Waffen und Reitzubehör Stade

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    OTTO-FRIEDRICH-UNIVERSITT BAMBERG

    LEHRSTUHL FR ARCHOLOGIE DES MITTELALTERS UND DERNEUZEIT

    Waffen und Reitzubehr

    des Mittelalters und der Neuzeit

    aus der Hafengrabung Stade, Niedersachsen.

    Magisterarbeitvon

    Alexander Becker

    Themensteller und Betreuer: Prof. Dr. Ingolf EricssonZweitgutachter: Prof. Dr. Wilfried Krings

    30. September 2002

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    Inhaltsverzeichnis

    1. Einleitung 4

    2. Nahkampfwaffen 9

    2.1. Hiebwaffen 9 2.1.1. Schwerter 9 2.1.1.1. Entwicklung des Schwertes 9 2.1.1.2. Fund 106/1410 10 2.1.1.3. Energiedispersive Rntgenfluoreszenzanalyse des Knaufes 12 2.1.2. Sbel 12 2.1.2.1. Entwicklung des Sbels 12 2.1.2.2. Fund 106/1409 13 2.1.3. Graphische bersicht ber die Datierungen der Stader Hiebwaffen 15

    2.2. Sto- und Stichwaffen 17 2.2.1. Speere, Lanzen und Langspiee 17 2.2.1.1. Entwicklung und Unterscheidung von Wurfspeeren, Reiterlanzen und Fuspieen 17 2.2.1.2. Speere und Lanzen 19 2.2.1.3. Langspiee (Piken) 21 2.2.1.4. Naturwissenschaftliche Untersuchungen 22 2.2.2. Dolche 27 2.2.3. Degen 30 2.2.4. Weitere Gef- und Klingenfragmente 32 2.2.5. Graphische bersicht ber die Datierungen der Stader Sto- und Stichwaffen 343. Fernkampfwaffen 36

    3.1. Mechanische Schuwaffen 36

    3.1.1. Geschospitzen 36 3.1.1.1. Typologie und Chronologie 36 3.1.1.2. Formale Unterscheidungsmerkmale 38 3.1.1.3. Tllengeschospitzen 39 3.1.1.4. Dorngeschospitzen 56 3.1.1.5. Unbekannte geschospitzenhnliche Objekte 58 3.1.1.6. Naturwissenschaftliche Untersuchungen 60 3.1.1.7. Chronologie der Geschospitzen 62 3.1.1.8. Vergleich von Chronologie und Stratigraphie der Geschospitzen 64 3.1.1.9. Zusammenfassung der Ergebnisse der Geschospitzen 65

    3.1.1.10. Graphische Darstellung der Datierungsergebnisse der Stader Geschospitzen 66 3.2. Feuerwaffen 68 3.2.1. lteste Feuerwaffen (ohne Schlomechanismus) 68 3.2.2. Die Entwicklung der Schlomechanismen 68 3.2.2.1. Luntenschlo 68 3.2.2.2. Radschlo 69 3.2.2.3. Schnappschlo 69 3.2.2.4. Perkussionsschlo 69 3.2.3. Schlohhne von Handfeuerwaffen im Stader Fundgut 70 3.2.3.1. Hahn eines Steinschlosses fr Musketen (106/2014-3) 70 3.2.3.2. Hahn eines Perkussionsschlosses Typ Forsyth mit Knallpulvermagazin fr Gewehre (106/2014-2) 71 3.2.3.3. Hahn eines verbesserten Perkussionsschlosses bzw. Kapselschlosses (106/2014-1) 71 3.2.4. Die Entwicklung der Einheitspatronen 72 3.2.4.1. Papierpatronen 72 3.2.4.2. Lefaucheuxpatronen 72 3.2.4.3. Flobertpatronen 73

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    1. Einleitung

    Im Jahre 1989 wurden im Bereich des Alten Hafens in Stade (Abbildung 1) archologische

    Untersuchungen durchgefhrt, die wichtige Befunde zur Stadtentwicklung im Mittelalter er-brachten. Die lteste Hafenanlage erstreckte sich unterhalbder Strae Wasser Ost, war in den Torf eingetieft (Ab-

    bildung 2) und grenzte anscheinend mit einer mutmali-chen Kaimauer an den Rand eines Ringwalles, der alsBurg der Grafen von Harsefeld-Stade angesehen wird(Abbildung 3). Man geht davon aus, da die knstlichangelegte westliche Uferbefestigung aus Holz ber einemlteren Flubett liegt, das in nrdliche oder nordwestlicheRichtung verlief. Mit 2,50 m unterhalb NN war die dama-lige Sohle des Hafens auch fr Schiffe mit groem Tief-

    gang ausgelegt. Erste Funduntersuchungen datierten daserste Hafenbecken in die Zeit um 1000, dabei deuten be-stimmte Mnzen oderTeile einer Klapp-waage auf einen regenGeschftsbetrieb indieser Zeit hin.1

    Von der ersten Hlfte des 13. bis zum 14. Jahrhundertwurde das nrdliche Altstadtareal flchendeckend bis aufeine Hhe von 2,20 bis 3,50 ber NN aufgeschttet. Manverwendete dabei einerseits Bodenaushub, andererseitsaber auch organische Abflle. Gefestigt wurde die Struk-tur mit Holzeinbauten. Neben der Neulandgewinnung imMarschland diente diese Ausbaumanahme vor allem derVergrerung und Verlagerung des Hafenbeckens nach

    Westen mit gleichzei-tiger Aufschttungdes stlichen und westlichen Ufers. Als Befestigung konn-te im Westen ein Pfahlwerk aus Eichenstmmen archolo-gisch nachgewiesen werden, das nach bisherigen Erkennt-

    nissen ins 13. Jahrhundert datiert. Das neue Hafenbeckenbesa somit eine beidseitige Kaimauer, deren Oberkantennur noch anderthalb Meter unter dem heutigen Wasserni-veau lagen. Mit der Erweiterung des Hafens und der Ver-doppelung seiner Kaiflche reagierte Stade wohl auf diezunehmende Bedeutung des Seehandels.2

    Neben diesen wichtigen Befunden erbrachte die Grabungnicht weniger als hunderttausend Einzelfunde. Besondersfielen die teilweise exzellent erhaltenen Metallgegenstn-de auf, die im Hafenschlamm unter Luftabschlu ideale

    Konservierungsbedingungen erfuhren. Wegen der immen-1LDECKE1992, 45f.2LDECKE1992, 47f.

    Abbildung 1

    Abbildung 2

    Abbildung 3

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    sen Menge an Funden konnte das Material fr die Bearbeitung in bestimmte Fundgruppenunterteilt werden, unter anderem die Fundgruppe Waffen und Reiterzubehr, die in dieserArbeit behandelt wird.Im Gegensatz zu anderen Grabungen gab es eine groe Menge an unstratifizierten Funden, soauch bei den Waffen und dem Reiterzubehr, was eine schwerpunktmig typologische Be-

    trachtung des Materials notwendig machte. Anhand formaler und stilistischer Merkmale so-wie der Einbeziehung vergleichbarer archologischer und obertgig erhaltener Objekte,schlielich anhand schriftlicher und bildlicher Quellen aus Mittelalter und Neuzeit sollte dieFrage der Zuordnung und Datierung der Funde geklrt werden. Zusammen mit den gleichzei-tig laufenden Untersuchungen anderer Fundgruppen stellt diese Arbeit die Grundlage einervergleichenden Gesamtstudie dar, die nach Abschlu aller Arbeiten in Angriff genommenwerden sollte.

    Die Gliederung der Waffen erfolgte nach gngigen Systemen aus der waffenkundlichen Lite-ratur, jedoch aufgrund der bersichtlichkeit in leicht abgenderter Form. Grundstzlich istzwischen Offensiv- und Defensivwaffen zu unterscheiden, das Stader Material beschrnkt

    sich aber lediglich auf die Angriffswaffen.Weiter werden die Funde in Nahkampfwaffen, auch unter dem Begriff Blankwaffen bekannt,und Fernkampfwaffen unterteilt. Von der mancherorts auftauchenden dritten Kategorie dersogenannten kombinierten Nah- und Fernkampfwaffen, worunter man beispielsweise Hand-feuerwaffen mit Bajonett versteht, wird in dieser Arbeit abgesehen. Der einzige Fund dieserKategorie erscheint bei den Feuerwaffen.Aufgrund ihrer Handhabung durch Schlag, Hieb, Sto (Stich) oder der Kombination aus Hiebund Sto ergeben sich entsprechende Gruppen von Nahkampfwaffen. Fr die Stader Funderelevant sind die Hiebwaffen, hier vertreten mit Schwert und Sbel, und die Sto- und Stich-waffen, vertreten mit Speer, Lanze, Langspie und Dolch. Die Problematik der Einordnungvon Speeren ist hinlnglich bekannt. Einerseits knnen sie stoend, andererseits werfend ver-wendet werden, was jedoch der Waffe selbst nicht anzusehen ist. Um eine doppelte Zuord-nung zu verhindern und die bersichtlichkeit zu wahren, werden die Speere in der Gruppe derSto- und Stichwaffen behandelt.Ebenso gliedert man die Fernkampfwaffen in Wurf- sowie Schuwaffen, wobei hier nur dieGruppe der Schuwaffen von Interesse ist, bestehend aus Bgen, Armbrsten, Wurfmaschi-nen und Feuerwaffen. Die Geschospitzen der mechanischen Schuwaffen machen einenGroteil dieser Arbeit aus und sollen aus Grnden der besseren typologischen Vergleichbar-keit als eine eigene Gruppe zusammengefat werden, wie dies auch bei DOLNEK/DURDK3geschieht. Gleichermaen stellen die Feuerwaffen einen sehr umfangreichen Teil des Materi-als dar, da es gerechtfertigt erscheint, sie separat als Gruppe zu behandeln.

    Einen weitaus kleineren, nichtsdestotrotz archologisch wie knstlerisch bedeutsamen Kom-plex macht das Reitzubehr aus. Vertreten sind einerseits die Sporen, andererseits die Steig-bgel.

    In diesem Zusammenhang seien kurz einige Grundstze erlutert, nach denen verfahren wur-de. berschriften, die sich auf einen Waffentyp beziehen, beinhalten immer auch derenBruchstcke, Teile oder Zubehr, auch wenn diese nicht ausdrcklich in dieser berschrifterwhnt werden. So gehren zur Gruppe der Feuerwaffen nicht nur Pistolen oder Revolver,sondern auch Griffplattenfragmente, Schlsser, Patronen und hnliches, und mit Lanzen sindselbstverstndlich die eigentlichen Lanzenspitzen gemeint. Diese Vereinfachung war notwen-dig, um eine gewisse bersichtlichkeit zu wahren. Prinzipiell stehen die Kapitelberschriften

    im Plural, auch wenn es nur genau einen Fund dieser Gruppe gibt. Waffenhnliche Funde, die

    3Vgl. DOLNEK/DURDK 1995.

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    sich whrend der Nachforschungen als etwas anderes herausstellten, werden trotzdem in demKapitel besprochen, zu dem sie ursprnglich gerechnet wurden. Als Beispiel sei eine mutma-liche Geschospitze genannt, die sich als Werkzeug herausstellte. Da sich diese Erkenntnisnur im direkten Vergleich zu anderen Geschospitzen und deren Typologie ergibt, wurde siezum besseren Verstndnis in diesem Kapitel belassen. Die Fundbeschreibungen im Katalog-

    teil folgen dem Grundsystem des Textteiles, nicht den zuflligen Fundnummern. Innerhalbder einzelnen Gruppen sind die Funde chronologisch von alt nach jung geordnet. Schlielichsei auf die sogenannte alte Rechtschreibung hingewiesen, die hier bewut verwendet wurde,um keinen Bruch zwischen bisherigem Studium und Studienabschluarbeit entstehen zu las-sen.

    Nach der Zuordnung jedes einzelnen Fundes in dieses Grundsystem konnte mit der typologi-schen und chronologischen Bestimmung begonnen werden. Wo es sinnvoll erschien, wurdezunchst ein kurzer historischer Abri der zu behandelnden Waffe gegeben, der vorab eineerste zeitliche Einordnung erlaubte. Im Vergleich mit primren wie sekundren Quellen wur-de daraufhin nach exakteren typologischen Kriterien gesucht und anhand derer eine Datierung

    vorgeschlagen. Als Absicherung dieser Thesen, aber auch zur Klrung spezieller Fragestel-lungen wurden, falls dies sinnvoll erschien und durchfhrbar war, naturwissenschaftliche Un-tersuchungen in Auftrag gegeben, namentlich Computertomographien und Rntgenuntersu-chungen am Fraunhofer-Institut fr Integrierte Schaltungen in Erlangen, sowie energiedisper-sive Rntgenfluoreszenzanalysen, Verbrennungsanalysen und Infrarotspektroskopien, alle-samt am Institut fr Anorganische Chemie der Universitt Erlangen-Nrnberg.Wie die Erfahrung gezeigt hat, sind absolute Datierungen immer mit einer gewissen Skepsiszu betrachten. Daher entstand abschlieend zu jeder Waffengruppe eine farbige Zeitskala, diesowohl eine fr Stade wahrscheinlichste, als auch weniger wahrscheinliche, trotzdem mgli-che Datierung veranschaulicht.

    Im allgemeinen wurde groen Wert auf eine gute Verstndlichkeit der formalen Darstellungengelegt. Nur zu oft findet man in der Literatur umfangreiche Beschreibungen, wo eine einzigeAbbildung gengt htte, gerade bei der morphologischen Entwicklung mancher Funde. Demwurde Rechnung getragen, indem umfangreiches Bildmaterial in diese Arbeit mit einbezogenwurde. Ein gesonderter und entsprechend der Waffengruppen geordneter Tafelteil zeigt amEnde nochmals mastabsgetreu smtliche Funde. Innerhalb des Textteiles wurde zumeist aufeinen Mastab verzichtet, da hier vor allem die formkundlichen Kriterien von Interesse sind.Die Stader Funde werden in unterschiedlicher Weise dargestellt: Speerspitzen, Lanzenspitzen,Langspiespitzen, Geschospitzen, Sporen und Steigbgel wurden in Tusche gezeichnet.Funde und Bestandteile von Schwertern, Sbeln, Dolchen, Messern und Feuerwaffen wurden

    aufgrund ihrer Gre und vielen Details digital von der Stadtarchologie Nrnberg mit einerNikon Coolpix 5000 bei einer Anfangsauflsung von 2560 x 920 dpi aufgenommen. Der Nut-zen einer herkmmlichen Tuscheumzeichnung htte nicht den hohen zeitlichen Aufwand ge-rechtfertigt, der bei diesen Funden vonnten gewesen wre. Fr die relativ wenig aussagekrf-tigen Darstellungen von Geschokugeln, Granaten und Patronen verzichtete man auf diehochauflsende Digitaltechnik und verwendete statt dessen einen Standard-Flachbettscannerder Marke Microtek, der hchst zufriedenstellende Ergebnisse lieferte.

    Abschlieend geht mein Dank an all diejenigen, die diese wissenschaftliche Arbeit ermglichtund auf akademische oder technische Weise untersttzt haben: Herrn Prof. Dr. Ingolf Erics-son fr die Betreuung der Magisterarbeit; Herrn Prof. Dr. Wilfried Krings, der als Zweitgut-

    achter den Werdegang der Arbeit mit Interesse verfolgte; Herrn Thorsten Ldecke von derStadtarchologie Stade fr die Bereitstellung der Funde; Herrn Dr. Bernd Zimmermann,Schweiz, sowie Herrn Dr. Alfred Geibig und besonders Herrn Dr. Axel Gelbhaar, Rstkam-

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    mer der Veste Coburg, fr angeregte wissenschaftliche Diskussionen und vielfltige Hinwei-se; Herrn Ingo Bauscher vom Fraunhofer-Institut fr Integrierte Schaltungen in Erlangen frberraschende Erkenntnisse mittels der Computertomographie; Herrn Dr. Matthias Moll,Akademischer Direktor des Instituts fr Anorganische Chemie der Universitt Erlangen-

    Nrnberg, fr chemische Untersuchungen und die Geduld, mir diese Prozesse verstndlich zu

    machen; Herrn John Zeitler M.A., Fachbereichsleiter der Stadtarchologie Nrnberg, fr diedigitale Aufnahme der komplizierten Funde; Frau Sigrun Grelle, Hochbauamt Nrnberg, frtechnische Hilfe und nicht zuletzt Frau Dominika Stalmach aus Ple (Pszczyna), Polen, frdie bersetzung wissenschaftlicher Texte.

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    Abbildung 4

    Kampfszene mit Hiebwaffenaus einer Buchmalerei des 15. Jahrhunderts.

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    2. Nahkampfwaffen

    Als Nahkampfwaffen (Blankwaffen) bezeichnet man all diejenigen Waffen, die eine unmit-

    telbare physische Einwirkung in Form eines Hiebes, Stoes (Stiches) oder Schlages erfordern.Unterteilt werden sie demzufolge in Hieb-, Stich- (Sto-) und Schlagwaffen. Auerdem sinddie kombinierten Hieb- und Stowaffen zu nennen, wie etwa die Helmbarte, die fr beideVerwendungszwecke ausgelegt ist. Die Grenzen dieser Einteilung sind jedoch nicht immereindeutig, daher kann die hier gewhlte Systematik von der anderer waffenkundlicher Ab-handlungen abweichen. Ferner differenziert man zwischen einhndig gefhrten, an der Seitegetragenen Griffwaffen und zweihndig gefhrten Stangenwaffen. Hierbei gibt es aber vielfa-che berschneidungen, die eine Systematik der Blankwaffen nur unntig verkomplizieren.Daher wird auf eine solche Gliederung verzichtet.4

    2.1. HiebwaffenZu den Hiebwaffen gehren Schwert, Sbel, Pallasch, Hiebmesser, Streitaxt und Gleve5. Un-ter den Stader Exemplaren befinden sich ein Knauf aus der Gruppe der Schwerter sowie eineKlinge aus der Gruppe der Sbel.

    2.1.1. Schwerter

    2.1.1.1. Entwicklung des Schwertes

    In der Bronzezeit entwickelte sich aus dem Dolch das Schwertmit zunchst gleicher Form und einer Handhabung fr den Stich.Das Schwert besteht aus der Klinge und dem Gef (Abbildung5). Die Klinge unterteilt man in das eigentliche, meist zwei-schneidige Klingenblatt und die Angel, die Blattspitze wird alsOrt bezeichnet. Schlanke Klingen und scharfe Spitzen deuten aufeine doppelte Verwendung fr Hieb und Stich, prinzipiell wirddas Schwert aber zu den Hiebwaffen gezhlt. Das Gef setzt

    sich aus der Parierstange, dem Griffstck und dem Knauf zu-sammen.6Besonderes Augenmerk wollen wir nun dem Knauf widmen.Einerseits stellt er ein Gegengewicht zur Klinge dar, andererseitsverhindert er ein Abrutschen der Hand vom Griff. Die lngerenKlingen des Sptmittelalters verlangten neben einem verlnger-ten Griff auch einen schwereren Knauf. Whrend der morpholo-gischen Entwicklungsgeschichte des Schwertes tauchten die unterschiedlichsten Knaufformenauf (Abbildung 6), die weitestgehend auf modische Einflsse zurckzufhren waren.7

    4DOLNEK/DURDK1995, 8.5In der Literatur finden sich die Schreibweisen Glefe (z.B. bei BOEHEIM), Glfe (SEITZ) und Gleve (im Duden).6MLLER/KLLING1990, 25.7MLLER/KLLING1990, 26.

    Abbildung 5

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    2.1.1.2. Fund 106/1410

    Einziger Stader Fund

    aus der Gruppe derSchwerter ist ein dop-

    pelkonischer Schei-benknauf aus Eisen(Abbildung 7).Die im Hochmittelalteraufkommenden Knauf-formen knnen oft-

    mals von wikingerzeitlichen Typen (Abbildung 8) abgeleitet wer-den. Beim pilzfrmigen Knauf ist die hnlichkeit noch gut zu er-kennen, der daraus entstandene paranufrmige Knauf und der so-

    genannte Pagodendachknauf wirken bereits eigenstndiger, obwohl ein Zusammenhang mitden frheren Gefen nicht zu leugnen ist. Vllig losgelst, als typisches Zeichen des romani-schen Stils, tritt im 11. Jahrhundert, vermehrt ab 1100 der Scheibenknauf in Erscheinung,zunchst als flache Scheibe, bald aber, um 1200, mit abgefaten Seiten (auch doppelkonischerScheibenknauf genannt; Auf einer Emailplatte mit dem Schwert Gott-frieds I., Herzog der Normandie, findet sich offensichtlich bereits 1150diese Variante des Scheibenknaufs (Abbildung 9). Zusammen mit diesenAbfassungen wird der Knauf zunehmend dicker. Zum Ende des 13. Jahr-hunderts biegen sich die vormals gerade abgeschnittenen Rnder konkav.Obwohl neue Formen hinzukommen, hlt sich der Scheibenknauf bis

    zum Ende des Mittelalters. Interessanterweise wirdin der zweiten Hlfte des 15. Jahrhunderts dieschlichte, flache Scheibenform wieder modern.8Vergleichbare doppelkonische Scheibenknufe wie106/1410 kennt man unter anderem von der StatueGraf Ekkehards am Westchor des NaumburgerDoms9 (um 1260 bis 1270; Abbildung 10), vomZeremonienschwert Friedrich II.10mit verndertemKnauf um 1335 (Abbildung 11) oder von einemSchwert aus Dettingen, Kreis Reutlingen11aus dem

    8SEITZ1965, 132ff.; DOLNEK/DURDK1995, 31;MLLER/KLLING1990, 32.9SEITZ1965, 143.10SEITZ1965, 148.11HAUSHERR1977, 233; VTERLEIN1977, 159.

    Abbildung 6

    Abbildung 8

    Abbildung 9 Abbildung 10

    Abbildung 7im Mastab 1:2

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    13. Jahrhundert. Bei den Schwertern des Muse-ums fr Deutsche Geschichte in Berlin erschei-nen Scheibenknufe mit abgefaten Seiten imZeitraum 13. bis 14. Jahrhundert.12 WAGNER

    bildet zahlreiche vergleichbare Knufe aus der

    Welislawbibel13

    (erste Hlfte des 14. Jahrhun-derts) und der Wenzelsbibel14 (ca. 1389-1400)ab. Nach Einschtzung von DR. GELBHAARund

    DR. GEIBIG datiert diese noch kompakte Knaufform (im Gegensatz zujngeren schlankeren Formen) in die erste Hlfte des 14., eventuell auchin die zweite Hlfte des 13. Jahrhunderts, was sich sehr gut mit den Ver-

    gleichsfunden deckt.Schwerter oder Schwertknufe stammen in der Regel aus Museen und Zeughusern, archo-logische Funde sind selten. Ein Schwert mit doppelkonischem Scheibenknauf wurde in Har-

    burg gefunden15(Abbildung 12), ein hnliches als Baggerfund aus der Elbe geborgen16(Ab-bildung 13). Ein weiterer Flufund (Abbildung 14) ist beispielsweise aus Demmin in Meck-

    lenburg-Vorpommern bekannt.17Fr den Stader Fund 106/1410 kommt demzufolge dieserZeitraum mit einer Streuung ins frhe 13. sowie spte14./frhe 15. Jahrhundert in Frage.

    Auf den Seitenflchen des Knaufes wurden durch Tauschie-rung goldene Verzierungen angebracht. Unter Tauschierungversteht man die Oberflchenverzierung von Metallgegen-stnden durch das Einlegen andersfarbiger, zumeist edlerMetalle. Die Form wird zunchst eingeritzt oder eingetzt,dann das edlere Metall hineinge-hmmert. Vereinfacht knnenauch aufgerauhte Stellen mitDrhten beschlagen werden.Auf der einen Seite erkennt maneinen achtstrahligen Stern mit

    zwei kleinen Ringen, der eine um die Sternspitzen fhrend, der an-dere in dessen Mitte, auf der anderen Seite eine kreuzfrmigeZeichnung mit Wappenflche, die nicht nher zu bestimmen ist.

    Nach BOEHEIMwerden ab dem 12. Jahrhundert die scheibenfrmi-gen Knufe mit Wappen verziert.18Die flachen Seiten eignen sich

    besser fr derartige Darstellungen als etwa mehrteilige wikingerzeit-liche oder facettierte sptmittelalterliche Knufe. Natrlich trugenauch die wikingerzeitlichen Gefe reiche Verzierung, doch ist diese ornamental oder imTierstil.19Ein gutes Beispiel fr verzierte Scheibenknufe ist das Exemplar aus dem Museumfr Deutsche Geschichte in Berlin mit aus Messing eingelegten Krckenkreuzen (Abbildung15). Das Schwert stammt aus der zweiten Hlfte des 14. Jahrhunderts.20

    12MLLER/KLLING1990, 162ff.13WAGNER1957, Teil V, Tafel 1.14WAGNER1957, Teil V, Tafel 5.15DRESCHER1965, 123.16KRAWCZYK1957, 96.17SCHOKNECHT1971, 284f.18BOEHEIM2000, 244.19SEITZ1965, 101ff.20MLLER/KLLING1990, 167.

    Abbildung 11

    Abbildung 12

    Abbildung 13 Abbildung 14

    Abbildung 15

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    2.1.1.3. Energiedispersive Rntgenfluoreszenzanalyse des Knaufes

    Aus den Mewerten kann man folgende am hufigsten vorkommenden Metalle ablesen:

    Fundnummer Probennummer Mestelle Metalle (mengenmig hufigste zuerst)

    106/1410 5794 Schwarze Stelle Eisen Blei Calcium Kupfer106/1410 5794 Goldener Stern Eisen Kupfer Blei Calcium Silber

    Der Knauf besteht somit berwiegend aus Eisen (Messung an einer schwarzen Stelle). Eben-falls nachgewiesene Metalle wie Blei, Calcium und Kupfer haben einen mengenmig zugroen Abstand zum Eisen, als da man von einer Legierung sprechen knnte. Wir haben eshier demzufolge mit einem verunreinigten Eisen zu tun, was auf die zugrunde liegenden Ei-senerze der damaligen Zeit zurckzufhren ist.Anders sieht es bei den goldenen Tauschierungen aus. Die Messung am Stern erbrachte neben

    Eisen eine hohe Menge an Kupfer, weitere Metalle sind sehr gering vertreten. Hier handelt essich tatschlich um eine Legierung.

    2.1.2. Sbel

    2.1.2.1. Entwicklung des Sbels

    Als typische Hiebwaffe gilt der Sbel (Abbildung 16). Er unterscheidet sich vom Schwert

    durch seine mehr oder weniger gebogene, einschneidige Klinge. Zieht man den Sbel beimHieb zu sich heran, entsteht zustzlich zur Hieb- auch eine Schneidwirkung. Der Griff stehtasymmetrisch zur Klinge und besitzt in der Regel keinen Knauf, sondern eine sogenannteGriffkappe. Als Handschutz dient zunchst die Parierstange, spter der Griffbgel, Faust-schutzbgel oder Korb.21

    In Europa tauchte der Sbel zum erstenMal im 6. und 7. Jahrhundert bei denAwaren auf. Auch die Magyaren bedien-ten sich dieser fr die schnelle Reitereivorteilhaften Waffe. Sie konnte jedoch

    bis auf wenige Exemplare in Mitteleuro-pa als mittelalterliche und frhneuzeitli-che Kriegswaffe keinen Fu fassen, dagegen die verbreiteten Krperpanzerun-gen Hieb- und Stoschwerter sehr vieleffektiver waren als ein Sbel. Lediglichin Gebieten mit Soldaten, die leichtberit-tenen Gegnern mit Sbeln gegenber-standen, pate man sich dieser Bewaff-nung an; ein gutes Beispiel ist Ungarn,das dieser Waffe nach den Trkeneinfl-

    len im 15. Jahrhundert wieder groe Be-

    21SEITZ1965, 183; DOLNEK/DURDK1995, 53; MLLER/KLLING1990, 34f.

    Abbildung 16

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    deutung schenkte. Seit dem 17. Jahrhundert gehrte der Sbel immer mehr zur Ausrstung derleichten Reiterei, namentlich der Husarenregimenter des 18. Jahrhunderts. Neben der Kavalle-rie fhrte seit dem 18. Jahrhundert auch die Infanterie einen Sbel, um fr den Nahkampf ge-rstet zu sein. In Preuen wird er fr diese Truppengattung 1715, in Ruland 1732 und inFrankreich 1767 eingefhrt.22Hauptwaffe aber war das Steinschlogewehr mit Bajonett, das

    die Pike ersetzt hatte. Viele Armeen trennten sich jedoch bereits im 19. Jahrhundert wiedervom Infanteriesbel, da er zu selten zum Einsatz kam. Infanterieoffiziere trugen ihn weiterhin,bis er um 1900 vom Degen weitgehend verdrngt wurde. Auch der Kavalleriesbel blieb biszum Ende des 19. Jahrhunderts von groer Bedeutung. Erst die Stellungskriege des erstenWeltkrieges machten diese Blankwaffe berflssig.23

    Neben einer militrischen Verwendung kamen im 19. Jahrhundert weitere hinzu. Der Sbeldiente auch als Wrdenzeichen fr Staatsbeamte sowie als Sportgert fr das in der zweitenHlfte des 19. Jahrhunderts aufkommende Sbelfechten.

    2.1.2.2. Fund 106/1409

    Zur Gruppe der Sbel gehrt die schlanke und relativ stark gebogene Klinge106/1409 (Abbildung 17). Das Gef - also Griffkappe, Griffschalen und

    Parierstange bzw. Korb oder Bgel - als ein wichtiges typologisches Merk-mal fehlt und erschwert damit die Datierung des Fundes. Man mu sich daher auf die Klin-gengestalt konzentrieren und daraus Rckschlsse auf Verwendungszweck und Alter ziehen.Auffllig ist die schlanke, stark gebogene Gestalt der Klinge. Wie bereits erlutert, kommenSbel im Mittelalter in Zentraleuropa so gut wie nicht vor. Berhmte Ausnahme bildet dersogenannte Sbel Karls des Groen, eine osteuropische Arbeit zwischen 850 und 950, der

    jedoch mit dem Stader Typus nicht zu vergleichen ist.24 Die uns whrend des Hoch- undSptmittelalters begegnenden Malchusschwerter mit einschneidiger,gebogener, zur Spitze hin verbreiterter Klinge sind krzer und breiterals der Stader Fund (Abbildung 18).25 Im 16. Jahrhundert kommenorientalische Formen in Mode. Der persische Sbel, auch Shamshir

    oder Scimitar genannt, hat mit seiner stark gebogenen, schlankenKlinge ohne Hohlkehle eine gewisse hnlichkeit, doch verjngt sichdie Klinge zur Spitze hin, wohingegen die Stader Klinge abgerundetist. Der ebenfalls weit verbreitete trkische Sbel, Kilij genannt, istsehr viel breiter und weniger gebogen und trgt eine Kehlung.26

    22HEINRICH MLLER2001, 107.23DOLNEK/DURDK1995, 53ff.; MLLER/KLLING1990, 34ff., 75ff., 99ff., 141ff.24SEITZ1965, 184ff.25SEITZ1965, 187ff.26MLLER/KLLING1990, 75.

    Abbildung 18

    Abbildung 17

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    Die ersten preuischen Infanteriesbelunter Friedrich Wilhelm I. (Abbildung19) richten sich noch nach keiner Regle-mentierung. Bis 1744 betrug die Klingen-lnge 785 mm, danach wurde sie auf

    Anweisung von Friedrich II. auf 628 mmgekrzt, auch bei bereits bestehendenWaffen. Der Infanteriesbel nderte sich

    bis 1816 kaum mehr. Fund 106/1409 ausStade hat eine Klingenlnge, gerade am

    Klingenrcken gemessen, von 735 mm und ist damit zu lang fr einen Infante-riesbel. Auch seine starke Krmmung spricht dagegen.27Infanterieoffizierssbel des 19. Jahrhunderts hatten zwar mit Fund 106/1409vergleichbare Klingenlngen zwischen 70 und 80 cm, waren aber weiterhin,zumindest bis zur Jahrhundertmitte, breit und relativ wenig gebogen (Abbildung20).28

    Zur Bewaffnung der preuischen Kavallerie gehrten der Karabiner, zwei Pisto-len und eine Griffwaffe. Diese Griffwaffe mute es dem Reiter ermglichen,

    sowohl die feindliche Reiterei, als auch die Fusoldaten zu erreichen. Man bediente sich da-her gerne des sogenannten Kavalleriesbels mit langer, gekrmmter Klinge, die meist eine

    beidseitige Hohlkehle aufwies, und kurzem Rckenschliff. Formen Ende des 17. Jahrhundertsmit schlanken Klingen wurden den trkischen Vorbildern entlehnt, ab der zweiten Hlfte des18. Jahrhunderts ist die Tendenz zu krftigeren Klingen zu erkennen (Abbildung 21).29Im 19.Jahrhundert forderte die Reiterei zunehmend eine Vernderung der Sbelklingen, die auch einStechen ermglichten. Mit einer Verringerung der Klingenkrmmung erreichte man 1843dieses Ziel. Trotzdem blieben die Klingenlngen im Vergleich zum Stader Fund sehr lang,wie nachfolgende Abbildung22 zeigt.Die Klingenlngen bewegen sich zwischen 810 und 980 mm, die Gesamtlngen zwischen 840und 1370 mm. Fund 106/1409 zum Vergleich hat nur 735 bzw. 835 mm. Auch die groePfeilhhe von 76,5 mm, also das Ma der Klingenkrmmung, entspricht nicht den gngigenWerten fr Kavalleriesbel des 19. Jahrhunderts.30Sbel sind als Bodenfunde uerst selten. In Hesel,Landkreis Leer, Niedersachsen, wurde bei Erdarbeitenein preuischer Sbel mit Gef aus der Zeit um 1800

    geborgen. Die Klinge istlnger und gerader als beimStader Fundstck.31

    Zusammenfassend lt sichsagen, da die neuzeitlicheSbelklinge aus Stade wedermit den krzeren und gera-deren Infanteriesbeln, nochmit den lngeren Kavallerie-sbeln, welche trotzdemeine geringere Pfeilhhe

    27HEINRICH MLLER2001, 107ff.28MLLER/KLLING1990, 142f.29HEINRICH MLLER2001, 143ff.30MLLER/KLLING1990, 144ff.31MLLER1995, 412.

    Abbildung19

    Abbildung 20

    Abbildung 21Abbildung 22

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    besitzen, bereinstimmt. Im zivilen Bereich jedoch entstanden im 19. Jahrhundert Sbelfor-men mit sehr schmalen gebogenen Klingen fr das Sbelfechten.32Eine Verwendung in dieserRichtung ist denkbar. Nach Einschtzung von Herrn DR. GELBHAARkmen auch die BereicheBrgerwehr, Schtzenverein oder Veteranenverein in Frage.33

    2.1.3. Graphische bersicht ber die Datierungen der Sta-der Hiebwaffen

    Hochmittelalter Sptmittelalter Frhneuzeit Neuzeit12. Jh. 13. Jh. 14. Jh. 15. Jh. 16. Jh. 17. Jh. 18. Jh. 19. Jh.

    106/1410106/1409

    Wahrscheinlichste Datierung (hufiges Vorkommen)Mgliche Datierung (selteneres Vorkommen)Keine Datierung (kein Vorkommen bzw. Datierung nicht mglich)

    Die zeitliche Eingrenzung der einzelnen Epochen ist vereinfacht dargestellt und soll nichtdarber hinwegtuschen, da sie von der Wissenschaft sehr viel differenzierter betrachtetwerden kann.

    32DOLNEK/DURDK1995, 87.33Freundliche Auskunft von Herrn DR. GELBHAAR.

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    Abbildung 23Lanzenreiter auf dem Teppich von Bayeux.

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    Der Spiewurde von Berittenen wie Fukmpfern gleichermaen im Nah-kampf als Stowaffe verwendet. Im 8. bis 11. Jahrhundert herrschte dieForm derFlgellanzemit dreieckigen Knebeln am Tllenansatz vor, die einzu tiefes Eindringen der Waffe in die Wunde verhindern sollten. In derFrhneuzeit erlebte diese Form als sogenannter Knebelspie eine Renais-

    sance. Neben diesen Flgellanzen existierte whrend der Wikingerzeit eineVielzahl von Formen.Seit dem Hochmittelalter unterschied man deutlich zwischen Spieen der

    berittenen Krieger,ReisspieoderLanzegenannt (Abbildung 25), und de-nen der Fusoldaten in mannigfaltigen Ausfhrungen (Abbildung 26). Abdem 13. Jahrhundert ist eine Verkrzung der Spitze und gleichzeitige Ver-

    breiterung des Tllendurchmessers zu erkennen, was auf massivere Schfteschlieen lt. Typische sptmittelalterliche Lanzenspitzen sind krzer alsin vorangehenden Jahrhunderten, mit kegelfrmiger Tlle und kurzer Spitzerhombischen Querschnitts und schmalen Profils. Auch gab es Spitzen mit

    breiterem, blattfrmigem Profil. Diese Formen hielten sich bis zum Ende des 16. Jahrhun-

    derts, als die Lanze bei der schweren Reiterei nach und nach nicht mehr genutzt wurde. Le-diglich die Truppengattung der Lanzierer bediente sich im 17. Jahrhundert als Rckbesinnungauf eine ritterliche Kampfweise der Lanze. Im 18. Jahrhundert gab es mit Lanzen ausgersteteUlanenregimenter, danach tauchte diese Waffe nur noch als Anachronismus auf.37Parallel dazu verwendeten auch Fusoldaten seit dem Hochmittelalter lange Spiee fr den

    Nahkampf mit meist blattfrmigen, in der Mitte verstrkten Spitzen. Leichtere Varianten des13. und 14. Jahrhunderts standen schwereren des 14. und 15. Jahrhundert mit 30 bis 40 cmLnge gegenber (Abbildung 27). Typisch fr das Sptmittelalter sind Spitzen mit sehr langerTlle und Hals, also dem Bereich zwischen Blattansatz und eigentlicher Tlle. Eine besondereBedeutung in der Taktik der Fusoldaten gewannen die Langspieebzw. Piken, besonders

    beim Landsknechtsfuvolk des 15. und 16. Jahrhunderts. Diese Form des Spiees war ur-sprnglich in Italien des 14. Jahrhunderts entstanden. Die Spitze hatte zunchst ein blattfr-miges Profil und rhombischen Querschnitt, im 17. Jahrhundert eine schlankere, nadelfrmigeGestalt mit vierkantigem Querschnitt und kurzer Tlle. Die Pike hielt sich bis zur Einfhrungdes Steinschlogewehrs mit Bajonett und wurde um 1700 von diesem abgelst.38

    37BEAUFORT-SPONTIN1982, 33ff.;DOLNEK/DURDK1995, 136ff.38DOLNEK/DURDK1995, 138ff.

    Abbildung 26

    Fuspietrger auseinem Manuskriptvon 1294.

    Abbildung 27Ausschnitt einer Miniatur um 1490. Ein Heer von spietragenden Kreuzfahrern erstrmt Antiochia.

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    2.2.1.2. Speere und Lanzen

    Fund 106/113Der 21 cm lange Fund 106/113 (Abbildung 28) besitzt ein lanzettfr-miges Profil und einen rhombischen Blattquerschnitt. Das Blatt weist

    beidseitig einen Mittelgrat auf, die Blattflchen zwischen Grat und Au-enkante sind jeweils konkav gebogen. Die breite Tlle mit einem nocherhaltenen Innendurchmesser von 24 mm ist teilweise beschdigt, dochist gut die Lochung fr den Dorn zu erkennen, der die Spitze auf demSchaft hielt. Zustzlich befindet sich gegenber der Tllennaht eineweitere Lochung mit Dorn. In der Tlle sind Reste des Schaftes erhal-ten.Vergleichsfunde mit konkaven Flchen gibt es beispielsweise aus demfrheisenzeitlichen Lanzenhort bei Passentin in Mecklenburg-Vorpommern39, im Frhmittelalter bei den Alamannen (Speerfunde aus

    Mnchhf

    40

    ; Abbildung 29) und den Wikingern

    41

    (Abbildung 24), imHochmittelalter bei den Slawen (aus Levetzow42; Abbildung 30), umnur einige zu nennen. Auch aus Quakenbrck ist eine entsprechende

    Spitze unbestimmter Zeitstellung geborgen worden.43

    Fund 106/114Die rhombisch-lanzettfrmige Spitze 106/114 (Abbildung 31) ist die grte in dieser Fund-gruppe. Sie mit knapp 28 cm, ist mit knapp 2,6 cm Blattbreite aber uerst schlank. Der Mit-telgrat des Blattes wird auf der Tlle fortgesetzt, die insgesamt acht feine Rippen aufweist.Trotz leichter Beschdigung scheint der Tllenranderhalten zu sein, sein Durchmesser betrgt 27 mm.

    Ein kleiner Nagel dient der Befe-stigung am Schaft, dessen Restenoch bis zum Rand in der Tllestecken.Vergleichbare Funde kennt manzum Beispiel aus Flaesheim in

    Nordrhein-Westfalen44(um 700),Perleberg in Mecklenburg-Vorpommern45 (8. bis 9. Jahr-hundert; Abbildung 32), ausSkandinavien (11. Jahrhundert;

    Abbildung 24) oder von derBurgruine Alt-Wartburg, KantonAargau46 (erste Hlfte 11. Jahr-hundert; Abbildung 33).

    39SCHOKNECHT1974, 157ff.40QUAST1997, 434.41SEITZ1965, 118.42SCHOKNECHT1968, 302.43MLLER2000, 276f.44SCHNURBEIN1976, Tafel 24.45HERRMANN/DONAT1973, Abbildung 12/47.46MEYER1974, 74.

    Abbildung 28

    in 1:4

    Abbildung 30

    Lnge 49,8 cm

    Abbildung 29

    ohne Mastab

    Abbildung 31

    ohne Mastab

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    Fund 106/116Der Fund 106/116 (Abbildung 34)ist stark deformiert und korrosiv. Erist von schlanker, lanzettfrmigerGestalt mit rhombischem Quer-

    schnitt. Aus der konischen Tlleerwchst ein Mittelgrat, der sichber das Blatt zieht. Bei einem derLcher am Tllenrand handelt essich vermutlich um die Lochung freinen Dorn. Am Metall befindensich wenige Holzreste. Bei denVergleichsfunden kann man diegleichen wie bei 106/114 anfhren,da sich die beiden Stader Exempla-re sehr hneln.

    Fund 106/117Das besterhaltenste Exemplar dieser Waffengattung ist106/117 (Abbildung 35). Die relativ kurze, rhombisch-

    lanzettfrmige Spitze macht mit ihren gut 150 g einen sehr massiven Eindruck. Ein Mittelgratauf dem Blatt geht flieend in die Tlle ber, die selbst zum Rand hin komplett erhalten ist.Die Tlle weist keinerlei Naht auf, die bei herkmmlichen Funden zu sehen ist, sondern ist

    perfekt verschweit. Zwei Dornlcher und Reste des Holzschaftes im Innern der Tlle rundendas Bild ab.Vergleichbare Funde gibt es wieder aus dem Frh-, Hoch- und Sptmittelalter, so unter ande-

    rem aus Damgarten, Mecklenburg-Vorpommern47

    (vlkerwanderungszeit-lich; Abbildung 36), Kosel in Schleswig-Holstein48 (vermutlich 12. Jahr-hundert; Abbildung 37) oder von der Burgruine Alt-Wartburg, Kanton Aar-gau49(vermutlich Anfang 14. Jahrhundert; Abbildung 38).

    Wie aus der vorangegangenen Betrachtung zu erse-hen ist, ist es nach heutigen wissenschaftlichen Er-kenntnissen nahezu unmglich, Speer- und Lanzen-spitzen genau zu datieren. Besagte Formen kommen

    praktisch in allen Epochen mehr oder weniger ge-

    huft vor. Selbst die Eisenzeit hat hnliche Formenhervorgebracht, obwohl es sich bei den Stader Fun-den im Hinblick auf die Begleitfunde hchstwahr-scheinlich um hoch- bis sptmittelalterliche Exem-

    plare handelt. Genauere Datierungen mssen Mut-maungen bleiben, wie auch Herr DR. GEIBIG undHerr DR. GELBHAAR von der Kunstsammlung derVeste Coburg betonen.

    47LAMPE1974, 269.48DIETRICH MEIER1994, Tafel 21.49MEYER1974, 74.

    Abbildung 32

    ohne Mastab

    Abbildung 33

    Abbildung 34

    Abbildung 36

    Lnge 14 cmAbbildung 35

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    Geht man von hoch- bis sptmittelalterlichenFunden aus, entsprche die kurze, massive Spitze106/117 am ehesten einer sptmittelalterlichenLanze, die lngere Form von 106/113, 106/114und 106/116 vielleicht hochmittelalterlichen

    Lanzen. Diese Einschtzungen sollen nicht dar-ber hinweg tuschen, da ebensogut andereDatierungen mglich sind. Bei den drei letztge-nannten Spitzen knnte es sich vielleicht auchum sptmittelalterliche Fuspiee handeln, selbstfrhmittelalterliche Speere sind denkbar. Einedendrochronologische Untersuchung der guterhaltenen Schaftreste knnte vielleicht klren,inwieweit man mit diesen Altersbestimmungenrichtig liegt. Problematisch ist die Tatsache, dadie fr die Schfte verwendeten Holzarten den

    Dendrochronologen hufig nicht als kompletteReihe vorliegen.50 Eine Radiokarbonuntersu-chung wre eine weitere Mglichkeit, die man inBetracht ziehen knnte, um einen Beitrag zur

    eindeutigeren Datierung von Speer- und Lanzenspitzen zu leisten.51

    2.2.1.3. Langspiee (Piken)

    Fund 106/115

    Fund 106/115 (Abbildung 39) besitzt ein nadelfrmiges Profil mit qua-dratischem Querschnitt und eine Lnge von 151 mm. Eine hnlichkeitzu den Geschospitzen gleicher Form ist nicht abzustreiten. Auch beiZIMMERMANNgibt es etliche Exemplare mit Lngen um die 15 cm, nurerreichen diese gerade einmal ein Gewicht von 27,5 g.52 Das StaderObjekt ist deutlich massiver und scheidet mit seinem Tllendurchmes-ser von 22 bis rekonstruierten 27 mm als Geschospitze von Armbrustoder Bogen aus. Die Verwendung bei Katapulten oder Pfeilschleudernist aber denkbar, wie auch die beiden Funde 106/101 und 106/1413-1verdeutlichen.Die stark beschdigte Tlle weist jedoch ein Detail auf, das den Fund

    nicht den Schu-, sondern den Stangenwaffen zuordnet. Der lnglicheFortsatz ist nicht etwa der Rest einer vergangenen Tlle, sondern der

    Ansatz einer sogenannten Schaftfeder. Unter Schaftfedern versteht man bandartige Verlnge-rungen der Tlle, die auf den Schaft einer Stangenwaffe genietet sind und ein Abbrechen desHolzes verhindern sollen. Sie knnen Lngen von einem Drittel bis zur Hlfte des Schafteserreichen.53

    50Freundlicher Hinweis von Herrn DR. GEIBIG.51Das AMS-Labor des Physikalischen Instituts der Universitt Erlangen-Nrnberg bietet beispielsweise diese

    Mglichkeit, doch lieen lange Vorlaufzeit und vor allem hohe Kosten den Verfasser von einer Untersuchungabsehen.52ZIMMERMANN2000, 41.53BOEHEIM2000, 313.

    Abbildung 37

    Vergleichsfund aus Kosel

    in Schleswig-Holstein,vermutlich 12. Jahrhun-dert, Lnge 17,1 cm.

    Abbildung 38

    Vergleichsfund von derBurgruine Alt-Wartburg,Kanton Aargau, vermut-lich Anfang 14. Jahrhun-dert.

    Abbildung 39

    Stader Fund 106/115 imMastab 1:4.

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    Schaftfedern (Abbildung 40)tauchten zum ersten Mal im 12.Jahrhundert auf, als sich eineVernderung der ursprnglichenHandhabung von Nahkampf-

    stowaffen durchsetzte. DerSpie wurde nun einerseits tra-gendes Element der hochmittelal-terlichen Kavallerie in Form ei-ner Lanze mit bis zu 5 m Lnge.Andererseits bediente sich dieInfanterie zunchst krzerer, et-wa mannshoher Spiee, die nichtmehr geworfen, sondern gesto-en wurden. Aus diesem soge-nannten gemeinen Spie, der bis

    ins 17. Jahrhundert bestand undmit Lngen von 5 m Langspieoder Pike genannt wurde (Abbil-

    dung 41), entwickelte sich eine Reihe von weiteren Stangen-waffen wie etwa Gleve, Helmbarte oder Kuse.54Der Stader Fund ist damit die Spitze einer Pike und kannaufgrund seiner schlanken, langen Form mit quadratischemQuerschnitt gut ins 17. Jahrhundert datiert werden. Auch einVorkommen im 16. Jahrhundert ist denkbar. In der VesteCoburg gibt es Vergleichsstcke mit hnlicher Spitze.

    2.2.1.4. Naturwissenschaftliche Untersuchungen

    Computertomographie bei Fund 106/118Dieser Fund mit seinen knapp 22 cm Lnge und einem lanzettfrmigenProfil (Abbildung 42) vermittelt auf den ersten Blick den Anscheineiner Speer- oder Lanzenspitze. Aufgrund fehlender Konservierung undder starken berlagerung mit Steinen und Erdreich war eine genauereEinordnung zunchst nicht mglich.Licht ins Dunkel brachte eine naturwissenschaftliche Untersuchung am

    Fraunhofer-Institut fr Integrierte Schaltungen in Erlangen. Das Ent-wicklungszentrum fr Rntgentechnik EZRT, das in der Regel zerst-rungsfreie Qualittskontrollen an Industrieprodukten durchfhrt, durch-leuchtete mittels eines Computertomographen neben einigen anderenFundstcken auch diese Lanzenspitze. Bei der Computertomographiemacht man sich die unterschiedliche Durchlssigkeit von Materialienfr Rntgenstrahlen zunutze. Je dichter ein Material ist, desto schlech-ter lt es die Strahlung hindurch. Gemessen wird die Abschwchungder Eingangsstrahlung. Die Rntgenquelle rotiert bei der Aufnahme umdas Objekt, whrend die gegenberliegenden Rntgendetektoren diedurch unterschiedliche Materialien mehr oder weniger abgeschwchtenRntgenstrahlen erfassen. Das Ergebnis sind einzelne, berlagerungs-

    54BOEHEIM2000, 312f.

    Abbildung 41

    Langspiee (Piken) des 17. Jahrhun-derts aus Deutschland. Die Schftesind im ganzen knapp 5 m lang, dieSpitzen schlanker als im 15. und 16.Jahrhundert.

    Abbildung 40

    Illustration von Langspieeisendes 15. Jahrhunderts mit breitenSpitzen und unterschiedlichlangen Schaftfedern.

    Abbildung 42

    Stader Fund 106/118 imMastab 1:4.

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    freie Schichten des Objektes, die zu einem dreidimensionalen Bild zusammengefgt werdenknnen.Der metallene Fund 106/118 konnte auf diesem Wege von seiner verkrusteten Sand- undSteinschicht befreit werden. Das Ergebnis war erstaunlich: Die vermeintliche Lanzenspitzewar in Wirklichkeit ein lnglicher, sich verjngender Stab mit einer Bohrung am oberen Ende,

    vermutlich ein Werkzeug mit einer ffnung fr den Holzschaft (Abbildung 43 und 44).

    Auch wenn keine genaueren Angaben hinsichtlich der Nutzung und Datierung des Objektesgemacht werden konnten, erlaubte die Computertomographie doch eine Revision vorherigerVermutungen ber eine mutmaliche Lanzenspitze. Der verkrustete Fund hat tatschlich ein

    Abbildung 43

    Bedingt durch das Meverfahren, bei dem das Objekt eingespannt wurde und somit nur von einer Seite bestrahlt werden konnte, ent-standen zwei Teilbilder. Sie fgen sich aus den jeweiligen Schnittbildern der Messung zu einem dreidimensionalen Bild zusammen.Unterschiedliche Farbigkeit verdeutlicht auch eine unterschiedliche Dichte. Klar sind an den Schnittkanten grne Bereiche im Innerenzu erkennen, die auf das tatschliche Objekt innerhalb der Erd- und Steinschicht hinweisen.

    Abbildung 44

    Durch die Technik der Computertomographie sichtbar gemacht: das Innere des Fundstckes 106/118. Es handelt sich um keine Lanzen-spitze, wie vormals angenommen, sondern vermutlich um ein Werkzeug. Die Abbildungen sind nicht mastabsecht.

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    lanzettfrmiges Profil, doch war dies vor einer aufwendigen Restaurierung bzw. Durchleuch-tung reine Spekulation. Das Ergebnis macht auch deutlich, wie leicht man einer zu schnellenKlassifizierung erliegen kann.

    Computertomographie bei Fund 106/117Als zweites Objekt wurde die tatschliche Lanzenspitze 106/117 durchleuchtet. Als Gertdiente, wie bei allen anderen Untersuchungen, ein industrieller 3-D-Computertomograph derFirma Seifert, Typ DP 424. Einstellungsparameter waren 225 kV, ein amorpher Silizium-Detektor mit 16bit-Dynamik, 0,4 mm/Pixel Auflsung, eine geometrische Vergrerung von2,2, 1,5 mm Kupfervorfilterung und 0,4 Sekunden Belichtungszeit.

    Die Computertomographie sollte einerseits die nicht auszumachende Schweinaht der Tllesichtbar machen, andererseits klren, ob bei diesem qualitativ hochwertigen SchmiedeproduktStahlschneiden angeschweit worden waren. Heutzutage werden alle Sorten schmiedbarentechnischen Eisens als Stahl bezeichnet. Historisch gesehen unterscheidet man aber Schmie-

    deeisen, also unhrtbares Eisen mit geringem Kohlenstoffgehalt, von Stahl, sprich hrtbaremEisen mit hohem C-Gehalt.Gehrteter Stahl lt sich scharf schleifen und eignet sich gut fr die Schneiden, wird durchdas Hrten jedoch gleichzeitig sprde. Um die Waffe als Ganzes nicht zu brchig werden zulassen, verwendete man fr deren Krper ungehr-tetes Eisen mit hoher Elastizitt und verschweiteihn mit gehrteten Stahlschneiden (Abbildung 45).Eine nachtrgliche Wrmebehandlung des ge-schmiedeten Metalls erlaubt die Vernderung desHrtegrades und der Sprdigkeit. Beim sogenann-ten Aufkohlen wird durch Sttigung mit Kohlen-stoff die Oberflchenhrte des Stahls erhht. An-schlieendes Abschrecken nur der Schneiden hr-tet diese, ohne jedoch das gesamte Schmiedeobjekt

    brchig werden zu lassen. Nach dem Abschreckenerwrmt man es erneut bei geringeren Temperatu-ren. Dies verringert vor allem die Sprdigkeit, je-doch kaum die Hrte. Heute werden Abschreckenund Anlassen zusammen als Hrten bezeichnet.55

    Die Bilder der Computertomographie (Abbildung 46) machten die Tllennaht sichtbar, die

    vom Schmied perfekt berarbeitet worden war, so da man sie mit bloem Auge nicht mehrausmachen kann (Abbildung 47). Dies zeugt von der hohen Fertigkeit des Waffenschmiedsund dem wohl groen Stellenwert des qualitativ hochwertigen Produkts. Des weiteren lieensich keine Schweinhte am Ansatz der Schneiden erkennen (Abbildung 47). Dies verwun-dert, denn das Schmiedeverfahren des Feuerschweiens ungleicher Metalle taucht bereits ver-einzelt in der Hallstattzeit, fters in der Latne- und Rmerzeit auf und ist seit dem Frhmit-telalter allgemein bekannt und verbreitet. Leider konnten nur wenige Messungen oberhalb dergrten Blattbreite in Hhe der Schneiden gemacht werden56, da der Fund gegen ein Verrut-schen eingespannt wurde, so da dieses Ergebnis nur bedingt aussagekrftig ist. Eine weitereMessung entlang der gesamten Schneide wrde genauere Erkenntnisse liefern.

    55PLEINER1962, 254ff.56Gemessen wurde entlang der Symmetrieachse des Fundes in Abstnden von 184 m bis auf eine Hhe vonetwa 82,7 mm vom Tllenrand aus.

    Abbildung 45

    Arbeitsschritte bei der Herstellung einer Lanzenspitze.Nummer VII und VIII zeigt das Anschweien der sepa-raten Schneiden.

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    Rntgenbilder entlang derQuerachse

    (nicht mastabsgetreu)

    Abbildung 46

    Helle Bereiche der Rntgenbilder verdeutlichenhohe, dunkle Bereiche geringe Dichte.

    Rntgenbilder entlang derLngsachse

    (nicht mastabsgetreu)

    Schicht 45076,5 mm von der

    Unterkanteentfernt

    Schicht 350Rotation um 350

    Grad

    Schicht 40067,3 mm von der

    Unterkanteentfernt

    Schicht 300Rotation um 300

    Grad

    Schicht 35058,1 mm von der

    Unterkanteentfernt

    Schicht 250Rotation um 250

    Grad

    Schicht 30048,9 mm von der

    Unterkanteentfernt

    Schicht 200Rotation um 200

    Grad

    Schicht 250

    39,7 mm von derUnterkante

    entfernt

    Schicht 175Rotation um 175

    Grad

    Schicht 20030,5 mm von der

    Unterkanteentfernt

    Schicht 150Rotation um 150

    Grad

    Schicht 150

    21,3 mm von derUnterkanteentfernt

    Schicht 100

    Rotation um 100Grad

    Schicht 10012,1 mm von der

    Unterkanteentfernt

    Schicht 50Rotation um 50

    Grad

    Schicht 502,9 mm von der

    Unterkanteentfernt

    106/117

    im Mastab 1:1 Schicht 25Rotation um 25

    Grad

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    Schicht 75 zur Querachse zeigt deutlich diebeiden Tllenlcher fr die Befestigung des

    Schaftes

    Die Detailansicht der Schicht 250 zur Quer-achse lt die Schweinaht der Tlle auf der

    Innenseite erkennen.

    Auch nher am Tllenrand (Schicht 125 zurQuerachse) gibt es an gleicher Stelle eine

    schwache Naht an der Innenseite.

    Die Detailansicht der Schicht 475 zur Quer-achse weist keine Schweinhte auf, wie siebei angeschweiten Schneiden entstehen.

    Abbildung 47

    Ergebnisse der Computertomographie bei Fund 106/117

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    2.2.2. Dolche

    Grundstzlich mu man zwischen Dolch und Messer unterschei-den. Beides sind zunchst kurze Seitenwaffen mit gleicher Funkti-on. Die waffengeschichtliche Forschung des 19. Jahrhunderts ver-suchte, klare Grenzen fr eine terminologische Einordnung zuschaffen. Man berief sich dabei auf den Charakter der Klinge, desGriffes oder der Kombination von beidem. In dieser Arbeit sollendiese beiden Waffen wie folgt definiert werden (Abbildung 48):Der Dolch besitzt einen symmetrischen Griff und Knauf und hneltdamit dem Schwert. Die Klinge mit verdicktem Querschnitt ist ein-oder mehrschneidig und dient dem Sto. Dagegen ist das Messeroft (aber nicht zwingend) von Unsymmetrie gekennzeichnet, be-sitzt keinen Knauf, die Klinge mit flachem Querschnitt ist meisteinschneidig und dient vor allem dem Schnitt und Hieb. Natrlich

    kann das Messer auch zum Stechen verwendet werden. Grundstz-lich ist es schwer zu unterscheiden, ob ein Messer als Waffe, Werkzeug oder Hausgert Ver-wendung fand.57

    Dolche verschiedener Materialien kennt man bereits aus vorchristlichen Epochen, sei es ausdem Neolithikum, der Bronze- oder Eisenzeit. Auch die Rmer bedienten sich dieser kurzenWaffe. Nach dem Ende der rmischen Zeit verschwand sie aber im Abendland, um erst wie-der im 13. Jahrhundert, vielleicht etwas frher, zu erscheinen. Bei der hoch- und sptmittelal-terlichen Reiterei galt der Dolch neben der Lanze und dem Schwert als Drittwaffe fr denFall, da man sich im Nahkampf befand und sein Schwert nicht verwenden konnte. Auch dieFusoldaten hatten eine hnliche Abfolge von Stangenwaffe (Langspie oder Helmbarte),

    Seitenwaffe (Kurzschwert) und einem Dolch fr den Notfall. Man nimmt an, da der Dolchals Reaktion auf die immer besser werdende Krperpanzerung dieser Zeit in Erscheinung trat.Seine schmale Klinge konnte in die Lcken des Plattenharnischs stoen.58Auch im 16. und 17. Jahrhundert blieb der Dolch bei Kriegern wie Zivilisten weiterhin be-liebt, da er gnstig in der Anschaffung, einfach in der Handhabung und bequem in der Trag-weise war. Speziell als sogenannter Linkhanddolch spielte er beim Fechten eine groe Rolle.

    Das Dekor entsprach dem der De-gen in dieser Zeit.59Im 18. Jahrhundert kam der Dolchlangsam aus der Mode, da er nichtder damaligen Militrtaktik ent-

    sprach.60 Besonders reich verzierteExemplare aus dem 19. Jahrhundertzeugen vom romantischen Bestre-

    ben dieser Zeit, das Mittelalter wie-der aufleben und als vorbildhaftgelten zu lassen. Dolche wurden zukostbaren Gegenstnden fr deko-rative Zwecke.61

    57SEITZ1965, 198f.58SEITZ1965, 115.; MLLER/KLLING1990, 36f.59MLLER/KLLING1990, 77ff.60BOEHEIM2000, 304.61SEITZ1968, 356f.

    Abbildung 48

    Abbildung 49

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    Fund 106/1408Dieser Dolch (Abbil-dung 49) besteht auseiner sehr schlankenKlinge von maximal 19

    mm Breite, einer frag-mentarisch erhaltenenParierstange mit Ver-dickung im mittlerenBereich und einemmassiven, langgestreck-ten Kugelknauf mitVernietknufchen. Die Griffangel ist komplett mit einem feinen Draht umwickelt.Mageblich fr die Datierung eines Dolches ist die Gestaltung von Knauf und Parierstange.Im Mittelalter findet sich eine Flle von Knufen (Abbildung 50), etwa in Form einer Metall-

    kappe (Nierendolch), einer tellerfrmigen Scheibe (Scheiben-

    dolch), zweier schrggestellter, ohrenartiger Scheiben (Ohren-dolch), zweier Arme oder Antennen (Antennendolch), einesgeraden oder geschweiften Knaufbalkens (Basilard, Schweizer-dolch) oder einer Scheibe (entsprechend den gngigen Schwert-knaufformen). Der Knauf des Stader Dolches entspricht keinerdieser Formen.In der Renaissance lebten zunchst einige mittelalterliche For-men weiter. Eine besondere Bedeutung erlangte im 16. und vorallem im 17. Jahrhundert der Parierstangendolch (Abbildung51), der gerne als Linkhanddolch gefhrt wurde. Whrend derFechter mit der rechten Hand einen Degen fhrte, hielt die Lin-ke einen solche Waffe, um die gegnerische Klinge abzufangen.Weiter verbreitet war jedoch der Parierstangendolch als Einzel-waffe. Linkhanddolche unterschieden sich von Einzeldolchen

    meist durch eine Klinge mit geschliffener Fehlschrfe; Fund 106/1408 besitzt tatschlich einausgeprgtes Ricasso von 60 mm. Um 1600 begegnen uns bei Dolchen erstmals langgestreck-te Kugelknufe, die an die Degengefe angelehnt sind. Jacob de Gheyn, Johann Jakob Wall-hausen und andere bildeten in ihrenTraktaten des 17. Jahrhunderts Soldatenab, die Blankwaffen mit entsprechendenKnaufformen tragen (Abbildung 52 und

    53).62

    Erhaltene Degen mit langge-streckt-kugeligen Knufen gibt es bereitsEnde des 16. Jahrhunderts (Abbildung54).63

    Wegen ihrer starken Beschdigung lie-fert die Parierstange keine zustzlichenInformationen fr einer Zuordnung oderDatierung. Bruchstellen eines mgli-

    62Vgl.JACOB DE GHEYN, Wapenhandelinghe van roers, musquetten ende spieen (den Haag 1607); JOHANN

    JAKOB VON WALLHAUSEN, Kriegskunst zu Fu (Oppenheim 1615); JOHANN JAKOB VON WALLHAUSEN, Kriegs-kunst zu Pferdt (Franckfurt am Mayn 1616);JOHANN JAKOB VON WALLHAUSEN, Ritterkunst (Franckfurt amMayn 1616).63SEITZ1965, 184ff.; MLLER/KLLING1990, 77ff.

    Abbildung 50

    Abbildung 51

    Abbildung 52Abbildung 53

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    cherweise vorhandenen Parierbgels sind nicht mehr auszumachen. Auch kannnicht mehr festgestellt werden, ob es sich ehemals um eine lange, gebogene Pa-rierstange, wie bei Linkhanddolchen blich, oder aber um eine kurze, gerade wie

    bei sogenannten Stiletten gehandelt hat. Unter einemStilett (Abbildung 55) versteht man einen kleinen

    Dolch mit spitzer, schlanker Klinge, der in Italien be-reits im frhen 16. Jahrhundert erwhnt wird und zwi-schen 1600 und 1650 sehr beliebt war.64

    Die Klinge mit ihrem schlanken, spitzen Blatt sprichtsehr fr ein Stilett. Zusammen mit der markantenKnaufform ergibt sich auf jeden Fall eine Datierung indie Zeit Ende 16. bis Ende 17. Jahrhundert mit einemgehuften Vorkommen in der ersten Hlfte des 17.Jahrhunderts.

    Fund 106/70Zwar spricht die Literatur oft von einer Grenze von 40 cm, die Dolche von Kurzschwerternunterscheidet, doch gibt es in den Museen und Katalogen zahlreiche Exemplare von bis zu 50,

    sogar knapp 60 cm65, die diesen will-krlichen Wert relativieren. Fund106/70 (Abbildung 56) mit rund 50cm Lnge soll daher in dieser Kate-gorie behandelt werden.Fr eine Klassifizierung wird die

    Ausgestaltung des Gefes herangezogen. Auf den ersten Blick fallen die renaissancezeitli-chen Formmerkmale auf. Drechselhnliche, gebuckelte Griffe fin-det man bereits bei Schwertern des frhen 16. Jahrhunderts (Ab-

    bildung 57). Kugelige, abgesetzte Knufe mit Vernietknufchenkommen um die Mitte des Jahrhunderts in Mode. Schnes Ver-gleichsstck ist eine oberitalienische Garnitur von etwa 1560, be-stehend aus Degen und Dolch, die hnlich bearbeitete Griffe undKnufe aufweist (Abbildung 58). Interessanterweise bestehen siewie beim Stader Fund aus Eisen. 106/70 scheint jedoch wie auseinem Stck gegossen, nicht aufgesetzt, wie allgemein blich.Ein kleines Detail lt von der ursprnglichen Datierung abwei-

    chen: eine Scharte auf einerder Schneiden. Eine derartgroe Beschdigung das Metall ist regelrecht umgebo-gen ist bei Waffen dieser Zeit nicht vorstellbar. Diedeutschen Klingenschmieden in Passau und vor allem inSolingen, das bereits im 16. Jahrhundert eine dominie-rende Stellung einnahm und gegen Ende des 17. Jahr-hunderts als Spitze der europischen Klingenherstellunggalt, zeichneten sich durch hchste Qualitt aus.66 DieBeschdigung jedoch deutet auf ein fr eine solche Waf-fe, speziell fr die Schneiden, ungeeignetes Eisen mit

    64SEITZ1968, 187.65Vgl. zum Beispiel die Lngenmae bei MLLER/KLLING1990, 385f.66SEITZ1965, 340ff.; SEITZ1968, 257ff.

    Abbildung 54

    Abbildung55

    Abbildung 56

    Abbildung 57

    Abbildung 58

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    hohem Kohlenstoffgehalt, oder aber auf einen falschen Arbeitsproze hin. Die nachtrglicheWrmebehandlung des geschmiedeten Metalls erlaubt eine Vernderung des Hrtegrades. Zulanges sogenanntes Glhen bei ca. 700 Grad Celsius macht Stahl weich, Fehler beim Aufkoh-len, Abschrecken und Anlassen knnen eine grere Hrte verhindern.67Formen der Renaissance finden sich wieder in einer Zeit, die unter dem Namen Historismus

    bekannt ist. Diese Epoche zwischen 1840 und 1900 zeichnet sich durch die Nachahmung alterStilrichtungen aus. Beeinflut durch die Strmung der Romantik, die die Vergangenheit, be-sonders das Sptmittelalter als Vorbild auserkor, wurden in der Architektur und Kunst Roma-nik, Gotik, Renaissance, Barock und Rokoko imitiert. Zu etwas Neuem war die Kunst nichtmehr fhig. Diese Entwicklung zeichnete sich auch bei den Blankwaffen ab, die im militri-schen Bereich durch die Erfindung des schnellschieenden Revolvers und der automatischenPistole immer mehr an Bedeutung verloren und nur als rein zeremonielle Schmuckobjekteweiterlebten. Man bediente sich vergangener Formen, die blanken Waffen waren zu einemstehenden Gewsser erstarrt68. Der vermeintliche Renaissancedolch mu hier eingeordnetwerden.69

    Fund 106/1863-3Das gut 9 cm lange Metallfragment 106/1863-3 hat einen flach-rhombischenQuerschnitt mit zwei Schneiden (Abbildung 59). Aufgrund des schlechtenErhaltungszustandes lassen sich Alter und Verwendungszweck nicht deuten.berdies besteht grundstzlich das Problem, Klingen zu datieren, da sie vielweniger modischen Vernderungen unterworfen waren als etwa die Gefe.Wegen der geringen Breite und Dicke (noch 11,5 bzw. 3,6 mm) kann man

    jedoch mutmaen, da es sich auch ursprnglich um eine schlanke Klingegehandelt hat; das Fragment besitzt immer noch eine gewisse Symmetrie desMittelgrates. Eine Blankwaffe mit uerst schlanker, spitzer Klinge von drei-oder vierkantigem Querschnitt war das Stilett.Diese hypothetischen berlegungen sollen nicht darber hinwegtuschen, daeine klare Einordnung dieses Fragments anhand von typologischen Merkma-len nahezu unmglich ist. Erschwerend kommt hinzu, da es sich um einenunstratifizierten Streufund handelt.

    2.2.3. Degen

    Der Degen ist eine lange Hieb- undStowaffe mit gerader Klinge, zu-gleich zierlicher als das Schwert(Abbildung 60). Sein Gef ist alsHandschutz mehr oder wenigerstark ausgebildet. Im Gegensatzzum Rapier als spezielle Duellwaffediente der Degen auch militrischenZwecken.70

    67PLEINER1962, 254ff.68SEITZ1968, 344.69SEITZ1968, 342ff.70SEITZ1965, 303.

    Abbildung 59

    Abbildung 60

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    Das Wort Degen kann erstmals um 1400 im ostdeutschen Sprachgebiet nachgewiesen werden,wo es vermutlich noch einen langen Dolch bezeichnete. Verbreitung erlangte der Degen alslange Seitenwaffe zu Beginn der 16. Jahrhunderts, als sich eine neue Fechtkunst entwickelte.Man setzte nicht mehr wie im Mittelalter auf reine Krperkraft, sondern erlernte eine kompli-

    zierte Kampfkunst, die hohe technische Geschicklichkeit mit der neuen Waffe erforderte. ImZuge dessen erfreute sich auch das Duellieren immer grerer Beliebtheit. Whrend des Ba-rock und Rokoko waren Degen und Rapier die dominierenden Seitenwaffen im brgerlichenBereich. Danach vernderte sich ihr Charakter hin zu einer edlen Vorzeigewaffe, die die hoheStellung und den Reichtum des Besitzers unterstreichen sollte. Man benutzte gerne den Be-griff Galanteriedegen dafr.71

    Fund 106/2015Bei Fund 106/2015 (Abbildung 61) handelt es sich umeine Parierstange mit verdickten, nach unten gebogenenEnden und einer Breite von knapp 10 cm. Die Fassung an

    ihrer Unterseite erlaubte eine Blattbreite der Klinge vonlediglich 2,4 cm.Betrachtet man die Geftypen beim Degen des 17. Jahr-hunderts, so findet man neben ausgereifteren Formen mitFaustbgeln, Nebenspangen oder ganzen Korbgefen,

    die einen effektiven Schutz der klingefhrenden Handboten, weiterhin einfache sogenannte Kreuzgefe alsFortsetzung renaissancezeitlicher Typen. Diese barockenKreuzgefe gab es whrend des gesamten 17. Jahrhun-derts und zeichneten sich durch eine Kreuzform von Pa-rierstange und Klinge aus, wie man es beispielsweise vonmittelalterlichen Schwertern her kennt. Der Kreuzgef-typ zeigte sich uerst variantenreich. Neben verlngerten,hoch aufgeschwungenen oder S-frmigen Parierstangen

    begegnet uns ab Mitte des 17. Jahrhunderts eine spezielleVariante mit kurzen, nach unten gerichteten Parierstangen.Sie gehrte zu kleinen Degen mit Klingenlngen zwischen55 und 65 cm und zeichnete sich ihrerseits durch eineVerdickung an den Enden aus, wie man es auch beim Sta-

    der Fund 106/2015 sehen kann.72Tatschlich wurden Mitte des 17. Jahrhun-

    derts neben den normalen Degen auch sol-che fr den friedlichen Gebrauch aufgefhrt,so etwa in einem schwedischen Inventarver-zeichnis von 1655 unter dem Namen Spat-zierdegen. Aus einem Gerichtsprotokoll desJahres 1667 ist zu entnehmen, da solcheDegen nicht zu den Waffen gezhlt wurden.Der eines Handgemenges angeklagte Offizierverteidigte sich damit, da er gar keine Waf-fe mit sich gefhrt htte, nur einen kleinenPromenierdegen.73

    71SEITZ1965, 250, 303; SEITZ1968, 30f., 314ff.72SEITZ 1968, 30ff.73SEITZ 1968, 47f.

    Abbildung 61im Mastab 1 zu 2.

    Abbildung 62

    Abbildung 63

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    Fund 106/2015 kann sehr gut einem solchenPromenierdegen der Mitte des 17. Jahrhundertszugeschrieben werden. Zeitgenssische Knstlerwie David Klcker Ehrenstrahl bildeten sie aufGemlden ab (Abbildung 62). Zwei deutsche

    Degengefe dieser Art aus der Zeit um 1650 bis1670 zeigt Abbildung 63.Natrlich ist nicht auszuschlieen, da die Pa-rierstange einem Dolch des 17. Jahrhunderts ge-hrte, der in der Ausgestaltung des Gefes zu-sammen mit einem Degen eine Garnitur bildenkonnten (Abbildung 64).

    2.2.4. Weitere Gef- und KlingenfragmenteFund 106/2010-293Diese Parierstange ist nur noch fragmenta-risch erhalten. Auffllig sind das verdickteMittelstck sowie die schmalen, im Ansatzleicht S-frmig gebogenen Stangen. Das Mit-telteil lt auf eine schmale Klinge von 2 bis2,5 cm Breite schlieen; sein klarer Absatzzur Stange erlaubt stilistisch gesehen kein breites Klingenblatt. Prinzipiellkmen Klingen von Dolch, Degen oder Rapier in Frage.74S-frmig gebo-

    gene Parierstangen gab es beim Degen (Abbildung 65) und Rapier bereitsseit dem ersten Jahrzehnt75, beim sogenannten Parierstangendolch (Abbil-dung 66) gegen Ende des 16. Jahrhunderts76, und hielten sich das ganze 17.Jahrhundert hindurch. An dem Parierstangenfragment knnen aufgrund der

    starken Korrosion keine Spuren von mglicherweise abgebrochenen Parier-, Griff- oder Klin-genbgeln (Abbildung 67) mehr aus-gemacht werden, die eine eindeutige-re Zuordnung zu einer bestimmtenWaffengattung oder Zeit erleichterthtten. Generell darf man auch nichtausschlieen, da die mutmaliche

    Form ein zuflliges Ergebnis der Kor-rosion ist, womit alle bisherigenberlegungen zunichte gemacht w-ren.

    Das Fragment wird demnach mit Vorbehalt als Parierstange eines Dolches, Degens oder Ra-piers in das 16. bis 17. Jahrhundert datiert.

    74Vgl. die Mae von Klingenbreiten bei MLLER/KLLING1990, 365ff.75SEITZ1965, 313.76SEITZ 1965, 368.

    Abbildung 64

    Abbildung 65

    Abbildung 66

    Abbildung 67

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    Fund 106/1863-1Bei dem Metallfragment 106/1863-1 (Abbildung 68) handelt es sich um eineMesserklinge mit dem Ansatz einer abgesetzten Griffangel. Ausschlagge-

    bend fr die Zuordnung zu den Messern und nicht zu den Dolchen ist diefehlende Symmetrie.77Messer finden nicht nur als Waffe, sondern auch als

    Werkzeug und Hausgert Verwendung, daher ist eine eindeutige Zuordnungzum Fundkomplex Waffen und Reitzubehr nicht mglich. Sie macheneine groe Gruppe im Stader Fundgut aus und werden im Rahmen einer an-deren Arbeit untersucht. Die zeitliche Einordnung gestaltet sich schwierig,da sich Messerklingen in ihrer Form ber Jahrhunderte nicht verndern. Ver-gleichbare Funde gibt es von fast jeder greren Grabung78, vor allem aufBurgen.

    Fund 106/1863-2Dieses verbogene Metallfragment von gut 11 cm Lnge (Abbildung 69) besitzt einen flach D-frmigen Querschnitt und kann somit nicht als Klinge angesprochen werden (Abbildung 70).Eindeutig bestimmte Objekte dieser Machart sind dem Verfasser nicht bekannt.

    77SEITZ1965, 198.78Vgl. beispielsweise die Messerfunde der Stadtkerngrabungen aus Anklam, Mecklenburg-Vorpommern, inSCHOKNECHT1969, 296ff.

    Abbildung 68

    Abbildung 69Abbildung 70

    Gngige Klingenquerschnitte

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    2.2.5. Graphische bersicht ber die Datierungender Stader Sto- und Stichwaffen

    Eisenzeit/Kaiserzeit/Frhmittelalter

    Hochmittelalter Sptmittelalter Frhneuzeit und Neuzeit

    700 v.Chr.bis 0

    0-1000 n.Chr.

    11.Jahrhundert

    12.Jahrhundert

    13.Jahrhundert

    14.Jahrhundert

    15.Jahrhundert

    16.Jahrhundert

    17.Jahrhundert

    18.20.Jahrhundert

    106/113106/114106/115106/116106/117106/118 Keine Datierung mglich

    16. Jahrhundert 17. Jahrhundert 18. Jahrhundert 19. Jahrhundert106/1408 Stilett106/70106/1863-3106/2015 Degen106/2010/293 Parierst.106/1863-1106/1863-2

    Wahrscheinlichste Datierung (hufiges Vorkommen)Mgliche Datierung (selteneres Vorkommen)

    Hypothetische DatierungKeine Datierung (kein Vorkommen bzw. Datierung nicht mglich)

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    Abbildung 71Bogenschtzen auf dem Teppich von Bayeux.

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    3. Fernkampfwaffen

    3.1. Mechanische Schuwaffen3.1.1. Geschospitzen

    3.1.1.1. Typologie und Chronologie

    Das Fundmaterial aus Stade enthlt 42 Exemplare, die hier als Geschospitzen angesprochen

    und nach typologischen sowie chronologischen Grundstzen untersucht werden sollen. Eswird hier bewut der Begriff Geschospitze und nicht etwa Pfeilspitze oder Armbrustbolzenverwendet, da seit jeher eine Unterscheidung schwer bis unmglich ist. Nur wenige Formenerlauben aufgrund von Vergleichsfunden komplett erhaltener Armbrustbolzen die Zuordnungzu diesem Typ. Auch mit der berbewertung metrischer Daten mu man vorsichtig sein. Nurzu oft wurden willkrlich bestimmte Werte fr Gewicht oder Tllenbreite als Abgrenzungvon Pfeil- und Bolzeneisen gewhlt, ohne da diese wissenschaftlich begrndet gewesen w-ren. Offensichtlich erlag man der Versuchung, ein eindeutiges System zu schaffen, in das sichalle Geschospitzen einordnen lieen.PIHODAist in seinem 1933 erschienen Aufsatz noch der festen berzeugung, da eine Pfeil-spitze nicht viel mehr als 25 g wiegen drfe. Bei den Armbrustbolzen nennt er neben berech-

    tigten formalen Kriterien wie Befestigungsart am Schaft, Form und Querschnitt auch festeGewichtswerte fr spezielle Typen von Armbrsten, die er bestimmten Zeitabschnitten zu-ordnet. So sollen Bolzeneisen bis 35 g fr sogenannte Handspannungs-, Stegreif-, Geifu-und Spannhebelarmbrste verwendet worden sein und ins 12. bis 16. Jahrhundert datieren,solche von 35-50 g fr Spannhebel- und Windenarmbrste ins 14. bis 16. Jahrhundert und dieber 50 g fr Winden- und Flaschenzugarmbrste frhestens Ende des 14. Jahrhunderts.79

    Nach HARMUTH wiegen gotische Kriegsbolzeneisen bei einer Lnge von 7-8 cm 30-40 g,Wallbolzeneisen bei 9-11 cm 60-80 g. Bolzen unter 28 g sind fr ihn automatisch Pfeileisen.80ERDMANN legt eine Grenze von 12 g fest, die Geschospitzen von Bgen und Armbrstentrennen soll.81Selbst 1985 ist KRENNnoch der Meinung, da man Geschospitzen eindeutignach dem Gewicht unterscheiden knne. Er bernimmt dabei unkritisch die Gewichtsvorga-

    ben und ihre jeweiligen Datierungen von PIHODA.82Mittlerweile konnten viele komplett erhaltene Armbrustbolzen untersucht werden. Dabeistellte sich heraus, da das Gewicht des Bolzeneisens keineswegs immer ber 25 bzw. 28 gliegt. Bei den 17 von Zimmermann gewogenen Exemplaren sind es beispielsweise Werte zwi-schen 14,3 und 37,3 g, zwei Drittel wiegen unter 25 g. hnlich verhlt es sich mit den Tllen-durchmessern, bei denen es berschneidungen bei Bolzeneisen und Pfeilspitzen im Bereichvon 10-12 mm gibt.83

    79PIHODA1933, 45, 53.80HARMUTH1975, 74ff.81ERDMANN1982, 6.82KRENN1985, 47.83ZIMMERMANN2000, 20f.

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    Die Erstellung einer Typologie von Geschospitzen ist nichtganz unumstritten. Pfeilspitzen und Bolzeneisen waren, imGegensatz zu anderen Waffen wie etwa Schwert und Dolch,selten Objekte der Reprsentation und unterlagen daherauch kaum modischen Einflssen. Es finden sich zwar Ge-

    schospitzen mit gravierten Verzierungen84

    , doch stellen sieeher die Ausnahme dar (Abbildung 72). Meistens handelt essich um Geschosse von Jagdarmbrsten.85Sie boten, andersals etwa bei einer Parierstange, einem Knauf oder einer groflchigen Schutzwaffe, schlicht-weg zu wenig Verzierungsflche und waren berdies selten zu sehen, wenn sie mit der Spitzenach unten in ihrem Kcher transportiert wurden (aber auch die umgedrehte Tragweise mit

    nach unten weisender Befiederung existierte, v.a. in Ost-europa; Abbildung 73).

    Nicht unbeachtet bleiben darf die Tatsache, da derleichtgerstete Bogenschtze zu Pferd, der im frhen Mit-telalter eine tragende Rolle bei Gefechten inne hatte, zu

    Zeiten des Rittertums im Hoch- und Sptmittelalter alsnicht ebenbrtig gewertet und gering geschtzt wurde.86Pfeil und Bogen kamen daher fr den Adel dieser Zeit garnicht in Betracht. Auch die Armbrust galt im Kampf alsunritterliche Waffe und wurde auf dem zweiten Late-rankonzil 1139 unter Christen verboten (nicht jedoch ge-gen die Heiden)87. Ihr Einsatz als Jagdwaffe mit ihrenVorteilen gegenber dem Bogen machte sie jedoch auch

    beim Adel beliebt, wie zahlreiche hoch- und sptmittelal-terliche Darstellungen zeigen.88Wegen der Masse von Bodenfunden auf Burgen, die aufeine kriegerische Verwendung der Geschospitzen schlie-en lassen, scheiden stilistische Merkmale, wie man siezum Beispiel bei Schmuck anwenden kann, zur Datierungaus.

    In der Regel wurden Geschospitzen von den Waffenschmieden ingroer Stckzahl und in relativ kurzer Zeit geschmiedet, waren alsoeine Art Massenware, die oft im Eifer des Gefechts verloren gin-gen, ohne den Schtzen sogleich finanziell zu ruinieren. Aufwendiggearbeitete, reich verzierte Exemplare wren fr den gngigen Ge-

    brauch im Kampf wenig sinnvoll gewesen. Eine kostengnstigeProduktion legte wenig Wert auf optische Perfektion oder womg-lich genormte Formen. Zwar finden sich bestimmte Typen von Ge-schospitzen in ganz Europa wieder, andererseits fertigte jederSchmied seinen eigenen Typ oder sogar seine eigenen Varian-ten dieses Typs. Man mu daher vorsichtig sein, die hier behandel-ten Objekte in eine bis ins kleinste differenzierte Typologie zu pres-sen.

    84DITE 1976, 42; RADDATZ 1963, 51ff.;DOLNEK/DURDK 1995, 172.85WAGNERet al. 1957, 55.86BOEHEIM 2000, 389.87BOEHEIM 2000, 402.88ZIMMERMANN 2000, 24.

    Abbildung 72

    Verzierte Geschospitze, 15. Jahrhundert,ohne Mastab.

    Abbildung 73Pfeilkcher aus Haithabu (links) und Osteu-ropa (rechts) mit entsprechender Tragweiseder Pfeile.

    Abbildung 74

    Bogenschtzen im Kampf,Darstellung Ende des 15.Jahrhunderts.

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    Geschospitzen muten vor allem funktionale Zweckebeim Kampf und bei der Jagd erfllen (Abbildung 74 und75), also eine Rstung durchschlagen oder ein Tier betu-

    ben oder erlegen. Dies legte eine gewisse Form zugrunde.Pfeilspitzen mit flachem Blattquerschnitt konnten gut le-

    derne oder textile Rstungen durchdringen, drei- odervierkantige Geschospitzen optimal die vernieteten Glie-der eines Ringpanzers aufsprengen89, massive Bolzeneiseneine Plattenrstung durchschlagen. Je nach Vorkommenund Hufigkeit eines bestimmten Krperschutzes lassensich somit Rckschlsse auf die daraus resultierenden

    Angriffswaffen auch die Geschospitzen ziehen. Denn eine neue Schutzwaffe zog immereine Weiterentwicklung der Angriffswaffen nach sich, diese wiederum angepatere Verteidi-gungswaffen, und so fort. Diese Tatsache wiederum rechtfertigt eine Geschospitzentypologienach funktionalen (und damit unweigerlich formalen) Gesichtspunkten.

    Zwlf der 42 Geschospitzen lassen sich aufgrund ihrer stratigraphischen Daten relativ-chronologisch einordnen. Der Vergleich mit Fundmaterial aus anderen Grabungen soll dar-ber hinaus, gerade bei den Streufunden, eine Datierung erleichtern.

    3.1.1.2. Formale Unterscheidungsmerkmale

    Da sich die funktionale Differenzierung von Geschospitzen mit der mechanischen Ballistikbeschftigt, auf die in dieser Arbeit nicht eingegangen werden kann, wurde von diesem Punk-te abgesehen und das Fundgut rein formal untersucht. Es wurden zu jeder Geschospitze me-trische Daten ermittelt und untereinander verglichen, um die Einzelfunde zu Gruppen zusam-

    menzufassen und diese mit Gruppen anderer Publikationen,aber auch Einzelfunden zu vergleichen. Dabei sollen denLngenmaen und Gewichten keine typenunterscheidendeBedeutung zukommen, etwa eine Unterscheidung vonPfeilspitzen und Bolzeneisen anhand des Gewichts oder desTllendurchmessers, wie bereits kritisch hinterfragt wurde.

    Aufgrund der Schftung, also der Art und Weise, wie dieGeschospitze am Pfeil oder Bolzen befestigt ist, lassensich Geschospitzen mit Tlle und solche mit Dorn unter-scheiden (Abbildung 76). Die Tllengeschospitzen stellen

    mit 32 Exemplaren die Mehrheit des Fundgutes dar, Dorn-geschospitzen sind in der Unterzahl (vier Exemplare).Sechs Funde lassen sich nicht mehr eindeutig zuordnen, da Tlle oder Dorn gnzlich fehlen.Ein Vergleich mit den besser erhaltenen Stcken erlaubt aber eine entsprechende Einordnungzu Tllen- oder Dorngeschospitzen mit Vorbehalt.

    Des weiteren ist eine Gliederung des Materials in verschiedene Querschnitte und Profile derGeschospitzen mglich. Unter Querschnitt versteht man den fiktiven Schnitt durch das Blatt,also den Abschnitt der Geschospitze oberhalb von Tlle oder Dorn. Daraus resultierendeFormen sind quadratisch auch annhernd quadratisch, um etwaigen Ungenauigkeiten

    beim Schmiedevorgang und einer spteren Deformation im Boden Rechnung zu tragen (mit

    19 Exemplaren vertreten), rhombisch (19 Exemplare), rechteckig (zwei Exemplare) und

    89KEMPKE 1991, 48.

    Abbildung 75

    Armbrustschtzen bei der Jagd, Darstellungdes 14. Jahrhunderts.

    Abbildung 76

    Befestigung einer Dorngeschospitze

    (links) und Tllengeschospitze (rechts) amSchaft.

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    flach (zwei Exemplare) als extrem flache Rauten- oder Linsenform.Im Profil heben sich fnf verschiedene Varianten hervor, deren Bestimmung in den jeweiligenAbschnitten erlutert wird: spitzpyramidal (elf Exemplare), nadelfrmig (sieben Exem-

    plare), lanzettfrmig (fnf Exemplare), weidenblattfrmig (14 Exemplare) und stumpf-kegelfrmig (fnf Exemplare).

    Die Kombination dieser Merkmale Schftungsart, Blattquerschnitt, Profil liefert acht Ty-pen von Geschospitzen90, die im folgenden einzeln behandelt werden sollen.

    3.1.1.3. Tllengeschospitzen

    Tllengeschospitzen mit quadratischem Blattquerschnitt

    Tllengeschospitzen mit quadratischem Blattquerschnitt und spitzpyramidalem Profil

    Charakteristisch fr diesen Typ von Geschospitze ist seine markante Form mit einem spit-zen, pyramidenfrmigen Blatt quadratischen Querschnitts, das auf einer kurzen, konischenBasis sitzt. Im Stader Fundgut befinden sich sechs Exemplare, die sich aufgrund dieserMerkmale gut von den anderen Geschospitzen abheben lassen: 106/105, 106/106, 106/196,106/908, 106/1270 und 106/1271 (Abbildung 77).

    Bei 106/106 war die Zuordnung zunchst etwas problematisch. Auf den ersten Blick hat dieseGeschospitze einen rhombischen Querschnitt, was mit einem spitzpyramidalen Profil nichtvereinbar ist, zumindest bei den Tausenden von Vergleichsobjekten keine Entsprechung fand.Bei nherer Betrachtung jedoch stellte sich heraus, da drei der Blattflchen im oberen Be-reich nahezu im rechten Winkel stehen. Nur eine Kante ist stark beschdigt, die gegenberlie-gende eingedrckt. Dies vermittelt den Eindruck des Rhombischen. Trotz dieser Deformationerfllt die Geschospitze aber mit ihrer Blattbasis und dem weitgehend pyramidenfrmigenBlatt die Hauptkriterien dieses Typs.

    90Und einige fragliche Objekte.

    Abbildung 77

    106/105 106/106 106/196 106/908 106/1270 106/1271

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    Die Gewichte der sechs Exemplare liegen im Bereichzwischen 10,7 und 23,0 g. Wenn man die beiden Stk-ke 106/105 und 106/196 vergleicht, wird deutlich, wiesehr die Blattbreite hier das Gewicht beeinflut: Trotzannhernd gleicher Lnge (63,8 bzw. 61,7 mm) wiegt

    106/196 mehr als doppelt soviel wie 106/105 (23,0bzw. 11,1 g). Im Vergleich zu rhombischen Gescho-spitzen gleicher Lnge kann dieser Typ daher sehrschwer sein, besitzt also eine um so grere Durch-schlagskraft.Die Gesamtlngen bewegen sich von 61,7 bis 77,0mm, liegen also im mittleren Bereich der Mewertsta-tistik. 106/1271 ist krzer, da hier die Schaftbefesti-gung weitestgehend fehlt. Es handelte sich jedoch mitgroer Wahrscheinlichkeit um eine Tlle. BeimSchmiedevorgang kann durch das Einrollen des Tl-

    lenteils eine sichtbare Naht entstehen, die an dieserGeschospitze im Ansatz noch auszumachen ist (Ab-

    bildung 78).91Das Ende ist zudem mit 18-20 mm Durchmesser viel zu dick fr einen Dorn.106/196 ist das besterhaltenste Stck dieser Serie, bei den anderen sind Tlle und Spitze mehroder weniger stark beschdigt.

    Interessanterweise findet sich diese Art von Geschospitzebereits in rmischer Zeit, so auf der Saalburg (Abbildung79).92Zwar sind hier die Fundangaben relativ ungenau, dochlassen sich die sogenannten vierkantigen Pfeilspitzen ver-mutlich in die Zeit zwischen 135 und 260 n. Chr. datieren.Die besser erhaltenen Exemplare der 14 Geschospitzen ha-

    ben ein Gewicht zwischen 5,0 und 9,8 g und sind damit trotzhnlicher Lnge bedeutend leichter als die Stader Fundstk-ke. ERDMANN geht nicht von Katapultgeschossen oderWurfspeerspitzen, sondern Pfeilspitzen aus und bezieht sichdabei auf KORFMANN, der die Obergrenze fr das Gewichteines Pfeileisens auf 12 g festlegte. Da ein genau definiertesmaximales Gewicht nicht gerechtfertigt ist, wurde mittlerwei-le von Zimmermann widerlegt93, doch wird deutlich, da derStader Geschospitzentyp verwandte Vergleichsstcke nicht

    nur aus dem Hochmittelalter, sondern bereits aus rmischer Zeit hat. ERDMANNweist daraufhin, da das rmische Fundmaterial bereits Vorlufer aus dem 5. und 7. vorchristlichen Jahr-hundert aus Kleinasien, Zypern und Mesopotamien hat.94Whrend der Vlkerwanderungs- und Merowingerzeit zeugen hingegen nur selten Funde vomGebrauch vierkantiger Geschospitzen. Die vier merowingischen Grabfunde von Blach, Fri-dingen, Hailfingen und Linz-Zizlau sind eine Ausnahme. Auch in der Karolingerzeit sind sol-che Geschospitzen nur auf das Gebiet des Gromhrischen Reiches, dessen Nachbarschaft

    91Vgl. auch den experimentellen Schmiedeversuch bei ZIMMERMANN 2000, 134ff.92Weitere Fundorte von vierkantigen, also quadratisch-spitzpyramidalen bzw. -nadelfrmigen Tllengescho-spitzen rmischer Zeit aus dem Bereich des obergermanischen Limes und der Provinz Obergermanien sindArnsburg, Arzbach, Hofheim, Holzhausen, Neuss, Niederberg, Osterburken, Vindonissa und Wiesbaden. In

    Rtien und dem rtischen Limes sind es Buch, Dambach, Eining, Pfnz und Unterbbingen (ERDMANN1982,9f.).93ZIMMERMANN 2000, 20f.94ERDMANN 1982, 5ff.

    Abbildung 78

    Schematische Darstellung des Schmiedeverfahrenseiner Tlle. Auf der rechten Darstellung ist dieNaht zu erkennen.

    Abbildung 79

    Rmische Vergleichsfunde von vierkan-tigen Geschospitzen aus der Saalburg,ca. 135 bis 260 n. Chr., Mastab 1:2.

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    und den alamannischen Raum (Runder Berg bei Urach)beschrnkt, und selbst dort sind sie in der Minderzahl.95Tllengeschospitzen mit quadratischem Blattquerschnittund spitzpyramidalem Profil finden sich hufig in Burgan-lagen, die zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert bewohnt

    waren (Abbildung 80 und 81), so etwa in der Schweiz,Sdwestdeutschland und im Elsa. Da es viele dieser im12. Jahrhundert aufgelassenen Anlagen gibt, die aus-schlielich diese Geschospitzen aufzeigen, kann man voneinem charakteristischen Typ dieser Zeit sprechen. Hufigsind sie mit Stachelsporen vergesellschaftet, die interes-santerweise mit ihrem sogenannten doppelpyramidalenDornen den Geschospitzenblttern sehr hneln. Es ist

    mglich, da diese Geschospitzen noch in jngere Jahrhun-derte reichen, da manche dieser Burgen auch im 13. und 14.

    und sogar im 17. Jahrhundert bewohnt waren. Wichtig ist je-doch, da die Hauptverbreitungszeit dieses Typs im 10. bis 12.Jahrhundert liegt.96Generell gehrte die vierkantige Tllengeschospitze mit qua-dratischem Querschnitt im westlichen Mitteleuropa zu den weitverbreiteten Typen des 11. und 12. Jahrhunderts. Der slawischeKulturraum bernahm diese Form offenbar aus dem Westen,wie Funde aus mittelslawischer und beginnender sptslawi-scher Zeit belegen, die ausschlielich in den westlichen, durchdeutsche Heere beeinfluten Landesteilen, liegen. In Olden-

    burg ist dieser Geschospitzentyp mit 43 Exemplaren aus den

    Schichten des 10. bis 13. Jahrhunderts vertreten (Abbildung82). KEMPKEmacht zwar einen Unterschied zwischen Tllen-geschospitzen ohne Absatz zur Spitze (Typ 6a; entspricht denunten behandelten quadratisch-nadelfrmigen) und solchen miteiner Verdickung nahe der Tlle (Typ 6b; quadratisch-spitzpyramidal nach ZIMMERMANN), doch wird in Hinblick aufVerbreitung und Chronologie bei ihm nur von vierkantigenGeschospitzen gesprochen. Im wikingerzeitlichen Nordeuropadagegen sind sie im Vergleich zu anderen Formen unterreprsentiert.97

    Weitere Fundpltze von Tllengeschospitzen mit quadratischem Blattquerschnitt und spitz-

    pyramidalem Profil sind unter anderem: Alt-Wielandstein, Baden-Wrttemberg98(12. bis 13.Jahrhundert)99, Aseburg, Niedersachsen100 (11. bis 12. Jahrhundert), Baldenstein, AltesSchlo, Baden-Wrttemberg101 (11. bis 12. Jahrhundert), Blumenhtte, Kanton Uri,Schweiz102 (9. bis 17. Jahrhundert), Entersburg bei Hontheim, Rheinland-Pfalz103 (1096 bis

    95KEMPKE 1991, 34.96ZIMMERMANN 2000, 36.97KEMPKE 1991, 32ff.98BIZER1981, 11ff.99Die Zahlen in Klammern geben, wenn nicht anders erwhnt, die Besiedlungszeit der Anlage an.100HEINE1991, 14ff.101SCHOLKMANN1982, 58.102MEYER1983, 48.103GILLES1984, 47.

    Abbildung 80

    Hochmittelalterli-cher Vergleichsfundaus der denburg,

    Mastab 1:2.

    Abbildung 81

    Hochmittelalter-licher Vergleichs-

    fund aus derEntersburg,

    Mastab 1:3.

    Abbildung 82

    Slawische Vergleichsfunde von vier-kantigen Geschospitzen aus Stari-gard/Oldenburg, Mastab 1:2.

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    1138), Gerstelfluh, Kanton Basel-Land, Schweiz104 (hochmittelalterliche Funde), Grenchen,Kanton Solothurn, Schweiz105(um 1000 bewohnt), Guttenberg, Bayern106(14. Jahrhundert bis1525, Geschospitzen unstratifiziert auerhalb der Burg), Harpelstein, Rheinland-Pfalz107(11.

    bis 12. Jahrhundert), Harzburg, Niedersachsen108 (1065 bis kurz nach 1073/74), Haus Meer,Nordrhein-Westfalen109 (10. bis frhes 13. Jahrhundert), Hildagsburg, Sachsen-Anhalt110

    (1129 aufgelassen), Kaisten, Kanton Aargau, Schweiz111

    (11. bis frhes 13. Jahrhundert),Kleinsteinbach, Baden-Wrttemberg112(ab 1100), Limburg, Baden-Wrttemberg (11. bis 12.Jahrhundert), Mrsburg, Kanton Zrich, Schweiz113 (11. bis 14. Jahrhundert), Ravensburg,Baden-Wrttemberg114(11. bis 18. Jahrhundert), Romatsried, Bayern115(11. bis 12. Jahrhun-dert), Schnenwerd, Kanton Zrich, Schweiz (ca. 11. bis 15. Jahrhundert), Sellbren, KantonZrich, Schweiz116 (11. bis 13. Jahrhundert), Warberg, Niedersachsen117 (1100/erste Hlfte12. Jahrhundert bis 1199), Wenzelstein, Baden-Wrttemberg118 (12. bis 13. Jahrhundert),Wimmis, Kanton Bern, Schweiz119, Wulp, Kanton Zrich, Schweiz120 (11. bis 13. Jahrhun-dert).

    Tllengeschospitzen mit quadratischem Blattquerschnitt und nadelfrmigem Profil

    Dieser Typ von Geschospitzen fllt durch sein langes, dnnes Blatt mit quadratischem Quer-schnitt auf. Allein seine Blattlnge ist grer als die Gesamtlnge anderer Typen. Aufgrundseiner geringen Breite ist auch das Gewicht relativ niedrig. Die Funde 106/102, 106/1210 und106/1413-3 gehren zu diesem Typ. Auch die weitaus massiveren Exemplare 106/101 und106/1413-1 sind formal-typologisch hier einzuordnen, obwohl sie mit ihrem Gewicht und der

    breiten Tlle etwas aus dem Rahmen fallen (Abbildung 83).

    Die Geschospitze 106/102 gilt als Referenzstck dieses Typs. Mit 88,6 mm ist sie lnger, mit9,3 g jedoch leichter als die meisten Geschospitzen aus Stade. Der Erhaltungszustand istauch an der Tlle so gut (Tllenrand komplett erhalten), da ein innerer Tllendurchmesservon 5,7 bis 7,4 mm gemessen werden konnte und Aufschlu ber die Ausmae der Pfeil-schfte gibt.

    104BERGER/MLLER1981, 36ff.105MEYER1963, 142ff., 192.106KOCH1983, 159ff.107CLEMENS/GILLES1991, 37ff., 341.108HEINE1991, 48ff., 55.109KLUGE-PINSKER1992, 33ff.110DUNKER1953, 215.111TAUBER1980, 29f.112LUTZ1977, 158.113OBRECHT1981, 129ff.114ADE-RADEMACHER/RADEMACHER1993, 58ff.115DANNHEIMER1973, 61ff.116SCHNEIDER1953, 80.117HEINE1991, 45ff.118BIZER1985, 198ff.119GUTSCHER1990, 115.120BADER1998, 62, 99.

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    Problematischer ist die Beurteilung des Fundstckes 106/1210. Mit 35 mm Gesamtlnge, 1,4g Gewicht und 5,4 mm erhaltenem Tllendurchmesser hat es eigentlich keine Berechtigung,noch zu den Geschospitzen gezhlt zu werden, zu winzig und zerbrechlich ist es. Man darf

    jedoch nicht auer acht lassen, da der Fund stark korrodiert ist und nadelfrmige Gescho-spitzen aufgrund ihres geringen Durchmessers generell anflliger fr Deformationen und Be-schdigungen sind. Zumindest eine ausgeprgtere Tlle im Originalzustand ist vorstellbar.Inwieweit das Blatt lnger und massiver war, sei dahingestellt. Es ist durchaus mglich, daes sich bei diesem Fund um ein Werkzeug, etwa einen Pfriem oder Bohrer, handelt. Ihm liegtdes weiteren eine unkommentierte Materialprobe bei, die nicht weiter untersucht werdenkonnte.

    Auch der Verwendungszweck des nadelfrmigenBodenfundes 106/1413-3 ist nicht eindeutig zu kl-ren. Zwar pat er mit noch 67,4 mm erhaltener Ge-samtlnge besser in das Geschospitzenspektrum(ZIMMERMANN ermittelte bei der Hlfte seiner 76Geschospitzen dieses Typs eine Gesamtlnge imBereich von 72 bis 91 mm)121, doch erinnert auch

    hier das Blatt an einen Pfriem. Das untere Ende istnicht vollstndig erhalten, aber man kann von einerTlle ausgehen, da ein allmhlicher bergang voneinem quadratischen Querschnitt am Blatt zu einemrunden zu erkennen ist, der typisch fr eine solcheTllengeschospitze ist.Zwei Fundstcke fallen aufgrund ihrer Gre undMasse aus dem Rahmen. 106/101 wiegt bei einer

    Lnge von 117,6 mm 33,9 g, 106/1413-1 bei einer Lnge von 119,4 mm sogar 47,9 g. Auchdie noch erhaltenen Tllendurchmesser sind beim ersten Stck mit 15,6 mm und beim zwei-ten mit 11,7 mm beachtlich. Anhand der fragmentarischen Reste der Tllen konnten Tllen-

    121ZIMMERMANN2000, 41. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, da das Fehlen absoluter Zahlen-angaben in der Literatur oftmals Schwierigkeiten bereiten kann. Prozentuale oder subjektive Angaben machen esmeist unmglich, die Allgemeingltigkeit mancher Aussagen zu