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G r u n d l a g e n d e r P h y s i k IV Aufbau der Materie Vorlesungsskript A. Stampa Universität GH Essen (Version 1999)

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G r u n d l a g e n d e r P h y s i k IV

Aufbau der Materie

Vorlesungsskript

A. Stampa

Universität GH Essen

(Version 1999)

I N H A L T

KAPITEL A Seite

Einleitung 61. Einordnung 62. Lehrbücher 63. Geschichtliches 7

a) Atome als philosophisches Problem 7b) Atome als Ergebnis naturwiss. Forschung 7c) Kern-Hülle Struktur 8d) Theorien 9

4. Überblick über den Aufbau der Materie 9a) Was ist ein Teilchen? 9b) Elementarteilchen 10

KAPITEL B

Experimentelle Grundlagen der Atomistik 12 Bestimmung der Avogadrozahl 12

a) Bestimmung über die Viskosität 12b) Sedimentationsgleichgewicht 13c) Brownsche Bewegung 13d) Rayleigh Streuung 14e) Gitterkonstante im Kristall 14f) Faradaykonstante 14g) Kovolumen 15h) Radioaktive Zerfälle 15

2. Massen 15a) Prinzip 15b) Parabelmethode 16c) Astonscher Massenspektrograph 16d) Verbesserungen 17e) Ergebnisse der Massenspektroskopie 17

i. Isotope 17ii.Bindungsenergie 17

3. Kernradius 19a) Wirkungsquerschnitte 19

i. Stoß von Kugeln 19ii.Andere Prozesse 21iii.Der differentielle Wirkungsquerschnitt 21

b) Rutherfordstreuung 22i. Versuche von Lenard 22ii. Versuche von Rutherford, Geiger, Marsden 22iii.Rutherford-Streuformel 23iv.Ausblick 25

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KAPITEL C

Welle-Teilchen Dualismus 261. Das Photon 26

a) Einleitung 26b) Intensität 26c) Kirchhoffsche Strahlungsgesetze 28d) Der Strahlungsdruck 30e) Gesamte Energiedichte 31f) Die Rayleigh-Jeans Formel 33g) Die Planckformel 36h) Diskussion der Planckformel 37i) Der äußere lichtelektrische Effekt 39j) Der Comptoneffekt 41

2. Beugung von Elektronen 423. Welle oder Teilchen 434. Eigenschaften der Materiewellen 44

a) Zusammenhang von Teilchen- u. Welleneigenschaften 44b) Wellenpakete 46

i. Ebene Materiewelle 46ii. Räumlich begrenzte Welle 47iii.Allgemeines Wellenpaket 48iv.Unschärferelation lateral 49v. Geschwindigkeiten von Wellenpaketen 49

c) Anwendungen der Heisenbergschen Unschärferelation 50

KAPITEL D

Die Atomhülle 511. Experimentelle Grundlagen 51

a) Einleitung 51b) Das Wasserstoffspektrum nach Balmer 51c) Spektrum der Alkalimetalle 52d) Balmerformel nach Rydberg 54e) Aufspaltung der Terme 55

2. Das Bohrsche Atommodell 56a) Das klassische Planetenmodell 56b) Die Bohrschen Postulate 57c) Der Franck-Hertz-Versuch 58d) Bahnradius 58e) Gesamtenergie 59f) Folgerungen aus dem Bohrschen Modell 60g) Ellipsenbahnen 61h) Anmerkungen zum Bohrschen Modell 62

KAPITEL E

Der Spin 651. Magnetisches Moment 65

a) Drehmoment auf eine Leiterschleife 65

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b) Die potentielle Energie eines magnetischen Dipols imMagnetfeld 66

c) Das gyromagnetische Verhältnis 66d) Der Einstein-de-Haas Versuch 67e) Der Stern-Gerlach-Versuch 67

2. Der Spin des Elektrons 68a) Entdeckung des Elektronenspins 68b) Das Vektormodell 69

3. Einige Eigenschaften von Spinzuständen 70a) Filter für Spinzustände 70b) Spinresonanz 72

i. Larmorfrequenz 72ii. Elektronenspinresonanz 73

4. Spin-Bahn Magnetismus, Feinstruktur 74a) Magnetfeld der Atomhülle 74b) Feinstruktur im Einelektronensystem 74c) Mehrelektronensystem 75d) Beispiele für LS-Kopplung 76

5. Atome im äußeren Feld 77a) Einleitung 77b) Der klassische Zeemaneffekt 78c) Halbklassische Beschreibung 79d) Energiedifferenzen 81e) Der Paschen-Back-Effekt 83

KAPITEL F

Aufbau des Rumpfes 841. Schalen 84

a) Quantenzahlen 84b) Das Periodensystem 85c) Der Grundzustand 86

2. Röntgenspektren 87a) Erzeugung von Röntgenstrahlen 87b) Serien der charakteristischen Strahlung 88c) Bremsstrahlung 89d) Absorption von Röntgenstrahlen 89

KAPITEL G

Schrödingergleichung 911. Heuristische Begründung 912. Beispiele 93

a) Teilchen in einem Potentialtopf 93b) Teilchen an einer Potentialstufe 95c) Tunneleffekt 99d) Der harmonische Oszillator 100

3. Über den Formalismus der Quantenmechanik 101

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KAPITEL H

Festkörper 1031. Struktur von Festkörpern 103

a) Gitter 103b) Gittertypen 103

i. Ionenkristalle 104ii. Kovalente Kristalle 104iii.Die Metallbindung 105iv.Die Dipolbindung 105

c) Strukturanalyse durch Röntgeninterferenz 106i. Braggbedingung 106ii. Verfahren zur Röntgeninterferenz 106iii.Röntgeninterferenz als Streuproblem 107

2. Energiezustände im Festkörper 109a) Einleitung 109b) Gitterschwingungen 110c) Elektronenzustände 112

i. Besetzung der Bänder 113ii. Die Fermiverteilung 113iii.Isolator, Leiter, Halbleiter 114iv.Fermienergie 115

3. Bewegung der Elektronen im Gitter 116a) Freie Elektronen 116b) Einfluß des Gitters auf E(k) 116

i. Bragg-Reflexion der Materiewellen 117ii. Brillouinzonen 117iii.Das reduzierte Bändermodell 118iv.Dynamik der Elektronenwellen 119v. Die effektive Masse 120

c) Stromleitung in Metallen 121i. Das klassische Modell 121ii. Das quantenmechanische Bild 122

4. Halbleiter 123a) Löcherleitung 123

i. Erzeugung von Elektron-Loch Paaren 123Die Dynamik von Löchern 124

b) Grundsubstanzen für Halbleiter 125c) Der pn-Übergang 126

i. Das Kontaktpotential 126ii. Kennlinie des pn-Übergangs 127

d) Der bipolare Transistor 1295. Die Wärmekapazität von Metallen 130

KAPITEL I

Moleküle 1331. Einleitung 133

a) Das Molekül als Addition einzelner Atome 133b) Gerade und ungerade Wellenfunktion 133

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2. Elektronenspektrum des zweiatomigen Moleküls 1343. Vibrationsspektrum 135

a) Potential 135b) Reines Vibrationsspektrum 136

4. Rotationsspektrum 137a) Energien 137b) Intensitäten 138

5. Gemischte Spektren 139a) Vibration - elektronsches Spektrum 139b) Andere gemischte Spektren 139

KAPITEL J

Kerne 1411. Kernstruktur 141

a) Experimentelle Tatsachen 141i. Die stabilen Elemente 141ii. Kernradius 141iii.Dichte der Kernmaterie 142iv.Drehimpuls 142v. Magnetisches Dipolmoment 143vi.Die Bindungsenergie 144

b) Kernmodelle 145i. Tröpfchenmodell 145ii. Schalenmodell 148

2. Kernprozesse 149a) Einleitung 149

i. Radioaktivität 149ii. Streuexperimente 150

b) Zerfallgesetz 150c) Strahlungsübergänge 151d) α-Strahler 152e) β-Strahler 153f) Das Neutrino 154g) Paritätsverletzung beim β-Zerfall 155

i. Was ist die Parität? 155ii.Helizität 155iii.Bedeutung der Paritätserhaltung 156iv.Experiment zur Paritätserhaltung von Wu 157

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KAPITEL AEinleitung

1.Einordnung

Die Atomphysik wird häufig als eines der wichtigsten Teilgebiete der Physik angesehen. Oft

setzt man sogar die Bezeichnungen Physiker und Atomphysiker synonym ein. In der Tat wird

im Mikroskopischen ständig Neuland betreten. Die Erweiterung des Horizonts über den au-

genblicklichen hinaus ist eine der Aufgaben der Forschung. Dies kann an allen Grenzen der Er-

kenntnis, z.B. im Bereich des Makroskopischen oder im Verhalten von Materie unter extre-

men Bedingungen wie hoher oder tiefer Temperaturen, Magnetfelder usw. erfolgen. Die be-

sondere Bedeutung des Mikroskopischen liegt vielleicht an der Vorliebe der Physiker, Erschei-

nungen analytisch zu erklären, d.h. aufgrund des Verhaltens der Bestandteile. Ein besonderer

Reiz bei der Beschäftigung mit der Welt im Mikroskopischen liegt außerdem darin, daß man

lernt, mit Situationen fertig zu werden, in denen die Anschauung versagt.

Der hier gebotene Kurs soll die Grundideen der Atomistik näher bringen, ohne in die Tiefe zu

gehen. Von einem angehenden Physiker wird erwartet, daß er sich außerdem gründlich mit der

theoretischen Quantenmechanik auseinandersetzt und die vertiefenden Vorlesungen über

Atom- und Molekülphysik, Kern- und Elementarphysik sowie Festkörperphysik hört.

2.Lehrbücher

Lehrbücher der Physik:

- Gerthsen, Kneser, Vogel; Physik; (Springer, Berlin)

- M. Alonso, E.J. Finn; Physik III (Intereuropean Editions, Amsterdam)

- Berkley Physikkurs IV; E.H. Wichmann (Vieweg, Braunschweig, 3. Auflage)

- Bergmann-Schäfer, Band IV: Teilchen (de Gruyter, Berlin)

- R.P. Feynman, R.B. Leighton, M. Sands; The Feynman Lectures on Physics, Band III:

Quantenmechanik (Oldenburg, München)

Lehrbücher der Atomphysik:

- W. Finkelnburg: Einführung in die Atomphysik, (Springer, Berlin)

- H. Haken, H.C. Wolf: Atom- und Quantenphysik, (Springer, Berlin)

- E.W. Schpolski: Atomphysik (VEB Deutscher Verlag der Wiss., Berlin)

- K. Bethge, G. Gruber: Physik der Atome und Moleküle (VCH, Weinhein)

- K.H. Hellwege: Einführung in die Physik der Atome (Springer)

- T. Mayer-Kuckuck: Atomphysik (Teubner, Stuttgart)

- W. Döring: Atomphysik und Quantenmechanik I (de Gruyter, Berlin)

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Kernphysik:

- E. Bodenstedt: Experimente der Kernphysik und ihre Deutung, Teil 1 (B.I. Wissenschafts

verlag, Mannheim)

3. Geschichtliches

a) Atome als philosophisches Problem

Durch die gesamte Naturphilosophie bis etwa 1800 zieht sich eine heftige Kontroverse zwi-

schen Atomisten und Plenisten, also zwischen Anhängern der Vorstellung, daß die Materie aus

kleinsten, nicht mehr teilbaren Partikeln besteht, und denen, die an eine kontinuierliche Materie

glauben. In dieser Kontroverse drückt sich die Schwierigkeit des menschlichen Verstandes

aus, mit der Physik im "atomaren Bereich" umzugehen. Da sich das Denken durch Evolution

in einer Welt entwickelt hat, in der das Modell des homogenen Körpers gilt, kann es einen

Körper ohne Ausdehnung nicht behandeln, denn jeder Körper kann gedanklich weiter unter-

teilt werden. Ähnlich geht es übrigens auch mit anderen Eigenschaften wie Farbe. Andererseits

möchte der Geist abgeschlossene Systeme behandeln, bei denen die Erkenntnissuche wenig-

stens im Prinzip zu einem Ende kommen kann. Anhänger des Atomismus waren Leukipp (c.a.

480-420 v.Chr.), Demokrit (ca 460-370 v.Chr.), Epikur (ca 341-270 v.Chr. ), Lukrez (1.

Jahrh. v.Chr. ), Pierre Gassendi (1592-1655), Robert Boyle (1627-1691), Isaak Newton

(1643-1727); des Plenismus Aristoteles (384-322 v.Chr.), Rene Descartes (1596-1650), u.a.

b) Atome als Ergebnis naturwissenschaftlicher Forschung

Der heutige Atombegriff beruht im Gegensatz zum antiken auf naturwissenschaftlicher Beob-

achtung. Damit verwundert es auch nicht, daß sich diese Bausteine der Materie, die man an-

fangs mit den Elementarpartikeln der Griechen identifizierte, später als teilbar erwiesen. Die

ersten Hinweise dafür, daß Stoffe aus gleichartigen Teilen bestehen, stammen aus der Chemie.

Man beobachtete, daß Reaktionen, die vollständig ablaufen, immer bestimmte Gewichtsver-

hältnisse der Reaktionspartner erfordern, und daß bei unterschiedlichen Verbindugnsmöglich-

keiten zwischen zwei Substanzen immer ganzzahlige Verhältnisse auftreten. Z.B. verhalten

sich bei den Reaktionen

N2 + O2 = 2 NO

N2 + 2 O2 = 2 NO2

Bei gleichen Mengen Stickstoff die Sauerstoffmassen wie 1 :2.

Diese Beobachtungen wurden von John Dalton (1766 - 1844) in den Gesetzen der einfachen

und multiplen Porportionen zusammengefaßt (1802). Etwas später stellte sich heraus, daß bei

vollständigen Reaktionen in gasförmiger Phase bei gleichem Druck die Volumina einfache

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ganzzahlige Verhältnisse bilden. Mit der Atomvorstellung verstehen sich diese Tatsachen von

selbst, wenn man zusätzlich annimmt, daß gleiche Volumina von Gasen gleich viele Teilchen

enthalten.

Mit dieser Kenntnis konnten relative Atommassen ermittelt und die Elemente nach ihrer

Atommasse geordnet werden. Da man auch bei den Atommassen sehr häufig ganzzahlige Ver-

hältnisse antrifft, wurde sehr früh vermutet, (I.L. Prout, 1803), daß die Atome aller Elemente

aus Wasserstoff aufgebaut sind. Die Ordnung der Elemente nach der Atommasse führte zum

Periodensystem (Lothar Meyer, 1830-1895 und Dimitri Mendelejeff 1834-1907).

Die Atomhypothese war sehr fruchtbar bei der Erklärung der Gasgesetze durch die kinetische

Theorie (Maxwell, Boltzmann, Clausius, Chapman, Enskog). Der Durchbruch der Atomvor-

stellung erfolgte, als direktere Beobachtungen möglich waren. Brown (Robert Brown,

1773-1858) beobachtete die Bewegung von Bärlappsporen in Wasser, die durch die Schwan-

kungen der Stöße durch die Wassermoleküle hervorgerufen wird. Marian von Smoluchowski

(1872-1909) und Einstein (Albert Einstein, 1879-1955) entwickelten die Theorie der Brown-

schen Bewegung und konnten aus den Beobachtungen die Avogadrozahl NA, d.h. die Zahl der

Teilchen in einer bestimmten Stoffmenge bestimmen. Loschmidt ermittelte vorher NA aus der

Viskosität von Gasen. Mit der Avogadrozahl war die Größe der Atome bekannt, wenn man

annahm, daß in einer Flüssigkeit (oder einem Kristall) die Teilchen dicht gepackt sind

(rA 10-10 m).≈Am Anfang des 20. Jahrhunderts wurden Versuche mit einzelnen Teilchen möglich. Szintilati-

onszähler und Kernspurexperimente (Nebelkammer nach Wilson (Charles Thomson Rees

Wilson, 1896-1959) machten die Teilchen sichtbar (1912). Millikan (Robert Andrews Millikan

1868-1953) bestimmte 1911 die Ladung einzelner Elektronen. In jüngster Zeit wurden Teil-

chenfallen für verschiedene Teilchen entwickelt, um spezielle Eigenschaften, z.B. den g-Fak-

tor, der ein Maß für das Verhältnis von Drehimpuls zum magnetischen Moment ist, zu messen.

c) Kern-Hülle Struktur

Lenard (Philipp Lenard, 1862-1947) beobachtete um 1900, daß Elektronen, die er aus einer

Gasentladung zog (Kathodenstrahlen), Metallfolien ungestört durchdringen. Danach war klar,

daß Atome keine festen Billardkugeln darstellen, sondern im Innern überwiegend freien Raum

enthalten. Quantitativ ergab sich die Größe des Atomkerns aus Streuversuchen mit α-Teilchen

durch Rutherford (Ernest Rutherford 1871-1937), Geiger und Marsden (1906 - 1913):

rK = 10-15 m. (Hans Geiger, 1882-1945, Ernest Marsden, 1889-1970)

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d) Theorien

Die frühere Atomtheorie verwendete die klassische Mechanik, in die Quantisierungsbedingun-

gen eingeführt wurden. Mit diesem Modell konnten N. Bohr und A. Sommerfeld sehr erfolg-

reich eine Fülle von spektroskopischen Details mit hoher Genauigkeit erklären (Nils Bohr,

1885-1951, Arnold Sommerfeld,1868-1951). Eine konsequente Theorie der atomaren Physik

war die von Schrödinger und Heisenberg entwickelte, nicht relativistische Quantenmechanik.

(Erwin Schrödinger, 1887-1961, Werner Heisenberg, 1901-1976) Dirac baute diese in eine re-

lativistische Quantenmechanik um (Paul Adrien Maurice Dirac, 1902-...). Die Dirac-Theorie

liefert eine konsequente Behandlung des Spins und sagt die Antiteilchen voraus. Es zeigte sich,

daß die Dirac-Theorie Widersprüche enthält, dadurch, daß sie sich auf Einzelteilchen be-

schränkt. Eine Lösung brachte die Quantenelektrodynamik (Q.E.D.), die die heute anerkannte

Theorie des Elektromagnetismus ist. die Q.E.D. gehört zu den Feldtheorien wie auch die

Quantenchromodynamik (QCD), die die Wechselwirkung der stark wechselwirkenden Ele-

mentarteilchen beschreibt.

Das heute anerkannte Modell der Elementarteilchen ist das sogenannte Standardmodell, das

auf Glashow, Salam und Weinberg zurückgeht (Sheldon Lee Glashow, 1932-...,Steven Wein-

berg, 1933-...). In ihm wird die elektromagnetische und die schwache Wechselwirkung in einer

einheitlichen Theorie dargestellt.

4.Überblick über den Aufbau der Materie

a) Was ist ein Teilchen?

Wenn wir die Zusammensetzuung der Materie aus Teilchen darstellen wollen, ist es nützlich zu

erklären, welche Eigenschaften diese Teilchen haben sollen. Naiv möchten wir fordern, daß ein

Teilchen in einem begrenzten Raum-Zeit-Bereich gefunden werden kann, daß es sich wie ein

Individuum von anderen gleichartigen Teilchen unterscheidet, daß es stabil ist und daß man

ihm bestimmte Eigenschaften zuordnen kann wie eine bestimmte Masse eine Ladung und einen

Spin. Es zeigt sich, daß wir mit fast allen diesen Forderungen Schiffbruch erleiden. Wenn wir

nur stabile Teilchen zulassen, müssen wir das Neutron, das in etwa 1000 s im Vakuum zerfällt,

ausklammern, obwohl es ein wichtiger Baustein der Materie ist. Sollten wir , das eine Le-92238 U

bensdauer von 4,5 · 109 Jahren besitzt und das in der Chemie wie jeder andere Stoff verwendet

werden kann, keinen Teilchencharakter zuerkennen? Die Lebensdauer ist aber sehr relativ, wie

Tabelle I zeigt. Ein Myon mit einer Lebensdauer von 2 · 10-6 s ist stabil gegenüber einem

mit einer Lebensdauer von 8,810-14 s.92234U − Kern

9

Tabelle I: Lebensdauer

Kern Lebensdauer

92238 U 4,5 · 109 a

88236 Ra 1,6 · 103 a

01 n 1000 s

µ 2 · 10-6 s

92234 U 8,8 · 10-14 s

Eine endliche Lebensdauer beinhaltet aber eine Unbestimmtheit in der Masse. Stellen wir uns

nämlich das Teilchen als Welle vor, so bedingt eine endliche Länge des Wellenzuges eine Min-

destfrequenzbreite und diese über E = eine kleinste Massenunschärfe. hν und E = mc2

Wenn wir alle instabilen Teilchen als Bausteine zulassen, müssen wir auch alle Anregungsstu-

fen mitnehmen, da jede Anregungsstufe eine andere Energie und damit Masse des Teilchens

ergibt. Man hätte unendlich viele Bausteine der Materie, womit nicht viel geholfen wäre. Wir

wollen uns daher auf die heute als elementar anerkannten Bausteine beschränken.

b) Elementarteilchen

Zunächst zerfallen diese Elementarteilchen in zwei Gruppen mit stark unterschiedlichem Ver-

halten: Die elementaren Fermionen mit Spin s = 1/2, die man als die eigentlichen Bausteine

auffassen könnte (Enrico Fermi, 1901-1954), und die Teilchen der Kraftfelder zwischen diesen

Bausteinen. Dies sind Bosonen mit dem Spin s = 0,1,2 ....(Satyendra Nath Bose, 1894-1974)

Für jede Urkraft gibt es einen Typ von Feldboson:

- Gravitation Graviton

- elektromagnetische Wechselwirkung Photon

- schwache Wechselwirkung W Bosonen, Z0 Boson±

- starke Wechselwirkung Gluon

Die Fermionen teilen sich in zwei Gruppen: Die Quarks, die neben den anderen Wechselwir-

kungen auch die starke Wechselwirkung zeigen und die Leptonen, die die starke Wechselwir-

kung nicht zeigen.

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Tabelle II: Elementarteilchen

Generation 1 2 3 Ladung

Quarks u (up)

d (down)

c (charm)

s (strange)

t (top)

b (bottom)

2/3 e0

-1/3 e0

Leptonen ν

e-

νµ

µ−

ντ

τ−

0

-1

Hinzu kommen zu jedem Teilchen ein Antiteilchen mit umgekehrtem Ladungsvorzeichen, bei

den Neutrinos mit umgekehrter "Händigkeit" (rechtshändig, linkshändig)

Das Proton besteht aus p = u u d (q = 1)

Das Neutron aus n = u d d (q = 0)

Ein Kern ist aus Z Protonen und N Neutronen zusammengesetzt und hat die relative Massen-

zahl A = Z + N. Die Hülle des Atoms enthält im nicht ionisierten Zustand Z Elektronen. Iso-

tope sind Atome mit gleicher Kernladungszahl, aber ungleicher Neutronenzahl. Sie verhalten

sich chemisch gleich. Die in der Natur vorkommenden Elemente sind Isotopengemische.

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KAPITEL BExperimentelle Grundlagen der Atomistik

1.Bestimmung der Avogadrozahl

Über die Beobachtung von chemischen Umsetzungen kann man für jedes Element eine Stoff-

menge definieren, die für alle Elemente gleich viel Atome oder Moleküle enthält. Man bezieht

diese Menge auf das Element und sagt, 12g sind genau 1 mol. Dann ist 1g Wasserstoff et-612C

wa 1 mol usw., wie in Tabellen für Atomgewichte angegeben. Die Anzahl der Teilchen in ei-

nem mol ist die Avogadrozahl NA. Ist sie bekannt, ergibt sich aus m = mmol/NA sofort die Mas-

se eines Atoms und wenn man Annahmen über die Packungsdichte der Atome in einem Fest-

körper oder einer Flüssigkeit macht, die Größe der Atome. Die Avogadrozahl ist also eine

wichtige Schlüsselkonstante. Im folgenden wird daher eine Reihe von Methoden besprochen,

NA experimentell zu ermitteln.

a) Bestimmung über die Viskosität

Die erste Zahlenangabe für NA stammt von Loschmidt (1865) (Joseph Loschmidt,

1821-1895). Er benutzte die Tatsache, daß die Viskosität von Gasen durch den Wirkungs-

querschnitt für Impulsübertragung der Atome bestimmt ist.

Nach der kinetischen Theorie ist

η = 13

vλnm

ist die mittlere thermische Geschwindigkeit, die freiev = 3kT/m λ = 1/nσ = 1/nπ(2r)2

Weglänge, n die Teilchendichte und r der Molekülradius. Aus einer Messung von und Tηfolgt also eine Beziehung zwischen m und r (n kürzt sich heraus). Nimmt man an, daß in einer

Flüssigkeit jedes Atom das Volumen (2r)3 einnimmt, so ergibt sich die Dichte zu

ρ = m(2r)3

Eine Messung von führt also zu einer zweiten Beziehung zwischen m und r und gestattet mρund r auszurechnen, wenn ρ bekannt ist. Aus der Molmasse mmol folgt dann

NA = mmol/m

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b) Sedimentationsgleichgewicht

Abb. 1: Bestimmung der Boltzmannkonstanten über dieAuszählung von Schwebeteilchen.

Für Schwebeteilchen in einer Lösung gilt ein Gleichgewicht zwischen Diffusion und Gravitati-

on wie in der Erdatmosphäre für Luft. Es gilt also die barometrische Höhenformel

n(h)n(0) = e−mgh/kT

Durch Auszählen der Teilchendichte in Abhängigkeit von h läßt sich bei bekanntem m, g, T die

Boltzmannkonstante k bestimmen. Aus R = NAk läßt sich NA ermitteln, wenn die Gaskonstante

R aus Untersuchungen der Gasgesetze bekannt ist. Erste Messungen stammen von Perrin

(1909) (Jean Baptiste Perrin, 1870-1942).

c) Brownsche Bewegung

Aus der Messung der Entfernung, die Teilchen in der Brownschen Bewegung in einer be-

stimmten Zeit zurücklegen, läßt sich ebenfalls k und damit NA bestimmen. Die Theorie hierfür

wurde von Einstein und Smoluchowski entwickelt. Wir geben eine vereinfachte Form wieder:

Die Kräfte auf das Teilchen werden in zwei Bestandteile aufgeteilt. Ein Bestandteil FA sorgt

für das Vorankommen des Teilchens auf einer glatten Bahn. Diese Kraft wird durch die Rei-

bungskraft des Teilchens in der Flüssigkeit kompensiert. (B ist die Beweg-FR = 6µηrv = v/B

lichkeit der Teilchen). Der zweite Teil Fs ist statistisch und führt zu Schwankungen um die

Bahn. Die Bewegungsgleichung des Teilchens lautet also

m••x= −

•xB

+ Fs

Die Gleichung wird mit x multipliziert, über ein Zeitintervall integriert und dann über[0, t0]viele Teilchen gemittelt. Wegen

ddt

x

•x =•

x2

+ x••x

ddt

x2

2 = x

•x

13

erhält man m ddt

x

•x − m

•x

2= − 1

2Bddt

x2 + xFs

Bei Mittelung verschwindet der erste Term, da x(t0) und unabhängig voneinander sind•x (t0)

und ebenfalls der letzte Term wegen des statistischen Charakters von Fs und weil x und Fx un-

abhängig sind. Es bleibt

⟨x2⟩ = 2Bm•x

2t

Da die Bewegung von der thermischen Energie angetrieben wird, fällt auf diesen Freiheitsgrad

des Systems 1/2 kT an Energie

12

m•x

2= 1

2kT

und das Schwankungsquadrat wird . B, die aus dem Stokeschen Gesetz folgernde⟨x2⟩ =2BkTt

Beweglichkeit, kann mit anderen Methoden bestimmt werden. Messung von , B, T und t⟨x2⟩ergibt also k und damit wie im vorigen Abschnitt NA. (George, Gabriel Stokes, 1819-1903)

d) Rayleigh Streuung

(Lord Rayleigh (J. W. Strutt) 1842-1919). Die Intensität des Streulichtes bei Rayleighstreuung

ist dem mittleren Schwankungsquadrat der Teilchendichte der Streuer und damit der Teilchen-

dichte proportional. NA wurde aus der Intensität des Himmelsblaus bestimmt. (Dember, 1916).

e) Gitterkonstante im Kristall

Die Gitterkonstante von Kristallen kann mit verschiedenen Methoden genau gemessen werden.

Heute kann man durch direkte Beobachtung mit einem Elektronenmikroskop oder einem Ra-

stertunnelmikroskop diese Größe und damit NA bestimmen. Die genaueste Methode ist die

Röntgeninterfererenz. Röntgenstrahlen werden ähnlich wie Licht an Strichgittern an den Git-

tern von Kristallen gebeugt. Aus der Beugungsfigur läßt sich der Gitterabstand bestimmen.

Die Wellenlänge des Röntgenlichtes muß zuvor an einem Strichgitter gemessen worden sein.

Die genaueste Methode liefert ein Interferometer von Bonse und Hart. In ihm wird ein Kristall

in dem Feld einer stehenden Röntgenwelle verschoben und die Periode in den Amplituden der

Streustrahlung gemessen.

f) Faradaykonstante

(Michael Faraday, 1791-1867) Die Faradaykonstante F gibt an, wieviel As notwendig sind, um

1 mol eines einwertigen Stoffes bei Elektrolyse abzuscheiden. Durch Messen der Elementarla-

dung in einem Milikanversuch läßt sich also NA bestimmen. NA = F/e0e0 = 1, 6 ⋅ 10−19As

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g) Kovolumen

Eine weniger genaue Methode benutzt das Kovolumen b in der van der Waals-Gleichung:

p + a

vmol2

(vmol − b) = RT

Man paßt für ein reales Gas Meßergebnisse an die van der Waals-Gleichung an, indem man a

und b variiert. Da b ~ r3 kann man r bestimmen. Der Proportionalitätsfaktor folgt aus der ki-

netischen Theorie.

h) Radioaktive Zerfälle

Eine sehr direkte Methode zur Bestimmung von NA besteht in der Zählung der α-Zerfälle einer

radioaktiven Substanz. Die α-Strahlen bestehen aus He-Kernen. Sie können aufgesammelt und

neutralisiert werden. Die Gasmengen reichen aus, die Anzahl der entstandenen Mole zu ermit-

teln. Diese Versuche wurden von Rutherford und Royds (1909) durchgeführt.

2.Massen

a) Prinzip

Abb. 2: Bestimmung von e/m im elektrischen Feld

Die Durchmesser eines Atoms sind nicht sehr genau definiert. (Wie groß ist das Planetensy-

stem?). Daher geben verschiedene Meßmethoden auch unterschiedliche Zahlenwerte. Anders

ist es mit den Atommassen. Diese können sehr genau gemessen werden. Typische Auflösungs-

vermögen sind heute . Im Prinzip benutzen alle Methoden die Kraftwirkung einesm/∆m =105

elektrischen oder magnetischen Feldes auf geladene Teilchen. Im elektrischen Feld ist die Be-

wegungsgleichung und damit und bei kleiner Ablenkung ,m••x= eE x0 = 1

2emEt2 x0 = 1

2emEL2

v2

im Magnetfeld und damitm••x= evB

.x0 = 12

emvBt2 = 1

2BL2

vem

15

Man erkennt, daß nur e/m bestimmt werden kann. m ergibt sich dann aus der Kenntnis von e

aus einem Millikanexperiment.

Abb. 3: Bestimmung von e/m durch Ablenkung imMagnetfeld

b) Parabelmethode

Abb. 4: E und B liegen bei der Parabelmethode parallel

Die Parabelmethode stammt von J.J. Thomson (Joseph, John Thomson, 1856-1940). In ihr

wird der Teilchenstrahl durch einen Bereich geschickt, in dem E- und B-Feld parallel verlau-

fen. Durch das E-Feld erhält man in Feldrichtung , senkrecht zur Feldrichtungy = a em

12E

durch das B-Feld Man kann v eliminieren und erhält als Auftreffort für alle Teil-x = b em

1vB

chen einer Masse eine Parabel

y = me

E2cx2

Andere Massen ergeben andere Öffnungen der Parabel. Das Ergebnis ist von der Geschwin-

digkeit der Teilchen unabhängig.

c) Astonscher Massenspektrograph(1919)

(Francis William Aston, 1877-1945).

Abb. 5: Massenspektrograph mit Fokussierung

Im Astonschen Massenspektrographen wird der Teilchenstrahl nacheinander durch ein E- und

ein B-Feld geführt, die senkrecht zueinander stehen. Durch geeignete Wahl der Parameter

kann erreicht werden, daß alle Teilchen unterschiedlicher Geschwindigkeit (gleicher Masse)

auf eine Position in der Nachweisebene fokussiert werden. Dadurch läßt sich die Intensität

steigern. Aston erreichte .m/∆m ≈ 130

16

d) Verbesserungen

Dempster führte eine Geschwindigkeits- und Richtungsfokussierung ein, wodurch die Nach-

weisgrenze weiter zu kleinen Intensitäten verschoben werden konnte. Heute werden an zahl-

reichen Stellen im Labor Massenspektrometer mit schwacher Auflösung verwendet, z.B. zur

Lecksuche, Restgasanalyse im Vakuum und bei Oberflächenuntersuchungen.

Abb. 6: Aufbau eines Quadrupol-Massenspektrometers

Quadrupol-Massenspektrometer benutzen ein elektrisches Hochfrequenzfeld kombiniert mit

einen statischen Magnetfeld. Teilchen, die axial durchtreten, werden in Schwingungen ver-

setzt. Sie können nur durch ein Blendensystem kommen, wenn die korrekten Verhältnisse von

der Frequenz des HF-Feldes ω und e/m vorliegen.

e) Ergebnisse der Massenspektroskopie

i.Isotope

Die Messungen mit Massenspektrometern zeigen, daß viele Elemente aus Isotopengemischen

bestehen, d.h. aus Atomen, die gleiche Kernladungszahl und damit gleiche chemische Eigen-

schaften haben, aber unterschiedliche Neutronenzahlen. Dabei gibt es Elemente, die nur ein na-

türliches Isotop zeigen wie

49Be, 13

27Al, 53127J

oder solche, die 7 stabile Isotope besitzen wie 80Hg. Bei leichten Elementen ist N ~ Z. Isotope

können durch Diffusion, Zentrifugierung und Laserchemie getrennt werden.

ii.Bindungsenergie

Verbindet man mehrere Kerne zu einem neuen Kern, so ist die Masse des resultierenden Kerns

kleiner als die Bestandteile. Da E = mc2, heißt dies, die Gesamtenergie des resultierenden

Kerns ist kleiner. Die Energiedifferenz ist die Bindungsenergie. Der Massendefekt

∆m = Σ mi − mges

ist also ein Maß für die Bindungsenergie.

17

Beispiel:

- Masse Proton mP = 1, 6725 ⋅ 10−27kg

- Masse Neutron mN = 1, 6748 ⋅ 10−27kg

- (Kern)42He mHe = 6, 648 ⋅ 1027kg

2mP + 2mN − mHe = 5 ⋅ 10−29kg = 27MeV/c2

(1 eV = 1,6 · 10-19As)

Bei Berechnungen dieser Art muß man vorsichtig sein, da in den tabellierten Atomgewichten

die Elektronenmassen enthalten sind. Auch ist zu beachten, daß die atomare Masseneinheit

nicht gleich der Masse eines Protons ist.

18

3.Kernradius

Der Kernradius wird mit Streuexperimenten bestimmt. Da Streuexperimente überhaupt die

wichtigste Quelle für Informationen über die Mikrostruktur der Materie sind, werden im fol-

genden einige Grundbegriffe besprochen.

a)Wirkungsquerschnitte

i.Stoß von Kugeln

Abb. 7: Zur Berechnung der Streuwahrscheinlichkeit

In ein Volumen mit n "Feld"-teilchen pro Volumeneinheit, die eine Querschnittsfläche σ auf-

weisen, treten N0 fremde Teilchen in Form eines Strahls in x-Richtung ein. Die Strahlteilchen

mögen wie starre Kugeln gestreut werden. Nach einem Streuvorgang befindet sich das ge-

streute Teilchen nicht mehr im Strahl. An der Stelle x sind noch N(x) Strahlteilchen vorhanden.

Wenn die Strahlteilchen punktförmig sind, ist , wobei rf der Radius der Feldteilchen ist.σ = πrf2

Bei Strahlteilchen mit dem Radius rs ist . Wir machen dx so klein, daß Mehr-σ = π(rs + rf)2

fachstöße im Bereich dx keine Rolle spielen.

Von den N(x) Teilchen, die den Bereich dx mit dem Volumen Adx durchlaufen, wird ein Pro-

zentsatz herausgestreut, der dem Verhältnis der durch die Feldteilchen verdeckten Fläche

nAdx · σ zur Gesamtfläche entspricht.

dNN

= nAdxσA

= nσdx

Dieses Verhältnis ist die Wahrscheinlichkeit für ein Teilchen, auf der Strecke dx gestreut zu

werden. Da N abnimmt, schreibt man

dN = −N(x)nσdx

mit der Lösung

(1)N(x) = N0e−nσx

19

N(x) sind alle Teilchen, die bis x noch nicht gestreut worden sind. f(x) = N(x)/N0 ist daher die

Wahrscheinlichkeit für ein Teilchen, bis x nicht gestreut worden zu sein.

f(x) = e−nσx

Die Wahrscheinlichkeit, genau nach der Strecke x einen Zusammenstoß zu erleiden, ist das

Produkt der Wahrscheinlichkeit bis x noch keinen Zusammenstoß gehabt zu haben, f(x), und

der Wahrscheinlichkeit, in dx zu stoßen nσdx. (Man muß gewissermaßen nur die Teilchen zäh-

len, die bis x gekommen sind, f(x)N0)

(2)W(x)dx = f(x)nσdx

Den Mittelwert über alle diese freien Fluglängen nennt man die freie Weglänge⟨x⟩ =∞

∫ xW(x)dx

λ.

λ =∞

∫ xnσe−nσxdx

Das Integral läßt sich durch partielle Integration mit u = x und lösen.v/ = e−nσx

u / = 1, v = − 1nσe−nσx

λ = nσ

− 1

nσxe−nσx

0

∞+ 1

∫ e−nσxdx

−1

nσxe−nσx

= 0

∫ xnσe−nσxdx = − − 1

nσe−nσx

∞= 1

(3)λ = 1nσ

Abb. 8: Die Verteilung der freien Flugstrecken

20

Man sollte beachten, daß in einem thermischen Gas über Geschwindigkeitsverteilungen gemit-

telt werden muß, so daß sich ein Vorfaktor ergibt. Die mittlere freie Weglänge ist keineswegs

die häufigste freie Weglänge. Gemäß Gleichung (2) nimmt W(x) monoton ab. Die freie Flug-

zeit für Strahlteilchen der Geschwindigkeit v ist , d.h. , die Stoßfrequenzt = λ/v t = 1/vnσ.νc = 1/t = nvσ

ii.Andere Prozesse

σ hat eine allgemeinere Anwendung als für Stoßprozesse. Man kann für irgendeine Reaktion,

z.B. Ionisierung, Anregung, Absorption oder Spaltung, Fusion, Anlagerung usw., die Wahr-

scheinlichkeit dafür, daß sie stattfindet mit dem Wirkungsquerschnitt für diese Reaktion aus-

drücken. Man stellt die obige Betrachtung völlig analog dar, indem man statt von einem Teil-

chen, das einen Stoß erleidet, von einem Teilchen spricht, das eine Reaktion macht. Für genü-

gend geringe Konzentrationen bekommt man in einer Strahlenanordnung einen exponentiellen

Abfall . Durch Vergleich mit Gleichung (1) erkennt man, daß man die GrößeN(x) = N0e−κx

, die die Dimension einer Fläche hat, als Wirkungsquerschnitt definieren kann. Dann istσ = κ/n

wieder nσdx die Wahrscheinlichkeit für die betrachtete Reaktion.

iii.Der differentielle Wirkungsquerschnitt

Abb. 9: Zur Definition des differentellen Wirkungs-querschnitts

Die Richtungsverteilung der gestreuten Teilchen gibt man am besten über den differentiellen

Wirkungsquerschnitt an. Der differentielle Wirkungsquerschnitt ist die Wahrscheinlichkeit für

ein Teilchen, in dem Bereich zwischen gestreut zu werden,ϑ und ϑ + dϑ und zwischen ϕ + dϕgeteilt durch ndx.

21

b)Rutherfordstreuung

i.Versuche von Lenard

Abb. 10: Elektronen können durch massives Aluminiumdringen

Lenard entdeckte um 1900, daß Elektronen, die er in einer Vakuumröhre beschleunigte, durch

eine dünne Metallfolie hindurchtreten und die Luft außerhalb des Gefäßes anregen. Da auch

eine dünne Folie von ca. 1 µm Stärke noch 104 Atomlagen enthält, bedeutet dies, daß Atome

für Elektronen dieser Geschwindigkeit nicht wie massive Kugeln wirken, sondern viel freien

Raum enthalten müssen. Quantitativ wurde dies durch die Versuche von Rutherford und sei-

nen Mitarbeitern bestätigt.

ii.Versuche von Rutherford, Geiger und Marsden

Abb. 11: Geometrie der Rutherfordschen Streuver-suche

Rutherford benutzte als Teilchenquelle einen α-Strahler, von dem er wußte, daß er 24He++

-Kerne definierter Energie ausstrahlt. Die α-Teilchen wurden an einer dünnen Goldfolie ge-

streut. Die Anzahl der Teilchen, die in einen gewissen Raumbereich fallen, werden an einem

Szintillationsschirm detektiert und visuell ausgezählt. Es zeigte sich, daß die meisten Teilchen

ungestört durch die Folie laufen. D.h. die meisten Teilchen gehen so weit an einem Streuzen-

trum vorbei, daß sie praktisch keine Kraft spüren. Bei Mehrfachstößen hätte eine Abweichung

gemäß des "random walk" erwartet werden müssen. Die abgelenkten Teilchen zeigen eine

Verteilung, die über 5 Zehnerpotenzen durch eine Proportionalität zu beschrieben1/ sin4ϑ /2

werden kann. Bei sehr großen Ablenkungswinkeln, die man bei höheren Strahlenergien beob-

achten kann, treten charakteristische Abweichungen vom -Gesetz auf.1/ sin4ϑ /2

22

iii. Rutherford-Streuformel

Abb. 12: Verteilung der gestreuten Partikel mit dem

Winkel

Das -Gesetz läßt sich durch das Bild eines punktförmigen Streuzentrums, das die1/ sin4ϑ /2

Flugbahn des geladenen Strahlteilchens über die Coulombkraft beeinflußt, ableiten. Im klassi-

schen Bild benutzt man die Gleichungen der Planetenbewegungen, die hier wegen der absto-

ßenden Kraft zu einer Hyperbelbahn führen. Je kleiner der Stoßparameter p ist, (s. Abb. 13),

desto größer wird der Ablenkungswinkel. Zunächst wird dieser Zusammenhang berechnet.

Danach kann man aus der Wahrscheinlichkeit für einen Vorbeiflug im Abstand p (genauer

zwischen p und p +dp) die Wahrscheinlichkeit für die Streuung um einem Winkel (genauer:ϑin dem Bereich zwischen ) angeben. ϑ und ϑ + dϑ

Abb. 13: Die Ablenkung eines geladenen Teil-chens durch das Coulombpotential einesStreuzentrums

Wir schreiben die Bewegungsgleichung für die y-Komponente. Die Kraft ist

Fy = F sin ϕ =2Ze2sinϕ

4πε r2

Das r wird über die Drehimpulserhaltung ersetzt d.h. . Die Bewe-mr2 •ϕ= mpv0 r2 = pv0/

•ϕ

gungsgleichung lautet dann

m•vy =

2e2Z(sin ϕ)•ϕ

4πε0mv0= mk

p sin ϕ•ϕ

mit k = 2e2Z4πε0mv0

23

Durch Integration über die Zeit erhält man

∫•v dt = k

p ∫ sinϕ•ϕ dt

vy∞

∫ dvy = kp

ϕ∞

∫ sinϕdϕ

Wegen des Energiesatzes ist und . Aus der Geometrie der Abb. 13 folgtv0 = v∞ vy∞ = v0sinϑ und damit nach p aufgelöst: .ϕ∞ = π − ϑ v0sinϑ = k

p(cosϑ + 1) p = k(cosϑ + 1)v0sinϑ

Diese Gleichung vereinfacht sich noch durch Übergang auf den halben Winkel mit ϑ = 2α und . Ersetzt man außerdemcos 2α = cos2α − sin2α = 2 cos2α − 1 sin2α = 2 sinα cosα

, erhält man für pcot α = 1/ tanα

(4)p = kv0

cot ϑ2

Im zweiten Teil wird die Wahrscheinlichkeit ausgerechnet, daß ein Strahlteilchen in den Ring

zwischen p und p + dp tritt. Diese ist für ein Streuteilchen gleich dem Flächenverhältnis dieses

Ringes 2πpdp zur Gesamtfläche. Für n Streuzentren pro Volumen und einem Volumen dxA

(dx = Dicke der Folie) erhält man

dNN

=ndxA2πpdp

A

Nach Gleichung (4) ist

dp = 12

kv0

dϑsin2ϑ /2

pdp = 12

k2

v02

cos (ϑ /2)dϑsin3ϑ /2

dNN

= ndxπk2

v02

cos (ϑ /2)dϑsin3ϑ /2

In den Raumwinkel d fällt von dN der Bruchteil, der dem Flächenverhältnis der AusschnitteΩauf der Einheitskugel von d und dem Kreisring entspricht.Ω 2πsin ϑdϑ

dN/

dN= dΩ

2πsinϑdϑ= dΩ

4πsinϑ /2 cosϑ /2

24

Abb. 14: Der Bruchteil der Teilchen, die in einen Raum-winkel dΩ gelangen

Der differentielle Wirkungsquerschnitt ist dann

σdiff =

Ze2

4πε0mv02

21

sin4ϑ /2

Je näher man an das Streuzentrum kommt, desto größer wird also der Ablenkungswinkel. Eine

Beeinträchtigung durch die Kernkräfte wird also bei den größten Ablenkungswinkeln gefun-

den, d.h. in der Nähe der Rückwärtsstreuung. Es zeigt sich, daß die Kernkräfte sehr kurze

Reichweite besitzen. Mit dieser Methode ergab sich der Kernradius zu

rK = 1, 3A1/3 ⋅ 10−15m

A ist die Massenzahl. D.h. und die Dichte der Kernmaterie ist in erster Näherungm ∼ r3

konstant.

iv. Ausblick

Für die Anwendung in der Kern- und Elementarteilchenphysik erfordert die Streutheorie eine

Reihe von Erweiterungen. Der Wellencharakter der Teilchen muß mit berücksichtigt werden.

Wenn bei einem Stoß zweier Teilchen eine Umwandlung von Teilchen stattfindet, bedeutet das

für Wellen, daß sie nichtlinear sind, da sich lineare Wellen störungsfrei überlagern. Die Haupt-

aufgabe von Streumessungen ist es, aus dem gemessenen differentiellen Wirkungsquerschnitt

Aussagen über Verteilungen im Target zu ermitteln.

25

KAPITEL CWelle-Teilchen Dualismus

1. Das Photon

a) Einleitung

Bisher wurde zur Beschreibung des Mikrokosmos vom klassischen Teilchenbild ausgegangen,

d.h. von der Vorstellung, daß das Geschehen durch die Dynamik von Teilchen bestimmt ist.

Eine der interessantesten Erkenntnisse der Atomphysik war die, daß das Teilchenbild im Mi-

kroskopischen versagt. Es gibt nur einen Aspekt der Natur wieder. Einen komplementären

Aspekt liefert ein Wellenbild. Wellen und Teilchen sind zwei Seiten einer bestimmten physika-

lischen Realität, und zwar nicht nur bei den Objekten, die wir klassisch als Teilchen beschrei-

ben würden, sondern genauso bei Wellen. So beschreibt man bestimmte Wirkungen von elek-

tromagnetischen Wellen, besonders solche, die mit ihrer Wechselwirkung mit Materie zu tun

haben, am besten, indem man sagt, die Welle besteht aus einem Strom von Photonen.

Ein Photon hat folgende Eigenschaften. Es hat eine Energie E = hν. (νist die Frequenz,

h = 6,62 · 10-34 Js das Plancksche Wirkungsquantum.) (Max Planck,1858-1947). Mit h = h/2π

schreibt man auch E = hω. Es bewegt sich mit Lichtgeschwindigkeit. Aufgrund der Relativi-

tätstheorie muß also die Ruhemasse m0 = 0 sein. Der Impuls ergibt sich aus der relativistischen

Energie-Impulsbeziehung E2 = (pc)2 + (m0c2)2 mit m0 = 0 und E = hν zu p = hν/c. Der Spin ist

s = 1 ·h.

b) Intensität

Die Quantelung von Licht wurde erstmalig von M. Planck (1900) eingeführt, um Diskrepan-

zen zwischen Messungen und Theorie bei der Hohlraumstrahlung zu beseitigen. Wir befassen

uns daher im ersten Abschnitt mit der Hohlraumstrahlung. In den folgenden Paragraphen wer-

den zunächst die Grundbegriffe erläutert, der Zusammenhang mit der klassischen Thermody-

namik dargestellt und schließlich die Intensitätsverteilung der Hohlraumstrahlung im Quanten-

bild hergeleitet.

Abb. 15: Zur Definition der Intensität

Die Strahlungsleistung, die durch ein Flächenelement dA in einem Winkel gegen die Norma-ϑle hindurchtritt, ist porportional zum verwendeten Frequenzintervall dν, zum Raumwinkel dΩ

und zur Projektion der Fläche auf eine senkrecht zur betrachteten Richtung stehenden Ebene

26

Harald Schüler

dA . (Bei der Emission einer Körperoberfläche beinhaltet die letzte Formel das⊥ =dA⋅cosϑLambertsche Kosinusgesetz.)

(1)dP = Iνdν cosϑdA dΩ

heißt gemeinhin Intensität. Da der Begriff Intensität für verschiedene Größen verwendetIν

wird, ist Vorsicht geboten. Genauer ist vielleicht spektrale Strahlungsdichte. Der Zusatz

"spektral" gibt an, daß Iν auf ein Frequenzintervall bezogen ist. Integriert man über alle Fre-

quenzen, erhält man die gesamte Strahlungsdichte . Abgeleitete Größen sind die Lei-I = ∫ Iνdν

stungsdichte und die Energiedichte .S = dPdA

uν = WStrahl

V

Der Zusammenhang von Iν und der theoretisch leichter zugänglichen Energiedichte uν ergibt

sich durch Integration der in ein Volumen V eintretenden Strahlungsintensität bei

Berücksichtigung der Aufenthaltsdauer in V. Man betrachtet zunächst die Strahlung, die in ei-

ner bestimmten Richtung in das Volumen eintritt, genauer innerhalb eines kleinen Raumwin-

kels dΩ in dieser Richtung.

Abb. 16: Wie man von der Intensität zur Energiedichtekommt

In den schraffierten Bereich dV von Abb. 16 fließt pro Zeiteinheit die Energie Iνdν cosϑdAdΩ

Diese hält sich in V während der Zeit s/c auf. Die gesamte Energie innerhalb V, die in dieser

Richtung läuft ist

.duν∫ dV = 1cIνdΩ ∫ s cosϑdA

Die Integrale auf beiden Seiten ergeben das Volumen V.

duν = 1cIνdΩ

Um die gesamte Energiedichte zu erhalten, muß man die Beiträge von allen Richtungen addie-

ren, d.h. über den gesamten Raumwinkel integrieren. Bei isotroper Strahlung ergibt sich

uν = 4πc Iν

27

Häufig muß man von einer Darstellung im Frequenzbereich auf eine im Wellenlängenbereich

wechseln. Rechnet man mit ν = c/λ ν in λ um, so muß die Gesamtleistung, die zwischen ν1

und ν2 liegt, auch in dem dazugehörigen Intervall λ1 und λ2 liegen.

Iνdν = −Iλdλ

(Das Minuszeichen kommt daher, daß dλ eine negative Zahl ist, wenn dν positiv ist.) Mit

dν = − cλ 2

erhält man

Iλ = cλ 2

Abb 17: Umrechnung von dem Fre-quenzbereich in den Wellenlängen-bereich

c) Die Kirchhoffschen Strahlungsgesetze

(Gustav Kirchhoff,1824-1887). Ein nach außen thermisch isolierter Hohlraum ist ein beson-

ders einfaches thermodynamisches System. Auch ein Strahlungsfeld in einem Hohlraum ist ein

System, über das man mit Hilfe der klassischen Thermodynamik eine Reihe von Aussagen ma-

chen kann. Historisch hat die Diskrepanz dieser Aussagen mit der Wirklichkeit zur Einführung

der Lichtquanten durch Planck geführt. Die folgenden Abschnitte sollen einen Eindruck von

dem Charakter der Aussagen verschaffen, die man auf thermodynamischen Betrachtungen

über die Strahlung in einem Hohlraum gewinnt.

Aus der Thermodynamik folgern zwei grundlegende Gesetze der Strahlung:

i. Die Intensität in einem Hohlraum, der sich im thermischen Gleichgewicht befindet, ist nur

von der Temperatur und der Frequenz abhängig, nicht von der Beschaffenheit des

Hohlraumes.

28

Abb. 18: Strahlung im thermischen Gleichgewicht

Zum Beweis betrachten wir zwei Hohlräume aus unterschiedlichem Material oder mit unter-

schiedlicher Gasfüllung, die gleiche Temperatur besitzen. Die Hohlräume mögen ein kleines

Loch haben, das das thermische Gleichgewicht nicht stört und das mit der Intensität Iν1 bzw.

Iν2 strahlt. Ein Filter vor den Öffnungen sorgt dafür, daß nur Strahlung im Frequenzbereich dν

aus den Löchern austritt. Bringt man jetzt die beiden Hohlräume über ihre Löcher in Kontakt,

so müssen sie im thermischen Gleichgewicht bleiben. Nach dem 2. Hauptsatz darf es dann

nicht möglich sein, daß Energie von einem Hohlraum in den anderen fließt. D.h.

Iν1 = Iν2

, bzw. ist daher eine universelle Funktion. Ähnlich beweist man,Iν = Bν(ν, T) uν = 4πc Bν(ν, T)

daß Hohlraumstrahlung isotrop ist.

ii. Das Verhältnis von Emissionsvermögen zu Absoprtionsvermögen einer Oberfläche ist gleich

der Intensität der Hohlraumstrahlung.

Das Emissionsvermögen ist die Intensität, die eine Wandfläche aufgrund ihrer Temperatur

emittiert, wenn sie sich allein im Raum befindet. Das Absorptionsvermögen ist das Verhält-

nis von absorbierter zu eingestrahlter Intensität. Betrachtet man ein Wandstückchen mit dem

Emissionsvermögen Eν und dem Absorptionsvermögen Aν in einem Hohlraum im thermi-

schen Gleichgewicht, dann muß nach dem 2. Hauptsatz die von der Wand emittierte Intensi-

tät gleich der absorbierten Intensität sein, da sonst eine spontane Umverteilung der Energie

im Hohlraum möglich wäre. Aus und folgtEν = Iνemittiert Aν = Iνabsorbiert

Iνeingestrahlt

Eν = Aν ⋅ Iν

Da sich die Wand aber in einem Hohlraum befinden soll, ist die eingestrahlte Intensität gerade

Bν(ν, T).

Aν= Bν(ν, T)

29

Da Eν und Aν Eigenschaften der Wand repräsentieren, die unabhängig von der Tatsache sind,

daß der Körper in einem Hohlraum eingebettet ist, gilt dieses Gesetz allgemein.

d) Der Strahlungsdruck

Die Elektrodynamik zeigt, daß elektromagnetische Strahlung mit Impulstransport verbunden

ist. Der Zusammenhang mit der Energiedichte läßt sich am einfachsten im Photonenbild herlei-

ten, indem man die Impulsübertragung durch Stoß der Photonen mit der Wand berechnet. Wir

behandeln den Stoß mit einer reflektierten Wand.

Abb. 19: Stoß eines Photons mit einer Wand

Bei Einfall des Photons unter einem Winkel ϑ ist der Strahlungsdruck ps

ps = dFn

dA= dF cosϑ

dA

Setzt man für dF die Impulsübertragung bei elastischem Stoß ein

dF = 2dpdt

und für p den Impuls der auftreffenden dN Photonen

dp = hνc dN

erhält man ps = 2dt

dpdA

cosϑ = 2hν/c cosϑdNdAdt

Da die auffallende Leistung dP ist wird, wenn man über alle Teilchen summiert,dNdt

ps = 2c

dPdA

cosϑ

wird über die Definition von I nach Gleichung (1) ersetzt dPdA

dPdA

= I cosϑdΩ

30

dps = 2Ic cos2ϑdΩ

Nach Abb. 20 ist in Kugelkoordinaten. Über ϕ kann sofort integriert werdendΩ = sinϑdϑdϕ

Abb. 20: Integration über den Raumwinkel in Kugel-koordinaten

ps = 4πc I

π/2

0∫ cos2ϑ sinϑdϑ

Das Integral läßt sich mit der Substitution x = cosϑ berechnen. Es ergibt 1/3 . Außerdem gilt

u = 4πc I

Damit wird der Strahlungsdruck

ps = u3

e) Gesamte Energiedichte

Die über ν integrierte Energiedichte läßt sich über eine thermodynamische Betrachtung

angeben.

Abb. 21: Expansion eines Strahlungsfeldes

Wir betrachten dazu eine isotherme reversible Expansion der Hohlraumstrahlung mit Hilfe ei-

nes ideal reflektierenden Kolbens. Die von den Wänden dabei abgegebene Wärme ergibt sich

dann aus dem 1. Hauptsatz der Wärmelehre

δQ = dU + pdV

wobei nach dem 1. Kirchhoffschen Gesetz d.h. , und damitu = u(T) U = u(T)V

31

dU = VdudT

dT + udV

Da außerdem wird . Die Entropieänderung bei diesem Prozeß ist dannp = 13

u pdV = 13

udV

dS =δQrev

T=

VT

∂u∂T

VdT +

43

uT

TdV

Wir kennzeichnen hier, wie in der Thermodynamik üblich, die konstant gehaltene Größe durch

einen Index an der Klammer. dS ist dabei ein vollständiges Differential

dS =

∂S∂T

VdT +

∂S∂V

TdV

wobei die gemischten Ableitungen gleich sind.

∂2S∂V∂T

= ∂2S∂T∂V

Wendet man diese Gleichung auf den obigen Ausdruck für dS an, erhält man

1T

∂u∂T

= 43

1T

∂u∂T

− 43

u2

∂u∂T

= 4uT

duu = 4dT

T

mit der Lösung

u = aT4

Dies ist das Stefan-Boltzmannsche Gesetz. Die Konstante ergibt sich nicht aus dieser Rech-

nung. Man kann sie experimentell bestimmen oder aus der Planckschen Funktion herleiten

. Häufiger schreibt man das Stefan-Boltzmann Gesetz für den Strah-a = 7, 6 ⋅ 10−16J/(m3K4)lungsstrom SSt

mit SSt = σT4 σ = 5, 7 ⋅ 10−8W/(m2K4)

32

f) Die Rayleigh-Jeans Formel

(James Hopwood Jeans,1877-1046). Die klassische Thermodynamik bestimmt die Intensitäts-

verteilung der Hohlraumstrahlung, indem jeder Eigenmode des Hohlraums nach dem Gleich-

verteilungssatz kT an Energie zugeteilt wird. Da der Gleichverteilungssatz bisher nur für Teil-

chen und nicht für Moden eines Wellenfeldes angewandt wurde, kann man sich vorstellen, im

Hohlraum befinden sich Oszillatoren, die die Eigenfrequenzen der Hohlraummoden haben. Je-

der Hohlraummode ist ein Oszillator zugeordnet. Für die Oszillatoren gilt dann der Gleichver-

teilungssatz, und zwar erhält jeder Oszillator 1/2 kT an kinetischer und 1/2 kT an potentieller

Energie, insgesamt also kT an Energie. Um die Energiedichte der Strahlung im Bereich zwi-

schen ν und ν + dν auszurechnen, genügt es also, die Anzahl der Eigenmoden mit Frequenzen

in diesem Bereich abzuzählen. Da die Intensität der Hohlraumstrahlung von der speziellen

Ausführung des Hohlraumes unabhängig ist, wählen wir eine für die Berechnung bequeme

Geometrie. Er bestehe aus einem Würfel mit Kanten der Länge a, die entlang der Koordina-

tenachsen ausgerichtet sind. Die Wände mögen ideal reflektieren. Zunächst zählen wir die An-

zahl der Eigenschwingungen, die man anregen kann, wenn man die Frequenz von 0 bis zu ei-

nem Maximalwert ν0 hochregelt. Die Zahl der Moden im Frequenzbereich dν wird dann später

durch Differentiation gewonnen.

Abb. 22: Abzählen der Anzahl der möglichen Moden

Bei einem eindimensionalen Wellenleiter der Länge a lautet die Resonanzbedingung

a = nλ/2 = nc/(2ν)

Bei der höchsten betrachteten Frequenz ν0 paßt also eine maximale Zahl von

(1)n0 = 2aν0/c

Halbwellen auf den Wellenleiter. Regelt man die Frequenz von 0 auf ν0, so treten die Resonan-

zen bei 1, 2, ...n0 Halbwellen entlang der Strecke a auf. Gleichung (1) gibt also die Anzahl der

möglichen Eigenmoden für Frequenzen ν < ν0 an. Bei einer schräg einfallenden Welle mit dem

Wellenvektor :

33

(2)kk

=

cosαcosβcos γ

liegt die Resonanz in x-Richtung vor, wenn nx = a, wobei x der Knotenabstand auf der x-Ach-

se ist, weil dann an beiden gegenüberliegenden Wänden Knotenflächen liegen können.

Abb. 23: Eigenmoden unter Berücksichtigung schräg ein-fallender Wellen

Nach Abb. 23 ist und die maximale Anzahl der Knoten auf der x-Achseλ/2x = cosα

nx = 2a cosαx =

2aν

c cosα

Für die anderen Richtungen gilt analog

ny =

2aνc

cosβ; nz =

2aν

c cosγ

Durch Quadrieren und Addieren kann man die Winkelfunktionen eliminieren, wobei man die

Tatsache ausnutzt, daß in Gleichung (2) ist.k/k = 1

nx2 + ny

2 + nz2 =

2aν

c

2

Abb. 24: Im n-Raum wird jede Eigenmode durch einenPunkt repräsentiert

Alle ganzzahligen Werte von ni entsprechen Eigenmoden des Hohlraumes. Für ein maximales

ν = ν0 sind das also alle ganzzahlige ni, die der Ungleichung

nx2 + ny

2 + nz2 ≤

2aν0

c

2

34

genügen. Im Raum, der durch die Koordinaten ni aufgespannt wird, ist dies gleich dem Volu-

men der Achtelkugel mit Radius , wobei wegen Randeffekte vernachlässigtR = 2aν0c a >> λ

wurden.

N = 18

4π3

2aνc

3

= 4π3

ac

3

ν3

Durch Differentiation erhält man nun

dN = 4π

ac

3

ν2dν

Da V = a3 das Volumen des Würfels ist, erhält man für die Anzahl der Moden pro Volumen

dNV

= 4π3

ν2dν

und wenn <ε> die mittlere Energie einer Mode ist, für die Energiedichte

(3)uν = 4πc3

ν2⟨ε⟩

Gleichung (3) gilt für linear polarisiertes Licht. Unpolarisiertes Licht stellt man als Überlage-

rung von Verteilungen von 2 Sätzen von Wellen dar, deren Polarisationsebenen einen Winkel

von 90° miteinander bilden. In der klassischen Thermodynamik erhält nun jede Mode <ε> = kT

und die Energiedichte ist

(4)uν = 8π3ν2kT

Gleichung (4) ist das Rayleigh-Jeanssche Strahlungsgesetz. Für große ν divergiert uν(ν) im

krassen Gegensatz zur Realität. Dieses Verhalten nennt man auch die "Ultraviolettkatastro-

phe". Für kleine Frequenzen werden die experimentellen Werte gut wiedergegeben. Offen-

sichtlich wird in der klassischen Theorie den Moden mit großer Frequenz zu viel Energie zu-

geteilt. Nach dem Gleichverteilungssatz erwartet man, daß sich bei einem Oszillator im Gleich-

gewicht mit seinem Strahlungsfeld die meiste Energie im Strahlungsfeld befindet, da die An-

zahl der Freiheitsgrade im Feld groß ist. Dies entspricht etwa der Situation von mit Federn

verbundenen Kugeln auf einer Wasseroberfläche, die zum Schwingen angeregt werden. Die

35

Energie wird in Form von Wellen abgestrahlt und befindet sich anschließend im wesentlichen

in den Wellen. Bei einem Kohlestückchen im Gleichgewicht mit seinem Strahlungsfeld im

Hohlraum ist es genau umgekehrt: Nur ein verschwindend kleiner Bruchteil der Gesamtenergie

befindet sich im Wellenfeld.

Beispiel:

Hohlraum: V = 1000 cm3, T = 300 K, U = u · V = 7,6 · 10-16 · 34 · 108 · 10-3 = 6 · 10-9 J

Kohlestückchen: (1mol)U = NAkT = 8 · 3 · 102 = 2,5 · 103 J

g) Die Planckformel

Planck konnte die experimentellen Daten für die Hohlraumstrahlung reproduzieren, indem er

für die Energiestufen der Oszillatoren nur ganzzahlige Werte von hν zuließ:

⟨εn⟩ = nhν

(Nach heutiger Kenntnis müßte eine Nullpunktsenergie 1/2 hν hinzugefügt werden. Diese

bringt allerdings bei genügend hohen Temperaturen keinen Einfluß.) Die Aussage <εn> = nhν

beinhaltet neben einer Quantelung der Energie eines Oszillators die Quantelung der Feldener-

gie, die nur um Beträge hν verändert werden kann.

Um die mittlere Energie eines Oszillators zu berechnen, setzen wir für die Wahrscheinlichkeit,

daß er die Energie εn hat nach Boltzmann (an dieser Stelle ist die AnwendungWn = Ce−εn/kT

der Boltzmannstatistik nicht korrekt, liefert aber das richtige Ergebnis), wobei sich die Nor-

mierungskonstante C daraus ergibt, daß die Wahrscheinlichkeit, sich in irgendeinem Zustand

zu befinden, gleich 1 ist.

Σ Wn = C Σ e−εn/kT = 1; C = 1Σ −εn/kT

Die mittlere Energie des Oszillators ist daher

⟨ε⟩ = Σ εnWn = Σεne−εn/kT

Σ −εn/kT

Der Nenner heißt Zustandssumme (partition function). Sie stellt eine geometri-Z =∞

=Σ enhν/kT

sche Reihe mit q = e-hν /kT als Quotienten benachbarter Glieder dar.

nΣ qn = 1

1 − q

36

Z = 1− −hν/kT

Der Zähler hat die Form Σ hνnqn = hν Σ nqn

Da , ist Σ nqn−1 = 1

(1 − q)2

hν Σnqn

Σqn = hνq Σnqn−1

Σqn = q(1 − q)(1 − q)2

hν = hν1q − 1

⟨εν⟩ = hνehν/kT − 1

Für zwei Polarisationsrichtungen erhält man hiermit aus Gleichung (3)

(5)uν = 8πc3

hν3 1ehν/kT − 1

Dies ist die Plancksche Formel für die Energiedichte der Hohlraumstrahlung. Sie besteht aus

den drei Faktoren:

1. Die spektrale Dichte der Eigenschwingungen pro Volumen 8πc3

ν2

2. Die Energie eines Lichtquants hν

3. Die mittlere Anzahl von Lichtquanten pro Eigenschwingung ⟨n⟩ = 1hν/kT −

Die Konstanten werden im Experiment gemessen und erlauben die experimentelle8π3

h und hk

Bestimmung der Größen h und k und damit der Avogadrozahl. Auf ein Wellenlängenintervall

bezogen, erhält man mit uλ = (c/λ 2)uν und ν = cλ

(6)uλ = 8πhcλ 5

1hc/λkT −

h) Diskussion der Planck-Formel

Aus der Kirchhoff-Planck Funktion Gl. (5) erhält man die Rayleigh-Jeans-Formel für lange

Wellenlängen bzw. hohe Temperaturen kT >> hν

ex ≈ 1 + x

uν = 8πc3

ν2kT

Die Wiensche Strahlungsformel für kT << hν

37

ex − 1 ≈ ex

uν = 8πc3

hν3e−hν/kT

Das Stefan-Boltzmannsche Gesetz ergibt sich aus Integration von Gleichung (5) über alle

Frequenzen.

u =∞

∫ ν3f(ν/T)dν

mit der Substitution ν/T = ξ, dν = Tdξ

u = T4∫ ξ 3f(ξ)dξ = aT4

Dabei ist der Zahlenwert des uneigentlichen Integrals. Die übliche Formulierunga =∞

∫ ξ 3f(ξ)dξ

des Stefan-Boltzmannschen Gesetzes bezieht sich auf den Strahlungsstrom S. Aus

folgt . Man schreibt mitS = πI und u = 4πc I S = c

4u S = σT4

σ = 2π5h4

2 3= 5, 67 ⋅ 10−8W/(m2K4)

σ ist die Stefan-Boltzmannsche Konstante.

Das Wiensche Verschiebungsgesetz (Wilhelm Wien, 1864 - 1928) beschreibt die Lage des Ma-

ximums in der Planckschen Formel. Es ergibt sich aus Gl. (5) durch Ableiten und Nullsetzen

für die Darstellung im Frequenzraum. Aus Gleichung (6) für den Wellenlängenraum

uλ = 1λ 5

f(λ ⋅ T)

uλ/ = − 5

λ 6f(λ ⋅ T) + 1

λ 5f /(λ ⋅ T)T

= 1λ 6 [−5f(λ ⋅ T) + λTf /(λ ⋅ T)]

= 1λ 6

G(λ ⋅ T)

Für G(λmaxT) = 0 folgt das Wiensche Verschiebungsgesetz

λmax ⋅ T = const

38

Es ist zu beachten, daß nicht λmax = c/νmax gilt. Wenn λ in nm und T in K gemessen werden, ist

die Konstante 3·106 nmK. Beispiel: Setzt man für λ = 500nm, d.h. das Maximum der Em-

pfindlichkeit des menschlichen Auges, erhält man T = (3/5) · 104 = 6000 K, was der Tempera-

tur der Sonnenoberfläche entspricht.

Bei der Diskussion der Kirchhoff-Planck-Funktion ist zu beachten, daß bei festgehaltener Fre-

quenz uν immer mit der Temperatur wächst. Bis T = 3000 K liegt das Maximum im Infraroten.

Abb. 25: Die Intensitätsverteilung der Hohlraumstrahlung

Die Aussage: Ein heißer Körper sieht bläulich aus, weil das Maximum seiner Ausstrahlung im

Blauen liegt, ist also mit Vorsicht zu genießen.

i) Der äußere Lichtelektrische Effekt

Abb. 26: Anordnung zum äußeren Photoeffekt

In der Entwicklung der Quantenphysik haben drei experimentelle Tatsachen eine Schlüsselrolle

gespielt, die sich einer Erklärung durch die klassische Physik entzogen. Dies waren neben der

Intensitätsverteilung der Hohlraumstrahlung, der äußere Photoeffekt und der Comptoneffekt.

Beim äußeren lichtelektrischen Effekt werden durch die Bestrahlung einer Metalloberfläche

mit monochromatischem Licht aus dieser Elektronen ausgelöst (S. Abb. 26). Die Metallfläche

befindet sich im Vakuum, um die Bewegung der austretenden Elektronen nicht zu behindern.

Anordnungen dieser Art dienen als Lichtdetektor. Ein Gegenfeld U gestattet es, die maximale

Energie der ausgelösten Elektronen zu bestimmen. Nach dem klassischen Bild erwartet man,

daß diese zur Energiedichte der Strahlung proportional ist

eUmax = 12

mvmax2 ∼ S ∼ E2

39

Abb. 27: Gemessener Strom beim äußeren Photoeffekt

Gemessen wird, daß diese Energie unabhängig von der Intensität der Strahlung, aber linear

wachsend mit der Frequenz ist. In Abb. 27 ist die Stromstärke in Abhängigkeit von der

Gegenspannung für zwei unterschiedliche Strahlungsintensitäten S = S1 und S = S2 (S1 > S2)

skizziert. Bei positiven Spannungen erhält man für den Strom einen Sättigungswert IS1, IS2, der

proportional zur einfallenden Lichtleistung ist (Abb. 28).

Abb. 28: Der Sättigungsstrom in Abhängigkeitvon der Intensität der Strahlung

Abb. 29: Die maximale Energie der Elektro-nen hängt von der Frequenz der Strahlung ab

Bei einem negativen Spannungswert Umax verschwindet das Signal. Umax hängt im Gegensatz

zum klassischen Bild nicht von der Intensität der Strahlung ab, sondern nur von der Frequenz,

und zwar hängt Umax linear von der Frequenz ab (Abb. 29) . Diesen Sachver-eUmax = Cν − eU0

halt kann man nach Einstein sehr leicht erklären, indem man die Quantenhypothese des Lichtes

annimmt. Die hineingestecke Energie hν wird dann aufgebracht, um die Auslösearbeit und die

verbleibende kinetische Energie aufzubringen . Der Sättigungsstrom ist dannhν = 12

mv2 + eU0

proportional zur Anzahl der einfallenden Lichtquanten und damit zu S. Der Photoeffekt gestat-

tet es, die Plancksche Konstante und die Austrittsarbeit zu bestimmen, indem die Steigung und

der Achsenabschnitt der Geraden Umax(ν) ausgemessen wird.

40

j) Der Comptoneffekt

Abb. 30: Comptonstreuung von Röntgenlicht

Der Comptoneffekt tritt bei der Streuung von Röntgenstrahlen an freien Elektronen auf (Ar-

thur Compton, 1892-1962). Wegen der großen Energie der Röntgenquanten wirken auch

schwach gebundene Elektronen in Festkörpern wie freie Elektronen. Klassisch erwartet man

Thomsonstreuung, d.h. das Streulicht sollte eine Frequenz besitzen, die in der Umgebung der

Frequenz der eingestrahlten Welle liegt. Compton entdeckte, daß neben dieser unverschobe-

nen Komponente eine zu längeren Wellenlängen verschobene Komponente vorkommt. Die

Verschiebung ist vom Streuwinkel ϑ (Abb. 30) abhängig: , wobei λc eine∆λ = λ c(1 − cosϑ)Konstante ist, die nicht vom Material des Streuers oder von den Daten der Röntgenstrahlung

abhängt. heißt die Comptonwellenlänge. Quantenmechanisch erklärtλ c = 0, 024o

A = 2, 4pm

man den Comptoneffekt über den Stoß eines Röntgenquants mit einem ruhenden Elektron.

Man benötigt wie beim Stoß von Billardkugeln den Energie- und den Impulssatz, wobei relati-

vistisch gerechnet werden muß. Die relativistische Energie-Impulsbeziehung lautet

Eel2 = (m0c2)2 +(pc)2

Der Energiesatz

hν + m0c2 = hν / + Eel = hν / + (m0c2)2 + (pc)2

der Impulssatz für die y-Komponente

p sin ϕ = hν /

c sin ϑ

für die x-Komponente

p cosϕ = hνc − hν /

c cosϑ

41

Durch Quadrieren und Addieren wird ϕ eliminiert

p2 =

hν /

c

2

sin2ϑ +

hνc − hν /

c cosϑ

2

(1)p2c2 = h2ν /2sin2ϑ + h2ν2 + h2ν /2cos2ϑ − 2h2νν /cos ϑ

Damit kann mit Hilfe des Energiesatzes p2c2 eliminiert werden. Dieser ergibt nach p2c2

aufgelöst

p2c2 = [h(ν − ν /) + m0c2] 2 − (m0c2)2

= h2ν2 + h2ν /2 − 2h2νν / + m02c4 + 2h(ν − ν /)m0c2 − m0

2c4

Durch Gleichsetzen mit (1) unter Beachtung der Bedingung erhält man:sin2ϑ + cos2ϑ = 1

2h(ν −ν /)m0c2 = 2h2νν /(1 − cosϑ)ν − ν / = h

m c2(1 − cosϑ)νν /

oder mit ν = c/λ

∆λ = hm0c

(1 − cosϑ)

Die Comptonwellenlänge enthält also die Plancksche Konstante und die Elektronenmasse. Der

Comptoneffekt liefert damit einen unabhängigen Wert für die Plancksche Konstante. In späte-

ren Versuchen wurde gezeigt, daß gleichzeitig mit dem Röntgenquant ein Elektron der

korrekten Energie ausgelöst wird. Comptonstreuung erwies sich als der Hauptstreueffekt für

Röntgenstrahlung von mittlerer Härte.

2. Beugung von Elektronen

Im letzten Abschnitt wurde gezeigt, daß bei Licht Teilchen- und Welleneigenschaften auftre-

ten. Analog zeigte sich, daß Teilchen wie Elektronen oder Neutronen ebenfalls sowohl als

Teilchen wie als Welle wirken.

Abb. 31: Anordnung zur Elektronenbeugung

42

Die ersten Beugungsversuche mit Elektronen wurden von Davisson und Germer (1919)

durchgeführt (Clinton Joseph Davisson, 1881-1958, Lester Halbert Germer, 1896-1971). Sie

streuten Elektronen an einem Nickelkristall und bemerkten in der Zählrate der gestreuten

Elektronen in Abhängigkeit vom Streuwinkel Maxima, die man als Interferenzmuster von Wel-

len erklären konnte, die an den Gitterebenen des Kristalls gestreut werden.

Abb. 32: Die Winkelverteilung der gestreuten Elektronen

Die korrekten Werte der Lage der Interferenzmaxima konnte reproduziert werden, wenn man

Teilchen mit dem Impuls p die Wellenlänge zuordnete. De Broglie forderte, daß allenλ = hp

Teilchen eine Welle nach dieser Formel zugeordnet werden kann (Louis de

Broglie,1892-1987). Man nennt diese Wellen auch Materiewellen und die zugehörige Wellen-

länge de Broglie-Wellenlänge. Wir merken uns hk = p, hω = E. Die genauere Begründung der

de Broglie-Beziehung erfolgt über die Betrachtung von Wellenpaketen.

Abb. 33: Beim Doppelspaltversuch zeigt sich der Dualismus von Teilchen und Wellen

Inzwischen ist eine Reihe von Interferenzversuchen durchgeführt worden, die den klassischen

optischen Versuchen entsprechen, z.B. Fresnelbeugung an einer Halbebene aus Al2O3 (Bo-

ersch, 1956) und ein Biprismaversuch durch Beugung an einem Faden. Die Beugungsmuster

können praktisch von den optischen Pendants nicht unterschieden werden. Beugungsversuche

mit Neutronen gehören heute zur Standardmethode bei Strukturuntersuchungen.

3. Welle oder Teilchen

Um das rätselhafte Verhalten von Teilchen klarer herauszustellen, beschreiben wir im folgen-

den einen idealisierten Beugungsversuch am Doppelspalt.

43

Eine Quelle Q bestrahlt einen Doppelspalt und in einer Ebene S wird das entstehende Muster

mit einem geeigneten Detektor registriert. Der Detektor wird eine gewisse Intensitätsvertei-

lung W1(x) bzw. W2(x) wahrnehmen, wenn nur einer der Spalte offen ist. Im klassischen Bild

unterscheidet sich das Ergebnis für den Fall von Teilchen (Sandkörnern) und Wellen durch die

Art der Detektion und durch die Überlagerung der beiden Verteilungen, wenn beide Spalte of-

fen sind. Bei Teilchen werden einzelne lokalisierte Signale registriert, und die Gesamtvertei-

lung ergibt sich aus der Summe der Einzelverteilungen.

Wges(x) = W1(x) + W2(x)

Bei Wellen wird ein kontinuierliches Signal registriert und die Intensität für die Überlagerung

ergibt sich aus der Zeigeraddition der Amplituden

∼ψges

2 = ψ∼ 1 + ψ∼ 22

Es erscheint ein Interferenzmuster. Teilchen oder Photonen verhalten sich gemischt: Der De-

tektor registriert das Eintreffen einzelner Teilchen, aber die Intensität ergibt sich aus einer Zei-

geraddition wie bei Wellen. Man könnte meinen, daß die Teilchen in ihrem Strahl vielleicht

wellenförmig angeordnet sind. Dies ist aber nicht der Grund für das merkwürdige Verhalten:

Drosselt man die einfallende Intensität so weit, daß die Teilchen im großen zeitlichen Abstand

einzeln eintreffen, ergibt die Dichte der Auftreffstellen trotzdem insgesamt das typische Beu-

gungsmuster. Die Intensität der Welle auf dem Schirm beschreibt nur die Wahrscheinlichkeit

für das Auftreffen der Teilchen. Es ist auch nicht so, daß das Teilchen nichts anderes als ein

Wellenpaket ist. Auf dem Flug zum Schirm ist die Welle durch beide Spalte beeinflußt wor-

den, auf dem Schirm ist die laterale Ausdehnung sehr viel kleiner als der Spaltabstand. Man

bekommt sofort Schwierigkeiten bei der Frage: Wie kann ein Teilchen, das doch durch einen

der Spalte fliegen muß, wissen, daß da noch ein zweiter Spalt ist? Die Angabe einer Teilchen-

bahn wird unter diesen Umständen unsinnig. Das Verhalten ist zwar schwer zu verstehen, aber

leicht auszurechnen, und die meisten Physiker geben sich mit dieser Möglichkeit zufrieden.

4. Eigenschaften der Materiewellen

a) Zusammenhang von Teilchen- und Welleneigenschaften

Jedem bewegten Körper kann eine Welle zugeordnet werden, wobei die Energie E und der

Impuls p des Teilchens mit den Welleneigenschaften verknüpft werden durch

44

E = hω

p = hk

Dies gilt auch für makroskopische Körper. Wegen der großen Masse gegenüber atomaren

Teilchen wird allerdings die Wellenlänge oder die erforderliche Geschwindigkeit so klein, daß

Interferenzeffekte keine Rolle spielen.

Beispiel: Sandkorn m = 1 mg = 10-6 kg, v = 10-2 m/s

λ = h/p = 6, 6 ⋅ 10−34Js/(10−6kg ⋅ 10−2m/s) = 10−26m

Umgekehrt kann man jeder Welle ein Teilchen zuordnen. Dies ist sogar bei Schallwellen üb-

lich, wo man die dazugehörigen Teilchen Phononen nennt. Bei nichtlinearen Wellenprozessen,

bei denen durch Überlagerung von Wellen der Frequenz ωi ein und der Wellenzahl kiein Wellen

anderer Frequenz entstehen, ωiaus, kiaus, schreibt man daher die Frequenz- und Wellenlängenbe-

ziehungen häufig als Energie und Impulssatz

Σ hν iein = Σ hν iaus

Σhki ein = Σhki aus

Energiesatz: Σωiein = Σωiaus

Impulssatz: Σ kiein = Σ kiaus

Der Betrag der komplexen Wellenamplitude ist proportional zur Wahrscheinlichkeit, ein Teil-

chen in der Umgebung eines Ortes zu finden.

W(x, t)∆V = ψ 2∆V = ψψ∗ ∆V

ist die konjugiert komplexe Zahl von .ψ∗ ψDa man ein Teilchen irgendwo im Raum finden muß, ist die Wahrscheinlichkeit normiert

+∞

−∞∫ ψ 2

dV = 1

Abb. 34: Ein Strahlteiler teilt die Welle. Die Teilchen bleibenganz

Die Interpretation der Wellenamplitude als Maß für die Wahrscheinlichkeit für das Auffinden

eines Teilchens stellt sicher, daß bei Störungen der Welle, z.B. durch Blenden oder einen

45

Strahlteiler, Teilchen unversehrt bleiben. Z.B. kann in einem Strahlteiler eine Welle in zwei

Teilwellen aufgeteilt werden. Die geringere Amplitude in den Teilwellen besagt aber lediglich,

daß die Wahrscheinlichkeit, das Teilchen hier zu finden, entsprechend reduziert ist. Bei der

Registrierung eines Teilchens zeigt dieses die volle Masse, Ladung usw. des ursprünglichen

Teilchens. Ebenso wird bei einem Beugungsversuch das einfallende Teilchen nicht etwa über

einen größeren Raumbereich verschmiert, sondern es liegt nur eine räumlich ausgedehnte

Wahrscheinlichkeitsverteilung vor. Bei der Registrierung ist es lokal und unversehrt. Die Dy-

namik des Teilchens wird durch eine Differentialgleichung für die Welle, die Schrödinger-Glei-

chung, beschrieben. In diesem Sinne ist die Wellenmechanik determiniert, d.h. bei bekannten

Anfangswerten für die Welle liegt ihr weiteres Verhalten fest. Die Bewegung des Teilchens ist

allerdings nicht streng determiniert, da für seinen Aufenthaltsort nur Wahrscheinlichkeitsaussa-

gen existieren. Diese nur ungenaue Vorhersagbarkeit des Verhaltens von Teilchen ist aller-

dings streng zu unterscheiden von Wahrscheinlichkeitsaussagen in der klassischen Mechanik.

Wenn eine Kugel im Galtonschen Brett auf einen Stift fällt, hat sie, bei sorgfältiger Ausführung

der Anordnung die Wahrscheinlichkeit 1/2 auf eine der beiden Seiten zu fallen. In der klassi-

schen Mechanik wird das tatsächliche Verhalten, also ob sie in einem konkreten Versuch nach

links oder nach rechts fällt, durch geringfügige Änderungen der Anfangsbedingungen verur-

sacht. Man sagt, es hängt von "inneren Parametern" ab, die aufgrund der zu groben Betrach-

tungsweise nicht bekannt sind. In der Quantenmechanik existieren derartige innere Parameter

nicht. Versucht man z.B. das Verhalten eines Teilchens bei einem Interferenzversuch am Dop-

pelspalt durch die Existenz verborgener innerer Parameter zu erklären, etwa dadurch, daß ein

innerer Mechanismus bestimmt, wo das Teilchen in der Interferenzfigur aufzutreffen hat, so

läßt sich die Tatsache schwer erklären, warum an einer bestimmten Stelle in der Interferenzfi-

gur, nämlich an den Minima, mehr Teilchen erscheinen, wenn man einen der Spalte abdeckt,

also weniger Teilchen durchläßt. Innere Parameter müßten unabhängig von äußeren Maßnah-

men wie das Abdecken eines Spaltes sein.

b) Wellenpakete/Unschärferelation

i.Ebene Materiewellen

Eine ebene Welle hat die Form

(1)ψ = ψ0ei(p⋅x−Et)

Da ψψ∗ = 1, ist die Wahrscheinlichkeit, ein Teilchen zu finden im gesamten Raum gleich

groß. Der Impuls p des Teilchens ist genau bekannt, der Ort völlig unbekannt.

46

ii.Räumlich begrenzte Welle

Es liegt nahe, eine Welle zu betrachten, deren Wellenamplitude nur in einem begrenzten

Raumbereich deutlich von Null abweicht. Das Teilchen muß dann in diesem Raumbereich ge-

funden werden. Seine Lage ist also, wie in der klassischen Physik erwartet, besser bestimmt.

Eine räumlich begrenzte Welle kann, wie wir aus der Fourieranalyse wissen, allerdings nicht

mehr monochromatisch sein. Einen Wellenzug, der im Orts- und Frequenz-bzw. k-Raum ein

begrenztes Volumen einnimmt, nennt man ein Wellenpaket. Im Ortsraum heißen die Formeln

der Fouriertransformation

f(x) = 12π

−∞∫ a(k)eikxdk

a(k) =∞

−∞∫ f(x)e−ikxdx

Abb. 35: Die Fourieranalyse eines abgehackten Sinus

Wir betrachten als Beispiel ein Wellenpaket, das dadurch entsteht, daß man eine sinusförmige

Welle an beiden Seiten abhackt. Indem wir in Gl. (1) etwa t = 0 setzen, erhal-f (x) = ei(k0x−ωt)

ten wir das Verhalten im Ortsraum

a(k) =xo/2

−x /2∫ eikoxe−ikxdx =

xo/2

−x /2∫ e+i∆kxdx

mit ∆k = k0 − ku

a(k) = 1i∆k

(ei∆kx0/2 − e−i∆kx0/2)x0

2i∆kx0/2(ei∆kx0/2 − e−i∆kx0/2) = x0

sin2∆kxo/2(∆kx0/2)

a(k) 2 = x02 sin2∆kxo/2

(∆kx0/2)2

Wir charakterisieren die Breite durch die erste Nullstelle und erhalten mit der dek0x0/2 = π

Broglie-Beziehung

47

Abb. 36: Anblick des Wellenpakets im k-Raum

(2)∆px0 = h

Diese Gleichung beschreibt die Tatsache, daß bei einer Welle die räumliche Begrenzung

zwangsläufig zu einer Ausbreitung im Wellenzahlraum führt und umgekehrt. Für eine Materie-

welle heißt dies, daß die Ortsschärfe durch eine Impulsunschärfe erkauft wird. Da bei Wellen

das räumliche und das zeitliche Verhalten zusammenhängen, kann man die gleiche Betrach-

tung wie oben für den Zeitraum machen, indem man x = 0 setzt. Es genügt, x durch t und k

durch ω zu ersetzen und man erhält

ω0t0/2 = π

∆Et0 = h

Abb. 37: Ein fourierbegrenztes Wellenpaket

iii.Allgemeines Wellenpaket

Bei unterschiedlichen Formen von Wellenpaketen bleibt die Gl. (2) erhalten. Nur der Vorfak-

tor vor dem h ändert sich. Der minimale Vorfaktor ergibt sich bei einem Wellenpaket mit einer

Einhüllenden von der Form einer Gaußkurve. Er ist 1/2 π. Man sagt dann, die Welle ist fou-

rierbegrenzt. Alle anderen Wellen zeigen ein größeres Produkt von ∆p und ∆x. Hieraus folgt

die Heisenbergsche Unschärferelation

∆p∆x ≥ h/

∆E∆t ≥ h/

iv.Unschärferelation lateral

48

Wir haben gelernt, daß die Welleneigenschaften von Teilchen dazu führen, daß die Orts- und

Impulsunschärfe in Richtung der Teilchengeschwindigkeit nach der Heisenbergschen Unschär-

ferelation miteinander verknüpft sind. Das gleiche gilt für die seitliche Schärfe der Teilchen-

bahn. Versuchen wir die Teilchenbahn durch einen Spalt der Breite ∆x zu definieren, so ver-

breitert sich der Winkelbereich der Ausbreitung aufgrund der Beugung am Spalt.

sinα = λ∆x

Abb. 38: Der Versuch einer seitlichen Eingrenzung einesStrahls führt zu einer Aufweitung durch Beugung

Ersetzt man hier

∆px = p sin α = p λ∆x

erhält man mit der de Broglie-Beziehung pλ = h, für eine allgemeine Amplitu-∆px ⋅ ∆x = h

denverteilung in x-Richtung

∆px ⋅ ∆x ≥ h/

Ort und Impuls ebenso Zeit und Energie können nicht gleichzeitig genau angegeben werden.

v. Geschwindigkeiten von Wellenpaketen

Wie in der Optik besprochen wurde, breiten sich Wellenpakete mit der Gruppengeschwindig-

keit aus

vg = ∂ω∂k

Für Materiewellen heißt dies

vg = ∂E∂p

mit erhält manE2 = (m0c2)2 + (pc)2

49

2EdEdp

= 2pc2

vg = pc2

E= mvc2

2=v

v = p/m ist die Geschwindigkeit der Teilchen. Die Gruppengeschwindigkeit eines Wellenpake-

tes entspricht der Geschwindigkeit des dazugehörigen Teilchens. Man unterliegt wiederum der

Verführung, Teilchen einfach als Wellenpakete zu betrachten. Dies ist aber nicht möglich. Ein

Wellenpaket hat zwar einen begrenzten Raum für das Teilchen zur Folge. Ein Teilchen, das an

einem bestimmten Ort gefunden wird, sagt aber nichts über die Breite der Amplitudenvertei-

lung der dazugehörigen Welle kurz vor der Beobachtung aus. Es gibt einen zweiten Grund,

der die Gleichsetzung von Wellenpaketen und Teilchen ausschließt. Die Materiewellen zeigen

eine starke Dispersion. Für die Zeit, in der ein Wellenpaket auseinanderfließt, erhält man grö-

ßenordnungsmäßig , wobei m die Masse des Teilchens, ∆x0 seine Ausdehnung ist.t = ∆x02m

hFür Elektronen mit erhält man t = 10-26s.m ≈ 10−30kg, ∆x ≈ 10−15m

c) Anwendungen der Heisenbergschen Unschärferelation

Es gibt eine ganze Reihe von Anwendungen der Heisenbergschen Unschärferelation für Ab-

schätzungen. Z.B. läßt sich aus der Lebensdauer eines angeregten Zustandes sofort eine Aus-

sage über die Energieunschärfe machen. In der Elementarteilchenphysik schließt man umge-

kehrt aus der Energieunschärfe auf die Lebensdauer.

Yukawa schätzte über die Heisenbergsche Unschärferelation die Masse der damals noch nicht

entdeckten Pionen ab, indem er nach Teilchen suchte, die für die starke Wechselwirkung im

Atomkern verantwortlich sind, ähnlich wie Photonen für die elektromagnetische Wechselwir-

kung sorgen (Hideki Yukawa, 1907-...). Diese Teilchen halten sich im Kern maximal eine Zeit

auf, wenn r0 der Kernradius und c die Lichtgeschwindigkeit ist. Über die Unschärfere-∆t = r0c

lation ergibt sich eine Energieunschärfe . Setzt man diese gleich der Masse∆E = h/ /∆t = h/c/r0

der gesuchten Teilchen mit ∆E = mc2, so erhält man für diese

m = h/r0c ≈ 3 ⋅ 10−28kg

Kurz danach wurden Teilchen der Masse gefunden, die man Pionen nannte. Es2, 5 ⋅ 10−28kg

gibt positiv geladene, negativ geladene und neutrale Pionen. Nach heutiger Systematik beste-

hen sie aus einem Quark-Antiquark Paar.

50

KAPITEL D

Die Atomhülle

1.Experimentelle Grundlagen

a) Einleitung

Die Grundlage für die Theorie der Atomhülle waren Präzisionsmessungen der Spektroskopie.

Fraunhofer entdeckte die Absoprtionslinien im Sonnenspektrum. Abb. 39 zeigt die stärksten

Fraunhoferlinien im sichtbaren Spektralbereich.

Abb. 39: Die Fraunhoferlinien im Spektrum derSonne

Um Ordnung in die Vielzahl von Linien zu bringen, wurde zuerst nach äußeren Merkmalen

wie Intensität oder Schärfe der Linien sortiert. Fraunhofer benannte die stärksten Linien mit

großen lateinischen Buchstaben A - H (Abb. 39). Dabei sind einige als Linien bezeichnete Ge-

bilde in Wahrheit Gruppen von Linien. Von Fraunhofer hat sich bis heute die Bezeichnung der

Resonanzlinie des Natriums als NaD-Linien gehalten. In Wahrheit handelt es sich um ein Du-

blett von 2 Linien, die als Paradebeispiel für die Diskussion verschiedener atomarer Prozesse

häufig herangezogen werden. Regelmäßigkeiten werden sichtbar, wenn man die Spektren ein-

zelner Atome und von diesen wiederum die einfachsten betrachtet.

b) Das Wasserstoffspektrum nach Balmer

Das einfachste Atom ist der Wasserstoff (Abb. 40). Sein Spektrum zeigt im Sichtbaren den ty-

pischen Seriencharakter: Die Serie beginnt mit einer hellen Linie auf der roten Seite des Spek-

trums und setzt sich in schwächer werdenden Linien mit kleinerem Abstand fort. Die Wellen-

länge der Serie strebt einem Grenzwert, der Seriengrenze, zu. In Sternspektren erkennt man

Serien mit sehr vielen Mitgliedern. Mit Radiofernrohren kann man heute bis zur 300sten Linie

einer Serie erkennen. Im Labor ist dies schwer zu erreichen, da in Entladungen das Wasser-

Abb. 40: Die Balmerserie des Wasserstoffs

51

Harald Schüler

stoff-Atomspektrum von Molekülspektren überlagert ist und durch häufige Stöße der Atome

die Linien verbreitert werden und vor der Seriengrenze ineinanderschwimmen. Anfänglich ver-

suchte man, die Serie als Gesamtheit aller Oberwellen einer Grundwelle aufzufassen. Diese

Versuche schlugen fehl. Als erster fand Balmer eine Formel, die es gestattete, die Wellenlänge

aller Serienmitglieder des Wasserstoffspektrums im Sichtbaren mit guter Genauigkeit darzu-

stellen. (Johann, Jakob Balmer,1825-1898)

λ = G n2

2 −

wobei man für n die ganzen Zahlen 3 einzusetzen hat.≥c) Spektrum der Alkalimetalle

Abb. 41: Die Struktur der Alkalispektren ist nicht sofortdurchschaubar

Das Spektrum der Alkalimetalle Li, Na, K, Rb, Cs ist deutlich komplizierter als das H - Spek-

trum (Abb. 41). Man vermutete Gruppen zu 4 Linien. Später erkannte man, daß Gruppen aus

2 Linien (Dubletts) eine Serie bilden. Rydberg zeigte, daß einfache Gesetzmäßigkeiten entste-

hen, wenn man 1/λ statt λ betrachtet. 1/λ nennt man - anstelle der sonst in der Physik üblichen

Bezeichnung k = 2π/λ - die Wellenzahl und mißt sie in cm-1.

ν = 1/λ

Heute weiß man, daß in vieler Hinsicht praktischer für den Gebrauch als λ ist, da Atome dis-ν

krete Energiezustände besitzen und die Frequenz der beim Übergang von E1 nach E2 ausge-

strahlten Welle durch

E1 − E2 = hν

52

Abb. 42: Die Frequenzen einer Serie liegen auf einerHyperbel

gegeben ist. ist proportional zu . Trägt man 1/λn einer Serie gegenν = 1/λ = ν/c = 1hc

(hν) hν

die Laufnummer n der Serienmitglieder auf, erhält man eine hyperbelartige Kurve (Abb. 42),

die sich durch

νn = ν∞ − R

(n + µ)2

gut beschreiben läßt, wobei die Seriengrenze darstellt, der Quantendefekt µ im allgemeinenν∞

eine Zahl < 1 ist, die in erster Näherung in einer Serie konstant bleibt. , dieR = 1, 1 ⋅ 107m−1

sogenannte Rydbergkonstante, erweist sich als universell (Johannes Robert Rydberg,

1859-1917). Zwei benachbarte Linien zeigen einen konstanten Fequenzabstand. Auf diese

Weise ließen sich alle damals bekannten Linien der Alkalimetalle 4 Serien zuordnen, die man

heute die S, P, D und F-Serie nennt. Die P-Serie (principal series oder Hauptserie) enthält die

stärkste Linie. Sie entspricht dem Übergang vom Grundzustand (Abb. 43) zum nächst höher

gelegenen Niveau. Die S(sharp)- und D(diffuse)-Serien sind bei bestimmter Auflösung durch

schärfere und diffusere Linien gekennzeichnet. Die F(fundamental)-Serie, so genannt durch

Hicks, hat einen etwas irreführenden Namen, da sie keine besonders fundamentale Rolle spielt.

Die Bildungsgesetze der Serien im Lithium-Spektrum lauten in heutiger Schreibweise:

ν(S) = R

1

(2 − µP)2− 1

(n −µS)2

, n ≥ 3

ν(P) = R

1

(2 − µS)2− 1

(n −µP)2

, n ≥ 3

ν(D) = R

1

(2 − µP)2− 1

(n −µD)2

, n ≥ 3

ν(F) = R

1

(3 − µD)2− 1

(n −µF)2

, n ≥ 4

Die Summanden in der eckigen Klammer nennt man Terme. Man schreibt sie auch abkürzend,

z.B. für die S-Serie

ν(S) = 2P − nS

53

Der niedrigste Term ist bei Natrium ein 3S, bei Kalium ein 4S, bei Rubidium ein 5S-Term. Die

Wellenzahlen der Linien ergeben sich also aus der Differenz zweier Terme, die man als Ener-

giewerte deutet. Die Tatsache, daß man aus der Differenzbildung von Wellenzahlen in einem

Spektrum oft auf die Differenz der Wellenzahlen zweier anderer Linien stößt, nennt man Ritz-

sches Kombinationsprinzip (Walter Ritz, 1878-1909). Es ist ein Mittel, die Lage von Linien

vorherzusagen. Terme werden in einem Energiediagramm, dem sogenannten Grotrian-Dia-

gramm, dargestellt. Die eingezeichneten Terme sind bis auf die S-Terme alle doppelt. Alle

Übergänge zwischen benachbarten Termsystem kommen vor. Die Quantendefekte µi unter-

scheiden sich für die Partner eines Dubletts geringfügig. Sie nehmen von der S- zur F-Serie ab.

Abb. 43: Grotrian-Diagramm der Alkalimetalle

d) Balmerformel nach Rydberg

Die Balmerformel entpuppte sich als Sonderfall der Serienformel für das Spektrum der Alkali-

metalle mit dem Quantendefekt 0.

ν = R

122

− 1n2

; n2 = 3, 4, 5, ...

Rydberg und Ritz sagten mit Hilfe dieser Formel weitere Spektralserien im Wasserstoff vor-

aus, indem sie sie verallgemeinerten zu

ν = R

1n2

− 1n2

; n1 = 1, 2, 3, 4, 5, ...

Diese Serien wurden an den vorhergesagten Stellen gefunden und nach Ihren Entdeckern

benannt

n1 = 1, n2 = 2, 3, ... Lyman Serie λ1 = 121,5 nm

54

n1 = 2, n2 = 3, 4, ... Balmer Serie λ1 = 656,3 nm

n1 = 3, n2 = 4, 5, ... Paschen Serie λ1 = 1875,1 nm

n1 = 4, n2 = 4, 6, ... Brackett Serie λ1 = 4050,0 nm

n1 = 5, n2 = 6, 7, ... Pfund Serie λ1 = 7400,0 nm

Das Termschema des Wasserstoffatoms ist in Abb. 44 dargestellt.

Abb. 44: Termschema des Wasserstoffs

Der Übergang entspricht einer Ionisierung. Die Wellenzahl ergibt sich aus dern = 1 → n = ∞Balmerformel

= R

11

− 1∞

= R = 1, 1 ⋅ 107m−1

die entsprechende Energie ist . Da , ist die Ionisierungse-Rhc = 2, 2 ⋅ 10−18J 1eV =1, 6 ⋅ 10−19 J

nergie R = 13,6 eV.

e) Aufspaltung der Terme

Vergleicht man das Termschema der Alkalimetalle mit dem des Wasserstoffs, stellt man fest,

daß ein Term des Wasserstoffs für eine bestimmte Hauptquantenzahl n0 in n0 Unterterme auf-

gespalten ist. Man numeriert diese Unterterme mit der Bahndrehimpulsquantenzahl l durch,

und zwar ist für S-Terme l = 0, P-Terme l = 1, D-Terme l = 2, F-Terme l = 3. Für ein be-

stimmtes n0 gibt es die Terme l = 0,1,2, ..., n0 - 1.

Sieht man sich einen Term mit einem bestimmten n und l genauer an, so stellt man fest, daß er

bei Alkalimetallen wiederum aus 2 nahe beieinanderliegenden Niveaus besteht. Als Ausnahme

sind S-Terme stets einzeln. Diese Aufspaltung nennt man Feinstruktur. Die Ursache hierfür ist

die Bahndrehimpuls-Spin-Wechselwirkung. Man unterscheidet die Unterterme eines Dubletts

durch die Drehimpulsquantenzahl Im Prinzip gäbe es für die Übergänge zwischenj = l ± 1/2.

den Dubletts zweier Terme 4 Möglichkeiten. Beobachtet werden nur solche, bei denen die

Auswahlregel gilt. Außerdem finden nur Übergänge zwischen∆j = 0 oder ∆j = ±1

55

benachbarten Termserien statt . Im allgemeinen hat man also 3 Linien innerhalb eines∆l = ±1

Multipletts. Diese bestehen aus einem starken Dublett und einem deutlich schwächeren Satelli-

ten. Der Satellit ist die Ursache für den diffusen Charakter der Linien bei schwacher

Auflösung.

Bei weiter erhöhter Auflösung beobachtet man die sogenannte Hyperfeinstruktur. Sie rührt

von der Wechselwirkung der Bahnbewegung mit dem Kernspin her. Auch Wasserstoff hat eine

Fein- und Hyperfeinstruktur.

Abb. 45: Die erlaubten Übergänge zwischen den Dublettsder Alkalimetalle

2. Das Bohrsche Atommodell

a) Das klassische Planetenmodell

Eine korrekte Beschreibung des Atoms ist nur mit der Quantentheorie möglich. Zur konse-

quenten Behandlung des Spins muß sogar die Dirac-Theorie herangezogen werden. Die Be-

griffe haben sich allerdings am mechanischen Modell gebildet, das in seinen Grundzügen auf

Abb. 46: Ein Elektron auf einer Kreisbahn um den Kern

Nils Bohr zurückgeht (1913) (Nils Bohr, 1885-1951) und durch Arnold Sommerfeld verfeinert

wurde.(Arnold Sommerfeld, 1868-1951). Im einfachsten Bild geht man von einem ruhenden

Kern mit der Ladung Ze aus, der von einem Elektron auf einer Kreisbahn umlaufen wird.

Gleichsetzen von Coulomb- und Zentrifugalkraft ergibt

(1)mrω2 = Ze2

(4πε )r2

Die Gesamtenergie erhält man aus

Ekin+ Epot= Eges

12

mr2ω2 − Ze2

(4πε0)r= Eges

56

Durch Ersetzen von ω2 über Gl. (1) erhält man

(2)−12

Ze2

(4πε0)r= Eges

Abb. 47: Die Gesamtenergie des kreisenden Elektrons inAbhängigkeit vom Kreisradius

Die Gesamtenergie ist negativ, da sie für auf Eges = 0 normiert ist. Im klassischen Bildr → ∞

strahlt das Elektron elektromagnetische Strahlung ab, da es eine beschleunigte Bewegung aus-

führt. Die Gesamtenergie und der Bahnradius nehmen also kontinuierlich ab, bis das Elektron

in den Kern stürzt. Die Atome zeigen sich entgegen dieser Folgerung als außerordentlich

stabil.

b)Die Bohrschen Postulate

Bohr mußte deshalb, um eine realistische Beschreibung des Atoms vornehmen zu können, ei-

nige Zusatzforderungen in die Theorie einfügen, die den klassischen Gesetzen widersprechen.

Diese sogenannten Bohrschen Postulate sind im wesentlichen:

i.Atome haben stationäre Zustände, in denen die Energie nicht abgestrahlt wird.

ii.Energie wird abgestrahlt, wenn ein Atom von einem stationären Zustand in einen mit tieferer

Energie übergeht. Dabei gilt E1 − E2 = hν

iii.Die Quantisierungsbedingung von Planck wird verallgemeinert zu .∆E = hν ∫ pdq = nh

( hat die Dimension von h). q ist eine verallgemeinerte Ortskoordinate, p der dazugehöri-∫ pdq

ge Impuls, z.B. . Es wird über eine geschlossene Bahn im Phasenraumq = ϕ, p = mr2 •ϕ

integriert.

Abb. 48: Quantisierung im Phasenraum

Im allgemeinen benötigt man für jeden Freiheitsgrad eine Quantisierungsbedingung. Ohne Be-

rücksichtigung des Kernspins, d.h. der Hyperfeinstruktur, benötigt man für Einelektronensy-

steme vier Quantenbedingungen für die vier Freiheitsgrade: drei räumliche und einen Spinfrei-

heitsgrad. Für die ebene Kreisbahn genügt zunächst eine Quantenbedingung.

57

c) Der Franck-Hertz-Versuch

Die Existenz stationärer Zustände wurde experimentell durch Franck und Hertz nachgewiesen

(James Franck, 1882-1964, Gustav Hertz, 1887-1975). Das Prinzip der Anordnung ist in

Abb. 49 dargestellt.

Abb.49: Anordnung beim Franck-Hertz-Versuch

Elektronen werden durch eine variierbare Spannung U auf die Energie eU gebracht. Sie durch-

laufen eine Gasstrecke, in der sie stoßen können. Ihre Energie nach dem Stoß wird durch ein

Gegenfeld mit der Potentialdifferenz UG analysiert. Im klassischen Franck-Hertz-Versuch wird

als Gas Quecksilberdampf verwendet. Zur Demonstration wird die Gegenspannung fest auf

UG = 5V eingestellt und I in Abhängigkeit von U gemessen. Abb. 50 zeigt ein typisches Ergeb-

nis. Im Energiebereich elastischer Stöße steigt der Strom mit der Energie der Elektronen

Abb. 50: Experimenteller Hinweis auf stationäre Zustände

an. Wird die Anregungsenergie der Gasatome erreicht (bei Hg U* = 4,85 eV), geben die

Elektronen ihre gesamte Energie ab, sie können das Gegenpotential nicht mehr überwinden.

Mit weiter steigender Beschleunigungsspannung (Bereich 2) wiederholt sich das Spiel. Bei et-

wa 10 V verlieren Teilchen, die zweimal im Gasraum gestoßen haben, ihre Energie, usw.

d) Bahnradius

Bei einer Kreisbahn lautet die Quantisierungsbedingung

∫ pdq = ∫ mr2ωdϕ = mr2ω2π =nh

ω = nh/mr2

58

Einsetzen in Gl. (1) ergibt

mr n2h/ 2

m2r4= Ze2

(4πε0)r2

(3)r = n2h/ 2(4πε0)mZe2

Für n = 1, Z = 1 erhält man den Radius des Wasserstoffatoms im Grundzustand, den Bohr-

schen Radius

rB = 10−68

⋅ 9 ⋅ ⋅ −31 ⋅ ⋅ −38≈ 0, 5 ⋅ 10−10m

in Übereinstimmung mit Messungen über andere Methoden. Bei hochangeregten Atomen ist

der Radius um einen Faktor n2 größer, z.B. bei n = 300 um n2 105. Der Radius solcher Ato-≈me beträgt etwa 5 µ.

e) Gesamtenergie

Aus Gleichungen (2) und (3) erhält man für die Gesamtenergie

En = − Z2e4m2(4πε0)2h/ 2n2

Wenn man voraussetzt, daß , ergibt sich die Balmerformelhν = ∆E

mit ∆E = Z2R∞∗

1n2

− 1n2

R∞∗ = e4m

2(4πε0)2h/ 2

wurde in Joule gemessen. Zur Umrechnung in m-1 giltR∞∗

R∞ = R∞∗ /hc

Mit den Naturkonstanten erhält man

R∞ = 109737cm−1

Vergleich mit Meßergebnissen an Wasserstoff zeigt eine Abweichung in der 5. Stelle. Diese

kann man beseitigen, wenn man die Endlichkeit der Kernmasse mit berücksichtigt. Das

59

erreicht man am besten dadurch, daß man die Elektronenmasse durch die reduzierte Masse µ

ersetzt.

1µ = 1

me+ 1

mi

Dies ergibt RH = 109677 cm-1. Mit dieser Korrektur stimmt die Rydbergkonstante auf minde-

stens 6 Stellen mit dem experimentellen Wert überein. Für ein Atom mit einem Kern der Mas-

se M erhält man dann allgemein

Rm = R∞1 + me/M

Abb. 51: Abhängigkeit der Rydbergkonstanten von derKernmasse

f) Folgerungen aus dem Bohrschen Modell

i.Die Rydbergkonstante hängt von der Masse des Atoms ab, was experimentell durch Ver-

gleich von Spektren von Atomen unterschiedlicher Masse bestätigt wurde (Abb. 51). Diese

Aussage führte zur Entdeckung des schweren Wasserstoffs durch Urey, 1932. Der Deuteri-

umkern besteht aus einem Proton und einem Neutron und ist damit doppelt so schwer wie

ein Wasserstoffkern.

Abb. 52: Spektrum eines Wasserstoff-Deuteriumgemisches

ii.Atome, die durch Ionisation alle Elektronen bis auf eins verloren haben, zeigen wasserstoff-

ähnliche Spektren, in denen alle Details (bis auf den unter i. erwähnten Isotopie-Effekt)

gleich sind wie bei H, wenn man R durch Z2R ersetzt. (Z ist die Kernladungszahl). Pickering

entdeckte im Stern ζ Puppis eine Serie von Spektrallinien, bei der jede zweite Linie mit einer

Wasserstofflinie zusammenfiel (Abb. 53) (Edward Charles Pickering, 1846-1919). Diese er-

klärt sich zwanglos aus der Bohrschen Formel als Serie des Ionisierten Heliums mit Z = 2.

60

ν = 4RH

1n1

2− 1

n22

Abb. 53: Die Spektren von HI und HeII

Anfänglich wurde vermutet, daß es sich um eine Sonderform von Wasserstoff mit halbzahligen

Quantenzahlen handelt.

Abb. 54: Die einfachsten Wasserstoffähnlichen

ν = RH

1(n1/2)2

− 1(n2/2)2

Das Termschema zeigt Abb. 54. Die Mitglieder der Pickeringserie fallen wegen des Isotopie-

Effektes nicht genau mit den Wasserstofflinien zusammen. In Fusionsplasmen erzeugt man

wasserstoffähnliche Spektren, z.B. von Eisen. Die Bezeichnungen HI, HeII, LiIII stammen aus

der Spektroskopie, in der man üblicherweise das Spektrum des neutralen Elementes A als das

AI-Spektrum, des einfach ionisierten als das AII bezeichnet.

g) Ellipsenbahnen

Ohne äußeres Feld und ohne Berücksichtigung des Spins wird die Bewegung des Elektrons

durch 2 Freiheitsgrade beschrieben. Z.B. durch die große und kleine Halbachse. Die Haupt-

quantenzahl gibt nach wie vor die Gesamtenergie an

En = RZ2

2

Da bei der Keplerbewegung die Gesamtenergie alleine durch die große Halbachse ausgedrückt

werden kann, erhält man bei vorgegebenem n eine Schar von Ellipsen mit gleich großer Halb-

achse. Fordert man zusätzlich, daß der Drehimpuls gequantelt ist, erhält man zu jedem n

61

n Ellipsen unterschiedlicher Exzentrizität. Bei der größten Exzentrizität liegt der kleinste Dre-

himpuls vor. Nach heutiger Nomenklatur ergibt l = 0 den kleinsten Bahndrehimpuls. Eine

solche Bahn liefe auf einem Geradenstück, das durch den Kernmittelpunkt führt. Die höchste

Bahndrehimpulsquantenzahl ist l = n - 1.

Abb. 55: Bahnen mit gleicher Gesamtenergie, aber unter-schiedlichem Drehimpuls

Bei völlig klassischer Berechnung haben alle Ellipsen mit gleichem n die gleiche Energie. Man

sagt, die Terme sind also bezüglich l n-fach entartet. Bei Berücksichtigung der relativistischen

Massenzunahme ergibt sich durch die größere Geschwindigkeit der Elektronen in Kernnähe

bei Bahnen größerer Elliptizität eine etwas kleinere Energie. Nach Sommerfeld wird im

Wasserstoff

,En = Z2

n2R

1 + α 2Z2

n2

nl + 1

− 34

wobei die sogenannte Feinstrukturkonstante ist. α ist dimensionslos. DieA = e2

2ε hc= 137

entsprechende quantenmechanische Rechnung liefert einen Ausdruck, bei dem im ersten Term

der runden Klammer l + 1/2 statt l + 1 im Nenner steht. Außerdem ergibt sich eine weitere

Korrektur durch Spin-Bahn Wechselwirkung sowie einen Quantenfeldeffekt. Bei den Alkali-

metallen taucht das Elektron in die Wolke der Rumpfelektronen. Die Abschirmung der Kernla-

dung durch die Rumpfelektronen wird dadurch vermindert, die Bindungsenergie wird größer.

Die Terme der Alkalimetalle liegen daher tiefer als die entsprechenden Wasserstoffterme. Je

kreisförmiger die Bahn, d.h. je größer das l, desto ähnlicher wird das Termschema dem Was-

serstoff. Das gleiche gilt für große Radien, d.h. Hauptquantenzahlen. Dieses Verhalten ent-

spricht den im vorigen Abschnitt geschilderten Beobachtungen.

Abb. 56: Tauchbahnen

h) Anmerkungen zum Bohrschen Modell

62

Die Bohrsche Theorie ist unbefriedigend, da die Quantenbedingungen in der sonst klassischen

Theorie einen Fremdkörper darstellen. (Aussage von Bragg: Eine Theorie, bei der man Mo,

Mi, Fr klassisch, sonst quantenmechanisch rechnen muß.)(William Henry Bragg, 1862-1942,

William Lawrence Bragg, 1890-1971)

Mit der Bohrschen Theorie können keine Aussagen über Intensitäten gemacht werden. Dieser

Mangel sollte über das sogenannte Korrespondenzprinzip behoben werden. Die Theorie ver-

sagt bei der Berechnung des He-Atoms, obgleich das entsprechende Problem der himmelsme-

chanik durch Störungstheorie sehr gut behandelt werden kann. Einige Aussagen sind auch bei

Wasserstoff falsch. Z.B. haben - wie man aus der Quantenmechanik weiß - die S-Zustände Ku-

gelsymmetrie, während sie nach der Bohrschen Theorie Bahnen mit größter Elliptizität erge-

ben sollten.

Warum ist es trotz einer falschen Theorie möglich, Aussagen mit ausgezeichneter Genauigkeit

zu erzielen?

Im Grunde ist die Bohrsche Theorie vermutlich eine intelligente Art der Dimensionsanalyse.

Die Dimensionsanalyse erlaubt in vielen Fällen, wenn technische Prozesse schwer berechenbar

sind, aber wenigstens die beteiligten Größen genau bekannt sind, die funktionale Abhängigkeit

einer Größe von den übrigen Parametern zu finden.

Beispiel: Schwingungszeit eines Pendels

eingehende Größen m, g, l, gefragt t

[m] = kg; [g] = ms−2; [l] = m; [t] = sAnsatz t = mαgβlγ

kg0m0s1 = kgαmβs−2ßmγ

Exponentenvergleich ergibt:

α = 0

−2β = 1; β = −12.β + γ =0; γ = 1

2

Hieraus folgt

.t = C lg

63

Beispiel einer Dimensionsanalyse mit einem falschen physikalischen Bild:

Für das Pendel gilt die Bewegung im Erdschwerefeld, d.h. der freie Fall: s = 12

gt2

aufgelöst nach t: . Der zurückgelegte Weg entspricht erwa der halben Pendellänget = 2 lg

. Wegen Kreis: Faktor π: 2s = l T = 2π lg

64

KAPITEL E

Der Spin

1.Magnetisches Moment

Bei der bisherigen Betrachtung wurden magnetische Kräfte zur Berechnung der Energiezu-

stände nicht berücksichtigt. Diese sind zwar tatsächlich wesentlich kleiner als die elektrostati-

schen Kräfte, führen aber zu deutlich beobachtbaren Effekten. Jede Umlaufbahn eines Elek-

trons ist mit einem magnetischen Dipolmoment verbunden, das mit dem eines anderen Elek-

trons wechselwirkt und so zu einer Modifikation des Energiezustandes führt. Im folgenden

wird daher zunächst auf den Zusammenhang zwischen Bahnbewegung eines geladenen Teil-

chens und magnetischem Moment eingegangen.

a) Drehmoment auf eine Leiterschleife

Abb. 57: Magnetisches Moment einer stromdurchflosse-nen Leiterschleife

Eine von Strom I durchflossene rechteckige Leiterschleife sei um einen Winkel αgegenüber

dem Magnetfeld gedreht (Abb. 57). Dann wird auf sie ein Drehmoment ausge-D = 2a2

F sin α

übt, wobei sich F aus der Lorentzkraft ergibt mit F = QvB Q = neV = nebAd

.F = nev⋅AdbB = IbB

Das Drehmoment läßt sich also durch ausdrücken. Dies gilt für jede Form einerD = AIB sin αLeiterschleife, da man sich eine beliebige Schleife als aus Rechteckschleifen zusammengesetzt

denken darf. Man schreibt allgemein

D = µ × B

mit

µ = A ⋅ I

und nennt µ analog zum elektrischen Dipol, bei dem ist, das magnetische Dipolmo-D = p × E

ment der Schleife. Es sei angemerkt, daß zuweilen µ' = µ0 AI als magnetisches Dipolmoment

definiert wird.

65

Harald Schüler

b) Die potentielle Energie eines magnetischen Dipols im Magnetfeld

Die Energiemodifikation eines im Feld geneigten Dipols ergibt sich aus

Epot = −∫ F • ds = ∫ Ddα = −µBα

0∫ sin αdα = µB cosα

Abb. 58: Beitrag zur potentiellen Energie

oder in Vektorschreibweise

Epot = µ • B

Da B eine fest vorgegebene Größe ist, erwarten wir, daß die zu B parallele Komponente des

magnetischen Momentes gequantelt ist. Wir können uns dies auch so veranschaulichen: Das

kreisende Elektron stellt einen Kreisel dar. Auf diesen wird durch die Kraft des Magnetfeldes

auf den magnetischen Dipol ein Drehmoment ausgeübt, das zu einer Präzessionsbewegung

führt. Dadurch mitteln sich die Komponenten, die senkrecht zu B stehen heraus und die einzi-

ge für eine Energiemodifikation relevante Komponente ist die in Richtung des Magnetfeldes.

Man bezeichnet sie gewöhnlich als die z-Komponente und schreibt , wobei m die 2l + 1lz = mh/

ganzzahligen Werte annehmen kann.m = 0, ±1, ±2, ..., ±l

c) Das gyromagnetische Verhältnis

Das Dipolmoment eines umlaufenden Elektrons ist dem Drehimpuls dieser Bewegung propor-

tional. Schreibt man nämlich

I =QT

= eω2π

A = π ⋅r2

so erhält man . Da der Drehimpuls der Bahn ist und l in Richtung derµ = IA = 12

eωr2 l = mωr2

Flächennormalen liegt, ergibt sich

,µ = e2m

l

66

wobei e = -e0 die Ladung des Elektrons ist. Die Richtungen von µ und l sind also

entgegengesetzt.

µ = − e0

2ml

Für den Sonderfall wird .l = h/ µB = eh/2m

= 9 ⋅ 10−24Am2

µB ist die natürliche Einheit für das magnetische Moment im Atom. Es heißt Bohrsches Ma-

gneton. Die Proportionalitätskonstante

γ =µl

= e0

2m

nennt man das gyromagnetische Verhältnis. Mißt man µ in Einheiten von µB und l in Einheiten

von h, erhält man für γ eine dimensionslose Zahl, den Landéschen g-Faktor.

g =µ/µB

l/h/

Da , ist g = 1 für die Bahnbewegung.µ = −µBl/h/

d) Der Einstein-de-Haas Versuch(1915)

Das gyromagnetische Verhältnis läßt sich direkt durch den Einstein-de-Haas Versuch messen.

In ihm wird eine Eisennadel durch ein äußeres Magnetfeld ummagnetisiert. Die Änderung der

Magnetisierung und das Drehmoment, das auf die Nadel übertragen wird, werden gemessen.

Bei Eisen als Probe erhält man .(Johannes Wander de Haas,1878-1960)g ≈ 2

e) Stern-Gerlach Versuch (1921)

Abb. 59: Bestimmung des gyromagnetischen

Verhältnisses

Im Stern-Gerlach Versuch wird gezeigt, daß lz nicht, wie klassisch zu erwarten, kontinuierlich

ist, sondern daß es gequantelt ist (Otto Stern,1888-1969, Walter Gerlach, 1889-1979).

67

Außerdem wurde in diesem Versuch die Existenz des Elektronenspins und die Quantelung sei-

ner z-Komponente nachgewiesen.

Abb. 60: Aufspaltung eines Atomstrahls im inhomogenenMagnetfeld

Ein Atomstrahl wird senkrecht zur Magnetfeldrichtung in ein inhomogenes Magnetfeld ge-

führt. Das Magnetfeld übt auf magnetische Dipole eine Kraft aus, die von der Orientierung des

Dipols im Magnetfeld abhängt. Das Experiment zeigt diskrete Ablenkungswinkel. Im histori-

schen Experiment von Stern und Gerlach zeigten sich bei einem Strahl aus Silberatomen zwei

deutlich getrennte Positionen des Strahls auf dem Beobachtungsschirm. Diese deuten auf 2

diskrete Einstellwinkel des Dipoles bezüglich der Feldrichtung und damit auf eine Drehimpuls-

quantenzahl s mit

2s + 1 = 2

s = 1/2

2. Der Spin des Elektrons

a) Entdeckung des Elektronenspins

Die Ergebnisse des Stern-Gerlach und des Einstein-de-Haas Experimentes lassen sich verste-

hen, wenn man annimmt, das Elektron besitze neben dem Drehimpuls seiner Bahn einen Dreh-

impuls seiner Drehung um den Schwerpunkt und ein damit verbundes magnetisches Moment.

Dieser Eigendrehimpuls, der sogenannte Spin, wurde zum erstenmal von Uhlenbeck und

Goudsmit 1925 postuliert, die damit die Feinstruktur in den Atomspektren erklärten (Georg

Eugen Uhlenbeck, 1900-1988, Samuel Goudsmit, 1902-1978).

Abb. 61: Die Elementarmagnete neigen dazu, sich anti-parallel auszurichten

Um die Deutung des Stern-Gerlach und des Einstein-de-Haas Versuches zu verstehen, muß

man sehen, daß bei Vorliegen eines Rumpfes von inneren Elektronen mit einem Leuchtelek-

tron das magnetische Moment aller Rumpfelektronen und damit ihr Drehimpuls verschwindet,

da die Elementarmagnete das Bestreben haben, die Position mit kleinster Gesamtenergie ein-

zunehmen, d.h. sich antiparallel auszurichten. Der Rumpf ist gerade dadurch ausgezeichnet,

68

daß er eine besonders stabile Elektronenkonfiguration beinhaltet. In die Messung gehen also

nur die Daten des Leuchtelektrons ein. Da sowohl Eisen wie auch Silber als Grundzustand ei-

nen S-Zustand besitzen mit l = 0, wird also unmittelbar der Eigendrehimpuls des Elektrons ge-

messen s = 1/2. Aus dem Einstein-de-Haas Versuch ergibt sich ein Landé-Faktor von .g ≈ 2

Der wesentliche Unterschied zum Bahnmagnetismus besteht in der Größe von g, die dort 1

ist. Klassisch gesehen würde man ein gleiches g erwarten, wenn die Ladung an die Masse ge-

bunden ist, denn g ist unabhängig vom Bahnradius. g gibt also - klassisch ausgedrückt - ein

Maß für den Unterschied von Ladungs- und Massenverteilung. In der relativistischen Theorie

von Dirac ergibt sich g = 2. Quantenelektrodynamische Effekte verursachen eine Abweichung

von 2. Man ist daher heute bemüht, g so genau wie möglich zu messen. Die genauesten Mes-

sungen werden heute an Einzelteilchen in elektromagnetischen Fallen erzielt. Danach ist

g = 2,0023.

b) Das Vektormodell

Die Aufspaltung eines Terms in der Feinstruktur ergibt sich aus dem Vektormodell. Wie im

klassischen Bild addieren sich die verschiedenen Drehimpulse vektoriell j = l + s. j ist der

Abb. 62: Vektorielle Addition der Drehimpulse

Gesamtdrehimpuls. l, s und j sind gewissen Quantenbedingungen unterworfen. Im halbklassi-

schen Bild ist

(Spindrehimpuls)s = 1/2h/ = sh/(Bahndrehimpuls)l = lh/(Gesamtdrehimpuls)j = jh/

Bei Vorliegen einer Vorzugsrichtung (z) ergeben sich für lz die in Abb. 63 - 65 skizzierten

Möglichkeiten. Z.B. kann bei l = 1 lz maximal den Wert lz = 1 annehmen, minimal lz = -1. Da-

zwischen liegt mit Abstand Es gibt also insgesamt∆lz = 1 der Wert lz = 0.

2 l + 1 = 3 Richtungen, in denen sich das l einstellen kann. Bei l = 2 (Abb. 64) erhält man 5

Richtungen. Bei s = 1/2 gibt es nur 2 Richtungen für die Einstellung des Spins: parallel und an-

tiparallel zur Vorzugsrichtung.

69

Quantenmechanisch ergibt sich ein Unterschied im Bild, wobei die Gesamtzahl der Kompo-

nenten eines Terms gleichbleibt. Wie sich aus der Lösung der Schrödingergleichung des ent-

sprechenden Problems ergibt, gilt

Abb. 63: l=1 Abb. 64: l=2 Abb. 65: l=1/2

s = s(s + 1) h/

l = l(l + 1) h/

,j = j(j + 1) h/

wobei zu beachten ist, daß hier s, l, j die klassischen Drehimpulse sind, s, l, j aber nicht, wie

nach der in der Vektorrechnung üblichen Notation die Beträge, sondern die Quantenzahlen.

Die entsprechenden Möglichkeiten für die Ausrichtung des Drehimpulses sind in Abb. 66 - 67

skizziert.

Abb. 66 und Abb. 67:Ausrichtung von l unterBerücksichtigung des ir-rationalen Betrages von l.

3. Einige Eigenschaften von Spinzuständen

a) Filter für Spinzustände

Abb. 68: Eine Stern-Gerlach-Apparatur zur Präparationreiner Spinzustände

Stern-Gerlach Apparaturen kann man als Filter auffassen, die aus einem natürlichen Gemisch

Teilchen mit bestimmter Spinrichtung aussortieren. Dies kann bei Teilchen mit s = 1/2 durch

Ausblenden des einen der beiden Strahlen erfolgen. Vereinfachend soll ein solches Filter wie in

Abb. 69 symbilisiert werden.

70

Abb. 69: Die Apparatur von Abb.68 symbolisch

Schaltet man zwei Filter mit gleicher Durchlaßrichtung hintereinander, so kommen alle Teil-

chen, die das erste Filter passieren, auch durch das zweite. Bei antiparalleler Durchlaßrichtung

werden vom zweiten Filter keine Teilchen durchgelassen, da alle, die das erste Filter passieren,

die falsche Spinrichtung haben. Das erste Filter stellt also einen Strahl von Teilchen her, die al-

le den gleichen Spinzustand "Spin nach oben" haben.

Abb. 70: Teilchen passieren nacheinander zwei Stern-Ger-lach Filter

Bei einem Drehwinkel α des zweiten Filters gegenüber dem ersten kommt ein bestimmter

Bruchteil CN (C < 1) durch das zweite Filter. Stellt man drei Filter (F1, F2, F3) hintereinander

auf, die jeweils um den gleichen Winkel gedreht sind, so läßt das zweite Filter CN Teilchen

durch, das 3. hiervon wieder den Anteil C, d.h. C2N. In Abb. 71 sind die Filter F1 und F3 um

Abb. 71: Drehung der Filter um jeweils den gleichenWinkel

Abb. 72: Werden die Spins durch die Filter gekippt?

90° gegeneinander gedreht. Dann läßt F2 50 % der ankommenden Teilchen durch und F3 von

diesen wiederum 50 %. Dabei ist es gleichgültig, in welcher Richtung das Filter F3 gegen den

Filter F2 gedreht wird. Der Prozentsatz der durchgelassenen Teilchen ist von der

71

Vorgeschichte (Filter F1) unabhängig. Das ganze System zeigt ähnlich wie bei Polarisationsfil-

tern in der Optik eine gewisse Durchlässigkeit, während es ohne F2 bei dieser Stellung von F1

und F3 undurchlässig wäre. Es sieht also auf den ersten Blick so aus, als ob die Teilchen durch

die Filter mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit umorientiert werden. Diese Betrachtungswei-

se ist aber falsch, wie der Versuch in Abb. 72 zeigt. Hier sind wieder drei Filter hintereinander

aufgestellt, wovon das erste und das letzte gleiche Richtung zeigen. Das mittlere ist gedreht,

läßt aber beide Spinrichtungen durch (und führt sie wieder zusammen in Strahlrichtung). In

diesem Fall beobachtet man, daß alle Teilchen, die Filter Nr. 1 passieren, auch Filter Nr. 3 pas-

sieren, was nicht zu erwarten wäre, wenn das mittlere Filter die Teilchen in seine Richtung

kippt. Das von der klassischen Betrachtungsweise seltsame Verhalten wird deutlich, wenn man

Abb. 72 mit Abb. 71 vergleicht. Hier ist im mittleren Filter die Sperre beseitigt, so daß alle

Teilchen durchkommen. Jetzt verhält sich das System so, als ob F2 nicht vorhanden wäre, d.h.

in der Stellungwie in Abb. 72 a wird kein Teilchen durchgelassen. Obgleich ein Hindernis ge-

gen Abb. 71 beseitigt wurde, können weniger Teilchen passieren.

b)Spin Resonanz

i.Larmorfrequenz

Abb. 73: Präzession eines Kreisels im Magnetfeld

Ein in einem Magnetfeld B kreisendes Elektron mit magnetischem Moment µ erfährt ein

Drehmoment . Dadurch erhält man eine Präzessionsbewegung. Nach Abb. 73 istD = µB sin α

dϕ = dll sin α

ωL =dϕdt

= dldt

1l sin α

= D 1l sin α

=µBl

Führt man das gyromagnetische Verhältnis ein, erhält man

ωL = γB = gµB

h/B

72

ωL nennt man die Larmorfrequenz. Sie ist doppelt so groß wie die Gyrationsfrequenz eines

freien Elektrons.

ii.Elektronenspinresonanz

Abb. 74: Anordnung zur Elektronenspinresonanz

Bestrahlt man Atome, die sich in einem statischen Magnetfeld B befinden mit einem Wech-

selfeld, das eine Frequenz von der Größe der Larmorfrequenz besitzt, so werden Übergänge

zwischen den möglichen Spinzuständen erzwungen. Dabei kann Strahlung absorbiert oder

emittiert werden. Den zweiten Fall nennt man erzwungene Emission. Klassisch erhält der

Kreisel bei Resonanz in der richtigen Phase einen Kraftstoß, so daß er umklappt. Experimen-

tell plaziert man eine Probe in ein Magnetfeld und setzt sie gleichzeitig einem HF-Feld aus.

Bei Elektronenspinresonanz liegen die erforderlichen Frequenzen bei Magnetfeldern von 0,1

- 1 T im Mikrowellenbereich, bei Kernspinresonanz wegen der größeren Masse im Nenner

des magnetischen Momentes im Radiofrequenzbereich. Im Prinzip kann man die Frequenz

oder das Magnetfeld variieren und die Belastung des HF-Kreises messen; im allgemeinen ist

es einfacher, die Frequenz zu variieren. Bei der Resonanz wird ein Einbruch des Detektorsi-

gnales beobachtet. Geräte zur Elektronenspinresonanz (ESR) sind heute im physikalischen

und chemischen Labors weit verbreitet. Sie werden wie Spektrographen zur Analyse der

Stoffzusammensetzung eingesetzt. In der Grundlagenforschung dienen sie zur Präzisions-

messung von g und zur Termanalyse. Mit Hilfe der Kernspinresonanz bestimmten Bloch und

Alvarez das magnetische Moment des Neutrons. Kernspintomographie dient der medizini-

schen Diagnose.

Abb. 75: Einbruch des Detektorsignals bei der Elektron- Spinresonanz

4. Spin-Bahn Magnetismus, Feinstruktur

a) Magnetfeld der Atomhülle

73

Die magnetischen Dipolmomente im Atom können mit einem äußeren Magnetfeld wechselwir-

ken oder mit einem Magnetfeld, das im Atom selbst erzeugt wird. Der erste Fall führt zum

Zeeman-Effekt, der im nächsten Abschnitt behandelt wird, der zweite zur Feinstruktur, die das

Thema des folgenden Abschnittes ist.

Wodurch wird das Magnetfeld in der Atomülle erzeugt? Das Elektron sieht aufgrund der

Transformationseigenschaften des elektromagnetischen Feldes infolge seiner Bewegung im

elektrostatischen Feld auch ein Magnetfeld

Bv = − 1c2

(v × B)

Man kann sich die Entstehung dieses Feldes veranschaulichen, indem man sich in das Bezugs-

system des Elektrons setzt. Der positiv geladene Kern umkreist dann das Elektron und erzeugt

an dessen Ort ein magnetisches Feld. Die zusätzliche potentielle Energie des Spindipols in die-

sem Feld und damit die Energieverschiebung eines Terms ist

∆W = µ • Bv

Da B senkrecht auf der Bahnebene steht und proportional v ist, wird B ~ l. Außerdem ist

d.h. .µ = − ems ∆W = as • l

a läßt sich klassisch berechnen. Es ergibt sich

a ∼ Z4

3

b) Feinstruktur im Einelektronensystem

Bei Einelektronensystemen wie den Wasserstoffähnlichen oder Elementen der ersten Haupt-

oder Nebengruppe des Periodischen Systems nimmt der Spin relativ zur Richtung des internen

Magnetfeldes, also relativ zur Richtung von l die zwei möglichen Neigungen an, die man mit

dem Vektormodell vorhersagt. Ausgenommen bleiben S-Terme. Bei ihnen fehlt die durch das

magnetische Moment gegebene Vorzugsrichtung. Der Energieabstand der Dublettkomponen-

ten nimmt mit zunehmender Kernladungszahl zu und mit zunehmender Hauptquantenzahl ab.

Bei Wasserstoff ist die Aufspaltung durch die Spin-Bahnwechselwirkung so klein, daß z.B.

quantenelektrodynamische Effekte von gleicher Größenordnung werden. Bei Natrium ist die

74

Dublettstruktur mit einfachen Mitteln auflösbar (589,0 und 589,6 nm). In Cäsium ist der Ab-

stand der entsprechenden Dublettkomponenten über 40 nm entfernt (894 und 852 nm).

c) Mehrelektronensystem

Kopplungsarten

Abb. 76: Ohne gegenseitige Kopplung gyrieren diemagnetischen Momente einzeln um das Magnetfeld

Bei Mehrelektronensystemen hängt das Aufspaltungsmuster von der relativen Stärke der ver-

schiedenen Kräfte zwischen den einzelnen magnetischen Momenten ab. Diese wird durch die

Kopplung beschrieben. Stellen wir uns vor, die magnetischen Momente zweier Elektronen µ1

und µ2 hätten vernachlässigbare Kopplung. Dann würde die Gyration der einzelnen Elektronen

in einem äußeren Feld unabhängig und mit im allgemeinen unterschiedlicher Frequenz erfol-

gen. Im Grenzfall starker Kopplung bleibt die Orientierung der beiden Momente zueinander

starr und der Gesamtdrehimpuls gyriert um das Magnetfeld. In Atomen findet man für die

Kopplung zwischen den li und si der einzelnen Elektronen alle möglichen Fälle. Eine große An-

zahl von Spektren kann man allerdings mit einem der zwei Grenzfälle beschreiben.

.

Abb. 77: Gyration bei starker Kopplung

Alle Spins si addieren sich zu einem Gesamtspin S, alle Bahndrehimpulse li addieren sich zu ei-

nem Gesamtbahndrehimpuls L, L und S addieren sich zum Gesamtdrehimpuls J. Diese Kopp-

lungsart nennt man die Russel-Saunders oder LS-Kopplung (Henry Norris Russel, 1877-1957,

Frederik Albert Saunders, 1857-1963). Da bei leichten Atomen die Wechselwirkungsenergie

zwischen µl und µs für einzelne Elektronen klein ist, spielt sie besonders bei leichten Atomen

eine Rolle. Bei schweren Atomen (genauer: bei Atomen mit großer Kernladungszahl Z) wird

die Kopplung zwischen l und s jedes Elektrons dominierend. Im Extremfall hat man die soge-

nannte jj-Kopplung.

Bei der jj-Kopplung addiert sich für jedes Elektron si und li zum gesamten Drehimpuls dieses

75

Elektrons ji. Die ji der einzelnen Elektronen addieren sich zum Gesamtdrehimpuls J. Der Ge-

samtbahndrehimpuls und Spindrehimpuls L und S haben keine Bedeutung mehr.

d)Beispiele für LS-Kopplung

Abb. 78: Termschemades HeI

Helium sowie Elemente der zweiten Haupt- bzw. Nebengruppe des Periodensystems Be, Mg,

Ca, Sr, Ba bzw. Zn, Cd, Hg ebenso die einfach ionisierten der 3. Gruppe haben zwei Leuchte-

lektronen. Als Beispiel wird das Spektrum von HeI besprochen.

He hat LS-Kopplung. Die Kombination der Spinmomente ergibt daher und S = 12

− 12

= 0

. Im ersten Fall hat man die Multiplizität 2S + 1 = 1, d.h. ein System von Singu-S = 12

+ 12

= 1

lett-Termen, im zweiten Fall 2S + 1 = 3, also ein System von Triplett-Termen. Da Übergänge,

bei denen gleichzeitig ein Spin umklappt, sehr selten sind, finden Übergänge zwischen Termen

im Singulett und im Triplett-System, d.h. solche mit nicht statt. Die Kopplung zwi-∆S ≠ 0

schen s1 und s2 ist relativ fest. Ursprünglich vermutete man 2 verschiedene Sorten Helium. Die

S-Terme sind auch im Triplett-System nicht gespalten. Das Termschema des HeI ist in Abb. 78

wiedergegeben. Auffällig ist, daß es zwar einen 11S-Term, aber keinen 13S-Term gibt. Dieses

Phänomen und viele ähnliche Phänomene in Atom- und Molekülspektren haben zur Formulie-

rung des sogenannten Pauli-Prinzips geführt (Wolfgang Pauli, 1902-1958). Es besagt, daß es

in einem Atom keine zwei Elektronen geben kann, bei denen alle Quantenzahlen gleich sind.

Im 3S-Zustand hätten beide Elektronen den Spin +1/2, außerdem wären n und l gleich. In an-

geregten 3S-Zuständen ist das n der beiden Elektronen unterschiedlich, im 11S-Zustand sind die

Spins + 1/2 und -1/2, also unterschiedlich, so daß diese Zustände beobachtet werden.

Als Beispiel für jj-Kopplung wird Blei betrachtet. Blei hat im Grundzustand die Elektronen-

konfiguration 6p7s. Die Quantenzahlen dieser Elektronen sind also l1 = 1, l2 = 0, s1 = 1/2,

s2 = 1/2.

mit den Kombinationen J = 2 und J = 1, Bezeichnung J1 = l1 + s1 = 32

32

, 12

Bezeichnung J2 = l2 + s2 = 12

32

, 12

mit den Kombinationen J = 1 und J = 0, BezeichnungJ1 = l1 − s1 = 12

12

, 12

76

J2 = l2 + s2 = 12

12

, 12

Als Beispiel für ein Dreielektronensystem wird das Termschema des NI besprochen. Bei der

Addition des Spins gibt es, da Spins nur kollinear addiert werden und der Gesamtspin positiv

sein muß, zwei Möglichkeiten

Dublettsystem→ → ← S = 12

, 2S + 1 = 2

Quartettsystem→ → → S = 32

, 2S + 1 = 4

Der Grundzustand ist ein 4 S3/2-Zustand, der nicht aufspaltet.

Wegen der kollinearen Addition (alle Spins haben eine Richtung oder die genau entgegenge-

setzte), erhält man bei einer geradzahligen Anzahl von Elektronen ungerade Multiplizitäten

und bei einer ungeradzahligen Anzahl gerade Multiplizitäten. Schreitet man daher im Peri-

odensystem von Element zu Element fort, so erhält man abwechselnd geradzahlige und unge-

radzahlige Muliplizitäten.

5. Atome im äußeren Feld

a) Einleitung

Bei Vorliegen eines äußeren Feldes können Drehimpulse gegenüber diesem diskrete Richtun-

gen einnehmen, die durch geeignete Quantenbedingungen bestimmt sind. Man unterscheidet

den Zeeman-Effekt, der im äußeren Magnetfeld auftritt, und den Stark-Effekt, der im äußeren

elektrischen Feld beobachtet wird (Pieter Zeeman, 1865-1943, Johannes Stark, 1874-1957).

Die Aufspaltungsbilder unterscheiden sich deutlich. Außerdem unterscheiden sie sich für

schwache und starke Felder, wobei das Vergleichsfeld das sein kann, das zu einer Termver-

schiebung führt, die mit der Feinstruktur vergleichbar ist, d.h. bei der die Wechselwirkungse-

nergie mit dem Magnetfeld vergleichbar mit der Energie der Spin-Bahn-Kopplung wird, oder

das Feld, bei dem die magnetische Wechselwirkungsenergie vergleichbar mit der elektrostati-

schen Energie im Atom wird. Bei der Aufspaltung im Magnetfeld spricht man im ersten Fall

vom Paschen-Back-Effekt, im zweiten vom Landau-Bereich .

Abb. 79: Addition der Drehimpulse beim Zeemaneffekt

77

Im Magnetfeld kann im Prinzip L, S oder J Richtungsquantelung zeigen. Bei LS-Kopplung

und schwachem B-Feld, also im Bereich des Zeeman-Effektes nimmt S relativ zu L eine feste

Richtung ein. J gyriert um die Magnetfeldrichtung, wobei L und S gemeinsam um J gyrieren.

Bei dieser komplizierten Bewegung mitteln sich alle Komponenten aller Drehimpule zu Null,

bis auf die z-Komponente von J. Die Quantenbedingung muß also auf Jz angewandt werden

Jz = mh

m nennt man die magnetische Quantenzahl. Sie kann die Werte anneh-m = 0, ±1, ±2, ... ± J

men, d.h. der Term spaltet in 2J + 1 Unterniveaus auf. Da und , ist die∆W = µ • B µz ∼ Jz

Termaufspaltung äquidistant. Der Zeeman-Effekt ist ein wichtiges Werkzeug für die Termana-

lyse. Er wird außerdem zur Ausmessung von Magnetfeldern in Plasmen, z.B. an der Son-

nenoberfläche ausgenutzt. Der Stark-Effekt ist sowohl theoretisch wie experimentell schwerer

zu behandeln. Seine Hauptbedeutung liegt in der Tatsache, daß er für die Verbreiterung von

Spektrallinien in Mikrofeldern entscheidend ist.

b) Der klassische Zeeman-Effekt

Der Zeeman-Effekt wurde 1896 von Pieter Zeeman (1865-1943) experimentell entdeckt und

durch H.A. Lorentz mit einer klassischen Elektronentheorie erklärt. Nach H.A. Lorentz be-

schreibt man die komplizierte Bewegung eines im Atom gebundenen Elektrons, indem man sie

zerlegt in eine Oszillation entlang B und zwei Kreisbewegungen mit entgegengesetztem Um-

laufsinn in der Ebene senkrecht zu B. Für sind die Umlaufsfrequenzen gleich der derB → 0

ungestörten Bewegung, ω0. Stellt man sich vor, B werde langsam auf B0 hochgefahren, so

wird dabei durch Induktion eine der Rotationsbewegungen beschleunigt, die andere gebremst.

Zur Zentripetalkraft kommt die Lorentzkraft hinzu, d.h. je nach Umlaufrichtung:

ω1 ist die neue Umlaufsfrequenz. Für kleine Magnetfelder erhält manmrω12 = mrω0

2 ± erω1 • B

,ω1 = ω0 ± ωL

wobei ωL die Larmorfrequenz ist. (Sir Joseph Larmor, 1857-1942)

Abb. 80: Die π-Komponenten beim Zeeman-Effekt

78

Die Oszillation parallel zu B wird durch B nicht beeinflußt. Sie erzeugt eine unverschobene

Komponente, die wegen der Ausstrahlungscharakteristik des Dipols parallel zu B nicht zu be-

obachten ist, senkrecht zu B linear polarisiert ist, mit E parallel B. Die rotierenden Komponen-

ten erzeugen bei Beobachtung in Richtung B zirkular polarisiertes Licht, senkrecht dazu beob-

achtet man linear polarisiertes Licht mit E senkrecht B und zwei frequenzverschobenen Kom-

ponenten. Der klassische Zeeman-Effekt führt also zu einer Aufspaltung in 3 Linien, eine

Abb. 81: Die σ-Komponenten beim Zeeman-Effekt

unverschobene, sogenannte π-Linie, die bei Beobachtung parallel zu B nicht beobachtet wird,

senkrecht zu B linear polarisiert ist mit E parallel B und zwei σ-Linien, die parallel zu B beob-

achtet zirkular polarisiert sind und senkrecht zu B beobachtet linear polarisiert mit E senkrecht

B sind.

c) Halbklassische Beschreibung

In der halbklassischen Beschreibung strahlt das Atom bei einem Übergang von einem Energie-

zustand (oder Niveau) mit höherer Energie nach einem mit niedrigerer Energie. Das Magnet-

feld führt zu einer Aufspaltung beider Niveaus in 2Ji + 1 Unterniveaus. Beim Übergang gelten

die Auswahlregeln , wobei Übergänge mit zu σ-Komponenten,∆m = ±1 und ∆m = 0 ∆m = ±1

mit Komponenten führen.∆m = 0 zu π−Der normale Zeemaneffekt ergibt sich, wenn die Energiedifferenzen der oberen und unteren

Unterniveaus gleich sind, im wesentlichen bei Singulett-Termen mit S = 0.

Beispiel:

79

n1P1 - n1D2

S = 0, J = L, 2J + 1 = 5 für das obere Niveau, 2J + 1 = 3 für das untere.

Die Energieabstände und damit die Frequenz der Übergänge in jeder Teilfigur sind gleich. Bei

ungleichen Energiedifferenzen zwischen den oberen und unteren Unterniveaus ergeben sich

mehr Komponenten als im klassischen Zeemaneffekt. Als Beispiel wird das Dublett der NaD-

Linien diskutiert. Die Linien entsprechen einem Übergang 32 S - 32P. Die Feinstruktur führt für

zu Termen mit l ≠ 0 j = l ± S.

der untere Term 32 S1/2 spaltet nicht auf,

der obere Term spaltet in die Terme 32 P3/2 und 32 P1/2 auf

Der Übergang 32 S1/2 - 32 P3/2 führt zu λ1 = 589,0 nm

32 S1/2 - 32 P1/2 führt zu λ2 = 589,6 nm.

Die Zeemanaufspaltung führt bei

3S1/2 zu 2 Termen mit m = ±1/2

32P3/2 zu 4 Termen mit m = ±1/2, ±3/2

32P1/2 zu 2 Termen mit m = ±1/2

Abb. 83: Zeemann - Aufspaltung der NaD-Linien

Die erlaubten Übergänge und die resultierenden Zeeman-Muster sind in Abb. 83 skizziert.

d) Energiedifferenzen

Um zu entscheiden, ob ein bestimmter Übergang normalen oder anomalen Zeemaneffekt zeigt,

ist es notwendig, die Größe der Energiedifferenz bei der Aufspaltung zu ermitteln. Diese ist

gegeben durch

∆W = µ • B

Die Schwierigkeit bei der Berechnung von besteht darin, daß J bestimmte Ausrichtungs-µ • B

möglichkeiten zum Magnetfeld hat, µ aber infolge der gyromagnetischen Anomalie nicht

80

Abb. 84: Das Vektorgerüst beim Zeeman - Effekt

parallel zu J zu sein braucht, so daß µ um J präzediert und nur die Projektion auf die Richtung

von J zur Energie beiträgt.

(1)∆W = µ j • B

Im folgenden geht es darum, µj durch J und die Quantenzahlen des Zustandes auszudrücken.

Nach Abb. 84 ist

J = L + S

µL = γLL

µS = 2 γLS mit γL = e/2m

Es folgt µges = γL(L + 2 S)

Die relevante Komponente ist µj

µ j = µges • JJ

= γL(L + 2S) • JJ

Der Vektor diese Betrages in Richtung J ist dann

µ j = µjJJ

= γL(L + 2S) • JJ

JJ

Da , ist .g =µ/µB

l/h/und µB = γLh/ µ = γLgl

Analog definiert man jetzt für das ganze Elektronensystem

(2)µ j = γLgJ

und nennt g wie vorher den Landé g-Faktor. Dieser ist hier also

g = (L + 2S) • J

J 2= (L + 2S) • (L + S)

J 2= L2 + 2S2 + 3L • S

J 2

81

L · S wird nach dem Kosinussatz ersetzt:

(L + S)2 = L2 + S2 + 2L • S; L • S = 12

(J2 − L2 − S2)

g =L2 + 2S2 + 3

2J2 − 32L2 − 3

2S2

J 2=

32J2 + 1

2S2 − 12L2

J2= 1 + J2 + S2 − L2

2J2

Wir ersetzen jetzt die Drehimpulsvektoren durch ihre Quantenzahlen nach der üblichen Regel

,...J 2 = J(J + 1)h/ 2

(3)g = 1 + J(J + 1) + S(S + 1) − L(L + 1)2(J + 1)

Die Energiewerte ergeben sich dann aus Gl. (1) indem man für µj die Komponente in Richtung

B einsetzt. Nach Gl. (2) ist

µjz = γLg jz und mit jz = mjh und γLh = µB

∆W = gmjµBB

Die Termenergie in Einheiten von µBB ist gegeben durch gmj. Da mj ganzzahlige Differenzen

hat, besitzen die Zeeman-Niveaus konstante gegenseitige Energieabstände, die proportional B

sind.

Beispiel: NaD

32P3/2 : j = 3/2, s = 1/2, l = 1

g = 1 +32 ⋅ 5

2 + 12 ⋅ 3

2 − 1 ⋅ 2152

= 1 + 15 + 3 − 84 ⋅ 15

2

= 43

m = ±12

, ±32

mg = ±23

, ±63

32P1/2 : j = 1/2, s = 1/2, l = 1

g = 1 +12 ⋅ 3

2 + 34 − 2

3= 1 + 3 + 3 − 8

6= 2

3m = ±1

2mg = ±1

3

82

3S1/2 : j = 1/2, s = 1/2, l = 0

g = 1 +34 + 3

43 ⋅ 2

= 2 m = ±12

mg = ±1

Für die Terme mit unterschiedlichem j treten hier also unterschiedliche Energiedifferenzen auf.

Daher zeigt das Aufspaltungsbild den anomalen Zeeman-Effekt. In Singulett-Systemen spielt

die gyromagnetische Anomalie keine Rolle, da hier S = 0 und J = L ist. Nach Gl. (3) wird dann

g = 1 und die Aufspaltung von oberem und unterem Term gleich groß. Daher treten in Singu-

lett-Systemen normale Zeeman-Tripletts auf.

e) Der Paschen-Back-Effekt

(Friedrich Paschen, 1865 - 1947 und Ernst Back, 1881 - 1959)

Im Zeeman-Effekt wachsen die Termabstände mit dem Magnetfeld. Wenn die Termabstände

und die Feinstrukturaufspaltung vergleichbare Größe haben, wird die Wechselwirkungsenergie

zwischen µj und dem äußeren Feld vergleichbar mit der LS-Kopplung. Die LS-Kopplung bricht

also zusammen, und L und S gyrieren einzeln um B. Diese Grenze für starkes Feld |B0| ist bei

leichten Atomen schneller erreicht als bei schweren, da bei leichten die Spin-Bahn-Kopplung

schwächer ist.

Für B >> B0 vereinfacht sich das Aufspaltungsbild. Man spricht vom Paschen-Back-Effekt.

Die Termaufspaltung wird und führt zu normalen Zeeman-Tripletts.∆W = (ml + 2ms)µBB

83

KAPITEL F

Aufbau des Rumpfes

1. Schalen

a) Quantenzahlen

An den bisher betrachteten Übergängen ist grundsätzlich nur ein Elektron beteiligt. Auch bei

Mehrelektronensystemen wird nur dieses eine Leuchtelektron angeregt, oder es gibt Strahlung

ab, wenn es einen tieferen Energiezustand einnimmt. Allerdings wechselwirkt das Leuchtelek-

tron bei Mehrelektronensystemen mit mehreren Elektronen, die sich außerhalb des Rumpfes

befinden. Diese Elektronen heißen die Valenzelektronen, da sie für die chemische Bindung

verantwortlich sind. Die Wechselwirkung mit den übrigen Elektronen ist so schwach, daß sie

für viele Betrachtungen vernachlässigt werden kann. Im folgenden geht es um diese übrigen

Elektronen, d.h. den Aufbau des Rumpfes.

Auch die inneren Elektronen befinden sich in diskreten Energiezuständen, deren Gesamtener-

gie aber gegenüber den Werten, die eine Balmerformel ergeben würde, durch Störung benach-

barter Elektronen verschoben ist. Trotzdem kann man den Energiezuständen ebenfalls 4 Quan-

tenzahlen zuordnen.

Für die Zuordnung kann man unterschiedliche Sätze von unabhängigen Quantenzahlen wählen,

z.B. n, l, j und mj. s ist dann durch l und j bestimmt und daher nicht mehr unabhängig. Häufi-

ger nimmt man für die Kennzeichnung der Rumpfelektronen die Quantenzahlen n, l, ml und ms.

Die Ordnung in der Elektronenhülle wird im wesentlichen durch das Pauliprinzip reguliert, das

besagt, daß jeder Energiezustand, d.h. ein Zustand in der Hülle, der durch einen bestimmten

Satz von Quantenzahlen beschrieben wird, nur von einem Elektron besetzt werden kann. Das

Pauliprinzip diente zunächst dazu, das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein bestimmter

optischer Terme in einer einfachen Regel zusammenzufassen. Es erwies sich dann als sehr viel

allgemeiner, und zwar ist es für beliebige Systeme aus Fermionen gültig. Man kann es in der

Quantenmechanik aus den Symmetrieeigenschaften der Wellenfunktion von Teilchen mit unge-

radem Spin ableiten.

In der Atomhülle sind also nur diskrete "Plätze" für jedes Elektron vorhanden. Alle möglichen

Plätze bei einer bestimmten Hauptquantenzahl n0 faßt man zu einer Schale zusammen. Die un-

teren Schalen bezeichnet man mit

n = 1: K-Schale

n = 2: L-Schale

84

Harald Schüler

n = 3: M-Schale, usw.

Der Rumpf besteht aus vollen Schalen. Edelgase haben keine Valenzelektronen außerhalb ei-

ner vollen Schale. Die Anzahl der Plätze auf einer Schale läßt sich mit den bisherigen Regeln

für die Quantenzahlen n, l, ml, ms abzählen. Für n = n0 gibt es n0-Möglichkeiten von l: l = 0,

1...n0 - 1. Jedes l ermöglicht 2l + 1 Werte von ml: , und für jeden Satz die-ml = 0, ±1, ±2, ..., ±l

ser drei Quantenzahlen gibt es 2 Möglichkeiten von ms: . Diese Verhältnisse sind fürms = ±12

die ersten 3 Schalen in Tabelle III dargestellt:

Tabelle III: Die Quantenzahlen der Elektronen in den inner-sten Schalen. N: Anzahl der Plätze auf einer Schale

In der letzten Spalte sind die Elemente angegeben, die dadurch entstehen, daß man einem

Atom aus einem Proton und einem Elektron nacheinander im Kern ein Proton und in der Hülle

ein Elektron hinzufügt (hinzukommt eine geeignete Zahl von Neutronen). Das Element mit 2

Protonen und 2 Elektronen ist das Helium. Es besitzt im nicht angeregten Zustand eine volle

K-Schale mit einer Elektronenkonfiguration (1s)2. Die hochgestellte 2 symbolisiert hier, daß

die n = 1 Schale 2 Elektronen enthält. Beryllium hat die Elektronenkonfiguration

(1s)2(2s)2(2p)6 3s

Wir haben uns bisher zur Bezeichnung des Terms mit den letzten beiden Lettern begnügt.

b) Das Periodensystem

Das Periodensystem ist eine Anordnung aller Elemente nach ihrer Kernladungszahl. Dabei

wiederholen sich charakteristische chemische Eigenschaften wie die Wertigkeit oder die

Affinität in einer quasiperiodischen Weise. Denkt man sich die Elemente -wie im vorigen Ab-

schnitt erläutert - synthetisiert, indem man vom Wasserstoff ausgehend dem Kern sukzessive

Protonen, der Hülle Elektronen zufügt, so füllen sich die nach dem Pauliprinzip freien Plätze

85

nacheinander von kleineren Energien her. Dabei entstehen bei bestimmten Kernladungszahlen

besonders stabile Elektronenkonfigurationen. Bei Helium und Neon ist dies der Fall, wenn

Schalen gefüllt sind. Bei Edelgasen mit höherem Z ist eine Unterschale gefüllt. Die besondere

Stabilität rührt anschaulich daher, daß sich in der Hülle sämtliche Drehmomente und

Abb. 86: Bevorzugte Elektronenzahlen

magnetischen Momente kompensieren. Elemente mit vollen Schalen sind chemisch inaktiv und

haben eine besonders große Ionisierungsenergie. Die einem Edelgas benachbarten Elemente

haben einzelne Elektronen mehr bzw. weniger als zu einer Edelgaskonfiguration erforderlich

ist. Die Anzahl dieser Elektronen bestimmt ihre Wertigkeit. Normalerweise haben Schalen mit

kleinerer Bahndrehimpulsquantenzahl und kleinerer Hauptquantenzahl auch die kleinere Ener-

gie. Dies ist aber nicht immer der Fall. Z.B. füllt sich von Kalium an die n = 4, l = 0-Schale vor

der n = 3, l = 2-Schale. Es entsteht eine Gruppe von Elementen mit gleicher Elektronenkonfi-

guration in einer äußeren Schale. Solche Übergangselemente zeichnen sich durch ähnliche Ei-

genschaften wie Paramagnetismus oder Farbe aus.

Abb. 87: Der Grundzustand der ersten Elemente imPeriodensystem

c) Der Grundzustand

Der Grundzustand des Energieniveausystems der einzelnen Elemente hängt davon ab, wie bei

der Auffüllung der Schalen die Drehimpulse l und s gegeneinander ausgerichtet sind. In Abb.

87 sind die Verhältnisse für die ersten 9 Elemente dargestellt. Man erkennt, daß bis zum Ele-

ment Bor die Spinorientierung beim Auffüllen der Schalen wie erwartet erfolgt. Beim Kohlen-

stoff ist, wie der optische Befund zeigt, der Grundzustand ein Triplett-Zustand, d.h. die Spins

86

der beiden äußeren Elektronen sind nicht antiparallel, sondern parallel ausgerichtet. Ebenso

führt die parallele Ausrichtung der drei Valenzelektronen im Stickstoffatom zu einem Grund-

zustand im Quartett-System. Die Auffüllung der einzelnen Schalen regulieren neben dem Pau-

liprinzip die Hundschen Regeln.

2. Röntgenspektren

Übergänge von inneren Elektronen führen wegen der höheren Kernladungszahl, die ihre Dyna-

mik bestimmt, zu kürzeren Wellenlängen, im allgemeinen im Röntgenbereich. Da im nicht an-

geregten Zustand des Atoms keine benachbarten Plätze für die Anregung eines Elektrons zur

Verfügung stehen, muß durch Elektronenstoß oder Absorption genügend harter Strahlung ein

Elektron einer inneren Schale aus der Hülle herausgelöst werden, um einen Platz frei zu

machen.

a) Erzeugung von Röntgenstrahlen

Abb. 88: Aufbau einer Röntgenröhre

Die klassische Anordnung zur Erzeugung von Röntgenstrahlen ist die Röntgenröhre (Abb.

88). Elektronen, die durch einen Glühfaden freigesetzt werden, erfahren durch die Anoden-

spannung von einigen zig kV eine Beschleunigung. Sie regen die Atome in der Anode an, die

dann ihre Energie als Röntgenstrahlung abgeben. Das Spektrum besteht aus einem kontinuier-

lichen Anteil und einem dem Kontinuum überlagerten Linienspektrum (Abb. 89). Es erstreckt

sich bis zu einer maximalen Frequenz, die durch die Energiebeziehung gegebenhνmax = e0U

ist. In der Nähe der Abschneidefrequenz beobachtet man einen lineareren Verlauf

, der eine Möglichkeit zur Bestimmung von h bietet.I = constZ(νmax −ν)

Abb. 89: Kontinuierliche und charakteristische Strahlungim Röntgenspektrum

87

b) Serien der charakteristischen Strahlung

Wird ein Elektron aus der K-Schale gelöst, können unter Beachtung der üblichen Auswahlre-

geln Elektronen aus allen höher gelegenen Schalen auf den freien Platz fallen. Alle Übergänge,

die auf der K-Schale enden, bilden die K-Serie, die auf der L-Schale enden, die L-Serie usw.

Die Serien werden durch eine verallgemeinerte Balmerformel beschrieben, wobei meistens nur

die ersten Mitglieder beobachtet werden. Das erste Serienmitglied heißt Kα, Lα, Mα usw. Für

Kα und Lα erhält man in Abhängigkeit von Z

Abb. 90: Übergänge zwischen inneren Schalen

Kα: 1λ = R(Z − 1)2

12

− 12

Lα: 1λ

= R(Z − 7, 4)2

122

− 132

Abb. 91: Das Mosleysche Gesetz

Z wird also durch Z - b ersetzt, wobei b eine Konstante ist, die angibt, wieviel von der Kernla-

dung durch die anderen Elektronen im Rumpf abgeschirmt wird. Die Abhängigkeit von der

Kernladungszahl ist als Mosleysches Gesetz bekannt. Sie erlaubt die Einordnung eines Ele-

mentes in das periodische System durch Analyse der charakteristischen Röntgenstrahlung. Bei

genauerem Hinsehen zeigen die Röntgenniveaus eine Aufspaltung. Die Multiplizität läßt sich

über die aus den optischen Spektren bekannten Quantenzahlen abzählen (Abb. 92)

Abb. 92: Klassifizierung der Röntgenniveaus

88

c) Bremsstrahlung

Im klassischen Bild entstehen die Bremsstrahlen durch Elektronen, die elastisch mit dem Kern

wechselwirken. Elektronen, die genügend Energie besitzen, laufen auf einer Hyperbelbahn, die

keinen Quantenbedingungen unterworfen ist.

Im halbklassischen Bild schließen sich an die diskreten Niveaus jenseits n = ∞ kontinuierlich

verteilte Energien an. Übergänge, an denen das Kontinuum beteiligt ist, wie frei-frei oder frei-

gebunden Übergänge führen zu einem kontinuierlichen Spektrum. Bremsstrahlung wird im

Abb. 93: Übergänge die zu Bremsstrahlungführen

wesentlichen durch frei-frei Übergänge hervorgerufen, während das Seriengrenzkontinuum in

optischen Spektren durch frei-gebunden Übergänge erzeugt wird.

d) Absorption von Röntgenstrahlung

Abb. 94: Absorption in einer dünnen Schicht der Dicke ∆x

Bei der medizinischen Diagnose wird die in unterschiedlichen Stoffen ungleiche Absorption

der Röntgenstrahlung ausgenutzt. Die Absorption wird durch den Absorptionskoeffizienten µ

ausgedrückt, der definiert ist über (siehe Abb. 94). Dieser läßt sich - wie im Kapi-dI = −µIdx

tel B/3 ausgeführt - auf den atomaren Wirkungsquerschnitt zurückführen . Die Absorb-µ= σn

tion ist besonders effektiv für Strahlung, die genau die Energie hat, die notwendig ist, ein

Elektron von einer bestimmten Schale bis zur Ionisierungsgrenze zu bringen.

89

Abb. 95: Entstehung der Absorptionskanten

Für kleinere Frequenzen findet keine Absorption statt, für größere Frequenzen nimmt

ab. Das beobachtete Spektrum setzt sich aus den Beiträgen vonµ ∼ Zn //ν3 mit 3 ≤ n / ≤ 4

Elektronen in den einzelnen Niveaus K, L, M, ... zusammen (Abb. 96).

Abb. 96: Die Überlagerung der verschiedenenAbsorptionskanten

90

KAPITEL G

Schrödingergleichung

1. Heuristische Begründung

Bei der Erklärung der Vorgänge im Mikroskopischen sind wir bisher vom klassischen Bild

ausgegangen. Wir hatten gesehen, daß man gezwungen wird, theoriefremde Elemente z.B. in

Form der Bohrschen Postulate einzuführen. Die Theorie erhält dadurch eine gewisse Inkonsi-

stenz. Eine konsistente Beschreibung liefert die Quantenmechanik. Wir wollen daher im fol-

genden einige Grundanschauungen der nichtrelativistischen Quantenmechanik darlegen. Eine

Möglichkeit des Aufbaus der Quantenmechanik besteht darin, daß man eine Differentialglei-

chung für die Materiewellen angibt, und deren Lösungen bei vorgegebenen Randbedingungen

diskutiert. Dies ist der von Schrödinger eingeschlagene Weg. Die Wellengleichung heißt die

Schrödingergleichung. Ein anderer Weg, der von Heisenberg beschritten wurde, geht von ei-

ner Matrizenmechanik aus. Es konnte schon in den Anfängen der Entwicklung der Quanten-

mechanik gezeigt werden, daß beide Wege äquivalent sind. Wir gehen von der Schrödinger-

gleichung aus. Diese kann nicht aus physikalischen Grundgesetzen der klassischen Physik her-

geleitet werden. In einem logisch aufgebauten Begriffsgebäude hätte sie den Rang eines Axi-

oms. Im folgenden wird daher kein "Beweis" der Schrödingergleichung geführt, sondern nur

gezeigt, wie man auf sie kommen kann.

Wenn man in einer ebenen Welle für eine Größe ψ: k und ω durch die de Bro-ψ = ψ0ei(k⋅r−ωt)

glie-Beziehung ersetzt , so erhält man die Beschreibung einer ebenen Materie-E = h/ω, p = h/k

welle

.ψ = ψ0e(i/h/ )(p⋅r−Et)

Man erkennt, daß

(1)∂ψ∂t

= − ih/

Eψ; d.h. ih/ ∂∂t

ψ = Eψ

und∂ψ∂x

= ih/

pxψ; d.h. −ih/ ∇ψ = pψ

Es gibt also eine gewisse Entsprechung

, (2)E → ih/ ∂∂t

p → −ih/ ∇

91

Harald Schüler

Man sagt, den meßbaren Größen E und p sind die Operatoren zuge-E = ih/ ∂∂t

und p = −ih/ ∇

ordnet. Operatoren sind Vorschriften, die auf die Wellenfunktion ψ angewandt werden, wie

Differentiation oder Multiplikation mit einer Konstanten. Wird ein Operator auf eine Funk-∧O

tion u angewandt und ist dabei die Gleichung

(3)Ou = a ⋅ u

erfüllt, wobei a eine Konstante ist, so nennt man a den Eigenwert zum Operator , u die Ei-∧O

genfunktion. Die Gleichungen (1) sind also Eigenwertgleichungen des Energie- und des Impul-

soperators. Zur Schrödingergleichung gelangt man, indem man im klassischen Energiesatz E

und p durch ihre Operatoren ersetzt.

Eges = Ekin + Epot

Man schreibt E = T + V = p2

2m+ V

ih/ ∂∂t

ψ = −h/ 2

2m∇ 2ψ +Vψ

oder abgekürzt mit dem Hamiltonoperator, d.h. dem Operator der Gesamtenergie

H = − h/ 2

2m∇ 2 + V(r, t)

(4)Hψ = ih/ ∂∂t

ψ

Dies ist die zeitabhängige Schrödingergleichung.

Wenn das Potential V nicht explizit von der Zeit abhängt, kann man die Schrödingergleichung

in einen von r und einen von t abhängigen Teil separieren. Man geht mit dem Ansatz

in die Schrödingergleichungψ = R(r) ⋅ T(t)

ih/ ∂∂t

[R(r)T(t)] = H[R(r)T(t)]

R(r)ih/ ∂∂t

T(t) = T(t)HR(r)1

T(t)ih/ ∂

∂tT(t) = 1

R(r)HR(r)

92

Diese Gleichung ist nur für alle r und t erfüllbar, wenn jede Seite konstant ist.

HR = ER

E ist der Eigenwert des Operators der Gesamtenergie. E ist also die Gesamtenergie. Schreiben

wir für den ortsabhängigen Teil der Wellenfunktion wieder ψ, so lautet die zeitunabhängige

Schrödingergleichung

Hψ = Eψ

2. Beispiele

Wir erläutern die Anwendung der Schrödingergleichung anhand einiger Beispiele der Bewe-

gung eines Teilchens in einfachen eindimensionalen Potentialen.

a) Teilchen in einem Potentialtopf

Abb. 97: Der Potentialtopf mit unendlich hohen Wänden

Ein Teilchen befinde sich in einem Potential, das für 0 < x < a V = 0 ist und bei 0 und a

sprunghaft bis unendlich ansteigt. Die Schrödingergleichung wird für den Bereich 0 < x < a

gelöst. Außerhalb kann sich wegen der unendlich hohen Potentialwälle kein Teilchen aufhal-

ten. Hier ist also ψ = 0. Die Wellenfunktion muß im ganzen Bereich stetig und auf 1 normiert

sein. Mit dieser Bedingung können die freien Konstanten bestimmt werden.

Die Schrödingergleichung für V = 0 lautet

− h/ 2

2m∂2

∂x2ψ = Eψ

Man löst sie mit dem Ansatz ψ = C eikx. Durch Einsetzen in die Ausgangsgleichung erhält man

h/ 2

2mk2 = E

(5)k = 1h/

2mE

93

Die allgemeine Lösung hat dann die Form

ψ = C1eikx + C2e−ikx

Da eine rechtslaufende Welle durch , eine linkslaufende durch gegeben ist,ei(kx−ωt) ei(−kx−ωt)

stellt die Lösung die Ortsabhängigkeit einer Überlagerung einer rechts- und einer linkslaufen-

den Welle dar. Aus der Randbedingung ψ(0) = 0 erhält man . Damit hat die Lö-C1 + C2 = 0

sung die Form

ψ = C1(eikx − e−ikx) = 2C1i sin kx

Abb. 98: Die Wellenfunktionen der tiefsten Zustände desTeilchens im Potentialtopf

Nach Umbenennung der freien Konstanten C1. : .ψ = C3sinkx

Der andere Rand führt wegen ψ(a) = 0 zu ka = nπ (6)

Die letzte freie Konstante C3 wird durch die Normierung bestimmt. Da das Teilchen sich ir-

gendwo aufhalten muß, ist und damit . Mit für In-∫ ψ2 dx = 1 C32

a

∫ sin2kxdx = 1a

∫ sin2kxdx = a2

tegration über Vielfache von halben Perioden wird . Die Lösung ist also eine stehen-C3 = 2a

de Welle

,ψ(x) = 2a sin

nπa x

wobei nur diskrete Wellenlängen und wegen (5) diskrete Energien vorkommen. Aus (5) und

(6) ergibt sich

nπa = 1

h/2mEn

En = h/ 2

2m

nπa

2

94

n hat also die Funktion einer Quantenzahl.

b) Teilchen an einer Potentialstufe

Abb. 99: Potentialstufe

Das Potential soll die in Abb. 99 skizzierte Form haben, d.h.

V = 0 für x < 0

V = U für x ≥ 0

Ein Teilchen oder ein Teilchenstrahl soll von links auf die Potentialschwelle zulaufen. Die

Schrödingergleichung für das Teilchen hat dann in den Bereichen I und II eine unterschiedliche

Form

I: Eψ = −h/ 2

2md2

dx2ψ; d2

dx2ψ = −2m

h2Eψ

II: Eψ = −h/ 2

2md2

dx2ψ +Uψ; d2

dx2ψ = −2m

h/ 2(E − U)ψ

Die Wellengleichung hat also die Gestalt

d2

2ψ = −k2ψ

mit den Lösungen . Im Wellenbild erwartet man einen einlaufenden, einen reflektier-ψ = Ce±ikx

ten und einen transmittierten Anteil, wobei k von der Höhe des Potentials in dem betrachteten

Bereich abhängt. Im Bereich I überlagern sich eine

- einfallende Welle und eineψ0 = C0eik1x

- reflektierte Welle ψr = Cre−ik1x

Im Bereich II gibt es nur die transmittierte Welle mitψt = Cteik2x

k1 = 2mE /h/ ; k2 = 2m(E − U) /h/

Um die Konstanten bestimmen zu können, müssen einige Forderungen an die Wellenfunktion

ψ gestellt werden, im wesentlichen, daß ψ im ganzen Raum, d.h. auch in der Umgebung der

Schwelle stetig und endlich ist. Aus der Stetigkeit folgt:

95

,ψ(0+) = ψ(0−)

aus der Stetigkeit und Endlichkeit außerdem

dψdx

0+=

dψdx

0−

Um dies zu zeigen, gehen wir von der Wellengleichung aus:

d2

2ψ = −k2ψ

Abb. 100: Auch die Ableitung der Wellenfunktion muß ander Sprungstelle des Potentials stetig sein

k macht in der Umgebung der Schwelle einen Sprung. Integriert man diese Gleichung in einem

kleinen Intervall in der Nähe dieses Sprunges, so erhält man

dψdx

δ

dψdx

−δ

=+δ

−δ∫ kψdx

Für endliche ψ kann man rechts den Mittelwertsatz der Integralrechung anwenden, d.h. < ψ >

vor das Integral ziehen. Das Integral geht dann beim Grenzübergang gegen Null, womitδ → 0

die Stetigkeit von dψ/dx bewiesen ist.

Für das betrachtete Beispiel ergeben die Randbedingungen die Stetigkeit von ψ bei x = 0:

C0eik10 + Cre−ik10 = Cteik20

(1)C0 + Cr = Ct

Die Stetigkeit der Ableitung ergibt und damitik1C0eik10 − ik1Cre−ik10 = ik2Cteik20

(2)k1C0 − k1Cr = k2Ct

96

Leider gibt es hier nicht die Möglichkeit wie im vorigen Beispiel, eine Bedingung für die Kon-

stanten aus der Normierung der Wellenfunktion zu gewinnen. Für eine ebene Welle gibt das

Integral über ein unendliches Intervall immer unendlich, wie an der Wellenfunktion der trans-

mittierten Welle zu erkennen ist.

∫ ψ 2dx = Σψt∗ ⋅ ψtdx =

∫ Ct∗ Ctdx

Man normiert in diesem Fall auf den Teilchenfluß der einfallenden Teilchen, d.h. man bestimmt

Reflexions- und Transmissionskoeffizient. Dieses Vorgehen ist charakteristisch für Streu-

anordnungen. Die Teilchendichte im transmittierten Strahl ist , der Teilchenfluß n ∼ Ct ⋅ Ct∗

. (1) und (2) schreibt man auf die Verhältnisse der Koeffizienten C um:N = nv ∼ np

1 + Cr

C0= Ct

C0

k1 − k1Cr

C0= k2

Ct

C0

und löst nach den unbekannten Koeffizientenverhältnissen auf, indem man die erste Gleichung

mit k1 und -k2 multipliziert und die beiden Gleichungen addiert.

2k1 = Ct

C0(k1 + k2); Ct

C0= 2k1

k1 + k2

(k1 − k2) − (k1 + k2)Cr

C0= 0;

Cr

C0= k1 − k2

k1 + k2

Die Transmission und Reflexion erhält man, indem man diese Gleichungen für Teilchenströme

hinschreibt, wobei die de Broglie Beziehung die Impulse auf die entsprechenden Wellenzahlen

zurückführt. Für reelles k erhält man

t = nt ⋅ vtn0 ⋅ v0

= nt ⋅ pt

n0 ⋅ p0=

Ct

C0

2 k2

k1= 4k1k2

k1 + k22

r = nr ⋅ vrn0 ⋅ v0

= Cr

C0

2

= k1 − k2

k1 + k2

2

Wie man es für Reflexions- bzw. Transmissionskoeffizienten erwartet, ergibt

r + t =k1

2 − 2k1k2 + k2 + 4k1k2

k1 + k22

= 1

97

Im folgenden konzentrieren wir uns daher auf r:

r = 1 − k2/k1

1 + k2/k1

2

= 1 − 1 − U/E

1 + 1 − U/E

2

Man muß also die Fälle U/E < 1 und U/E > 1 unterscheiden. Im Falle U/E < 1 ist der Radikand

positiv, daher

r =

1 − 1 − U/E

1 + 1 − U/E

2

Abb. 101: Reflexion und Transmission in Abhängigkeitvon U/E

Die Transmission nimmt also auf 0 ab, die Reflexion auf 1 zu, wenn die Höhe der Stufe bis auf

die Teilchenenergie zunimmt. Für U/E > 1 wird der Radikand negativ, man zieht ein i heraus

r = 1 − i U/E − 1

1 + i U/E − 1

2

In diesem Fall muß der Betrag der komplexen Zahl gebildet werden, indem Zähler und Nenner

mit der konjugiert komplexen Zahl multipliziert werden.

r = 1 − i Rd

1 + i Rd

1 + i Rd

1 − i Rd

= 1

r und t verhalten sich also wie klassisch erwartet. Andererseits ist entgegen dem klassischen

Bild ψt nicht im gesamten Bereich II gleich Null, so daß es eine gewisse Aufenthaltswahr-

scheinlichkeit der Teilchen hinter der Potentialbarriere gibt, obgleich der Energiesatz dies

verbietet.

ψt = Cteik2x

98

k2 = 2m(E − U) /h/ = i 2m(U − E) /h/

ψt = Cte−x 2m(U−E) /h/

Ein ähnliches Verhalten gibt es bei der Totalreflexion von elektromagnetischen Wellen. Die

Energie wird reflektiert, aber die Amplitude ist in einem begrenztem Bereich hinter der totalre-

flektierenden Fläche von Null verschieden. Sie ist nicht mehr oszillatorisch im Raum, sondern

nimmt mit einer e-Funktion ab.

c) Tunneleffekt

Abb. 102: Die Wellenfunktion hinter der Schwelle, wenndie Energie nicht ausreicht, die Schwelle zu überwinden.

Wie in der Optik kann eine Abstrahlung hinter der Barriere erreicht werden, wenn U/E > 1.

Die Amplitude nimmt innerhalb der Barriere gemäß einer e-Funktion ab. Hinter der Barriere

ist k wieder reell und die Welle ist oszillatorisch. Die Teilchen können mit einer Wahrschein-

lichkeit, die dem Amplitudenverhältnis der Amplituden hinter und vor der Barriere entspricht,

durch die Barriere dringen. Im Zwischenbereich gibt es eine gewisse Aufenthaltswahrschein-

lichkeit von Teilchen, die nach dem klassischen Energiesatz nicht möglich wäre. In der Quan-

tenmechanik sorgt die Heisenbergsche Unschärferelation dafür, daß der Energiesatz kurzzeitig

verletzt werden darf.

Abb. 103: Durch eine Potentialschwelle endlicher Breitekönnen Teilchen hindurchtunneln

Es gibt eine ganze Reihe von Anwendungen für den Tunneleffekt. Z.B. werden die Elektronen

in einem Metall durch ein Potential im Festkörper gehalten, das man durch Abb. 104/a skizzie-

ren könnte. Durch Anlegen einer elektrischen Feldstärke wird das Potential U = U0 - Ex (Abb.

104/b). Die Potentialbarriere kann von Teilchen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit über-

wunden werden. Dies ist der Mechanismus der Feldemission. Bei der Fusion geht es darum,

99

Abb. 104: Der Tunneleffekt ermöglicht die Feldemission

zwei Wasserstoffisotope zu Helium zu verbinden und ihre Bindungsenergie dabei freizusetzen.

Eine wichtige Fusionsreaktion ist

12D+1

3 T →24 He + n

Abb. 105: Die Mindestenergie für Fusionsreaktionen

Für Wasserstoffisotope hat das Potential etwa die in Abb. 105 skizzierte Form. Im Außenbe-

zirk wirkt das Coulombpotential der beiden positiv geladenen Kerne abstoßend, bei Entfernun-

gen < r0 überwiegen die anziehenden Kernkräfte. Die Höhe des Potentialberges läßt sich ab-

schätzen, indem man das Coulombpotential im Abstand des Kernradius r0 = 10-15m ausrechnet.

Es ergibt sich etwa 400 keV. D.h. in einem thermischen Plasma müßten Teilchen eine Tempe-

ratur haben, die dieser mittleren kinetischen Energie entspricht. Da , würden1eV = 10000K

Temperaturen größer 4 · 109K für die Fusion erforderlich sein. Durch den Tunneleffekt wird

diese Bedingung erleichtert, so daß man in einem thermischen Plasma schon bei 2 · 108K eine

ausreichende Häufigkeit von Fusionsstößen erwarten kann, um bei genügender Dichte die

Bremsstrahlungsverluste zu überwinden.

d) Der harmonische Oszillator

Hat das Potential eines Teilchens die Form , die einem linearen Kraftgesetz ent-V = 12

Dx2

spricht, lautet die Schrödingergleichung:d2ψdx2

=

2mh

12

Dx2 − E ψ

100

Abb. 106: Das Potential des harmonischen Oszillators

Die Lösung wird in Quantenmechanikkursen besprochen. Man erhält Eigenfunktionen

ψn =4 mωh/

e−x2mω/2h/ Hn x mω/h/

ω2 = D/m ist die Frequenz des Oszillators. Hn sind die Hermite-Polynome. Man erhält äquidi-

stante Energiestufen . Übergänge mit sind erlaubt, so daß nur eineEn = (n + 1/2)h/ω ∆n = 1

Frequenz ausgestrahlt wird. Für n = 0 ergibt sich eine Nullpunktsenergie .E0 = 12

h/ω

Abb. 107: Die Wellenfunktionen der tiefsten Zustände desharmonischen Oszillators

Die Lösungen sind in Abb. 107 skizziert. ψ oszilliert ähnlich wie beim Teilchen im Potential-

topf mit unendlich hohen Wänden. Je höher die Energie, desto mehr Knotenpunkte zeigt die

stehende Welle. Mit steigender Quantenzahl n sind die Lösungsfunktionen abwechselnd sym-

metrisch und antisymmetrisch.

3. Über den Formalismus der Quantenmechanik

In den vorigen Beispielen wurden einige der für die Quantenmechanik typischen Schritte ange-

wandt, die hier noch einmal zusammengefaßt werden.

i. Einer physikalischen Größe A wird ein Operator zugeordnet. In unserem Fall wurde der∧A

Gesamtenergie der Hamiltonoperator zugeordnet. Andere Beispiele sind der Ort eines Teil-

chens r. Der zugehörige Operator ist die Größe r, die einfach mit der Wellenfunktion multi-

pliziert wird, , usw.p wird −ih/ ∇ , Ekin wird − h/ 2

2m∇ 2

101

ii. Der Mittelwert aller Messungen der Größe A ist der Erwartungswert des Operators A

A = ∫ ψ∗ AψdV

∫ ψ∗ ψdV = 1

iii.Wenn die spezielle Wellenfunktion ψ = u eine Eigenfunktion zu A mit dem Eigenwert a ist,

d.h. .wenn , ist a der Erwartungswert von AAu = au

A = ∫ u ∗ AudV = a ∫ u ∗ udV = a

iv. Man versucht also die Eigenwertgleichung unter den gegebenen Randbedingun-Aψ = aψgen zu lösen und erhält einen Satz von Eigenfunktionen ψn mit zugehörigen Eigenwerten an.

v. Die Eigenfunktionen sind othonormal, d.h.

∫ ψm∗ ψndV = δnm = 1 fur n = m

0 fur n ≠ m

vi. Ein beliebiger Zustand kann als Überlagerung der Basiszustände ψn dargestellt werden

ψ = c1ψ1 + c2ψ2 + ...

Der Erwartungswert für an ist dann .cn2

102

KAPITEL H

Festkörper

1. Struktur von Festkörpern

Nachdem wir uns in den vorigen Kapiteln mit einzelnen Atomen beschäftigt haben, soll in die-

sem Kapitel ein einfaches Vielteilchensystem untersucht werden, der Festkörper. Dabei be-

schränken wir uns auf Kristalle. Wir wissen allerdings, daß es außer den Kristallen amorphe

Festkörper gibt. Einige von diesen wie, z.B. die Gläser, ordnet man auch den Flüssigkeiten zu,

indem man ihnen extreme Werte für die Viskosität zuschreibt.

Abb. 108: Der Unterschied zwischen Elementarzelle undBasis

a) Gitter

Der typische Festkörper ist der Kristall. Der ideale Kristall besteht aus einer periodischen An-

ordnung von Atomgruppen. Die kleinste Verschiebung a, die den Kristall wieder in sich selbst

überführt, heißt Grundvektor. Es gibt drei unabhängige Grundvektoren ai. Durch die Ver-

schiebung gelangt man von einem Gitterpunkt zu einem analogen an einem anderenr = Σ nia i

Ort (n ist ganzzahlig). Die Grundvektoren spannen die kleinste Einheit des Gitters, die Ele-

mentarzelle auf. Die Atomgruppe, die man an das Koordinatensystem der Grundvektoren hef-

ten muß, um durch sukzessive Verschiebung das gesamte Gitter aufzubauen, heißt Basis.

Reale Kristalle haben immer Gitterfehler. Dies können Leerstellen sein, also Gitterplätze, an

denen das Atom fehlt, Fremdatome, Zwischengitteratome, die den Gitteratomen entstammen

oder als Verunreinigungen in den Kristall gelangt sind. Versetzungen sind Fehler der Gitter-

geometrie, wie unvollständige Gitterebenen und dergleichen. Gitterfehler beeinflussen die Ei-

genschaften eines Kristalls erheblich. Schon kleinste Konzentrationen von Chromionen machen

aus einem durchsichtigen Al2O3-Kristall einen roten Rubin oder einen grünen Smaragd.

b) Gittertypen

Die regelmäßige Anordnung der Atome kann von gerichteten Bindungen herrühren, wie bei

kovalenten Kristallen oder ohne gerichtete Bindungen einfach durch die Minimalisierung der

Gesamtenergie wie bei Ionenkristallen oder Metallen.

i.Ionenkristalle

103

Harald Schüler

Abb. 109: Hexagonal dichteste und kubisch dichtesteKugelpackung

Ionenkristalle kann man sich als aus geladenen Kugeln aufgebaut vorstellen. Sie stapeln sich

so, daß das Gesamtsystem eine minimale Energie besitzt. Die Anordnung der Atome ist sehr

ähnlich wie die von Kugeln in einer leicht geneigten Schachtel unter dem Einfluß der Schwer-

kraft. In der Ebene legen sich die Kugeln so, daß jede von 6 anderen, die auf den Ecken eines

regelmäßigen Sechsecks angeordnet sind, umgeben ist. Die Elementarzelle der zweidimensio-

nalen Packung enthält eine Kugel und zwei Löcher. Jede Schicht hat also doppelt so viele Lö-

cher wie Kugeln. Bei der Auffüllung der zweiten Schicht wird die Hälfte aller Löcher zuge-

deckt. Bei der dritten Schicht gibt es zwei Möglichkeiten für die Anordnung: Entweder liegen

alle Kugeln genau über denen der ersten Schicht. Das so aufgebaute Gitter nennt man die

hexagonal dichteste Kugelpackung. Die zweite Möglichkeit besteht darin, daß man gerade die

Löcher der dritten Schicht besetzt, die beim hexagonalen Gitter freigeblieben sind. Man

kommt so zur kubisch dichtesten Kugelpackung. Sie läßt sich auffassen als zusammengesetzt

aus Kugeln auf den acht Ecken eines Würfels, der auf der Spitze steht.

Abb. 110: Elektronenkonfigurationen typischer Ionenkris-talle

Ionenkristalle werden von Elementen gebildet, von denen eins eine niedrige Ionisierungsspan-

nung hat wie die Alkalimetalle, das andere eine hohe Elektronenaffinität wie bei den Haloge-

niden. Typische Vertreter sind NaCl oder LiF. Die Alkalimetalle erhalten bei Abgabe eines

Elektrons, die Halogenide durch Aufnahme eines Elektrons eine Edelgaskonfiguration (Abb.

110). Ionenkristalle sind typischerweise hart und spröde, schlechte Leiter. Sie haben einen ho-

hen Schmelzpunkt und sind meist diamagnetisch.

ii.Kovalente Kristalle

Kovalente Kristalle werden von Elementen mit gerichteten Bindungen gebildet. Die gerichte-

ten Bindungen kommen durch keulenförmige Ausläufer der Wellenfunktion der Elektronen zu-

stande. | |2 gibt die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des betrachteten Elektrons an. Man ψ(r)

104

Abb. 111: Wellenfunktion bei kovalenter Bindung

nennt sie in der Chemie auch das Orbital. Elektronen zwischen positiv geladenen Rümpfen för-

dern die Bindung, da sie die positiven Ladungen der Rümpfe abschirmen (Abb. 112). Beim

Aufbau des Gitters werden sich die Atome also so ausrichten, daß ihre Orbitale sich überlap-

pen, da dann die Aufenthaltswahrscheinlichkeit von Elektronen zwischen ihnen am größten

und die Gitterenergie am kleinsten ist.

Ein typischer Vertreter ist der Diamant. Kovalent gebundene Kristalle sind in der Regel hart,

durchsichtig und schlechte Leiter.

Abb. 112: Elektronen zwischen positiv geladenen Rümp-fen fördern die Bindung

iii.Die Metallbindung

Auch bei den Metallen werden die Atome durch zwischen ihnen liegende Elektronen gebun-

den. In diesem Fall sind die Elektronen allerdings frei beweglich. Man kann sich eine solche Si-

tuation dadurch entstanden denken, daß die Orbitale der Einzelatome eine im Verhältnis zur

Gitterkonstanten große Ausdehnung besitzen und dadurch von den Nachbaratomen stark ge-

stört werden. Die ineinanderlaufenden Orbitale der verschiedenen Atome erlauben also den

Elektronen eine weitgehend freie Bewegung. Die Gitterkonfiguration ist eine der dichtesten

Kugelpackungen. Die freien Elektronen sorgen für gute Wärme - und elektrische Leitfähigkeit

und damit verbunden für gutes Reflexionsvermögen von Licht. Beispiele sind alle Metalle.

iv.Die Dipolbindung

Außer diesen relativ festen Bindungen gibt es eine Klasse von schwachen Bindungen, die auf

der gegenseitigen Anziehung von Dipolen beruhen. Die Dipole können durch die Molekül-

struktur der Basis vorgegeben sein wie bei der Wasserstoffbrückenbindung. Ein typischer Ver-

treter ist das Eis. Bei der noch schwächeren van-der-Waals Bindung entstehen die Dipole

durch Ladungsfluktuationen in der Basis. Beispiel ist das CO2 oder feste Edelgase.

c) Strukturanalyse durch Röntgeninterferenz

105

i.Die Braggbedingung

Abb. 113: Zur Veranschaulichung der Bragg-Bedingung

Ein wichtiges Hilfsmittel zur Bestimmung der Kristallstruktur ist die Röntgeninterferenz. Diese

beruht darauf, daß für eine bestimmte Wellenlänge die Beiträge aller Streuwellen, die von den

einzelnen Gitteratomen erzeugt werden, konstruktiv interferieren. In Abb. 113 ist dies für zwei

Gitterebenen mit dem Abstand d gezeichnet. Konstruktive Interferenz liegt vor, wenn die

Braggbedingung

nλ = 2a sin ϑ

erfüllt ist. (William Henry Bragg, 1862 - 1942, William Lawrence Bragg, 1890 - 1971)

Die Analyse von Interferenzmustern wird dadurch erschwert, daß ein Kristall eine Vielzahl

von Sätzen paralleler Gitterebenen besitzt, wobei jeder Satz unterschiedlichen Gitterebenenab-

stand, unterschiedliche Neigung und Atomdichte pro Ebene enthält. In Abb. 114 sind die

wichtigsten Gitterebenen für ein kubisches Gitter dargestellt.

Abb. 114: Gitterebenenund ihre MillerschenIndizes

Die angegebenen Zahlentripel nennt man die Millerschen Indizes. Man kann sie als Kompo-

nenten des Normalenvektors der betrachteten Ebene auffassen, wobei man den Normalenvek-

tor nicht auf normiert, sondern seine Länge so wählt, daß ganzzahlige Werte entste-n = 1

hen. Wenn eine Gitterebene die drei durch a1, a2, a3 aufgespannten Koordinatenachsen in den

Achsabschnitten x, y, z schneidet, erhält man die Millerschen Indizes als proportional zu

1x , 1

y , 1z

ii.Verfahren zur Röntgeninterferenz

Die wichtigsten Verfahren zur Röntgeninterferenz unterscheiden sich in der Frequenzverteil-

106

ung der angewandten Strahlung, d.h. ob kontinuierliche oder charakteristische Röntgenstrah-

lung verwendet wird und in der Art und Weise, wie man den richtigen Neigungswinkel der

Strahlung gegen die Gitterebenen trifft.

Beim Laue-Verfahren ist die Röntgenstrahlung kontinuierlich. Der Kristall wird festgehalten.

Jeder Interferenzpunkt entspricht einer anderen Wellenlänge. Beim Bragg Verfahren ist die

Röntgenstrahlung monochromatisch. Der Kristall wird gedreht. Nur bei den Drehwinkeln, die

die Braggbedingung erzeugen, entsteht konstruktive Interferenz.

Das Debye-Scherrer Verfahren benutzt wie das Bragg Verfahren monochromatische Strah-

lung, aber als Probe pulverförmige Kristalle, so daß es immer Kristalle gibt, die die von der

Braggbedingung geforderte Ausrichtung besitzen. (Peter Debye, 1884 - 1966; Paul Scherrer

1890 - 1969)

iii.Röntgeninterferenz als Streuproblem

Eine besonders elegante Formulierung der Bedingung konstruktiver Interferenz im dreidimen-

sionalen Raum erhält man aus der Betrachtung der Wellenvektoren. Weil das Ergebnis für alle

Streuversuche anwendbar ist, wird es im folgenden kurz behandelt.

Wenn wir von ebenen Wellen

E = E0ei(k⋅r−ωt)

ausgehen, wird der einfallende Strahl durch einen Wellenvektor k0 und die gestreute Welle

durch ks charakterisiert. Da die Wellenlänge sich bei diesem Streuprozeß nicht ändert, ist

Abb. 115: Zum Begriff des Streuvektors

k0 = ks = k

Wir betrachten die Streuung an einem Gitterpunkt A und einem zweiten B, der von A aus

durch (mit ni ganzzahlig) erreicht wird. Die einfallende Welle erreicht das Streu-r = Σ nia i

zentrum B nach einer zusätzlich durchlaufenen Strecke

r cosα = r • k0

k

107

Dafür erreicht die von B ausgehende Welle den Detektor in Richtung ks nach einer Strecke,

die um

r cosβ = r • ks

k

kürzer ist als die von A. Insgesamt ist der Gangunterschied

d = r • k0

k− r • ks

k= r • ∆k/k

Der Phasenunterschied wird dann

∆ϕ2π = d

λ , ∆ϕ = kd = r • ∆k

Konstruktive Interferenz erhält man, wenn der Phasenunterschied ein Vielfaches von 2π ist

Abb. 121: Räumliche Verteilung der Energiezustände derElektronen im Gitter

(1)r • ∆k = 2πn

Interferenz tritt immer dann auf, wenn diese verallgemeinerte Braggbedingung für ganzzahlige

n und ni erfüllt ist. Diese Bedingung wird besonders einfach, wenn man die reziproken Gitter-

vektoren einführt. Die reziproken Grundvektoren sind definiert durcha∼ K

(2)a∼ i • a∼ k = δik ⋅ 2π

Ein beliebiger Gittervektor im reziproken Gitter ist dann mit ganzzahligen ni.kg kg = Σnia∼ i

Ein Gittervektor im ursprünglichen Gitter mit li ganzzahlig. Daher ist nach Gl. 2 r = Σ liai

r • kg= ( n1 a∼ 1 + n2 a∼ 2 + n3 a∼ 3)(l1a∼ 1 + l2a∼ 2 + l3a∼ 3) = (n1l1 + n2l2 + n3l3)2π

Vergleicht man hiermit Gl.( 1), so erkennt man, daß

∆k = kg

108

(3)k0 − ks = kg

kg hat den Betrag 2π/d, wobei d der Abstand der Netzebene ist, auf denen kg senkrecht steht.

Die Koordinaten des reziproken Gittervektors ni mit bilden einenkg = n1 a∼ 1 + n2 a∼ 2 + n3 a∼ 3

Vektor der parallel ist zu dem Vektor aus den Millerschen Indizes h, k, l der zugehörigen

Gitterebene

kg = ( n1 a∼ 1 + n2 a∼ 2 + n3 a∼ 3)

kg hat den Betrag 2π/r. kg charakterisiert die Periodizität des Gitters in der Richtung von kg

und steht nach Gleichung (2) senkrecht auf der Ebene, die von zwei Grundvektoren aufge-

spannt ist. Ist die Periodizität des Gitters in einer Richtung bekannt, läßt sich aus (3) die Streu-

richtung konstruieren. Umgekehrt gibt (3) bei festgelegter Streurichtung die Ausrichtung und

die gegenseitigen Abstände der Gitterebenen an, die zur Streuung in dieser Richtung

beitragen.

Abb. 116: Aufspaltung der Energizustände, dadurch, daßdie Atome dichter aneinander rücken

2. Energiezustände im Festkörper

a) Einleitung

Denkt man sich einen Festkörper synthetisiert, indem man von einzelnen Atomen ausgeht und

deren Abstand bis auf die Gitterkonstante verringert, so werden bei großen Atomabständen r

die Niveaus der isolierten Atome vorliegen. Diese werden mit abnehmendem Abstand durch

die Nachbaratome zunehmend gestört, wobei sie ihre Lage verändern und aufspalten. Bei grö-

Abb. 117: N gekoppelte Pendel haben N Eigenfrequenzen

ßeren Entfernungen erfolgt die Aufspaltung durch den Starkeffekt in den Feldern der Nach-

baratome. Bei kleineren Abständen kommen kollektive Effekte hinzu, die man sich anschaulich

am Bild der gekoppelten Pendel klar machen kann. Zwei gekoppelte Pendel, die im

109

ungekoppelten Zustand die Schwingungsfrequenz ω0 aufweisen, haben im gekoppelten Zu-

stand zwei Eigenfrequenzen in der Umgebung von ω0. D.h. jede mögliche Schwingungsform

kann man durch Überlagerung dieser Grundschwingungen darstellen. Ein System aus N ge-

koppelten Pendeln hat N Grundschwingungen. Im Festkörper spalten also die Niveaus der iso-

lierten Atome in eine sehr große Zahl von Unterniveaus auf. Durch verschiedene Störungen

werden sie verbreitert und verlaufen so in Energiebänder mit endlicher Breite.

Die Rumpfelektronen bleiben im wesentlichen ungestört. Dies führt dazu, daß die charakteri-

stische Röntgenstrahlung, an deren Zustandekommen die Rumpfelektronen beteiligt sind, eine

schmale Frequenzbreite aufweisen, während die optischen Übergänge im Festkörper meist

breitbandig sind.

Außer diesen Energien, die sich aus einer Modifikation der Zustände von Einzelatomen herlei-

ten, gibt es im Festkörper neuartige Energieformen durch die Bewegung der Atome gegenein-

ander. Wenn diese mit der Emission oder Absorption von Licht verbunden sind, betrifft dies

lange Wellenlängen vom Infraroten bis in den Radiobereich.

b) Gitterschwingungen

Wellen, die sich im Kristallgitter ausbreiten, können unter Umständen Licht absorbieren oder

emittieren. Da dies nur in Quanten

E = h/ω

vor sich geht, kann die Energie der Wellen sich ebenfalls nur gequantelt ändern. Außerdem

hatten wir im vorigen Abschnitt bei Streuprozessen, an denen das Gitter beteiligt ist, gesehen,

Abb. 118: Dispersionsbeziehung für ein Gitter aus glei-chen Atomen

daß man die mit Wellenvektoren formulierte Streubedingung als Impulssatz auffassen kann. Es

ist daher vorteilhaft, den Gitterschwingungen "Phononen" zuzuordnen mit

E = h/ω p = h/k

110

Wichtige Grundtatsachen über die Gitterschwingungen macht man sich mit dem mechanischen

Modell der gekoppelten Oszillatoren klar. Gleichartige Atome mit gegenseitigem Abstand a im

ungestörten Zustand mögen beim Durchgang einer Welle um die Strecke ξn aus der Ruhelage

gelenkt werden. Dabei wirkt auf das nte Teilchen nach rechts eine Kraft Fr = D(ξ n+1 − ξn)nach links . Die Bewegungsgleichung lautet alsoFl = D(ξ n−1 − ξn)

md2ξ n

2= Fr − Fl = D(ξn+1 + ξn−1 − 2ξ n)

Diese Differentialgleichung wird mit dem Ansatz

ξ n = ξ0ei(ωt−kna)

gelöst. Dabei ist kna = kx die räumliche Abhängigkeit der Phase. Geht man mit diesem Ansatz

in die Differentialgleichung, erhält man

−mω2e−ikna = D(e−ik(n+1)a + e−ik(n−1)a − 2eikna)

Abb. 119: Dispersionsbeziehung für Phononen in einemGitter aus gleichen Atomen

−mω2 = D(eika + e−ika − 2) = −4D sin2ka/2

Man erhält also eine Dispersionsbeziehung

ω =2 D/m sin (ka/2)

mit einer maximalen Frequenz (cut-off-Frequenz, die dadurch gegeben ist, daß die Wellenlän-

ge einer Welle, die sich im Gitter ausbreitet, nicht kleiner als der doppelte Gitterabstand wer-

den kann).

Für ein Gitter aus zwei Atomarten mit unterschiedlicher Masse, die abwechselnd angeordnet

sind, wie etwa beim NaCl-Kristall, erhält man mit einer analogen Rechnung zwei Zweige der

Dispersionsbeziehung. Es stellt sich heraus, daß bei dem Zweig mit kleineren Frequenzen bei-

de Atomsorten etwa in Phase schwingen, während in dem Zweig mit höherem ω die Schwin-

gung im wesentlichen im Gegentakt erfolgt. Bei unterschiedlich geladenen Atomen wie im

111

Abb. 120: Dispersionsbeziehung für Phononen in einemGitter aus zwei Atomsorten

NaCl hat dies zur Folge, daß bei der hochfrequenten Mode oszillierende Dipolmomente vorlie-

gen, die mit elektromagnetischer Strahlung wechselwirken können.

Man nennt diesen Zweig daher den optischen Zweig. Der andere wird der akustische Zweig

genannt, da die Schwingungen der Teilchen denen in einer Schallwelle entsprechen.

c) Elektronenzustände

Die Elektronen sehen im Gitter - wenn man von Randeffekten absieht - etwa das in Abb. 121

skizzierte Potential. Elektronen, deren Energie sehr viel kleiner als die Energie der Potential-

berge ist, bleiben in den Zwischenräumen gefangen. Diese Elektronen entsprechen den Rumpf-

elektronen der isolierten Atome. Die Tunnelwahrscheinlichkeit hängt von der Höhe der Poten-

tialbarriere ab und ist für die Elektronen mit kleinerer Energie sehr gering. Elektronen, deren

Energie höher ist als die Potentialwälle, bewegen sich praktisch frei im Gitter. Diese und die

mit etwas kleinerer Energie und relativ hoher Tunnelwahrscheinlichkeit bestimmen die wesent-

lichen Eigenschaften des Kristalls wie elektrische Leitfähigkeit, Wärmeleitfähigkeit, die Wech-

selwirkung mit Licht usw. Außerdem sind sie für die Bindung verantwortlich.

Abb. 122: Die äußeren Energiebänder verbreitern undüberlappen

Um diese Eigenschaften zu beschreiben, geht man von einem räumlich gemittelten Energiebän-

derschema aus. Die einzelnen Bänder kann man den Energieniveaus der isolierten Atome zu-

ordnen. Sie werden zu größeren Energien hin wegen der zunehmenden Störungen immer brei-

ter und überlappen sich schließlich. Für die Eigenschaften des Festkörpers ist das oberste voll

besetzte Band, das sogenannte Valenzband und das darüberliegende sogenannte Leitungsband

112

zuständig. Entscheidend ist also die Frage: Welche Energiezustände sind beim Festkörper nor-

malerweise besetzt?

i.Besetzung der Bänder

Die Besetzungsdichten der Energien im Festkörper werden nicht durch die Boltzmannvertei-

lung bestimmt. Bei der Ableitung der Maxwell- und der Boltzmannverteilung, die man auch

unter der Bezeichnung Maxwell-Boltzmann-Statistik zusammenfaßt (James, Clerk Maxwell,

1831 - 1879), waren wir von der Voraussetzung ausgegangen, daß beliebig viele Teilchen eine

bestimmte Energie besitzen dürfen. Wir wissen, daß dies im Atom und im Festkörper wegen

des Pauliprinzips nicht zutrifft. Außerdem sind Elektronen im Festkörper nicht unterscheidbar,

so daß man die Fälle, in denen Elektron A im Zustand 1 und Elektron B im Zustand 2 vorlie-

gen und den Fall mit vertauschten Elektronen nicht unterscheiden kann. Um dies zu verdeutli-

chen, wird im Beispiel Abb. 123 die Verteilung von 2 Elektronen A und B auf drei Energieni-

veaus 1, 2, 3 nach der Maxwell-Boltzmann Verteilung und der Fermi-Dirac Verteilung demon-

striert. (Enrico Fermi, 1901 - 1954). Bei der Bose-Einstein Verteilung sind die Teilchen wie

bei der Fermi-Dirac Verteilung ununterscheidbar, aber es können beliebig viele Teilchen in ei-

nem Energiezustand unterkommen. (Satyencia Nath Bose, 1984 - 1974)

Abb. 123: Wie man bei denver- schiedenen Statistikenabzählt

Die Bose-Einstein Statistik gilt für alle Teilchen mit ganzzahligem Spin wie Photonen. Für die-

se gilt das Paulische Ausschließungsprinzip nicht. Die Fermi-Dirac Statistik gilt für alle Teil-

chen mit unganzzahligem Spin wie Elektronen. Die Maxwell-Boltzmann Statistik ist der

klassische Grenzfall für E << kT und kleinem Entartungsgrad.

ii.Die Fermiverteilung

Die Fermiverteilung kann ähnlich wie die Maxwellverteilung durch Abzählen von Zuständen

und den Übergang zu einer großen Zahl von Teilchen hergeleitet werden. Wir werden die Her-

leitung hier nicht durchführen und verweisen auf die Literatur (z.B. Alonso-Finn). Wir über-

nehmen das Ergebnis

nn0

= 1(E−εF)/kT +

113

n ist die Anzahl der Teilchen, die sich im Energieintervall zwischen E und E + dE aufhalten. εF

ist eine Konstante.

Abb. 124: Die Fermiverteilung

Da , ist bei T = 0 und .T→0lim e∆E/kT = 0, fur ∆E < 0

∞, fur ∆E > 0nn0

= 1 fur E < εFnn0

= 0 fur E > εF

Beim absoluten Nullpunkt sind also alle Zustände bis E = εF hinauf besetzt. εF heißt die Fermi-

energie oder die Fermikante. Bei höheren Temperaturen verschmiert die Fermikante und eini-

ge Zustände oberhalb von εF werden auf Kosten der tiefergelegenen Zustände besetzt.

iii.Isolator, Leiter, Halbleiter

Abb. 125: Lage der Fermienergie im Halbleiter undIsolator

Die Eigenschaften der Festkörper hängen also entscheidend davon ab, wo die Fermienergie im

Bänderschema liegt, da damit festliegt, welche Zustände besetzt sind, und wie groß die be-

nachbarten Bandlücken sind.

In einem voll besetzten Valenzband mit einer benachbarten Bandlücke, die größer als die ther-

mische Energie der Elektronen ist, kann ein Elektron keine Energie, die kleiner als ist, auf-∆E

nehmen, weil es damit in einen verbotenen Energiebereich käme. Solche Stoffe sind Isolatoren.

Ist die Bandlücke genügend klein, so können bei Zimmertemperatur Elektronen in das Lei-

tungsband gelangen. Da hier eine ausreichende Zahl von "Plätzen" frei sind, können die Lei-

tungselektronen elektrische Energie aus einem Feld aufnehmen und zur Leitung beitragen. Die

Leitfähigkeit steigt sehr stark mit der Temperatur, da dann die Anzahl der Ladungsträger im

Leitungsband zunimmt.

Bei Leitern liegt die Fermienergie innerhalb des Leitungsbandes. Dies kann dadurch zustande

kommen, daß der Grundzustand der Atome ein s-Zustand mit einem Valenzelektron ist. Die

s-Unterschale ist dann nur halb besetzt, da wegen der zwei Möglichkeiten der Spinorientierung

2N-Plätze vorhanden sind. Ein anderer Grund für eine nur teilweise Auffüllung des äußersten

besetzten Energiebandes liegt darin, daß zwei äußere Energiebänder sich überlappen. Bei

114

Leitern fällt die Leitfähigkeit mit steigender Temperatur, da die Störungen der Elektronenbe-

wegungen zunehmen.

iv.Die Fermienergie

Die Fermienergie kann für freie Ladungsträger abgeschätzt werden. Man geht von einem Mo-

dell aus, bei dem freie Elektronen in einem Potentialtopf, der die Größe des Festkörpers be-

sitzt, eingefangen sind und zählt die Anzahl der möglichen Moden der de Broglie-Wellen aus.

Wenn man jetzt voraussetzt, daß die Anzahl der Moden gleich der Anzahl der Energiezustände

ist und diese gleich der Anzahl der Teilchen im Festkörper, weiß man bei bekannter Zahl freier

Elektronen, bis zu welcher Höhe man die Energieniveaus damit auffüllen kann, also die

Fermienergie.

Die Abzählung der möglichen Moden übernehmen wir von der Ableitung des Rayleigh-Jeans-

schen Strahlungsgesetzes (Kap. C/1f). Dort ergab sich die Anzahl von Moden mit einer Fre-

quenz kleiner als ν für einen Würfel der Kantenlänge L zu

N = 4π3

Lνc

3

= 4π3

3

wird mit der de Broglie-Beziehung in p und über E = p2/2m in E umgerechnet.λ

k = 2πλ , V = L3

n = NV

= 4π3

k3

(2π)3=

1

6π2 k3

mit wird darausE =p2

2m= k2h/ 2

2m, k = 2mE

h/

(1)n = 23/2m3/2E3/2

6π2h/ 3

Setzen wir jetzt für E die Fermienergie εF ein und berücksichtigen noch, daß es aufgrund der

zwei möglichen Spinrichtungen doppelt so viele Teilchen gibt, so können wir εF bestimmen

εF = (3n0π2)2/3 h/ 2

2m

Die Verteilungsfunktion ergibt sich aus der Gleichung (1)dndE

(2)dndE

= 2 m3/2

h/ 3π2E1/2

115

Man erhält eine Parabel. Der Unterschied zur Fermiverteilung liegt daran, daß die Dichte der

Energieniveaus zu kleinen Energien hin abnimmt.

Abb. 126: Die Besetzung der Zustände im Festkörper

3. Bewegung der Elektronen im Gitter

a) Freie Elektronen

In der ersten Näherung betrachtet man wie im vorigen Abschnitt die Bewegung der Elektro-

nen im mittleren Potential, d.h. die räumliche Periodizität des Potentials wird unberücksichtigt

gelassen und die potentielle Energie hat überhaupt keinen Einfluß auf die Bewegung. Die

Energie ist nur kinetische Energie.

Abb. 127: E(k) bei freien Elektronen

E = p2

2m= h/ 2

2mk2

Die Beziehung E(k) ist in Abb. 127 skizziert. Für Elektronen, die keinem äußeren Feld ausge-

setzt sind, erhält man, wie im vorigen Abschnitt auseinandergesetzt wurde, stehende Wellen

b) Einfluß des Gitters auf E ( k )

Die Energieniveaus innerhalb des Bandes sind wie in Abb. 26 dargestellt, besetzt.

Im periodischen Potential des Gitters wird die Amplitude der Wellenfunktion der freien Elek-

tronen eine Modulierung mit der Gittterperiode erfahren.

ψ(x) = u(x)eikx, u(x) = u(x + a)

Diesen Ansatz bezeichnet man als Blochtheorem.

116

Abb. 128: Durch ein periodisches Gittergestörte Elektronenwellen

i.Bragg-Reflexion der Materiewellen

Auch E(k) wird durch das Gitterpotential modifiziert. Man erwartet eine besonders drastische

Störung, wenn die Wellenperiode in die Nähe der doppelten Gitterperiode kommt. In der Tat

erfährt eine Materiewelle ähnlich wie eine Röntgenwelle im Kristall eine Reflexion. Im eindi-

mensionalen Gitter, das hier praktisch ausschließlich betrachtet wird, lautet die

Braggbedingung

nλ = 2a sin ϑ

(3)nλ2

= a

ii.Brillouinzonen

Um von der Wellenvorstellung auf die Teilchenvorstellung umschalten zu können, betrachten

wir ein Wellenpaket. Die Teilchengeschwindigkeit ist dann gleich der Gruppengeschwindigkeit

des Wellenpaketes

Abb. 129: Brillouinzonen im eindimensionalen Gitter

v = dωdk

= h/ dEdk

Da bei der Braggbedingung die Geschwindigkeit verschwindet, heißt dies geht gegen Null.dEdk

Die E(k)-Kurve wird bei in einzelne Zweige aufgebrochen, wie in Abb. 129 skizziert.k = nπa

Es entstehen Energiebereiche, die den Elektronen zugänglich sind und dazwischen liegende

117

verbotene Zonen. Man nennt die Zonen mit erlaubten Energien im k-Raum die Brillouinzonen

(Leon Brillouin, 1889 - 1969). Die obere Grenze der nten Brillouinzone ist durch

(4)k =

nπa

= n

2kg

Abb.130: Zweidimensionale Brillouinzone

gegeben . Eine Verallgemeinerung der Brillouin-Zonen für drei Dimensio-( kg = 2π/a) = a∼

nen kann im reziproken Gitter vorgenommen werden. Die Grundvektoren des reziproken Git-

ter ki werden wie im Abschnitt H/1c iii über definiert. (ak sind die Grundvekto-ki • ak = 2πδik

ren des Gitters). Die Ebenen, die senkrecht auf den ki stehen und diese halbieren, bilden die

Grenzflächen der ersten Brillouinzone (Abb. 130)

iii.Das reduzierte Bändermodell

Abb. 131: E(k) ist periodisch

Wegen der Periodizität des Gitters ist auch E(k) periodisch. Im eindimensionalen Gitter

E(k) = E(k + kg)

kg = 2πa

Daher ist die gesamte Information über die Dispersionskurve E(k) in der ersten Brillouinzone

enthalten. Die Bänder haben also die in Abb. 132 dargestellte Struktur. Innerhalb eines Bandes

kann E zwischen zwei Grenzwerten variieren; dabei ist E(k) eine durch die Dispersionskurve

vorgegebene Funktion. Diese Funktion kann zur k-Achse hin konkav oder konvex gekrümmt

sein.

118

Abb. 132: E(k) innerhalb der ersten Brillouinzone

iv.Die Dynamik der Elektronenwellen

Die Dynamik der Elektronenwellen im Kristall wird anhand eines Elektrons in der ersten bzw.

2. Brillouinzone des eindimensionalen Gitters diskutiert: Das Teilchen möge mit k = 0 starten

und einer konstanten Kraft unterworfen sein. Die Bewegungsgleichung schreibt sich dann

F = dpdt

= h/ dkdt

d.h. k steigt zunächst linear mit der Zeit. Wenn k die Braggbedingung erreicht, d.h. wenn

k = π/a wird, wird das Teilchen reflektiert, d.h. k ändert das Vorzeichen und wächst bei -k be-

ginnend linear an (Abb. 133). Die Geschwindigkeit errechnet sich aus der Formel für die

Gruppengeschwindigkeit

v = dωdk

= dEdk

1h/

In der Umgebung von k = 0 steigt wegen E = (h2/2m)k2 v linear mit k. In der Nähe der Band-

grenze nimmt die Steigung der E(k)-Kurve (Abb. 134) und mit ihr v bis auf Null ab. v = 0 wird

an der Bandgrenze k = π/a erreicht. Nach dem Sprung von k befindet sich das Teilchen bei k =

-π/a (s. Abb. 134). Die Steigung von E(k) und damit v nimmt weiter ab, um vom Wendepunkt

der E(k)-Kurve an wieder anzusteigen. Die durchlaufenen Bahnen im v(k) und E(k)-Diagramm

wiederholen sich. Für ein Teilchen in der 2. Brillouin-Zone sind die Verhältnisse in

Abb. 133: k(t) eines Elektrons, das einer konstanten Kraftausgesetzt ist

119

Abb. 134: Variation von E und v in der ersten Brillouin-zone

Abb. 135 dargestellt. Man erkennt, daß für die Teilchen keine Möglichkeit besteht, durch

Energieaufnahme in einem elektrischen Feld aus der Brillouinzone herauszukommen. Ein Aus-

bruch ist allerdings möglich durch Aufnahme eines genügend großen Energiequants, etwa bei

der Absorption von Licht.

Abb. 135: v und E für ein Teilchen in der 2. Brillouinzone

v.Die effektive Masse

Manchmal ist es vorteilhaft, das dynamische Verhalten der Elektronen im Gitter über eine ef-

fektive Masse zu beschreiben. Man tut dann so, als ob es kein Gitter gäbe, ordnet den Elektro-

nen aber eine Masse in Abhängigkeit von k zu, die zu dem erforderlichen Verhalten führt. Man

definiert die effektive Masse durch

meff = Fv.

F = h/ dkdt

v.

= dvdk

⋅ dkdt

dvdk

ergibt sich aus v = 1h/

dEdk

→ dvdk

= 1h/

d2Edk2

meff = h/dk/dt1h/

d2E2 ⋅ dk

dt

= h/ 2

d2E2

meff wird also durch die Krümmung der Kurve E(k) bestimmt. Abb. 136 zeigt die Variation der

effektiven Masse innerhalb der ersten Brillouin-Zone. Man erkennt, daß meff Werte zwischen

120

annehmen kann. Bei k = 0 ist die effektive Masse der Elektronen meistens in der−∞ und + ∞Nähe von me.

Abb. 136: Variation der effektiven Masse über k

Tabelle IV: Effektive Masse der Leitungselektronen

Element: Li Na K Rb Cs

meff/me: 1,4 0,98 0,94 0,87 0,83

b) Stromleitung in Metallen

i.Das klassische Modell

Nach dem klassischen Elektronenmodell von Drude und Lorentz (Paul Drude 1863 - 1906;

Hendrik Antoon Lorentz, 1853 - 1928) werden die Elektronen im Gitter durch ein äußeres

Feld beschleunigt. Durch Stöße mit den Ionen des Gitters werden sie zurückgestreut, so daß

sich eine mittlere Driftgeschwindigkeit ergibt, die den Strom transportiert.

Zwischen den Stößen ist die Bewegungsgleichung

mv. = eE

v = emEt

Abb. 137: Die Geschwindigkeit eines stoßenden Teilchens

Nach der freien Flugzeug τ erfolgt ein Stoß, durch den das Teilchen in alle möglichen Richtun-

gen gestreut wird. Im Mittel beginnt das Teilchen mit v = 0 (s. Abb. 137). Die mittlere Ge-

schwindigkeit ist also

⟨v⟩ = 12

emEτ

Setzt man dies in den Ausdruck für die Stromdichte ein

121

j = ne⟨v⟩ = ne2

2mτE

erkennt man, da j = σE, daß

(5)σ = ne2τ2m

Das Drudemodell erklärt eine große Anzahl von experimentellen Tatsachen, z.B. das Wiede-

mann-Franzsche Gesetz, das besagt, daß das Verhältnis von Wärmeleitfähigkeit und elektri-

scher Leitfähigkeit bei bestimmter Temperatur eine Konstante ist.

(kB: Boltzmann-Konstante)κσ =

3kB2

2T

Man erhält es, indem man die Wärmeleitfähigkeit aus der freien Flugzeit der Elektronen

berechnet.

Das Drudemodell versagt allerdings bei einigen Tatsachen völlig. Wenn man z.B. τ aus dem

Coulombpotential der einzelnen Ionen ausrechnet, erhält man - zumindest bei tiefen Tempera-

turen - viel kleinere Werte als sich aus den gemessenen Leitfähigkeiten unter Verwendung von

Gl. (5) ergibt. Ein anderer Punkt, bei dem das Drudemodell falsche Aussagen macht, ist bei

der Wärmekapazität der Metalle. Hier würde man erwarten, daß die Freiheitsgrade der Elek-

tronen genau so viel Energie aufnehmen wie die Freiheitsgrade der Ionen. Man würde also den

doppelten Wert des Dulong-Petitschen Gesetzes erwarten, beobachtet wird aber nur der einfa-

che Wert. Die Quantenstatistik kann klären, warum die Elektronen zur Wärmekapazität nicht

beitragen (s. Abschn. 5).

ii.Das quantenmechanische Bild

Abb. 138: Besetzung der Energien ohne äußeres Feld

Abb. 138 zeigt die Besetzung der Energien durch Elektronen in der ersten Brillouinzone ohne

äußeres elektrisches Feld. Die unteren Energiezustände sind symmetrisch besetzt, d.h. der

Elektronenfluß nach beiden Seiten ist gleich groß, und es fließt kein Strom. Bei Anlegen eines

äußeren Feldes nehmen die Elektronen Energie auf, sie werden beschleunigt. Die Bewegung

eines Elektrons wurde im letzten Abschnitt diskutiert. Wir betrachten eine Situation, in der k

noch weit von der Grenze der Brillouinzone entfernt ist, so daß wir die Rückwärtsstreuung bei

122

Abb. 139: Besetzung der Energien mit äußerem Feld

Erreichen der Braggbedingung nicht zu betrachten brauchen. Nach der Diskussion im vorigen

Abschnitt erfolgt die Beschleunigung in diesem Bereich ungestört durch das Gitter. Um zu ei-

ner mittleren konstanten Geschwindigkeit zu gelangen, muß ein Bremsmechanismus angenom-

men werden. Im Wellenbild ist dies eine Streuung an Gitterfehlern. k nimmt beim Streuprozeß

ab. Das Elektron wechselt zu den nächsten erreichbaren Plätzen auf der linken Hälfte der E(k)-

Kurve. Ähnlich wie im Drudemodell entsteht ein Gleichgewicht zwischen Beschleunigung und

Streuung und damit ein Stromfluß. Die Anzahl der Streuungen ist aber im Gegensatz zum

klassischen Modell durch Gitterfehler bestimmt. Diese können durch Temperaturbewegung

der Ionen, durch Fremdatome oder sonstige Störungen erzeugt werden. Der Restwiderstand

beim Übergang zu kleinen Temperaturen ist bei vielen Stoffen daher ein Maß für den Rein-

heitsgrad. Bei reinen Metallen werden die dominierenden Störungen durch Verformungen her-

vorgerufen. Solche Metalle eignen sich als Dehnungsmeßstreifen.

Abb. 140: Streuung der Elektronen im Wellenbild

4. Halbleiter

a) Löcherleitung

i.Erzeugung von Elektron-Loch Paaren

Halbleiter sind Stoffe, deren Leitfähigkeit zwischen der von Metallen und Isolatoren liegt. Sie

bilden die Grundlage der modernen Elektronik. Zum Verständnis der elektrischen Eigenschaf-

ten von Halbleitern ist der Begriff der Löcherleitung wichtig, der im folgenden erläutert wird.

Abb. 141: Ein Elektron-Loch Paar

Bei einem Halbleiter liegt das Fermi-Niveau zwischen Valenz- und Leitungsband. Daher ist

das Valenzband praktisch vollständig besetzt, das Leitungsband leer. Die Energielücke

123

zwischen Leitungs- und Valenzband ist genügend klein, so daß durch thermische Anregung ein

Elektron vom Valenz- ins Leitungsband gelangen kann. Es hinterläßt dabei eine Leerstelle, ein

sogenanntes Loch im Valenzband. Das angeregte Elektron kann sich im Leitungsband frei be-

wegen, da genügend Plätze mit benachbarter Energie frei sind und ebenso kann im Valenzband

eine Stromleitung erfolgen, da ein Platz frei geworden ist. Man sagt, es wurde ein Elektron-

Loch Paar erzeugt. Der umgekehrte Vorgang zur Elektron-Loch Erzeugung ist die Elektron-

Loch Rekombination.

ii.Die Dynamik von Löchern

Abb. 142: Die Bewegung von Löchern

Wird ein elektrisches Feld im Halbleiter erzeugt, so wandern die Elektronen entgegen der Fel-

drichtung. Dabei wandern die Löcher entgegengesetzt, wie in Abb. 142 erläutert. Statt sich auf

die Bewegung der Elektronen zu konzentrieren, kann man sich mit der Löcherdynamik befas-

sen. Der Ladungstransport, das Magnetfeld usw. sind dabei völlig identisch. Bei der Stromlei-

tung im elektrischen Feld ist Löcherstrom von einem Strom, der durch positive Ladungsträger

getragen wird, nicht zu unterscheiden.

Abb. 143: Der Halleffekt hat bei n- und p-Leitung umgekehrtes Vorzeichen

Ein Unterschied ergibt sich beim Hall-Effekt (Edwin, Hubert Hall, 1855 - 1932), d.h. bei Pla-

zierung des Leiters in ein Magnetfeld. Hier zeigt der Effekt bei positiven und negativen La-

dungsträgern umgekehrtes Vorzeichen (Abb. 143). Stromleitung mit positiven Ladungsträgern

heißt p-Leitung, mit negativen n-Leitung. Der Halleffekt zeigt bei Löcherleitung das Vorzei-

chen, das positive Ladungsträger ergeben würden. Um dies zu erklären, betrachten wir das in

Abb. 144 gezeigte Valenzband mit einem Loch. Bei Anlegen eines elekrischen Feldes E wan-

dern die Elektronen, wie im vorigen Abschnitt gezeigt wurde, gleichsinnig, z.B. nach rechts,

d.h. das Loch wandert in die gleiche Richtung wie die Elektronen. Der Stromanstieg durch das

elektrische Feld (der letztendlich durch Streuung kompensiert werden muß) ist dj = nedv.

124

Abb. 144: Zur Veranschaulichung der Löcherleitung

dvdt

= Fm ∗

F = −eE

dj = −ne2

m ∗ E

Das Minuszeichen drückt aus, daß sich die Elektronen gegen das Feld bewegen. Jetzt rufen

wir uns in Erinnerung, daß die effektive Masse der Elektronen me* an der Bandgrenze, an der

das Loch angesiedelt ist, negativ ist.

me∗ < 0

Statt Elektronen mit negativer Masse zu betrachten, kann man also positive geladene Teilchen

mit positiver Masse nehmen und erhält den gleichen Effekt. Löcher mit mp* =-me* und

ep = -ee verhalten sich also bei Anwendung äußerer Kräfte wie positive Ladungsträger.

b) Grundsubstanzen für Halbleiter

Halbleiter sind die Elemente der vierten Gruppe des Periodensystems (bis auf C).

Si, Ge, αSn

Sie bilden alle ein Diamantgitter mit kovalenter Bindung. Dabei hat jedes Atom vier auf den

Ecken eines Tetraeders angeordnete Nachbarn der gleichen Atomsorte. Daneben gibt es Ver-

bindungen von Elementen aus zwei Gruppen des Periodensystems, deren Gruppennummern

sich auf 8 ergänzen, z.B.

III - V Verbindungen GaAs, GaP, InAs

II - VI Verbindungen CdS, ZnS

Diese bilden ein dem Diamantgitter ähnliches Gitter. Der Unterschied besteht darin, daß jedes

Atom von vier Atomen der anderen Sorte umgeben ist. Die kovalenten Bindungen aus zwei

Elektronen geben relativ leicht ein Elektron ab. Dies bewirkt, daß die Bandlücke zwischen Va-

lenz- und Leitungsband relativ klein ist.

Die oben besprochenen Halbleiter sind reine Halbleiter. Daneben sind von besonderer Bedeu-

tung die dotierten Halbleiter, d.h. Halbleiter, denen eine geringe Menge von Fremdatomen

125

beigemischt ist. Als Grundsubstanz verwendet man meist Silizium oder Germanium mit 4 Va-

lenz- elektronen. Als Dotierung werden entweder Elemente der fünften oder der dritten

Hauptgruppe hinzugefügt.

Abb. 145: Donatoren undAkzeptoren

Elemente der 5. Hauptgruppe, wie As, P haben ein Elektron mehr als für den Einbau in das

Gitter erforderlich ist. Daher geben sie leicht ein Elektron ab, das dann im Leitungsband zur

Verfügung steht. Man nennt sie daher Donatoren. Im Bänderschema (Abb. 145) besetzen sie

Energiestufen dicht unter dem Leitungsband. Diese Substanzen sind daher n-Leiter.

Elemente der 3. Hauptgruppe haben ein Elektron zu wenig. Sie fangen daher Elektronen ein

und setzen Löcher frei. Man nennt sie Akzeptoren. Im Bänderschema besetzen sie Niveaus

dicht über dem Valenzband. Dotierung mit diesen Elementen (B, Al, Ga, In) erzeugt p-Leiter.

c) Der pn-Übergang

i.Das Kontaktpotential

Abb. 146: Verteilung der Ladungsdichte, der Feldstärkeund des Potentials in der Umgebung des pn- Übergangs

Die Grenzfläche zwischen einem p- und einem n-Leiter (die Junction) bildet eine Diode. Da

hier die Konzentrationen von Elektronen bzw. Löchern einen starken Gradienten aufweisen,

diffundieren die Ladungsträger in das Nachbarmaterial. Dadurch lädt sich dieses in der Nähe

der Grenzfläche auf. Es entsteht eine elektrische Doppelschicht mit einem elektrischen Feld

E = 1ε ∫ ρeldx (wegen divE =

ρel

ε )

126

und einer Potentialdifferenz

U = ∫ Edx (wegen E = −gradU )

Die Potentialverteilung bildet eine Stufe der Höhe VK. VK ist das Kontaktpotential.

ii.Kennlinie des pn-Übergangs

An der Grenzfläche fließen Elektronen- und Löcherströme in beiden Richtungen. Ohne Anle-

gen einer äußeren Spannung halten sich diese Ströme das Gleichgewicht, so daß kein Ge-

samtstrom fließt. Bei Anlegen einer äußeren Spannung reagieren die Ströme unterschiedlich.

Es entsteht daher ein Nettostrom. Betrachtet man z.B. die Wirkung einer extremen Spannung

auf die Löcher, so ist klar, daß bei einer Polung derart, daß am p Halbleiter das positive Poten-

tial liegt, die große Anzahl der positiven Ladungsträger in p zur Verfügung steht, während bei

einer umgekehrten Polung nur die positiven Ladungsträger von n nach p fließen können, die

thermisch angeregt werden. Für die Elektronen liegen die Verhältnisse umgekehrt.

Abb. 147: Vorzeichenfestlegung

Exemplarisch betrachten wir die Verhältnisse für die Löcher. In Abb. 147 sind die Vorzeichen

festgelegt. Von n nach p fließt ein Löcherstrom, der durch die thermisch im n-Leiter generier-

ten Elektronen-Loch-Paare aufrechterhalten wird. Seine Größe ist durch den Erzeugungsme-

chanismus vorgegeben und wird daher nicht durch U0 beeinflußt. Man nennt ihn thermischen

Löcherstrom oder Generatorstrom:

Ipg = Ip0

Ihm entgegen von p nach n fließt der sogenannte Rekombinationsstrom Ipr. Ohne äußere Span-

nung fließt kein Nettostrom, d.h. Ipr = Ip0. Bei einer genügend großen Spannung in Sperrich-

tung, U0 < 0 wird Ipr vollständig unterdrückt.

Abb.148: Anteil der Teilchen, die die Potentialschwelle zu-sätzlich überwinden können

127

Es fließt daher ein Löcherstrom Ip0 . Ip0 ist der Sättigungsstrom in Sperrichtung. Bei einer Po-

lung in Durchlaßrichtung U0 > 0 bleibt der Generatorstrom Ipg =Ip0. Der Rekombinati-

onsstrom erhöht sich, da die Potentialschwelle durch die außen angelegte Spannung erniedrigt

wird. Da der Mechanismus der Kontaktspannungserzeugung eine Spannungsquelle darstellt,

hat man im Ersatzschaltbild eine Hintereinanderschaltung der Spannungsquellen, die U0 und VK

erzeugen. Das zu überwindende Potential ist dann VK - U0 und der Anteil der Teilchen, die zu-

sätzlich die Potentialschwelle überwinden können ist

Abb. 149: Potentialverhältnisse an der Kontaktstelle

Ipr

Ip0=

eVK

e(VK−U0)∫ ⋅f(E)dl

V∫ f(E)dE

=

eVK

e(VK−U0)∫ f(E)dl

eV∫ f(E)dE

Für f(E) muß die Fermi-Verteilung eingesetzt werden. Für ergibt sich dannU0

kT>> 1

Ipr

Ip0= eU0/kT

Der Gesamtstrom ist dann

Ip = Ipr − Ip0 = Ip0(eeU0/kT − 1)

Ein entsprechendes Ergebnis erhält man für die Elektronen

Ie = Ier − Ie0 = Ie0(eeU0/kT − 1)

Beide Anteile addieren sich zum Gesamtstrom, die beiden Sättigungsströme zum Gesamtsätti-

gungsstrom. Damit wird die Kennlinie

I = I0(eeU0/kT − 1)

128

Die Kennlinie wird durch eine e-Funktion beschrieben. Im logarithmischen Maßstab erhält man

eine Gerade. Im linearen Maßstab erscheint ein Knick, dessen Lage von der Skaleneinteilung

der I-Achse abhängt. (Silizium: 0,7 V, Ge: 0,4 V)

Abb.150: Die Kennlinie einer Diode

d) Der Bipolare Transistor

Der bipolare Transistor besteht aus zwei hintereinandergeschalteten Diodenstrecken. In

Abb. 151 ist ein npn-Transistor gezeichnet. Der Pfeil im Schaltsymbol kennzeichnet den Emit-

teranschluß, die Richtung des Pfeiles geht von p nach n. An dieser Richtung erkennt man auch

die normalen Polaritäten für die Anschlußspannungen. Einige elementare Eigenschaften des

Transistors lassen sich anhand des Bildes der gegeneinandergeschalteten Transistoren erklären.

Abb. 151: Der Bipolare Transistor

Z.B. erhält man einen einfachen Test der Funktionstüchtigkeit des Transistors, indem man die

drei möglichen Kombinationen von Anschlußpaaren mit einem Durchgangsprüfer auf Durch-

gang bzw. Sperrung prüft. Die Eingangsdiode zwischen Basis und Emitter hat eine

Abb. 152: Der Bipolare Transistor als Hintereinander-schaltung von zwei Dioden

Diodenkennlinie. Die wesentliche Wirkung eines Transistors ist die Stromverstärkung, d.h. es

ist Ic = BIB, wobei man in erster Näherung B als konstant ansehen darf. Daher ist die Ic/UBE

129

Abb. 153: Die Basis-Emitter Kennlinie

Kennlinie ebenfalls die Diodenkennlinie. Die Verstärkung geschieht über die Ladungsträger-

konzentration in der Basis. Sie läßt sich aus dem Dioden-Ersatzschaltbild natürlich nicht ablei-

ten. Man stellt sich vor, durch die Kollektor-Emitterspannung wird die Basis an Ladungsträ-

gern verarmt. Eine Injektion von wenig Ladungsträgern in die Basis erhöht die Leitfähigkeit

der Kollektor-Emitterstrecke beträchtlich, so daß man mit kleinen Steuerströmen einen Quer-

strom stark modulieren kann. Die Ausgangskennlinie zeigt ein ausgeprägtes Plateau, dessen

Steigung mit Ic zunimmt

.dIC

dUCE∼ IC

Man schreibt und nennt Uy die Early Spannung.dIC

dUCE= IC

Uy

Abb. 154: Das Ausgangskennlinienfeld

5. Die Wärmekapazität von Metallen

Wie wir aus der Wärmelehre wissen, gibt die Wärmekapazität den Zusammenhang zwischen

Wärmezufuhr ∆Q und Temperaturerhöhung ∆T an. Da Festkörper sich nicht sehr stark bei

Erwärmung ausdehnen, können wir von dem Unterschied von cp und cv absehen. Wegen der

Übersichtlichkeit betrachten wir ein Mol eines Stoffes. c ist dann die molare Wärmekapazität.

∆Q = c∆T

Klassisch erhält man aufgrund des Gleichverteilungssatzes für ein Atom im Festkörper mit drei

Freiheitsgraden der kinetischen und drei der potentiellen Energie

130

∆Q = 3NAkT

wobei NA die Avogadrozahl ist. NAk = R = 8,3J/Kmol führt zum Dulong Petitschen Gesetz,

c = 25 J/mol. Experimentell wird das Dulong Petitsche Gesetz bei hohen Temperaturen gut er-

füllt. Es bleiben zwei wesentliche Fragen klassisch nicht erklärbar.

Abb. 155: Die Wärmekapazität eines Festkörpers in derNähe des absoluten Nullpunkts

i.Warum tragen die Leitungselektronen nicht zur Wärmekapazität bei?

ii.Warum geht für alle Metalle c(T) ? → 0 bei T → 0

Experimentell folgt c bei kleinen Temperaturen einem Gesetz c ~ T³.

Abb. 156: Warum die Elektronen praktisch nicht zurWärmekapazität beitragen

Der geringe Beitrag der Elektronen liegt daran, daß für sie die Fermiverteilung gilt. Der Anteil

der angeregten Elektronen zu allen des Bandes ist dabei etwa . Dieses Verhältnis ist fürkT/εF

die meisten Metalle sehr klein. Im Gegensatz zur klassischen Wärmelehre, bei der jedes Teil-

chen einen gleichen Teil der thermischen Energie bekommt, sind hier nur sehr wenig betroffen.

Die übrigen finden keinen freien Energiezustand, auf den sie angeregt werden können.

Das Absinken von c bei Annäherung an den absoluten Nullpunkt erklärte zuerst Einstein. Er

zählte die möglichen Energien der Gitterschwingungen nach der Einstein-Bose Statistik ab.

Danach erhält man als mittlere Energie einer Oszillation

(1)⟨E(ω)⟩ = hωehω/kT − 1

Als Gesamtenergie

Eges = 3NAhω

hω/kT −

und damit

131

c = dEdT

= 3R

hωkT

2ehω/kT

ehω/kT − 1

2

ω ist hierin als freier Parameter aufzufassen. Einsteins Formel gibt die Tatsache, daß für

geht, korrekt wieder, kann jedoch den genauen funktionalen Verlauf nicht erklä-T → 0 c → 0

ren. Der Grund liegt darin, daß die Oszillationen als unabhängig voneinander betrachtet

wurden.

Debye verbesserte die Einsteinsche Theorie, indem er die kollektiven Effekte berücksichtigte.

Nach Debye geht man von der gleichen mittleren Energie der Oszillatoren aus wie Einstein-

Gl. (1). Bei der Aufsummierung berücksichtigt man aber die Zustandsdichte g(ω)

E =ω0

∫ ⟨E(ω)⟩ ⋅ g(ω)dω

wobei man g(ω) als die Anzahl der Moden im räumlich begrenzten Festkörper wie bei der Ab-

leitung des Rayleigh-Jeans Gesetzes abzählt. Als Ergebnis erhält er

c = 9R

IθD

3 θD/T

∫ x4ex

(ex − 1)2dx

Die Debye-Temperatur θD kann als freier Parameter aufgefaßt werden. Sie gibt größenord-

nungsmäßig die Grenze für die Gültigkeit des Dulong-Petitschen Gesetzes an.

132

KAPITEL I

Moleküle

1. Einleitung

a) Das Molekül als Addition einzelner Atome

Die Eigenschaften eines zweiatomigen Moleküls, z.B. seine Energiezustände, kann man zu er-

mitteln versuchen, indem man von den Eigenschaften zweier einzelner Atome ausgeht, und die

Atome bis auf den Gleichgewichtszustand im Molekül r = r0 nähert. Man kann auch von der

Situation ausgehen, bei der der Abstand der Kerne r = 0 ist. Die Elektronen umkreisen dann

gemeinsam einen Kern, der aus den beiden Einzelatomen besteht. Im Falle der Synthese eines

H2-Moleküls hätte man bei r = 0 einen zweifach positiv geladenen Kern, d.h. die Terme wür-

den bis auf Abweichungen, die durch die unterschiedliche Kernmasse hervorgerufen werden,

die des He-Atoms sein. Im Zwischengebiet hat man das Verhalten einzelner Atome in einem

Störfeld, d.h. eine Aufspaltung, Verschiebung und Verbreiterung der Terme.

Gegenüber dem Verhalten einzelner Atome treten folgende Effekte zusätzlich auf:

Vibration der Kerne

Rotation der Kerne

b) Gerade und ungerade Wellenfunktion

Wenn das Potential der Elektronen symmetrisch zum Schwerpunkt des Systems ist - wie bei

einem Kern aus 2 gleichen Partnern - muß die Aufenthaltswahrscheinlichkeit und damit |ψ(r)|2

symmetrisch sein

|ψ(r)|2 = |ψ(-r)|2

Hierfür gibt es zwei Möglichkeiten:

ψ(r) = ψ(-r), gerade Parität (P = ±1)

ψ(r) = −ψ(-r), ungerade Parität (P = -1)

Im Rahmen des Formalismus der Quantenmechanik kann man sagen, der Paritätsoperator P

vertauscht r mit -r. P = ±1 ist dann der Eigenwert des Paritätsoperators bei gerader Parität

der Eigenfunktion (P = -1 bei ungerader). Ein System mit symmetrischem Potential hat im-

mer eine definierte Parität.

Im Molekül kann ψ des Kernes eine bestimmte Parität besitzen. Man unterscheidet dann ψs

(symmetrisch) und ψa (antisymmetrisch); bei ψ des Elektrons unterscheidet man zwischen ψg

(gerade) und ψu (ungerade).

133

Harald Schüler

Bei der Gesamtwellenfunktion spricht man dann von ψ+ (gerade) und ψ− (ungerade), wobei die

drei Paritäten voneinander abhängen. Man kann aus den Wellenfunktionen der einzelnen Ato-

me A und B für das Elektron

eine gerade Gesamtwellenfunktion ψg = ψA(r) + ψB(-r)

oder eine ungerade ψu = ψA(r) - ψB(-r)

konstruieren.

Abb. 157: Bei symmetrischerm Potential ist die

Wellenfunktion symmetrisch oder antisymmetrisch

Man erkennt, daß die ungerade im Symmetriezentrum Null ist, so daß hier die Aufenthalts-

wahrscheinlichkeit des Elektrons verschwindet. Da ein Elektron zwischen zwei positiven Ker-

nen deren Bindung fördert, sind ungerade Zustände häufig nicht bindend. Dies spiegelt sich in

der Form des Potentials wider (Abb. 158)

Abb. 158: Die symmetrische Wellenfunktion hat ein Po-

tential mit einem Minimum, ist also bindend, die antisym-

metrische ist nicht bindend.

2. Elektronenspektrum des zweiatomigen Moleküls

Da man sich das zweiatomige Molekül als hervorgegangen aus zwei Einzelatomen vorstellen

kann, ergeben sich für die Elektronen ähnliche Quantenzahlen wie für ein Einzelatom. Da die

Molekülachse eine ausgezeichnete Richtung darstellt, ist die Projektion des Drehimpulses auf

diese Achse eine wichtige Quantenzahl.

Der Satz der Quantenzahlen besteht also aus:

n: numeriert die Elektronenschale

λ = lz: Drehimpuls in Richtung der Molekülachse (l:Bahndrehimpuls ( l < n - 1) )

λ = 0, + 1, + 2, ...+ l wie beim Starkeffekt

134

Bei mehreren Elektronen muß man die unterschiedlichen Hundschen Kopplungsfälle

unterscheiden. Wir betrachten eine Kopplung analog zur LS-Kopplung im Atom:

Λ = Σ λ i . Je nach Größe von Λ unterscheidet man zwischen Σ( Λ= 0); Π(Λ = 1);

∆(Λ = 2); Φ(Λ = 3); ....Termen analog zu den S, P, D, F Termen im Atom.

S: Spin

Ω: Gesamtdrehimpuls Ω = Λ + S

Man addiert Λ und S vektoriell, so daß die Projektionen des Summenvektors Ω auf die

Λ-Richtung ganzzahlige Differenzen aufweisen. Die Projektion von S auf die Λ-Richtung, Σ

hat dann auch ganzzahlige Differenzen.

Abb. 159: Das Vektorgerüst beim Hundschen Kopplungsfall A

Die Multiplizität eines Terms ist also wie bei Atomen durch 2S + 1 gegeben. Interkombinati-

onslinien zwischen Termen mit unterschiedlicher Multiplizität sind wie bei Atomen bei leichten

Molekülen verboten; im übrigen gilt die Auswahlregel:

∆Λ = 0, + 1

3. Vibrationsspektrum

a) Potential

Das Potential des einen Kerns im Feld des anderen hat qualitativ das in Abb.160 skizzierte Po-

tential. Bei kleinen r sorgt der Steile Anstieg für die abstoßenden Kräfte. Beim Minimum liegt

der Gleichgewichtsabstand r = r0. Die Potentialdifferenz von hier bis zum asymptotischen

Wert bei r → ∞ ist die Dissoziationsenergie. Für Moleküle aus gleichartigen Partnern kann

man V(r) häufig gut durch das Morse Potential annähern

Abb. 160: Das Morsepotential

135

V(r) = Wel + D(1 - e−a(r−r0)2)

Wel ist die elektronische Energie, a ein Maß für die rücktreibende Kraft der Bindung. Bei Io-

nenbindung ergibt

V(r) = − e2

4πε0r+ b

r9

eine bessere Approximation.

b) Reines Vibrationsspektrum

Abb. 161: In erster Näherung ist das Vibrationsspektrum

das des harmonischen Oszillators

In der Umgebung der Gleichgewichtslage läßt sich V(r) durch eine Parabel annähern. Man er-

hält die äquidistanten Energieniveaus des harmonischen Oszillators. Mitnahme von Termen

höherer Ordnung bei dieser Entwicklung führt zu Energiewerten mit sinkendem Abstand bei

steigender Energie:

Wvib = hω0 v + 1

2 +

hω0

2

4D v + 1

2

2

+ ....

wobei der erste Term der Beitrag des harmonischen Oszillators ist. V ist die Vibrationsquan-

tenzahl. ∆v kann ganzzahlige Werte

∆v = + 1; + 2; + 3; ....

annehmen, wobei Linien, die Übergängen mit größerem ∆v entsprechen, immer schwächer

werden. Das Vibrationsspektrum wiederholt sich mit schwächerer Intensität bei Vielfachen der

Grundfrequenz. Das Spektrum gestattet die Ermittlung der Bindungskraft. Die Vibrationster-

me sind bei Zimmertemperatur normalerweise nicht thermisch angeregt. Bei Anregung strahlen

die Moleküle nur elektromagnetische Strahlung aus, wenn das Atom ein permanentes

136

Dipolmoment besitzt, d.h. N2, H2 ... besitzen kein Vibrationsspektrum, ebenso kein Rotations-

spektrum. Man sagt, sie sind nicht infrarotaktiv.

4. Rotationsspektrum

a) Energien

Der Drehimpuls L ist klassisch gegeben durch

L = Iω

(I ist das Trägheitsmoment bezüglich des Schwerpunktes). Führt man die üblichen Quantenbe-

dingung ein

|L| = |J| = ,J(J + 1) ⋅ h/

so erhält man für die Rotationsniveaus

Wrot = L2

2I=

h/ 2

2I J(J + 1)..

mit einem Abstand

∆Wrot = h/ 2

2I[(J(J + 1) − (J − 1)J] = h/ 2

IJ

Die Energien nehmen quadratisch mit J zu. Bei einer Auswahlregel für das Rotationsspektrum

∆J = + 1

sind die Linienabstände in erster Näherung äquidistant. Durch die Zentrifugalkraft ändert sich

der Abstand.

Abb. 162: Termschema und Spektrum

von Rotationsübergängen

137

b) Intensitäten

Die Intensitäten innerhalb einer Rotationsbande sind gegeben durch die Übergangswahrschein-

lichkeiten A12 zwischen oberem und unterem Niveau und die Besetzungsdichte des oberen Ni-

veaus N1.

I12 = hνg · N2 A12

wobei g = 2J + 1 das statistische Gewicht des oberen Terms ist. Wenn die Moleküle ther-

misch angeregt sind, gilt die Boltzmannverteilung

N2 = N0 e-E/kT

Daher hat man

I ~ (2J + 1)e-BJ(J+1)/kT ~ x e-x²

mit einem charakteristischen Maximum, dessen Lage von der Temperatur abhängt. Durch An-

passen der gemessenen Intensitätskurve läßt sich die Temperatur bestimmen.

Abb. 163: Die Intensitätsverteilung in einer

Rotationsbande

5. Gemischte Spektren

a) Vibration- elektronisches Spektrum

Wenn während einer Vibration ein elektronischer Übergang stattfindet, addiert sich zu der

Energiedifferenz der beiden elektronischen Zustände die Energiedifferenz der

Vibrationszustände:

138

Wges = Wel + Wvib

Da ∆Wvib << ∆Wel, beobachtet man das Vibrationsspektrum in unmittelbarer Umgebung der

ungestörten Linie des elektronischen Übergangs. Da der elektronische Übergang mit einer

Ausstrahlung von Licht verbunden ist, läßt sich jetzt auch das Vibrationsspektrum von Mole-

külen ohne permanentes Dipolmoment wie H2, N2, O2 beobachten. Ein besonderer Vorteil liegt

darin, daß es häufig im sichtbaren Spektralbereich liegt, der technisch einfacher beherrschbar

ist.

Eine ähnliche Transformation eines IR-Spektrums im Sichtbaren ist durch einen Streuprozeß

möglich. Man strahlt in ein Gas, regt dabei Vibrationszustände an und beobachtet in der Streu-

strahlung in unmittelbarer Umgebung der Frequenz der eingestrahlten Welle das Vibrations-

spektrum. Dieser Prozeß heißt Ramanstreuung.

Abb. 164: Die Potentialkurve für die Kerne

ändert ihre Form bei elektronischer

Anregung

Die elektronische Anregung kann die Form der Potentialkurve V(r) belassen. Sie ist dann bin-

dungsneutral und Rydbergserien sind möglich (Abb. 164a). Häufig wird die Bindung durch die

Anregung zerstört (Abb. 164b). Bei einigen Molekülen wie Edelgas-Halegonid Molekülen

wird Bindung erst bei Anregung möglich. Solche Stoffe heißen Exzimere. Sie haben eine Be-

deutung als Lasermedium.

b) Andere gemischte Spektren

Neben Vibrations-elektronischen Spektren gibt es auch Rotations-Vibrations- und Rotations-

Vibrations-elektronische Spektren. In diesem Fall spaltet eine elektronische Linie in eine Reihe

von Linien auf, die unterschiedlichen Vibrationsübergängen entsprechen und jede Vibrationsli-

nie in eine Reihe äquidistanter Rotationslinien.

139

Diese liegen im sichtbaren Bereich häufig so dicht, daß der Eindruck eines kontinuierlichen

Bandes mit einer charakteristischen Abschattung entsteht. Man spricht von einem

Bandenspektrum.

140

KAPITEL J

Kerne

1. Kernstruktur

a) Experimentelle Tatsachen

i.Die stabilen Elemente

Wir wollen uns im folgenden ein Bild über den Aufbau von Atomkernen machen, d.h. ein gro-

bes Modell, das die wesentlichen Beobachtungstatsachen wiedergibt. Diese Beobachtungen

können auf ausgefeilten Messungen, z.B. der Massendichteverteilung im Kern, beruhen oder

auf allgemeinen Beobachtungen wie der Häufigkeit der Elemente im Weltall.

Abb. 165: Leichte Elemente enthalten etwa gleich viele

Neutronen wie Protronen

Ordnet man alle bekannten Elemente nach ihrer Anzahl von Protonen Z und Neutronen N, so

stellt man fest, daß es zu den meisten Elementen mit bestimmten Z mehrere Isotope, d.h. Ele-

mente mit unterschiedlichem N und gleichem Z gibt. Die stabilen Isotope liegen auf einer Kur-

ve im NZ-Diagramm (Abb. 165), die bei kleinem Z der Geraden N = Z folgt, bei großen Z von

dieser zu größerem N hin abweicht. Denken wir uns als dritte Koordinate die Masse der Teil-

chen aufgetragen, so wird man ein Gebirge erhalten mit einem Tal an der Stelle, wo die stabi-

len Elemente angesiedelt sind, da diese Zustände mit möglichst kleiner Energie, d.h. wegen

E = mc² kleiner Masse einnehmen werden. Wir würden den Verlauf der Rinne der stabilen Iso-

tope gerne verstehen.

Abb. 166: Der Kernradius läßt sich über die Verteilung der Ladungs-

dichte im Kern definieren

ii.Kernradius

Durch Streuexperimente mit geladenen Teilchen läßt sich die Ladungsdichteverteilung, mit un-

geladenen Teilchen die Massendichteverteilung im Kern bestimmen.

141

Harald Schüler

Beide sind leicht unterschiedlich. Definiert man den Kernradius als die Halbwertbreite dieser

Verteilung, so erhält man in Abhängigkeit von der atomaren Massenzahl A

,R = r0A1/3

und zwar ist r0 aus der Massendichteverteilung

r0 = 1, 4 ⋅ 10−15m

aus der Ladungsdichte

r0 = 1, 2 ⋅ 10−15m

iii.Dichte der Kernmaterie

Die Dichte der Kernmaterie

ρ = mV

=Amp

4π3 R3

ist also unabhängig von A. Mit obigen Werten und erhält manmp = 1, 6 ⋅ 10−27kg

ρ = 1, 5 ⋅ 1018kg/m3

Dies ist etwa die Dichte von Neutronensternen.

Abb. 167: Das Potential der Kernkräfte

Die konstante Dichte impliziert, daß sich die Materie praktisch nicht zusammendrücken läßt.

Daher muß das Potential der Kernkräfte ähnlich wie bei Molekülen einen steilen Anstieg für

besitzen. r → 0

iv.Drehimpuls

Die Kerne haben einen Drehimpuls, den man aus historischen Gründen Kernspin nennt. Er

kann über die Hyperfeinstruktur der Spektrallinien des Atoms gemessen werden.

142

Wie für die Drehimpulse im Atom, gilt für den Zusammenhang zwischen Betrag des Drehim-

pulses und der Drehimpulsquantenzahl

I = I(I + 1) h/

Es zeigt sich, daß I ganzzahlig ist, wenn A gerade ist (Beispiel und halbzahlig, wenn24He, 6

12C)A eine ungerade Zahl ist, wie bei Wir erwarten dies, wenn die Nukleonen einen Spin1

1H, 23He.

I = 1/2 besitzen. Wir bemerken, daß Kerne also entweder Bosonen oder Fermionen sein kön-

nen und daher unterschiedliche Statisken befolgen. Klassifiziert man die Kerne danach, ob sie

eine gerade (g) oder ungerade Anzahl (u) von Protonen bzw. Neutronen enthalten, so ist der

Kernspin

I = 0 für (g, g)-Kerne

I = 1/2 für (g, u) und (u, g)-Kerne

Bei (u, u)-Kernen kommen alle möglichen Werte vor, z.B. bei dem (u, u)-Kern

71176Lu ist I = 7

Dieses Verhalten verstehen wir, wenn sich Nukleonen bevorzugt zu Paaren mit entgegenge-

setztem Spin anordnen. Bei (g, g)-Kernen sind dann alle Spins abgesättigt und der Kern ist be-

sonders stabil. Dies ist der Grund dafür, daß schwer spaltbar ist. Man verbrennt daher in92238U

einem Kernreaktor das sehr viel einfacher spaltbare , das einen (g, u)-Kern besitzt92235U

v. Magnetisches Dipolmoment

Ähnlich wie bei den Elektronen der Hülle ist mit dem Drehimpuls des Kerns über ein gyroma-

gnetisches Verhältnis ein magnetisches Moment verknüpft. Man mißt es z.B. mit der Kern-

spinresonanzmethode nach Rabi (Isidor Rabi, 1898 - ...).

Abb. 168: Kernspinreso-

nanz nach Rabi

Das Prinzip ist in Abb. 168 skizziert. Man polarisiert in einem inhomogenen Magnetfeld die zu

untersuchenden Atome, die als Strahl das Magnetfeld durchqueren und setzt sie dann einem

Hochfrequenzfeld aus, das bei Resonanz in der Lage ist, Spins umzuklappen.

Den so präparierten Atomstrahl untersucht man mit einem weiteren inhomogenen Magnetfeld,

das die Funktion eines Analysators hat. Durch Registrierung des Stroms in Abhängigkeit von

143

der angewandten Hochfrequenz läßt sich die Resonanzfrequenz und damit das magnetische

Moment ermitteln. Man bezieht das magnetische Moment auf ein Kernmagneton

Abb. 169: Detektorsignal in Abhängigkeit von der

Frequenz

µN = eh/2mp

Die z-Komponente bezüglich einer vorgegebenen Richtung ist dann

Mz = mIµµN

Es stellt sich heraus, daß für das Proton . (Da sich Neu-µp = 2, 79 fur das Neutron µn = −1, 91

tronen schwer kollimieren lassen, wurde µn erstmalig über einen Streuversuch bestimmt, bei

dem der Wirkungsquerschnitt von der Polarisation der Neutronen abhängt.) Aus dem Vorhan-

densein eines von Null verschiedenen magnetischen Momentes bei dem neutralen Neutron

schließt man, daß das Neutron aus geladenen Teilchen zusammengesetzt ist.

Eine andere Kerneigenschaft, die eine Aussage über die Struktur des Kernes erlaubt, ist das

elektrische Quadrupolmoment. Auf dieses wollen wir hier nicht weiter eingehen.

vi.Die Bindungsenergie

Die Bindungsenergie läßt sich über die Masse der Kerne recht genau messen. Baut man aus ei-

nem Proton der Masse mP und einem Neutron der Masse mN ein Deuteron auf, so tritt zu der

Gesamtenergie bei großem Abstand (mP + mN)c² noch kinetische und potentielle Energie hin-

zu. Da ein Deuteron stabil ist, muß Epot +Ekin negativ sein. Man definiert daher die

Bindungsenergie

EB = −(Epot + Ekin)

oder allgemein EB = (ZmP + NmN − mges)c2

Abb. 170: Die experimentellen Werte der Bindungse-

nergie pro Nukleon

144

Die experimentellen Ergebnisse sind in Abb. 170 zusammengefaßt. Man erhält für die Bin-

dungsenergie pro Nukleon eine Kurve mit einem schnellen Anstieg bei kleinen Atommassen

und einem langsam abfallenden Plateau bei etwa 8 MeV. Man kann die wesentlichen Charakte-

ristika dieser Kurve über die Physik eines Flüssigkeitstropfens verstehen, indem man davon

ausgeht, daß man unabhängig davon, welcher funktionalen Abhängigkeit Kernkräfte folgen,

einen Volumen- und einen Oberflächeneffekt hat.

b) Kernmodelle

i.Tröpfchenmodell

Eine vollständige Beschreibung der Bindungsenergie pro Nukleon ist möglich, wenn man au-

ßerdem die abstoßenden Kräfte der Ladungen, die kinetische Energie des Fermigases der Nu-

kleonen und die Paarungsenergie berücksichtigt. Das Tröpfchenmodell stammt von C.F. v.

Weizsäcker (Carl Friedrich v. Weizsäcker, 1912-...). Man drückt die einzelnen Beiträge durch

A, Z und freie Parameter ai aus, die man an die Meßwerte anpaßt. Im einzelnen berücksichtigt

man

α) Die Kondensationswärme, proportional zum Volumen und damit

EK ∼ r3 = a1A

β) Die Oberflächenspannung

Abb. 171: Kondensationswärme

und Oberflächenenergie

Partikel an der Oberfläche tragen weniger zur Bindungsenergie bei. Man erhält also einen

negativen Term, der proportional zur Oberfläche des Kerns ist

E0 ∼ r2 = −a2A2/3

Diese beiden Terme beschreiben die Physik eines Wassertropfens. Die Tatsache, daß Tröpf-

chen z.B. in einer Wolke das Bestreben haben, anzuwachsen, ist darauf zurückzuführen,

daß aufgrund des günstigeren Verhältnisses von Oberfläche zu Volumen der größere Trop-

fen pro Volumenelement die kleinere Energie besitzt. Aus dem gleichen Grund wird bei der

Fusion leichter Elemente Energie frei.

145

γ) Die Coluombabstoßung

Ein Kern besteht aus Protonen und Neutronen, wobei sich die Protonen aufgrund ihrer glei-

chen Ladung abstoßen. Dies führt ebenfalls zu einer Verringerung der Bindungsenergie.

Die Energie einer mit der Ladung Ze geladenen Kugel vom Radius r ergibt sich zu

Ec ∼ Z2

r = a3Z2 11/3

Dieser Term verursacht den Abfall der Bindungsenergie zu großen Ordnungszahlen hin. In

der Kernphysik ermöglicht er die Gewinnung von Energie durch Spaltung.

Abb. 172: Kondensationswärme Oberflächenenergie

und elektrostatische Abstoßung

δ) Die kinetische Energie der Nukleonen

Die Existenz der Rinne der stabilen Isotope bei etwa Z N zeigt, daß ein Term existieren≈muß, der dafür sorgt, daß möglichst gleich viel Protonen wie Neutronen im Kern vertreten

sind. Man gewinnt ihn aus einer Betrachtung der kinetischen Energie der Nukleonen. Für

diese gilt die Fermistatistik. Wir schätzen die kinetische Energie einer Nukleonensorte, z.B.

Abb. 173: Auch die Nukleonen füllen den Potentialtopf

bis zur Fermienergie

der Protonen über die Fermienergie ab. Hierfür übernehmen wir den Ausdruck aus dem vo-

rigen Kapitel und setzen für εF = (3π2n0)2/3 h/ 2

2mPn0 = Z

V∼ Z

A

⟨E /⟩ ∼ ε F ∼ Z2/3

2/3

Die Energie von Z Protonen ist dann

E = Z⟨E /⟩ ∼ Z5/3

2/3

146

Schreibt man zur Abkürzung δ = N − Z

dann wird mit A = N + Z

durch Addition bzw. Subtraktion beider Gleichungen

N = 12

(A + δ) = A2

1 + δ

A

Z = 12

(A − δ) = A2

1 − δ

A

und die Energie beider Teilchensorten

E ∼ Z5/3 + N5/3

A2/3∼ A

1 + δ

A

5/3

+ 1 − δ

A

5/3

Wir fassen als klein auf und entwickeln bis zur 2. Ordnungδ/A

E ∼ A 1 + 5

3δA

+ 59

δA

2

+ ... + 1 − 53

δA

+ 59

δA

2

+ ...

E = a1∗ A − a4(N − Z)2/A

Den ersten Term kann man zur Kondensationswärme zuschlagen, indem man den freien Pa-

rameter umbenennt. Der 2. Term sorgt dafür, daß im Kern möglichst N und Z gleich sind,

da dann die Bindungsenergie am größten ist. Bei Kernen mit vielen Protonen wird die Bin-

dungsenergie größer, wenn Z kleiner als N ist, da dann die Coulombabstoßung um einen

größeren Betrag verringert wird als (N - Z)² zunimmt.

ε) Paarungsenergie

Mit diesem Term berücksichtigt man, daß (g,g)-Kerne besonders stabil, (u,u)-Kerne beson-

ders instabil sind.

Man schreibt

δ =a5A−3/4

0−a5A−3/4

fur (g, g)- Kernefur (g, u) und (u, g)-Kerne

fur (u, u)-Kerne

Der gesamte Ausdruck für die Bindungsenergie erhält damit die Form

EB = a1A − a2A2/3 − a3Z3A−1/3 − a4(N − Z)2A−1 ± δ(N, Z)

147

mit

a1 = 15,76 MeV

a2 = 17,81 MeV

a3 = 0,711 MeV

a4 = 23,7 MeV

a5 = 34 MeV

ai wurden durch Anpassen an die experimentellen Werte ermittelt. Auf diese Weise wird die

Bindungsenergie bis auf für sehr leichte Kerne sehr gut wiedergegeben.

ii.Das Schalenmodell

Eine quantenmechanische Rechnung ist sehr viel aufwendiger als in der Hülle, da

α) kein Zentralpotential vorliegt, (die Teilchen bewegen sich in dem Potential aller Teilchen)

Das mittlere Potential aller Teilchen wird häufig durch das YUKAWA Potential angenähert

Epot = E0e−r/r0

r

β) ein Vielteilchenproblem vorliegt, (während man in der Hülle von der Bewegung einzelner

Teilchen ausgehen kann und den Einfluß der übrigen Teilchen als Störung einführt, sind im

Kern die Einflüsse aller Teilchen etwa gleichwertig)

γ) die Bindungsenergien merkliche Bruchteile der Ruhemasse werden.

Abb. 174: Energieniveaus der Nukleonen im Kern

Man versucht allerdings eine Einteilchenbeschreibung wie in der Hülle, indem man davon aus-

geht, daß jeweils nur ein Teilchen angeregt wird. Für das Potential setzt man das mittlere Po-

tential, das alle Teilchen erzeugen, an. Man kann dann mit einigem mathematischen Aufwand

Energiezustände ausrechnen (s. Abb. 166), die Protonen bzw. Neutronen einnehmen können.

Diese Zustände werden unter Einhaltung des Pauliprinzips nacheinander besetzt. Niveaus, über

denen sich eine größere Energielücke befindet, sind besonders stabil und entsprechen den

148

gefüllten Schalen in der Atomhülle. Dies ist der Fall, wenn Z oder N eine der sogenannten ma-

gischen Zahlen 8, 20, 28, 50, 82, 126 annimmt. Eine volle Schale macht sich in der Energie

des ersten angeregten Niveaus bemerkbar, die man aus dem Energiespektrum der

Gammastrahlung angeregter Elemente ermitteln kann. Auch erhält man bei magischen Zahlen

besonders kleine Einfangsquerschnitte für Neutronen sowie eine besonders große Anzahl von

Isotopen.

2. Kernprozesse

a) Einleitung

i.Radioaktivität

Jahrhundertelang haben Alchemisten versucht, Gold herzustellen, bis sich am Anfang des vori-

gen Jahrhunderts herauskristallisierte, daß es für bestimmte Stoffe, die Elemente, prinzipiell

keine Möglichkeit gibt, sie aus anderen Stoffen zu synthetisieren. Die Beobachtungen an der

Radioaktivität durch Becquerel und M. und P. Curie (Henri Bequerel, 1852-1908, Marie Cu-

rie, 1867 - 1934; Pierre Curie, 1859 - 1906) haben nun gezeigt, daß es doch möglich ist, Ele-

mente ineinander umzuwandeln. Heute werden Elemente im Reaktor oder mit Hilfe von Be-

schleunigern hergestellt, allerdings wohl kaum Gold, da es sehr viel wertvollere Isotope gibt.

Das folgende Unterkapitel beschäftigt sich mit dieser Kernchemie. Die zuerst entdeckten

Kernumwandlungen waren die radioaktiven Zerfälle, die spontan ablaufen. D.h. ein erdge-

schichtlicher oder astronomischer Prozeß hat einen Stoff mit einer Überschußenergie hinterlas-

sen, die er bei dem Zerfall abgibt. Man benennt die Zerfälle mit den historischen Bezeichnun-

gen α−, β−,γ−Zerfall.

Beim α-Zerfall wird ein He-Kern emittiert, wobei sich die Kernladungszahl um 2, die atomare

Massenzahl um 4 vermindert.

ZAX →Z−2

A−4 Y+24 He

Beim β−Zerfall werden Elektronen bzw. Positronen emittiert, wobei sich die Kernladungszahl

um eins erhöht bzw. vermindert.

ZAX →Z+1

A Y + e−

ZAX →Z−1

A Y + e+

Beim γ-Zerfall wird harte elektromagnetische Strahlung emittiert.

ii.Streuexperimente

149

Neben diesen natürlichen Kernumwandlungen gibt es künstliche Prozesse, bei denen Kerne mit

anderen Kernen genügender Energie beschossen werden. Dies kann an einem Beschleuniger

oder in einem Reaktor erfolgen, wobei zumeist leichte Partikel als Geschosse verwendet wer-

den. Heute gibt es auch Beschleuniger für schwere Ionen, z.B. an der GSI in Darmstadt.

Streuexperimente wurden bei der Rutherfordstreuung besprochen. Dort haben wir den klassi-

schen Streuquerschnitt für Streuung an einer Punktladung berechnet. Der quantenmechanische

Streuquerschnitt für das gleiche Problem ist der sogenannte Mottquerschnitt. Man interessiert

sich also bei elastischer Streuung mit geladenen Teilchen für den Unterschied zum

Mott-Querschnitt.

Bei inelastischer Streuung können angeregte Kerne hinterlassen werden oder Reaktionen statt-

finden. Die Reaktionen kennzeichnet man üblicherweise mit x(a,bc)y, wobei

x das Target, also die Zielscheibe,

a das Projektil, also das Geschoß,

bc die Ejektile, also leichte Reaktionsprodukte und

y der Restkern

ist.

b) Zerfallgesetz

Beim spontanen Zerfall zerfallen von N vorhandenen Kernen in der Zeit dt

dN = −λNdt

Hieraus ergibt sich das Zerfallsgesetz

(1)N = N0e−λt

wobei N0 die Teilchenzahl zur Zeit t = 0 und λ die Zerfallskonstante ist. Die Halbwertzeit T1/2,

d.h. die Zeit, bei der nur noch die Hälfte der zur Zeit t = 0 vorhandenen Teilchen übrig ist, er-

gibt sich dann als

T1/2 = ln 2λ

= 0, 7λ

Halbwertzeiten überdecken eine sehr große Zeitspannweite. 209Bi hat T1/2 = 1018a (Jahre), 8Be

hat T1/2 = 10-16s.

Die Aktivität a ist die Anzahl der Zerfälle pro Zeiteinheit. Man mißt sie in [a] = becquerel (bq)

(1bq ist ein Zerfall pro Sekunde.) Eine historische Einheit ist 1 Ci (Curie), wobei 1 Ci = 3,7

· 1010bq die Aktivität von 1g Radium ist.

150

Aus dem Zerfallsgesetz (Gl. 1) erhält man

a = −Nλe−λt = a0e−λt

Die Aktivität nimmt also mit der gleichen Zerfallskonstanten ab wie die Substanzmenge. Die

Halbwertzeit wird über die Abnahme der Aktivität gemessen.

Eine wichtige Anwendung des Zerfallsgesetzes ist die Altersbestimmung. Voraussetzung ist,

daß die Zusammensetzung, also etwa das Verhältnis radioaktiver Atome zu nicht radioaktiven

Atomen, zur Zeit der Ablagerung bekannt ist. Man wählt eine Substanz, deren Halbwertzeit

von der Größenordnung der zu bestimmenden Zeit ist. So verwendet man zur Ermittlung von

Datierungen historischer Ereignisse das Kohlenstoff-Isotop 14C mit einer Halbwertzeit von

5730 Jahren. Es wird fortlaufend in der oberen Atmosphäre durch Beschuß von 14N mit Elek-

tronen in Prozessen der Höhenstrahlung produziert. Man nimmt an, daß der heutige

Prozentsatz

12C14

= 1, 5 ⋅ 1012

in der Atmosphäre konstant bleibt und daß beim Einbau in Holz der Kohlenstoff dem Kreislauf

in der Atmosphäre entzogen wird, so daß jetzt die Konzentration von 14C nach dem Zerfallsge-

setz abnimmt Für geologische Zeiträume benutzt man z.B. 238U, von dem man annimmt, daß es

als reine Substanz abgelagert wurde und der Anteil von Blei, der bei dem Zerfall letztendlich

übrigbleibt, langsam anwächst.

c) Strahlungsübergänge

Gammastrahlen werden durch verschiedene Prozesse erzeugt. Es gibt hier eine gewisse Analo-

gie zu den Prozessen, die in Molekülen ablaufen. Man unterscheidet Anregung eines einzelnen

Nukleons, Anregung der kollektiven Rotation des gesamten Kerns und der Vibration eines

Kerns. Diese können analog gesehen werden zu elektronischen Niveaus, Rotations- und Vi-

brationsniveaus im Molekül. Wie im Molekül haben die Einzelteilchenanregungen die größten

Energien, hier im Bereich einiger MeV, die Rotationsniveaus die kleinsten Energien, hier einige

10keV.

Die Rotationsniveaus bestimmt man aus der Quantenbedingung für den Drehimpuls

, indem man die kinetische Energie durch den Drehimpuls ausdrücktL2 = h/ 2I(I + 1)I

Erot = L2/2J = h/ 2I(I + 1)/2J

151

wobei J das Trägheitsmoment des Kernes ist, das man also aus den Rotationsniveaus bestim-

men kann. Diese Formel sagt für gg-Kerne, die keine abgeschlossene Schalen haben, die Ener-

gien relativ richtig voraus. Meistens fallen die aus dem Spektrum gewonnenen Trägheitsmo-

mente kleiner aus als die aus den Kernradien und der Dichte der Kernmaterie gewonnenen.

Man folgert, daß der Kern nicht als starrer Körper rotiert, sondern eine differentielle Rotation

besitzt. Vibrationsniveaus lassen sich durch die Entwicklung der Oberflächenverformung nach

Kugelflächenfunktionen berechnen. Die Energien liegen zwischen denen der Rotations- und

der Einzelnukleonanregung.

d) α-Strahler

Abb. 175: Erklärung des Geiger - Nuttal Gesetzes

α-Strahler wandern im NZ-Diagramm der stabilen Elemente (Abb. 157) im wesentlichen ent-

lang der Rinne der stabilen Elemente. α-Zerfall ist also nur möglich, wenn hierbei genügend

Energie frei wird. Dies ist für schwere Elemente (A > 200) der Fall. Ein Beispiel für einen

α-Zerfall ist

92238U →90

234 Th+24 He

Der Heliumkern mit 2 Protonen und 2 Neutronen ist ein besonders stabiles Partikel und bildet

sich daher beim Zerfall bevorzugt. α-Strahlung hat eine scharf definierte Energie und damit ei-

ne einheitliche Reichweite. Dies liegt daran, daß α-Teilchen die Potentialbarriere des Kernpo-

tentials durchtunneln und daher außerhalb und innerhalb der Barriere die gleiche Energie besit-

zen. Da die Tunnelwahrscheinlichkeit sehr stark mit schmaler werdender Barrierebreite ab-

nimmt, tunneln praktisch nur die Teilchen, die an der Oberfläche des Fermi-Sees schwimmen.

Setzt man für α-Strahler eine gleiche Form des Potentialtopfes an, so erkennt man, daß für

Teilchen (und damit Strahlen) größerer Energie die Tunnelwahrscheinlichkeit zunimmt und

damit die Lebensdauer der Kerne abnimmt. Diese Tatsache wird in der Regel von Geiger und

Nuttal ausgedrückt

log T1/2 ∼ 1

152

Abb. 176: Beim ß-Zerfall nähern sich die Isotope der Tal-

sohle der Rinne der stabilen Elemente

e) β-Strahler

Da β-Strahler Elektronen oder Positronen aussenden, verändert sich die atomare Massenzahl

nicht durch den Prozeß. β-Strahler sind also solche Elemente, die an den Hängen der Rinne

der stabilen Elemente angesiedelt sind und das Bestreben haben, in das Tal zu fallen. Da sich

beim β-Zerfall die Zahl der Neutronen erniedrigt, liegen die β-Strahler an der rechten Hangsei-

te, die β+Strahler an der linken Hangseite. Eine typische β− Reaktion ist

614C →7

14 N + e−

eine β+-Reaktion

611C →5

11 N + e+

Das freie Neutron zerfällt nach der Reaktion

n → p + e−+−

νe

mit einer Halbwertzeit von 1000 s. Ob das Neutron im Kern zerfällt, hängt von der Energiebi-

lanz des gesamten Kerns ab. Hier kann ein Zerfall verboten sein oder in umgekehrter Richtung

ablaufen:

p + e− → n +νe

Das Proton fängt bei diesem Prozeß ein Elektron der K-Schale ein. Man spricht daher von K-

Einfang. Beispiel:

Abb. 177: Das Energiespektrum der Elektronen beim β

Zerfall ist kontinuierlich

153

(2)37A + e− →37 Cl +νe

Der β+-Zerfall tritt nach heutigem Wissen beim freien Proton nicht auf

p → n + e+ +νe

f) Das Neutrino

Das Spektrum der beim β-Zerfall emittierten Elektronen ist kontinuierlich. Dies ist schwer zu

verstehen, wenn es sich um ein Zweiteilchenproblem handelt, wie anfangs vermutet wurde.

Die freiwerdende Energie liegt nämlich durch die Bindungsenergie fest

∆E = (mp + me − mn)c2

Man kann daher durch Hinschreiben des Energie- und des Impulssatzes die Geschwindigkeiten

und damit die Energien von Elektron und Proton ausrechnen. Die Geschwindigkeiten müßten

also im Gegensatz zur experimentellen Beobachtung einen festen Wert haben.

Bei einem Dreikörperproblem ist durch den zusätzlichen freien Parameter ein kontinuierliches

Spektrum möglich. Daher wurde schon sehr früh von Pauli (Wolfgang Pauli, 1900 - 1958) und

Fermi (Enrico Fermi, 1901-1954) vermutet, daß beim β-Zerfall ein weiteres Teilchen beteiligt

ist. Dieses muß neutral sein, um die Ladungserhaltung beim β-Zerfall zu gewährleisten und

muß eine verschwindende Masse besitzen, da es sich in der Energiebilanz nicht bemerkbar

macht. Ein weiterer Vorteil für das Verständnis entsteht bei Vorhandensein eines weiteren

Teilchens dadurch, daß damit die Drehimpulsbilanz erfüllbar ist. Da n, p und e den Spin

s = 1/2 haben, muß auf beiden Seiten der Gleichung eine ungerade Zahl von Teilchen mit

Spin 1/2 sein. Man nennt das beim β-Zerfall auftretende Teilchen Antineutrino. Mit einem An-

tilepton ist gleichzeitig die Leptonenzahlerhaltung erfüllbar.

Heute weist man Neutrinos z.B. mit der Umkehrreaktion von Gl. (2) nach. Wegen der gerin-

gen Wechselwirkung der Neutrinos mit Materie wird nur ein verschwindender Bruchteil von

Neutrinos in einem Strahl nachgewiesen. Aktuelle Fragen in der Neutrinophysik sind die Frage

nach der Neutrinomasse, die für die Gesamtmasse des Universums wichtig ist und die Suche

nach den Neutrinos aus Fusionsprozessen in der Sonne.

154

g) Paritätsverletzung beim β-Zerfall

i.Was ist die Parität?

Abb. 178: Ist das System symmetrisch zu x = 0, so

muß auch die zugehörige Aufenthaltswahrscheinlich-

keit symmetrisch sein

Zwei identische Teilchen mit dem Abstand 2x haben ein Symmetriezentrum bei x = 0. Es muß

also gelten:

,ψ(x) 2 = ψ(−x) 2

da die Aufenthaltswahrscheinlichkeit die gleiche Symmetrie wie die Anordnung haben muß.

Diese Gleichung kann erfüllt werden für

ψ(x) = ψ(−x)

Die Wellenfunktion ist dann symmetrisch, und man sagt, sie hat eine gerade Parität, (p = +1)

oder

ψ(x) = −ψ(−x)

Die Wellenfunktion ist dann antisymmetrisch, und man sagt, hat eine ungerade Paritätψ(p = -1). Allgemein gilt, daß quantenmechanische Systeme eine definierte Parität besitzen.

ii.Helizität (Schraubensinn)

Einen Sonderfall für ein Verhalten mit ungerader Parität bietet die Schraube.

Abb. 179: verschiedene rechts-

und linkshändige Objekte

Weiß man, was ein Rechtsgewinde ist, so kann man die Helizität eines Koordinatensystems,

eines Kreisels oder die Rechtshändigkeit eines Menschen beschreiben. Durch Spiegelung geht

ein rechtshändiges System in ein linkshändiges über. Wie kann man einem Wesen auf einem

155

anderen Stern eine Rechtsschraube erklären? Es stellt sich heraus, daß Neutrinos linkshändig

sind, wenn man durch Impulsrichtung und Spinrichtung einen Umlaufsinn definiert. Man könn-

te sich also über ein Neutrinoexperiment über die Natur der Rechtshändigkeit verständigen.

Problematisch wird diese Frage, wenn man nicht weiß, ob der außerirdische Partner mit Anti-

materie experimentiert. Antineutrinos haben nämlich die umgekehrte Helizität von Neutrinos.

Vektorielle Größen verhalten sich unterschiedlich bei Spiegelung. Ortsvektoren und daraus ab-

geleitete Vektoren wie v und p haben ein Spiegelverhalten wie in Abb. 180 a dargestellt.

p /// = p //

Abb. 180: Wie sieht das Spiegelbild eines Magnetfeldes

aus?

p ⊥/ = −p ⊥

Vektoren mit diesem Verhalten heißen polare Vektoren. Ein Magnetfeld kann man sich durch

eine kreisende Ladung hergestellt denken. Da für v die Spiegeleigenschaften bekannt sind, er-

geben sich die von B (vorausgesetzt, die Ladung ändert nicht das Vorzeichen). Aus Abb. 172b

liest man ab, daß

B /// = −B //

B ⊥/ = B ⊥

Vektoren mit dem Spiegelverhalten von B heißen axiale Vektoren.

iii.Bedeutung der Paritätserhaltung

Es scheint vernünftig, anzunehmen, daß alle physikalischen Gesetze gegenüber Spiegelung

(oder vornehmer ausgedrückt: gegenüber einer Paritätsoperation, die r durch -r ersetzt), inva-

riant sind, d.h. daß sie genauso möglich sind wie ihre gespiegelten Prozesse. Diese Aussage ist

etwa äquivalent mit der Behauptung, daß man zu jedem Prozeß auch den gespiegelten Prozeß

beobachten kann. In der belebten Natur ist dies nicht der Fall, wie die bevorzugte

156

Rechtshändigkeit der Menschen oder bestimmter Schraubensinn bei rankenden Pflanzen usw.

beweist. Hier ist man der Ansicht, daß durch leichte Fluktuationen in einem frühen Stadium

der Evolution eine von zwei im Prinzip gleich guten Varianten unterdrückt wurde. In der leb-

losen Natur kommt ein solcher Mechanismus als Ursache für die Bildung der Welt aus Materie

statt Antimaterie infrage. Man war bis 1957 der Meinung, daß in der Kernphysik Prozesse und

gespiegelte Prozesse gleich häufig sind. Diese Aussage wird als Satz von der Paritätserhaltung

geführt. Die Häufigkeit der Beobachtung von Prozessen und ihren Spiegelbildern mit der Pari-

tätserhaltung in Verbindung zu bringen, ist möglich, da nach dem Satz von Noether zu jeder

Symmetrie eine Erhaltungsgröße existiert. Man kennt diesen Zusammenhang von Symmetrie

und Erhaltungsgröße aus der klassischen Mechanik. So kann man z.B. für ein System, das von

einem Azimutwinkel unabhängig ist, eine Drehimpulserhaltung beweisen, usw. In der Quan-

tenmechanik wird dieser Satz sehr viel weiter gefaßt. Man zeigt, daß aus der Symmetrie des

Raumes bezüglich Translation der Impulssatz folgt, aus der Symmetrie gegenüber Zeitver-

schiebung der Energiesatz, usw. Aus der Symmetrie gegenüber Spiegelung folgt die

Paritätserhaltung.

iv.Experiment zur Paritätserhaltung von Wu (Chien-Shiung Wu, 1912 - ...)

Auf Anregung der Theoretiker T.D. Lee (Tsung Dao Lee, 1926 - ...) und C.N. Yang (Chen

Ning Yang, 1922 - ...) führte 1957 C.S. Wu ein Experiment durch, mit dem sie zeigte, daß

beim β-Zerfall eine Unsymmetrie zwischen Prozeß und gespiegeltem Prozeß besteht. Dazu

wurde , das β-Zerfall zeigt2760Co

2760Co →28

60 Ni + e−+−νe

in einem Magnetfeld polarisiert und die Richtung der emittierten Elektronen gemessen. Es

zeigte sich, daß die Elektronen die emittierenden Teilchen bevorzugt entgegen der Richtung

ihres Dipolmoments verlassen. Bei Umkehrung des Magnetfeldes kehrt sich auch die Ge-

schwindigkeitsrichtung der Elektronen um.

Da B ein axialer und pe ein polarer Vektor ist, erhält man durch Spiegelung der ursprünglichen

Anordnung ein System, bei dem pe und B parallel sind. Da ein solches nicht beobachtet wird,

folgert man, daß die Parität beim β-Zerfall nicht erhalten bleibt.

Abb. 181: Das Spiegelbild vom β Zerfall wird

nicht beobachtet

157