Vorsicht Arbeit!

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01/2011 • 7,90 (D) 0 1 / 2011 • 7,90 ( D)

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Eine Leseprobe der agora42 - das Magazin für Ökonomie und Philosophie. Auf den folgenden Seiten sehen Sie einen Auszug aus der achten Ausgabe „Vorsicht Arbeit“, die am 27 Dezember 2010 deutschlandweit an den Kiosken und in Bahnhofsbuchhandlungen erschienen ist. Gerne senden wir Ihnen auch ein Exemplar zum Preis von 9,50 Euro (inkl. MwSt. und Versand) per Post zu. Falls Sie zukünftig ein Abonnement wünschen, so können Sie dieses einfach und schnell telefonisch unter 07031 – 43 57 885 oder unter [email protected] bestellen. Möchten Sie mehr erfahren, dann besuchen Sie uns auf unserer Website. More info: http://www.agora42.de

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• Altgriechisch • Im antiken Griechenland Versammlungsplatz oder Markt im Zentrum einer Stadt • Politische, juristische und philosophische Versammlungsstätte freier Bürger • Kultisches Zentrum der Polisgemeinschaft • Bedeutender Schritt in der Entwicklungsgeschichte der attischen Demokratie

Im ersten Buch von Douglas Adams ! e Hitchhiker‘s Guide to the Galaxy wird folgende Geschichte erzählt:

• Eine weit fortgeschrittene außerirdische Kultur sucht die Antwort auf die Frage aller Fragen, nämlich jene nach „life, the universe and everything“• Dazu entwickelt und baut sie den Supercomputer Deep ! ought• Nach einer Rechenzeit von 7,5 Millionen Jahren erbringt Deep ! ought die Antwort „42“ • Auf die Ratlosigkeit der Erbauer hin entgegnet Deep ! ought, dass die Frage nicht präzise gestellt worden sei und schlägt vor, einen von ihm erdachten, noch größeren Computer zu bauen, der fähig ist, die zur Antwort passende Frage zu " nden• Dieser Computer wird gebaut und das Programm zur Suche der Frage auf die Antwort wird gestartet• Es stellt sich heraus, dass dieser noch größere Computer der Planet Erde ist

agora

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agora42

04 In eigener Sache

06 Editorial

08 Prolog

10 Ökonomische ! eorien "#$%&'( !" '#)* *+,%+-#.

14 Philosophische Perspektive /'0#$# &$1#2* &/3 -#$ *2*&'24

20 Grundannahmen der Ökonomie 5&'' -#'' .#20*/'" 06'-# 0#2'7

26 Christoph Fleischmann -2# 8+..#'-/'" -#$ &$1#2*: /'*9*2"5#2*

32 Stephan Idel „-2# "/*#' 2'0 *:,34;#', -2# 04;.#4;*#' 2'0 5$:,34;#'“

42 Gisela Notz „3$#2<2..2"#“ &$1#2*

48 Matthias Gronemeyer &$1#2* 20* '24;* 0+=2&.

54 Frank Oschmiansky -#$ &$1#2*01#"$233 2% <&'-#. -#$ =#2*#'

60 Auf dem Marktplatz

62 Auf dem linken/rechten Auge blind

Personen

66 St. Martin und andere gerechte Männer67 Kurt Beck !Wir müssen unser System vom Kopf auf die Füße stellen"

72 Günter Wallra# !Alles wird in Frage gestellt werden"

86 Frithjof Bergmann !Sex muss schon sehr gut sein, um den Vergleich mit neuer Arbeit auszuhalten"

98 Portrait 5&$. %&$)

106 Gedankenspiele

108 Zahlenspiele

110 Plutos Schatten

112 Impressum

INHALT

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4 agora42 • In eigener Sache

Liebe Leserinnen und Leser,

ich freue mich sehr, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass wir Richard David Precht ab dieser Ausgabe als Mitheraus-geber der agora42 gewinnen konnten.In herausragender Weise gelingt es Richard David Precht immer wieder, komplexe Sachverhalte verständlich dar-zustellen. ! eorie verliert bei ihm nie die Praxis aus den Augen, Praxis bleibt nicht unre" ektiert. Die agora42 wird also gestärkt in die Zukunft gehen, die durch große Umbrüche gekennzeichnet sein und uns alles abverlan-gen wird. Es würde mich mit Freude erfüllen, wenn wir gemeinsam dazu beitragen könnten, Ihnen, liebe Lese-rinnen und Leser, die Orientierung in diesem schwieri-gen Terrain ein wenig erleichtern zu können und Sie uns in diese Zeit begleiten würden.

IhrNazim CetinHerausgeber

IN EIGENER SACHE

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agora42 • In eigener Sache 5

dagegen, die sich um die ökonomischen Gegebenheiten nicht schert, ist blind für das tatsächliche Leben der Menschen. Viele Fragen nach einem erfüllten Leben sind heute unbeantwortet – wie auch die ! eoreme der Wirtschaft oft unhinterfragt bleiben. In einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs, die Güter wie Zeit, Aner-kennung, Liebe und Achtung in den Mittelpunkt eines erfüllten Lebens stellt, stellen sich zugleich Fragen nach einer neuen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ord-nung. Was die Moderne leisten sollte, hat sie – zumin-dest in den wohlhabenden Ländern der westlichen Welt – erfüllt. Was nun ansteht, ist eine neue Moderne.In dieser spannenden Zeit bietet die agora42 eine ganz hervorragende Plattform für Positionen und ! eorien, Austausch und Streitkultur, Hintergrundwissen und Visionen. Ich freue mich deshalb sehr, die agora42 von nun an als Mitherausgeber begleiten und unterstützen zu dürfen.

Richard David PrechtHerausgeber

Ökonomie und Philosophie – in der heutigen Zeit wir-ken die beiden Begri" e einander so fremd wie die erd-zugewandte und die erdabgewandte Seite des Mondes. Ökonomie, so scheint es, ist die Wissenschaft von etwas sehr Nützlichem und Praktischem, der Deckung des menschlichen Bedarfs. Philosophie dagegen ist, wenn überhaupt, die Wissenschaft von etwas Unnützem und ! eoretischem, den Mußestunden des Lebens vorbehal-ten; ein Hobby für Menschen mit hinreichend Geld und Zeit.Es scheint so. Tatsächlich jedoch ist Ökonomie eine sehr philosophische Wissenschaft. Denn was ist der mensch-liche Bedarf? Was gehört dazu und was nicht? Wer bestimmt die Ziele des Wirtschaftens? Liegen sie in Kur-ven und Tabellen verborgen, lassen sie sich kühl berech-nen? Oder sind sie nicht vielmehr eine gesellschaftliche Festsetzung auf der Grundlage philosophischer Überle-gungen?Die bedeutendsten Ökonomen der Menschheitsge-schichte waren Philosophen, von Adam Smith über John Stuart Mill zu Karl Marx. Für sie war Ökonomie die praktische Umsetzung eines philosophischen Ziels: die Chance auf ein erfülltes Leben für möglichst viele Men-schen. Dass sich Ökonomen kaum noch für Philosophie, Philosophen kaum mehr für Ökonomie interessieren, ist unter solchen Voraussetzungen ein gesellschaftliches Fiasko. Soll man den Wert und den Erfolg des Wirt-schaftens allein am Wachsen des Bruttoinlandsprodukts bemessen? Ist Wirtschaft gut, wenn sie Wachstumsra-ten produziert, und schlecht, wenn sie stagniert? Und trägt materielles Wirtschaftswachstum zu allen Zeiten und ohne Einschränkung dazu bei, dass möglichst viele Menschen die Chance auf ein erfülltes Leben bekom-men?Sein Leben mit Gütern anzufüllen, so lehrt uns unser privilegiertes Leben in den reichen Ländern der west-lichen Welt, ist noch nicht gleichbedeutend mit Erfül-lung. Ökonomie ohne Philosophie ist leer. Philosophie

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10 agora42 • Ökonomische Theorien • GERMANY IS NEXT TOPMODEL

GERMANY I SNEXT TOPMODEL

Ökonomische T heor ien

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11agora42 • Ökonomische Theorien • GERMANY IS NEXT TOPMODEL

Auch Deutschland ist ein Topmodel. Zumindest die deutsche Wirtschaft. Die deutsche Wirtschaft ziert das Cover des renommierten englischen Wirtschaftsma-gazins Economist und kann ihren Erfolg in einträgliche Exportaufträge umwandeln. Aber auch hier stand am Anfang die Arbeit. Im Besonderen die Arbeit an sich selbst, die, wie es sich für ein Topmodel gehört, in der Enthaltsamkeit ihre stärkste Ausprägung fand. Nach 15 Jahren Lohnzurückhaltung können ausländische Fir-men im Preiswettbewerb mit den deutschen Unterneh-men kaum mehr mithalten. Wie denn auch? Immerhin produzieren in Deutschland ansässige Unternehmen etwa 13 Prozent günstiger als der Rest Eurolands. Durch die 15 Jahre andauernde Lohnzurückhaltung sind in Deutschland die Lohnstückkosten – das heißt der Anteil der Lohnkosten an den gesamten Produktionskosten eines hergestellten Guts – geringer angestiegen als im Durchschnitt der Europäischen Währungsunion. Das ist gleichbedeutend mit einer Währungsabwertung, wodurch die Produkte billiger angeboten werden kön-nen und der Export angefeuert wird.Wenn aber durch die Lohnzurückhaltung Produkte bil-liger angeboten werden können, bedeutet dies, dass der Arbeitslohn den Preis des Produkts maßgeblich bestimmt.

Der Lohn der Arbeit

So weit, so bekannt. Wer aber kein Unternehmen besitzt, ist gezwungen, seine Arbeitskraft für die Her-stellung von Produkten oder Dienstleistungen anzubie-ten, um einen Lohn zu bekommen – als Gegenleistung für seine Arbeitskraft, mit der Produkte oder Dienstleis-tungen gescha! en werden. Der erhaltene Lohn wiede-rum kann nicht dem Produktpreis entsprechen, denn dann würde der Unternehmer ja leer ausgehen. Damit der Unternehmer nicht leer ausgeht, muss der Lohn des Arbeiters entweder um so viel geringer sein als der Ver-kaufspreis des Produkts, dass sowohl die Material- und

Am Anfang steht die Arbeit. Erst durch den Einsatz von Arbeit wird aus einem „Rohdiamanten“ ein geschli! e-ner, wertvoller Diamant. Das weiß natürlich auch Heidi Klum, die die Castingshow „Germany’s Next Topmodel“ moderiert. Deshalb wird sie auch nicht müde, in einer Endlosschleife ihre Kandidatinnen daran zu erinnern, dass, wer einmal Topmodel werden will, auch hart arbei-ten muss. Dazu zählt nicht nur das ständige, schnelle Wechseln der Kleidung, sondern auch die Arbeit an sich selbst: Man mag sich die Enthaltsamkeit in Bezug auf die Annehmlichkeiten des Lebens gar nicht vorstellen, die erforderlich ist, damit eine Topmodel-Kandidatin einer Gazelle gleich im Bikini über den Catwalk schwe-ben kann. Wer dieses Programm übersteht, hat das Zeug zum Topmodel. Der Lohn der Arbeit: Das Topmodel ziert das Cover der Cosmopolitan; und es kann in einträgliche Werbeverträge umgewandelt werden – von Heidi Klum. Es steht sehr viel auf dem Spiel.

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14 agora42 • Philosophische Perspektive • UNSERE ARBEIT AUF DER TITANIC

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Phi losophische Perspektive

UNSERE ARBEI T AUF DER TI TANIC

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15agora42 • Philosophische Perspektive • UNSERE ARBEIT AUF DER TITANIC

Arbeit kann vieles bedeuten. Für den einen bedeutet sie die Quelle seines Reichtums und die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung; für den anderen Zwang und Aus-beutung. Arbeit kann auch ganz verschiedene Auswir-kungen haben: Sie kann eine Volkswirtschaft erblühen lassen oder den Tod vieler Menschen zur Folge haben (man denke an die Arbeit eines Auftragskillers oder auch an jene in einem Rüstungskonzern).Ganz allgemein betrachtet ist Arbeit unabhängig von der Tätigkeit, die mit ihr verbunden wird. Für den einen, beispielsweise einen Berufssportler, bedeutet das Aus-üben einer Sportart pure Arbeit, der andere verbindet dieselbe Sportart ausschließlich mit Freizeit. Arbeit ist subjektiv. Arbeit ist das, was jemand als Arbeit bezeich-net; unabhängig davon, ob sie ihm Freude bereitet oder nicht.

Arbeit stabilisiert Ordnungen

So weit, so einfach. Was mache ich aber eigentlich, wenn ich dem nachgehe, was ich als Arbeit bezeichne? Für was steht also Arbeit, wenn sie nicht durch eine Tätigkeit bestimmt werden kann? !"## $%# &%'(, $%# '")( %*+",("#, -%## $",#( $%# -%$,( ",'"#(.,/), -%&& $%# ",#" 0*-#1#' &(%+,.,&,"*"# '")(.Was heißt das? Arbeit stabilisiert die Ordnung, in die sie investiert wird. Jeder tut dies, der eine mehr, der andere weniger. Mit seiner Arbeit stabilisiert man kleine Ord-nungen (man könnte auch sagen: kleine Systeme), zum Beispiel die Firma, in der man arbeitet oder den Verein. Durch die investierte Arbeit will man „den Laden am Laufen halten“. Dies kann die verschiedensten Gründe haben: Man will Geld verdienen, die Firma liegt einem am Herzen (oder beides), man bekommt Anerkennung durch seine Tätigkeit etc. Unter Arbeit fällt dabei nicht nur die Arbeit am Arbeitsplatz, sondern auch die tägli-che Kommunikation mit den Kollegen, die erforderlich ist, um Arbeitsvorgänge aufeinander abzustimmen.Eine „kleine“ Ordnung stellt auch die Familie dar. Sie wird nicht, wie die „Arbeit“, ausschließlich oder vor

allem mit Arbeit in Verbindung gebracht; aber auch hier gibt es Dinge, die als Arbeit bezeichnet werden und die der Stabilisierung der Familienordnung dienen sollen: Einkauf, Transport der Kinder, Kochen, Waschen etc.Kleine Ordnungen stehen untereinander in Beziehung. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn man davon spricht, Arbeit und Familie „unter einen Hut zu bringen“. Sie stehen aber auch im Zusammenhang mit größeren Ord-nungen. Erhöhen sich beispielsweise die Mitgliederzah-len des Vereins oder steigt der Umsatz der Firma, kön-nen andere „kleine“ Ordnungen einverleibt werden. Das kann so weit gehen, dass „die linke Hand nicht mehr weiß, was die rechte tut“, die Firma beziehungsweise der Verein also so groß geworden ist, dass die „Unterord-nungen“ selbst wieder als eigenständige Ordnungen fun-gieren. Dann steht die eigene Abteilung (oder die eigene Vereinsgruppe) im Vordergrund, dann gilt es, diese „am Laufen zu halten“, das heißt zu stabilisieren. Kleine Ordnungen sind auch insofern mit größeren Ordnun-gen verbunden, weil die dort ausgeübte Arbeit in einem gesellschaftlichen Zusammenhang steht: Durch das, was man (subjektiv) als seine Arbeit bezeichnet, wird man gesellschaftlich eingeordnet – entsprechend fallen Aner-kennung, Entlohnung etc. aus.

Die Metaordnung: Ökonomie

Heute ist eine besondere Situation eingetreten: Die verschiedenen kleinen Ordnungen sind Teil einer ein-zigen großen Ordnung geworden: der ökonomischen Ordnung. Zwar gibt es nach wie vor auch andere „Groß-ordnungen“, die viele kleine Ordnungen umfassen; doch die ökonomische Ordnung ist nicht mehr nur eine „Großordnung“ neben anderen „Großordnungen“; sie ist zur Metaordnung geworden, welche sogar die anderen „Großordnungen“ einschließt.Drehten sich die gesellschaftlichen Debatten der vergan-genen Jahrhunderte um die Frage, welche Gesellschafts-ordnung für die Menschen die beste sei, ob zum Beispiel die ständische Gesellschaft, religiöse Gesellschaftsord-

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agora42 • Stephan Idel • DIE GUTEN INS TÖPFCHEN, DIE SCHLECHTEN INS KRÖPFCHEN32

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Stephan Idel

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54 agora42 • Frank Oschmiansky • DER ARBEITSBEGRIFF IM WANDEL DER ZEITEN

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55agora42 • Frank Oschmiansky • DER ARBEITSBEGRIFF IM WANDEL DER ZEITEN

Im antiken Griechenland war der Arbeitsbegri! negativ hinterlegt. Homer besang den Müßiggang des altgrie-chischen Adels als erstrebenswertes Ziel und betrach-tete körperliche Arbeit nur als den Frauen, Sklaven und Knechten gemäße Tätigkeit. Aristoteles (384 v. Chr.–322 v. Chr.) spitzte die Au! assung zu, indem er Arbeit in Gegensatz zur Freiheit setzte. Frei sei ein Mann nur, wenn „er nicht unter dem Zwang eines anderen lebt“. Jede Arbeit brächte aber solchen Zwang mit sich. Für Xenophon (um 426 v. Chr.–ca. 354 v. Chr.) war Arbeit

„"#$%&' &(' %&)% '*'&+,%&' -%( .%)-(/0%)“, 0%&((' %( ,1#2 1)- ,)"33 "14 5&,&3%-&". $%#%&'( %&) ,1#2%# $6&/, &) -&% +%(/0&/0'% 2%&+' "$%#, 5&% 7&%6% ,8)'#87%#(% '0%8#&%), -&(,1((&8-)%), 5%6'- 1)- 6%&'$&6-%# (&/0 1. -%) "#$%&'($%+#&44 #"),%).

DER ARBEI T S 9BEGRIFF IM WANDEL DER ZEI T EN

Frank Oschmiansky

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67agora42 • Interview mit Kurt Beck

»WIR MÜSSEN UNSER SYSTEM VOM KOPF AUF DIE FÜSSE STELLEN«Inter view mit Kur t B eck

Herr Beck, unsere Gesellschaft scheint einem ungeschriebenen Gesetz zu folgen: Die Renditen der Finanzinvestoren und der Aktionäre müssen um jeden Preis bedient werden. Jeder Cent, der an Zinsen oder Dividenden bezahlt wird, muss aber zunächst in der Realwirtschaft erwirtschaftet werden. Gleichzeitig sieht man, dass die Zahl der prekären Arbeitsverhältnisse und der an Stress erkrankten Arbeitneh-mer ständig zunimmt. Steht unser System kurz davor zusammenzubrechen?

Ich glaube in der Tat, dass wir, um den Zusammenbruch zu verhindern, unser System – die soziale Marktwirtschaft – wieder vom Kopf auf die Füße stellen müssen. Es muss klar sein, dass die an der Wertschöpfung beteiligten Personen auch einen angemessen Teil des Erlöses abbekommen müssen. Leider haben wir in den vergangen Jahren jedoch genau das Gegenteil gesehen, nämlich dass die Arbeitnehmer vom Markt zunehmend ausgebeutet werden. Hier ist nun der Staat gefordert, der sicherstellen muss, dass ein einheitlicher Mindestlohn dieser Ausbeutung einen Riegel vorschiebt. Das Wichtigste ist dabei, der Finanzmarktspekulation Einhalt zu gebieten, um in der Realwirtschaft wieder Raum für höhere Löhne zu scha! en. Mit dem, was der letzte G20-Gipfel geleis-tet hat, oder was an sonstigen internationalen Vereinbarungen getro! en wurde, kann man überhaupt nicht zufrieden sein. Wir sind gerade wieder in der Gefahr, in die glei-che Situation wie vor der Welt" nanz und -wirtschaftskrise hineinzuschlittern.

Eine Konsequenz der niedrigen Löhne ist, dass heute Leute, die arbeiten, teilweise weniger Geld zur Verfügung haben, als wenn sie Sozialleistungen beziehen würden. Rein ökonomisch betrachtet müsste ein solches Verhalten – freiwillig auf Geld zu verzichten – doch als völlig unsinnig verurteilt werden, oder?

Fotos: Janusch Tschech

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68 agora42 • Interview mit Kurt Beck

Es ist natürlich ein Zeichen von Selbstwertgefühl und Selbstachtung, dass Menschen auch für niedrige Löhne arbeiten, weil sie für sich selbst sorgen wollen. Das muss man zunächst einmal loben. Die viel gefährlichere Entwicklung ist jedoch, dass durch das Absenken der 15 Prozent der untersten Löhne, die als Referenzen für die Hartz-IV-Bezüge dienen, auch die Hartz-IV-Bezüge sinken. Wenn wir diese Entwicklung so wei-terführen, müssen – überspitzt gesagt – irgendwann die Hartz-IV-Bezieher dem Staat Geld bringen. Und schon sind wir wieder beim ! ema Mindestlohn, der dieser Tendenz Einhalt gebieten würde.

Durch den Lohnverzicht der letzten Jahre haben wir uns in Deutschland einen Wettbewerbsvorteil erkauft, der dazu beigetragen hat, dass wir unsere Exporter-löse kontinuierlich steigern konnten. Neuerdings vernimmt man angesichts kräf-tigen Wachstums die Forderung, auch die Arbeiter über höhere Löhne am Erfolg

Kurt Beck wurde am 5. Februar 1949 in Bad Bergzabern geboren. Er absolvierte eine Ausbildung zum Elektro-Mechaniker. 1972 trat er der SPD bei, seit 1979 ist er Mitglied des rheinland-pfälzischen Landtages. Seit seiner Wahl am 26. Oktober 1994 ist er Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz. Im gleichen Jahr übernahm er den Vorsitz der Rundfunkkommission der Länder. Von Januar 1999 bis Dezember 2002 war Beck Bevollmächtigter der Bundesrepublik Deutschland für kulturelle Angelegenheiten im Rahmen des Vertrages über die deutsch-französische Zusammenarbeit. Seit August 1999 ist er Vorsitzender des ZDF-Verwal-tungsrats. Für die Dauer eines Jahres, vom 1.11. 2000 bis zum 31.10.2001, war er Präsident des Bundesrats. Im November 2003 wurde er zum stellvertretenden SPD-Bundesvorsitzenden und im Mai 2006 zum Bundesvorsitzenden gewählt. Dieses Amt hatte er bis September 2008 inne. Er ist verheiratet und hat einen Sohn.

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72 agora42 • Interview mit Günter Wallraff

!"… # M A N MUS S SIC H V E R K LE IDE N, UM DIE G E S E LL S C HA F T ZU DE M A SK IE R E N, MUS S TÄUS C HE N UND SIC H V E R S T E LLE N,

UM DIE WAHRHE I T HE R AUSZUFINDE N.$

Günter Wallra% , Vorwort zu „Ganz unten“, 1985

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73agora42 • Interview mit Günter Wallraff

Der Begri! der Arbeit ist eng mit der Vorstellung von gesellschaftlichem Zusam-menleben, von Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie verbunden. Hängt in einer Gesellschaft letztlich alles davon ab, welche Rolle der Arbeit zugesprochen wird, wie sie defi niert und praktiziert wird? Was ist Ihre Defi nition von Arbeit?

Arbeit sollte kein Selbstzweck sein – wie es in unserer Gesellschaft inzwischen leider Realität geworden ist. Das endet in Arbeitszwang, in „Arbeit um jeden Preis“ und führt dann dazu, dass diejenigen, die keine Arbeit haben, jede Arbeit verrichten, um dazuzu-gehören. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, die den Menschen danach beurteilt, was er leistet und nicht, was er erleidet. Zugleich hat sich die Bewertung von Leistung und Arbeit ins Gegenteil verkehrt, so dass die Menschen, die oftmals am meisten leis-ten, die die größten Entbehrungen auf sich nehmen, die die eigentlichen Dienste an der Allgemeinheit leisten, dafür auch noch verachtet und in der gesellschaftlichen Rang-ordnung nach unten gedrängt werden – dies betri! t zum Beispiel die P" egeberufe. Das ist eine Schie" age, die die ganze Gesellschaft ruiniert, die die ganze Demokratie unter-höhlt. Wir leben in einer Situation, in der sich eine schmale Gesellschaftsschicht über die anderen erhebt, sich selbst Vorbildcharakter zuspricht, sich selbst feiert und mit dem Rest der Gesellschaft nichts mehr zu tun hat. Sie de# nieren Arbeit nur als wertvoll, wenn sie ihnen die Taschen füllt – der Gebrauchswert, der Gehalt, der sinn- und sach-wertstiftende Charakter von Arbeit geht ihnen mit Verlaub am Arsch vorbei.

»ALLES WIRD IN FR AGE GESTELLT WERDEN«Inter view mit Günter Wal lraff

Fotos: Janusch Tschech

Page 18: Vorsicht Arbeit!

74 agora42 • Interview mit Günter Wallraff

Sie sprechen von einer Spaltung der Gesellschaft: auf der einen Seite die, die immer mehr haben …

Ich spreche von einer Kastengesellschaft. Man sprach bisher von einer Klassengesell-schaft, aber diese entwickelt sich immer mehr gleichzeitig in eine Art Kastengesell-schaft. Schließlich ist es bereits heute schon so, dass die Mitglieder der Oberschicht nur noch untereinander verkehren, untereinander heiraten, ihre eigenen Clubs und Rituale haben und sich letztlich als etwas Besseres dünken und auf die anderen herabblicken. Der Gegenpol dieser Kaste ist eine abgehängte Schicht, ähnlich wie in Indien die Kaste der Parias, der „Unberührbaren“, in der Armut vererbt wird, das heißt Kinder in Armut hineingeboren werden und ver! ucht sind, dort zu verharren.

Günter Wallraff wurde 1942 in Burscheid bei Köln geboren. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er im Arbeitermilieu. 1963 wurde er zur Bundeswehr eingezogen. Sein Antrag auf Kriegsdienstverweigerung: abgelehnt. Da er sich trotzdem wei-gerte, eine Waffe zu benutzen, wurde er zur Beobachtung in die Psychiatrie des Bundeswehrlazaretts eingewiesen. Aus dem Schlüsselerlebnis Bundeswehr entstand seine erste „unerwünschte“ Reportage. Heinrich Böll ermutigte den Verfasser des „Bundeswehr-Tagebuches“ daraufhin weiterzumachen. Nach seiner Entlassung aus der Armee kehrte Günter Wallraff nicht mehr in den Buchhandel zurück, sondern wurde Schriftsteller. Er prägte den Begriff des engagierten Journalismus nach-haltiger als irgendjemand sonst. Mit seinen Büchern und Fernseh-Dokumentationen gelingt es ihm, wachzurütteln und zu sensibilisieren. Zu seinen wichtigsten Veröffentlichungen zählen Ganz Unten, Industriereportagen und Zeugen der Anklage. Der Bild-Zeitung wies er in dem Bestseller Der Aufmacher schwere journalistische Verfehlungen nach.

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75agora42 • Interview mit Günter Wallraff

In einer Talkshow haben sie einmal ein Beispiel für die Abgehobenheit der Ober-schicht angeführt: Bei einer exklusiven Charity-Veranstaltung für die angesehene Stiftung „Menschen für Menschen“ von Karl-Heinz Böhm blieben nach Abzug der Kosten zehn Euro Spende pro Teilnehmer übrig…

Da wurde unter dem Siegel „Event-Charity“ bei Hummer und Kaviar geschlemmt. Bestimmte Medien, wie zum Beispiel die Bunte, und die Kaste der High Society leben von und für solche Veranstaltungen. Aber das Ergebnis zeigt, wie sozial solche Veran-staltungen tatsächlich sind.Der frühere Finanzminister Peer Steinbrück hat es in seinem Buch Unterm Strich noch drastischer und berufener ausformuliert, als ich es im Nachwort meines Buches Aus der schönen neuen Welt skizziert habe. „Von einer Parallelwelt,“ schreibt Steinbrück„darf auch mit Blick auf eine prosperierende Oberschicht gesprochen werden, die sich in einer eigenen Wirklichkeit eingerichtet hat. Sie teilt paradoxerweise das Gefühl der Unterschicht, nicht mehr dazuzugehören, nur aus anderen Gründen... Das Biotop an der Spitze zeichnet sich durch ein asoziales und amoralisches Verhalten aus, das des-halb so ärgerlich stimmt, weil diese Schicht über alle Voraussetzungen verfügt, zum Wohl des Gemeinwesens beizutragen. Ich bin in all den Jahren als Minister und als Pri-vatperson Maklern, Investmentbankern, Beratern und Jungunternehmern begegnet, die von einer erschreckenden Dünkelhaftigkeit, Selbstbezogenheit und Herablassung gegenüber dem ‚gemeinen Volk‘ waren.“In diesem Zusammenhang darf noch an einen starken Spruch unseres Bundespräsiden-ten erinnert werden, auch wenn er an eine andere Adresse gerichtet war: „Wer unser Land und seine Werte verachtet, muss mit entschlossener Gegenwehr aller in unserem Land rechnen.“

Ist das nicht der Beweis dafür, dass die von dem Philosophen Peter Sloterdijk pro-pagierte Steuerpolitik – Abscha! ung der Steuern; stattdessen wird der Sozialstaat durch großzügige Spenden wohlhabender Personen fi nanziert – Wunschdenken ist?

Wenn man sich anschaut, in welchen Kreisen so einer verkehrt, dann wird einem klar, warum und wem zu Gefallen er solchen Stuss von sich gibt. Als vor kurzem Wladimir Putin wieder einmal Deutschland besuchte, war er derjenige, der zusammen mit dem Verleger Hubert Burda dort am Tisch saß. Das sind die Hö! inge unserer Zeit, die sich aushalten lassen und dann noch jammern, dass sie zu viele Steuern bezahlen. Aber auch inhaltlich wundere ich mich, wie man nach dem eben erwähnten Beispiel ernst-haft das von diesem aufgeblasenen und selbstgefälligen Mode-„Filou-so" “ illustrierte Neo-Feudalsystem diskutieren kann, in dem die Menschen ganz freiwillig und nach Gutdünken Abgaben leisten. Dass so jemand nicht ein für allemal abquali# ziert und

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86 agora42 • Interview mit Frithjof Bergmann

»SEX MUSS SCHON SEHR GUT SEIN, UM DEN VERGLEICH MIT NEUER ARBEIT AUS!ZUHALTEN«Inter view mit Fr ithjof B ergmann

Fotos: Janusch Tschech

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87agora42 • Interview mit Frithjof Bergmann

Herr Bergmann, Sie haben vor über 25 Jahren den Begri! der „Neuen Arbeit“ geprägt. Wodurch unterscheidet sich die Neue Arbeit von der alten Arbeit?

Alte Arbeit ist Jobarbeit oder Arbeitsplatzarbeit. Alte Arbeit funktioniert nach dem System, dass man für jemand anderen arbeitet, dass ein anderer einem sagt, was man zu tun hat, und dass man von jemand anderem bezahlt wird. Historisch gesehen, gibt es das Jobsystem beziehungsweise das Arbeitsplatzsystem, das wir jetzt haben, noch gar nicht so lange – rund 200 Jahre. Heutzutage könnte man ja fast den Eindruck gewin-nen, man hätte schon in der Steinzeit eine Stechuhr gehabt, die einem vorgab, dass man um 9 Uhr mit der Arbeit an! ng und um 17 Uhr aufhörte. Alte Arbeit ist Arbeit, die man tun muss. Das ist auch der verbreitete Begri" der Arbeit hier in Deutschland: Arbeit muss hart sein, Arbeit muss schwer sein – ansonsten ist es keine wirkliche Arbeit.Am Anfang der Neuen Arbeit stand der Gegensatz zwischen „Arbeit tun müssen“ und „Arbeit tun, die man wirklich will“. Neue Arbeit ist der Versuch, schrittweise dahin zu kommen, dass man in einem immer größeren Maß das tut, was einem entspricht, das tut, für das man eine Begabung hat, das tut, was einem nicht nur persönlich entspricht, sondern auch der Weltanschauung, die man hat. Auf den Punkt gebracht: Sex muss schon sehr gut sein, um den Vergleich mit Neuer Arbeit auszuhalten.

Frithjof Bergmann wurde in Sachsen geboren, wuchs in Österreich auf und wanderte als 19-Jähriger nach Amerika aus. Zunächst schlug er sich als Tellerwäscher, Preisboxer, Fließband- und Hafenarbeiter durch und lebte fast zwei Jahre lang als Selbstversorger im Wald. Er studierte Philosophie an der Universität Princeton und promovierte mit einer Arbeit über G. W. F. Hegel. Als Philosophieprofessor lehrte er in Princeton, Stan-ford, Chicago, Berkeley und Ann Arbor.1984 gründete er das erste „Zentrum für Neue Arbeit“ in der legendären Automobilstadt Flint (Michigan). Seit den 80er-Jahren berät Bergmann neben Unternehmen, Gewerkschaften, Regierungen und Kommunen auch Jugendliche und Obdachlose zur Zukunft der Arbeit und zum Innovationspotenzial neuer Technologien – in den USA, in Europa und diversen Ländern der „Dritten Welt“.

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9898 agora42 • Portrait • KARL MARX ! ARBEIT UND DIE GUTE GESELLSCHAFT

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99agora42 • Portrait • KARL MARX ! ARBEIT UND DIE GUTE GESELLSCHAFT

Bis vor Kurzem konnte man sich nicht auf Marx bezie-hen, ohne das Risiko einzugehen, wahlweise als Umstürz-ler oder Ewiggestriger zu gelten. Heute jedoch ist Marx in – und sogar FAZ und Spiegel nehmen sich seiner ! e-orie an. Zeiten der Krise rufen ! eoretiker der Krise wieder ins Bewusstsein. Marx hatte Krisen des Kapita-lismus vorausgesagt und sie – wovon man heute weniger hört – als Chance zur Wende in eine andere Gesellschaft begri" en. Bei einem ! eoretiker, dessen Werk sich auf Zigtausende Seiten beläuft, darf man von den Medien allerdings keine Wunder erwarten. So blieb der Zusam-menhang von Marx’ Gedanken im Medienhype größten-teils unberührt: Vieles in seinem Werk beruht nämlich auf einer Analyse der Arbeit – man denke an die ! e-orien von Klasse, Entfremdung, Ausbeutung oder eben der Krise.Wer war dieser Karl Marx eigentlich? Er wurde 1818 als Sohn eines Anwalts in Trier geboren, versuchte nach einem Jurastudium eine Karriere als Journalist, wurde aber wegen kritischer politischer Artikel vertrieben und # oh über Paris und Brüssel (nach einem Intermezzo im 1848er-Deutschland) ins Londoner Exil, wo er von 1849 bis zu seinem Tode 1883 in zumeist ärmlichen Verhältnissen lebte. Abgeschnitten von seinem politi-schen Betätigungsfeld (ein neuerliches Intermezzo war die Erste Internationale 1864–1872), vertiefte er sich in ökonomische Studien.

Erste Internationale: Die Erste Internationale wurde 1864 in London gegründet und bezeichnet den ersten internationalen Zusammenschluss von Arbeitergesellschaften. Ihr Ziel war der Schutz, der Fortschritt und die vollständige Emanzipation der Arbeiterklasse. In Bezug auf die Frage der Organisation der Ar-beiterschaft gab es große Differenzen; 1872 führte schließlich der Streit zwischen Michail Bakunin, der sich als einfl ussreicher Vertreter des Anarchismus gegen jede Form zentraler Führung aussprach, und dem Haupttheoretiker des Kommunismus, Karl Marx, der für eine zentrale Führung durch die Internationale eintrat, zur Spaltung der Ersten Internationalen.

Zu Lebzeiten erschien jedoch nur der erste Band des Kapitals (erstmals 1867, bald in vielen Sprachen); die weiteren Bände hinterließ er als Fragmente, die dann von seinem Mitstreiter und Gönner Friedrich Engels vollendet wurden. So viel zum Äußeren. Charakterlich kann man Marx als hochbegabten Nonkonformisten bezeichnen, der sich zeitlebens nicht einzugliedern ver-mochte. Diese grundsätzliche Abwehrhaltung gegenüber jeglicher Eingliederung war auch der Grund dafür, dass er sich mit den meisten seiner Weggefährten überwarf (etwa Arnold Ruge, Moses Hess oder Michail Bakunin – gehässige Briefe über seinen Gönner Friedrich Engels hat seine Gattin vorsorglich verbrannt).Dazu zwei Erklärungen: Erstens war sich Marx seiner intellektuellen Kraft bewusst und akzeptierte daher keine Halbheiten. Zweitens waren damalige Gesellschaf-ten noch lange nicht so weit, auch freiheitliche Querden-ker integrieren zu können. John Stuart Mill etwa, ein

Illustrationen: Daniela Scheil

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