zu verstehen.Für u ∈ W(0, T ) ist insbesondere u′ ∈ L2(0, T ;V ∗) ⊂ L1(0, T ;V ∗). Damit ist u absolutstetig als Funktion u : [0, T ]→ V ∗. Mit der Reflexivität und dem Satz 17.16 von Komura

Differentialgleichungen III 146

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19.2 Existenz und Eindeutigkeit von Lösungen

folgt die Existenz einer klassischen Ableitung u′(t) fast überall, welche mit der schwachenAbleitung übereinstimmt, es soll also

u′(t) + (Au)(t) = f(t)

für fast alle t ∈ [0, T ] in V ∗ gelten.Da L2(0, T ;V ∗) =

(L2(0, T ;V )

)∗, ist die Gleichung aus (PL) äquivalent zu

〈u′ +Au, v〉(L2(0,T ;V )

)∗×L2(0,T ;V )

= 〈f, v〉(L2(0,T ;V )

)∗×L2(0,T ;V )

für alle v ∈ L2(0, T ;V ). Dies schreibt sich alsˆ T

0

⟨u′(t) + (Au)(t), v(t)

⟩V ∗×V dt =

ˆ T

0〈f(t), v(t)〉V ∗×V dt .

Da C∞0 (0, T ) ⊗ V dicht in L2(0, T ;V ) liegt (Übung), reicht es, mit v(t) = φ(t)w, φ ∈C∞0 (0, T ), w ∈ V , zu testen. Dafür erhalten wir

ˆ T

0

⟨u′(t) + (Au)(t), w

⟩φ(t)dt =

ˆ T

0〈f(t), w〉φ(t)dt

für alle w ∈ V und φ ∈ C∞0 (0, T ). Nach dem Fundamentallemma 18.2 erhalten wir⟨u′(t)+

(Au)(t), w⟩

= 〈f(t), w〉 für alle w ∈ V und fast alle t ∈ [0, T ]. Die Gleichung aus (PL) istdamit äquivalent zu

ddt〈u(t), w〉+ 〈(Au)(t), w〉 = 〈f(t), w〉

für alle w ∈ V .

19.2 Existenz und Eindeutigkeit von Lösungen

Satz 19.2 (Lions). Das Problem (PL) ist wohlgestellt: Es ist eindeutig lösbar und es gibtStabilitätsabschätzungen.

Bemerkung 19.3 (Tartar/Temam). Es können rechte Seiten aus L1(0, T ;H)+L2(0, T ;V ∗)zugelassen werden.

Beweis zu Satz 19.2. (1). Wir führen eine Zeitdiskretisierung durch. Zu N ∈ N setzen wirτ = T

N . Wir zerlegen damit [0, T ] mit den Stellen tn = nτ , n = 0, . . . , N . Nun wenden wirdas implizite Eulerverfahren an. Weiter setzen wir

fn := 1τ

ˆ tn

tn−1

f(t)dt ∈ V ∗ ,

n = 1, . . . , N . Wir betrachten nun das diskrete Problem, zu un−1 ∈ V ein un ∈ V zufinden, so dass

Iun − Iun−1

τ+Anun = fn , n = 1, . . . , N ,

wobei u0 := u0. Wir klären nun, welche Diskretisierung An für A verwendet wird. Ist Azeitabhängig, so sei z.B.

An := 1τ

ˆ tn

tn−1

A(t)dt ∈ L(V, V ∗) .

147 Differentialgleichungen III

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19 Lineare Evolutionsgleichungen erster Ordnung

Im Folgenden betrachten wir jedoch zeitlich konstantes A, d.h. An = A und wir betrachten

Iun − Iun−1

τ+Aun = fn . (19.1)

Weiter nehmen wir κ = 0 an, d.h. A sei stark positiv.(2). Für n = 1, . . . , N betrachten wir(1

τI +A

)un = fn + 1

τIun−1 (19.2)

in V ∗ mit u0 = u0. Es ist 1τ I +A : V → V ∗ ein linearer, beschränkter Operator, wobei wir

die Beschränktheit aus⟨( 1τ I +A)v, w

⟩= 1τ

(v, w) + 〈Av,w〉 ≤ 1τ|v||w|+ β‖v‖‖w‖ ≤

(1τ

const + β

)‖v‖‖w‖

für alle v, w ∈ V erhalten. Außerdem ist 1τ I +A stark positiv, denn für v ∈ V haben wir⟨(1

τI +A

)v, v

⟩≥ 1τ|v|2 + µ‖v‖2 ≥ µ‖v‖2 .

Nach dem Lemma ??? von Lax-Milgram gibt es für n = 1, . . . , N also genau eine Lösung Nummer desLemmas einzu-fügen. Lemmaebenfallseinzufügen.

un ∈ V von (19.2).Im Folgenden verzichten wir darauf, Iun ∈ V ∗ zu schreiben und identifizieren stattdessenun bereits mit Iun.(3). Wir wollen nun eine diskrete a-priori-Abschätzung machen. Wir testen (19.1) mitun ∈ V :

(un − un−1, un) + 〈Aun, un〉 = 〈fn, un〉 .

Mit der Nebenrechnung

(a− b)a = 12a

2 − 12b

2 + 12(a− b)2 ,

welche sich analog auf Hilbert-Räume übertragen lässt, erhalten wir12τ(|un|2 − |un−1|+ |un − un−1|2

)+ µ‖un‖2 ≤ 1

τ(un − un−1, un) + 〈Aun, un〉︸ ︷︷ ︸

≥µ‖un‖2

= 〈fn, un〉 ≤ ‖fn‖∗‖un‖

≤ µ

2 ‖un‖2 + 1

2µ‖fn‖2∗ .

Insgesamt ergibt dies

|un|2 − |un−1|2 + |un − un−1|2 + τµ‖un‖2 ≤ τ

µ‖fn‖2∗ .

Aufsummieren über n von 1 bis m ∈ N liefert

|um|2 − |u0|2 +m∑i=1|ui − ui−1|2 + µτ

m∑i=1‖ui‖2 ≤ τ

µ

m∑i=1‖f i‖2∗ .

Somit ist für m = 1, . . . , N

|um|2 ≤ τ

µ

N∑i=1‖f i‖2∗ + |u0|2

Differentialgleichungen III 148

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19.2 Existenz und Eindeutigkeit von Lösungen

und ebensoN∑i=1|ui − ui−1|2 + µτ

N∑i=1‖ui‖2 ≤ τ

µ

N∑i=1‖f i‖2∗ + |u0|2 .

Weiter folgt ∥∥∥∥∥un − un−1

τ

∥∥∥∥∥∗

= ‖fn −Aun‖∗ ≤ ‖fn‖∗ + β‖un‖ .

Damit erhalten wir

τN∑i=1

∥∥∥∥∥un − un−1

τ

∥∥∥∥∥2

∗≤ 2τ

N∑i=1‖f i‖2∗ + 2βτ

N∑i=1‖ui‖2

≤ 2τN∑i=1‖f i‖2∗ + 2 β

µ2 τN∑i=1‖f i‖2∗ + 1

µ|u0|2

≤ 2τ(

1 + β

µ2

) N∑i=1‖f i‖2∗ + 1

µ|u0|2 .

(4). Für t ∈ (tn−1, tn] setzen wiruτ (t) := un .

Weiter sei uτ (t) die stückweise lineare Funktion, d.h. für t ∈ (tn−1, t] setzen wir

uτ (t) := un−1 + (t− tn−1)un − un−1

τ.

Wir setzen jeweils uτ (0) = uτ (0) = u0. Analog definieren wir die stückweise konstanteFunktion fτ durch fτ (t) := fn.Dann ist uτ schwach differenzierbar. mit u′τ (t) = un−un−1

τ für t ∈ (tn−1, tn]. Die Gleichung(19.1) lässt sich nun als

u′τ +Auτ = fτ

schreiben.(5). Wir geben nun a-priori-Abschätzungen für die Näherungslösungen an. Zu Nl ∈ N,l ∈ N, betrachten wir die Diskretisierung in Nl Teilintervalle, d.h. τl := T

Nl. Außerdem

seien (u0l ) ⊂ V mit u0

l → u0 in H. Für l ∈ N seien uτl , uτl und fτl wie in (4) definiert (mitu0 = u0

l ). Dann erhalten wir

‖fτl‖2L2(0,T ;V ∗) =

ˆ T

0‖fτl(t)‖2∗dt =

Nl∑i=1

ˆ tli

tli−1

‖f il ‖2∗

= τl

Nl∑i=1‖f il ‖2∗ = τl

Nl∑i=1

∥∥∥∥∥ 1τl

ˆ tli

tli−1

f(s)ds∥∥∥∥∥

2

≤ 1τl

Nl∑i=1

τ

ˆ tli

tli−1

‖f(s)‖2ds∗ = ‖f‖2L2(0,T ;V ∗) .

Da u0l → u0 in H gilt, ist |u0

l | beschränkt. Wir erhalten dann aus den diskreten a-priori-Abschätzungen

‖uτl‖L∞(0,T ;H) = maxi=1,...,Nl

|ui| ≤ const

τl Nl∑i=1‖f i‖2∗ + |u0

l |2 ≤ const <∞ .

149 Differentialgleichungen III

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19 Lineare Evolutionsgleichungen erster Ordnung

Analog erhalten wir ‖uτl‖L∞(0,T ;H) ≤ const und

‖uτl‖2L2(0,T ;V ) =

Nl∑i=1

ˆ tli

tli−1

‖uτl(t)‖2dt = τ∑i

‖uil‖2 ≤ const .

(6). Es ist für t ∈ (tn−1, tn]

u′τl(t) = unl − un−1l

τl,

also

‖u′τl(t)‖2L2(0,T ;V ∗) =

ˆ T

0‖u′τl(t)‖

2∗dt =

Nl∑i=1

ˆ tli

tli−1

∥∥∥∥∥uil − ui−1l

τl

∥∥∥∥∥2

∗dt

= τNl∑i=1

∥∥∥∥∥uil − ui−1l

τl

∥∥∥∥∥2

∗≤ const .

(7). Die Räume L2(0, T ;V ) und L2(0, T ;V ∗) sind reflexiv und

L∞(0, T ;H) =(L1(0, T ;H)

)∗ist der Dualraum eines separablen Raumes. Somit gibt es konvergente Teilfolgen (o.B.d.A.konvergiere jeweils die ganze Folge) von (uτ ) = (uτl) und (uτ ) = (uτl) mit Grenzwertenu ∈ L2(0, T ;V ) ∩ L∞(0, T ;H), u ∈ L∞(0, T ;H) und v ∈ L2(0, T ;V ∗) mit

uτ u in L2(0, T ;V ) ,uτ

∗− u in L∞(0, T ;H) ,uτ

∗− u in L∞(0, T ;H) undu′τ v in L2(0, T ;V ∗) .

Wir zeigen u = u: Für t ∈ (tn−1, tn] gilt

uτ (t)− uτ (t) = un−1 + (t− tn+1)un − un−1

τ− un .

Damit haben wir

|uτ (t)− uτ (t)| ≤ |un − un−1|+ t− tn−1τ︸ ︷︷ ︸≤1

|un − un−1| ≤ 2|un − un−1| .

Nun folgt

‖uτ − uτ‖2L2(0,T ;H) ≤ 4N∑i=1

ˆ ti

ti−1

|ui − ui−1|dt ≤ 4τN∑i=0|ui − ui−1|2 ≤ 4τconst τ→0−−−→ 0 .

Wir zeigen nun v = u′: Es sei w ∈ V , φ ∈ C∞0 (0, T ). Dann istˆ T

0〈v(t), w〉φ(t)dt+

ˆ T

0〈u(t), w〉φ′(t) =

ˆ T

0〈v(t)− u′τ (t), w〉φ(t)dt

+ˆ T

0〈u′τ (t), w〉φ(t)dt︸ ︷︷ ︸

=−´ T0 〈uτ (t),w〉φ′(t)dt

+ˆ T

0〈u(t), w〉φ′(t)dt

=ˆ T

0〈v(t)− u′τ (t), φ(t)w〉︸ ︷︷ ︸→0 , da u′τv in L2(0,T ;V ∗)

dt+ˆ T

0〈u(t)− uτ (t), φ′(t)w〉︸ ︷︷ ︸→0 , da uτu in L2(0,T ;V )

dt ,

Differentialgleichungen III 150

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19.2 Existenz und Eindeutigkeit von Lösungen

d.h. t 7→ 〈v(t), w〉 ist schwache Ableitung von t 7→ 〈u(t), w〉, also u′ = v. Damit istu ∈ W(0, T ).(8). Es ist fτ → f in L2(0, T ;V ∗) für τ → 0 (Übungsaufgabe). Weiter ist der OperatorA : L2(0, T ;V ) → L2(0, T ;V ∗) linear und beschränkt, also auch schwach-schwach stetig.Zusammen ergibt sich

u′τ + Auτ = fτ u′ + Au = f

in L2(0, T ;V ∗).(9). Nach Konstruktion ist uτl(0) = u0

l in V . Da W(0, T ) → C([0, T ];H), gibt es einenstetigen Spuroperator Γ: W(0, T ) → H, Γv := v(0). Dieser ist offenbar auch linear undsomit schwach-schwach stetig. Da uτ u in L2(0, T ;V ) und u′τ u′ in L2(0, T ;V ∗), folgtuτ u in W(0, T ). Damit erhalten wir Γuτ Γu in H, d.h. u0

l u0.Alternativ können wir statt des Spuroperators auch partielle Integration verwenden. Fürbeliebige w ∈ V und φ ∈ C1([0, T ]) betrachten wir(

uτ (T ), φ(T )w)−(uτ (0), φ(0)w

)︸ ︷︷ ︸→(u0,φ(0)w)

= 〈uτ (T ), φ(T )w〉 − 〈uτ (0), φ(0)w〉

=ˆ T

0〈u′τ (s), w〉φ(s)ds+

ˆ T

0〈uτ (s), w〉φ′(s)〉ds

→ˆ T

0〈u′(s), w〉φ(s)ds+

ˆ T

0〈u(s), w〉φ′(s)ds

= 〈u(T ), φ(T )w〉 − 〈u(0), φ(0)w〉 .

Da uτl(T ) = uNl , folgt aus den a-priori-Abschätzungen die Beschränktheit von uτl(T ) inH. Es gibt also ein ξ ∈ H, so dass bis auf Wahl einer Teilfolge uτl(T ) ξ. Wir erhalten(

uτ (T ), φ(T )w)−(uτ (0), φ(0)w

)→ (ξ, φ(T )w)− (u0, φ(0)w)= (u(T ), φ(T )w)− (u(0), φ(0)w) .

Wählen wir φ so, dass φ(T ) = 0 und φ(0) = 1, folgt (u0, w) = (u(0), w) für alle w ∈ V ,also u(0) = u0.Nun haben wir die Existenz einer Lösung bewiesen.(10). Wir zeigen Stabilitätsabschätzungen: Für jede Lösung w ∈ W(0, T ) von (PL) zurechter Seite g ∈ L2(0, T ;V ∗) und Anfangswert w0 ∈ H gilt

|w(t)|2 + µ

ˆ T

0‖w(s)‖2ds ≤ const

(|w0|2 + ‖g‖2L2(0,T ;V ∗)

).

Dazu erhalten wir fast überall

〈w′(t), w(t)〉+ 〈Aw(t), w(t)〉 = 〈g(t), w(t)〉 ,

also12

ddt |w(t)|2 + µ‖w(t)‖2 − κ|w(t)|2 ≤ ‖g(t)‖∗‖w(t)‖ ≤ µ

2 ‖w(t)‖2 + 12µ‖g(t)‖2∗ .

Dies ergibtddt |w(t)|2 + µ‖w(t)‖2 − 2κ|w(t)|2 ≤ const‖g(t)‖2∗ .

151 Differentialgleichungen III

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19 Lineare Evolutionsgleichungen erster Ordnung

Multiplizieren mit e−2κt liefert

e−2κt ddt |w(t)|2 − 2κe−2κt|w(t)|2 + µ‖w(t)‖2e−2κt ≤ const · e−2κt‖g(t)‖2∗ .

Wir erhalten durch Integrieren von 0 bis t

e−2κt|w(t)|2 − |w(0)|2 + µ

ˆ t

0e−2κs‖w(s)‖2ds ≤ const

ˆ t

0e−2κs‖g(s)‖2∗ds .

Damit ergibt sich

|w(t)|2 + µ

ˆ t

0e2κ(t−s)︸ ︷︷ ︸≥1

‖w(s)‖2ds ≤ constˆ T

0e2κ(t−s)︸ ︷︷ ︸≤e2κT

‖g(s)‖2∗ds+ e2κt︸︷︷︸≤e2κT

|w(0)|2 .

Letztlich erhalten wir

|w(t)|2 + µ

ˆ t

0‖w(s)‖2ds ≤ const

(|w(0)|2 +

ˆ t

0‖g(s)‖2∗ds

). (19.3)

(11). Damit folgt insbesondere auch die Eindeutigkeit der Lösung: Sind u, u ∈ W(0, T )zwei Lösungen, so folgt mit w = u− u, g ≡ 0 und w(0) = w0 = 0, dass w ≡ 0.(12). Nun konvergiert nach dem üblichen Teilfolgenprinzip auch die ganze Folge der uτl inW(0, T ) schwach gegen u (und nicht nur eine Teilfolge).(13). Als a-priori-Abschätzung für w′ haben wir (Übungsaufgabe)

‖w′‖L2(0,T ;V ∗) ≤ const(|w0|2 + ‖g‖L2(0,T ;V ∗)

).

19.3 Regularität und Glättungseigenschaft

Wir betrachten weiterhin die Gleichung

u′ = f −Au .

Leiten wir beide Seiten formal ab, so erhalten wir

u′′ = f ′ −Au′ −A′u

undu′′′ = f ′′ −Au′′ − 2A′u′ −A′′u . (19.4)

Allgemein ergibt sich für j ∈ N

u(j+1) = f (j) −j∑l=0

(j

l

)A(l)u(j−l) .

Durch Auswerten an der Stelle Null ergibt sich z.B.

u′0 := u′(0) = f(0)−A(0)u0 .

Differentialgleichungen III 152

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19.3 Regularität und Glättungseigenschaft

Allgemein haben wir also

u(j+1)0 = f (j)(0)−

j∑l=0

(j

l

)A(l)(0)u(j−l)

0 . (19.5)

Um dies durchführen zu können, wollen wir die folgenden „erweiterten Standardvorausset-zungen“ verwenden: Neben den Standardvoraussetzungen vom Beginn des Kapitels sei fürk ∈ N und für feste u, v ∈ V die Abbildung t 7→ a(t;u, v) sogar k-mal differenzierbar undhabe die Lebesgue-messbaren Ableitungen t 7→ a(j)(t;u, v), j = 1, . . . , k. Entsprechend seiA(j) : [0, T ] × V → V ∗ definiert. Die Formen a(j)(t) : V × V → R seien gleichmäßig in tbeschränkt, d.h. es existiere ein β ≥ 0, so dass

|a(j)(t;u, v)| ≤ β‖u‖‖v‖

für alle u, v ∈ V , t ∈ [0, T ] und j = 0, . . . , k. Die rechte Seite f ∈ L2(0, T ;V ∗) habeebenfalls Ableitungen f (j) ∈ L2(0, T ;V ∗) für j = 0, . . . , k. Wir stellen weiterhin die Kom-patibilitätsbedingungen, dass für j = 0, . . . , k Elemente u(j)

0 wie in (19.5) definiert. Danngelte u(j)

0 ∈ V für j = 0, . . . , k − 1 und u(k) ∈ H.Diese Kompatibilitätsbedingungen sind Bedingungen an f , A und deren Ableitungen, aberauch an V und H.

Satz 19.4. Unter den erweiterten Standardvoraussetzungen sei u ∈ W(0, T ) die eindeutigeLösung von (PL). Dann besitzt u schwache Ableitungen u(j) ∈ L2(0, T ;V ) für j = 0, . . . , kund u(k+1) ∈ L2(0, T ;V ∗). Insbesondere ist die Ableitungen der Ordnung j eine Funktionin W(0, T ).

Beweis. Für k = 1 betrachten wir in Anlehnung an (19.4) das Problem

v′ +Av = f ′ −A′u (19.6)

mit v(0) = u′0. Nach Voraussetzungen ist f ′ ∈ L2(0, T ;V ∗) und A′(t) : V → V ∗ gleichmäßigbeschränkt. Da u ∈ L2(0, T ;V ), ist A′u ∈ L2(0, T ;V ∗). Weiter ist u′0 ∈ H, nach dem Satz19.2 von Lions gibt es also genau eine Lösung v ∈ W(0, T ) von (19.6).Wir wollen nun zeigen, dass v = u′ gilt. Da v ∈ W(0, T ), können wir zunächst

v(t) = u′0 +ˆ t

0

(f ′(s)−A′(s)u(s)−A(s)v(s)

)ds

= −A(0)u0 + f(t)−ˆ t

0

(A′(s)u(s) +A(s)v(s)

)ds

= −A(0)u0 +A(t)u(t) + u′(t)−ˆ t

0

(A′(s)u(s) +A(s)v(s)

)ds

beobachten. Wir setzenw(t) =

ˆ t

0v(s)ds− u(t) + u0 .

Dann ist w′ = v−u′ ∈ L2(0, T ;V ∗), ebenso w ∈ L2(0, T ;V ) und damit w ∈ W(0, T ). Nun

153 Differentialgleichungen III

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19 Lineare Evolutionsgleichungen erster Ordnung

erhalten wir

A(t)w(t) = A(t)u0 +ˆ t

0A(t)v(s)ds−A(t)u(t)

= A(t)u0 +ˆ t

0

(A(t)−A(s)

)v(s)ds+

ˆ t

0A(s)v(s)ds−A(t)u(t)

= A(t)u0 +ˆ t

0

(A(t)−A(s)

)v(s)ds− v(t)−A(0)u0 + u′(t)−

ˆ t

0A′(s)u(s)ds

=ˆ t

0A′(s)

(u0 − u(s)

)ds+

ˆ t

0

(A(t)−A(s)

)v(s)ds− w′(t) .

Partielle Integration ergibtˆ t

0

(A(t)−A(s)

)v(s)ds =

ˆ t

0A′(s)

ˆ s

0v(τ)dτds−

(A(t)−A(s)

) ˆ s

0v(τ)dτ

∣∣∣∣ts=0︸ ︷︷ ︸

=0

.

Damit erhalten wir

w′(t) +A(t)w(t) =ˆ t

0A′(s)

(u0 − u(s) +

ˆ s

0v(τ)dτ

)ds =

ˆ t

0A′(s)w(s)ds .

Weiter ist w(0) = 0 und die rechte Seite t 7→´ t

0 A′(s)w(s)ds liegt in L2(0, T ;V ∗), denn

w ∈ L2(0, T ;V ) und A′w ∈ L2(0, T ;V ∗). Damit ist die rechte Seite sogar absolut stetig.Somit ist w die eindeutige Lösung von

w′(t) +Aw(t) =ˆ t

0A′(s)w(s)ds

mit w(0) = 0 = w(0). Mit (19.3) erhalten wir

|w(t)|2 + µ

ˆ t

0‖w(s)‖2ds ≤ const

ˆ t

0

∥∥∥∥ˆ s

0A′(τ)w(τ)dτ

∥∥∥∥2

∗ds .

Da ∥∥∥∥ˆ s

0A′(τ)w(τ)dτ

∥∥∥∥2

∗≤ sˆ s

0‖A′(τ)w(τ)‖2∗dτ ≤ β2s

ˆ s

0‖w(τ)‖2dτ ,

ergibt sich

µ

ˆ t

0‖w(s)‖2ds︸ ︷︷ ︸a

≤ −|w(t)|2︸ ︷︷ ︸b

+ const · β2T

µ︸ ︷︷ ︸λ

ˆ t

0

ˆ s

0‖w(τ)‖2dτ

)︸ ︷︷ ︸

a

ds .

Mit dem Lemma von Gronwall erhalten wir

µ

ˆ t

0‖w(s)‖2ds ≤ −|w(t)|2 +

ˆ t

0eΛ(t)−Λ(s)λ(s)b(s)ds

= −|w(t)|2 − λeλ(t−s)ˆ t

0|w(s)|2ds ≤ 0 .

Hieraus folgt t 7→´ t

0‖w(s)‖2ds ≡ 0, also u′ = v.

Differentialgleichungen III 154

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19.3 Regularität und Glättungseigenschaft

Mit der gleichen Argumentation lässt sich die Behauptung induktiv für k ∈ N zeigen.Existieren u(j) ∈ L2(0, T ;V ), u(k+1) ∈ L2(0, T ;V ∗). Mit gj = f (j) −

∑jl=1(jl

)A(l)u(j−l)

erhalten wiru(j+1) +Au(j) = gj .

Dann ist gj = g′j−1 −A′u(j−1). Wir betrachten

v′ +Av = g′k −Au(k)

mit v(0) = u(k+1)0 . Wieder gibt es eine eindeutige Lösung v ∈ W(0, T ) und es gilt v =

u(k+1), denn ähnlich wie oben ist w = w(t) = u(k)0 +

´ t0 v(s)ds − u(k)(t) die eindeutige

Lösung von

w′(t) +Aw(t) =ˆ t

0A′(s)w(s)ds

mit w(0) = 0 und wieder folgt mit w = 0 die Behauptung.

Bemerkung 19.5. Für k = 1 sind die Voraussetzungen, dass f ′ ∈ L2(0, T ;V ∗), A′ existiertund u′0 = f(0) − A(0)u0 ∈ H. Letzteres ist z.B. erfüllt, falls f(0) ∈ H und u0 ∈ v ∈ V :A(0)v ∈ H =: D(A(0)). Dann ist A(0) : H ⊃ D(A(0))→ H.Bemerkung 19.6. Der Einfachheit halber sei A(t) ≡ A konstant. Es gelte Ajf (k−j) ∈L2(0, T ;V ∗), z.B. falls f (k−j) ∈ L2(0, T ;V ). Dann folgt aus Au = f − u′, dass

A2u = A(f − u′) = Af −Au′ = Af − f ′ + u′′ .

Allgemein ist

Ak+1u = (−1)k+1

u(k+1) −k∑j=0

(−A)if (k−j)

∈ L2(0, T ;V ∗) .

Das ist eine Aussage über die räumliche Regularität.Entspricht A also einer zweiten Ableitung − d2

dx2 , so bedeutet dies, dass sogar die (2k+2)-teAbleitung (im Raum) von u noch in V ∗ = H−1(a, b) leben.Satz 19.7 (Fehlerabschätzung). Unter den erweiterten Standardvoraussetzungen für k =1. Dann gilt für das implizite Eulerverfahren aus dem Beweis des Satzes 19.2 von Lionsdie Fehlerabschätzung

|u(tn)− un|2 + µτn∑j=1‖u(tj)− uj‖2 ≤ const

(|uτ0 − u0|2 + τ2

µ‖(f − u′)′‖2L2(0,T ;V ∗)

).

Beweis. Da (f −u′)′ = f ′−u′′ ∈ L2(0, T ;V ∗) nach dem Regularitätssatz ist, ist die rechteSeite wohldefiniert. Außerdem ist f − u′ ∈ L2(0, T ;V ∗), weshalb f − u′ absolut stetig auf[0, T ] ist. Wir setzen

ek := u(tk)− uk

und nehmen wieder A ≡ const und κ = 0 an. Dann erhalten wiren − en−1

τ+Aen = u(tn)− u(tn−1)

τ+Au(tn)− fn

= u(tn)− u(tn−1)τ

+ (f − u′)(tn)− fn

= 1τ

ˆ tn

tn−1

u′(t)dt− 1τ

ˆ tn

tn−1

f(t)dt+ (f − u′)(tn)

= 1τ

ˆ tn

tn−1

(f − u′)′(t)(t− tn−1)dt =: ρn ,

155 Differentialgleichungen III

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19 Lineare Evolutionsgleichungen erster Ordnung

wobei ρn der Konsistenzfehler ist. Es ist also

en − en−1

τ+Aen = ρn ∈ V ∗ .

Mit den bereits bewiesenen a-priori-Abschätzungen haben wir

|en|2 +n∑j=1|ej − ej−1|2 + µτ

n∑j=1‖ej‖2 ≤ const

|e0|2 + τ

µ

n∑j=1‖ρj‖2∗

.

Nun ist

τn∑j=1‖ρj‖2∗ = τ

n∑j=1

∥∥∥∥∥1τ

ˆttjj−1

(f − u′)′(t)(t− tj−1)dt∥∥∥∥∥

2

≤ 1τ

n∑j=1

ˆ tj

tj−1

‖(f − u′)′(t)‖2∗dtˆ tj

tj−1

(t− tj)2dt

≤ τ2

3 ‖(f − u′)′‖2L2(0,T ;V ∗) .

Satz 19.8 (Glättungseigenschaft). Es gelten die erweiterten Standardvoraussetzungen oh-ne die Kompatibilitätsbedingungen. Weiter sei

t 7→ tjf (j)(t) ∈ L2(0, T ;V ∗)

für alle j = 1, . . . , k. Für die eindeutige Lösung u ∈ W(0, T ) von (PL) gilt dann, dass

t 7→ tju(j)(t) ∈ W(0, T ) ,t 7→ tju(j+1)(t) ∈ L2(0, T ;V ∗) und

t 7→ tj−12u(j)(t) ∈ L2(0, T ;H) .

Bemerkung 19.9. „Für t > 0 Für t > 0 sind die Lösungen dann glatt“: Sei δ > 0. Dann istˆ T

δ‖u(j)(t)‖2dt≤ 1

δ2j

ˆ T

δt2j‖u(j)(t)‖2dt = 1

δ2j

ˆ T

δ‖tju(j)‖2dt = 1

δ2j ‖tju(j)‖L2(δ,T ;V ) <∞ ,

j = 1, . . . , k, also u(j) ∈ W(δ, T ).Sind also f und A beliebig oft differenzierbar (z.B. u′ −∆ = 0), so ist u ∈ C∞(0, T ).

Beweis. Aus u′ +Au = f erhalten wir tu′ + tAu = tf und durch Ableiten

(tu′)′ +A(tu′) = f −Au︸ ︷︷ ︸=u′

−tA′u+ tf ′ .

Wir betrachten also das Problemv′ +Av = u′ − tA′u+ tf ′

v(0) = 0 .(19.7)

Differentialgleichungen III 156

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19.3 Regularität und Glättungseigenschaft

Die rechte Seite ist dabei tatsächlich in L2(0, T ;V ∗). Somit existiert genau eine Lösungv von (19.7). Wir zeigen v = tu′: Es ist u′(s) + sf ′(s) = f(s) − A(s)u(s) + sf ′(s) =(sf(s))′ −A(s)u(s), also

v(t) =ˆ t

0

(u′′(s)− s

(A′(s)u(s)− f ′(s)

)−A(s)v(s)

)ds

=ˆ t

0

(−sA′(s)u(s) +

(sf(s)

)′ −A(s)(u(s) + v(s)

))ds

= tf(t)−ˆ t

0

(sA′(s)u(s) +A(s)

(u(s) + v(s)

))ds .

Wir setzenw(t) =

ˆ t

0

(v(s) + u(s)

)ds− tu(t) .

Dann erhalten wir w(0) = 0, w ∈ L2(0, T ;V ) und w′(t) = v(t) − tu′(t), also auch w′ ∈L2(0, T ;V ∗), d.h. w ∈ W(0, T ). Es ist weiter

(Aw)(t) =ˆ t

0A(t)

(v(s) + u(s)

)ds− t A(t)u(t)︸ ︷︷ ︸

=f(t)−u′(t)

=ˆ t

0

(A(t)−A(s)

)(v(s) + u(s)

)ds+

ˆ t

0A(s)

(v(s) + u(s)

)ds− tf(t) + tu′(t)

=ˆ t

0A′(s)

ˆ s

0

(v(τ) + u(τ)

)dτds−

ˆ t

0sA′(s)u(s)ds− v(t) + tu′(t)

=ˆ t

0A′(s)w(s)ds− w′(t) .

Nun ist w die eindeutige Lösung des Problemsw′(t) +Aw(t) =

´ t0 A′(s)w(s)ds

w(0) = 0 .

Wie üblich folgt nun w ≡ 0, d.h. w′ ≡ u und damit v(t) = tu′(t).Der Induktionsschritt k 7→ k+ 1 ist Übungsaufgabe und erfolgt analog zum bereits vorge-stellten aus dem vorigen Beweis.Dies zeigt t 7→ tju(j)(t) ∈ W(0, T ).Um t 7→ tju(j+1)(t) ∈ L2(0, T ;V ∗) zu zeigen, wählen wir zunächst k = 1. Dafür haben wirtu′′(t) = (tu′(t))′ − u′(t), also folgt die Behauptung aus der gerade bewiesenen Aussage.Im Induktionsschritt k 7→ k + 1 haben wir(

tk+1u(k+1)(t))′

︸ ︷︷ ︸∈L2

= (k + 1) tku(k+1)(t)︸ ︷︷ ︸∈L2

+tk+1u(k+2)(t) .

Um t 7→ tj−12u(j)(t) ∈ L2(0, T ;H) zu zeigen, beobachten wir∣∣∣tj− 1

2u(j)(t)∣∣∣2 =

(tju(j)(t), tj−1u(j)(t)

)≤⟨tju(j)(t), tj−1u(j)(t)

⟩≤ ‖tj−1u(j)(t)‖∗‖tju(j−1)(t)‖ ≤ 1

2(‖tj−1u(j)(t)‖2∗ + ‖tju(j)(t)‖2

).

157 Differentialgleichungen III

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19 Lineare Evolutionsgleichungen erster Ordnung

Dies ergibtˆ T

0|tj−

12u(j)(t)|2dt ≤ 1

2(‖tj−1u(j)‖2L2(0,T ;V ∗)+‖tju(j)‖2L2(0,T ;V )

)<∞ .

Differentialgleichungen III 158

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20 Nichtlineare Evolutionsgleichungen erster Ordnung

20.1 Existenz von Lösungen

Beispiel 20.1. Wir betrachten∂∂tu(x, t)−∇

(|∇u|p−2∇u

)= f auf Ω× [0, T ]

u(·, t) = 0 auf ∂Ω für alle t > 0u(·, 0) = u0 .

Dazu haben wir einen Gelfand-Dreier V ⊂ H ∼= H∗ ⊂ V ∗ mit V = W 1,p0 (Ω), V ∗ =

W−1,p′(Ω) und H = L2(Ω), wobei 1 = 1p + 1

p′ . Die variationelle Formulierung des Problemslautet nun, zu f ∈ Lp′(0, T ;V ∗) ein u ∈ Wp(0, T ) mit u′+Au = f und u(0) = u0, u0 ∈ H,zu finden, wobei

〈Au, v〉 =ˆ

Ω|∇u|p−2∇u · ∇vdx .

Satz 20.2. Auf Wp(0, T ) ist durch

‖u‖Wp(0,T ) := ‖u‖Lp(0,T ;V ) + ‖u′‖Lp′ (0,T ;V ∗)

eine Norm definiert, mit der Wp(0, T ) ein Banach-Raum ist. Dann gilt Wp(0, T ) →C([0, T ];H). Weiter gilt die Regel der partiellen Integration:

ˆ T

0

(〈u′(t), v(t)〉+ 〈v′(t), u(t)〉

)dt =

(u(T ), v(T )

)−(u(0), v(0)

)für u, v ∈ Wp(0, T ). Schließlich gilt auch, dass C∞([0, T ];V ) dicht in Wp(0, T ) liegt.

Beweis. Analog zu W(0, T ).

Wir wollen nun die folgenden Standardvoraussetzungen annehmen: Es sei 1 < p < ∞,1p+ 1

p′ = 1 und es sei ein Gelfand-Dreier V ⊂ H ⊂ V ∗ gegeben. Weiter seien A0, B : V → V ∗

zwei Operatoren. Wir setzen (A0u)(t) = A0u(t) und (Bu)(t) = Bu(t) für u : [0, T ]→ V undA = A0 +B, A = A0 +B. Es sei A0 : Lp(0, T ;V )→ Lp

′(0, T ;V ∗) hemistetig und monoton,B : Lp(0, T ;V )→ Lp

′(0, T ;V ∗) sei verstärkt stetig und A : Lp(0, T ;V )→ Lp′(0, T ;V ∗) sei

beschränkt, d.h. es gebe ein β ≥ 0 mit

‖Av‖Lp′ (0,T ;V ∗) ≤ β(1 + ‖v‖p−1

Lp(0,T ;V )

),

und koerzitiv, d.h. es gebe ein µ > 0 und ein λ ≥ 0, so dass

〈Av, v〉Lp′ (0,T ;V ∗)×Lp(0,T ;V ) ≥ µ‖v‖pLp(0,T ;V ) − λ

für alle v ∈ Lp(0, T ;V ).

Lemma 20.3. Ist A0 : V → V ∗ monoton, hemistetig und koerzitiv mit µ > 0 und λ ≥ 0,so dass

〈A0v, v〉 ≥ µ‖v‖p − λ

für v ∈ V , und β ≥ 0, so dass

‖A0v‖V ∗ ≤ β(1 + ‖v‖p−1

)159 Differentialgleichungen III

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20 Nichtlineare Evolutionsgleichungen erster Ordnung

für v ∈ V , so ist A0 : Lp(0, T ;V )→ Lp′(0, T ;V ∗) hemistetig, monoton, koerzitiv mit µ > 0,

λ ≥ 0, so dass〈A0v, v〉Lp′ (0,T ;V ∗)×Lp(0,T ;V ) ≥ µ‖v‖

pLp(0,T ;V ) − λ

und beschränkt mit β ≥ 0, so dass

‖A0v‖Lp′ (0,T ;V ∗) ≤ β(1 + ‖v‖p−1

Lp(0,T ;V )

).

Bemerkung 20.4. Ist B = 0, so folgen bereits die Standardvoraussetzungen.Eine analoge Aussage, um Eigenschaften des Operators B : V → V ∗ auf den OperatorB : Lp(0, T ;V )→ Lp

′(0, T ;V ∗) zu übertragen, ist schwieriger und erfordert z.B. Kompakt-heitsargumente.Es können auch zeitabhängige Operatoren A(t), B(t) betrachtet werden. Dann sind dieKonstanten λ, µ, β gleichmäßig in der Zeit zu wählen.

Beweis. Wir zeigen zunächst, dass der Operator A0 Bochner-messbare Funktionen aufBochner-messbare Funktionen abbildet. Sei u Bochner-messbar, un eine Folge einfacherFunktionen, so dass un(t)→ u(t) fast überall gilt. Dann ist für disjunkte Eni

(A0un)(t) = A0∑i

uni 1Eni (t) =∑i

A0uni 1Eni

(t) +A0(0)1(⋃Eni )c(t) .

Da A0 hemistetig und monoton, also insbesondere demistetig ist, folgt für beliebige w ∈ V∑i

〈A0uni , w〉1Eni (t) + 〈A0(0), w〉1(⋃Eni )c(t) = 〈A0un(t), w〉 → 〈A0u(t), w(t)〉

für fast alle t ∈ [0, T ]. Mit der Messbarkeit der linken Seite folgt die der rechten Seite, alsoist A0 schwach Bochner-messbar und damit Bochner-messbar, da V separabel ist.Für q > 1, x ∈ R, gilt |1+x|q ≤ 2q−1(1+ |x|q)), was aus der Konvexität von ξ 7→ |ξ|q folgt.Wir betrachten nunˆ T

0‖A0v(t)‖p′∗ dt ≤

ˆ T

0

∣∣∣β (1 + ‖v(t)‖p−1)∣∣∣p′ dt ≤ βp′const

ˆ T

0

(1 + ‖v(t)‖(p−1)p′

)dt

= βp′const

ˆ T

0

(1 + ‖v(t)‖p

)dt = βp

′const(T + ‖v‖pLp(0,T ;V )

).

Damit ist

‖A0v‖Lp′ (0,T ;V ∗) ≤ βconst(T + ‖v‖pLp(0,T ;V )

) 1p′ = βconstT

1p′

(1 + 1

T‖v‖pLp(0,T ;V )

) 1p′

≤ ??? ≤ β(1 + ‖v‖pLp(0,T ;V )

).

Hemistetigkeit, Monotonie und Koerzitivität zu zeigen ist Übungsaufgabe.

Satz 20.5. Unter den Standardvoraussetzungen hat das ProblemZu f ∈ Lp′(0, T ;V ∗) , u0 ∈ H finde u ∈ Wp(0, T ) mitu(0) = u0 und u′ +Au = f in Lp′(0, T ;V ∗)

mindestens eine Lösung.

Differentialgleichungen III 160

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20.1 Existenz von Lösungen

Beweis. (1). Wir führen eine Zeitdiskretisierung durch. Wie im linearen Fall setzen wirτ = T

N , tn = nτ , n = 0, . . . , N . Wir betrachten wieder das diskrete Problemun−un−1

τ +Aun = fn

u0 = u0,

wobei fn = 1τ

´ tntn−1

f(t)dt ∈ V ∗, n = 1, . . . , N . Es ist(A+ 1

τI

)un =

(A0 + 1

τI

)un +Bun = fn + 1

τIun−1 (20.1)

zu lösen. Nun ist B verstärkt stetig und A0 + 1τ I monoton und hemistetig. Weiter ist

A+ 1τ I beschränkt und koerzitiv. Der Satz 14.2 von Brezis liefert mindestens eine Lösung

un ∈ V , n = 1, . . . , N von (20.1).(2). Wir machen a-priori-Abschätzungen. Testen von (20.1) mit un liefert

12τ(|un|2 − |un−1|2 + |un − un−1|2

)+ µ‖un‖p − λ ≤ 1

τ

(un − un−1, un

)+ 〈Aun, un〉

= 〈fn, un〉

≤ ‖fn‖∗‖un‖ ≤ const‖fn‖p′∗ + µ

2 ‖un‖p ,

also|un|2 − |un−1|2 + |un − un−1|2 + τµ‖un‖p ≤ 2λτ + constτ‖fn‖p′∗ .

Aufsummieren ergibt

|un|2 − |u0|2 +N∑i=1|ui − ui−1|2 + µτ

n∑i=1‖ui‖p ≤ constτ

n∑i=1‖f i‖p′∗ + 2τλn .

Damit erhalten wir

|un|2 +n∑i=1|ui − ui−1|2 + µτ

n∑i=1‖ui‖p ≤ |u0|2 + constτ

N∑i=1‖f i‖p′∗ + 2λT . (20.2)

(3). Fü Nl → ∞ setzen wir τl = TNl

und wählen (u0l ) ⊂ V mit u0

l → u0 in H. Wiederseien ul, fl die stückweise konstanten und ul die stückweise lineare Prolongation. Die Folge(|u0

l |) ist beschränkt und

τl

Nl∑i=1‖f il ‖p

′∗ = τl

Nl∑i=1

∥∥∥∥∥ 1τl

ˆti−1

tif(s)ds∥∥∥∥∥p′

≤ τ1−p′l

Nl∑i=1

ˆ ti

ti−1

‖f(s)‖p′ds(τ frac1pl

)p′= τ

1−p′+ p′p

l ‖f‖p′

Lp′ (0,T ;V ∗) = ‖f‖p′

Lp′ (0,T ;V ∗) .

Damit ist die rechte Seite der a-priori-Abschätzung (20.2) unabhängig von l beschränktund wir erhalten

‖ul‖L∞(0,T ;H), ‖ul‖L∞(0,T ;H) ≤ const

161 Differentialgleichungen III

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20 Nichtlineare Evolutionsgleichungen erster Ordnung

und

‖ul‖pLp(0,T ;V ) ≤Nl∑i=1

ˆ ti

ti−1

‖ul‖pdt = τNl∑i=1‖uil‖p ≤ const .

Wieder ist ul schwach differenzierbar und u′l(t) = uil−ui−1l

τlfür t ∈ (ti−1, ti]. Schließlich ist

‖Aul‖Lp′ (0,T ;V ∗) ≤ β(1 + ‖ul‖p−1

Lp(0,T ;V )

)≤ const .

Somit gibt es u ∈ L∞(0, T ;H) ∩ Lp(0, T ;V ), u ∈ L∞(0, T ;H) und a ∈ Lp′(0, T ;V ∗), sodass bei Übergang zu Teilfolgen l 7→ l′

ul′∗− u in L∞(0, T ;H) ,

ul′∗− u in L∞(0, T ;H) ,

ul′ u in Lp(0, T ;V ) undAul′ a in Lp′(0, T ;V ∗) .

(4). Wir zeigen u = u. Dazu ist für t ∈ (ti−1, ti]

ul′(t)− ul′(t) = uil′ −(ui−1l′ + (t− ti−1)u

il′ − u

i−1l′

τl

)= (uil′ − ui−1

l′ )(

1− t− ti−1τl′

),

also

‖ul′ − ul′‖2L2(0,T ;H) =Nl′∑i=1

ˆ ti

ti−1

∣∣ul′(t)− ul′(t)∣∣2dt

=Nl′∑i=1

ˆ ti

ti−1

∣∣∣∣(1−

0≤ ≤1︷ ︸︸ ︷t− ti−1τl′

)︸ ︷︷ ︸

0≤ ≤1

(ui − ui−1)∣∣∣∣2dt

≤ τl′Nl′∑i=1

∣∣uil′ − ui−1l′∣∣2

︸ ︷︷ ︸≤const

→ 0 .

Nun gilt für alle v ∈ L1(0, T ;H), dass 〈ul′ − u, v〉 → 0 und 〈ul′ − u, v〉 → 0. Insbesonderegilt dies für alle v ∈ L2(0, T ;H). Damit erhalten wir

u− u = u− ul′︸ ︷︷ ︸0

+ul′ − ul′︸ ︷︷ ︸→0

+ ul′ − u︸ ︷︷ ︸0

0

in L2(0, T ;H), also u = u.(5). Wir zeigen u ∈ Wp(0, T ). Seien dazu v ∈ V , φ ∈ C∞0 (0, T ) beliebig. Dann ist

ˆ T

0

(−〈ul′(t), v〉φ′(t) + 〈(Aul′)(t), v〉φ(t)

)dt =

ˆ T

0〈fl′(t), v〉φ(t)dt .

Da Aul′ a in Lp′(0, T ;V ∗), ul′∗− u in L∞(0, T ;H) und fl′ → f in Lp′(0, T ;V ∗) (Übung)

und außerdem t 7→ vφ(t) ∈ Lp(0, T ;V ) und t 7→ vφ′(t) ∈ L1(0, T ;H), folgt im Grenzwert

−ˆ T

0〈u(t), v〉φ′(t)dt =

ˆ T

0〈f − a, v〉φ(t)dt .

Differentialgleichungen III 162

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20.1 Existenz von Lösungen

Damit ist u schwach differenzierbar mit u′ = f − a ∈ Lp′(0, T ;V ∗).(6). Wir betrachten den Anfangswert. Aus der a-priori-Abschätzung (20.2) folgt, dass dieFolge

|uNl′l′ |

beschränkt ist. Es existiert also ein ξ ∈ H, so dass bis auf Übergant zu

Teilfolgen uNl′l′ ξ in H. Für beliebige v ∈ V und φ ∈ C1([0, T ]) folgt

(u(t), v

)φ(t)−

(u(0), v

)φ(0) =

ˆ T

0

(〈u′(t), v〉φ(t) + 〈u(t), v〉φ′(t)

)dt

= liml′→∞

ˆ T

0

(〈u′l′(t), v〉φ(t) + 〈ul′(t), v〉φ′(t)dt

= liml′→∞

((ul′(T ), v

)φ(T )−

(ul′(0), v

)φ(0)

)= (ξ, v)φ(T )− (u0, v)φ(0) .

Mit φ(T ) = 0, φ(0) = 1 folgt u(0) = u0 (analog ξ = u(T )).(7). Es bleibt a = Au zu zeigen. Da B : Lp(0, T ;V ) → Lp

′(0, T ;V ∗) verstärkt stetig ist,folgt Bul′ → Bu in Lp′(0, T ;V ∗). Wir zeigen a−Bu = A0u. Es sei w ∈ Lp(0, T ;V ) beliebig.Dann istˆ T

0

⟨A0ul′(t), ul′(t)

⟩dt =

ˆ T

0

⟨A0ul′(t)−A0w(t), ul′(t)− w(t)

⟩dt

+ˆ T

0

⟨A0w(t), ul′(t)− w(t)

⟩dt+

ˆ T

0

⟨A0ul′(t), w(t)

⟩dt

≥ˆ T

0

⟨A0w(t), ul′(t)− w(t)

⟩dt+

ˆ T

0

⟨A0ul′(t), w(t)

⟩dt

→ˆ T

0

⟨A0w(t), u(t)− w(t)

⟩dt+

ˆ T

0

⟨a(t)−Bu(t), w(t)

⟩dt .

Auf der anderen Seite istˆ T

0〈A0ul′(t), ul′(t)〉dt =

ˆ T

0〈fl′(t), ul′(t)〉dt︸ ︷︷ ︸→´ T0 〈f(t),u(t)〉dt

−ˆ T

0〈u′l′(t), ul′(t)〉dt−

ˆ T

0〈Bul′(t), ul′(t)〉dt︸ ︷︷ ︸→´ T0 〈Bu(t),u(t)〉dt

Zur Untersuchung des mittleren Terms beobachten wir

ˆ T

0〈u′l′(t), ul′(t)〉dt =

Nl′∑i=1

1τl′

ˆ ti

ti−1

〈uil′ − ui−1l′ , uil′〉dt

=Nl′∑i=1

(uil′ − ui−1

l′ , ui)

= 12

Nl′∑i=1

(|uil′ |2 − |ui−1

l′ |2 + |uil′ − ui−1

l′ |2)

≥ 12 |u

Nl′l′ |

2 − 12 |u

0l′ |2 .

Zusammen ergibt sich – da die Norm schwach unterhalbfolgenstetig ist –

lim supl→∞

ˆ T

0〈A0ul′(t), ul′(t)〉 ≤ lim sup

l→∞

ˆ T

0〈fl′(t)−Bul′(t), ul′(t)〉dt+ 1

2 |u0l′ |2 −

12 |u

Nl′l′ |

2

≤ˆ T

0〈f(t)−Bu(t), u(t)〉dt+ 1

2 |u0|2 −12 |u(T )|2

163 Differentialgleichungen III

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20 Nichtlineare Evolutionsgleichungen erster Ordnung

und damitˆ T

0〈f(t)−Bu(t), u(t)〉dt− 1

2 |u(T )|2 − 12 |u0|2

≥ˆ T

0〈A0w(t), u(t)− w(t)〉dt+

ˆ T

0〈a(t)−Bu(t), w(t)〉dt .

Wegen u′ = f − a, d.h. f − Bu = u′ + a − Bu, und 12 |u(T )|2 − 1

2 |u0|2 =´ T

0 〈u′(t), u(t)〉dt

folgtˆ T

0〈a(t)−Bu(t), u(t)〉dt =

ˆ T

0〈f(t)−Bu(t), u(t)〉dt−

ˆ T

0〈u′(t), u(t)〉dt

≥ˆ T

0〈A0w(t), u(t)− w(t)〉dt+

ˆ T

0〈a(t)−Bu(t), w(t)〉dt .

Es ergibt sich (für alle w ∈ Lp(0, T ;V ))ˆ T

0〈a(t)−Bu(t), u(t)− w(t)〉dt ≥

ˆ T

0〈A0w(t), u(t)− w(t)〉dt .

Es ist also

〈a− Bu, u− w〉Lp′ (0,T ;V ∗)×Lp(0,T ;V ) ≥ 〈A0w, u− w〉Lp′ (0,T ;V ∗)×Lp(0,T ;V ) .

Wir wenden den Trick von Minty an, d.h. für θ ∈ (0, 1) und v ∈ Lp(0, T ;V ) setzen wirw := u− θv. Wir erhalten damit

θ〈a− Bu, v〉 ≥ θ〈A0(u− θv), v〉 .

Für θ → 0 folgt mit der Radialstetigkeit von A0

〈a− Bu, v〉 ≥ 〈A0u, v〉 .

Mit w = u+ θv erhalten wir analog

〈a− Bu, v〉 ≤ 〈A0u, v〉 ,

also a−Bu = A0.

Bemerkung 20.6. Im allgemeinen ist die Lösung nicht eindeutig bestimmt.Satz 20.7. Ist B = 0, so ist die Lösung eindeutig.

Damit konvergiert die gesamte Folge der Näherungslösungen; wir müssen nicht auf eineTeilfolge l′ übergehen.

Beweis. Es seien u, v ∈ Wp(0, T ) zwei Lösungen, d.h. u′ + A0u = f , u(0) = u0 undv′ +A0u = f , v(0) = u0. Dann ist

12

ddt∣∣u(t)− v(t)

∣∣2 =⟨u′(t)− v′(t), u(t)− v(t)

⟩≤⟨u′(t)− v′(t), u(t)− v(t)

⟩+⟨A0u(t)−A0v(t), u(t)− v(t)

⟩=⟨f(t)− f(t), u(t)− v(t)〉 = 0 .

Dies ergibt

|u(t)− v(t)|2 = |u(0)− v(0)|2 +ˆ t

0

ddτ |u(τ)− v(τ)|2dt = 0 .

Differentialgleichungen III 164

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20.2 Abhängigkeit von den Daten

20.2 Abhängigkeit von den Daten

In diesem Unterabschnitt beschränken wir uns auf den Fall B = 0.Es seien f, f ∈ Lp

′(0, T ;V ∗) und u0, u0 ∈ H gegeben. Die Funktionen u, u ∈ Wp(0, T )seien die eindeutig bestimmten Lösungen von

u′ +Au = f

u(0) = u0bzw.

u′ +Au = f

u(0) = u0 .

Wir betrachten die Differenz der Gleichungen

(u− u)′ +Au−Au = f − f

und testen mit u− u. Damit erhalten wir12

dddt|u(t)− u(t)|2 =

⟨u′(t)− u(t), u(t)− u(t)

⟩≤∣∣u′(t) +Au(t)− u(t)−Au(t), u(t)− u(t)

⟩=⟨f(t)− f(t), u(t)− u(t)

⟩≤ ‖f(t)− f(t)‖∗‖u(t)− u(t)‖

≤ ‖f(t)− f(t)‖∗(‖u(t)‖+ ‖u(t)‖

).

Integrieren ergibt

|u(t)− u(t)|2 ≤ |u0 − u0|2 + 2ˆ t

0‖f(s)− f(s)‖∗

(‖u(s)‖+ ‖u(s)‖

)ds

≤ |u0 − u0|2 + 2‖f − f‖Lp′ (0,T ;V ∗)

(ˆ T

0

(‖u(s)‖+ ‖u(s)‖

)pds) 1p

≤ |u0 − u0|2 + 2‖f − f‖Lp′ (0,T ;V ∗)(‖u‖Lp(0,T ;V ) + ‖u‖Lp(0,T ;V )

).

Wir haben nun die a-priori-Abschätzung12

ddt |u(t)|2 + µ‖u(t)‖p − λ ≤ 〈u′(t), u(t)〉+ 〈Au(t), u(t)〉 = 〈f(t), u(t)〉

≤ ‖f(t)‖∗‖u(t)‖ ≤ µ

2 ‖u(t)‖p + const‖f(t)‖p′∗ .

Dies liefert uns

|u(t)|2 + µ

ˆ t

0‖u(s)‖pds ≤ |u0|2 + 2λT + const

ˆ t

0‖f(s)‖p′∗ ds

≤ const(1 + |u0|2 + ‖f‖p

Lp′ (0,T ;V ∗)

)=:M0(u0, f)p .

Insbesondere ist‖u‖Lp(0,T ;V ) ≤ constM0(u0, f)

und analog‖u‖Lp(0,T ;V ) ≤ constM0(u0, f) .

Es ergibt sich also

|u(t)− u(t)|2 ≤ |u0 − u0|2 + const‖f − f‖Lp′ (0,T ;V ∗)(M0(u0, f) +M0(u0, f)

).

Betrachten wir den Lösungsoperator, der (u0, f) ∈ H × Lp′(0, T ;V ∗) auf die eindeutigeLösung u ∈ Wp(0, T ) → C([0, T ];H), so ist dieser Lipschitz-stetig auf beschränkten Teil-mengen von H×Lp′(0, T ;V ∗) als Abbildung nach C([0, T ];H). Denn dann sindM0(u0, f)undM0(u0, f) beschränkt.

165 Differentialgleichungen III

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20 Nichtlineare Evolutionsgleichungen erster Ordnung

Satz 20.8. Ist A = A0 sogar p-monoton, d.h. 〈Au − Av, u − v〉 ≥ µ‖u − v‖p für alleu, v ∈ V , so ist der Lösungsoperator stetig als Abbildung nach C([0, T ];H) ∩ Lp(0, T ;V ).

Beweis. Zunächst ist auch A : Lp(0, T ;V )→ Lp′(0, T ;V ∗) ein p-monotoner Operator:

ˆ T

0

⟨Au(t)−Av(t), u(t)− v(t)

⟩dt ≥ mu

ˆ T

0‖u(t)− v(t)‖pdt = µ‖u− v‖pLp(0,T ;V ) .

Dann folgt wie oben

12

dd|u(t)− u(t)|2 + µ‖u(t)− u(t)‖p ≤ ‖f(t)− f(t)‖‖u(t)− u(t)‖

≤ const‖f(t)− f(t)‖p′ + µ

2 ‖u(t)− u(t)‖p ,

also

|u(t)− u(t)|2 + µ

ˆ t

0‖u(s)− u(s)ds ≤ const

(|u0 − u0|2 + ‖f − f‖p

Lp′ (0,T ;V ∗)

).

Insbesondere erhalten wir

‖u− u‖Lp(0,T ;V ) ≤ const(|u0 − u0|2 + ‖f − f‖p

Lp′ (0,T ;V ∗)

) 1p

und‖u− u‖C([0,T ];H) ≤ const

(|u0 − u0|2 + ‖f − f‖p

Lp′ (0,T ;V ∗)

).

Bisher haben wir nur schwache bzw. schwache∗ Konvergenz der Näherungslösungen ulgegen u. Wir wollen nun Voraussetzungen finden, die sogar starke Konvergenz liefern.Unter stärkeren Monotonieanforderungen erhalten wir starke Konvergenz in Lq(0, T ;V )mit q ≤ p. Unter einer Kompaktheitsanforderung erhalten wir starke Konvergenz inLr(0, T ;H) mit r <∞.Sei wieder A ein p-monotoner Operator. Wegen ul u in Lp(0, T ;V ) und Aul Au inLp′(0, T ;V ∗) folgt

0 ≤ µˆ T

0‖u(t)− ul(t)‖pdt ≤

ˆ T

0

⟨Au(t)−Aul(t), u(t)− ul(t)

⟩dt

=ˆ T

0

⟨Au(t), u(t)− ul(t)〉dt︸ ︷︷ ︸

=:I1

−ˆ T

0〈Aul(t), u(t)〉dt︸ ︷︷ ︸

=:I2

+ˆ T

0〈Aul(t), ul(t)〉dt︸ ︷︷ ︸

=:I3

.

Wir sehen, dass I1 gegen das Integral´ T

0 〈Au(t), u(t) − u(t)〉dt = 0 konvergiert und I2

gegen´ T

0 〈Au(t), u(t)〉dt. Außerdem ist

I3 =ˆ T

0〈fl(t), ul(t)〉dt︸ ︷︷ ︸

→´ T0 〈f(t),u(t)〉dt

−ˆ T

0〈u′l(t), ul(t)〉dt .

Differentialgleichungen III 166

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20.2 Abhängigkeit von den Daten

Es ist

−ˆ T

0〈u′l(t), ul(t)〉dt = −

Nl∑i=1

ˆ ti

ti−1

⟨uil − ui−1

l , uil⟩dt

= −12

Nl∑i=1

(|uil|2 − |ui−1

l |2 + |uil − ui−1

l |2)

≤ −12(|uNll |

2 − |u0l |2).

Mit u0l → u0 und uNll ξ in H und der schwachen Unterhalbstetigkeit der Norm haben

wir wieder

lim sup(−ˆ T

0〈u′l(t), ul(t)〉dt

)≤ 1

2 |u0|2 −12 |u(T )|2 = −

ˆ T

0< u′(t), u(t)〉dt .

Wir erhalten

0 ≤ lim supl→∞

µ‖u− ul‖pLp(0,T ;V ) ≤ˆ T

0

⟨−Au(t) + f(t)− u′(t), u(t)〉dt = 0 ,

also ‖u− ul‖Lp(0,T ;V ) → 0.

Fordern wir nun V c→ H, dann erhalten wir für 1 < p <∞

Wp(0, T ) c→ Lp(0, T ;H)

nach dem Satz 18.13 von Lions-Aubin. Es ist (ul) sowohl in L∞(0, T ;H) als auch inWp(0, T ) (Übung) beschränkt. Damit gibt es eine Teilfolge (ul′) und ein u ∈ Lp(0, T ;H)mit ul′ → u in Lp(0, T ;H). Da auch ul′

∗− u in L∞(0, T ;H) und damit ul′ u inLp(0, T ;H), folgt u = u und die gesamte Folge konvergiert. Weiterhin ist für 1 ≤ p < q ≤∞, p < r < q, θ ∈ (0, 1) mit 1

r = θq + 1−θ

p

‖u‖0,r ≤ ‖u‖θ0,q‖u‖1−θ0,p

für alle u ∈ Lq(0, T ). Wir wählen q =∞, r ∈ (p,∞) beliebig. Dann erhalten wir

‖u− ul‖Lr(0,T ;H) ≤ ‖u− ul‖θL∞(0,T ;H)︸ ︷︷ ︸≤const

‖u− ul‖1−θLp(0,T ;H)︸ ︷︷ ︸→0

.

167 Differentialgleichungen III

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21 Das instationäre Navier-Stokes-Problem

21 Das instationäre Navier-Stokes-Problem

21.1 Erinnerung an das stationäre Navier-Stokes-Problem

Es sei ein Raumgebiet Ω ⊂ Rd mit d = 2, 3 gegeben, so dass Ω ein beschränktes Lipschitz-Gebiet sei. Wir betrachten das Problem

− 1Re∆u+ (u · ∇)u+∇p = f auf Ω

u(x) = 0 x ∈ ∂Ω .

Dabei istu : Ω→ Rd

das Geschwindigkeitsfeld der Strömung. Mit

p : Ω→ R

bezeichnen wir den wirkenden Druck, mit

f : Ω→ Rd

Die Reynolds-Zahl ist Re = 1ν , wobei ν die Viskosität ist. Wir betrachten inkompressible

Fluide, was wir in der Modellierung durch Divergenzfreiheit des Geschwindigkeitsfeldesumsetzen, also div u = 0. Wir betrachten daher die solenoidalen Räume

V = φ ∈ C∞0 (Ω)d : divφ = 0 ,V := clos‖·‖

H10(Ω)V = v ∈ H1

0 (Ω)d : ∇ · v = 0 und

H := clos‖·‖L2 V = v ∈ L2(Ω)d : ∇ · v = 0 textund γnv = 0, .

Dabei ist ∇·v = 0 im distributionellen Sinne zu verstehen, d.h.´

Ω v ·∇φdx = 0 für alle φ ∈C∞0 (Ω). Hier ist ∇ · v = 0 ∈ L2(Ω). Auf der Menge E der v ∈ L2(Ω)d mit distributionellerAbleitung ∇v, die in L2(Ω) liegt, können wir die Spur in Normalenrichtung definieren. Fürglatte v : Ω→ Rd haben wir

γn · v(x)

für x ∈ Ω. Dies können wir auf E, versehen mit ‖·‖L2(Ω)d+‖div ·‖L2(Ω), fortsetzen. Dann istH ein abgeschlossener Unterraum von L2(Ω)d. Analog ist V ein abgeschlossener Unterraumvon H1

0 (Ω)d. Es bildet V → H → V ∗ einen Gelfand-Dreier mit V c→ H (vgl. H1

0c→ L2

für d = 2, 3). Wir setzen a : V × V → R,

a(v, w) = ((v, w)) = (∇v,∇w)L2(Ω)d ,

und b : V × V × V → R,

b(u, v, w) =ˆ

Ω(u · ∇)v · wdx =

d∑i=1

ˆΩ

((u · ∇)v

)iwidx

=d∑i=1

ˆΩ

d∑j=1

uj∂j

vi

widx =d∑

i,j=1

ˆΩuj∂jviwidx .

Dann ist a bilinear, stark positiv und beschränkt. Die Abbildung b ist trilinear, beschränktund schiefsymmetrisch im zweiten und dritten Argument, d.h. b(u, v, w) = −b(u,w, v).

Differentialgleichungen III 168

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21.2 Formulierung des instationären Problems

Insbesondere ist b(u,w,w) = 0 für alle u,w ∈ V . Mit diesen Abbildungen definieren wirA : V → V ∗ mit 〈Av,w〉 := a(v, w) und B : V → V ∗ mit 〈B(u), w〉 = b(u, u, w).Wir hatten bereits gezeigt, dass A linear, beschränkt und stark positiv ist, dass B verstärktstetig ist und A+B beschränkt und koerzitiv ist. Es existiert also mindestens eine Lösungu ∈ V . Eindeutigkeit ist nur bei kleinen Daten gegeben.

21.2 Formulierung des instationären Problems

Wir betrachten das folgende Problem:

∂∂tu− ν∆u+ (u · ∇)u+∇p = f auf Ω× (0, T )div u = 0 auf Ω× (0, T )u(x, t) = 0 x ∈ ∂Ω, t ∈ (0, T )u(x, 0) = u0(x) x ∈ Ω .

In der schwachen Formulierung bilden V und H wie oben einen Gelfand-Dreier V → H →V ∗. Auch A,B : V → V ∗ seien wie oben definiert. Wir untersuchen nun deren Nemyzki-Operatoren.

Lemma 21.1. Der Operator A : V → V ∗ induziert via (Au)(t) := Au(t) für u : [0, T ]→ Veinen Operator A : L2(0, T ;V )→ L2(0, T ;V ∗).

Beweis. Da A beschränkt und linear, also stetig ist, bildetAmessbare Bochner-Funktionenauf Bochner-messbare Funktionen ab. Für u ∈ L2(0, T ;V ) ist außerdem

‖Au‖2L2(0,T ;V ∗) =ˆ T

0‖(Au)(t)‖2∗dt ≤ ‖A‖

ˆ T

0‖u(t)‖2dt = ‖u‖2L2(0,T ;V ) .

Lemma 21.2. Der Operator B, der durch (Bu)t = Bu(t) für u : [0, T ]→ V definiert ist,bildet L2(0, T ;V ) nach L1(0, T ;V ∗) ab.

Beweis. Es sei u ∈ L2(0, T ;V ) und (un) sei eine Folge einfacher Funktionen [0, T ] → V ,d.h. un(t) = ∑N

i=1 uni 1Eni

(t), mit un(t)→ u(t) fast überall. Dann ist

(Bun)(t) = Bun(t) = b(un(t), un(t), ·) =N∑

i,j=1b(uni , unj , ·)1Eni ∩Enj (t) .

Erinnerung: Für α, β, γ > 1, 1α + 1

β + 1γ = 1 gilt

b(u, v, w) ≤ const‖u‖0,α‖∇v‖0,β‖w‖0,γ .

Damit erhalten wirb(u, v, w) ≤ |u|‖v‖|w| ≤ const‖u‖‖v‖‖w‖ .

Wir haben∣∣∣b(u, u, w)− b(u, u, w)∣∣∣ =

∣∣∣b(u− u, u, w)− b(u, u− u,w)∣∣∣ ≤ const‖u− u‖

(‖u‖+ ‖u‖

)‖w‖ .

Also ist‖Bu−Bu‖∗ ≤ const‖u− u‖

(‖u‖+ ‖u‖

).

169 Differentialgleichungen III

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21 Das instationäre Navier-Stokes-Problem

Dies ergibt ∥∥Bu(t)−Bun(t)∥∥∗ ≤ const ‖u(t)− un(t)‖︸ ︷︷ ︸

→0

(‖u(t)‖+ ‖un(t)‖

)→ 0 .

Dann folgt

‖Bu‖L1(0,T ;V ∗) =ˆ T

0‖Bu(t)‖∗dt ≤ const

ˆ T

0‖u(t)‖‖u(t)‖dt = const‖u‖2L2(0,T ;V ) .

Da L2(0, T ;V ∗) ⊂ L1(0, T ;V ∗), können wir A + B : L1(0, T, V ∗) betrachten. Wir kön-nen also keinen Wp(0, T )-Raum betrachten und nicht mit der Lösung testen. Die bisherverwendeten Ideen lassen sich aber ähnlich einbringen.Die schwache Formulierung lautet nun wie folgt:

Zu u0 ∈ H und f ∈ L2(0, T ;V ∗) finde u ∈ L2(0, T ;V ) mit〈u′(t), v〉+ ν〈Au(t), v〉+ 〈Bu(t), v〉 = 〈f(t), v〉für alle v ∈ V für fast alle t ∈ (0, T ) und u(0) = u0 .

(21.1)

Dann ist u′ = f − νAu − Bu für fast alle t ∈ (0, T ) in V ∗. Also ist u′ ∈ L1(0, T ;V ∗).Da u ∈ L2(0, T ;V ) ⊂ L1(0, T ;V ∗). Damit ist u absolut stetig von [0, T ] nach V ∗. DieGleichheit u(0) = u0 ist also in V ∗ zu verstehen. Wir erhalten eine weitere schwacheFormulierung:

Zu u0 ∈ H , f ∈ L2(0, T ;V ∗) finde u ∈ L2(0, T ;V ) mit u′ ∈ L1(0, T ;V ∗) ,so dass u′ + νAu+ Bu = f

in L1(0, T ;V ∗) und u(0) = u0 in V ∗ .(21.2)

Lemma 21.3. Der Operator B bildet L2(0, T ;V ) ∩ L∞(0, T ;H) nach Lp(0, T ;V ∗) ab,wobei

p =

2 falls d = 243 falls d = 3 .

Beweis. Einnerung: Für α, β, γ > 1 mit 1α + 1

β + 1γ = 1 gilt∣∣b(u, v, w)

∣∣ ≤ ‖u‖0,α‖∇v‖0,β‖w‖0,γ .Hier setzen wir α = γ = 4 und γ = 2 und erhalten∣∣b(u, u, v)

∣∣ =∣∣b(u, v, u)| ≤ ‖u‖20,4|v|1,2 .

Damit ist für u ∈ L4(Ω)d‖Bu‖∗ ≤ ‖u‖2L4(Ω)d .

Wir benutzen außerdem die interpolatorische Ungleichung (siehe Übung)

‖u‖L4(Ω)d ≤ const|u|

12 ‖u‖

12 = |u|L2(Ω)d‖∇u‖L2(Ω)d d = 2

|u|14 ‖u‖

34 d = 3 .

Differentialgleichungen III 170

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21.3 Existenz globaler Lösung

Für d = 2 und für u ∈ L2(0, T ;V ) ∩ L∞(0, T ;H)3 ist nun

‖Bu‖2L2(0,T ;V ∗) =ˆ T

0‖Bu(t)‖2∗dt ≤

ˆ T

0‖u(t)‖4L4(Ω)ddt

≤ constˆ T

0|u(t)|2‖u(t)‖2dt ≤ const‖u‖2L∞(0,T ;H)

ˆ T

0‖u‖2L2(0,T ;V ) .

Für d = 3 ist

‖Bu‖43

L43 (0,T ;V ∗)

=ˆ t

0‖Bu(t)‖

43∗ dt ≤

ˆ T

0‖u(t)‖

83L4(Ω)ddt

≤ constˆ T

0|u(t)|

23 ‖u(t)‖2dt ≤ const‖u‖

23L∞(0,T ;H)‖u‖

2L2(0,T ;V ) .

Für d = 2 ist nun u ∈ W(0, T ) → C([0, T ];H), wir können also u(0) = u0 in H betrachten.Für d = 3 ist u zunächst nur absolut stetig von [0, T ] nach V ∗ und in L∞(0, T ;H).Dann ist u ∈ Cw([0, T ];H), wobei Cw([0, T ];H) die Menge aller demistetigen Funktionenu : [0, T ] → H ist (stetige Funktionen bezüglich der schwachen Topologie im Bildraum).(Übung) Es ist dann u(t) u0 in H für t→ 0.Wir haben nun die folgende Formulierung:

Zu f ∈ L2(0, T ;V ∗) , u0 ∈ H findeu ∈ L2(0, T ;V ) ∩ L∞(0, T ;H) mit u′ ∈ L1(0, T ;V ∗)und u′ + νAu+ Bu = f in L1(0, T ;V ∗) .

(21.3)

Als Anfangsbedingungen haben wir für d = 2, dass u ∈ C([0, T ];H) und können u(t)→ u0in H für t→ 0 fordern. In d = 3 haben wir u ∈ Cw([0, T ];H) und können u(t) u0 in Hfordern.

21.3 Existenz globaler Lösung

Satz 21.4. Es gibt mindestens eine Lösung von (21.3).

Beweis. (1). Wir führen eine Raumdiskretisierung mit dem Galerkin-Schema durch. DerRaum V ist separabel, es existiert eine Galerkin-Basis φi ⊂ V , d.h. je endlich viele φisind linear unabhängig und für Vm := spanφ1, φm gilt

∞⋃m=1

Vm

liegt dicht in V . Wir betrachten das diskrete ErsatzproblemFinde um : [0, T ]→ Vm mitddt(um(t), v(t)) + ν〈Aum(t), vm〉+ b(um(t), um(t), vm) = 〈f(t), um〉für alle vm ∈ Vm und um(0) = u0

m .

(21.4)

3Von nun an ist u also eine Funktion in der Zeit.

171 Differentialgleichungen III

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21 Das instationäre Navier-Stokes-Problem

Dabei ist u0m ∈ Vm, so dass |u0 − u0

m| → 0 für m→∞. Es kann z.B. u0m = Pmu0 gewählt

werden, wobei Pm die Orthogonalprojektion in H auf Vm ist. Dann ist |Pmu0| ≤ |u0|. Wirschreiben um(t) = ∑m

j=1 umj (t)φj , umj : [0, T ]→ R, und damit (bei Differenzierbarkeit)

u′m(t) =m∑j=1

(umj )′(t)φj ∈ Vm .

Ebenso istu0m =

m∑j=1

u0,mj φj

für gewisse u0,mj ∈ R. Es genügt wieder, mit φj , j = 1, . . . ,m, zu testen. Wir setzen

Um(t) :=

um1 (t)...

umm(t)

,

U0m :=

u0,m

1...

u0,mm

,

Mm :=((φj , φk)

)mj,k=1

und

Fm(t,Um(t)

):=

〈f(t), φk〉 − νm∑j=1

umj (t)((φj , φk))−m∑

i,j=1umj (t)umi (t)b(φi, φj , φk)

mk=1

.

Dann ist folgendes Problem zu lösen:U ′m(t) =M−1

m Fm(t,U(t)bigr) t ∈ [0, T ]

Um(0) = U0m .

(21.5)

Dies ist ein Anfangswertproblem in Rm. Es istMm tatsächlich invertierbar und F erfüllteine Carathéodory- und eine Majorantenbedingung (Übung). Nach dem Satz 2.7.7 bzw.Satz 2.7.9 existiert mindestens eine Lösung Um : [0, T ] → R. Diese ist insbesondere ab-solutstetig. Da auf Rm alle Normen äquivalent sind, können wir die durch ‖·‖ induziereNorm auf Rm wählen, d.h.

|Um(t)| = ‖um(t)‖ .Damit folgt, dass auch um eine Lösung von (21.4) und absolutstetig mit Werten in Vm ist.Insbesondere ist u′m ∈ L1(0, T ;Vm).(2). Wir machen a-priori-Abschätzungen. Hier dürfen wir mit vm = um(t) testen. Wirerhalten12

ddt |um(t)|2 + ν‖um(t)‖ ≤

(u′m(t), um(t)

)+ ν

((um(t), um(t)

))+ b(um(t), um(t), um(t)

)︸ ︷︷ ︸=0

= 〈f(t), um(t)〉 ≤ ‖f(t)‖∗‖um(t)‖ ≤ const‖f(t)‖2∗ + ν

2‖um(t)‖2 ,

wir erhalten also

|um(t)|2 + ν

ˆ t

0‖um(s)‖2ds ≤ |u0

m|2 + constˆ t

0‖f(s)‖2∗ds .

Differentialgleichungen III 172

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21.3 Existenz globaler Lösung

Da (|u0m|) beschränkt ist, folgt

‖um‖L∞(0,T ;H) ≤ const(1 + ‖f‖L2(0,T ;V ∗)

)und ebenso

‖um‖L2(0,T ;V ) ≤ const(1 + ‖f‖L2(0,T ;V ∗)

).

Es gibt daher u ∈ L2(0, T ;V ) ∩ L∞(0, T ;H) mit um′ u in L2(0, T ;V ) und um′∗− u in

L∞(0, T ;H). Es gilt für alle φk, k = 1, . . . ,m′, also für alle φk mit k = 1, . . . , l und l ≤ m′

(u′m′(t), φk) + ν((u′m′(t), φk)) + b(um′(t), um′(t), φk) = 〈f(t), φk〉 .

Nun folgt für beliebige ψ ∈ C∞0 (0, T )

−ˆ T

0(um′ , φk)ψ′(t)dt+ ν

ˆ T

0((um′(t), φk))ψ(t)dt

+ˆ T

0b(um′(t), um′(t), φk

)ψ(t)dt =

ˆ T

0〈f(t), φk〉ψ(t)dt .

Da t 7→ φkψ(t) und t 7→ φkψ′(t) in L2(0, T ;V ∗) ∩ L1(0, T ;H) sind, folgt (wie noch zu

zeigen ist) für festes k und m′ →∞

−ˆ T

0(u(t), φk)ψ′(t)dt+ ν

ˆ T

0((u(t), φk))ψ(t)dt

+ˆ T

0

(u(t), u(t), φk

)ψ(t)dt =

ˆ T

0〈f(t), φk〉ψ(t)dt .

Daraus folgt mit der Dichtheit von ⋃m Vm = V

−ˆ T

0(u(t), v)ψ′(t)dt+ ν

ˆ T

0((u(t), v))ψ(t)dt+

ˆ T

0b(u(t), u(t), v

)ψ(t)dt

=ˆ T

0〈f(t), v〉ψ(t)dt .

Damit ist tatsächlich u′ ∈ L1(0, T ;V ∗) mit

u′(t) + νAu(t) +Bu(t) = f(t)

für fast alle t ∈ [0, T ] in V ∗. Dass die Anfangswertbedingung erfüllt ist, lässt sich wieimmer zeigen.Wir untersuchen die Konvergenz von

ˆ T

0b(um′ , um′ , φk)ψ(t)dt→

ˆ T

0

(u(t), u(t), φk

)ψ(t)dt . (21.6)

(3). Zunächst zeigen wir, dass (bis auf Übergang zu Teilfolgen)

um′ → u

in L2(0, T ;H).Dazu verwenden wir die Theorie gebrochener Sobolw-Räume (Sobolew-Slobodezki-Räume)Es sei 1 ≤ p <∞, σ ∈ (0, 1),

W σ,p(0, T ;H) :=u ∈ Lp(0, T ;H) : |u|σ,p <∞

,

173 Differentialgleichungen III

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21 Das instationäre Navier-Stokes-Problem

wobei|u|pσ,p =

ˆ T

0

ˆ T

0

|u(x)− u(y)|p|x− y|1+σp dxdy .

Außerdem ist‖u‖σ,p =

(‖u‖p0,p + |u|pσ,p

) 1p .

Insbesondere setzen wirHσ(0, T ;H) := W σ,2(0, T ;H) .

Es gilt nunW 1,p(0, T ;H) →W σ,p(0, T ;H) → Lp(0, T ;H) .

Weiterhin ist Hσ(0, T ;H) = Hσ0 (0, T ;H) = clos‖·‖σ,2 C

∞0 (0, T ;H), falls σ < 1

2 . Wir werdeninsbesondere benutzen, dass

L2(0, T ;V ) ∩Hσ(0, T ;H) c→ L2(0, T ;H)

für beliebiges σ > 0 gilt.Da um′ in L2(0, T ;V ) beschränkt ist, genügt es, Beschränktheit in Hσ(0, T ;H) für einbeliebiges σ > 0 nachzuweisen, um starke Konvergenz in L2(0, T ;H) zu erhalten. Wirbetrachten dazu den Zähler, wobei o.B.d.A. s ≤ t

|um′(t)− um′(s)|2 =(um′(t)− um′(s), um′(t)− um′(s)

)=(ˆ t

su′m′(τ)dτ, um′(t)− um′(s)

)

=ˆ t

s

(u′m′(τ), um′(t)− um′(s)

)dτ

=ˆ t

s

⟨f(τ), um′(t)− um′(s)

⟩dτ − ν

ˆ t

s

((um′(τ), um′(t)− um′(s)

))dτ

−ˆ t

sb(um′(τ), um′(τ), um′(t)− um′(s)

)dτ

≤ˆ t

s‖f(τ)‖∗

(‖um′(t)‖+ ‖um′(s)‖

)dτ︸ ︷︷ ︸

=:I1

+ ν

ˆ t

s‖um′(τ)‖

(‖um′(t)‖+ ‖um′(s)‖

)dτ︸ ︷︷ ︸

=:I2

+ c

ˆ t

s|um′(τ)|

12 ‖um′(τ)‖

32(‖um′(t)‖+ ‖um′(s)‖

)dτ︸ ︷︷ ︸

=:I3

.

Für die Abschätzung des letzten Terms haben wir b(u, v, w) = −b(u,w, v) und b(u, v, w) ≤‖u‖0,4‖w‖0,4‖∇v‖0,2 und für d = 3 die Ungleichung ‖u‖0,4 ≤ |u|

14 ‖u‖

34 benutzt.

Differentialgleichungen III 174

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21.3 Existenz globaler Lösung

Zur Untersuchung von I1 beobachten wirˆ T

0

ˆ T

0

1|t− s|1+2σ

ˆ t

s‖f(τ)‖∗‖um′(t)‖dτdsdt

≤ 12

ˆ T

0

ˆ T

0|t− s|−1−2σ

ˆ t

s‖f(τ)‖2∗dτdsdt︸ ︷︷ ︸

=:I1,1

+ 12

ˆ T

0

ˆ T

0|t− s|−1−2σ

ˆ t

s‖um′(t)‖2∗dτdsdt︸ ︷︷ ︸

=:I1,2

.

Es ist nun

I1,1 = 12

ˆ T

0

ˆ t

0

ˆ τ

0|t− s|−1−2σds︸ ︷︷ ︸

=− 12σ (t−s)−2σ

∣∣τs=0

‖f(τ)‖2∗dτdt

= 14σ

ˆ T

0

ˆ t

0

(t−2σ − (t− τ)−2σ)‖f(τ)‖2∗dτdt

= 14σ

ˆ T

0

ˆ T

τ

(t−2σ − (t− τ)−2σ)dt︸ ︷︷ ︸

= 11−2σ

(t1−2σ

∣∣Tτ−(t−τ)1−2σ

∣∣Tτ

)= 1

1−2σ (T 1−2σ−τ1−2σ−(T−τ)1−2σ)≤ 11−2σT

1−2σ

‖f(τ)‖2∗dτ

≤ 14σ

11− 2σT

1−2σ‖f‖2L2(0,T ;V ∗) <∞ .

Auf ähnliche Weise haben wir

I1,2 = 12

ˆ T

0

ˆ T

0|t− s|−2σds‖um′(t)‖2dt

≤ 12(1− 2σ)T

1−2σ‖um′‖2L2(0,T ;V ) <∞ .

Mit den anderen Summanden verfahren wir analog. Für I3 (bzw. den ersten Summandenaus I3) ist jedochˆ T

0

ˆ T

0

ˆ t

s|t− s|−1−2σ |um′(τ)|

12︸ ︷︷ ︸

≤‖um′‖L∞(0,T ;H)≤const

‖um′(τ)‖32 dτ‖um′(t)‖dsdt

≤ constˆ T

0

ˆ t

0

ˆ τ

0|t− s|−1−σds‖um′(τ))‖

32 ‖um′(t)‖dτdt

= const2σ

ˆ T

0

ˆ t

0

(t−2σ − (t− τ)−2σ)‖um′(τ)‖

32 ‖um′(t)‖dτdt

≤ const2σ

ˆ T

0

ˆ t

0t−2σ‖um′(τ)‖

32 ‖um′(t)‖dτdt

≤ const2σ

(ˆ T

0

ˆ t

0t−8σdτdt

) 14(ˆ T

0

ˆ t

0‖um′(τ)‖2‖um′(t)‖

43 dτdt

) 34

≤ const2σ(2− 8σ) t

2−8σ∣∣T0 ‖um′‖L 4

3 (0,T ;V )‖um′‖

32L2(0,T ;V )

≤ const2σ(2− 8σ)T

2−8σ‖um′‖L

43 (0,T ;V )

‖um′‖32L2(0,T ;V ) ≤ const ,

175 Differentialgleichungen III

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21 Das instationäre Navier-Stokes-Problem

falls σ < 14 . Insgesamt erhalten wir also

|um′ |2σ,2 ≤ const(‖um′‖2L2(0,T ;V ) + ‖um′‖L2(0,T ;V ∗)

)für σ < 1

4 . Damit ist um′ in Hσ(0, T ;H) ∩ L2(0, T ;V ) bechränkt und es gibt einu ∈ L2(0, T ;H) und eine Teilfolge, so dass um′′ → u in L2(0, T ;H). Da um′′

∗− u inL∞(0, T ;H), folgt u = u.(4). Um (21.6) zu zeigen, beobachten wir für ψ ∈ C∞0 (0, T ) und φk ∈ Vm, dass

I :=ˆ T

0

∣∣∣b(um′(t), um′(t), φk)− b(u(t), u(t), φk)∣∣∣|ψ(t)|dt

≤ constˆ T

0|ψ(t)|‖um′(t)− u(t)‖0,4

(‖um′(t)‖0,4 + ‖u(t)‖0,4

)‖φk‖dt ,

dennb(u, u, v)− b(u, u, v) = b(u− u, u, v) + b(u, u− u, v) .

In d = 3 ist nun

I ≤ constˆ T

0|ψ(t)|‖um′(t)− u(t)‖

34 |um′(t)− u(t)|

14(‖um′(t)‖+ ‖u(t)‖

)‖φk‖dt

≤ const‖ψ‖∞(ˆ T

0|um′(t)− u(t)|2dt

) 18(ˆ T

0‖um′ − u(t)‖2dt

) 38

·(ˆ T

0

(‖um′(t)‖+ ‖u(t)‖

)2dt) 1

2

‖φk‖

≤ const‖ψ‖∞ ‖um′ − u‖14L2(0,T ;H)︸ ︷︷ ︸

→0

‖um′ − u‖34L2(0,T ;V )

(‖um′‖L2(0,T ;V ) + ‖u‖L2(0,T ;V )

)‖φk‖

→ 0 .

Somit gibt es mindestens eine Lösung u ∈ L2(0, T ;V ) ∩ L∞(0, T ;H) mit

u′ ∈L2(0, T ;V ∗) d = 2L

43 (0, T ;V ∗) d = 3 ,

u ∈C([0, T ];H) d = 2Cw([0, T ];H) d = 3

und u ∈ Hσ(0, T ;H) für σ < 14 .

21.4 Einschub: Kompaktheit in Lp(0, T ; H))

Satz 21.5. Es seien V , H und W Banach-Räume, wobei V c→ H → W . Weiter sei

1 ≤ p <∞. Dann gilt für beliebiges σ > 0

Lp(0, T ;V ) ∩W σ,p(0, T ;W ) c→ Lp(0, T ;H) .

Bemerkung 21.6. Für unsere Zwecke benötigen wir insbesondere V ∼= H10 (Ω)d, W = H ∼=

L2(Ω)d und p = 2, also

L2(0, T ;V ) ∩Hσ(0, T ;H) c→ L2(0, T ;H) .

Differentialgleichungen III 176

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21.4 Einschub: Kompaktheit in Lp(0, T ;H))

Statt W σ,p können wir auch W σ,r für r ≥ p wählen. Soll r < p sein, so muss weiterσ > 1

r −1p gefordert werden.

Dieser Satz stellt eine Verallgemeinerung des Satzes von Lions-Aubin dar.

Beweis. (1). Sei U ⊂ Lp(0, T ;V )∩W σ,p(0, T ;W ) beschränkt. Zu zeigen ist, dass U relativkompakt in Lp(0, T ;H) ist.(2). Wir nehmen zunächst an, dass U relativ kompakt in Lp(0, T ;W ) ist. Wir benötigenhierzu die folgende interpolatorische Ungleichung: Sei ε > 0. Dann gibt es ein cε > 0, sodass

‖u‖H ≤ ε‖u‖V + cε‖u‖wfür alle u ∈ V . Sei also ε > 0 beliebig. Für n ∈ N setzen wir

Hn := v ∈ H : ‖v‖H < ε + n‖v‖W .

Dann sind die Mengen Hn offen und ⋃n∈N

Hn = H .

Da V c→ H, ist

SV = v ∈ V : ‖v‖V = 1

relativ kompakt in H. Somit gibt es ein N ∈ N mit SV ⊂ HN . Es ist also ‖v‖H ≤ε‖v‖V +N‖v‖W für alle v ∈ SV . Die Aussage für v ∈ V ergibt sich durch Skalierung.Sei nun η > 0. Da U relativ kompakt in Lp(0, T ;W ), gibt es ein endliches η-Netz, alsou1, . . . , uN ∈ U mit

U ⊂N⋃i=1

B(ui, η, L

p(0, T ;W )).

Zu u ∈ U gibt es also ui ∈ U , i ∈ 1, . . . , N, mit ‖u − ui‖Lp(0,T ;W ) < η. Für vorerstbeliebiges ε > 0 ist

‖u− ui‖pLp(0,T ;H) ≤ˆ T

0

(ε‖u(t)− ui(t)‖V + cε‖u(t)− ui(t)‖W

)pdt .

Dies ergibt

‖u− ui‖Lp(0,T ;H) ≤ ε‖u− ui‖Lp(0,T ;V ) + cε‖u− ui‖Lp(0,T ;W ) .

Da U in Lp(0, T ;V ) beschränkt ist, gibt es ein D > 0 mit ‖u− ui‖Lp(0,T ;V ) ≤ D. Also ist

‖u− ui‖Lp(0,T ;H) ≤ Dε + cεη .

Für δ > 0 wählen wir zunäcst ε < δ2D und η < δ

2cε . Somit bilden die entsprechenden uiein δ-Netz von U in Lp(0, T ;H), d.h. U ist relativ kompakt in Lp(0, T ;H).(3). Wir zeigen nun, dass U relativ kompakt in Lp(0, T ;W ) ist. Für u ∈ U und 0 < t1 <t2 < T gilt∥∥∥∥∥

ˆ t2

t1

u(t)dt∥∥∥∥∥V

≤ˆ t2

t1

‖u(t)‖V dt ≤ (t2 − t1)1p′ ‖u‖Lp(0,T ;V ) ≤ T

1p′ ‖u‖Lp(0,T ;V ) .

177 Differentialgleichungen III

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21 Das instationäre Navier-Stokes-Problem

Also ist ˆ t2

t1

u(t)dt : u ∈ U

beschränkt in V . Wegen V c→ H →W , also V c

→W , folgt:ˆ t2

t1

u(t)dt : u ∈ U

ist relativ kompakt in W für alle 0 < t1 < t2 < T . (21.7)

Für h > 0, u : [0, T ] → W setzen wir (τhu)(t) := u(t + h), τhu : [0, T ] → V . Wir nehmenzunächst an, dass

‖τhu− u‖Lp(0,T−h;W ) → 0 (21.8)gleichmäßig in U für h → 0 gilt, d.h. für ε > 0 gibt es ein δ > 0, so dass für alle u ∈ Uund h < δ

‖τhu− u‖Lp(0,T−H;W ) < ε .

(4). Aus (21.7) und (21.8) folgt die Behauptung: Für u ∈ U und ξ > 0 definieren wir dasrechtsseitige Steklov-Mittel

S+ξ u(t) := 1

ξ

ˆ t+ξ

tu(s)ds = 1

ξ

(ˆ t+ξ

0u(s)ds−

ˆ t

0u(s)ds

)= 1ξ

ˆ ξ

0τhu(t)dh .

Da u ∈ Lp(0, T ;W ) ⊂ L1(0, T ;W ), ist S+ξ u ∈ C([0, T − ξ];W )4. Für 0 < t1 < t2 < T − ξ

gilt ∥∥∥S+ξ u(t2)− S+

ξ u(t1)∥∥∥W

= 1ξ

∥∥∥∥∥ˆ t2+ξ

t2

u(s)ds−ˆ t1+ξ

t1

u(s)ds∥∥∥∥∥W

≤ 1ξ

ˆ t1+ξ

t1

∥∥(τt2−t1u− u)(s)∥∥W ds

≤ 1ξ‖Tt2−t1u− u‖L1(0,T−t2+t1;W ) → 0

gleichmäßig in U für t2 → t1 wegen (21.8). Also ist S+ξ (U) gleichgradig stetig im Raum

C([0, T − ξ];W ). Nach (21.7) ist für beliebiges t ∈ [0, T − ξ]S+ξ u(t) : u ∈ U

= 1ξ

ˆ t+ξ

tu(s)ds : u ∈ U

relativ kompakt inW . Nach dem verallgemeinerten Satz 2.4.10 von Arzelà-Ascoli ist S+ξ (U)

relativ kompakt in C([0, T − ξ];W ), also auch in Lp(0, T − ξ;W ) für ξ > 0.(5). Wir verwenden die folgende Aussage (siehe Übung): Eine MengeK ist relativ kompakt,falls sie gleichmäßiger Grenzwert einer Folge relativ kompakter Mengen ist, wobei diegleichmäßige Konvergenz hier im folgenden Sinne zu verstehen ist: Für jedes ε > 0 gibt eseine relativ kompakte Menge Kε, so dass für jedes x ∈ U ein xε ∈ Kε mit ‖x − xε‖ < ε

gibt.Für festes ξ > 0 ist [0, ξ] 3 h 7→ τhu − u ∈ Lp(0, T − h;W ) stetig nach (21.8), alsointegrierbar und

(S+ξ u− u)(t) = 1

ξ

ˆ ξ

0(τhu− u)(t)dh ∈ Lp(0, T − ξ;W ) .

4Es ist sogar S+ξ u absolutstetig und (S+

ξ u)′(t) = u(t+ξ)−u(t)ξ

Differentialgleichungen III 178

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21.4 Einschub: Kompaktheit in Lp(0, T ;H))

Somit ist ∥∥∥S+ξ u− u

∥∥∥pLp(0,T−ξ;W )

≤ 1ξp

ˆ T−ξ

0

(ˆ ξ

0‖(τhu− u)(s)‖Wdh

)pds

≤ ξ−p+pp′

ˆ T−ξ

0

ˆ ξ

0‖(τhu− u)(s)‖pWdhds

= ξ−1ˆ ξ

0

ˆ T−ξ

0‖(τhu− u)(s)‖pWdsdh

≤ sup0≤h≤ξ

‖τhu− u‖pLp(0,T−h;W ) → 0

gleichmäßig in U für ξ → 0 nach (21.8).Ist nun T1 < T beliebig, so folgt für ξ < T − T1

‖S+ξ u− u‖Lp(0,T1;W ) → 0

gleichmäßig in U für ξ → 0. Damit ist U relativ kompakt in L(0, T1;W ).(6). Wir setzen u(t) = u(T − t) für u ∈ U und U := u : u ∈ U. Dann erfüllt Uebenfalls (21.7) und (21.8), d.h. analog zu obiger Argumentation ist U relativ kompakt inLp(0, T1;W ), also ist U relativ kompakt in Lp(T − T1, T ;W ). Mit T1 = T

2 folgt, dass Urelativ kompakt in Lp(0, T ;W ) ist.(7). Wir zeigen nun (21.8). Dazu zeigen wir folgende Aussage: Ist W σ,p(0, T ;W ) für einσ > 0, so gibt es ein c > 0 mit

‖τhu− u‖Lp(0,T−h;W ) ≤ c|h|σ‖u‖Wσ,p(0,T ;W ) . (21.9)

Da U beschränkt in W σ,p(0, T ;W ) ist, folgt (21.8) aus (21.9). Wir zeigen:

‖u‖Nσ,p(0,T ;W ) := sup0<h<T

‖τhu− u‖Lp(0,T−h;W )|h|σ

≤ 2σ‖u‖Wσ,p(0,T ;W )

= 2σ

(ˆ 1

0

‖τhu− u‖pLp|h|σp+1 dh

) 1p

.

Für u ∈ Lp(0, T ;W ) definieren wir den Stetigkeitsmodul

ωu(h) := sup0<t≤h

‖τtu− u‖Lp(0,T−t,W ) .

Nun setzen wir‖u‖Nσ,p(0,T ;W ) := sup

h>0

ωu(h)|h|σ

und

‖u‖Wσ,p(0,T ;W ) :=(ˆ ∞

0

ωu(h)p|h|σp

dhh

) 1p

.

(8). Es gilt‖u‖Nσ,p(0,T ;W ) ≤ (σp)

1p ‖u‖Wσ,p(0,T ;W ) :

Die Abbildung h 7→ ωu(h) ist monoton wachsend, d.h. für t > 0 istˆ ∞0

ωu(h)ph1+σp dh ≥

ˆ ∞t

ωu(h)ph1+σp dh ≥ ωu(t)p

ˆ ∞t

h−1−σpdh

= − 1σph−σp

∣∣∞h=tωu(t)p = 1

σpt−σpωu(t)p .

179 Differentialgleichungen III

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21 Das instationäre Navier-Stokes-Problem

Also folgtωu(t)tσ≤ (σp)

1p

(ˆ ∞0

ωu(h)ph1+σp dh

) 1p

.

Dies zeigt‖u‖Wσ,p(0,T ;W ) ≤ (σp)

1p ‖u‖Wσ,p(0,T ;W ) .

(9). Für h ∈ (0, T ) gilt‖τhu− u‖Lp(0,T−h;W ) ≤ ωu(h) = sup

t≤h‖τtu− u‖Lp(0,T−t;W ) .

Damit ist

‖u‖Nσ,p(0,T ;W ) = sup0<h<T

‖τhu− u‖Lp(0,T−h;W )hσ

≤ sup0<h<T

ωu(h)hσ

= ‖u‖Nσ,p(0,T ;W ) .

(10). Für h ≤ t ≤ 2h giltτtu− u = τhu− u+ τh

(τt−hu− u

).

Nun ist

‖τtu− u‖Lp(0,T−t;W ) =(ˆ T−t

0‖(τtu− u)(s)‖pWds

) 1p

≤(ˆ T−h

0‖(τhu− u)(s)‖pWds

) 1p

+(ˆ T−t

0‖τh(τt−hu− u)(s)‖pWds

) 1p

≤ ‖τhu− u‖Lp(0,T−h;W ) + supu≤r≤h

‖τru− u‖Lp(0,T−r;W )

= ‖τhu− u‖Lp(0,T−h;W ) + ωu(h) ,denn ˆ T−t

0‖τh(τt−hu− u)(s)‖pWds =

ˆ T−t

0‖τt−hu(s+ h)− u(s+ h)‖pWds

≤s=s+h

ˆ T−(t−h)

0‖τt−hu(s)− u(s)‖pWds .

Für h ≤ t ≤ 2h gilt also‖τtu− u‖Lp(0,T−t;W ) ≤ ‖τhu− u‖Lp(0,T−h;W ) + ωu(h) .

Die gleiche Abschätzung gilt auch für t ≤ h, da dann schon ‖τtu− u‖Lp(0,T−t;W ) ≤ ωu(h).Durch Supremumsbildung erhalten wir

ωu(2h) = supt≤2h‖τtu− u‖Lp(0,T−t;W ) ≤ ‖τhu− u‖Lp(0,T−h;W ) + ωu(h) .

Somit ergibt sich

2σ‖u‖Wσ,p(0,T ;W ) =(2−1+σp+1

) 1p

(ˆ ∞0

ωu(h)h1+σpdh

) 1p

=h=2h

(ˆ ∞0

ωu(2h)phσp+1 dh

) 1p

≤(ˆ ∞

0

‖τhu− u‖pLp(0,T−h;W )hσp+1 dh

) 1p

+(ˆ ∞

0

ωu(h)phσp+1 dh

) 1p

= ‖u‖Wσ,p(0,T ;W ) + ‖u‖Wσ,p(0,T ;W ) .

Differentialgleichungen III 180

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21.5 Eindeutigkeit

Hiermit folgt‖u‖Wσ,p(0,T ;W ) ≤

12σ − 1‖u‖Wσ,p(0,T ;W ) .

Also ist

‖u‖Nσ,p(0,T ;W ) ≤(σp)

1p

2σ − 1︸ ︷︷ ︸≤ 2σ

‖u‖Wσ,p(0,T ;W ) .

21.5 Eindeutigkeit

Satz 21.7 (Energie(un)gleichung). Für eine Lösung u gilt

|u(t)|2 + 2νˆ t

0‖u(s)‖2ds ≤ |u0|2 + 2

ˆ t

0〈f(s), u(s)〉ds

fast überall in (0, T ). Ist d = 2, so gilt sogar die Gleichheit.

Beweis. Für d = 2 ist u ∈ W(0, T ), also dürfn wir mit u testen:

12

ddt |u(t)|2 + ν‖u(t)‖2 = (u′(t), u(t)) + ν

((u(t), u(t)

))+ b(u(t), u(t), u(t)

)︸ ︷︷ ︸=0

= 〈f(t), u(t)〉 .

Integrieren liefert die zu zeigende Gleichheit.Für d = 3 können wir nicht mit u testen. Es gilt allerdings für die diskreten Ersatzlösungen,dass um ∈ W(0, T ), also

|um(t)|2 + 2νˆ t

0‖um(s)‖2ds = |u0

m|2 + 2ˆ t

0〈f(s), um(s)〉ds .

Da (für eine Teilfolge) um′∗− u in L∞(0, T ;H), um′ u in Lp(0, T ;V ) (also auch in

Lp(0, t;V )) und u0m′ → u0 in H. Die schwache Folgenunterhalbstetigkeit der Normen

liefert

|u(t)|2 + 2νˆ t

0‖u(s)‖2ds ≤ lim inf|u0

m′ |2 + 2ˆ t

0〈f(s), um′(s)〉ds

= |u0|2 + 2ˆ t

0〈f(s), u(s)〉ds .

Lemma 21.8. Ist d = 2, so ist u ∈ L4(0, T ;L4(Ω)d).Ist d = 3, so ist u ∈ L

83 (0, T ;L4(Ω)d).

Beweis. Wir führen den Beweis nur für d = 3. Dafür istˆ T

0‖u(t)‖

83L4(Ω)ddt ≤

ˆ T

0|u(t)|

23 ‖u(t)‖2dt ≤ ‖u‖

23L∞(0,T ;H)‖u‖

2L2(0,T ;V ) <∞ .

Satz 21.9 (Eindeutigkeit). Die Lösung ist in d = 2 eindeutig.

181 Differentialgleichungen III

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21 Das instationäre Navier-Stokes-Problem

Beweis. Es seien u und u zwei Lösungen. Wir dürfen mit u− u ∈ W(0, T ) testen. Zunächstbeobachten wir

(u− u)′ + νA(u− u) + Bu− Bu = 0(u− u)(0) = 0 .

Wir erhalten also12

ddt |u(t)−u(t)|2+ν‖u(t)−u(t)‖2+b

(u(t), u(t), u(t)− u(t)

)− b(u(t), u(t), u(t)− u(t)

)︸ ︷︷ ︸=b(u−u,u,u−u)+b(u,u−u,u−u)

= 0 ,

also12

ddt |u(t)− u(t)|2 + ν‖u(t)− u(t)‖2 ≤ b

(u(t)− u(t), u(t), u(t)− u(t)

)≤ ‖u(t)− u(t)‖20,4‖u(t)‖≤ const‖u(t)‖|u(t)− u(t)|‖u(t)− u(t)‖

≤ const 12ν ‖u(t)‖2|u(t)− u(t)|2 + ν

2‖u(t)− u(t)‖2 .

Damit ergibt sich

|u(t)− u(t)|2 ≤ −νˆ t

0‖u(s)− u(s)‖2ds+ const

ˆ t

0‖u(s)‖2|u(s)− u(s)|2ds .

Mit dem Lemma von Gronwall erhalten wir

|u(t)− u(t)|2 ≤ −νˆ t

0‖u(s)− u(s)‖2ds exp

(const

ˆ t

0‖u(s)‖2ds

)≤ 0 ,

also u = u fast überall.

Satz 21.10 (Serrin). Es gibt höchstens eine Lösung u ∈ L∞(0, T ;H) ∩ L2(0, T ;V ) mitu ∈ Ls(0, T ;Lr(Ω)d) für s > 2, r > d und 2

s + dr ≤ 1. Eine solche Lösung ist dann aus

W(0, T ) und erfüllt die Energiegleichung.

Beispiel 21.11. Standardwerte für s und r in d = 2 sind s = r = 4, für welche u ∈L4(0, T ;L4(Ω)d) ist, und s = ∞, r = 2. Standardwerte in d = 3 sind s = 8 und r = 4.Die Existenz einer Lösung in L 8

3 (0, T ;L4(Ω)3) ist also gesichert, die Eindeutigkeit nur inL8(0, T ;L4(Ω)3) (und es ist L8 ( L

83 ).

Beweis. Wir führen den Beweis nur für d = 3, s = 8 und r = 4. Sei also u ∈ L∞(0, T ;H)∩L2(0, T ;V ) ∩ L8(0, T ;L4(Ω)3). Dann folgt

‖Bu‖L2(0,T ;V ∗) =ˆ T

0‖Bu(t)‖2∗dt ≤

ˆ T

0‖u(t)‖40,4dt = ‖u‖4L4(0,T ;L4(Ω)d) <∞ .

Damit ist u′ ∈ L2(0, T ;V ∗), also u ∈ W(0, T ). Sind u und u zwei Lösungen, so folgt ähnlichwie oben

12

ddt |u(t)− u(t)|2 + ν‖u(t)− u(t)‖2 ≤ b

(u(t)− u(t), u(t)− u(t), u(t)

)≤ ‖u(t)− u(t)‖0,4‖u(t)− u(t)‖‖u(t)‖0,4≤ const|u(t)− u(t)‖

14 ‖u(t)− u(t)‖

74 ‖u(t)‖0,4

≤ ν

2‖u(t)− u(t)‖2 + const|u(t)− u(t)|2‖u(t)‖80,4 .

Differentialgleichungen III 182

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21.6 Lokale Existenz und Eindeutigkeit

Das Lemma von Gronwall liefert

|u(t)− u(t)| ≤ −νˆ t

0‖u(s)− baru(s)‖ds exp

(ˆ t

0‖u(s)‖80,4ds

)︸ ︷︷ ︸

<const

≤ 0 .

21.6 Lokale Existenz und Eindeutigkeit

Wir brauchen hier nur den Fall d = 3 zu betrachten. Wir wollen nun eine Abschätzungfür ‖u(t)‖ machen können. Die Frage ist, für welche v

‖v‖2 = ‖v‖2H10 (Ω)3 = ((v, v)) = 〈Av, v〉 ?= (Av, v)0,2

gilt, d.h. wann Av ∈ H ist.Vorbereitungen: Es sei A : V → V ∗ beschränkt, linear, stark positiv und symmetrischmit einem Gelfand-Dreier V c

→ Hc→ V ∗. Mit Lax-Milgram gibt es ein A−1 : V ∗ → V und

diese Inverse ist ebenfalls linear, beschränkt, stark positiv und symmetrisch. Wir setzen

A−1|H =: A−1F : V ∗ ⊃→ D(A) ⊂ H ,

wobei D(A) = ranA−1|H . Dann ist A−1F linear und beschränkt in H, denn für v ∈ H ist

|A−1F v| ≤ const‖A−1

F v‖ = const‖A−1v‖ ≤ constµ−1‖v‖∗ ≤ constµ−1|v| .

Außerdem ist A−1F symmetrisch, denn für u, v ∈ H ist

(A−1F u, v) = 〈A−1u, v〉 = 〈A−1v, u〉 = (A−1

F v, u) .

Damit ist A−1F selbstadjungiert. Wir zeigen, dass A−1

F sogar kompakt ist. Sei dazu (vn) ⊂ Hbeschränkt, d.h. (vn) ist auch in V ∗ beschräkt. Dann ist (A−1vn) in V beschränkt und esist V c

→ H. Somit gibt es eine in H konvergente Teilfolge (A−1F vn′). Wegen vn ∈ H ist

auch A−1vn = A−1F vn.

Wir verwenden das folgende Resultat aus der Spektraltheorie:(1). Es gibt höchstens abzählbar viele Eigenwerte λn ∈ R, die sich nur in 0 häufen kön-nen. Die Eigenräume ker(A−1

F − λ Id) sind endlichdimensional. Zählt man die Eigenwerteentsprechend ihrer Vielfachheit, so gibt es ein abzählbares Orthonormalsystem (φn) ⊂ Haus Eigenfunktionen von A−1

F mit A−1F φn = λnφn. Es gilt

H = spanφn : n ∈ N ⊕ kerA−1F .

Da A−1 bijektiv ist, folgt wegen 0 ∈ H

(A−1F )−10 = v ∈ H : A−1

F v = 0 = v ∈ H : v = A0 = 0 = 0 .

Damit istH = spanφn : n ∈ N ,

d.h. φn bildet eine Orthonormalbasis vonH. Auch ist φn = 1λnA−1F φn ∈ D(A). Weiterhin

gilt

λn|φn|2 = λn(φn, φn) = (φn, A−1F φn) = (φn, A−1φn)

=(AA−1φn, A

−1φn)≥ µ‖A−1φn‖2 ≥ 0 .

183 Differentialgleichungen III

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21 Das instationäre Navier-Stokes-Problem

Da A−1F : H → D(A) bijektiv ist, können wir A−1

F invertieren und erhalten die Friedrichs-Erweiterung

AF : D(A)→ H .

Es istD(A) = u ∈ V : Au ∈ H .

Bei uns ist D(A) = V ∩H2(Ω)d. Dann ist φn eine Eigenfunktion von AF zum Eigenwertλ−1n , denn

λnAFφn = AFλnφn = AFA−1F φn = φn .

(2). Wir setzen VM := spanφ1, . . . , φm ⊂ H und definieren Pm : H → Vm als die Ortho-gonalprojektion auf Vm in H, also Pmv = ∑

i=1(v, φi)φi für v ∈ H. Da φi eine Ortho-normalbasis ist, folgt Pmv → v in H für m→∞. Mit φi ∈ D(A) folgt Vm ⊂ D(A) ⊂.(3). Die Folge (Vm) bildet ein Galerkin-Schema in V : Es ist v = ∑∞

i=1(v, φi)φi, also AF v =∑∞i=1

1λi

(v, φi)φi. Für f : 1λi

: i ∈ N → R definieren wir

f(AF )v =∞∑i=1

f

( 1λi

)(v, φi)φi

für v ∈ D(f(AF )) = v ∈ H : (f( 1λi

)(v, φi))i ∈ `2. Wir wählen f(λ) =√λ, erhalten also

A12F v =

∞∑i=1

1√λi

(v, φi)φi ,

falls ( 1√λi

(v, φi)) ∈ `2. Nun erhalten wir

|A12F v|

2 = (A12F v,A

12F v) = (AF v, v) = ‖v‖2 .

Damit ergibt sich

A12FPmv = A

12F

m∑i=1

(v, φi)φi =m∑i=1

1√λi

(v, φi)φi

=m∑i=1

(v,A12Fφi)φi =

m∑i=1

(A12F v, φi)φi = PmA

12F v .

Da A12F v ∈ H, also PmA

12F v → A

12F v in H für m → ∞. Damit folgt Pmv → v in V für

v ∈ D(A) ⊂ V . Somit bildet (Vm) tatsächlich ein Galerkin-Schema in V .(4).

Lemma 21.12 (Cattabriga). Sei Ω ⊂ R2 ein C2-Gebiet. Dann gibt es ein c > 0, so dass

‖u‖H2(Ω)d ≤ c|Au|

für u ∈ D(A) = V ∩H2(Ω)d.

Bemerkung 21.13. Für u ∈ D(A) gilt stets

|Au|2 =ˆ

Ω|∆u(x)|2dx =

3∑i=1

ˆΩ|∂iiu(x)|2dx ≤ ‖u‖2H2(Ω)d .

Damit ist u 7→ |Au| eine äquivalente Norm auf V ∩H2(Ω)d.

Differentialgleichungen III 184

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21.6 Lokale Existenz und Eindeutigkeit

Beweisidee. Für Ω = (0, 1)2, H = L2(Ω), V = H10 (Ω) und A als Laplace-Operator verfah-

ren wir folgendermaßen:(1). Für glattes u ∈ C∞0 (Ω) gilt

u(x, y) =ˆ x

0∂xu(ξ, y)dξ =

ˆ x

0

(∂xu(ξ, y)− ∂xu(ξ, 0)

)dξ =

ˆ x

0

ˆ y

0∂xyu(ξ, η)dηdξ ,

also‖u‖L2(Ω) ≤ c‖∂xyu‖L2(Ω) .

(2). Weiterhin ist

‖∇u‖20,2 =ˆ

Ω∇u · ∇udx = −

ˆΩ

(∆u)udx ≤ ‖u‖0,2‖∆u‖0,2 .

(3). Nun erhalten wir

‖∂xyu‖20,2 =ˆ 1

0

ˆ 1

0(∂xyu)(∂xyu)dydx = −

ˆ 1

0

ˆ 1

0(∂xyyu)(∂xu)dydx

=ˆ 1

0

ˆ 1

0(∂yyu)(∂xxu)dxdy ≤ ‖const1

2‖∆u‖2L2(Ω) .

Hieraus folgt die Behauptung.

Satz 21.14. Sei Ω ⊂ R3 ein (beschränktes) C2-Gebiet und es seien u0 ∈ V , f ∈L∞(0, T ;H). Dann gibt es 0 < T0 := min(T, T∗) mit

T∗ ≤constν

(1 + ‖u0‖2)2 min(ν2,

1‖f‖2L∞(0,T ;H)

),

c = 34 max

(16

27β40,3, 1), so dass das Problem eine eindeutige (schwache) Lösung u auf [0, T0]

mit u ∈ L∞(0, T0;V ) ∩ L2(0, T0,D(A)) besitzt.

Bemerkung 21.15. Falls die Daten ‖u0‖, ‖f‖L∞(0,T ;H) und Re = 1ν also hinreichend klein

sind, so existiert auf ganz [0, T ] eine eindeutige Lösung.

Beweis. Wir verwenden das oben konstruierte Galerkin-Schema (Vm) und setzen um0 :=Pmu0, also um0 → u0 in V . Wir betrachten wieder das diskrete Eratzproblem

ddt(um(t), vm) + ν

((um(t), vm

))+ b(um(t), um(t), vm) = (f(t), vm)

für vm ∈ Vm. Es genügt wieder, mit vm = φi zu testen. Nach Carathéodory gibt es wiedereine Lösung um auf einem Intervall [0, T ], wobei um(t) ∈ D(A).(2). Wir dürfen nun mit vm = Aum(t) testen. Dann erhalten wir

(u′m(t), Aum(t)) = ((u′m(t), um(t))) = 12

ddt‖um(t)‖2

undν((um(t), Aum(t)

))= ν

(Aum(t), Aum(t)

)= ν|Aum(t)|2 .

185 Differentialgleichungen III

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21 Das instationäre Navier-Stokes-Problem

Für d = 3 ist W 1,2 → Lq, falls 1q ≥

12 −

13 = 1

6 . Damit ist∣∣b(um(t), um(t), Aum(t))∣∣ ≤ ‖um(t)‖0,6‖∇um(t)‖0,3|Aum(t)|≤ ‖um(t)‖‖∇um(t)‖0,3|Aum(t)| .

Hölder liefert

‖w‖30,3 =ˆ|w(t)|

32 |w(t)|

32 dt ≤

(ˆ|w(t)|6dt

) 14(ˆ|w(t)|2dt

) 34,

also ∣∣b(um(t), um(t), Aum(t))∣∣ ≤ ‖um(t)‖ ‖∇um(t)‖

120,6︸ ︷︷ ︸

≤‖um(t)‖122,2≤c|Aum(t)|

12

‖um(t)‖12 |Aum(t)|

≤ c‖um(t)‖32 |Aum(t)|

32 ≤ c

ν3 ‖um(t)‖6 + ν

4 |Aum(t)|2 .

Letztlich ist

(f(t), Aum(t)) ≤ |f(t)||Aum(t)| ≤ 2ν|f(t)|2 + ν

4 |Aum(t)|2 .

Wir erhalten für die A-priori-Abschätzung

12

ddt‖um(t)‖2+ν|Aum(t)|2 ≤ c

ν3 ‖um(t)‖6+ c

ν|f(t)|2 ≤ c

ν(1+‖um(t)‖6) max

1ν2 , |f(t)|2

.

Wir setzen y(t) := 1 + ‖um(t)‖2. Mit λ(t) := cν max

1ν2 , |f(t)|2

folgt

y′(t) ≤ λ(t)(1 + ‖u(t)‖6) ≤ λ(t)y3(t) ,

alsoy′(t)y3(t) = −1

2

( 1y2(t)

)′≤ λ(t) .

Wir erhalten ( 1y2(t)

)′≥ −2λ(t)

und nach Integration1

y2(t) −1

y2(0) ≥ −2ˆ t

0λ(s)ds ,

was1

y2(t) ≥1− 2y2(0)

´ t0 λ(s)ds

y2(0)

bedeutet. Wir wählen t > 0 so klein, dass 2y2(0)´ t

0 λ(s)ds < 1. Dann erhalten wir

y2(t) = (1 + ‖um(t)‖2)2 ≤ y2(0)1− 2y2(0)

´ t0 λ(s)ds

.

Es ist y(0) = 1 + ‖um(0)‖2 = 1 + ‖um0 ‖2 ≤ 1 + ‖u0‖2 undˆ t

0λ(s)ds ≤ c

νmax

t

ν2 ,

ˆ t

0|f(s)|2ds

)≤ ct

νmax

1ν2 , ‖f‖L∞(0,T ;H)

.

Differentialgleichungen III 186

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21.7 Wiedereinführung des Drucks

Wir fordern also

2(1 + ‖u0‖2)2 c

νtmax

1ν2 , ‖f‖L∞(0,T ;H)

overset! < 1 ,

d.h.t <

ν

2c(1 + ‖u0‖2)2 minν2,

1‖f‖2L∞(0,T ;H)

.

Für jedes T0, welches kleiner als dieser Ausdruck ist folgt also

‖um(t)‖ ≤ const

und damit auch ˆ t

0|Aum(t)|2ds ≤ const

für t ≤ T0. Damit folgt u ∈ L∞(0, T0;V ) ∩ L2(0, T0; D(A)). Insbesondere ist dann u ∈L2(0, T0;V ) und u′ ∈ L2(0, T0;H), womit wie üblich die Einzigkeit folgt.

Bemerkung 21.16. Ist d = 2, so erhalten wir auf ähnliche Weise∣∣b(um(t), um(t), Aum(t))∣∣ ≤ ‖um(t)‖0,4‖∇um(t)‖0,4|Aum(t)|

≤ |um(t)|12 ‖um‖

12 ‖um(t)‖

12 ‖um(t)‖

122,2|Aum(t)|

≤ c|um(t)|12 ‖um(t)‖|Aum(t)|

32

≤ 2ν3 |um(t)|2‖um(t)‖4 + ν

4 |Aum(t)|2 .

Damit erhalten wirddt‖um(t)‖2 ≤ 1

nu‖f‖2L∞(0,T ;H) + c

ν3 ‖um‖2L∞(0,T ;H)‖um(t)‖4 .

Mit y(t) = 1 + ‖um(t)‖2 folgty′(t) ≤ y2(t)λ(t)

mit λ(t) = 1ν max

‖f‖2L∞(0,T ;H),

cν2 ‖um‖2L∞(0,T ;H)

= const. Wie bei dem Lemma von

Gronwall erhält man

y(t) ≤ eΛ(t)(1 + ‖u0‖2) ≤ exp(λ · (T + ‖um‖2L2(0,T ;V ))

)(1 + ‖u0‖2)

mit Λ(t) ≤ λ ·(1 +´ t

0‖um(s)‖2ds). Somit ist hier ‖um(t)‖ ≤ const für alle t ≤ T .

Hieraus folgt uiL∞(0, T ;V ) ∩ L2(0, T ; D(A)).

21.7 Wiedereinführung des Drucks

Das ursprüngliche Problem lauteteu′ − ν∆u+ (u ∇)u+∇π = f

div u = 0.

In der variationellen Form verschwindet der Druck π. Wir setzen

∇π = f − u′ + ν∆u− (u · ∇)u =: g .

187 Differentialgleichungen III

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21 Das instationäre Navier-Stokes-Problem

Wenn wir nun mit v ∈ V ⊂ V testen, erhalten wir

0 = 〈∇π, v〉 = 〈g, v〉 .

Wir verwenden den folgenden Satz von deRham: Es sei Ω ⊂ Rd offen, g = (g1, . . . , gα),gi ∈ D′(Ω) mit 〈g, v〉 = 0 für alle v ∈ V. Dann gibt es ein π ∈ D′(Ω) mit g = ∇π.In einer etwas schwächeren Version lautet der Satz folgendermaßen: Es sei Ω ⊂ Rd einLipschitz-Gebiet, g ∈ H−1(Ω)d mit 〈g, v〉 = 0 für alle v ∈ V . Dann gibt es ein π ∈ L2(Ω)mit g = ∇π.Ist nun f ∈ L2(0, T ;H−1(Ω)d) (beachte: H−1(Ω)d ( V ∗), so gibt es u ∈ L2(0, T ;V ) ∩L∞(0, T ;H) mit

(u′(t), v) + ν((u(t), v)) + b(u(t), u(t), v

)= 〈f(t), v〉

für v ∈ V . Hieraus folgt

u′(t)− ν∆u(t) + (u(t) · ∇)u(t) ∈ H−1(Ω)d

fast überall, also g(t) ∈ H−1(Ω)d fast überall. Der Satz von deRham liefert die Existenzeiner Distribution π(t) ∈ D′(Ω) mit ∇π(t) = g(t) ∈ H−1(Ω)d. Damit ist π(t) ∈ L2(Ω).

Satz 21.17 (Simon). Sei Ω ⊂ R3 ein Lipschitz-Gebiet, u0 ∈ H, f ∈ L2(0, T ;H−1(Ω)d).Dann gibt es mindestens ein Paar

(u, π) ∈(L∞(0, T ;H) ∩ L2(0, T ;V ) ∩ Cw([0, T ];H)

)×W−1,∞(0, T ;L2(Ω)/R

),

so dassu′ − ν∆u+ (u · ∇)u+∇π = f

gilt und u(t) u0 für t→ 0 in H.

Bemerkung 21.18. Es ist im allgemeinen nicht möglich, den Druck für f ∈ L2(0, T ;V ∗) zurekonstruieren.

21.8 Regularität

Wir vergleichen mit den Kompatibilitätsbedingungen.

Satz 21.19 (Temam, Heywood). Es seien Em := Hm(Ω)d ∩H und

Wm :=v ∈ C

([0, T ];Em

): ∃v(j) ∈ C

([0, T ];Em−2j

)für j = 0, . . . ,

⌊m

2

⌋.

Es sei Ω ein Cm+2-Gebiet, u0 ∈ Em ∩ V , f (j) ∈ C([0, T ];Hm−2j−2(Ω)d ∩H

)für j =

0, . . . , bm2 c − 1 und

f(bm2 c) ∈L2(0, T ;V ∗) falls m geradeL2(0, T ;H) falls m ungerade .

Dann gilt u ∈Wm, falls u(j)(0) ∈ V für j = 0 . . . , bm2c − 1 und

u(bm2 c)(0) ∈H falls m geradeV sonst .

Differentialgleichungen III 188

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21.8 Regularität

Bemerkung 21.20. Für m = 3 lauten die letzten Bedingungen folgendermaßen: u0 ∈ Vund u′(0) = f(0) + ν∆u(0) − (u0 · ∇)u0 ∈ V . Insbesondere div u0 = 0 und div u′(0) = 0.Es ist

∇π = f − u′ + ν∆u− (u · ∇)u .

Wir erhalten∆π = ∇ · f −∇ · u′ +∇ ·∆u−∇ · (u · ∇)u .

Dies ergibt∆π(0) = ∇ ·

(f(0) + ν∆u0 − (u0 · ∇)u0

)und

∇π(0) = f(0)− u′(0) + ν∆u0 − (u0 · ∇)u0 .

Auf ∂Ω ist u′(0) = 0 und u0 = 0, also

∇π(0) = f(0) + ν∆u0

auf ∂Ω. Wir haben nun drei Neumann-Randbedingungen; das entsprechende Problem istim allgemeinen nicht lösbar.

189 Differentialgleichungen III

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22 Lineare Evolutionsgleichungen zweiter Ordnung

22 Lineare Evolutionsgleichungen zweiter Ordnung

22.1 Standardvoraussetzungen

Wir betrachten das Problem u′′ +Au = f

u(0) = u0

u′(0) = v0 .

Wir fordern:

• Es sei V → H → V ∗ ein Gelfand-Dreier, wobei V separabel sei.

• Die Abbildung a : [0, T ]× V × V → R sei so, dass a(t; ·, ·) bilinear und symmetrischist.

• Es sei a gleichmäßig beschränkt, d.h. es gebe β ≥ 0 mit

a(t;u, v) ≤ β‖u‖‖v‖

für alle t ∈ [0, T ] und u, v ∈ V gilt.

• Die Abbildung a erfülle eine Gårdingsche Ungleichung, d.h. es gebe ein µ ≥ 0 undein κ ≥ 0 mit

a(t;u, u) ≥ µ‖u‖2 − κ|u|2

für alle t ∈ [0, T ] und u ∈ V .

• Für alle u, v ∈ V sei t 7→ a(t;u, v) in C1(0, T ). Die Ableitung bezeichnen wir mita′(t;u, v). Es gebe nun β′ ≥ 0 mit

|a′(t;u, v)| ≤ β′‖u‖‖v‖

für alle t ∈ [0, T ] und u, v ∈ V .

Der Nemyzki-Operator ist als

A : L2(0, T ;V )→ L2(0, T ;V ∗) , (Au)(t) := Au(t) = a(t, u(t), ·)

gegeben.

22.2 Existenz, Eindeutigkeit und stetige Abhängigkeit von den Daten

Satz 22.1. Unter den Standardvoraussetzungen (siehe oben) gibt es zu jedem u0 ∈ V ,v0 ∈ H, f ∈ L2(0, T ;H) genau eine Lösung u ∈ C([0, T ];V ) mit u′ ∈ C([0, T ];H) undu′′ ∈ L2(0, T ;V ∗). Diese hängt stetig von den Daten u0, v0 und f ab.

Beweis. (1). Wir zeigen zunächst: Es gibt genau eine Lösung u ∈ L∞(0, T ;V ) mit u′ ∈L∞(0, T ;H) und u′′ ∈ L2(0, T ;V ∗). Es sei φn ⊂ V ein Galerkin-Schema und es seiVm = spanφ1, . . . , φm für m ∈ N. Wir betrachten das diskrete Ersatzproblem: Wirsuchen um(t) ∈ Vm, so dass für alle vm ∈ Vm

(u′′m(t), vm) + a(t;um(t), vm) = (f(t), vm) .

Differentialgleichungen III 190

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22.2 Existenz, Eindeutigkeit und stetige Abhängigkeit von den Daten

Es seien weiter um0 ∈ Vm und vm0 ∈ Vm, so dass um0 → u0 in V und vm0 → v0 ∈ H. Esergibt sich dann ein System der Form

U ′′m(t)−M−1m Am(t)Um(t) =M−1

m fm(t)Um(0) = Um0U ′m(0) = Vm0 .

Dabei ist

Mm =((φi, φj)

)i,j,

Am(t) =(a(t;φi, φj)

)i,j,

fm(t) =((f(t), φj)

)jund

Um(t) =(umj (t)

)j,

wobei um(t) = ∑mi=1 u

mj (t)φj . Dieses diskrete Ersatzproblem ist eindeutig lösbar. Da

um(t), u′m(t), u′′m(t) ∈ Vm ⊂ V ⊂ H ⊂ V ∗, dürfen wir im diskreten Ersatzproblem mitvm = u′m(t) testen und erhalten

12

ddt |u

′m(t)|2 + 1

2ddta

(t;um(t), um(t)

)= (u′′m(t), u′m(t)) + a

(t;um(t), u′m(t)

)+ 1

2a′(t;um(t), um(t)

)≤ (f(t), u′m(t)) + 1

2β′‖um(t)‖2

≤ 12 |f(t)|2 + 1

2 |u′m(t)|2 + 1

2β′‖um(t)‖2 .

Dies ergibt

|u′m(t)|2 + a(t;um(t), um(t)

)≤ |vm0 |2 + a(0, um0 , um0 ) +

ˆ t

0|f(s)|2ds+

ˆ t

0|u′m(s)|2ds

+ˆ t

0‖um(s)‖2ds .

Daraus folgt

|u′m(t)|+ µ‖um(t)‖2 ≤ |vm0 |2 + β‖um0 ‖2 + ‖f‖2L2(0,T ;H) +ˆ t

0|u′m(s)|2ds

+ˆ t

0‖um(s)‖2ds+ κ|um(t)|2 .

Da vm0 → v0 in H und um0 → u0 in V , sind |vm0 | und ‖um0 ‖ beschränkt. Nun ist

|um(t)|2 =∣∣∣∣∣um0 +

ˆ t

0u′m(s)ds

∣∣∣∣∣2

≤ 2|um0 |2 + 2tˆ t

0|u′m(s)|2ds

≤ 2|um0 |2 + 2Tˆ t

0|u′m(s)|2ds .

Insgesamt erhalten wir

|u′m(t)|2 + ‖um(t)‖2 ≤ const(

1 +ˆ t

0

(|u′m(s)|2 + ‖um(s)‖2

)ds).

191 Differentialgleichungen III

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22 Lineare Evolutionsgleichungen zweiter Ordnung

Somit ist (um) beschränkt in L∞(0, T ;V ) und (u′m) beschränkt in L∞(0, T ;H). Auch Aist beschränkt und es ist u′′m = f −Aum, womit (u′′m) beschränkt in L2(0, T ;V ∗). Es gibtalso u ∈ L∞(0, T ;V ) und v ∈ L∞(0, T ;H) mit um′

∗− u in L∞(0, T ;V ) und u′m′∗− v in

L∞(0, T ;H). Es folgt dann v = u′ in L∞(0, T ;H), denn für beliebige w ∈ H, φ ∈ C∞0 (0, T ),d.h. t 7→ φw ∈ L1(0, T ;H) gilt

ˆ T

0(v(t), w)φ(t)dt←

ˆ T

0

(u′m′(t), w

)φ(t)dt

= −ˆ T

0

(um′(t), w

)φ′(t)dt→ −

ˆ T

0(u(t), w)φ′(t)dt .

Dies zeigt v = u′ in L∞(0, T ;H).(2). Wir zeigen, dass u die Differentialgleichung löst: Für k ≤ m′ ist Vk ⊂ Vm′ und es giltˆ T

0

(f(t), vk

)φ(t)dt−

ˆ T

0a(t;um′ , vk

)φ(t)dt =

ˆ T

0

⟨u′′m′(t), vk

⟩φ(t)dt

= (u′m′(T ), vk)φ(T )− (um′(0), vk)φ(0)

−ˆ T

0(u′m′(t), vk)φ′(t)dt .

Für φ(T ) = 0 können wir zum Grenzwert übergehen und erhaltenˆ T

0(f(t), vk)φ(t)dt−

ˆ T

0a(t;u(t), vk)φ(t)dt = −(v0, vk)φ(0)−

ˆ T

0(u′(t), vk)φ′(t)dt (22.1)

für alle k ∈ N und vk ∈ Vk, also auch für alle vk = v ∈ V . Wählen wir nun φ ∈ C∞0 (0, T ),so erhalten wir, dass u die Differentialgleichung löst.Da u′m′

∗− u′ in L∞(0, T ;H), ist auch u′m′ u′ in L2(0, T ;H). Aus um′∗− u in L∞(0, T ;H)

folgt analog um′ u in L2(0, T ;H). Also gilt um′ → u in H1(0, T ;H) → C([0, T ];H).Nun ist u0

m′ = um′(0) u(0) in H und wegen um′(0) = u0m′ → u0 in V folgt u(0) = u0.

Da u′′ = f −Au ∈ L1(0, T ;V ∗), ergibt sich u′ ∈ AC([0, T ];V ∗). Wegen (22.1) undˆ T

0(f(t), v)φ(t)dt−

ˆ T

0a(t;u(t), v

)φ(t)dt

=ˆ T

0〈u′′(t), v〉φ(t)dt

= −(u′(0), v)φ(0)−ˆ T

0(u′(t), v)φ′(t)dt

für v ∈ V und φ(T ) = 0 folgt (v0, v)φ(0) = (u′(0), v)φ(0) für alle v ∈ V . Mit φ(0) 6= 0 folgt

Differentialgleichungen III 192

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22.2 Existenz, Eindeutigkeit und stetige Abhängigkeit von den Daten

u′(0) = v0.

u ∈ L∞(0, T ;V )

)) ++u ∈ AC([0, T ];H) // u ∈ Cw([0, T ];V )

u′ ∈ L∞(0, T ;H)

55

)) ++u′ ∈ AC([0, T ];V ∗) // u′ ∈ Cw([0, T ];H)

u′′ ∈ L2(0, T ;V ∗)

55

(3). Eindeutigkeit: Es seien u und u Lösungen Wir betrachten für w = u− uw′′ +Aw = 0w(0) = 0w′(0) = 0 .

Da w′′ +Aw = 0, dürfen wir 〈w′′ +Aw,w〉 betrachten. Für s > 0 setzen wir

v(t) := vs(t) :=´ s

t w(r)dr t ≤ s0 sonst .

Da w ∈ L2(0, T ;V ), ist v ∈ AC([0, T ];V ). Zum einen istˆ T

0〈w′′(t), v(t)〉dt =

ˆ s

0

⟨w′′(t),

ˆ s

tw(r)dr

⟩dt =

ˆ s

0

ˆ s

t〈w′′(t), w(r)〉drdt

=ˆ s

0

ˆ r

0〈w′′(t), w(r)〉dtdr =

ˆ s

0〈w′(r), w(r)〉dr = 1

2 |w(s)|2 .

Andererseits ist wegen v′ = −w auf (0, s)ˆ T

0a(t;w(t), v(t)

)dt = −

ˆ s

0a

(t; d

dtv(t), v(t))

dt

= −12

ˆ s

0

ddta(t; v(t), v(t))dt+ 1

2

ˆ s

0a′(t; v(t), v(t))dt

≥ 12a(0, v(0), v(0))− β′ 12

ˆ s

0‖v(t)‖2dt

≥ 12µ∥∥∥∥ˆ s

0w(r)dr

∥∥∥∥2− κ1

2

∣∣∣∣ˆ s

0w(r)dr

∣∣∣∣2 − β′ 12ˆ s

0

∥∥∥∥ˆ s

tw(r)dr

∥∥∥∥2

︸ ︷︷ ︸=‖´ s0 w(r)dr−

´ t0 w(r)dr‖

≤2‖´ s0 w(r)dr‖2+2‖´ t0 w(r)dr‖2

dt .

193 Differentialgleichungen III

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22 Lineare Evolutionsgleichungen zweiter Ordnung

Insgesamt erhalten wir

12 |w(s)|2 + 1

2µ∥∥∥∥ˆ s

0w(r)dr

∥∥∥∥2≤ˆ T

0

(〈w′′(t), v(t)〉+ a(t, w(t), v(t))

)dt+ κ

2

∣∣∣∣ˆ s

0w(r)dr

∣∣∣∣2+ β′

ˆ s

0

∥∥∥∥ˆ s

0w(r)dr

∥∥∥∥2dt+ β′

ˆ s

0

∥∥∥∥∥ˆ t

0w(r)dr

∥∥∥∥∥2

dt

= κ

2

∣∣∣∣ˆ s

0w(r)dr

∣∣∣∣2 + β′s

∥∥∥∥ˆ s

0w(r)dr

∥∥∥∥2

+ β′ˆ s

0

∥∥∥∥∥ˆ t

0w(r)dr

∥∥∥∥∥2

dt .

Nun ist ∣∣∣∣ˆ s

0w(r)dr

∣∣∣∣2 ≤ s ˆ s

0|w(r)|2dr .

Damit erhalten wir

|w(s)|2 + (µ− 2β′s)∥∥∥∥ˆ s

0w(r)dr

∥∥∥∥2≤ κs

ˆ s

0|w(r)|2dr + 2β′

ˆ s

0

∥∥∥∥∥ˆ t

0w(r)dr

∥∥∥∥∥dt .

Sei s0 := µ2β′ . Dann ist (µ− 2β′s) = 0 für s < s0. In diesem Fall haben wir

|w(s)|2 + (µ− 2β′s)∥∥∥∥ˆ s

0w(r)dr

∥∥∥∥2≤ maxκs0, 2β′

(ˆ s

0|w(r)|2dr

+ˆ s

0

∥∥∥∥∥ˆ t

0w(r)dr

∥∥∥∥∥2

dt

.

Das Lemma von Gronwall liefert für s < s0, dass |w(s)|2 ≤ 0, also u = u auf (0, s0). Das0 nicht von s0 abhängt, sondern eine konstante Größe ist, kann man jetzt schrittweiseganz [0, T ] „abklappern“ (durchlaufen). Es bleibt u ∈ C([0, T ];V ) und u′ ∈ C([0, T ];H)zu zeigen. Wir zeigen zunächst:

12

dd|u′(t)|2 + 1

2ddta(t, u(t), u(t)) = (f(t), u′(t)) + 1

2a(t;u(t), u(t)) .

(4). Wir benutzen nun das zentrierte Steklov-Mittel:

(Shu)(t) := 12h

ˆ t+h

t−hu(s)ds

mit

u(t) :=u(t) t ∈ [0, T ]0 sonst

.

Dieses besitzt die folgenden Eigenschaften:

(Shu)′(t) = u(t+ h)− u(t− h)2h ∈ V

für t ∈ [h, T − h]. Außerdem ist

‖Shu‖L2(0,T ;V ) ≤ ‖u‖L2(0,T ;H)

Differentialgleichungen III 194

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22.2 Existenz, Eindeutigkeit und stetige Abhängigkeit von den Daten

und schließlich istShu→ u

in L2(0, T ;H).Wir testen mit Shu′ = (Shu)′ = Sh(u′) und betrachten((

Shu′)′(t), (Shu′)(t))+ a

(t;K

(Shu

′)(t), (Shu′)(t))mit

(Kv)(t) := u0 +ˆ t

0v(s)ds ,

d.h. (Kv)′ = v. Es folgt

((Shu′)′(t), (Shu′)(t)

)= 1

2ddt |(Shu

′)(t)|2

und weiter

a(t;K

(Shu

′)(t), (Shu′)(t)) = a(t;K

(Shu

′)(t), (K(Shu′))′(t))

= 12

ddta

(t;K

(Shu

′)(t),K(Shu′)(t))− 1

2a′(t;K

(Shu

′)(t),K(Shu′)(t)) .Insgesamt ist

12

ddt |(Shu

′)(t)|2 + 12

ddta

(t;K

(Shu

′)(t),K(Shu′)(t))=((Shu

′)′(t), (Shu′)(t))+ a(t;K

(Shu

′)(t), (Shu′)(t))+ 1

2a′(t;K

(Shu

′)(t),K(Shu′)(t)) .(22.2)

Es giltK(Shu′)(t) = Sh(Ku′)(t) + (ShKu′)(0)

und ebenso(Ku′)(t) = u(t) .

Wir können (22.2) also mit((Shu

′)′(t), (Shu′)(t))+ a(t;(Shu

)(t),

(Shu

′)(t))︸ ︷︷ ︸=⟨

(Shu′)′(t)+A(Shu)(t),(Shu′)(t)⟩ +1

2a′(t;(Shu

)(t),

(Shu

)(t))

+ . . . .

Im Grenzwert h 0 erhalten wir

12

ddt |u

′(t)|2 + 12

ddta(t;u(t), u(t)) = 〈u′′(t) +Au(t), u′(t)〉+ 1

2a′(t;u(t), u(t))

=(f(t), u′(t)

)+ 1

2a′(t;u(t), u(t)) .

Weiter ist(t 7→ (f(t), u′(t))

)∈ L1(0, T ) und ebenso

(t 7→ a′(t;u(t), u(t))

)∈ L1(0, T ), denn

a′(t;u(t), u(t)) ≤ β′‖u(t)‖2 und u ∈ L2(0, T ;V ). Somit folgt

t 7→ ddt(|u′(t)|2 + a

(t;u(t), u(t)

))∈ L1(0, T ) .

195 Differentialgleichungen III

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22 Lineare Evolutionsgleichungen zweiter Ordnung

Also istt 7→ |u′(t)|2 + a(t;u(t), u(t)) ∈W 1,1(0, T ) ⊂ AC([0, T ]) .

Sei t ∈ [0, T ] beliebig und tn → t. Dann ist

0 ≤ |u′(tn)− u′(t)|2 + µ‖u(tn)− u(t)‖2

≤ |u′(tn)− u′(t)|2 + a(t;u(tn)− u(t), u(tn)− u(t)

)+ κ|u(tn)− u(t)|2

= |u′(tn)|2 − 2(u′(tn), u′(t)

)+ |u(t)|2 + a

(t;u(tn), u(tn)

)− 2a

(t;u(tn), u(t)

)+ a

(t;u(t), u(t)

)+ κ|u(tn)− u(t)|2 .

Dabei ist nach gerade Gezeigtem

|u′(tn)|2 + a(t;u(tn), u(tn)

)→ |u(t)|2 + a

(t;u(t), u(t)

)und (

u′(tn), u′(t))→(u′(t), u′(t)

),

denn u′ ∈ Cw([0, T ];H). Auch gilt

a(t;u(tn), u(t)

)→ a

(t;u(t), u(t)

),

da u ∈ Cw([0, T ];V ) und a schwach-schwach-stetig ist. Letztlich gilt |u(tn) − u(t)|2 → 0,da u′ ∈ L1(0, T ;H), also u ∈ AC([0, T ];H). Dies zeigt

|u′(tn)− u′(t)|2 + µ‖u(tn)− u(t)‖2 → 0 ,

also u ∈ C([0, T ];V ) und u′ ∈ C([0, T ];H).

Differentialgleichungen III 196

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23 Halbgruppen

23.1 Grundlagen

Es sei X ein Banach-Raum, A ∈ C(I;L(X)), f ∈ C(I;X), wobei I ⊂ R ein Intervall ist,und es seien t0 ∈ I und u0 ∈ X. Wir betrachten

u′(t) +A(t)u(t) = f(t) t ∈ Iu(t0) = u0 .

Dieses Problem ist eindeutig lösbar, wobei für die Lösung nach Duhamel

u(t) = U(t, t0)u0 +ˆ t

t0

U(t, s)f(s)ds

gilt. Dabei ist U : I × I → L(X) der Propagator. Ist A(t) ≡ A ∈ L(X) zeitlich konstant,so ist U(t, s) = S(t− s) mit

S(r) = e−rA .

Dann gilt

u(t) = S(t− t0)u0 +ˆ t

t0

S(t− s)f(s)ds .

Wir sammeln nun die folgenden Eigenschaften von S : R→ L(X):

(1) Es ist S(0) = Id.

(2) Es gilt S(t+ s) = S(t)S(s) = S(s)S(t).

(3) Der Operator S(t) ist mit S(t)−1 = S(−t) invertierbar.

Damit bildet S(t)t∈R ⊂ L(X) eine Gruppe.

(4) Es gilt weiterhin‖S(t)− S(0)‖L(X) = ‖S(t)− Id‖L(X) → 0

für t→ 0.

Also bildet S(t)t∈R eine gleichmäßig stetige Gruppe. Mit (2) folgt die Stetigkeit auch invon Null verschiedenen Punkten. Betrachten wir nun Evolutionsgleichungen wie

∂∂tu(t, x)−∆u(t, x) = f(t, x) , t > 0 , x ∈ Ωu(t, x) = 0 t > 0 , x ∈ ∂Ωu(0, x) = u0(x) x ∈ Ω .

Nun ist ∆: X → X kein beschränkter Operator. Wir können jedoch den unbeschränktenOperator A : X ⊃ D(A) → X definieren. Z.B. kann Au = −∆u mit X = L2(Ω) füru ∈ D(A) = H2(Ω) ∩H1

0 (Ω). Dann ist D(A) ⊂ X dicht in X. Die Abstrakte Formulierenfür u(t) ∈ D(A) lautet

u′(t) +Au(t) = f(t) t > 0u(0) = u0 .

Die Idee ist, S(t) := e−tA zu definieren. Wir können jedoch nicht e−tA = ∑∞k=0

(−t)kAkk!

schreiben.

197 Differentialgleichungen III

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23 Halbgruppen

Definition 23.1. Eine Familie S = (S(t))t≥0 ⊂ L(X) heißt Halbgruppe, falls

a) für t = 0 die Gleichung S(0) = Id gilt und

b) für alle s, t ≥ 0 die Beziehung S(t+ s) = S(t)S(s) gilt („Halbgruppeneigenschaft“).

Die Halbgruppe S heißt gleichmäßig stetig, falls

‖S(t)− Id‖L(X) → 0

für t 0.Die Halbgruppe S heißt stark stetige bzw. C0-Halbgruppe, falls

‖S(t)x− x‖ → 0

für alle x ∈ X und t 0.

Bemerkung 23.2. Es lässt sich zeigen, dass jede gleichmäßig stetige Halbgruppe von derForm S(t) = e−tA für ein A ∈ L(X).Die Halbgruppeneigenschaft liefert die Stetigkeit von t 7→ S(t)x auch in t 6= 0.Beispiel 23.3. Natürlich bildet S(t) = e−tA, A ∈ L(X), ein Beispiel.Betrachten wir X = C(R) und defineren S(t) : X → X, t > 0, durch

(S(t)f)(x) := f(x− t)

für f ∈ X, so bildet (S(t)) die stark stetige Translationshalbgruppe.

Lemma 23.4. Sei (S(t))t≥0 eine C0-Halbgruppe auf X. Dann gibt es ein M ≥ 1 und einω ∈ R mit

‖S(t)‖L(X) ≤Meωt

für alle t ≥ 0.

Beweis. (1). Wir zeigen zunächst, dass ein δ > 0 und ein M ≥ 1 existieren, so dass füralle t ∈ [0, δ]

‖S(t)‖L(X) ≤Mgilt. Angenommen, solche Konstanten gäbe es nicht. Dann gibt es eine Nullfolge (tn) mit‖S(tn)‖L(X) →∞. Andererseits folgt aus der Halgruppeneigenschaft für alle x ∈ X

‖S(tn)x− x‖X → 0 ,

womit insbesondere (S(tn)x)n beschränkt ist. Nach dem Satz ??? von Banach-Steinhausist damit auch ‖S(tn)‖ beschränkt ist, was einen Widerspruch zur Annahme darstellt.(2). Wir setzen ω := lnM

δ . Ein beliebiges t ≥ 0 schreiben wir als t = nδ+σ mit n ∈ N und0 ≤ σ < δ. Damit ist

‖S(t)‖L(X) = ‖S(nδ + σ)‖L(X) ≤Mn+1 ≤M ·Mtδ = Me

t lnMδ = Meωt .

Es sei eine Halbgruppe (S(t))t≥0 gegeben. Wir wollen in einem gewissen Sinne S(t) = etAschreiben. Formal bzw. für A ∈ L(X) können wir

A = ddtS(t)

∣∣t=0 = lim

h0

S(h)− Idh

schreiben.

Differentialgleichungen III 198

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23.1 Grundlagen

Definition 23.5. Es sei (S(t))t≥0 eine C0-Halbgruppe. Wir definieren D(A) als den Raumaller x ∈ X, für welche limh0

S(h)x−xh existiert. Für x ∈ D(A) setzen wir

Ax := limh0

S(h)x− xh

.

Der so definierte Operator A heißt (infinitesimale) Erzeuger bzw. Generator der Halbgrup-pe (S(t)).

Bemerkung 23.6. Ist A ∈ L(X) und S(t) = etA, so ist A der Erzeuger von (S(t))t≥0 undD(A) = X.Wir wissen noch nicht, ob D(A) nicht nur 0 ist.

Lemma 23.7. Es sei (S(t))t≥0 eine C0-Halbgruppe mit Erzeuger A. Dann gelten diefolgenden Aussagen:

(i) Für beliebige x ∈ X und t ≥ 0 ist

limh→0

1h

ˆ t+h

tS(s)xds = S(t)x .

(ii) Für beliebige x ∈ X und t ≥ 0 istˆ t

0S(s)xds ∈ D(A) und A

(ˆ t

0S(s)xds

)= S(t)x− x .

(iii) Für x ∈ D(A) ist S(t)x ∈ D(A) und t 7→ S(t)x ist differenzierbar mit

S′(t)x = AS(t)x = S(t)Ax .

(iv) Für x ∈ D(A) ist

S(t)x− S(s)x =ˆ t

sS(r)Axdr =

ˆ t

sAS(r)xdr .

Beweis. (i). Dies ist aufgrund der Stetigkeit des Integranden bereits in DGL I gezeigtworden.(ii). Wir beobachten

S(h)− Idh

(ˆ t

0S(s)xds

)= 1h

ˆ t

0

(S(s+ h)x− S(s)x

)ds

= 1h

(ˆ t+h

hS(s)xds−

ˆ t

0S(s)xds

)

= 1h

ˆ t+h

tS(s)xds− 1

h

ˆ h

0S(s)xds→ S(t)x− S(0)x

= S(t)x− x .

(iii). Es ist

S(h)− Idh

(S(t)x) = 1h

(S(t+ h)x− S(t)x

)= S(t)S(h)x− x

h→ S(t)Ax .

(iv). Dies ist der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung.

199 Differentialgleichungen III

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23 Halbgruppen

Satz 23.8. Es sei (S(t))t≥0 eine C0-Halbgruppe mit Erzeuger A. Dann ist D(A) dicht inX und A ist abgeschlossen.

Dabei heißt ein Operator A : X ⊃ D(A) → Y abgeschlossen, falls für (xn) ⊂ D(A) mitxn → x ∈ X und Axn → y ∈ Y folgt, dass x ∈ D(A) und Ax = y. Sind zwei derdrei Eigenschaften Abgeschlossenheit des Operators, Stetigkeit des Operators und Ab-geschlossenheit des Definitionsbereiches erfüllt, so gilt auch die dritte. Ein Operator istgenau dann abgeschlossen, wenn sein Graph als Teilmenge von X × Y abgeschlossen ist.Summen abgeschlossener Operatoren müssen im allgemeinen nicht abgeschlossen sein.

Beweis. Für x ∈ X gilt

x = limh0

1h

ˆ h

0S(s)xds

und es ist´ h

0 S(s)xds ∈ D(A). Dies zeigt bereits die Dichtheit von D(A) in X.Sei nun (xn) ⊂ D(A) mit xn → x in X und Axn → y in Y . Dann ist

1h

(S(h)x− x

) n→∞←−−− 1h

(S(h)xn − xn

)= 1h

ˆ h

0S(s)Axnds

n→∞−−−→ 1h

ˆ h

0S(s)yds h→∞−−−→ S(0)y = y .

Damit ist x ∈ D(A) und per Definition ist Ax = y.

Beispiel 23.9. Wir betrachten X = L2(R) und (S(t)u)(x) := u(x + t). Dann ist A = ddx

der Erzeuger mit D(A) = H1(R).

23.2 Milde Lösungen

Es sei im Folgenden X ein Banach-Raum und (S(t))t≥0 sei eine C0-Halbgruppe mit Er-zeuger −A. Wir betrachten das Problem

u′(t) +Au(t) = f(t) , t > 0u(0) = u0 .

(23.1)

Wir nehmen u0 ∈ D(A) und f ∈ C([0,∞);X) an. Ist u ∈ C([0,∞); D(A))∩C1([0,∞);X),wobei wir D(A) mit der Graphennorm ‖·‖X +‖A·‖X versehen, eine Lösung des Problems,so gilt die Formel von Duhamel, d.h.

u(t) = S(t)u0 +ˆ t

0S(t− s)f(s)ds . (23.2)

Beweis. Es sei g(s) = S(t− s)u(s). Dann ist

g′(s) = S(t−s)Au(s)+S(t−s)u′(s) = S(t−s)Au(s)+S(t−s)(f(s)−Au(s)

)= S(t−s)f(s) .

Also istg(t)︸︷︷︸=u(t)

− g(0)︸︷︷︸=S(t)u0

=ˆ t

0S(t− s)f(s)ds .

Differentialgleichungen III 200

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23.3 Der Satz von Hille-Yosida

Die Formel (23.2) ist jedoch auch unter schwächeren Voraussetzungen zu verstehen.

Definition 23.10. Es sei f ∈ L1(0,∞;X) und es sei u0 ∈ X. Dann heißt u milde Lösungvon (23.1), falls (23.2) gilt.

Bemerkung 23.11. Jede klassische Lösung ist auch eine milde Lösung.

Satz 23.12. Es sei u0 ∈ D(A) und f ∈ C([0,∞);X). Gilt f ∈ L1(0,∞; D(A)) oderf ∈W 1,1(0,∞;X), so ist jede milde Lösung u auch eine klassische Lösung.

Beweis. Insbesondere ist zu zeigen, dass u ∈ C([0,∞),D(A))∩C1(0,∞;X). Der Summandt 7→ S(t)u0 erfüllt diese Anforderungen, denn S(t)u0 ∈ D(A) und t 7→ S(t)u0 ist stetigund S′(t)u0 = AS(t)u0. Für den zweiten Term

v(t) :=ˆ t

0S(t− s)f(s)ds

erhalten wir

S(h)v(t) =ˆ t

0S(t+ h− s)f(s)ds =

ˆ t+h

0S(t+ h− s)f(s)ds−

ˆ t+h

tS(t+ h− s)f(s)ds

= v(t+ h)− S(h)ˆ t+h

tS(t− s)f(s)ds .

Nun istS(h)− Id

hv(t) = v(t+ h)− v(t)

h− 1hS(h)

ˆ t+h

tS(t− s)f(s)ds .

Es gilt

S(h) 1h

ˆ t+h

tS(t− s)f(s)ds→ f(t) .

Nehmen wir Differenzierbarkeit von v an, so gilt v(t) ∈ D(A) mit Av(t) = v′(t) − f(t).Nehmen wir an, dass v(t) ∈ D(A), d.h. S(h)−Id

h v(t) konvergiert, so folgt die Differenzier-barkeit von v in t mit v′(t) = Av(t) + f(t). Damit ist v genau dann differenzierbar, d.h.v ∈ C1(0,∞;X), wenn v ∈ C([0,∞),D(A)).Ist f ∈ L1(0,∞; D(A)), so folgt unmittelbar v ∈ C([0,∞); D(A)). Ist f ∈ W 1,1(0,∞;X),so folgt mit v(t) =

´ t0 S(s)f(t− s)ds, dass

v′(t) = S(t)f(0) +ˆ t

0S(s)f ′(t− s)ds .

Es ist also v ∈ C1([0,∞);X).

23.3 Der Satz von Hille-Yosida

Wir betrachten u′(t)−Au(t) = f(t)u(0) = u0 .

Es gibt eine Lösung, falls A der Erzeuger einer C0-Halbgruppe ist. Notwendige Bedingun-gen dazu sind Dichtheit von D(A) und Abgeschlossenheit von A. Dies sind jedoch nochkeine hinreichenden Bedingungen.

201 Differentialgleichungen III

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23 Halbgruppen

Satz 23.13 (Hille-Yosida). Ein Operator A : D(A) → X ist genau dann Erzeuger einerC0-Halbgruppe mit ‖S(t)‖ ≤Meωt, falls

(i) der Definitionsbereich D(A) dicht in X ist und A abgeschlossen ist und

(ii) jedes λ > ω in der Resolventenmenge ρ(A) ist und für alle n ∈ N

‖Rλ(A)n‖ ≤M(λ− ω)−n

gilt.

Bemerkung 23.14. Für einen linearen Operator A : X ⊃ D(A) → X definieren wir dieResolventenmenge ρ(A) als

ρ(A) := λ ∈ C : A− λ Id ist bijektiv und (A− λ Id)−1 ∈ L(X)

und das Spektrum σ(A) alsσ(A) := C \ ρ(A) .

Die Resolvente Rλ(A) für λ ∈ ρ(A) ist Rλ(A) := (A− λ Id)−1 ∈ L(X).Spektralwerte λ ∈ σ(A), für welche A−λ Id nicht injektiv ist, heißen Eigenwerte und bildendas Punktspektrum σp(A). Im Gegensatz zum Endlichdimensionalen kann nun jedoch A−λ Id zwar injektiv sein, muss dann jedoch nicht surjektiv sein. Auch wenn A−λ Id bijektivist, muss (A− λ Id)−1 nicht stetig sein.Sowohl ρ(A) = C als auch ρ(A) = ∅ können auftreten. Die Menge ρ(A) ist jedoch stetsoffen, d.h. σ(A) ist immer abgeschlossen.

Beweis. Zur Richtung „⇒“: Dass (i) gelten muss, haben wir bereits gezeigt. Es seien nunM und ω wie in der Voraussetzung, d.h. ‖S(t)‖ ≤Meωt. Wir setzen für x ∈ X

In(λ)x := 1(n− 1)!

ˆ ∞0

tn−1e−λtS(t)xdt .

Dieser Ausdruck ist für λ > ω wohldefiniert mit

‖In(λ)x‖ ≤ M

(n− 1)!

ˆ ∞0

tn−1e−(λ−ω)tdt‖x‖ = M

(λ− ω)n ‖x‖ .

Dies zeigt ‖In(λ)‖ ≤ M(λ−ω)n .

Für x ∈ D(A) und n > 1 folgt

In(λ)Ax = 1(n− 1)!

ˆ ∞0

tn−1e−λt S(t)Ax︸ ︷︷ ︸=(S(t)x)′

dt

= − 1(n− 2)!

ˆ ∞0

ˆ ∞0

tn−2e−λtS(t)xdt+ λ

(n− 1)!

ˆ ∞0

tn−1e−λtS(t)xdt

= λIn(λ)x− In−1(λ)x .

Damit ist In(λ)(A− λ Id)x = −In−1(λ)x. Für n = 1 und x ∈ D(A) ist

I1(λ)Ax =ˆ ∞

0e−λtS(t)Axdt =

ˆ ∞0

(e−λtS(t)x

)′dt+ λ

ˆ ∞0

e−λtS(t)xdt = −x+ λI1(λ)x .

Differentialgleichungen III 202

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23.3 Der Satz von Hille-Yosida

Dies zeigt I1(λ)(A− λ Id) = −x. Weiterhin istS(h)− Id

hI1(λ)x = 1

h

ˆ ∞0

e−λtS(t+ h)xdt− 1h

ˆ ∞0

e−λtS(t)dt

= eλhh

ˆ ∞0

e−λ(t+h)S(t+ h)xdt− 1h

ˆ ∞0

e−λtS(t)dt

= eλhh

ˆ ∞0

e−λtS(t)xdt− 1h

ˆ ∞0

e−λtS(t)dt

= eλh − 1h

ˆ ∞0

e−λtS(t)xdt− eλhh

ˆ ∞0

e−λtS(t)xdt

h0−−−→ λI1(λ)x− x .

Dies zeigt I1(λ)x ∈ D(A) und AI1(λ)x = λI1(λ)x− x, also λ ∈ ρ(A) und

Rλ(A) = (A− λ Id)−1 = −I1(λ) ∈ L(X) .

Ähnlich zeigt manS(h)− Id

hIn(λ)x→ λIn(λ)x− In−1(λ)x .

Damit ist−In−1(λ)x = (A− λ Id)In(λ)x = In(λ)(A− λ Id)x ,

alsoIn(λ = −(A− λ Id)−1In−1(λ) = (−1)n(A− λ Id)−n .

Zur Rückrichtung „⇐“: Wir setzen

Un(t) :=(

Id− tnA

)−n=(t

n

)−n (nt

Id−A)−n

=(t

n

)−n(−1)nRn

t(A)n .

Nach Voraussetzung ist Un(t) für genügend großes n stets wohldefiniert (falls n > tω) undes gilt

‖Un(t)‖ ≤(t

n

)−nM

(n

t− ω

)−n= M

(1− ωt

n

)−n→Meωt .

Insbesondere ist ‖Un(t)‖ gleichmäßig in n beschränkt. Wir können t 7→ Un(t) differenzierenund erhalten

U ′n(t) =(

Id− tnA

)−n−1A .

Wir zeigen, dass Un(t)x für x ∈ D(A2) konvergiert:

Un(t)x− Um(t) =ˆ t

0

dds(Um(t− s)Un(s)x

)ds

=ˆ t

0

((Id− t− s

nA

)−mA

(Id− s

nA

)−n−1

−A(

Id− t− sm

A

)−m−1 (Id− s

nA

)−n)xds

= limh→0

ˆ t+h

h

(Id− t− s

mA

)−m−1 (Id− s

nA

)−n−1

︸ ︷︷ ︸‖·‖≤constt(

Id− t− sm

A− Id + s

nA

)Axds .

203 Differentialgleichungen III

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23 Halbgruppen

Damit ist

‖Un(t)x− Um(t)x‖ ≤ consttˆ t

0

(s

n− t− s

m

)ds‖A2x‖

= constt‖A2x‖ t2

2

( 1n− 1m

)n,m→∞−−−−−→ 0 .

Dies zeigt, dass die Folge (Un(t)x)n ⊂ X eine Cauchy-Folge ist und damit einen Grenz-wert limn→∞ Un(t)x =: S(t)x für x ∈ D(A) besitzt. Da ‖Un(t)x‖ ≤ M

(1− ωt

n

)−n ‖x‖ →Meωt‖x‖, gilt auch ‖S(t)x‖ ≤Meωt‖x‖. Wir setzen S(t) stetig und linear auf ganz X fort,d.h. wir erhalten S(t) ∈ L(X) mit ‖S(t)‖ ≤Meωt.Wir zeigen, dass (S(t)) eine Halbgruppe ist: Zunächst ist Un(0) = Id für alle n ∈ N, d.h.S(0) = limn→∞ Un(0) = Id (auf einem dichten Unterraum, also auf ganz X). Wie obensehen wir, dass

dds(Un(t− s)Un(s)x

)= 2s− t

n

(Id− t− s

nA

)−n−1 (Id− s

nA

)−n−1A2x

n→∞−−−→ 0 .

Es ist also dds(S(t− s)S(s)x

)= 0, also ist S(t− s)S(s)x kostant in s, d.h. S(t− s)S(s)x =

S(t− 0)S(0)x = S(t).Für x ∈ D(A2) ist t 7→ Un(t)x stetig in Null (folgt aus (Id− t

nA)−1x→ x). Da t 7→ ‖S(t)‖auf beschränkten Intervallen beschränkt ist, folgt auch die Stetigkeit von t 7→ S(t)x inNull für alle x ∈ X.Wir zeigen nun, dass A Erzeuger der C0-Halbgruppe (S(t))t≥0 ist: Dazu beobachen wirU ′n(t)x = A

(Id− t

nA)−1 Un(t)x, d.h.

S(h)− Idh

xh→0−−−→ Ax

für x ∈ D(A). Bezeichnen wir den Erzeuger von (S(t))≥0 mit A, so haben wir D(A) ⊂D(A) und auf D(A) ist A = A. Es gilt aber auch D(A) ⊂ D(A): Nach der bereitsgezeigten Richtung ⇒ ist λ ∈ ρ(A), falls λ > ω, also insbesondere (A − λ Id)−1 ∈ L(X).Nach Voraussetzung gilt jedoch auch λ ∈ ρ(A) und (A− λ Id)−1 ∈ L(X). Mit A = A aufD(A) ⊂ D(A) und

(A− λ Id)−1 : X → D(A) ,(A− λ Id)−1 : X → D(A)

istD(A) = (A− λ)−1(X) ⊂ (A− λ Id)−1(A− λ Id)(D(A)) ,

also auch D(A) ⊂ D(A).

Aufgrund dieses Satzes schreibt man häufig S(t) = etA.

23.4 Der Satz von Lumer-Phillips

Für die Voraussetzungen des Satzes von Hille-Yosida ist u.a. nachzuprüfen, dass die Un-gleichung ‖Rλ(A)n‖ ≤ M(λ − ω)−n erfüllt ist, was sich oft als schwierig erweist. Ist aberM = 1, so folgt dies bereits aus ‖Rλ(A)‖ ≤ 1

λ−ω .

Differentialgleichungen III 204

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23.4 Der Satz von Lumer-Phillips

Definition 23.15. Es sei (S(t))t≥0 eine C0-Halbgruppe mit ‖S(t)‖ ≤ Meωt. Dann heißt(S(t))t≥0

(i) Quasikontraktionshalbgruppe, falls M = 1 ist und

(ii) Kontraktionshalbgruppe, falls ‖S(t)‖ ≤ 1 (z.B. ω ≤ 0 und M = 1).

Satz 23.16. Für jede C0-Halbgruppe (S(t))t≥0 ⊂ L(X) gibt es eine äquivalente Norm aufX, bezüglich der (S(t))t≥0 eine Quasikontraktionshalbgruppe ist.

Beweis. ; Pazy.

Satz 23.17 (Lumer-Phillips). Es sei H ein Hilbert-Raum und A : H ⊃ D(A)→ H sei einOperator, für welchen es ein ω > 0 gibt, so dass

(i) der Definitionsbereich D(A) dicht in H ist,

(ii) die Abschätzung Re(x,Ax) ≤ ω‖x‖2 gilt und

(iii) es ein λ0 > ω gibt, so dass A− λ0 Id surjektiv ist.

Dann ist A der Erzeuger einer Quasikontraktionshalbgruppe (S(t))t≥0 mit ‖S(t)‖ ≤ eωt.

Beweis. Für λ > ω und x ∈ D(A) gilt

‖(A− λ Id)x‖‖x‖ ≥ Re(x,(A− λ Id)x

)≥ λ‖x‖2 − ω‖x‖2 = (λ− ω)‖x‖2 .

Dies zeigt ‖(A− λ Id)x‖ ≥ (λ− ω)‖x‖, d.h. A− λ Id ist injektiv für λ > ω. Ist A− λ0 Idauch surjektiv, so folgt mit dieser Abschätzung auch die Stetigkeit der Umkehrabbildung,d.h. ‖(A− λ Id)−1‖ ≤ 1

λ0−ω . Damit ist λ0 ∈ ρ(A) und

‖Rλ0(A)n‖ ≤ (λ− ω)−n‖ .

Insbesondere ist σ(A) 6= C, also ist A abgeschlossen. Es bleibt zu zeigen, dass A−λ Id füralle λ > ω surjektiv.Fredholm-Operatoren: Es seien X und Y zwei Banach-Räume. Dann heißt A ∈ L(X,Y )Semi-Fredholm-Operator, falls ran(A) abgeschlossen in Y ist und entweder dim kerA <∞oder codim ranA <∞. Der Operator A heißt Fredholm-Operator, falls sowohl dim kerA <∞ als auch codim ranA <∞ gilt. Man setzt ind(A) := dim kerA−codim ranA. Die Mengeder Semi-Fredholm-Operatoren aus L(X) ist offen in L(X) und der Index ist lokalkonstant.Es sei also λ > ω. Wir wissen bereits, dass A−λ Id injektiv ist, d.h. dim ker(A−λ Id) = 0.Es ist ran(A − λ Id) abgeschlossen, denn für xn → x mit (A − λ Id)xn → y folgt aus derAbgeschlossenheit von A und der Stetigkeit von Id, dass x ∈ D(A) und (A − λ Id)x = y,d.h. A − λ Id ist abgeschlossen. Ist nun (yn) ⊂ ran(A − λ Id) mit yn = (A − λ Id)xn, sofolgt

‖xn − xm‖ ≤1

λ− ω‖yn − ym‖ → 0 ,

d.h. es gibt ein x ∈ X mit xn → x. Also ist x ∈ D(A) mit (A − λ Id)x = y und somity ∈ ranA.Für alle λ > ω ist also A−λ Id ein Semi-Fredholm-Operator mit dim ker(A−λ Id) = 0. Daind(A− λ0 Id) = 0, folgt ind(A− λ Id) = 0 und somit codim(A− λ Id) = 0, d.h. A− λ Idist surjektiv.

205 Differentialgleichungen III

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IndexC∞0 (a, b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81L1

loc(a, b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

abgeschlossene Kugel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15Abhängigkeit

von den Anfangsbedingungendifferenzierbare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48stetige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

von der rechten Seite . . . . . . . . . . . . . . . 47Ableitung

schwache. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .81, 139verallgemeinerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

Ansatz der rechten Seite . . . . . . . . . . . . . . . 6–7Approximationssatz für kompakte Operato-

ren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29Auswahlaxiom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38autonomes System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

Banachscher Fixpunktsatz. . . . . . . . . . .17, 75Beschränktheit

gleichmäßige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28lokale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

Bidualraum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96Bochner-Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12, 133Bochner-integrierbare Funktion . . . . . . . . 132Bochner-messbare Funktion . . . . . . . . . . . . 131

Carathéodory-Bedingung . . . . . . . . . . . . . . . 42Cauchy-Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9Charakteristik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9Charakteristikenverfahren. . . . . . . . . . . . . .8–9

d’Alembert siehe Reduktionsverfahren nachd’Alembert

Differentialgleichungelliptische . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9homogene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62hyperbolische . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9lineare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62logistische . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55parabolische . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9semilineare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62symmetrische . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

Differenzierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15Diskretisierungsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51Diskriminante. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .9dissipative Abbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48dissipatives System. . . . . . . . . . . . . . . . . .48, 52

Dualraum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .95Duhamel . . . . . . . siehe Formel von Duhamel

Eigenschaft (M) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115Einbettung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86Eindeutigkeitssatz von Nagumo . . . . . . . . . 36Eindeutigkeitssatz von Osgood . . . . . . . . . . 37einfache Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131erstes Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60Eulerverfahren

explizites . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50implizites . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50, 52

Evolutionsoperator . . . . . . . siehe PropagatorEvolutionstripel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142Existenzsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77, 80

Fixpunktsatz vonBrouwer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29Schauder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .29, 76

Formel vonDuhamel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7, 25Liouville . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

Fortsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37Fortsetzungslemma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38Fredholmsche Alternative . . . . . . . . . . . . . . . 69Fundamentallemma . . . . . . . . . . . . . . . . 82, 139Fundamentalmatrix . . . . . . . . . . . . . . . . . 26, 27Fundamentalsystem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

Gâteaux-Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118Gårdingsche Ungleichung . . . . . . . . . . . . . . 145Gelfand-Dreier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .142Gleichgewichtspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

asymptotisch stabiler . . . . . . . . . . . . . . . 54attraktiver . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .54exponentiell stabiler . . . . . . . . . . . . . . . . 54instabiler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54stabiler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

globaler Existenz und Eindeutigkeitssatz 39Greensche Funktion . . . . . . . . . . . . . 66, 68, 74

Halbordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .38Hauptsatz über pseudomonotone Operato-

ren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115Hauptsatz der Differential- und Integral-

rechnung . . . . . . . . . . . . . . . 15, 41, 135Hauptteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9Helmholtz-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

206

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Inverse Monotonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72

kanonische Abbildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . .96Knoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50Koerzitivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .101kompakte Abbildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .29Konvergenz

schwache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97schwache∗ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

Konvexes Funktional . . . . . . . . . . . . . . . . . . .120kritischer Punkt siehe Gleichgewichtspunkt

Lösungsoperator . . . . . . . . . siehe PropagatorLaplace-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9Lebesgue-Exponent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87Lemma von

Cattabriga . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184Gronwall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45differentielles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

Zorn. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .38Lipschitz-Bedingung

einseitiges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35lokale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18, 34

Ljapunov-Funktionschwache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59, 60starke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59, 60

Majorantenbedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42Maximumprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

starkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73Mittelfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82Mittelpunktverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50Mittelungskern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82Mittelwertsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15, 78, 80Modifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79Monotonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

d-Monotonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101gleichmäßige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .101Pseudomonotonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115starke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101strikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

Nagumo-Bedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . 36, 77Navier-Stokes-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . 125Nemyzki-Operator . . . . . . . . . . . . . .15, 42, 145Nulllage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

Oberlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77Operator

beschränkter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .13linearer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

stetiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13Operatornorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19Osgood-Bedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

Pivot-Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142Poisson-Gleichung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .9Potentialoperator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118Propagator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20–22, 27

Randbedingungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .62Dirichletsche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .62gemischte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62homogene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62Neumannsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62periodische . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62Robinsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

Reduktionsverfahren nach d’Alembert . . . . 4Reflexivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96Regularisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82Reynolds-Zahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125Rieszscher Kompaktheitssatz . . . . . . . . . . . . 16

Satz vonArzelà-Ascoli . . . . . . . . . . . . . . . . 28, 32, 76verallgemeinerter . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

Banach-Steinhaus. . . . . . . . . . . . . . . . . . .99Brézis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115Browder-Minty . . . . . . . . . . . . . . . 105, 124Hahn-Banach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95Komura . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136Lions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147Lions-Aubin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144Ljapunov . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56, 59Mazur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .13, 34, 98Peano. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .28, 31verallgemeinerter . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

Pettis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132Picard-Lindelöfglobal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17lokal. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .16

Scorza-Dragoni . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75schwach Bochner-messbare Funktion . . . 132schwach folgenunterhalbstetiges Funktional

120schwach koerzitives Funktional . . . . . . . . . 121Separationsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .10Sobolew-Raum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .87solenoidales Geschwindigkeitsfeld . . . . . . 125stabiler Zustand siehe GleichgewichtspunktStabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72

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stark dissipative Abbildung . . . . . . . . . . . . . 48Steklov-Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

rechtsseitiges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178Stetigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11, 16

absolute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41, 135Demistetigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100gleichgradige. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .28gleichmäßige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11Hemistetigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100Radialstetigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .100verstärkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

Stetigkeitsmodul . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179Stokes-Operator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126Superpositionsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

Träger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81Trennung der Veränderlichen . . . . . . . . . . . . . 8Treppenfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Übergangsoperator . . . . . . . siehe PropagatorUnterlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

Variation der Konstanten . . . . . . . . . . . . . . . . 5

Wärmeleitgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9Wellengleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9wesentlich separabel-wertige Funktion. .132Wohlordnungssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38Wronski-Determinante . . . . . . . 26–27, 63, 68

Zeitdiskretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

208